Kitabı oku: «Die flüsternde Mauer», sayfa 3

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Die geheime Tür

Als ich wieder erwachte, hörte ich seinen regelmäßigen Atemzügen zu. Er schien noch zu schlafen.

„Habet ihr euch wohl ausgeruhet?“, fragte er leise.

„Ich dachte, du schläfst noch.“

„Ich sey schon vor eyner ganzen Weyle erwachet.“

Ich spürte seinen Arm und seine Hand, mit der er mich an der Schulter hielt. Mein Kopf lag auf seiner Brust. Der rechte Arm schien eingeschlafen zu sein, denn er kribbelte fürchterlich, als würden Ameisen darauf tanzen. Behutsam löste ich mich aus seiner Umarmung und setzte mich auf.

„Sollen wir noch einmal herumgehen?“

„Ich hätt lang darüber nachgedacht, was zu tun sey und ich sey zu dem Ergebnis gekommen, dass wir die Mauer aufkratzen müssten.“

Ich stöhnte unwillkürlich auf. Das war das Letzte, was ich mir wünschte.

„Ich kenne wie bereyts erwähnet diesen geheymen Gang nicht, meyn Vater hätt ihn mir noch nicht gezeyget, dennoch, dass hinter dem Loch in der Mauer eyn Gang sey, das wüsst ich mit Sicherheyt.“

„Tja, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig.“ Ich hörte den sauren Unterton in meiner Stimme selber; er konnte doch nichts dafür. „Tut mir Leid, was sein muss, muss eben sein!“ Ich erhob mich und spürte jeden meiner Knochen. Alles tat weh, besonders die Finger. Und wenn ich daran dachte, dass ich gleich wieder im rauen Mörtel herumkratzen sollte, dann schmerzten sie noch mehr, weil sie das nicht wollten. Ich überlegte laut:

„Wenn die Erbauer dieser Räume und der geheimen Tür nicht ganz blöde waren, dann müsste es doch einen geheimen Ausgang geben!?“

Er sagte nichts, doch ich spürte, wie es in seinem Kopf arbeitete.

„Es kann doch nicht sein, dass dies nur wie eine Gruft oder ein Verlies dazu da war Leute durch die Falltür hereinfallen zu lassen. Es muss doch einen Notausgang geben!“

„Ihr habet wohl Recht, Frouwelin“, sagte er mit einem erstaunten Unterton in der Stimme. „Ihr wollet, dass wir noch eynmal auf die Suche gehen?“

„Ich glaub schon.“

„Gut, so seys, untersuchten wir es.“ Er erhob sich ebenfalls und machte auch schon den ersten Schritt an der Wand entlang. „Könnet ihr euch erinnern, wo die Falltür sey, von wo ihr gestürzet seyd?“

Ich überlegte. Mein Ortssinn litt unter der ständigen Dunkelheit. Doch ich erinnerte mich, dass es der Raum, der jetzt zu unserer Rechten lag, sein musste. „Ich denke rechts.“

Er überlegte, „Üblicherweyse würde eyn Ausgang in entgegengesetzter Richtung seyn, damit genug Zeyt zu eyner Flucht bleybet.“

„Also müssen wir in den linken Raum.“

„So seys.“ Er wandte sich um und ging los. Viel zu schnell, denn ich war noch gar nicht so weit. Er lief geradewegs in mich hinein. Wir prallten aufeinander.

„Verzeyhet, Frouwelin.“

Ich konnte seinen groß gewachsenen Körper spüren, seine Brust, seine Arme, die mich hielten, damit er oder ich nicht stürzten, nach seinem Missgeschick. Er beeilte sich an mir vorbei zu kommen, um weiterzugehen. Ich holte tief Luft und folgte ihm in der Dunkelheit.

Hand für Hand tasteten wir die Wand ab. Ich sagte mir, dass jede noch so kleine Erhebung oder Vertiefung eine mögliche Öffnung sein könnte. So sehr ich mir diese auch herbeiwünschte, ich fand sie nicht. Wir hatten noch nicht einmal die Hälfte des Raumes abgesucht, als ich mich müde und ausgelaugt an der Wand herunterrutschen ließ.

„Ich kann nicht mehr. Ich will jetzt was essen und trinken.“

Er schluckte laut, kam zu mir zurück. Ich wusste, er würde mich nicht fragen, dafür schien er viel zu höflich, doch sein Magen knurrte unwillkürlich und verriet seinen Wunsch nach Essen.

