Kitabı oku: «Die Muse von Florenz», sayfa 4

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Julianas Augen füllten sich mit Tränen. Die schmerzliche Erinnerung zerriss ihr das Herz, der plötzlich verstehende Blick ihrer Mutter noch mehr. »Ich weiß nicht, was passiert ist! Ich kam aus der Kirche und Vater torkelte, weinte, schrie und …« Ihre Stimme erstarb. »Er stank wie ein Kind.«

»Warum erzählst du solchen Unsinn, Juliana?«

Erschrocken wirbelte sie herum. Hatte Vater schon lange hinter ihr gestanden? Zu lange, fürchtete sie.

Mit bleichem Gesicht betrat er den Salon und schüttelte fassungslos den Kopf. »Mein eigen Fleisch und Blut. Geh mir aus den Augen, sofort!«, schrie der notario außer sich und warf das Tablett nach Juliana, das Angelica aus Verwunderung hatte stehen lassen.

*

Benommen kehrte Juliana in ihre Kammer zurück und schloss mit zitternden Fingern die Fenster. Die Läden hielten nicht nur die Hitze fern. Das dämmrige Licht verhinderte, dass ihr sehnsüchtiger Blick etwas erspähte, das ihr fern wie nie schien. Noch immer hallte Vaters zornige Stimme in ihren Ohren nach. Sie hatte nicht gelogen! Warum nur war Tante Apollonia gekommen? Vaters Zorn verdankte sie allein dieser gehässigen alten Frau, deren verachtende Augen selbst bei der Predigt in der Kirche nicht milder wurden. Juliana schlug mit der Hand gegen die Wand. Hatte Vater diesen schrecklichen Tag gänzlich aus seinem Gedächtnis verbannt oder erinnerte er sich wahrhaftig nicht mehr daran, wie seltsam er sich gebärdet hatte? Sie bildete sich das nicht ein. Zu heftig brandete die Erinnerung an den schier unendlichen Heimweg hoch. Sogar kleine Kinder waren ermutigt worden, den Trunkenbold und seine Tochter auszulachen. Hatte Vater diese demütigenden Erlebnisse tatsächlich vergessen? Oder schämte er sich so sehr, dass er lieber tat, als wäre das nicht passiert? Dafür bezichtigte er seine eigene Tochter der Lüge? Während ihr Vater mit erhobener Stimme in Mutters Salon Gründe für das frevelhafte Benehmen seiner Tochter suchte, war ihre Seele rein.

Juliana entzündete ein Talglicht und kniete nieder. »Vergib mir, oh Herr. Ich habe gesündigt, doch ich habe nicht gelogen. Ich träume von Dario, was sich nicht gehört, deshalb lege ich all mein Vertrauen in dich. Befreie mich von diesen seltsamen Gedanken, die mein Herz gefangen nehmen. Beschütze meinen Vater vor seiner Blindheit und befreie meine Mutter von ihrer Angst, uns beide zu verlieren.«

Es dauerte bis in den Nachmittag hinein, bis sich ihr Vater endlich beruhigte. Julianas Magen knurrte inzwischen. Hatte man sie vergessen oder weitete Vater seine Strafe aus, indem er ihr das Abendbrot verweigerte? Unruhig wanderte sie durch das Halbdunkel ihrer Kammer und überlegte, ob Vaters Zorn wohl länger anhielt. Bislang hatte sie ihm kaum Anlass gegeben, über ihr Verhalten zu klagen oder sie gar zu strafen. Die kleinen Ausflüge, die sie ohne sein Wissen wagte, waren kaum der Rede wert. Seit Kurzem begehrte sie gelegentlich auf und wollte ihre eigene Meinung kundtun, wissen, was in den Straßen vor sich ging. Nicht wie ihre Cousinen den ganzen Tag Tante Apollonias Geschwätz ertragen und unsägliche Dinge tun wie Sticken, weil es der Anstand gebot.

Beim Läuten der Abendglocken hielt sie es nicht länger in der engen Kammer aus und spähte auf den Flur. Es war still im Haus. Zu still für diese Zeit. Wenn niemand mehr mit ihr über die cupola und das, was vorgefallen war, sprechen wollte, musste sie nach einem anderen Weg suchen.

