Kitabı oku: «Raue Februarwinde über den Elbmarschen», sayfa 4

Yazı tipi:

Helga Timm überlegt kurz, dann nickt sie zustimmend.

Nachdem sie das Zimmer verlassen haben, klebt die Polizeimeister-Anwärterin ein amtliches Polizeisiegel an die Tür, verschließt diese und überreicht Nili den Schlüssel.

Nachdem Nili vier große Umzugskartons im OLBA-Baumarkt erstanden und sich anschließend am daneben gelegenen Imbiss an einem gegrillten Geflügel-Schaschlik gesättigt hat, fährt sie wieder zum Gasthof »Zur Lindenschenke«. Sie legt Frau Król den von Boie Hansen ausgestellten polizeilichen Berechtigungsschein zur Abholung und vorübergehenden Verwahrung von Werner Reimers’ Sachen vor und bittet die Frau um Hilfe beim Einpacken.

»Was war denn Herr Reimers für ein Mensch?«, fragt Nili, während sie Wäsche aus der Kommode nimmt und diese in einen der Kartons legt.

»Eigentlich sehr nett und höflich. Auch sehr sauber und ordentlich. Allerdings …« Frau Król, die gerade einen Pullover aus dem Kleiderschrank nimmt, stockt, wohl um sich die passenden Worte zurechtzulegen.

Nili sieht sie an. »Allerdings was?«

»Nun ja, er war schöner Mann, hat ab und zu hier Frau im Bett gehabt. Habe ich an Bettwäsche gemerkt, nächsten Morgen beim Aufräumen.«

Nili horcht auf. »Das ist wohl normal für so einen jungen Menschen, nicht wahr? Haben Sie die Frau irgendwann gesehen?«

»Nur einmal ganz kurz, von hinten, als sie gegangen.«

»Können Sie mir sagen, wie sie aussah?«

»Nein, nicht richtig. Nur ganz wenig, als sie durch die Hintertür hinaus.«

»Klein, groß? Blond oder schwarz?«

»Denke, war junge Frau, lange Beine in grünen Hosenanzug, lange braune Haare. Habe leider nicht mehr gesehen!«

»Danke, Frau Król.« Nili klappt einen der Umzugskartons zu. »Es war sehr nett von Ihnen, mir zu helfen. Sie können jetzt gehen, den Rest schaffe ich allein!« Nachdem die Frau den Raum verlassen hat, kniet sich Nili vor das Bett, zieht die Kassette darunter hervor und legt sie in einen der noch geöffneten Umzugskartons.

4. Wetterumschwung

Gleichzeitig mit Nili, die ihren Cross Polo vor der Polizeidienststelle in Oldenmoor parkt, trifft der Streifenwagen mit Polizeiobermeister Willi Seifert und seinem Kollegen Polizeimeister Dieter Klages ein, die gerade vom Tatort zurückkommen.

»Hallo, Jungs, ihr kommt mir gerade richtig! Helft ihr mir bitte mit diesen Kartons?«

Der starke Regen vom Vormittag ist in ein intermittierendes Nieseln übergegangen, im Augenblick ist es aber trocken und ein lauer Wind ist aufgekommen.

»Moin, Nili! Was hast du uns denn da mitgebracht?«, möchte Willi wissen.

Während sie die Kartons in die Dienststelle bringen und in einer Kammer verstauen, berichtet ihnen zunächst Nili, dann Helga Timm von dem Vermisstenfall Werner Reimers. Nili ist neugierig und fragt: »Und was habt ihr mitgebracht? Hat die Spusi da draußen irgendetwas Neues gefunden?«

»Ach was!« PM Klages winkt ab. »Bei diesem unaufhörlichen Regen sind alle Baugruben überschwemmt. KTU-Lilo und ihr Uwe aus Itzehoe hätten darin eher schwimmen als etwas Brauchbares finden können!«

»Die ganze Aktion war buchstäblich ein Schlag ins Wasser, also für die Katz, obwohl diese Tiere ja bekanntlich das Wasser scheuen«, witzelt POM Seifert.