„Setzt dich, wir teilen den Rest.“

Er atmete erleichtert aus. „Ich danke euch dafür, edles Frouwelin.“

Ich lachte leise, während ich das Brot aus dem Rucksack holte und ihm eine Scheibe in die Hand drückte. Wieder hörte ich, mit welcher Hingabe er aß, als hätte er seit Jahrhunderten nichts mehr gegessen. Ich versuchte ebenso andächtig und langsam zu kauen und siehe da, es schmeckte doppelt so köstlich wie sonst. Wohl kein Wunder, schoss es mir durch den Kopf.

„Was zu trinken?“ Ich hielt ihm die Flasche hin, konnte spüren wie sein Körper erzitterte in Erwartung eines Schluckes des heiligen Nasses, doch er hielt sich zurück.

„Bitte zuerst ihr, ich trinke den Rest.“

Ich zuckte die Schultern und trank. Leider konnte ich nicht sehen, wie viel Wasser noch in der Flasche war, doch ich versuchte nach Gefühl das Gewicht zu ermessen, damit auch er noch einen gerechten Anteil bekam. Ich reichte ihm die Flasche und wieder trank er andächtig.

„Das war gut“, sagte er leise.

„Ich bin schon wieder völlig erschöpft. Ich glaube, ich bleib´ noch eine Weile sitzen.“

Er nickte und da er mir so nahe saß, spürte ich seine Bewegung. Sein Arm berührte meinen Arm und sein Oberschenkel den meinen. Ich fühlte mich ihm so verbunden wie kaum einem Menschen bisher. Diese Erkenntnis erschreckte mich beinahe. Ich seufzte.

„Gehet es euch nicht gut?“

„Doch, es ist nur …“, ich fand nicht die richtigen Worte und war mir auch nicht im Klaren, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte. „Es ist alles so seltsam. Ich meine, ich stürze dank meiner Neugier in einen geheimen Raum und dann finde ich auch noch einen eingeschlossenen Menschen.“

Er lachte auf. Das erste Mal, das ich ihn lachen hörte und mir wurde ganz schwindelig, weil sein Lachen so angenehm weich und wohltönend klang. Ich wollte nicht, dass er aufhört, da es so angenehm war und mir eine wohlige Gänsehaut über den Rücken schickte.

„Vielleycht sey es die Vorsehung? Vielleycht seyd ihr dort hineyngefallen, damit ihr mich befreyen könnet?“

Sein Gedanke hatte Tröstliches, denn dann könnte ich auch die Hoffnung hegen, dass wir wieder nach draußen fanden. Wozu sonst hätte ich ihn finden sollen?

„Dann gibt es Hoffnung!“

„So sey es.“

Ich lächelte in die Dunkelheit und schmiegte mich ungefragt an seine Seite. Er stutzte einen Augenblick, doch dann legte er seinen Arm um meine Schultern und lehnte sich ebenfalls an mich.

„Was für eyne Farbe hätt euer Haar?“

Ich lachte auf. „Braun, wie meine Augen. Und deine?“

„Rotbraun,“ er schmunzelte hörbar, „nicht wie meyne Augen, die seyen tiefgrün.“

Ich lachte erneut auf. Es tat gut einmal von anderem zu reden und an anderes zu denken, als an die schreckliche Dunkelheit und das Gefangensein. Als seine Worte ganz bis in mein Bewusstsein vorgedrungen waren, spürte ich ein Zwicken im Magen, mir fiel das Bild des Ritters ohne Namen ein. Seine Haare waren ebenfalls Braunrot und er hatte grüne Augen. War das ein Zufall? Ein Schauer rieselte über meine Haut. Hatte es ihn doch einmal gegeben und dieser Mann hier war ein was weiß ich wievielter Urenkel! Wir lehnten uns an die Wand zurück und schwiegen wie abgesprochen. Dieses Schweigen war jedoch nicht unangenehm, im Gegenteil, es war wie Ausruhen, ein Luftholen.

Er genoss das Gefühl ihren Körper in seinem Arm halten zu dürfen. Es war völlig egal, ob sie sich zuvor gekannt hatten, wenn ihn jetzt einer fragen würde, er würde ohne zu zögern sein Leben für sie einsetzen. Oh ja, er glaubte an eine Vorsehung. Diese Frau war geschickt worden, um ihn zu befreien, das stand fest. Und egal wer sie war, ob reich oder arm, ob von edler Geburt oder niederer, wenn sie hier lebend herauskamen, er würde sie reich beschenken. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Sah sie zum Fürchten aus? War sie alt, viel älter jedenfalls, als er sie einschätzte? Er fühlte sich ihr sehr nahe, sehr verbunden. Diesem Gefühl würde auch eine Zauberin von Feuerberg nichts anhaben können.

