Kitabı oku: «Die Artuslinde», sayfa 3

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5 Auf Burg Sommerstein, 2003

Sie lief und lief. Ab und zu drehte sie ihren Kopf, um zu sehen wie dicht ihr der Verfolger auf den Fersen war. Liam konnte das nackte Entsetzen in ihren Augen erkennen. Er wollte ihr zurufen stehenzubleiben; er wollte ihr doch nichts tun, doch kein Wort drang über seine Lippen.

Dann sah er wieder ihren gehetzten Blick. Sie lief weiter, er hinterher. Er fühlte sich wie ein Auge ohne Körper. Er versuchte, sie erneut zu rufen, doch nur ein gequältes Gurgeln kam heraus. Er stöhnte, dann wachte er auf.

Eine Weile lag er im Bett, seinen erregten Atemzügen lauschend, ehe er das Licht einschaltete. Es spendete ihm Trost und Sicherheit. Er stieg aus dem Bett. Unschlüssig stand er vor der Truhe. Sollte er sie verkaufen? Verschenken? Unter Umständen an den Mann, der ihm die Rohzeichnungen schickte? Oder sollte er sie zu Brennholz verarbeiten?

Das Ding war in diesem gut erhaltenen Zustand ein Vermögen Wert. Schon der Gedanke, sie aus den Händen zu geben, schnitt ihm ins Herz wie ein Messer. Nein, irgendwie mußte er sich mit ihr und ihrem Geheimnis auseinandersetzen, und mit dem, was sie ihm bescherte. Nur dann würde er seine Ruhe finden!

6 Ritter Talivan

Ich wachte durch den frühmorgendlichen Gesang der Vögel auf. Es dämmerte gerade, noch bedeckte dichter Nebel den Boden, bis hinauf in die Baumwipfel. Die Luft war kühl, so kühl, daß ich meinen Atem sehen konnte. Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Glieder waren steif und schmerzten. Ich versuchte mich zu strecken, ohne vom Baum zu fallen. Nicht nur die Kälte trug Schuld an meinem Zittern, es lag auch an der Aufregung.

Meine Hoffnung, wieder unter der Linde aufzuwachen, war wie eine zu dünne Eisschicht zerbrochen. Mir wurde überdeutlich bewußt, daß ich in meinem Kleid, nur mit dieser leichten Decke, die zudem feucht war, nicht lange überstehen könnte. Die Decke war ekelhaft klamm, sie hielt lediglich den kühlen Wind davon ab, mir die Haut gänzlich von den Knochen zu reißen. Wärme spendete sie keine. Ich mußte sie unbedingt irgendwo zum Trocknen aufhängen. Wie sollte ich sie jedoch wiederfinden, wenn ich womöglich sonstwohin laufen mußte, um einen Bach zu finden, wo ich meinen Wasservorrat auffüllen konnte. Außerdem mußte ich mir einen besseren Schlafplatz suchen. Dieser war zwar vergleichsweise sicher, doch gemütlich beim besten Willen nicht.

Warum nur glaubte ich, daß ich auch heute nicht den richtigen Weg fand? Oder einen Menschen des 21. Jahrhunderts?

Als ich glaubte, meinem Körper wieder trauen zu können trotz der kalten Starre, die ihn bedrückte, begann ich mit dem Abstieg. Beim letzten Ast hielt ich mich mit den Händen fest und ließ mich nach unten gleiten. Ein paar Leibesübungen dehnten meinen steifgefrorenen Körper. Mein Magen knurrte. Sollte ich ihm meinen vorletzten Apfel anvertrauen? Gegebenenfalls fand ich ja ein paar Beeren oder Früchte? Ich aß ihn! Im besten Falle konnte ich das eine oder andere Wildgemüse sammeln? Vorausgesetzt ich fand mir bekanntes. Ich schickte ein Dankgebet an meine Großmutter, die trotz meines Streubens darauf bestanden hatte mir all ihre Kenntnisse in Kräuter- und naturkunde zu vermitteln. Hatte sie etwa damals schon eine Ahnung gehabt, daß ich sie einmal brauchen würde? Ich trank ein paar Schlucke Wasser. Schließlich fühlte ich mich wohler und für den kommenden Tag gestärkt. Die Sonne gewann zunehmend an Kraft. Der Nebel kroch nur noch in einzelnen Schwaden über den Boden. Tatsächlich versprach es ein angenehmer Tag zu werden, nicht so ein Trauerspiel wie gestern.