Helga Timm wendet sich an Nili. »Alles klargegangen, Frau Hauptkommissarin?«

»Bitte nicht so förmlich«, wehrt diese ab. »Sie – oder besser du – kannst mich ruhig Nili nennen, okay? Ja, ist alles glattgegangen. Als ich in der Lindenschenke alles eingepackt hatte, erschien Herr Petermann. Zunächst wollte er mir die Sachen von Werner Reimers trotz des Berechtigungsscheins nicht aushändigen. Doch dann überzeugte ich ihn mit der Aussage, diese müssten zur kriminaltechnischen Untersuchung, damit eventuelle Ursachen für das Verschwinden seines Gastes ermittelt werden können. Ich gab ihm eine Quittung, damit er sich beruhigte.« Nili lächelt. »Stellt euch vor, er fragte mich sogar, ob die Polizei ihm die ausstehende Rechnung seines Gastes bezahlen würde!«

»Das sieht dem komischen Petermännchen ähnlich«, kolportiert Hauke. »Der hat immer schon so wahnwitzige Ideen in die Luft gesetzt!«

Nili macht Anstalten zu gehen. »Also gut, liebe Kollegen, ich muss jetzt los. Ich habe meiner Mutter versprochen, ihr auf dem Geflügelhof zur Hand zu gehen. Ihr wisst ja, wo ich zu erreichen bin, falls Not am Mann ist. Ich bin noch bis Donnerstagmittag hier, dann muss ich wieder nach Kiel. Alles Gute und viel Erfolg!«, ruft sie den Kollegen im Hinausgehen zu.

Als Nili und ihre Ima Lissy am späten Nachmittag im Onkel Suhls Haus eintreffen, werden sie von Oma Clarissa herzlich begrüßt. »Ich habe heute Brot gebacken«, berichtet diese fröhlich. »Am Vormittag war ich im Supermarkt und habe zufällig die Unterhaltung von zwei Frauen mit angehört, die sich sehr angeregt über die Vorzüge einer neuen Backmischung unterhielten. Als ich sie darauf ansprach, erzählten sie mir voller Begeisterung von dem Produkt und gaben mir zudem einige Ratschläge für die Zubereitung. Ich habe dann eine Packung davon gekauft und noch dazu einige Tüten mit Sonnenblumen- und Kürbiskernen sowie Leinsamen und Sesamkörnern mitgebracht, die ich unter den Teig mischen werde. Die beiden Frauen sagten mir auch, das Brot schmecke besonders gut, wenn es mit Griebenschmalz bestrichen wird. Also habe ich auch das gleich besorgt. Nun, meine Lieben, bereitet euch also auf einen Genuss der besonderen Art vor.«

In der Tat sind die drei Frauen von dem knusprigen und wohlschmeckenden dunklen Vollkornbrot sehr angetan. Nach dem Abendbrot gehen Abuelita und Ima ins Wohnzimmer hinüber, während Nili die Küche aufräumt und das Geschirr in die Spülmaschine stellt. Dann greift sie zum Handy und wählt Waldis Nummer. Ihr antwortet nur die Mailbox und sie hinterlässt die Nachricht, er möge sie vom Festnetz aus hier im Hause anrufen, sobald er für ein vertrauensvolles Gespräch bereit sei. Dann gesellt sie sich zu den beiden Frauen, die es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht haben, und sie sehen gemeinsam das Schleswig-Holstein Magazin. Als dieses beendet ist und Ima zur Tagesschau der ARD umschaltet, bemerkt Abuelita, es sei doch seltsam, dass kein Wort über den Leichenfund am Windpark gefallen sei.

»Wundert mich eigentlich nicht, Abuelita«, meint Nili. »Bei dem Sauwetter war ganz bestimmt kein Fernsehteam hier in Oldenmoor, jedenfalls hab ich nichts davon erfahren.«

Gerade als Tagesschausprecher Jan Hofer die Zuschauer begrüßt, läutet das Telefon. Nili erhebt sich. »Lasst man, es ist sicher Waldi, der mich zurückruft. Ich gehe hinauf ins Arbeitszimmer, dann störe ich euch nicht.« Geschwind läuft sie die Treppe empor.

»Erster Kriminalhauptkommissar Walter Mohr, LKA Kiel an der Strippe! Wer verlangt da so sehnlichst nach mir?«

»Hallo, Waldi. Lieb, dass du so schnell zurückrufst! Ich hab dir einiges zu berichten!« Nili schildert ausführlich, was sich an diesem Tag zugetragen hat. »Während Polizeimeister-Anwärterin Helga Timm und ich das Zimmer des Vermissten untersuchten, entdeckte ich unter dem Bett eine verschlossene Kassette. Ich habe sie vor Helga versteckt und angeregt, später selbst alles in Kartons zu verpacken und die Sachen in die Dienststelle zu bringen. Ich wollte keineswegs, dass irgendjemand hier die Kassette und deren Inhalt zu Gesicht bekommt. Sie ist nicht sehr groß, dafür aber ziemlich schwer, und ich vermute, dass sich darin KK Köppens Dienstwaffe und seine Ausweise befinden. Leider habe ich keinen Schlüssel dafür gefunden und konnte somit die Kassette nicht öffnen. Ich habe sie hier bei mir sichergestellt.«