„Dürft ich euer Gesicht einmal abtasten?“

Sie nickte, er konnte es spüren.

Langsam, vorsichtig, beinahe ängstlich hob er die Hände und berührte ihre Haut mit den Fingerspitzen. Seine viel zu langen Nägel störten ihn und er hatte Angst sie würde sich gleich in Luft auflösen, so wie all die anderen Träume, die er gehabt hatte. Sie hatte ein ebenmäßiges Gesicht, eine feine Nase und wohlgeformte Lippen. Er wanderte mit seinen Fingern an ihrem Hals entlang und berührte, nur einen Augenblick, mit seinen Daumen ihr Schlüsselbein und ihren oberen Ausschnitt. Er holte tief Luft und zog die Hände plötzlich weg, als hätte er sich verbrannt. Er sollte die Gedanken, die aufkamen, ersticken, noch bevor sie gedacht waren! Sie hielt seine Hände fest, wanderte an seinen Armen entlang bis zu seinem Gesicht und berührte es wie er, mit den Fingerspitzen.

Seine Wangenknochen traten stark hervor, seine Haut wirkte ausgetrocknet und eingefallen. Seine Nase schien gerade und ebenmäßig. Ich wagte nicht seine Lippen zu berühren, die von einem zotteligen Bart umrahmt zu sein schienen. Das Ganze war schon viel zu innig. Wir kannten uns nicht einmal, und dass wir hier in dieser Lage zusammen feststeckten, durfte uns nicht zu Handlungen verleiten, die wir am Ende bereuten. Als hätten wir uns verabredet, rückten wir voneinander fort. Wir schwiegen, aber dieses Mal war die Stille unangenehm und bedrückend. Er räusperte sich.

„Ich sucht weyter, wenn ihr wollet, könnet ihr gern noch sitzen bleyben.“

Ich schüttelte den Kopf: „Nein, ich will nicht untätig herumsitzen.“ Ich erhob mich mit ihm.

Erneut suchten wir jede Handbreite nach irgend einem Zeichen ab. Mir schien, wir suchten Stunden und am liebsten wäre ich einfach nur umgefallen und gestorben. Ich hatte keine Lust mehr. Niemals würden wir eine Möglichkeit finden und das ganze Gerede von Vorsehung war alles Quatsch. Ich stolperte hinter ihm her, ließ zwar meine Hände an der Mauer entlanggleiten, doch mit meinen Gedanken war ich weit fort. So weit fort. Mein Finger blieb an einer Ritze hängen.

„Verdammt! Aua.“ Ich rieb mir den Finger.

„Was habet ihr gefunden?“ Aufgeregt trat er zu mir.

Mit einem Mal wurde mir klar, dass ich eine Vertiefung gefunden hatte und anstatt meine Hand darauf liegen zu lassen, rieb ich mir blöde den schmerzenden Finger. Wenn wir es nun nicht wiederfanden?

„Hier etwa, dort war ein Spalt, dem in der Wand ähnlich, in der die Falltür war.“ Vielleicht passte der Schlüssel auch hier herein?

Er suchte meine Hand und ließ sich von mir die ungefähre Stelle zeigen.

„Hier, ich hätt es gefunden.“

Mein Herz klopfte schnell. Hatten wir einen Ausgang gefunden?

„Es fehlet der Schlüssel!“

Nein, der war da. Ich kramte ihn aus meiner Tasche. „Hier ist er.“

Er nahm ihn mir aus der Hand und schluckte.

Das, was sie ihm in die Hand gegeben hatte, war der eingefasste Zauberstein der Zauberin von Feuerberg. Wie kam sie daran? Hatte sie womöglich mit der Zauberin zu tun? War sie es am Ende selber, nur in Verkleidung? Nein, dann hätte sie ihm die Scheibe, die sie so unbedingt wiederhaben wollte, nicht gegeben! Diese Frau hatte nichts mit der von Feuerberg zu tun. Er spürte den Stein und die Holzeinfassung heiß in seiner hohlen Hand. Doch er wollte nicht weiter darauf achten. Dies war der Weg in die Freiheit. Die von Feuerberg musste diese Räume eigens erbaut, nein, erzaubert haben, sonst hätte der Scheibenschlüssel nicht gepasst oder hatte sie ihn einst gestohlen und war deshalb so verrückt hinter ihm her? Er wandte sich, seine innere Unruhe und Angst überwindend, der Wand zu.

