Kitabı oku: «Wer die Ruhe hat, hört die Stille»
Autorin
Manuela Nemes ist Österreicherin, lebt und arbeitet im Bundesland Salzburg. Ein Ereignis in ihrem Leben erweckte in ihr den Gedanken dieses Buch zu schreiben. Für private Zwecke textet und komponiert sie seit ihrer Kindheit und so entstand auch die Idee jedes Kapitel des Buches mit einem entsprechenden Lied oder einer Melodie abzuschließen.
Manuela Nemes
WER DIE RUHE HAT, HÖRT DIE STILLE
Erzählung
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2021
Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Copyright (2021) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei der Autorin
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Titelbilder: Noten © Argus [Adobe Stock]
Frau © olly [Adobe Stock]
Notenerstellung mit Crescendo Masters (NCH Software)
Inhalt
Kapitel 1: | Weihnachten |
Song 1: | 12/24 |
Kapitel 2: | Endlich bei mir |
Song 2: | This is home |
Kapitel 3: | Der Tag |
Song 3: | That’s for me? |
Kapitel 4: | Gerry |
Song 4: | Seife in der Hand |
Kapitel 5: | Das rätselhafte O |
Song 5: | Ohh … |
Kapitel 6: | Silvester |
Song 6: | End of the year |
Kapitel 7: | Neujahr |
Song 7: | New Year’s Day |
Kapitel 8: | Verdacht |
Song 8: | I don’t know |
Kapitel 9: | „Kapitel 9“ |
Song 9: | Chapter 9 |
Kapitel 10: | Vermutung |
Song 10: | Guess |
Kapitel 11: | Durcheinander |
Song 11: | Gesetze außer Kraft |
Kapitel 12: | Geistesblitz |
Song 12: | Sag, kann es sein |
Kapitel 13: | Aufgelöst |
Song 13: | No matter when |
1. WEIHNACHTEN
Das Weihnachtsfest sollte nicht sehr berauschend werden. Den 24. Dezember wollte ich wie jedes Jahr, mit einer Ausnahme, bei meinen Eltern verbringen. Sie wohnen etwa drei Stunden mit dem Auto von mir entfernt. Mein Bruder wollte auch kommen mit seiner Frau und den beiden Kindern – nur unsere Schwester Marie würde wieder einmal fehlen. Sie wohnt in Amerika. An derartigen Feiertagen beneide ich Marie immer wieder. Sie konnte stets dieses Wir-müssen-heute-besinnlich-sein und das Wir-müssen-uns-heute-etwas-schenken mit der Ausrede, die Flüge seien zur Weihnachtszeit zu teuer, gekonnt umgehen. Marie war sich bewusst, dass sie mit Sparsamkeit bei unseren Eltern auf großes Verständnis trifft. Vor mir lag also eine Drei-Stunden-Autofahrt bis zu meinem Elternhaus.
Ich war etwa einen Kilometer von der Autobahnauffahrt entfernt und machte das Radio an. Da kam mir der Gedanke, ich sollte die Bundesstraße anstelle der Autobahn nehmen. Bei Schneefall ist die Autobahn oft mit Autos blockiert, weil diese dann fast im Schritttempo fahren müssen, wenn die Fahrbahn nicht ordentlich geräumt ist. Als ich jedoch merkte, dass selbst die Bundesstraße gut vom Schnee geräumt war, fuhr ich auf die Autobahn auf, weil es schließlich der schnellere Weg zu meinen Eltern sein sollte. Etwa fünfundvierzig Minuten und siebenunddreißig Weihnachtshits später hörte ich im Radio, dass die Bundesstraße wegen umgestürzter Bäume gesperrt worden war.
„Puh! Glück gehabt!“, dachte ich.