»Prima gemacht, Nili, sehr gute Arbeit! Sehr wichtig, dass man dort nichts von dieser Kassette erfahren hat.«

»Danke, gern geschehen, Chef! Ach, noch was: Ich habe von der Bedienung des Gasthauses, in dem Werner Köppen logiert hat, erfahren, dass der Kollege gelegentlich eine Frau mit aufs Zimmer und auch mit ins Bett genommen haben soll. Deren Beschreibung ist allerdings etwas dürftig, aber mal sehen, vielleicht trifft man zufällig auf genau dieses weibliche Wesen. Was meinst du, Waldi, soll ich hier noch etwas Besonderes unternehmen?«

»Nun ja, folge wie üblich deiner Spürnase und sperre einfach weiterhin die Ohren auf. Wir wissen ja, dass die Leiche die des armen Köppen ist, aber das braucht vorerst niemand bei euch in Oldenmoor zu erfahren. Du kommst doch am Donnerstag wieder nach Kiel? Dann bring bitte die Kassette mit.«

»Na klar, mach ich.«

»Ach, und ich wollte dich noch darüber informieren, dass wir inzwischen mit der Staatsanwaltschaft in Itzehoe Kontakt aufgenommen und einvernehmlich die Überführung des Toten zu Professor Doktor Klamm in die hiesige Gerichtsmedizin veranlasst haben. Sobald sein Obduktionsbericht vorliegt, werden wir die Kollegen in Itzehoe und Oldenmoor wie auch immer informieren.«

»Oh je!« Nili lacht. »Der arme Hein Gröhl! Hoffentlich hat der keinen Herzinfarkt bekommen, weil man ihm seine Leiche entzogen hat! Er soll ja schon in Gegenwart seiner Staatsanwältin einen riesigen Affentanz veranstaltet haben, als Kollegin Westermann davon berichtete, dass wir beide am Tatort anwesend waren!«

»Mach dir nichts aus solchen Latrinenparolen, Liebste! Die Itzehoer Staatsanwältin Frau Doktor Cornelia Bach bat bereits ausdrücklich um Unterstützung des LKA, nachdem sie mit ihrem Vorgänger Doktor Pepperkorn Rücksprache gehalten hatte. So nebenbei hat er dich ihr wärmstens empfohlen, vielleicht kontaktiert sie dich ja sogar persönlich. Nochmals danke für deinen prima Einsatz. Und jetzt schlaf gut. Du darfst auch gern von mir träumen!«

»Auch dir eine gute Nacht, Waldi. Und melde dich bitte, wenn du Neuigkeiten hast. Ansonsten bis Donnerstagabend, zunächst bei unserem Griechen um die Ecke – und danach zu dir oder zu mir?« Mit einem liebevollen Lächeln legt Nili den Hörer auf.

Über Nacht findet ein für den Monat Februar äußerst ungewöhnlicher radikaler Temperaturanstieg statt. Eine plötzlich einsetzende, ziemlich warme und trockene Windströmung aus Südwesten verdrängt den bisherigen eisigen und starken Ostwind. Das Thermometer klettert abrupt von den frühen minus 5 auf mittägliche plus 12 Grad Celsius. Freundlich strahlt die Sonne auf die noch verbliebenen Schneewehen und die Regenpfützen des Vortages und lässt diese eine nach der anderen wie von magischer Hand gelenkt verschwinden. Nachdem Nili ihre obligatorische Joggingrunde absolviert hat, sitzen sie und ihre Oma Clarissa gemeinsam am Frühstückstisch im Onkel Suhls Haus. Ima Lissy ist schon sehr früh zu ihrem Eulenhof gefahren, um zusammen mit Familie Siemsen das »geliebte Federvieh« zu versorgen.

»Kompliment, Abuelita! Dein Brot schmeckt auch als Toast ganz prima!« Nili schmatzt begeistert, während sie ihre zweite dick mit Butter und Honig beschmierte Schnitte genießt.