Ich hörte, wie er die Wand weiter absuchte und drückte oder zog. Plötzlich gab es ein klickendes Geräusch. Und es geschah nichts. Ich hörte das Geräusch erneut. Dann knirschte es in der Wand. Ein Schaben wurde laut und lauter und vor unseren Augen schob sich die Wand zuerst nach innen und dann zur Seite.

Unauffindbar

Luisa trank einen Schluck Fruchtwein. Sie fühlte sich schlecht. Leo legte seinen Arm um sie und tauschte einen Blick mit Mattes.

„Morgen früh rufen wir die Polizei an, wenn sie bis dahin noch nicht zurück ist“, sagte Leo leise. Luisa war bedrückt. Sie kannte Alanis besser als er, und wenn sie der Meinung war, dass diese niemals einfach so verschwinden würde, dann wollte er es ihr auch glauben.Sie verstand auch nicht, weshalb sie nicht an ihr Telefon ging.

„Ich werde noch einmal um die Burg gehen und den Hang absuchen“, warf Mattes ein. „Vielleicht kommen die anderen wieder mit.“

„Meinst du nicht, das ist Aufgabe der Polizei oder irgendeiner Bergwacht?“, fragte Leo nach.

„Viele Augen sehen mehr als wenige.“

„Sie hat doch sonst niemanden. Ich hab schon überlegt, ob sie womöglich zu ihrer Brieffreundin nach Neuseeland geflogen ist?“

„Dann musst du morgen mal beim Flughafen fragen.“

„Hm, das hätte ich heute schon machen sollen.“

„Und der Betrieb? Das Leben geht weiter.“ Leo glaubte trotz Luisas Versicherung nicht an einen Unfall. Alanis hatte sich einfach abgesetzt. Warum war ihm allerdings schleierhaft.

„Du glaubst mir immer noch nicht?“ Luisa war gekränkt und enttäuscht von Leo.

„Ich weiß auch nicht. Wir haben die Burg abgesucht, den Berg drumherum und sogar im Dorf haben wir gesucht.“

„Und wenn sie irgendein Geisteskranker entführt hat?“

„Dann bleibt nur die Polizei!“

Luisa fröstelte. Wenn sie daran dachte, dass sich Alanis womöglich gerade in diesem Augenblick in den Händen eines geisteskranken Menschen befand und gequält wurde, wurde ihr flau im Magen. Aber sie wusste auch nicht, was sie noch unternehmen sollte. Inzwischen waren ein Tag und schon zwei Nächte fast vergangen.

„Wir helfen ihr nicht, wenn wir morgen unausgeschlafen sind“, sagte Leo nachdrücklich.

Luisa nickte. Sie erhob sich und ging zu ihrem Lager. Mattes stand zusammen mit Leo auf und tat es Luisa nach. Er fühlte sich wie ein Verräter.

Nicht von dieser Welt

Noch immer hüllte Dunkelheit uns ein. Mir schien sie jedoch nicht mehr ganz so finster wie in dem Raum. Ich langte nach seinem Arm. Meine Angst, er könnte mich hier zurücklassen oder aus irgendwelchen Gründen von mir getrennt werden, war zu groß. Befand sich dort hinter dieser Tür auch nur wieder eine Falltür? Ich klammerte mich an seinem Arm fest und spürte durch den löchrig, faserigen Stoff seines Ärmels, wie dünn er war. Er tastete sich weiter durch die Tür und an der Außenwand entlang. Wir gingen etwa zehn gefühlte Meter, als wir erneut auf Widerstand trafen. Ich hörte, wie herumtastete.

„Eyne Tür“, sagte er erleichtert.

Ich atmete ebenfalls befreit aus. Er drückte den Türgriff und sie öffnete sich, ganz leicht. Ich folgte ihm auf Schritt und Tritt ohne seinen Arm loszulassen. Wir traten in einen weiteren Gang, doch mit einem Mal konnte ich die Umrisse seines Körpers erkennen. Zu unserer Linken ließen Fenster das fahle Licht des Mondes herein. Es war also Nacht! Er drehte sich zu mir um und sah mich an. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, erst recht nicht seine Augen, doch ich wusste, er wollte sich nur vergewissern, dass er nicht träumte und tatsächlich Licht unsere Gestalten erkennen ließ.