Die gesamte Fahrt war, bis auf die Tatsache, dass sie aufgrund der sich verschlechternden Schneeverhältnisse viereinhalb Stunden dauerte, ganz gut. Ich verstehe gar nicht, weshalb sich so viele Menschen immer darüber beschweren, wenn es zur Weihnachtszeit keinen Schnee gibt. In meinem Fall erspart man sich bei schneearmem Winter eineinhalb Stunden Fahrt. Aber gut. Ich kam also in dem Wohnort meiner Kindheit an und parkte in die noch einzige Parklücke den Wagen. Etwas müde und einmal tief ein-und ausatmend läutete ich an der Hausglocke.
Meine Mutter öffnete mir tief schnaufend die Türe. Der Blick in ihrem Gesicht, genau genommen ihre gegen den Uhrzeigersinn rollenden Augen, ließen mich erahnen, dass Vater gerade wieder einmal, wie jedes Jahr, versuchte, den Christbaum in Position zu bringen. In unserer Familie heißt das so viel wie: Egal wie der Baum steht, er steht falsch. Mein Bruder Theo war auch schon da und ich ging ins Wohnzimmer und begrüßte ihn und unseren Vater herzlich – zumindest aus meiner Sicht, denn Theo beschwerte sich anschließend, ich hätte ihm nicht in die Augen gesehen, als ich „Hallo“ sagte.
Da standen sie also nun: Mein Vater und der Tannenbaum. Drehte er die Tanne nach links, sah man aus der Blickrichtung, aus der man den Raum betrat, die kahle Stelle in der vierten Astreihe, drehte er ihn nach rechts, wirkte die Baumspitze schief. Das ganze Hin und Her hatte trotzdem auch sein Gutes: Mein Vater war beschäftigt. Theo half ihm und ich unterstützte unsere Mutter in der Küche, um das Abendessen vorzubereiten.
Meine Schwägerin Isi war währenddessen mit den Kindern in der Kindermette. Nach etwa zwei Stunden hatte mein Vater den Baum endlich in die richtige Position gebracht – er einigte sich mit meinem Bruder auf eine Halb-links-halb-rechts-Drehung. Als meine Schwägerin mit den Kindern Tom und Jerry – so nenne ich sie immer, denn eigentlich heißen sie Thomas und Jayden – wieder nach Hause kam, gab es die Bescherung. Vater und mein Bruder zündeten die Kerzen am Baum an.
Endlich: Kerzen an, Licht aus. Diesen Moment mochte ich schon immer sehr: Er hat etwas Friedliches, etwas Ruhiges, einen Drei-Mal-tiefeingeatmet-Augenblick und der beruhigt und wenn dann auch noch das „Stille-Nacht“-Lied auf der alten Schellackplatte erklingt, bin ich endgültig seelenentspannt. In diesem Jahr durfte meine Seelenentspanntheit allerdings nicht bis zum Ende des berühmten Weihnachtsliedes wirken.
Bei dem Text „Durch der Engel Halleluja“ stieß meine Mutter zeitgleich mit den beiden Sängern, die aus dem alten Lautsprecher zu hören waren, ein „Halleluja“ aus und rannte in die Küche. Die zwei Sänger sangen natürlich weiter und nach der Textstelle „Tönt es laut von ferne und nah“ hörten wir alle aus der Küche ein verzweifeltes: „Verdammt!“
Mutter hatte zu Mittag vergessen, das Bier für das Weihnachtsessen zu kühlen und weil sie dies erst kurz vor meiner Ankunft bemerkt hatte, legte sie sieben Flaschen in den neu gekauften amerikanischen Tiefkühlschrank, damit diese zum Abendessen die gewünschte Temperatur hätten. Aus, vorbei.
Die Sänger duften nicht einmal mehr fertig singen, die Kerzen wurden ausgedämpft und das Licht angemacht, die Raumtemperatur glich sich jener des Gefrierschrankes an und mein Vater erklärte meine Mutter für verrückt und fauchte sie kopfschüttelnd an: „Ich kann nicht verstehen, wie jemand so blöd sein kann sieben Flaschen Bier im neuen Tiefkühlschrank zu vergessen?“
Mutter weinte. Isi und ich befreiten das Innenleben des Gefrierschrankes von den Glasscherben und dem ausgelaufenen Bier.