»Freut mich, mein Kind! Was hast du heute vor?«

»Eigentlich habe ich ja frei, um Überstunden abzufeiern, aber dieser mysteriöse Leichenfund am Windpark will mir nicht aus dem Kopf!«

»Typische Berufskrankheit. Kannst wohl einfach nicht abschalten, nicht wahr? Du erinnerst mich immer wieder an meinen lieben Heiko, deinen Großvater. Wenn der sich in Gedanken mit irgendetwas beschäftigte, ließ es ihn auch nicht mehr los, bis er die Angelegenheit zufriedenstellend erledigt hatte.«

»Dann ist es ja wohl ein erbliches Leiden, Abuelita!«, bemerkt Nili lächelnd und trinkt ihren Kaffeebecher leer. »Also, um deine Frage konkret zu beantworten, werde ich mir heute einmal bei den Parteien das Für und Wider zum Thema Windkraft etwas näher ansehen.«

»Meinst du wirklich, Nili, dass der Tote etwas mit dieser Fehde zu tun haben könnte?«

»Nicht unbedingt, aber ausschließen dürfen wir es auch nicht. Du kennst ja den berühmtesten Satz unserer Tatort-Fernsehkommissare, die immer verlauten lassen, sie ermitteln in alle Richtungen.« Gerade in diesem Moment läutet das Telefon. »Lass man, Abuelita, ich gehe schon!« Nili nimmt den Hörer auf: »Hier Nili Masal bei Keller, guten Morgen!«

»Guten Morgen, Frau Masal. Gut, dass ich Sie antreffe. Ich bin Doktor Frank Kramer, Assessor bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe. Unsere Staatsanwältin, Frau Doktor Cornelia Bach, bat mich, Sie anzurufen. Unsere hiesigen Kriminaloberkommissare haben uns berichtet, dass Sie zufällig bei der Auffindung der Leiche am Windpark zugegen waren. Während eines Gesprächs mit Staatsanwalt Doktor Pepperkorn in Kiel konnten wir Weiteres über Sie erfahren. Obwohl wir gehört haben, dass Sie gegenwärtig einige wohlverdiente Urlaubstage in Oldenmoor verbringen, möchten wir Sie, nach Rücksprache mit Oberstaatsanwalt Hinrich Harmsen sowie Ihrer LKA-Dienststelle, dennoch bitten, uns freundlicherweise so bald wie möglich Ihren werten Besuch in der Bezirkskriminalinspektion in der Großen Paaschburg in Itzehoe abzustatten.«

Wow, denkt Nili, welch ein Meister des rhetorischen Schachtelsatzes! »Danke für Ihren Anruf, Herr Doktor Kramer. Wie Sie schon sagten, befinde ich mich hier auf Kurzurlaub, bin aber selbstverständlich bereit, Sie in Itzehoe zu besuchen. Ich könnte in einer dreiviertel Stunde da sein, wenn es Ihnen passt.«

Nili bedauert zutiefst, dass ihr nicht das gleiche Glück beschieden ist wie den Tatortkollegen, die unweigerlich einen freien Parkplatz direkt vor ihrem Ziel vorfinden. Sie umrundet wiederholt das Itzehoer Polizeigebäude in der Großen Paaschburg, bis endlich ein Auto aus einer Parklücke fährt.

Am Empfang legt sie ihren Dienstausweis vor. Dort erwidert man freundlich ihren Gruß: »Moin, Frau Masal! Sie werden schon erwartet. Gehen Sie bitte in den Besprechungsraum in den ersten Stock. Schönen Tag noch!«

Nili bedankt sich und geht die Treppe hinauf.

»Guten Tag, Frau Masal, herzlich willkommen und vielen Dank, dass Sie so schnell kommen konnten!« Staatsanwältin Dr. Cornelia Bach begrüßt Nili und stellt sie den Anwesenden vor: »Dies ist mein Stellvertreter, Assessor Doktor Paul Kramer. Sie kennen sicherlich Kriminaloberrat Heinrich Stöver. Auch die Kriminaloberkommissare Dörte Westermann und Hauke Steffens haben Sie wohl bereits kennengelernt. Vielleicht konnten Sie am Tatort auch unsere Kriminaltechnik-Spezialisten, Frau Lilo Papst und Laborant Herrn Uwe Wildemann, bei der Arbeit beobachten. Bitte nehmen Sie Platz.«