Als ich am Morgen aufwachte und feststellte, daß mein Traum nicht zu Ende war, womöglich weil es sich nicht um einen solchen handelte, hatte ich trotzdem mutig beschlossen, den Tag zu überstehen und alles andere, was kommen sollte. Vermutlich wurde ich ja inzwischen schon gesucht! Wie auch immer, der Schlaf hatte mir Kraft geschenkt. Ich sollte mich am besten südlich halten, also blickte ich zur Sonne hinauf. Selbst wenn das bedeutete in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, aus der ich vermeintlich gekomme war, würde ich bestimmt auf eine Straße stoßen. Auch auf die Gefahr hin, damit eine mögliche Suchmaßnahme zu erschweren. Würde mich denn schon jemand vermissen? Ich hängte mir meinen Rucksack mit der Decke um und tat einen weiteren Schritt in meine ungewisse Zukunft. Während des Gehens bemerkte ich überall um mich herum erwachendes Leben. Mäuse huschten durch das Unterholz, Eichhörnchen sprangen von Ast zu Ast. In der Ferne hörte ich Hirsche röhren und hoffte, ihnen nicht zu nahe zu kommen, denn mit brünftigen Hirschen war nicht gut Kirschen essen. Kirschen! Wie gerne hätte ich jetzt solche. Unweit hinter mir hörte ich Wildschweine in der Erde wühlen. Sie suchten sicherlich Bucheckern und Eicheln, während sie laut grunzten und quiekten. Bei jedem neuen Geräusch spürte ich meine Beine einen Schritt schneller werden, und mein Herz pochte laut in der Brust. Das mußte doch auch jedes gefährliche Tier hören! Mich wunderte, daß diese Tiere trotz der Helligkeit noch so geschäftig waren? Aber nein, ich hatte doch gelesen, daß all diese Tiere noch im frühen Mittelalter gar keine Dämmerungstiere waren, sondern nur durch den Menschen dazu getrieben wurden. Ein Schauer lief mir über den Rücken.

Ich war inzwischen gut eine halbe Stunde unterwegs, als ich es vor mir plätschern hörte. Ich lief erfreut darauf zu und entdeckte einen mittelgroßen Bach. Das mit Steinen übersäte, flache Bachbett schlängelte sich durch den Wald. Ich kniete am Rand nieder, um daraus zu trinken. Das Wasser sah so rein und klar aus, eine Köstlichkeit, süß und würzig. Solch ein Wasser hatte ich nie zuvor getrunken. Der Jahreszeit entsprechend war es schon recht kalt, genau das Richtige, um wach zu werden. Ich bildete mit den Händen eine Schale und spritzte mir von dem Naß ins Gesicht. Ich mußte scharf die Luft einziehen, so kalt war es. Es mußte sein, nur so konnte ich meinen Körper gegen die Kälte abhärten. Ich blickte mich um, ob mich jemand beobachtete, doch im selben Augenblick kam mir der Wahnwitz dessen in den Sinn: Ich sollte doch froh sein, wenn es so wäre! Ich nahm all meinen Mut zusammen, zog mich aus, hockte mich in den Bach und glaubte, meine Füße würden erfrieren, während ich mich prustend mit dem eisigen Wasser bespritzte. Um Atem ringend sprang ich ans Bachufer. Mit der klammen Decke versuchte ich, mich notdürftig zu trocknen, und zog mich eilig wieder an. Meine Durchblutung dankte mir die Schockbehandlung, mir wurde endlich wieder wärmer. Meine Haut fühlte sich jetzt straff an, und das ewige Zittern hörte auf. Nach meiner Kaltwasserbehandlung goß ich den restlichen Inhalt aus meiner Flasche aus und füllte sie mit dem köstlichen Wasser des Baches.

Schlagartig kam mir in den Sinn, wo Wasser floß, da lebten Menschen. Ich brauchte bloß dem Bachlauf zu folgen, der glücklicherweise in Richtung Süden lief, und er würde mich unweigerlich zum nächsten Dorf bringen. Frohen Mutes schloss ich mich dem Wasserlauf Bachabwärts an.

Ich mußte wiederum mindestens eine Stunde unterwegs gewesen sein, als ich endlich auf einen Weg stieß. Weg? Diese Bezeichnung verdiente er gar nicht. Worauf ich stieß, war eher ein Trampelpfad. Wenigstens ein solcher, schoss es mir gerechterweise durch den Kopf. Er würde mich sicherlich an eine Straße führen. Glücklich trat ich aus dem Wald auf den Pfad und folgte ihm.