Am Ende des Ganges befand sich eine weitere Tür. Er wandte sich um und ging mit großen Schritten darauf zu. Auch diese ließ sich öffnen. Auf der anderen Seite erwartete uns die große Halle, durch deren viele Fenster noch mehr gebündeltes Mondlicht schien. So konnte ich mehr von ihm erkennen. Ich sah, dass er klapperdürr war. Seine Kleidung, die teuer und edel gewesen sein musste, schlackerte zerschlissen um seinen Körper. Sie sah aus, als fiele sie beim leisesten Windhauch in sich zusammen, als hätte sie Jahrhunderte in irgendeinem feuchten Keller gelegen. Hatte er Recht, wenn er behauptete, schon seit Wochen dort gefangen gewesen zu sein? Seine Haare hingen ihm wirr bis über die Schultern und sein Bart, den ich bereits gefühlt hatte, war ungepflegt und lang. Seine Haut wirkte so bleich wie die eines Toten und seine Wangenknochen traten stark hervor. Mit ein wenig Einbildungskraft hätte es auch ein Totenkopf sein können.

Er wandte sich erneut um. Sie befanden sich in der großen Halle, doch alles wirkte fremd und leer. Nicht ein einziger Mensch befand sich hier. Wo waren sie alle? Hatte die Zauberin von Feuerberg womöglich seine Familie zerstört? Oder waren sie geflohen? Er sah sie an. Seine Augen schienen sich erst noch an das fahle Licht gewöhnen zu müssen, sie hatten zu lange nicht sehen dürfen. Sie war noch nicht sehr alt, um die zwanzig, wie er sie eingeschätzt hatte. Sie trug ein dunkelrotes Leinenkleid, welches ihre schmale Körpermitte zeigte und umschmeichelte. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten. Sie sah ihn ebenso beobachtend an wie er sie. Er musste sich gewaltsam von ihrem Blick lösen. Er sah sich in der Halle um. Nichts war, wie er es kannte. Eigenartiger Hausrat stand darin und neben der Eingangstür stand eine Art Hütte. Er sah sie wieder an.

„Was sey hier geschehen?“

„Was meinst du?“

„Wo seyn die Menschen, die hier lebten, woher kommt dieser seltsame Hausrat?“

Ich wusste beim besten Willen nicht, was er meinte. Kopfschüttelnd sagte ich: „Hier hat sich nichts verändert, seit Jahren nicht und ich komme schon lange her.“

„Seyt Jahren?“ Er schien verwirrt. „Aber die Menschen?“

„Hier wohnt niemand mehr. Am Tage kommt ein Burgführer und führt die Besucher herum und im Kassenhäuschen,“ ich zeigte hin, „sitzt eine Frau und sammelt das Eintrittsgeld ein oder verkauft Fotos und Kram.“

Er sah mich entgeistert an. Obwohl ich seine Augen nicht deutlich erkennen konnte oder seine Gesichtszüge, erkannte ich doch ein gewisses Entsetzen. Was verwirrte ihn denn so? Ich konnte mir das nicht erklären. „Hier wohnt schon seit mindestens fünfzig Jahren keiner mehr!“, sagte ich noch einmal mit Nachdruck.

Er erwiderte nichts, sah mich nur eindringlich an, als könnte er trotz des schlechten Lichtes in meinem Gesicht lesen, ob ich die Wahrheit sagte.

„Lass uns zum Eingang gehen, möglicherweise ist die Tür nicht verschlossen?“ Ich löste meine Hand endlich von seinem Arm, auch wenn ich es nicht gern tat, so schien es mir im Augenblick unangebracht, ihn weiter festzuhalten. „Komm“, forderte ich ihn noch einmal auf und ging vor.

Er folgte mir wie ein Schlafwandler bis zur Eingangstür. Ich drückte die Klinke herunter, doch die Tür blieb verschlossen. Wir mussten also den Rest der Nacht weiter in der Halle oder einem anderen Raum der Burg verbringen.

„Wir könnten in den Gang gehen, wo die Bilder hängen.“

Er schüttelte den Kopf, sah dabei stur nach draußen.

„Oder wir suchen uns zwei Betten?“

Er starrte noch immer in Richtung der Fenster.

„Es gäb hier nur eyn richtiges Bett, und das wär das Hochzeytsbett in der Hochzeytskammer.“

„Hm.“ Ich hatte es noch nie gesehen. Aber irgendwie wollte ich ihm das nicht sagen, denn ich gewann den Eindruck, es würde ihn noch mehr verwirren.

Er ging mit weit ausholenden Schritten zu den Fenstern und schaute nach draußen in den Burghof.

Ich folgte ihm, obwohl ich mich am liebsten geradewegs hier auf den Boden gelegt hätte, um zu schlafen.