»Ja, meine Damen und Herren, guten Morgen! Nett, Sie kennenzulernen beziehungsweise Sie wiederzusehen, auch dich, Hauke! Danke für Ihren freundlichen Anruf, Herr Doktor Kramer. Ich freue mich sehr, Ihnen bei Ihren Untersuchungen im Mordfall Werner Reimers behilflich sein zu dürfen. Wenn ich richtig vermute, haben Sie mich ja deswegen hergebeten. Wahrscheinlich wundern Sie sich, dass ich Ihnen soeben den Namen des Toten verkünden konnte. Kurz bevor ich heute von zu Hause losfuhr, erhielt ich einen Anruf aus dem LKA in Kiel. Nachdem ich von dem bevorstehenden Besuch bei Ihnen berichtet hatte, bat mich mein Vorgesetzter, Sie zu informieren, dass die Obduktion durch Professor Doktor Klamm, Leiter der Gerichtsmedizin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, aufgrund des gleichzeitig stattgefundenen DNA-Abgleichs zur Identifizierung des Opfers führen konnte. Als Todesursache wurde Genickbruch als Folge eines gewaltigen Schlages auf den Hinterkopf und anschließenden Aufpralls mit der Stirn festgestellt. Zweifelsohne handelt es sich um Mord. Der vollständige Obduktionsbericht ist bereits auf dem Wege zu Ihnen.« Sie liest von einer SMS auf ihrem Handy ab: »Wie erwähnt, handelt es sich bei dem Mordopfer um einen gewissen Werner Reimers, geboren am 20. Oktober 1980 in Lübeck, von Beruf Mechatroniker, mit letzter dortiger Adresse Kurauer Straße Nummer 7, zurzeit arbeitslos. Soweit bisher zu erfahren war, agierte er zuletzt als Aktivist beim Neufelder Verein ›Bürger gegen Windräder‹ und logierte im Gasthof ›Zur Lindenschenke‹ in Oldenmoor. Sein Gastwirt, Herr Petermann, hat ihn gestern bei meinen ehemaligen Kollegen in Oldenmoor als vermisst gemeldet und ich wurde während meines dortigen Besuchs von Hauptkommissar Boie Hansen gebeten, zusammen mit PMA Timm Reimers’ Zimmer zu inspizieren sowie seine gesamte Habe bei der Polizeidienststelle Oldenmoor sicherzustellen.« Nili macht eine Pause und blickt freundlich in die Runde. Die Anwesenden können allesamt ihre Verwunderung über das soeben Gehörte kaum verbergen. Nili hat ihnen allerdings nicht die ganze Wahrheit aufgetischt, denn sie war es gewesen, die sofort nach dem Anruf Dr. Kramers bei Waldi in Kiel angerufen hatte, um seinen Rat einzuholen. Zufällig befand sich ihr geliebter Erster Kriminalhauptkommissar zur Fallbesprechung im Arbeitszimmer seines Chefs, Dezernatsleiter Kriminaloberrat Andreas Heidenreich. Von ihnen erfuhr Nili, dass der Tote tatsächlich Kriminalkommissar Werner Köppen sei, dies aber vorerst nicht durchsickern und sie bis auf Weiteres nur den Decknamen des Ermittlers verwenden solle. Während sie sich kurz darauf auf dem Weg nach Itzehoe befand, erhielt sie ihre Instruktionen sowie die Angaben zur Weitergabe per SMS.

Nach einer kurzen Pause bedankt sich die Staatsanwältin. »Vielen Dank für Ihren ausführlichen Bericht, Frau Masal. Natürlich sind wir alle ziemlich überrascht, aber auch sehr dankbar für die rasche Identifizierung des Opfers, denn hier tappte man offensichtlich weiterhin im Dunkeln«, bemerkt sie mit einem vorwurfsvollen Blick in Richtung ihres Kriminaloberrats, dessen Gesichtsröte sich, wenn überhaupt möglich, noch vertiefte. Bevor die befürchtete Explosion stattfinden kann, bläst Nili zur Deeskalation. »Also, sehr geehrte Frau Staatsanwältin, hier muss ich aber eine Lanze für meine hiesigen Kollegen brechen. Ich war ja, wie Sie alle wissen, zufällig am Leichenfundort und kann aus erster Hand bestätigen, dass sämtliche Einsatzkräfte vor Ort wider die äußerst unwirschen Wetterbedingungen ihr Bestes gegeben haben. Alles war, wenn nicht eingefroren, unter den Schneemassen versunken, was jede Spurensuche vereitelte und noch dazu die Bergung der Leiche aus der tiefen Fundamentgrube besonders erschwerte. Auch der strömende Regen am darauf folgenden Tag bestätigte immerhin die Anfangsvermutung, dass der Fundort sehr wahrscheinlich kaum der Tatort gewesen sein kann. Es war purer Zufall, dass die Vermisstenmeldung des Gastwirtes mit der gleichzeitig stattgefundenen Obduktion in Kiel eine so rasche Klärung der Personalien des Herrn Reimers ermöglichte.«