Vater fluchte durch den Raum und drehte den Baum etwas nach links. Theo sah Isi und mir zu, um dezent darauf hinzuweisen, wo noch weiteres Bier-Eis war und Tom und Jerry plünderten die Geschenke unter dem depositionierten Baum. Nach etwa einer halben Stunde hatten sich Mutter und Vater wieder beruhigt. Der Baum wurde auch wieder etwas nach rechts gedreht und alle packten ihre Geschenke aus. Ich bekam unter anderem eine weiße Bluse, die ich mir gewünscht hatte und freute mich sehr darüber. Die anderen waren auch glücklich über ihre Geschenke und ich beobachtete hauptsächlich ihre Reaktionen auf die Pakete, die sie von mir erhalten hatten.
Meiner Mutter schenkte ich wie bereits im Vorjahr einen Massagegutschein, weil sie aus für sie unerklärlichen Gründen immer so verspannt war. Sie freute sich sehr darüber und meinte, sie werde sich dann wieder diese tolle Körpercreme in dem Massagestudio kaufen, die ihre Haut so zart mache. Ich freute mich mit ihr. Vater lächelte schon während des Auspackens seines Geschenkes: Eine neue Schellackplatte für seine Sammlung.
Ich hatte vergangenen Herbst bei einem Frustkauf in einem kleinen Laden eine signierte Platte von seinem Lieblingssänger gefunden, die meinem Vater noch in der Sammlung gefehlt hatte. Wer einen Sammler kennt, weiß, was das für einen Wert hat. Es war schön, meinen Vater so glücklich zu sehen. Meinem Bruder und seinen Söhnen schenkte ich Tickets für ein Fußballspiel und wer Fußballfans kennt, weiß eben auch, was das für einen Wert hat. Herrlich, dass alle so zufrieden waren. Auf Isis Reaktion war ich besonders gespannt. Sie hatte ein sehr bewegtes Jahr hinter sich. Ihre Mutter war Anfang des Jahres gestorben und ihr Vater lag nach wie vor mit einem Lungenkarzinom im Krankenhaus. Daher wollte ich ihr etwas schenken, bei dem sie ihre Seele baumeln lassen konnte. Ich besorgte ihr Geschenk ebenfalls während des einen Frustkaufs, bei dem ich Vaters Platte gekauft hatte. Anfangs dachte ich ebenfalls an einen Massagegutschein für Isi, doch dann entschied ich mich für einen Wellnessaufenthalt in einem Romantikhotel für sie und Theo gemeinsam.
Sie öffnete das Geschenk, schaute Theo an, sah das Geschenk an, blickte mich an, sah meine Eltern an, schaute abermals das Geschenk an und begann mit gesenktem Kopf zu heulen. Isi richtete mit ausgestreckter Hand das Geschenk gegen ihren Mann und meinte, sie wolle da nicht hin und Theo müsse da gar nicht mehr hin, weil er das Hotel schon vor drei Wochen mit seiner Sekretärin erkundet hatte. Ich sah blitzschnell zu Tom und Jerry, die zum Glück gerade ihre Kopfhörer aufhatten und ihre neuen I-Pads ausprobierten. Sie bekamen von der Situation nichts mit. Theo versuchte sich vor der versammelten Familie zu erklären, während ich die Jungs in ihr Zimmer schickte, das früher einmal ihrem Vater gehörte.
Theo beteuerte, dass Isi ihm verziehen hätte, was sie auch bestätigte, aber sie könnte es eben nicht so schnell vergessen. Meine Schwägerin konnte sich nach einigen Minuten wieder beruhigen, bedankte sich bei mir für das Geschenk und merkte an, dass ich von den Eskapaden ihres Mannes ja nichts wissen konnte. Ich bot ihr an, den Gutschein selbst einzulösen, obwohl ich in dem Moment nicht wirklich wusste, mit wem ich in ein Romantikhotel hätte fahren können. Sie nahm das Angebot dankend an und ich versprach ihr stattdessen einen Massagegutschein, worüber sie sich sehr freute.