Obwohl ich schon eine Weile unterwegs war, begegnete mir keine Menschenseele. Ich hörte eine gemeine Stimme in mir, die mir schadenfroh verkündete, daß ich die Hoffnung endlich aufzugeben hätte. Kindisch schnitt ich ihr eine Grimasse. Verdrossen kramte ich meinen letzten Apfel heraus und biß hinein, als wäre er mein ärgster Feind. Ich hatte die Nase voll von allem, war wütend und verzweifelt zugleich. Irgendwie mußte mein Verstand gelitten haben, anders konnte ich mir mein Erlebnis nicht erklären.

Mich an den Saum des Pfades setzend, vertilgte ich den Apfel. Eine lange Weile starrte ich kauend nur ins Leere, plötzlich vernahm ich ein Geräusch.

Pferde! Ich hörte Hufe auf dem Sandboden. Pferde auf einem Pfad, das bedeutete sicherlich auch Reiter. Mein Körper setzte schon zum Sprung in die Mitte des Pfades an, als mich eine Eingebung zurückhielt. Ich atmete ein paarmal tief durch. Mein Gefühl sagte mir, daß ich mich ins Gebüsch zurückziehen sollte. Ich konnte den Leuten ja hinterherrufen, wenn sich meine Vorsicht als unnötig entpuppte. Ich duckte mich also tiefer ins Gebüsch und presste meinen Rucksack eng an mich, als gäbe er mir Sicherheit. Die Augen richtete ich auf den Pfad, meine aufkommende Angst niederkämpfend.

Dann stockte mir der Atem. Die Reiter ritten in die Wegkrümmung ein. Eine Gänsehaut rieselte meinen Rücken entlang. Diese Reiter dort waren keine Freizeitreiter! ...Die Kappen dieser Reiter bestanden aus Metall, welches, säuberlich geputzt, sogar die spärliche Herbstsonne spiegelte. Und dort, wo ich eine Weste vermutet hätte, trugen sie feste Leinengewänder, über schweren Kettenhemden, die unter den Säumen hervorblitzten. Ihre Hosen waren mit Stoffbändern umwickelt und an ihren Gürteln baumelten schrecklich lange Schwerter und Dolche, deren Hefte und Griffe in der Sonne aufblitzten. Schwere Kampfrosse wirbelten mit mächtigen Schritten den Sand des Weges auf. Das konnte doch unmöglich wahr sein? Das waren keine Ritter! Niemals, auch nicht, wenn alles danach aussah! Diese gehörten zum Museumsdorf, wie die anderen, das stand fest! Und weshalb lief ich ihnen dann nicht hinterher, nagte mein Unterbewußtsein an meinem Selbsttäuschungsversuch? Die Reiter galoppierten den Pfad entlang, gleich würden sie aus meiner Reichweite entschwunden sein. Ich mußte ihnen folgen! Was immer sie wirklich waren, sie sahen verteufelt echt aus und blickten verbissen ihrem Ziel entgegen.

Im Nachhinein war ich mir unsicher, ob sie mich bemerkt hätten, wäre ich auf den Pfad gesprungen? Und wenn? Die Erinnerung an das grimmige Gesicht des ersten Reiters ging mir durch und durch. Diese Männer hatten nicht einen Hauch Ansprechendes an sich. Sie wirkten brutal und unaufhaltsam. Mir sackte das Herz in die Knie, und ich dankte meiner inneren Stimme zutiefst berührt, daß sie mich mit einer Eingebung gewarnt hatte, und dankte mir, daß ich auf sie gehört hatte. Mit einem Mal war ich mir sicher, daß diese Kerle nicht davor halt gemacht hätten, mir das Leben zu nehmen.

Die Hufschläge verklangen, die Ritter entschwanden gänzlich meinem Blickfeld. Das waren nicht die schimmernden Helden, von denen schwärmerische junge Mädchen träumten. Ihre Gesichter versprachen nichts Gutes!

Das war kein Spiel! Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Das waren auch keine Museumsleute! Ein neuer Gedanke versuchte, mich vor der aufsteigenden Angst zu bewahren... Wahrscheinlich wurde hier ein Film gedreht? Mein Bewußtsein bemühte sich, meine letzte Hoffnung zu retten, doch umsonst, es konnte nicht gegen das an, was mich mein Unterbewußtsein schon längst glauben ließ. Es gab nur eine Erklärung, da alle anderen mir auf Grund der Tatsachen unglaubwürdig erschienen: Sie waren echt!