Zufrieden beobachtet Nili die offensichtliche Entspannung im Gesichtsausdruck von Kriminaloberrat Stöver, der jetzt zum ersten Mal das Wort ergreift: »Danke für Ihre netten Worte, verehrte Frau Kriminalhauptkommissarin. Ich gebe ehrlich zu, dass ich anfänglich von der Einbeziehung des LKA in unseren Fall nicht sehr begeistert war. Wie sich die Lage allerdings heute darstellt, kann ich mich nun mit dieser Tatsache versöhnen, weiß ich doch Sie persönlich besonders zu schätzen. Ich kann mich noch sehr gut an Ihre wertvolle Unterstützung im Fall der beiden ermordeten Frauen erinnern, die damals in dem vollständig abgebrannten Bauernhof aufgefunden wurden.«3

Frau Staatsanwältin Bach zeigt sich ebenfalls erleichtert. »Also gut, geschätzte Kollegen, wie wollen wir weiter verfahren – irgendwelche Vorschläge?«

Hauke Steffens und Dörte Westermann stecken kurz ihre Köpfe zusammen, dann meldet sich die Kriminaloberkommissarin zu Wort. »Ist es denkbar, dass die Tat etwas mit den kontroversen Meinungen bezüglich des Windparks zu tun haben könnte?«

»Ich denke schon, dass uns dieser Gedanke gegenwärtig allen im Kopf herumgeht, nicht wahr?«, bemerkt die Frau Staatsanwältin. Als sie allgemeine Zustimmung aus der Runde erfährt, setzt sie fort: »Dann wäre es doch wohl angebracht, uns die beiden divergierenden Meinungsgruppen etwas näher anzusehen. Was schlagen Sie vor, Herr Kriminaloberrat?«

»Ich bin durchaus Ihrer Ansicht, Frau Staatsanwältin. Vielleicht sollten wir uns für diese Aufgabe zunächst zweiteilen. Ich rege an, unsere beiden Oberkommissare widmen sich dem Verein der Windkraftgegner in Neufeld, mit denen das Mordopfer ja irgendwie liiert war. Ich werde mich persönlich um die Befragung der Firma Wind-Powermasters in Itzehoe kümmern und würde es sehr begrüßen, wenn mich Frau Kriminalhauptkommissarin Masal begleitet.«

Auf ein zustimmendes Kopfzeichen der Staatsanwältin sagt Nili: »Ein sehr guter Vorschlag, Herr Kriminaloberrat. Ich bin gern dabei. Wenn Sie keinen Einwand erheben, könnte ich zudem meine Kollegen vom Dezernat 21 bitten, gleichzeitige Recherchen in Lübeck durchzuführen. Vielleicht erfahren wir dadurch etwas mehr über Herrn Werner Reimers.«

Zögernd meldet sich Lilo Papst zu Wort. »Wir haben hier ja noch die Plane, in der die Leiche eingewickelt war. Was soll damit passieren?«

Kriminaloberrat Stöver hat sogleich eine Antwort parat. »Seien Sie so nett und untersuchen Sie dieses Beweisstück auf Fingerabdrücke, DNA- sowie eventuell andere Spuren, sollte darauf noch irgendwie etwas Brauchbares zu finden sein. Wenn ich mich richtig erinnere, haftete daran noch ein Rest des Herstelleretiketts. Wildemann, bitte gehen Sie dieser Spur noch einmal nach, vielleicht können Sie erfahren, für wen die Plane hergestellt wurde.«

Alle wundern sich über die unübliche und betonte Höflichkeit, mit der der sonst so berüchtigte »Hein Gröhl« heute seine Untergebenen anspricht.

Dann richtet sich Stöver an Nili: »Wenn es Ihre Zeit erlaubt, würde ich am liebsten gleich mit Ihnen zu den Windradleuten fahren, Frau Masal.«

»Sehr gern, Herr Kriminaloberrat, wenn es Ihnen nichts ausmacht, in meinem kleinen Cross Polo mitzufahren.«

»Einverstanden.« Kriminaloberrat Heinrich Stöver nickt. »Ich werde anschließend die Gelegenheit wahrnehmen, meine Schwester im benachbarten Honigfleth zu besuchen, mein Schwager kann mich dann abends wieder nach Hause bringen.«

*

KOK Dörte Westermann sitzt am Steuer des neutralen VW Passat Kombi der Kripo. Ihr Kollege Hauke Steffens genießt ihre ruhige und gleichmäßige Fahrweise entlang der B 5 entspannt auf dem Beifahrersitz und ist sogar leicht eingenickt. Dörte biegt etwa acht Kilometer, nachdem sie die Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal passiert haben, links ab in Richtung Neufeld. Auf der Niefelder Strot überquert sie den Deich und hält den Wagen etwa dreihundert Meter weiter vor dem Restaurant »To’n Niefelder Diek« an. »Aufwachen, Herr Kriminaloberkommissar!«, raunt sie ins Ohr des Kollegen. »Wir sind da!«