Angetrieben von den zornigen Worten ihres Vaters, verspürte sie den Drang, dem capomaestro zu helfen, der von den Tiraden gegen ihn nichts ahnte. Sie wollte die cupola mit eigenen Augen sehen, irgendwann. Bis dahin musste das Modell genügen. Vielleicht gab es ein Geheimnis, das sich dahinter verbarg? Vater gelang es, Menschen für sich einzunehmen, und ebenso leicht brachte er sie gegen sich auf. Warum in Gottes Namen reagierte er so feindselig, wenn die Sprache auf Brunelleschi kam?

Ein paar Schritte später verharrte sie vor dem Arbeitszimmer ihres Vaters. Da sich niemand zeigte, der sie daran hindern konnte, trat Juliana über die Schwelle und schloss sanft die Tür. Sie wusste, dass sie unrecht tat. Es schnürte ihr den Hals zu, doch ließ man ihr eine Wahl? Sie öffnete die Schranktür und starrte auf die unzähligen dicken Bücher, die dicht an dicht aneinandergereiht waren. In Leder gebunden, unbarmherzig mit Schnüren festgezurrt, damit keines der Schicksale verloren ging. Ein Schauer lief über ihren Rücken. Spielte Vater nicht ebenso wie der capomaestro Gott? Die leicht verkohlten Pläne lagen unberührt auf dem Tisch. Unschlüssig blickte sie zur Tür, dann zu den Plänen. Die Angst, ihr Vater könne sie in seinem Arbeitszimmer überraschen, verdrängte sie. Kaum saß sie auf dem geflochtenen Gestühl, betrachtete sie gebannt die Aufzeichnungen und lächelte verzückt. Mit dem Finger fuhr sie bedacht über die Zeichnung der sanft gewölbten Kuppel, die das Dach der Santa Maria del Fiore schließen sollte. Die Pläne des capomaestro in ihren Händen! Assunita würde es nicht glauben, wenn sie ihr davon erzählte. Juliana beugte sich voller Neugier tiefer. Ein schwungvolles Kürzel bestätigte die Einträge auf ihre Richtigkeit. Kein Geringerer als Filippo Brunelleschi hatte unterzeichnet. Sogar das Emblem der Opera war deutlich auf dem Papier zu erkennen. Verblüfft bestaunte Juliana die Pläne, die mit Zahlen und Berechnungen übersät waren. Die cupola. Schwebend. Anmutig in den angesetzten Bögen aus Holz und Stein. Juliana schloss ihre Augen und stellte sich vor, wie sie vor dem Dom stand. Mit dem Kopf im Nacken die cupola betrachtend – bis die Tür aufsprang und ihr Vater vor ihr stand.

»Ich werde morgen frühzeitig in den Palazzo della Signoria gehen und Giovanni beweisen, dass ich im Recht bin«, erklärte Ferdinando wütend. Er blieb zwischen Tür und Angel stehen, was Juliana genug Zeit verschaffte, die Pläne an ihren Platz zu schieben. Bevor ihr Vater sie ertappte, sprang sie auf und schloss rasch den Schrank mit den Büchern.

Überrascht, sie hier zu finden, hob ihr Vater die buschigen Augenbrauen. »Sind alle verrückt geworden? Hinaus mit dir, und wage nie wieder, mein Arbeitszimmer zu betreten!«

Mit weichen Knien blieb Juliana vor der geschlossenen Tür stehen, in der Hoffnung, ihr Vater käme zur Vernunft und riefe sie zurück, doch nichts geschah.

