Kitabı oku: «25XX: Eine SciFi-Saga (Neve Edition)», sayfa 2

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Verloren

Mit ausgestrecktem Arm versuchte er die Drohne auf Abstand zu halten und schlug mit der Hand des anderen Arms nach ihr. Elegant wich sie seinen Schlägen aus und stieß ununterbrochen das Warnsignal aus.

Was jetzt?

Renn weg!, rieten ihm seine Gedanken.

Ich kann nicht ewig davonlaufen!, musste er feststellen, bemerkte aber zugleich, dass sich sein Fluchtinstinkt nicht unterdrücken ließ. Der Drang, entkommen zu wollen, war das stärkste Gefühl, das er bis dato verspürt hatte.

Langsam näherte er sich der Tür, dicht gefolgt von der Drohne. Die meisten Leute hatten sich von ihm abgewendet.

Vor der Tür blieb er stehen – er verließ die Fähre nicht. Er schien auf etwas zu warten, er wollte den richtigen Moment abpassen. Kurz bevor die Schiebetür zuschnellen konnte, stürmte er hinaus. Gerade noch rechtzeitig konnte er seinen Fuß aus der sich schließenden Tür ziehen. Die Drohne raste hinter ihm her, krachte gegen die Scheiben der Schiebetür und schon im nächsten Augenblick raste die Fähre, mit der Drohne an Bord, davon.

Hastig blickte er sich um. Polizisten oder weitere Drohnen waren nicht in Sicht. Er rannte los, verließ die Landeplattform und hastete über das Plateau. Dabei stieß er unaufhörlich mit anderen Leuten zusammen, wobei diese oder er selbst manchmal zu Fall kamen. Unbeirrt rappelte er sich jedes Mal wieder auf und lief weiter. Schon bald verließ er das Plateau und bahnte sich seinen Weg durch die engen Gassen, die sich zwischen den Hochhäusern entlang zogen.

Zunächst traf er hier auf niemanden. Keine Polizisten, keine Bürger, keine Drohnen. Niemand schien sich hierhin zu verirren, in ein Gebiet, das am Grund der Häuserschluchten nur spärlich von Sonnenlicht erhellt wurde.

Willkürlich nahm er eine Abzweigung nach der anderen und durchquerte so allmählich diesen Sektor. Die Gänge bildeten ein engmaschiges Netz, das sich unendlich weit erstreckte. Je tiefer er in das Labyrinth zwischen den Häuserschluchten eindrang, desto mehr Müll, Schrott und Unrat begegnete ihm.

Bei der nächsten Abzweigung bog er nach rechts ab und stieß mit jemandem zusammen. Für beide kam der Zusammenstoß unerwartet, sodass sie zu Boden gingen und einen Augenblick wie paralysiert sitzen blieben.

Der Fremde fing sich als Erster und stand auf. Auf dem Kopf trug er eine silberne Kappe. Sie glänzte metallisch und sah nicht besonders bequem aus. Pan sah so eine Kopfbedeckung zum ersten Mal. Der lange Mantel, das Hemd und die Hose des Mannes – alles war schmutzig und die Farben verblasst. Der Fremde hatte eine groteske Erscheinung und Pan konnte ihn nicht einordnen, lediglich feststellen, dass er ebenfalls ein Mensch war. Und nicht mal in diesem Punkt war er sich sicher. Selbst die Robotereinheiten, die zum Haareschneiden und Rasieren kamen, sahen einem Menschen nicht unähnlich. Vielleicht war der verwahrloste Mann ein Humanoide.

»Was machst du hier?«, fragte der Mann und schaute misstrauisch auf den Arbeiter hinab. Pan wusste nicht, was er antworten sollte. Immerhin wusste er selbst nicht genau, was er an diesem Ort wollte. Er war auf der Flucht und diesen Umstand wollte er nicht preisgeben.

»Ich – muss«, begann er und zögerte kurz, »ich muss mich verlaufen haben. Wie … ich … ich werde wieder umdrehen.«

Der Fremde schaute skeptisch drein und musterte Pan aufmerksam.

»Du bist ein Arbeiter!«, stellte er fest und deutete auf Pans Kleidung. Erst jetzt erhob er sich vom Boden und klopfte den Staub und Dreck von seiner Kleidung ab.

»Ja«, antwortete er.

»Was machst du hier?«, fragte der Fremde erneut.

»Ich muss mich verlaufen haben«, wiederholte er und war sich nicht sicher, ob der Mann ihn zuvor verstanden hatte.

»Nein, ich meine, was machst DU hier? Was macht ein Arbeiter HIER?«

Pan verstand die Fragerei nicht, denn er glaubte, diese Fragen bereits zweimal beantwortet zu haben.

»Ich«, begann er, wurde aber zugleich unterbrochen.

»Jetzt sag nicht, du hast dich verlaufen«, sagte der Fremde. »Das habe ich schon verstanden und das glaube ich dir nicht!«

Fragend blickte Pan dem Mann in die Augen. Die Haut des Fremden hatte einen dreckigen, rußverschmierten Teint. Der Vollbart war nicht sonderlich lang, trotzdem war es für Pan ein ungewöhnliches Bild, eine längere Gesichtsbehaarung zu sehen.

Nach wie vor konnte er die Person nicht einordnen, seine neu gewonnen Gedanken mahnten ihn, vorsichtig zu sein und seine Flucht fortzusetzen.