Hauke öffnet die Augen und sieht sich um. Links befindet sich der kleine Prielhafen von Neufeld, in dem sich drei Krabbenkutter auf den seicht auflaufenden Tidewellen an ihren Festmacherleinen sanft hin und her wiegen. Zu seiner Rechten erhebt sich der Deich mit einer kurzen Treppe, die hinauf zum Gasthof führt. Er blickt auf seine Uhr. »Gehen wir doch erst einmal rein, es ist schon halb eins und ich fühle eine gehörige Leere in meiner Magengrube.«

Sie steigen aus und gehen die Stufen hinauf. Eine wohlig wärmende Sonne scheint vom nur leicht bewölkten Himmel zu ihnen herab. Vor dem Lokal erstreckt sich eine geräumige Terrasse, auf der sich während der Sommermonate zahlreiche Gäste, windgeschützt in Strandkörben an zahlreichen Tischen sitzend, schmackhafte Fisch- und Meeresfrüchtegerichte einverleiben. Hauke dreht sich noch einmal um und schaut über die flache weite und grüne Landebene bis hinüber zur Nordsee. Ein riesiges Containerschiff strebt in Richtung Elbmündung, auch das viel kleinere Fährschiff, das zwischen Brunsbüttel und Cuxhaven hin und her pendelt, ist zu erkennen.

Sie betreten die Gaststube, in der gerade eine Versammlung des Vereins »Bürger gegen Windräder« abgehalten wird. Etwa dreißig Personen im größeren Saal zu ihrer Rechten folgen aufmerksam den Ausführungen der Sprecherin.

Hauke berührt seine Kollegin sanft am Arm und dirigiert sie nach links in die etwas kleinere Stube, in der alle fünf Tische frei sind. Die Wirtin kommt aus der Küche und sieht die beiden ein wenig verwundert an. »Tut mir leid, wir haben heute Ruhetag und nur für eine geschlossene Veranstaltung unseren Gastraum zur Verfügung gestellt. Sollten Sie nicht zu dieser Gruppe gehören, muss ich Sie leider bitten, das Lokal zu verlassen.«

Wortlos zeigen die beiden Beamten der Wirtin ihre Dienstausweise. Ganz leise sagt Dörte: »Wir sind dienstlich hier. Dies ist mein Kollege Kriminaloberkommissar Hauke Steffens, und ich bin Kriminaloberkommissarin Dörte Westermann. Wir möchten die Versammlung nicht stören, hätten aber gern einige der leitenden Personen des Vereins ›Bürger gegen Windräder‹ gesprochen. Wäre es Ihnen möglich, uns in der Zwischenzeit irgendetwas zum Mittagessen zu machen?«

»Eigentlich ist die Küche kalt, aber ich könnte Ihnen sauer eingelegte Bratheringe mit Kartoffelsalat anbieten, wenn’s recht ist?«

»Wenn Sie uns dazu alkoholfreies Bier servieren könnten, wären wir Ihnen sehr dankbar.«

Dörte und Hauke setzen sich an einen der Tische und lächeln vergnügt über allerhand Schnickschnack, mit dem das Lokal an den Wänden und auf den Fensterbänken geschmückt ist. »Das ist ja noch gar nichts, Hauke«, bemerkt Dörte. »Da musst du erst einmal in der Oster- oder noch besser in der Weihnachtszeit herkommen. Dann ist hier in puncto Dekoration gehörig was los!«

»Wenn ich mich hier so umsehe, schwant mir einiges!« Hauke grinst.

Von nebenan hören sie jetzt – allerdings nur gelegentlich in verständlichen Worten – die Ansprache einer weiteren weiblichen Stimme, offensichtlich eine Ärztin, die wohl über die physischen und psychischen Gefahren von Windenergieanlagen referiert, die für die unmittelbaren Anwohner bestehen und ihnen gesundheitliche Schäden verursachen können. Bald darauf serviert die Wirtin die versprochenen leckeren Bratheringe mit reichlich Kartoffel- und Krautsalat sowie zwei Beugelbuddeln Dithmarscher alkoholfrei.