Mutter unterbrach das Dilemma und wies uns darauf hin, dass es Zeit war zu essen. Sie stellte das Essen und Vater die nichtgekühlten Bierflaschen auf den gedeckten Tisch. Theo rief seine Jungs, die natürlich nichts hörten, weil sie ja die Kopfhörer immer noch aufhatten. Also holte er sie auf den zweiten Anlauf persönlich aus dem Zimmer. Wir alle setzen uns an den Tisch, Theo gab Isi einen Kuss auf die Wange und jeder griff hungrig zu. Nach der herrlichen Weihnachtsjause schlief mein Vater müde auf dem Sofa ein, Mutter und ich räumten die Küche auf und Theo und seine Familie gingen nach Hause. Sie wohnen nur fünf Gehminuten von unseren Eltern entfernt.
Meine Mutter und ich sahen wie jedes Jahr unseren Lieblingsfilm an, tranken Eierlikör dabei und schlemmten ihre selbstgemachten Kekse.
Nachdem der Film zu Ende war, weckte meine Mutter ihren Mann auf dem Sofa auf und beide gingen zu Bett. Ich ging mit einem vollkommen überfüllten Magen und einmal tief ein- und ausatmend ebenfalls in mein altes Kinderzimmer und legte mich schlafen.
Am nächsten Morgen fuhr ich nach einem guten Frühstück wieder nach Hause – zu mir nach Hause, nichts ahnend, was mich in den darauffolgenden Tagen noch alles erwarten würde.
2. ENDLICH BEI MIR
Der 25. Dezember fiel in diesem Jahr auf einen Sonntag. Während der Fahrt hörte ich natürlich wieder alle Hits im Weihnachtsradio und sang den einen oder anderen Refrain lautstark mit – gut, ich sang alle mit und genoss es, meine eigenen Texte an Stellen zu singen, an denen zum Beispiel nur ein Gitarrensolo zu hören war. Die Zeit verging dadurch relativ schnell und ich dachte daran, mir in meinem Wohnort bei der Tankstelle, die als einzige offen hatte, eine Tafel Schokolade zu kaufen. Schließlich war Weihnachten und den restlichen Tag wollte ich damit verbringen, vor dem Fernseher zu liegen und mir eine Episode nach der anderen meiner Lieblingsserie reinzuziehen.
Da ich eher der süße als salzige Typ bin was Essen anbelangt, kamen gesalzenen Kartoffelchips oder dergleichen für mich nicht infrage. Ich überlegte auch noch, mir eine Flasche Prosecco zu kaufen, denn schließlich gehört Essen, egal welches, auch runtergespült. Ich hielt also an der Tankstelle, wo Sascha, ein ehemaliger Schulkollege meines Bruders seit zwei Monaten arbeitete, an. Sascha war früher oft bei uns daheim gewesen.
Er und Theo fanden früher in mir das perfekte und eigentlich auch das einzig mögliche Opfer für ihre Versuchsreihe „Brudertoleranz“, in der es, wie der Name schon sagt, darum ging auszutesten, wie tolerant ich meinem Bruder gegenüber sein konnte. Mit ihren nachmittäglichen privaten Rockparties in Theos Zimmer konnte diese Toleranzgrenze ziemlich niedrig sein. Nichts konnte ich aufgrund des Lärms mehr tun: Weder lernen, oder lesen, noch Hausaufgaben machen. Je mehr ich mich wegen der Lautstärke beschwerte, desto lauter wurde die Musik und die beiden genossen meinen Ärger. Meine Frustgrenzen zeichneten die beiden in ihrem eigens angefertigten Statistikpapier ein.