„Ich könnt nichts wiedererkennen. Wie könnt sich eyne Burg so schnell verändern und wo seyn die Bewohner hin?“

„Ich weiß nicht, ich kann nur sagen, ich habe die Burg noch nie anders gesehen.“

Er sah mich erneut an und da er so nahe am Fenster, und im Licht des Mondes stand, bekam ich einen Eindruck von der tiefgrünen Farbe seiner Augen. So grüne Augen hatte ich noch niemals bei einem Menschen gesehen. Hingerissen starrte ich ihn unhöflich an. Er schien meinen Blick jedoch gar nicht wahrzunehmen, weil seine Gedanken offensichtlich noch immer um die angebliche Veränderung der Burg kreisten. Ich riss meinen Blick los und sah mich in der Halle um. In einer Ecke standen einige Bänke, die wohl zu Tafeleien gebraucht wurden. Ich berührte ihn leicht am Arm und zeigte zu den Bänken.

„Sollten wir uns nicht noch ausruhen? Ich lege mich auf eine der Bänke.“ Ich beachtete ihn nicht weiter und ging zur Bank. Es sah nicht sehr behaglich aus, aber wenigstens lag ich so nicht auf dem kalten Boden. Ich streckte mich darauf aus, behielt ihn aber im Blick. Er stand noch immer am Fenster und schien wie versteinert. Plötzlich kam Leben in ihn. Er kam eilig zu mir.

„Ich streyfe noch eynmal durch die Burg.“

Ich nickte. Um mitzugehen, war ich zu müde. Ich hoffte, er würde nicht auch in eine Falltür tappen. Ich musste dem Führer unbedingt davon erzählen, falls noch mal jemand verschwand.

„Wenn du nicht wiederkommst, sehe ich in dem Raum nach!“, sagte ich halb scherzend. Er lachte nicht mit, sondern machte sich schon auf den Weg. Eine Weile hielt ich die Augen offen und wartete, ob er nicht doch zurückkehrte, doch meine Lider wurden immer schwerer und schließlich gab ich meinem Schlafbedürfnis nach.

Ein Kitzeln an der Nase weckte mich. Es war die Sonne, die durch die Fenster strahlte, beziehungsweise eigentlich der Staub, der in der Luft herumwirbelte und durch das Sonnenlicht sichtbar wurde. Einen Augenblick wusste ich nicht, wo ich war, doch dann fiel mir alles wieder ein. Ich richtete mich jäh auf und sah mich um. Wo war er?

Er saß zusammengesunken auf einer der Bänke und hatte den Kopf schwer in seine Hände gestützt. Schlief er? Ich stand auf, streckte mich und ging herüber zu ihm. Einen Augenblick beobachtete ich ihn und begutachtete im Sonnenlicht sein zerschlissenes Gewand und sein ungepflegtes Äußeres. Einige seiner Nägel hatte er sich offensichtlich bei unserer Kratzerei abgebrochen, die anderen waren noch lang und krumm. Ich wagte einen kurzen Blick auf meine eigenen Finger und Nägel. Sie hatten wohl tatsächlich geblutet und die Haut sah zerschunden aus. Ich versuchte den Schmerz, der durch das Hinsehen stärker geworden war, mit Nichtachtung zu strafen und wandte mich wieder an den verzweifelt wirkenden Mann vor mir. Ich legte meine Hand auf seine Schulter.

„He, bist du wach?“

Er hob den Kopf und sah mich mit seinen grünen Augen an. Sie waren verquollen, als hätte er lange geweint.

„Alles in Ordnung? Jetzt kommen wir bald raus.“

Er schüttelte den Kopf. „Es wär besser gewesen, wenn ihr mich nie gefunden hättet!“

„Dann wärst du gestorben. Du siehst doch jetzt schon aus wie eine Leiche.“

„Nichts sey wie es gewesen und niemand sey hier, den ich kenne.“

„Vermutlich im Dorf?“

„Ich wollt die Burg nicht verlassen!“

„Das musst du aber, sei denn du bist der Besitzer.“

„Das sey ich.“

„So? Und warum hast du dann keinen Schlüssel?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich gehe zur Nachbarburg herüber und wollt fragen was geschehen sey.“

Ich schüttelte den Kopf. „Die Burg, die du meinst, steht nicht mehr. Sie ist eine Ruine.“

„Eyne was?“

„Es stehen nur noch ein paar Mauern.“

„Und die Menschen?“

„Da lebt keiner mehr.“

„Wer hätt sie denn zerstöret?“

Ich zuckte die Schultern und sagte leichthin: „Die Zeit und Kriege, keine Ahnung.“ Ich sah ihn an. Er wurde leichenblass.