Wieder und wieder liefen mir die Schauer über den Rücken. Ich schloß meine Augen und holte mir das Bild der Ritter ins Gedächtnis zurück, als wollte ich sie zu Papier bringen. Vierzehn Männer hatte ich gesehen. Ritter und Knappen. Die Reitpferde und vier Packpferde. Also waren sie für länger unterwegs! Wo wollten sie hin? Wo kamen sie her? Wohnten sie hier in der Nähe, oder waren sie auf Reisen und hatten einen weiten Weg vor sich? Ich beschloß, dem Pfad und ihnen trotz aller Ungewißheit zu folgen, allerdings soweit ich konnte für andere unsichtbar. Wenn ich eine Burg oder ein weiteres Dorf entdeckte, dann hielt ich erst einmal nach diesen Rittern Ausschau. Mein Gott, ich billigte das erstemal in Gedanken, womöglich tatsächlich im Mittelalter gelandet zu sein. Weiß Gott wie!

Was, wenn ich wirklich und wahrhaftig in eine ungewollte Zeitreise geraten war? Wie würde sie weitergehen? Sollte es bei einer Reise bleiben? Wie würde es enden? Würde ich ebenso unerwartet wieder in meiner Zeit erwachen? Schlagartig schnürte mir die Angst die Kehle zu. Was, wenn ich nie mehr zurückgelangte? Der Gedanke war kaum zu ertragen. Wie lange würde ich wohl hier überleben?

Ich stellte mir vor, wie ich ständig auf der Flucht vor diesen und anderen Rittern im Wald überleben mußte. Wie sollte ich jemals Nähe zu anderen Menschen finden? Oder würde ich von allen so aufgenommen werden wie von den Bauern am Tag zuvor? Inzwischen zweifelte ich nicht mehr daran, daß diese Menschen ihre Echtheitsbescheinigung verdienten. Ich erschrak vor meinen eigenen Gedanken, ich glaubte wirklich, was ich sah. Ich war mir sogar vollkommen sicher. Diese Leute hier wirkten viel robuster, als trügen sie gesündere und mehr Kräfte in sich als die Menschen meines Jahrhunderts. Eigentlich sollte ich mich glücklich schätzen, denn hier erlebte ich eine unversehrte Natur, wie ich sie mir gewünscht hatte.

Keine Maschinen verpesteten die Luft, das Wasser war rein und klar! Im Geheimen hatte ich doch schon immer den Wunsch gehegt, einmal in diese Vergangenheit blicken zu können, selbstverständlich nur als stiller Beobachter, nicht als Beteiligter. Warum sonst zeichnete ich Bildergeschichten die im Mittelalter spielten? Ich fühlte eine große, unerklärliche Angst in mir. Entschlossen stand ich auf, diese Ängste verdrängend, es half ja alles nichts, ich mußte hinterher!

Es mußte gut eine Stunde vergangen sein, ehe ich schließlich ermüdet, an den Rand des Waldes gelangte. Ich blieb im Dickicht stehen, um die Lage auszukundschaften. Da stand sie, die Burg, mit der ich schon gerechnet hatte. Irgendwie erstaunte mich diese Tatsache gar nicht mehr, obwohl ein flaues Gefühl im Magen nicht ausblieb, wahrscheinlich erst recht, weil ich mit meiner Vermutung richtig lag. Sie stand nicht weit entfernt von mir in einer ansprechenden, hügeligen Landschaft, auf höchster Erhebung. Ich konnte meine Augen weit schweifen lassen. Der Pfad, dem ich gefolgt war, lief weiter bis zur Burg und gabelte sich schätzungsweise fünfhundert Meter vor dem Tor. Unterhalb der Burg siedelten die Bürger. Allerdings wirkten ihre Häuser eher dörflich, enger zusammengerückt als das Dorf, daß ich am Vortag sah. Die Burg thronte über allem. Sie war keine Schönheit, eher eine verschönerte Festung, die Tore standen indes weit geöffnet und wirkten einladend.

Wie sollte ich denn nun weiter vorgehen? Angenommen, die Ritter von vorhin waren die Besitzer? Denen wollte ich auf keinen Fall wieder begegnen. Und was würde ich den Menschen erzählen? Ich konnte kaum die Wahrheit sagen, vorausgesetzt sie verstünden mich.