»Ich werde das Modell wiedersehen«, flüsterte sie. »Und wenn ich den capomaestro selbst darum bitten muss!«

Kapitel 5

In den nächsten Tagen versuchte Juliana, ihrem Vater aus dem Weg zu gehen. Das war ein Leichtes, denn der notario war von morgens bis abends außer Haus. In die Casa Serrati wurden schwere Truhen und Holzkisten geliefert, für deren sicheren Transport viel Schweiß floss. Antonio und Bernardo hatten den Auftrag erhalten, sich darum zu kümmern, dass alles unversehrt in den großen Salon im obersten Stock getragen wurde. Die Arbeit blieb an den beiden jüngeren Männern hängen, denn Federico war zu alt und die Küchenmägde zu unbeholfen. Interessiert sah Juliana ihnen zu und hoffte, einen Blick auf den Inhalt erhaschen zu können, um den Antonio so besorgt war, dass er Bernardo anflehte, die Treppen behutsamer zu erklimmen.

Mit schweißglänzenden Gesichtern rasteten die ungleichen Männer auf der Galerie.

»Brunelleschi hätte diese Kisten längst mit einem Kran nach oben geschafft«, stöhnte Bernardo und deutete auf die ausgetretenen Stufen, die noch vor ihnen lagen.

Antonio grinste mit einem verständnisvollen Nicken. »Bereits bei der Planung hätte er nichts dem Zufall überlassen. Ganz sicher würde er nicht uns solch kostbare Stücke anvertrauen.«

Bernardo wurde leichtsinnig, weil der gebildete Antonio so unbeschwert mit ihm sprach. Er trat gegen eine der leichteren Kisten und sah besorgt auf, da etwas darin zerbrach. »Der notario wird mich aus dem Haus jagen!« Ängstlich hob er die Kiste hoch und sah sich unschlüssig um. »Nehmt Ihr sie.« Er drückte sie dem überraschten Antonio in die Hände.

»Zum Teufel, nein!«

Bernardo floh in den Innenhof, während Antonio unbeeindruckt tat.

Juliana trat aus ihrer Kammer und ging auf Antonio zu. »Wollt Ihr die Kiste tatsächlich im Salon abstellen und darauf hoffen, dass mein Vater den Schaden nicht bemerkt? Was befindet sich darin, weshalb Ihr so viel Aufheben darum macht?«

Antonio bedeutete ihr, leise zu sein, und winkte sie näher. »Es ist eine Büste, die ein Künstler der Dombauhütte extra für Euren Vater angefertigt hat.«

Juliana lächelte. »Stellt die Kiste in meine Kammer. Vielleicht kann ich Euch helfen, Euer Missgeschick zu verbergen.« Unbemerkt von den Dienern und Mägden, die immer wieder die Stufen vom Schmutz befreiten, den Bernardo und Antonio darauf verteilten, verschwand die Kiste in Julianas Schrank.

»Kein Wort zu meinem Vater«, ließ Juliana Antonio versprechen, bevor sie ihn entließ. Ungeduldig wartete sie, bis er im Innenhof mit Bernardo weitere Kisten in Empfang nahm.

Sie versuchte gerade, die Kiste zu öffnen, da rief ihre Mutter zum Abendbrot. Etwas weiß Glänzendes glaubte Juliana durch den schmalen Spalt zu erspähen, eine nähere Betrachtung musste warten.

*

»Dein Vater bedauert den Vorfall sehr«, erklärte ihre Mutter beim Abendbrot.

Juliana ging nicht näher darauf ein. Tat es ihm leid, dass er mit einem Tablett nach ihr geworfen hatte? Oder wollte er eingestehen, dass er sie zu Unrecht als Lügnerin bezeichnet hatte? Der blutrote Sonnenuntergang tauchte den Salon in ein eigenartiges Licht, das Dinas Haar in eine feuerrote Glocke verwandelte. Sie sah aus wie eine Göttin. Atemlos starrte Juliana ihre Mutter an und fühlte sich unscheinbar dagegen. Mutters volle Lippen, dazu die makellose Haut und der gertenschlanke Körper erinnerten sie an die kostbaren Statuen, an denen die Florentiner Künstler arbeiteten. Wie oft werden diese Frauen bewundert und für ihre Schönheit verehrt? Fühlten sich Dario und ihr Vater von Frauen angezogen, die sich unterwarfen oder ihren eigenen Willen durchsetzen wollten?