„Die Zeyt?“, fragte er wispernd. „Das müsst viel der Zeyt gewesen seyn, seyt ich die Burg das letzte Mal gesehen hätt.“

„Du meinst, als du das letzte Mal die Nachbarburg gesehen hast, war sie noch heil?“

Er nickte heftig. „Natürlich.“

„Natürlich!“, äffte ich nach. „Weißt du, seit wann die Burg eine Ruine ist? Soweit ich weiß, seit mindestens vierhundert Jahren.“ Ich sah ihn strafend an. Er sollte nicht glauben, dass ich völlig bescheuert war.

Ein Geräusch an der Eingangstür ließ uns aufhorchen. Jemand schloss auf. Endlich. Ich konnte es kaum erwarten hier raus zu kommen und ein schönes Frühstück zu mir zu nehmen. Erwartungsvoll sah ich zur Tür, dem Führer oder der Kassiererin entgegen, egal wer kam, er oder sie waren mir recht. Die Tür öffnete sich und herein trat der Burgführer. Als er uns bemerkte, staunte er nicht schlecht.

„Wissen Sie, dass Sie seit beinahe zwei Tagen gesucht werden? Wie kommen Sie überhaupt hier herein?“ Herr Lesinski kam zu uns.

„Ich bin durch eine Falltür gefallen und er auch.“ Ich deutete mit dem Kopf auf meinen Begleiter. Er stand neben mir voll erleuchtet durch einen dicken Sonnenstrahl. Und plötzlich erkannte ich ihn. Er war es wirklich. Er war der Ritter ohne Namen! Mir war auf einmal ganz sonderbar zumute. Ich erinnerte mich daran, wie oft ich dieses Bild betrachtet hatte und wie sehr ich das Gefühl hatte, er würde mich ebenfalls beobachten.

„Was für eine Falltür?“

Ich versuchte mein Augenmerk auf den Burgführer zu richten. „Ich zeig sie ihnen.“

„Das wird noch ein Nachspiel haben.“

„Nicht für uns“, antwortete ich ihm patzig. Was fiel ihm ein? Wir hatten beinahe nicht mehr herausgefunden und er wurde noch frech und schob mir irgendwelche Schuld zu!

Ich wandte mich an meinen Ritter ohne Namen: „Wir gehen ins Lager, frühstücken und die anderen beruhigen.“

Er schien gar nicht richtig anwesend zu sein. Ich griff ihn am Arm und zog ihn mit mir. Den verständnislos blickenden Burgführer ließ ich stehen. Zügig ging ich aus der Halle in den Hof und die Treppe herunter in den zweiten Hof, in dem der mittelalterliche Markt aufgebaut war. Sie schliefen alle noch, die Stände waren noch verschlossen. Mein Ritter ohne Namen sagte kein Wort, während seine Augen verwirrt umherblickten. Ich ging weiter, vom Hof hinunter auf die angrenzende Wiese, auf der das Heerlager und die Zelte aufgebaut standen. Ich genoss die warmen Strahlen der aufgehenden Sonne, die meinen Körper erwärmten. Zielstrebig ging ich zu unserem Zelt.

Als ich keine zehn Meter mehr zu gehen hatte, wurde der Zelteingang zurückgeklappt und Mattes, Luisa und Leo traten heraus. Ich lächelte sie an.

„Alanis!? Wo warst du bloß?“ Luisa kam aufgeregt herüber gerannt. „Wir haben uns große Sorgen gemacht! Du hättest wenigstens anrufen können!“

„Hab´ ich´s nicht gesagt!“, bemerkte Leo höhnisch.

Mattes sagte nichts. Er beobachtete misstrauisch den Kerl, der bei Alanis stand.

Alanis und Luisa umarmten sich.

„Ich bin durch eine Falltür gefallen!“, sagte ich erklärend. Erst jetzt hier draußen im Sonnenschein wurde ich mir im Klaren darüber, dass ich leicht auch mein Leben hätte verlieren können.

Luisa sah sie entgeistert an. „Ist nicht wahr, oder?“ Sie bemerkte Alanis angeschlagenes Äußeres.

Ich nickte. „Doch. Ich würde doch nicht einfach so verschwinden, ohne dir Bescheid zu geben!“

„Wer ist er?“, fragte Luisa in einem Ton, der nicht sehr gastfreundlich klang.