Und wenn ich ins Dorf schlenderte, das Beste hoffte und wartete, was passierte? Was könnte alles geschehen, falls ich mich wirklich im Mittelalter befand. Ich wollte diesen Gedanken lieber nicht weiterspinnen, so wie die Dörfler mich angeschaut hatten, hielten sie mich allesamt für eine Hexe. Ich beschloß, weiterhin im Versteck und vorerst bei der Beobachtung zu bleiben. Kummer bereitete mir nur mein Magen, der so heftig aufbegehrte, daß bald alle Burgbewohner in meine Richtung blicken würden, weil sie glaubten, ein Ungeheuer läge auf der Lauer und brüllte.

Der für mich eher ungewohnte, stramme Fußmarsch, zudem mit meinen zerkratzten Füßen hatte mich ordentlich hungrig gemacht. Ich suchte mit den Augen die Umgebung der Burg ab, gab es denn keinen Burggarten? Wie dumm, daß ich unterwegs nicht auf Brombeeren geachtet hatte, doch die Angst, entdeckt zu werden, hatte mich weitergetrieben. Ich konnte keinen Garten entdecken. Verdammt, ich mußte näher heran. Hier und da wuchsen Büsche am Weg, hinter denen konnte ich mich verstecken. Wenn ich all meinen Mut zusammennahm, gelänge es mir wahrscheinlich, unentdeckt näher heranzuschleichen. Immer vorsichtig, Stück für Stück, schob ich mich weiter. Den Pfad ließ ich links liegen, jedoch nicht unbeobachtet. Jetzt wieder dem kühlen Wind ausgesetzt, da mich das dichte Laubwerk der Bäume und Büsche nicht mehr schützte, begann ich erneut zu frieren. Vielleicht hundert Meter vor dem ersten Haus hielt ich an, ein dicker Busch bot mir die nötige Sicherheit. Jetzt konnte ich sogar einzelne Burgbewohner bei ihrem Tagwerk erkennen.

Ich sah einige Frauen an einem Brunnen, der zwischen den Häusern stand. Neben ihnen spielten Kinder. In der Burgschmiede wurde anscheinend fleißig geschmiedet, denn ich konnte den Hammer auf dem Amboß tanzen hören. Durch das offene Tor erblickte ich geschäftiges Treiben im Burghof. Meine Vermutung wurde erneut bestätigt, da alle Menschen mittelalterliche Kleidung trugen.

Eine Bewegung am Burgtor lenkte meine ungeteilte Aufmerksamkeit dorthin. Reiter ritten heraus. Die Angst griff wieder nach mir, das waren die Ritter von vorhin, und sie galoppierten in meine Richtung. So tief ich vermochte, drückte ich mich auf den Boden. Als sie an mir vorüberpreschten, fiel mir auf, daß ihre Gesichter noch grimmiger als vorher dreinblickten. Sie schauten weder nach rechts noch nach links, sodaß ich vor Entdeckung sicher zu sein glaubte. Bei der Gabelung bogen sie nach rechts ab. Dann waren sie also die Besitzer der Burg, wie ich vermutet hatte?

Weitere Unruhe am Tor ließ mich die Ritter vorübergehend vergessen. Eine weitere Gruppe ritt aus dem Tor. Diese Leute hatten es jedoch anscheinend nicht so eilig. Ich erkannte schnell den Grund dafür, hier handelte es sich offenbar um eine Jagdgesellschaft. Nein, ich konnte keine Hunde sehen und keine Greifvögel. So mußte dies eine Gesellschaft von Höflingen und edlen Damen sein. Sie trugen lockere, bunte Kleidung. Es blinkte kein Helm oder Schwert in der Sonne. Ein Ausflug also. Ihre Gewänder waren verziert und geschmückt. Einer fiel mir besonders auf, möglicherweise der Barde, der auf einem rotbraunen, ebenfalls geschmückten Pferd einherritt und am buntesten von allen gekleidet war.

Die Leute schienen bester Laune zu sein, und der mutmaßliche Barde ritt inmitten einer Schar lachender Damen. Unaufhaltsam näherten sie sich meinem Gebüsch. Ich versuchte, mich kleiner zu machen, wodurch ich mir zwar die Sicht auf die Leute nahm, mich jedoch sicherer fühlte, und hören konnte ich sie ja noch. Das allerdings nutzte mir herzlich wenig, denn ich verstand kein Wort, obwohl sie laut schwatzten und lachten. Der Barde spielte auf einer kleinen Flöte ein munteres Stück.