»Juliana? Ist alles in Ordnung?« Dinas fragender Blick ruhte auf ihr. Sie hielt inne, dann lächelte sie und griff nach Julianas Hand. »Es wird wohl Zeit. Dein Vater wird erleichtert sein.« Sie beendeten ihr Abendmahl und Juliana folgte ihrer Mutter in deren Schlafgemach. Ein Ort, den sie von Zeit zu Zeit betreten durfte. Mutters Refugium. Sie blickte auf die Papageien, deren kunterbunte Federn die Wände schmückten. In einer Ecke lag der Kamin, der sie in den kalten Winternächten wärmte. Sie roch den Duft vertrockneter Rosen und sah beschämt auf das Bett ihrer Mutter. Kam jetzt die befürchtete Ansprache, vor der Assunita sie gewarnt hatte?

»Dein Vater mag seine Fehler haben, doch eines zweifle ich nie an: Er liebt uns. Auf seine Weise. Dennoch gibt es Dinge, die ihm Angst bereiten. Auch du.«

»Ich?« Juliana sah verblüfft hoch. Warum sollte sie einem gebildeten Mann, einem notario, Angst machen?

Dina lächelte milde. »Es ist uns nicht entgangen, dass du dich verändert hast. Du gleichst einer Rose, die erblüht, und dieses Wissen verunsichert deinen Vater zutiefst. Niemals darfst du eine Rose zu früh beschneiden oder sie des Wassers berauben, das sie benötigt.«

Juliana gluckste vergnügt. »Ich bin keine Rose und Wasser gibt es genug im Arno.«

Dina zog sie in ihre Arme und hielt sie fest umschlungen. »Liebes, du irrst!«

Ins Dickicht des wallenden Haares ihrer Mutter flüsterte Juliana: »Ach, Mutter, was soll ich tun, wenn er in mir keine blühende Rose sieht? Ich kann ihn nicht vergessen!« Sie schloss ihre Augen und gab sich verträumt dem Klang von Darios Stimme hin.

»Nur ein Blinder oder ein Narr würde das, geliebte Juliana.« Ihre Mutter löste sich aus der Umarmung und strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich denke, es ist an der Zeit, dich in die Geheimnisse einer guten Ehe einzuweihen.« Sanft drehte sie Juliana mit dem Rücken zu sich, löste ihr Haarband und die Riemen, die den Surcot um Julianas schmale Taille zusammenhielten.

Nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, stand sie mit klopfendem Herzen vor ihrer Mutter. »Er ist weder blind noch ein Narr, glaubt mir, Mutter.«

»Das ist Antonio gewiss nicht«, sagte ihre Mutter lächelnd, während sie einige Tropfen ihres kostbaren Rosenöls auf Julianas Hals träufelte.

»Antonio … aber ich dachte an …«

Wenig später brannten Julianas Wangen vor Scham, denn was ihre Mutter ihr in den folgenden Minuten anvertraute, würde niemals wieder über Julianas unschuldige Lippen dringen.

*

»Bestaunt und begreift, meine Freunde, was ich zusammengetragen habe im Schweiße meines Angesichts!« Mit solch hochtrabenden Worten eröffnete Ferdinando Serrati seine Darbietung in der Casa Serrati. Die ausgelassene Stimmung der Anwesenden, die vor der unerträglichen Hitze dieses Tages flüchteten und dem Aufruf ihres geschätzten Freundes ins neue Etablissement der Künste im Obergeschoss der Casa Serrati gefolgt waren, schlug alsbald auf Juliana über. Endlich erfuhr sie, was ihr Vater seit Wochen im großen Salon vorbereitete für die Besucher. War er deshalb so sonderbar gewesen? Zu ihrer Enttäuschung hatte Maria sie kurz vor dem Eintreffen der ersten Besucher informiert, dass der notario Juliana in ihrer Kammer wissen wollte. Der Anblick dieser Kunstwerke sei nichts für Kinderaugen, aber sie fand nichts Verwerfliches dabei. Der Faszination der anderen Gäste folgend, bewunderte Juliana nun unbemerkt diese eindrucksvolle Bühne für aufstrebende Künstler, Bildhauer und Maler. Für kurze Zeit vergaß sie die bittere Erkenntnis, dass ihre Tage in der Casa Serrati gezählt waren. Antonio eilte von Gast zu Gast und schenkte großzügig nach. Mit glänzenden Augen lauschte er ihrem Vater, und läge nicht Bitterkeit in ihren Gedanken, hätte sie sein Eifer belustigt. Heute jedoch diente die Casa der Kunst. Vaters Leidenschaft zog ihn neuerdings so in den Bann, dass er der Ratssitzungen in der Signoria überdrüssig war.