Diese Aufzeichnung schenkte mir Theo zu meinem dreißigsten Geburtstag zusammen mit Lautsprecherboxen, die ich mir für meinen Standcomputer gewünscht hatte. Die Boxen hatte ich freudig an den Computer angeschlossen und die Statistik ebenso genüsslich verbrannt. Schließlich hab ich im Jänner Geburtstag und da muss man einheizen und mein schwedischer Ofen verträgt nun mal nur Holz und Papier. Und dieses Stück Papier brannte ziemlich gut. Sascha und Theo waren eben pubertäre Jungs, die sich damals nicht bewusst gewesen waren, und vermutlich bis heute auch noch nicht sind, dass das Karma sie irgendwann einholen würde, was es mittlerweile anscheinend auch schon getan hatte: Der eine wurde mit der Sekretärin erwischt und der andere arbeitete trotz eines Studienabschlusses an der Tankstelle.
Ich stellte den Wagen neben einer Zapfsäule ab, stieg aus und betrat den Tankstellenshop. Sascha begrüßte mich freundlich und ich ihn ebenfalls. Ich ging durch die Regalreihen und als ich mir gerade eine Tafel Schokolade aus dem Regal nehmen wollte, lachte mich eine Packung mit gesalzenen schokoüberzogenen Erdnüssen an. Die hatte ich echt lange nicht mehr gegessen, also entschied ich mich für diese. Ich mag zwar nichts Salziges an und für sich, aber die Kombination aus Schokolade und Salz fand ich irgendwie immer schon besonders interessant. Ich nenne das immer „Junkfood süß-sauer“. Ich entschied mich also für die Nusspackung, denn schließlich würden die Erdnüsse ohnehin besser zum Prosecco passen. Ich nahm auch eine kleine Flasche Sprudelwein und nicht eine große, denn ich musste es ja nicht übertreiben. Mit den beiden Nahrungsergänzungsmitteln ging ich zur Kasse.
Da im Moment niemand in dem Shop war außer uns beiden, redeten wir kurz miteinander. Das war das erste Gespräch seit langem zwischen uns, denn wir hatten uns Jahre nicht gesehen und an der Tankstelle hatten wir bisher nie die Gelegenheit für ein paar Worte gehabt.
Sascha fragte mich, wie es mir ginge und ich meinte kurz und knapp: „Gut!“
Der Höflichkeit wegen stellte ich die Frage zurück und er antwortete: „Danke, auch wieder gut!“
„Was meinst du mit ‚Auch wieder gut’?“, fragte ich verwundert.
Er erzählte mir, dass er nach seinem Studienabschluss in Betriebswirtschaftslehre einen sehr guten Job erhalten hatte, den er ein Jahr lang ausübte. Durch seine Verlässlichkeit und Fähigkeiten schaffte er es nach diesem Jahr, dass ihm eine noch bessere, aber verantwortungsvollere Arbeit innerhalb desselben Betriebes angeboten wurde, die er weitere vier Jahre ausübte. Die Verantwortung wurde also größer, die Arbeit und der Druck mehr, die Zeit für ordentliche Mahlzeiten und Privates weniger und so schlitterte er in ein Burn-Out. Volles Programm: Dauermüdigkeit, Schlaflosigkeit, Antriebslosigkeit, Sinnlosigkeit …, alles, was es quasi mit -keit gibt, außer Fröhlichkeit. Nachdem er selbst realisiert hatte, in welchem Zustand er sich befunden hatte, entschloss er sich, einen radikalen Schnitt zu machen. Er kündigte seinen Job, denn Geld hatte er zur Überbrückung für seine Auszeit genug, und gewann seine Gesundheit durch regelmäßige und ausgewogene Mahlzeiten, viel Bewegung und Ausübung seiner Hobbys wieder zurück.
An diesem 25. Dezember wusste er noch nicht, was er zukünftig machen würde, aber die Arbeit an der Tankstelle passte zurzeit ganz gut für ihn.