Da hörte ich sie, die Hunde! Sie liefen laut kläffend hinter der Gruppe her. Oh Gott, wenn die meine Witterung aufnahmen! Ich war verloren! Ich wagte einen kurzen Blick. Meine Angst schien unbegründet, da die Hunde viel zu aufgeregt zwischen den Pferdebeinen umherliefen. Sie hechelten der Gruppe hinterher, nahmen nichts anderes nebenher wahr. Ich war gerettet.

Die Gruppe bestand aus mindestens zwanzig Reitern, wenn ich richtig gezählt hatte, und ich ärgerte mich, daß ich jetzt nicht am Waldrand hockte, denn dann hätte ich sie viel besser beobachten können. Sollte sich der Burgherr unter diesen Leuten befinden? Konnte ich unter Umständen doch einen Vorstoß zu den Frauen am Brunnen wagen und um Essen bitten? Ich wagte einen weiteren Blick durch das Geäst des Busches. Die Gruppe war inzwischen am Waldrand angelangt.

Ich ließ eine Zeit verstreichen, ehe ich mich hinaustraute. Die Gesellschaft war längst im Wald verschwunden. Ich mußte es irgendwie schaffen, so auf dem Weg anzukommen, als wäre ich ihn, vom Waldrand her hinuntergegangen. Dann glaubten die Menschen von der Burg vermutlich, daß ich dem Burgherren begegnet wäre und er nichts gegen mich einzuwenden hätte, ja vielleicht sogar, daß er mich schickte. Also ging ich geradewegs auf den Brunnen zu, an dem inzwischen wieder andere Frauen standen. Sie entdeckten mich bald. Ich spürte ihre mißtrauischen Blicke wie Dolche durch meinen Körper dringen; ging jedoch unbeirrt weiter. Sie waren unterschiedlichen Alters. Die Jüngste schätzte ich auf allerhöchstens zwanzig. Ihr kleines Gesicht, bedeckt von Tausenden von Sommersprossen, wurde von feinen hellblonden Haaren umrahmt. Wahrscheinlich wirkte sie durch ihre zierliche Gestalt jünger, als sie tatsächlich war. Die beiden anderen waren dunkelblond. Die Ältere mußte die Mutter der Hellblonden sein, denn bis auf die Haarfarbe glichen sie sich. Die Dritte war mindestens einen Meter siebzig und recht kräftig gebaut. Sie bildete den krassen Gegensatz zu den beiden anderen. Eines hatten alle drei gemein: den fragenden, argwöhnischen Blick.

Ich überlegte, ob ich sie lieber gleich in Französisch oder Englisch ansprechen sollte? So sagte ich in drei Sprachen guten Tag, stieß den Blicken nach zu urteilen, mit jeder der Sprachen auf Unverständnis und beschloß deshalb, es mit Zeichensprache zu versuchen. Das verstand jeder! Ich rieb meinen Bauch und führte die Hand zum Mund. Ich hörte sie einige Worte wechseln, während sie mich nicht aus den Augen ließen. Allmählich empfand ich die Angelegenheit als ungemütlich. Ein Windstoß erfasste meine Haare und wehte den Rock hoch. Im selben Augenblick sah ich die erschrockenen Züge der Frauen. Anscheinend wirkte ich mindestens genauso fremdartig auf sie wie sie auf mich, warum wohl? War es die Farbe meines Kleides? Der Stoff? Den Slip konnte sie kaum gesehen haben. Trotzig wiederholte ich die Hungergebärde, obwohl ich lieber fortgerannt wäre. Die Größte der Frauen schüttelte schließlich entschieden den Kopf, während sie hinauf zur Burg zeigte. Da konnte sie lange warten! Ohne weiter nachzudenken, drehte ich mich um und rannte den Weg wieder zurück. Hinter mir hörte ich die Frauen rufen. Was riefen sie wohl? Die Neugier ließ mich doch einen Blick über die Schulter werfen. Einige der anderen Burgbewohner hatten sich inzwischen bei den Frauen versammelt. Wollten sie mir folgen?