Trotz ihrer Vorfreude nagte eine brennende Eifersucht an ihr. Statuen, Gemälde und Fresken beherrschten Vaters Denken mehr denn die Erfüllung seiner Pflichten. Wie eine Eidechse sonnte er sich inmitten seiner illustren Gäste, die seine Diener mit edlem Wein und anderen Köstlichkeiten empfingen. Juliana kauerte auf einer schmalen Treppe, die ihr einen guten Blick auf die Galerie und den sich füllenden Innenhof bot. Sie sah, was an allen Seiten geschah, blieb jedoch hinter den dicken Säulen verborgen.

Sie merkte genau, wer die Casa Serrati zum ersten Mal betrat. Es war nicht die Größe, auch nicht der Prunk, mit dem der von außen unscheinbare Palazzo seine Besucher beim Betreten beeindruckte. Sie verstummten einer nach dem anderen beim Anblick der dicken Querbalken und glänzenden Ketten an den Seitenmauern, über die jeder Balken bei Gefahr jederzeit herabgelassen werden konnte. Es hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt herumgesprochen, dass die Balken vor wenigen Tagen zum Einsatz gekommen waren. Eine bedrohliche Geste, die bei einigen Patrizierfamilien für große Unruhe gesorgt hatte. Nicht alle Balken waren heute hochgezogen. Drei der dicksten schwebten weiterhin querliegend über dem Hof. Sie zeigten jedem neuen Besucher anschaulich, was sie erwartete, wenn sie sich gegen den angesehenen notario stellten. So gewarnt vor der Wehrhaftigkeit der Serratis wurden die Gäste weitergeführt. Auf dem ersten Treppenabsatz hatten sie jedoch die Bedrohung längst vergessen. Sie lachten, genossen den würzigen Duft der Myrte und cremeweißen Iris, mit denen die Diener und Mägde Brüstungen und Galerien geschmückt hatten. Wohlbeleibte Patrizier und Ratsherren, deren Namen weit über die Stadtmauern hinaus bekannt waren, zählten zu den engsten Freunden ihres Vaters. Auch Giovanni Baldachi war unter ihnen, was Juliana seltsam erleichterte. Ihm, dem die Casa Serrati vertraut war, jagten die bedrohlich schwebenden Balken keine Angst ein. Er leistete Julianas Mutter Gesellschaft, die angespannt das Eintreffen der Gäste beobachtete und Giovannis Scherzen nur vage zuhörte.

Das Lachen der Besucher erfüllte den mittlerweile gut besuchten Salon und drang durch die offenen Fenster über die rötlich schimmernden Dächer. An diesem Tag standen Fehden, Unstimmigkeiten und Rivalitäten zurück, denn eine solche Einladung schlug niemand aus. Alle hingen an Vaters Lippen, auch wenn nicht jeder guthieß, was er von sich gab. Der Tag auf der Piazza del Duomo, an dem sie ihren Vater hilflos und verzweifelt erlebt hatte, erschien Juliana angesichts seiner überschäumenden Freude und seines Stolzes wie ein böser Albtraum. Der Mann, um den sich heute unzählige Menschen scharten, war ein völlig anderer. Ihr Vater lachte und scherzte unbekümmert mit den Gästen. Am Rande der ausgelassenen Gesellschaft stand ihre Mutter nun allein. Immer wieder sah sie zur Tür und lächelte nur, wenn sie angesprochen wurde. Wartete sie auf einen weiteren Gast oder sehnte sie sich bereits nach dem Ende des anstrengenden Tages?

Juliana verließ ihren Platz auf der Treppe und fand hinter einer marmornen Säule auf der Fensterseite des Salons unbemerkt Zuflucht.