„Das ist eine lange Geschichte, später.“ Ich konnte nicht hier zwischen Tür und Angel davon berichten.

„Kommt er vom Markt? Oder ist er ein Rollenspieler? Sieht ganz schön mitgenommen aus.“ Luisa wandte sich flüsternd um: „Und die Fingernägel!?“

„Er ist vorerst unser Gast.“

„Willst du die beiden anderen nicht erst fragen?“

Ich schüttelte den Kopf, meine Gäste konnte ich mir immer noch allein aussuchen.

Er schien wie unbeseelt, als wäre er nur eine Hülle, eine Puppe, die mit runden Augen in die Welt blickte und nicht wusste, was um sie herum wirklich geschah.

Ich griff ihn am Arm und zog ihn weiter zum Zelt. Leo machte Platz, wenn auch mit einem mürrischen Gesicht. Doch Mattes blieb vor dem Eingang stehen und sah mich herausfordernd an.

„Kennst du ihn?“

„Ja“, log ich, sonst würde er das Feld nicht räumen. Mattes kannte ich um so besser.

Mattes schüttelte den Kopf und trat widerwillig zur Seite. Ich zog den Eingang zum Zelt zu, schob den Ritter ohne Namen in Richtung meines Lagers und drückte ihn darauf nieder. Er ließ sich alles ohne ein Wort gefallen. Er benahm sich wirklich seltsam, seitdem er noch einmal durch die Burg gelaufen war. Ich sah ihn eindringlich an.

„Ich hole zu essen und zu trinken für uns, bleib bitte hier sitzen und warte auf mich.“

Er nickte, so schwach, dass ich es beinahe übersehen hätte. Schließlich ließ er sich nach hinten auf das Bett sinken, schloss die Lider, atmete ein paarmal tief durch und schlief auch schon ein.

Ich sah unschlüssig auf ihn herunter. Vorsichtig hockte ich mich vor ihn und berührte den zerschlissenen Stoff seines Obergewandes. Kaum dass ich fester daran zog, zerriss die Faser. Ich erschrak und sprang auf, ich wollte ihn nicht wecken. Aber meine Befürchtung schien unbegründet, er schlief tief und fest. Außer einem Bad, Nagel- und Haarpflege brauchte er neue Kleidung. Ich konnte kaum Mattes oder Leo fragen, so böse, wie sie mich angesehen hatten. Ich würde welche von meinen selbst genähten Gewändern nehmen, das war meine Sache. Ich erhob mich und ging nach draußen, wo noch immer die drei anderen standen und mich fragend anblickten. Ich musste es ihnen wohl erklären!

„Ich bin durch eine Falltür gestürzt.“

„Das hat Luisa uns schon erzählt“, antwortet Mattes muffelig. „Und er?“

„Ja, das ist nach wie vor sehr seltsam, er steckte auch da unten fest, so wie ich.“

„Du meinst, er war auch durch die Falltür gefallen?“

Sollte ich sagen, wie es wirklich gewesen war? Ich entschied mich dagegen, das war mir in diesem Augenblick viel zu anstrengend. Ich zuckte mit den Schultern.

„Dann muss er `ne ganze Weile länger da gesessen haben als du?“

Ich nickte und erwiderte den Blick von Mattes. Er hatte seine hellblauen Augen fest auf mich gerichtet.

„Ich gehe mich frisch machen, bevor ich etwas Essen und Kleidung besorge. Danach leg ich mich auch noch einmal hin, für `ne Stunde oder so.“ Ich wandte mich an Luisa. „Wärst du so freundlich beim Stand zu bleiben, bis ich komme?“

„Schon gut, lass dir Zeit. Es dauert ja auch noch ein paar Stunden bis zur Öffnung des Markttreibens. Wir gehen vorher noch schwimmen.“

Ich nickte und lächelte sie dankbar an. Ohne ein weiteres Wort ging ich meine Besorgungen machen. Während ich das Essen zusammenstellte, naschte ich bereits davon, ich merkte erst jetzt, wie ausgehungert ich war. Ich suchte ihm Kleidung zusammen und ging dann wieder zum Zelt.

Weder Mattes, noch Leo oder Luisa waren zu sehen. Sie waren wahrscheinlich bereits zum Baden gefahren. Ich trat ins Zelt. Er schlief noch immer. Einen Augenblick schaute ich auf ihn herunter, ehe ich die Sachen auf dem Schemel zurechtlegte und das Essen auf dem Klapptisch ausbreitete. Schließlich legte ich mich auf Luisas Bett, um zu schlafen.

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