„Wie gesagt: Mit geht es wieder gut!“, meinte er mit einem sympathischen Lächeln in seinen Mundwinkeln. „Hier habe ich keinen Stress, also nicht, was ich unter Stress verstehe, und bin mehr oder weniger mein eigener Herr in diesem Laden. Ewig mache ich das natürlich nicht, aber ich lasse alles auf mich zukommen.“
Wow! Nach seinen Erzählungen fühlte ich mich irgendwie innerlich schlecht. Anscheinend hatte ihn das Karma schlimmer getroffen, als ich es ihm je gegönnt hätte, aber er schien, so wie er redete und vor mir stand, zufrieden und glücklich zu sein.
„Und was geht bei dir so?“, wollte er von mir wissen.
„Du, das Übliche“, erwiderte ich. „Arbeit, Weihnachten bei meinen Eltern mit der gesamten Familie. Theo und Isi waren auch da mit ihren beiden Jungs – also nicht viel Neues. Du kennst ja meine Familie: Alles wie immer.“
Von Theos Karma erzählte ich natürlich nichts, aber vielleicht wusste er es ja auch schon, denn er und mein Bruder waren nach wie vor in engem Kontakt, obwohl Sascha seit acht Wochen schon in dieser Gegend wohnte. Er war hierher an die Grenze zu Deutschland gezogen, weil er ursprünglich aus Bayern kam. Seine Eltern hatten Österreich wieder verlassen und gingen zurück in ihre alte Heimat. Hier am Grenzgebiet konnte er sie öfter besuchen. Ich bezahlte meine Notfallration Nüsse und Prosecco, verabschiedete mich und er sich. Im Auto sitzend ging ich Saschas Erlebnisse nochmal im Kopf durch. Um vollkommen entspannt zu Hause anzukommen, atmete ich tief ein und aus und fuhr los.
In meiner Wohnung packte ich als erstes meine Tasche mit den Kleidungsstücken aus, die ich für die Übernachtung bei meinen Eltern gebraucht hatte. Die Schmutzwäsche landete zusammen mit anderen dreckigen Klamotten von der Vorwoche in der Waschmaschine. Ich duschte mich, zog mir eine bequeme Kleidung an, richtete mit ein Sektglas her, öffnete die kleine Proseccoflasche und füllte das Glas an. Ich schnitt die Packung mit den Schokoerdnüssen mit einer Schere auf. Das machte ich immer, denn beim Aufreißen einer derartigen Packung passierte es mir stets, dass mindestens zehn Nüsse auf den Boden kullerten, weil es für mich unmöglich war, die Verpackung so aufzureißen, dass der gesamte Inhalt in der Packung bleiben konnte. Ich schaltete den Fernseher ein und startete die letzte Folge meiner Lieblingssoap, die ich noch nicht gesehen hatte, schmiss mich auf die Couch und stieß auf Weihnachten und mich selbst an.
Der Vorspann der Fernsehserie war kaum fertig, als ich mich heftig an einer Nuss verschluckte. Ich musste so stark husten, dass ich in meiner Hilflosigkeit und in meiner Überlebenspanik das Glas und die Flasche, die hinter dem Sektglas stand, umstieß. Mit Tränen in den Augen, weil ich so fest husten musste, wischte ich den Prosecco-See mit einem Lappen zusammen. Einige Tränen vergoss ich aber auch des Sprudelweins wegen, aber Hauptsache, ich hatte überlebt. Anstelle des Proseccos wollte ich die restliche Rotweinflasche, die ich eine Woche zuvor geöffnet hatte, austrinken. Allerdings glich der Wein geschmacklich eher einem abgestandenen Sherry, der schon durch Großmutters dritte Zähne gegangen sein musste. Also kippte ich den roten Wein in die Spüle. So blieben mir nur noch die Nüsse, die Fernsehserie und Apfelsaft.
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