Zufällig fällt das Verzehren ihres Mittagmahls zeitlich mit dem Ende der Versammlung zusammen. Während Heiko zahlt und die meisten Teilnehmer sich bereits in Richtung des Ausgangs bewegen, geht Dörte hinüber und bleibt vor dem quer stehenden Tisch der Referenten stehen. »Guten Tag, meine Herrschaften. Ich befürchte, ich muss Sie noch um etwas Geduld bitten. Ich bin Kriminaloberkommissarin Dörte Westermann«, sie zückt ihren Dienstausweis, »und dies ist mein Kollege Kriminaloberkommissar Hauke Steffens.« Hauke ist inzwischen dazugekommen. »Wir sind von der Mordkommission in Itzehoe und hätten einige Fragen an Sie.« Hauke holt einen Zettel hervor. »Guten Tag, geehrte Damen und Herren. Darf ich fragen, wer von Ihnen die Erste Vorsitzende des Vereins, Frau Elisabeth Beckstein, und wer Herr Menno Brauer, der Zweite Vorsitzende, ist?«

»Ich bin Frau Beckstein, und dies ist Herr Brauer«, antwortet die grell blondierte, weiblich-gewichtige Erscheinung in der weiten schwarzen Hose und dem umfangreichen Rollkragenpullover, der ihr bis über die Hüften reicht. »Wieso Mordkommission, was haben wir mit Ihnen zu tun?«

»Würden Sie so nett sein, Frau Beckstein, und uns erst einmal die weiteren Mitglieder Ihres Vereins vorstellen? Wir ermitteln in der Mordsache Werner Reimers, unseres Wissens eines Ihrer Vereinsmitglieder, dessen Leiche in einer Baugrube des Windparks in Oldenmoor aufgefunden wurde.«

Allgemeine Bestürzung herrscht nach dieser Bekanntmachung.

»Wir waren selbstverständlich zutiefst erschüttert von der Tatsache, dass ein toter Mann an dieser Stelle gefunden wurde, haben allerdings erst soeben von Ihnen erfahren müssen, dass es sich dabei um unseren Mitstreiter Werner Reimers handelt.« Elisabeth Beckstein wirft einen Blick in die Runde. »Also, dies hier ist unsere wissenschaftliche Beraterin, Frau Doktor med. Grete Voss aus Marne. Und hier haben wir unsere Schriftführerin, Frau Martha Waldberg aus Brunsbüttel. Und schließlich Jonas – er ist der Sohn unseres Herrn Brauer.«

Dörte Westermann nickt. »Danke für Ihre Vorstellung, meine Damen und Herren. Nun zur Beantwortung Ihrer Frage, warum wir hier sind und Sie sprechen wollen. Es läge auf der Hand, dass der Mord an einem Ihrer Mitglieder, von dem wir hörten, er sei besonders aktiv gewesen, und zudem die Ablage seiner Leiche in einer Baugrube des Windparks nicht von ungefähr mit dem zuletzt eskalierten Streit zwischen den Befürwortern und Ihrem Verein als erklärte Gegner des Projekts zu tun haben könnte.«

»Wobei die Betonung auf ›haben könnte‹ liegt«, ergänzt Hauke. »Wir ermitteln selbstverständlich in alle Richtungen, aber zunächst erschien uns dies doch als ein naheliegendes und mutmaßliches Motiv für das Tötungsdelikt. Können Sie uns bitte Näheres über Herrn Reimers und seine für Ihren Verein verrichteten Tätigkeiten berichten?«

Die Erste Vorsitzende wendet sich an Martha Waldberg. »Martha, du hast doch überwiegend mit Werner zusammengearbeitet, würdest du bitte den Kommissaren die Frage beantworten?«

»Könnten wir uns nicht erst einmal alle wieder hinsetzen?«, fragt die junge schlanke Frau mit brünetten Haaren und braunen Augen, die eine eng sitzende verwaschene Jeans und eine Lederjacke trägt.

Hauke nickt und rückt zwei weitere Stühle für sich und Dörte an den Tisch heran. Als alle sitzen, sagt Martha Waldberg: »Also, Herr Reimers – der Werner – kam vor etwa drei Monaten auf uns zu. Viel hat er nicht über sich erzählt, nur dass er Mechatroniker sei und aus Lübeck käme, zurzeit arbeitslos sei und mit uns gemeinsam gegen die wahnwitzige Verbreitung der Windräder, insbesondere in unserer Gegend, aktiv vorgehen wolle. Er sagte, er hätte einiges an Geld gespart, zudem bekäme er Arbeitslosengeld 1. Soweit ich weiß, hat er in einem Gasthof in Oldenmoor ein Zimmer gemietet. Er war uns allen auf Anhieb sympathisch. Mir als Schriftführerin des Vereins stand er des Öfteren beim Verfassen von Presseinfos zur Seite. Und er half uns bei der Organisation von Versammlungen und Demos. Wir werden wohl seine Unterstützung sehr vermissen, nicht wahr?«, bemerkt sie zum Schluss und bricht in Tränen aus.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.