Ich schaffte es, völlig außer Atem, bis zum Waldrand. Erst jetzt wagte ich einen weiteren Blick zurück. Wurde ich verfolgt? Nein! Gott sei Dank! Obwohl die Angst vor Verfolgung sich in meinen Gliedern festsetzte, tat ich so, als ginge ich gelassen in den Wald hinein. Ich folgte dem Weg, während ich inständig hoffte, nicht der Gesellschaft in die Arme zu laufen. Nach einigen Metern schlug ich einen Bogen und kehrte ungesehen zum Waldrand zurück, wo ich mir einen sicheren Platz unter einem Hollunder suchte. Wie sollte es denn bloß weitergehen? Ich war völlig ratlos. Den Winter überstand ich so sicher nicht, denn ich war mir bewußt, daß ein Winter in dieser Zeit, ein solcher war und ich ihn nicht mit einem seichten, verregneten Winter meiner Zeit vergleichen konnte. Ich mußte die Linde wiederfinden, das war meine einzige Hoffnung! Warum bloß hatte ich sie so achtlos hinter mir gelassen? Der Hollunder wuchs um eine dicke, verästelte Buche herum, an deren Stamm ich mich nun mutlos lehnte. Von hier aus konnte ich die Burg und den Weg bestens überblicken, ohne von einem anderen gesehen zu werden. Ich wickelte mich fester in meine Decke. Das ständige Zittern zerrte an meinen Nerven. Die Decke fühlte sich ekelhaft feucht und kühl an, am liebsten hätte ich sie wieder von mir geschmissen; sie erinnerte mich zu deutlich daran, daß ich sie trocknen mußte. Mir war so unendlich kalt! Mein Magen knurrte im Einklang mit meiner Laune. Was geschah, wenn ich die Linde nicht wiederfand? Wo sollte ich hin?

Vielleicht sollte ich nach einem Kloster Ausschau halten, sofern es solche in dieser Zeit schon gab! Möglicherweise war das Christentum noch gar nicht verbreitet? Und wenn doch, würden sie mich in meinem hauchdünnen Kleid nicht für eine schlimme Sünderin halten? Ich konnte doch nur nachteilig auffallen, was mir durch die Begegnung mit den Menschen bisher bestätigt wurde. Mir fielen die vielen Frauen ein, die im Namen der Kirche aufs Grausamste gefoltert und umgebracht wurden. Ich durfte nichts aufs Spiel setzen. Meine Verzweiflung wuchs, meine Lage schien mir ebenso unbegreiflich wie schrecklich. Ich wünschte mich in meine warme Wohnung, mit einem heißen Tee, auf meinem Sitzkissen ein spannendes Buch lesend.

Ich mußte wohl über meinen Gedanken eingeschlafen sein, erschrocken erwachte ich. Die Gesellschaft kehrte lautstark von ihrem Ausflug heim. In der Hast, mich besser zu verstecken, rutschte mir die Decke von der Schulter. Da kamen schon die ersten Reiter in Sicht, und mir blieb keine Zeit, den Fehler wiedergutzumachen, denn ich hatte Angst mich zu bewegen. Ich erstarrte. Einige der Frauen kamen dem Hollunder so nahe, daß ich, obwohl vor Entdeckung zitternd, ihre wunderschönen, warmen Kleider sehen konnte. Was gäbe ich darum, jetzt in einem solchen Kleid zu stecken! Wolle war so ziemlich das Schönste, was ich mir in diesem Augenblick auf meinem Körper vorstellen konnte. Die Stoffe leuchteten bunt und reich verziert mit Borten und Stickereien. Die Männer, die inzwischen ebenfalls in meinen Sichtkreis geritten kamen, trugen teils knielange, teils wadenlange Gewänder. Ich bewunderte die Haare beiderlei Geschlechts, denn sie trugen sie lang und üppig. Die Frauen trugen ihre Haarpracht zu einem oder zwei dicken Zöpfen geflochten, meist bis über den Po reichend. Die Männer ließen sie offen, bis auf die Schultern oder den Rücken hinunterhängen. Sie sahen alle so prunkvoll aus.

Die Gruppe war mittlerweile lang auseinandergezogen; die ersten Reiter und Reiterinnen entschwanden bereits meinem Blickfeld, als meine Aufmerksamkeit auf einen einzelnen Mann fiel. Er ritt seinen dunkelbraunen Hengst, als wäre er mit ihm zusammengewachsen. Seine Haare trug er länger als die anderen, durch ein Band im Nacken locker zusammengebunden. Überraschend wandte er sein Gesicht in meine Richtung und brachte sein Pferd zum Stehen, dem Busch bedenklich nahe. Sein Blick schien das Blattwerk zu durchlöchern, als spürte er meine Anwesenheit.