Ihr Vater nahm seinen Weinbecher und setzte gerade zu einem Trinkspruch an, da stürzte Antonio aufgeregt herein. »Sie kommen nicht! Dario hat eben auf der Piazza della Signoria verkündet, er wolle lieber verhungern, bevor er auch nur einen Gulden annimmt von einem, der von Kunst nichts verstünde und noch weniger von der wahren Schönheit einer Frau.«

Augenblicklich verstummten alle Gespräche. Juliana presste die Hand auf den Mund. Dario, den sie für einen einfachen Handwerker gehalten hatte, war ein aufstrebender Künstler, der Vaters Einladung ausschlug?

»Die anderen folgen ihm aus Protest, notario. Habt Geduld, sie werden sich besinnen und dann …«

»Zum Teufel mit ihm!«, schrie ihr Vater. »Ich hätte ihn und seine Freunde im Arno versenken sollen.« Auf sein Zeichen hin schlossen die Diener die Türen. Die ungewöhnliche Maßnahme sorgte für lautes Raunen, denn in dem überfüllten Raum war es mit einem Mal eng und stickig. Die Gesichter mancher Damen röteten sich alsbald. Hektische Fächerbewegungen verschafften keine Linderung. Eine Frau sank ohnmächtig in die Arme ihres Begleiters, was Vater nicht verständnisvoller stimmte.

»Tretet zurück! Antonio! Schließt die Fenster, bevor die Statuen Schaden nehmen!«, befahl er stattdessen launisch und überging empörte Widerworte seiner Gäste. Die Statuen. Nichts schien ihm wichtiger.

Juliana presste ihre Wange gegen die kühle Säule. Es war eine dumme Idee gewesen, sich hier zu verstecken. So sehr hatte sie sich auf die neuesten Roben der Damen gefreut, gehofft, sie bei ihren Gesprächen zu belauschen, um dann später brühwarm Assunita zu erzählen, was sie gehört hatte. Stattdessen saß sie in der Falle, einer schwülen Falle. Nun säße sie lieber mit ihrer Freundin am Fluss, in der Hoffnung auf eine sanfte Brise. Der Zauber, Vaters geheimes Etablissement zu sehen, war jäh verflogen. Er benahm sich immer seltsamer. Selbstvergessen ging er zwischen den ausgestellten Werken umher und merkte nicht, dass seine Gäste unter der zunehmenden Hitze litten. »Meine Schöne!«, rief er plötzlich.

Beim Vernehmen dieser Worte seufzte Juliana erleichtert auf, aber sie irrte. Er meinte nicht Dina, sondern reckte seinen Kopf einer Statue entgegen, während er über die sanften Rundungen des weiblichen Torsos strich. Die Statue! Mit ihr hatte Vater so zärtlich gesprochen! Er presste sogar seine Lippen auf diesen … Stein! Vor den Augen aller Anwesenden! Ihre Mutter neigte den Kopf und tat, als unterhielte sie sich unbedarft mit Giovanni, der wie alle Gäste die groteske Posse ihres Vaters mit zunehmender Verwunderung, gar Abscheu verfolgte.

Antonio flüsterte ihrem Vater etwas ins Ohr, worauf sich ihr Vater eher zögerlich auf seine Gäste besann. Mit einem süffisanten Lächeln winkte er alle näher. »Es bedarf einer Muse, um sein Werk zu vollenden, hat er gesagt?«, wiederholte er Antonios Worte voller Hohn.