Mir stockte der Atem. Zum einen fürchtete ich eine Entdeckung, zum anderen hatte ich noch nie zuvor so ein Gesicht gesehen. Die tief dunkelbraunen Augen wurden von pechschwarzen Wimpern und Augenbrauen umrahmt. Seine ursprünglich wohlgestaltete Nase, von sonnengebräunter Haut überspannt, mußte er sich wohl irgendwann einmal gebrochen haben, denn sie hatte einen erkennbaren Knick, dennoch sah er gut aus. Erst auf den zweiten Blick sah ich das Offensichtliche: die riesigen Narben, die sein Gesicht überzogen, wie weiße Flüsse eine braungebrannte Landkarte. Sie mußten jedem Betrachter sofort ins Auge stechen, wieso hatte ich sie nicht gleich bemerkt? Eine lief vom Haaransatz über die rechte Augenbraue, die Wange entlang bis auf die Oberlippe, was diese allerdings nur umso sinnlicher betonte. Ich wunderte mich über die Richtung, in die meine Gedanken wanderten. Mein Blick blieb trotzdem eine lange Weile an diesen sinnlichen Lippen hängen, und ich fragte mich allen Ernstes, wie es wohl wäre, von diesen Lippen geküßt zu werden. Ich riß mich gegen meinen Willen von ihnen los und richtete meine Aufmerksamkeit auf die zweite große Narbe, die vom linken Ohr über die Wange zum Nasenflügel lief, was wiederum seine Nase betonte. Auch der Hals war übersät mit kleineren Narben, womöglich bedeckten sie seinen Körper in gleicher Art. Der Mann war höchstens dreißig und er strahlte eine tiefgehende Traurigkeit aus, die mein Herz anrührte und mir das Gefühl vermittelte, als trüge er den Seelenschmerz von Jahrhunderten in sich. Trotz seiner offensichtlichen Schwermut übte er eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich aus. Diese Kraft lockte mich, hinauszutreten und zu ihm zu gehen. Was sollte mir schon geschehen? Meine Glieder zuckten, bereit aufzustehen. Ich konnte mich gerade noch beherrschen. Es war nicht die Angst, die mich zurückhielt, denn ich fühlte mich seltsam verbunden und vertraut mit diesem Mann. Ich hatte das Gefühl, dort einen Freund wiederzusehen, den ich lange nicht mehr getroffen hatte. Ich mußte mich in die Wirklichkeit zurückholen. Sein Blick schien den Busch zu durchdringen, als suchte er etwas. Ich schaute schnell zur Seite, denn ich hatte das abwegige Gefühl, seine Augen blickten unmittelbar in meine und durch sie hindurch, geradewegs in meine Seele.

Was, wenn er mich nun doch entdeckte? Würden mich meine seltsamen Gefühle getäuscht haben, und dieser Mann bereitete mir die Hölle auf Erden, wenn er mich fand? Ich wagte kaum zu atmen, und als könnte er mich deshalb weniger entdecken, tat ich, was kleine Kinder tun, wenn sie nicht gesehen werden wollen, ich schloß die Augen und hielt die Luft an.

Talivan starrte in den Hollunderbusch. Er versuchte, ihn mit seinem Blick zu durchdringen. War da nicht etwas? Ein roter Schimmer? Das Blattwerk war zu dicht und trotzdem hatte er das Gefühl, daß der Busch ihn beobachtete. Um mehr zu entdecken, kniff er die Augen fest zusammen. Hockte da nicht jemand? Oder war es nur die Sonne, die ihm einen Streich spielte? Entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, schnalzte er mit der Zunge, um Lluagor noch näher an den Busch zu reiten.

Raban kam im selben Augenblick, laut krächzend, auf seine Schulter geflogen. Talivan lächelte, während er den Raben unter dem Schnabel kraulte. Raban ließ ein heiseres, wohliges Krächzen hören. Er hielt den Schnabel in die Höhe, damit Talivan bloß nicht auf den Gedanken kam, aufzuhören. Talivan mußte lachen. Was für ein seltsames Tier Raban doch war! Lachend wendete er sich wieder seinem Vorhaben zu. Er schnalzte erneut, Lluagor setzte sich in Gang. Sie kamen jedoch nicht weit, denn die Dame Brighid kam stürmisch herangeritten. Sie brachte ihre Stute schwungvoll vor Lluagor zum Stehen. Die Schönheit konnte offensichtlich wieder nicht ertragen, daß er ihr nicht seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. Er wendete Lluagor in Richtung Burg. Gegebenenfalls konnte er damit dem oberflächlichen Geplapper dieser Dame entfliehen. Er warf einen letzten Blick auf den Busch und wurde das Gefühl nicht los, daß dort jemand saß. Raban knabberte zärtlich an seinem Ohr. Er krächzte, als wollte er ihn auslachen.

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