Dario suchte nach einer Muse. Juliana schauderte bei dem Gedanken, dass ihr Vater erfuhr, wer ihn auf diese Idee gebracht hatte. Was hatte Dario bloß angerichtet? Vater würde aus Zorn alle Künstler verunglimpfen. Das betraf vor allem jene artisti, die keinerlei Aufmerksamkeit bei den reichen Patriziern fanden, sondern ihre Arbeit in einer bottega anboten, um zumindest Geld für Vorarbeiten der Fresken zu verdienen und das Brot für ihre Familien bezahlen zu können. Viel zu viele Künstler in Florenz litten Hunger, weil Gönner wie ihr Vater ihnen nahmen, was sie ihnen zuvor so freizügig geschenkt, ja geradezu aufgedrängt hatten. Anerkennung, Geld und Vertrauen in ihre unermüdliche Arbeit. Darin waren die Florentiner gnadenlos. Sie huldigten denjenigen, deren Ruhm die Stadtmauern überwand, und verspotteten die, deren Talent nicht ausreichte, um die ersehnte Akzeptanz zu erlangen. Die, die es nicht fertigbrachten, eine Statue zu vollenden, die ihnen mit viel Glück oder den richtigen Kontakten mehr einbrachte, als sie je besessen hatten.

»Eine Muse? Soll ihm ein Weib gar den Meißel führen? Ist er nicht Manns genug, das selbst zu tun?«, fragte ihr Vater just in diesem Moment in die Runde, als wüsste er um Julianas Gedanken. In blindem Zorn über Dario trieb er den Spott auf die Spitze. Er sprach mit Leidenschaft über den Entstehungsweg mancher Werke Darios und anderer Künstler, als wären sie durch seine eigene Hand entstanden. In dem verzerrten Antlitz erkannte sie in ihrem Vater nicht jenen herzensguten Mann, der zahlreiche arme Teufel förderte, indem er für ihre Werke hier oben Platz schaffte, sie bekannt machte. Sein Wahn konnte nicht durch Darios Worte allein entfacht worden sein!

»Geht ihm lieber zur Hand, Serrati!«, forderten die angetrunkenen Männer ihn auf, und tatsächlich wies ihr Vater Antonio an, ihm einen Meißel zu bringen. Nach kurzer Überlegung wies er auf eine unvollendete Büste, deren Kopf halb entstellt war, als wäre sie gegen etwas Hartes geschlagen worden. Aus dem halbrunden Sockel leuchtete ein rötlicher Backstein hervor, einer derjenigen, die beim Bau der cupola verwendet wurden. Juliana erstarrte vor Schreck. Nach Bernardos Missgeschick war ihr nur wenig Zeit geblieben, um die Statue zu reparieren, und deshalb hatte sie den entstandenen Hohlraum eilig mit dem Backstein verschlossen. Nun erkannte sie die unversehrten, vertrauten Züge der Büste und sah zu ihrer Mutter, die betroffen auf das Antlitz aus weißem Marmor starrte, das ihrem eigenen glich. Eine Statue zu Ehren ihrer Mutter, doch die steinernen Gesichtszüge zeigten sie sonderbar fremd. Von einer Traurigkeit beseelt, die auch Vaters Gäste zwang, ihren Blick abzuwenden. Juliana sah zu ihrer Mutter, die in diesem Moment ebenso verloren und traurig wirkte wie die Büste. War ihre Mutter unglücklich?

»Ferdinando!« Ohne auf die neugierigen Blicke und Proteste der Gäste zu achten, eilte Dina auf ihn zu. »Du weißt, dass Dario lange daran gearbeitet hat. Tu es nicht, ich flehe dich an!«

Ferdinandos Miene verdüsterte sich. »Daran hätte er früher denken müssen.«

Kreidebleich im Gesicht entriss ihre Mutter Antonio einen Weinbecher und leerte den Inhalt in einem Zug. Juliana schämte sich mehr und mehr. Was ging hier vor sich? Sollte sie lieber den Salon verlassen und riskieren, entdeckt zu werden? Da! Er tat es wahrhaftig! Teile der Statue splitterten bei jedem weiteren unbeholfenen Schlag ihres Vaters ab und stürzten auf den Boden. Einer der Splitter traf ihn sogar und hinterließ eine dunkelrote Schramme auf seiner Wange, dennoch hörte er nicht auf. Stumpf schlug der Meißel gegen den unschuldigen Stein. Mit jedem Hieb verlor der notario mehr an Verstand und Würde. In den Mienen der anderen Gäste las Juliana Unverständnis und Verwirrung. Niemand wagte, ihren Vater aufzuhalten. Wo zuvor das Gesicht einer anmutigen Frau zu erkennen gewesen war, erinnerte nun nichts mehr an die Schönheit des Modells.

»Schande über dich, mein Freund!«, tadelte Giovanni seinen Freund und versuchte, weiteren Schaden zu vermeiden. Sanft, aber bestimmt legte er seine Hand auf die Schulter des notario, bis dieser erschöpft innehielt. »Bleib bei dem, was du beherrschst. Antonio, nimm deinem Herrn den Meißel aus der Hand und schenk ihm lieber nach.«

Dina nickte Giovanni erleichtert zu. Sie wollte gerade auf ihren Mann zugehen, da schleuderte Ferdinando plötzlich wütend den Meißel weg.

»Hat der einfältige Mensch begriffen, dass es mehr bedarf als eines vagen Einfalls mitten in einer Sauforgie? Schlägt zu wie ein Kind. Erbärmlich!«, zischte einer der Patrizier verächtlich.

Ein erstickter Schrei ihrer Mutter schallte durch den Salon. Beinahe hätte der Meißel sie getroffen. Während Antonio und Giovanni sich vergewisserten, dass Dina nicht zu Schaden gekommen war, setzte ihr Vater unbeirrt seinen Rundgang fort. Zu jedem Gemälde, jeder Statue verkündete er ohne Scham, dass dieser oder jener begnadete Maler oder Bildhauer ihm auf ewig dankbar wäre. Ohne sein frommes Zutun hätte den Künstler längst der Hungertod ereilt. Als hätte Vaters Zerstörungswut nicht genug angerichtet, winkte er Antonio zu sich, der begonnen hatte, die Reste der Büste aufzusammeln. »Bring Dario die Büste zurück und fordere mein Geld zurück.«

Juliana hielt entsetzt inne. Wie konnte Vater den Künstler derart vor den Kopf stoßen? Und das Geld war Dario gewiss längst zwischen den Fingern zerronnen.

»Es ist genug, mein Lieber«, hielt Dina ihm entgegen. Sie kämpfte damit, ihre Fassung zu wahren.

Ferdinando musterte sie zornig. Sein Blick fiel auf das zerstörte Antlitz der Statue. Ein kaum merkliches Lächeln umspielte seinen Mund. Dann erhob er sein Glas und leerte es.

Dina schob sich dichter an ihren Mann und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Zuerst sah er verblüfft aus, dann lächelte er grimmig. »Eine schöne Frau versteht es, einen Löwen zu bändigen, darum bitte ich euch, mich kurz zu entschuldigen. Antonio, gib meinen Gästen, wonach ihnen beliebt.« Seine Rechte um Dinas Hüfte geschlungen verließ er den Salon.

»Serrati ist nicht nur der Wein zu Kopf gestiegen«, empörte sich einer der Männer, kaum dass die Türen hinter Julianas Eltern geschlossen worden waren. »Er mag ein Auge für die Kunst haben, doch für das Leid seiner Frauen ist er blind. Dina ist ein Schattenbild ihrer selbst.«

Ein anderer sagte: »Was maßt er sich an, sich über alles zu stellen, was seinen Verstand übersteigt? Brunelleschi ist kein Narr. Das Modell hat das bewiesen.«

Antonio, endlich aus seiner Starre erwacht, verteidigte seinen Mentor. »Es steht niemandem zu, über ihn zu richten. Ihr versteht nicht …« Seine Stimme erstarb.

»Dass er den Verstand verliert, Antonio?«, fragte Giovanni gedämpft. Er wirkte besorgt, während sein Blick über die glänzenden Statuen wanderte. »Wie lange kann ihn die Signoria noch beschützen?«

Juliana barg ihren Kopf auf den angezogenen Knien. Worüber sprachen Antonio und Giovanni?

»Wer möchte von diesem vorzüglichen Wein?«, fragte Giovanni laut in die angespannte Ruhe. Das Lied einer Harfe erklang und nach den ersten Tönen wandelte sich das Missfallen über den Wahn des notario in Heiterkeit. Juliana wollte sich unbemerkt zurückziehen, da fiel ein Schatten über sie.

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