»Also sagst du mir jetzt, was du hier machst?«

»Ich habe mich wirklich verlaufen. Nachdem ich mein Sektorschiff verpasst habe, wollte ich zu einem anderen Hangar gehen, um das Schiff noch zu erwischen. Ich dachte, dass ich am schnellsten wäre, wenn ich zu Fuß gehe und die Abkürzung zwischen den Häusern nehme«, reimte Pan sich zusammen und war ziemlich zufrieden mit seiner Geschichte.

Der Mann lachte und schüttelte den Kopf. »Das glaube ich dir nicht«, sagte er.

Pan fühlte sich nicht gut und abermals wurde der Drang zu fliehen in ihm mächtig. Er ging ein paar Schritte rückwärts, drehte sich um und rannte los.

»Warte!«, rief der Mann und nahm die Verfolgung auf. Pan hörte die Schritte des Fremden und er hörte, wie dieser immer näherkam. Vor der nächsten Abzweigung packte der ihn an den Schultern und bremste Pan aus. Danach drehte er ihn zu sich um.

Hinabgestiegen

Pans Herz schlug schnell und sein Puls raste. Die Flucht hatte ihr unausweichliches Ende gefunden. Er war vor den drei Polizisten aus seiner Wohnzelle geflohen, er konnte den rund zwanzig Beamten auf dem Hangarplateau entkommen und hatte es sogar geschafft, die Drohne auszuspielen. Und jetzt sollte ein einzelner Mann seine bislang erfolgreiche Flucht beenden? Zum wiederholten Mal hatte er das beklemmende Gefühl, seinem Schicksal einfach nicht entgehen zu können.

»Ich werde dir nichts tun«, sagte der Fremde mit beruhigender Stimme. »Ich bin nur verwundert, das darfst du mir nicht verdenken. Schon sehr lange ist niemand mehr, wie du, hier unten gelandet. Ich war fast so weit, zu glauben, dass das System fehlerlos arbeitet. Du bist der Beweis, dass dem nicht so ist.«

Der Mann sprach in Rätseln. Pan wusste nicht, von welchem System er redete und wofür er, Pan, der Beweis hätte sein sollen. Der Fremde klang euphorisch und lächelte, was zwar freundlich war, auf Pan jedoch befremdlich und abschreckend wirkte. Er hatte nie gesehen, wie jemand lächelte. Die Arbeit auf Europa war hart und wurde ohne viele Worte vollzogen. Allenfalls ein paar Anweisungen wurden erteilt oder Erfolge und Misserfolge gemeldet. Der Mann vor ihm unterschied sich so sehr von den Personen, mit denen Pan für gewöhnlich zu tun hatte, dass er die Angst vergas und die Neugier entdeckte.

»Ich verstehe nicht, wovon Sie da eben sprachen?«, sagte er.

»Nein – noch verstehst du es nicht, aber schon bald wirst du es!«, antwortete der Fremde und sprach weiterhin in Rätseln. Noch immer hielt er die Schultern des Arbeiters und lächelte ihn breit an.

»Was werde ich verstehen? Wofür bin ich der Beweis? Wer ist das System?«, fragte Pan. Seit dem Erwachen wurde er mit Fragen nur so bombardiert. Er selbst konnte sie nicht beantworten und jetzt gab es da jemanden, dem er sie stellen konnte.

»Das wirst du noch erfahren. Wir müssen erst mal weg von hier, wir müssen uns in Sicherheit bringen. Folge mir«, sagte der Fremde und ging vor. Pan zögerte eine Sekunde lang, doch dann folgte er dem Mann, nur um sich nicht mehr allein durchschlagen zu müssen und um endlich die ersehnten Antworten zu bekommen.

Das Alleinsein, die Tatsache, dass er nur bei der Arbeit Kontakt zu anderen Menschen hatte – war bislang kein Problem für Pan gewesen. Er hatte sich weder allein e unwohl gefühlt, noch bereiteten ihm die Anwesenheit von Menschen, egal, ob es eine kleine Gruppe oder größere Massen waren, Unbehagen. Pans begrenzte Gedanken hatten seine Emotionen stark eingeschränkt. Mit den neuen Gefühlen hatte er schwerer zu kämpfen, als mit der Gedankenvielfalt.

»Wohin gehen wir?«

»Wir sind gleich da«, antworte der Mann mit der seltsamen Kappe und lief zielsicher durch das Gewirr der Häuserschluchten. Berge aus Müll und Schrott türmten sich vor ihnen auf und immer häufiger mussten sie über eine gewaltige Ansammlung von Unrat steigen, sich durch kleine Spalten quetschen oder durch enge Rohre kriechen. Der Fremde wusste genau, wie sie zu gehen hatten, um den kürzesten Weg durch den Abfalldschungel zu nehmen. Pan versuchte zu erkennen, was die Trümmer einmal gewesen sein konnten. Häufig trafen sie auf scharfkantiges Metall – Bruchstücke, die aus dem meterhohen Kleinschrott hervorragten oder ihn unter sich begruben. Pan konnte auf einigen davon Teile einer Kennzeichnung sehen, wie er sie von den Sektorschiffen kannte. Erschrocken fuhr er erst zusammen und blieb danach wie erstarrt stehen. Von einer Erkenntnis getroffen blicke er himmelwärts. Oben, am Ende des Tunnels, der sich aus den steilen Hauswänden ergab, flogen die Autos, Fähren und anderen Personentransporter über ihren Köpfen hinweg.

»Warum bleibst du stehen? Wir müssen weiter!«, drängte der Mann.

»Wir werden erschlagen, wenn wir nicht sofort von hier verschwinden!«

»Dann müssten wir schon ziemliches Pech haben«, sagte der Mann gelassen. »Ich kenne zumindest niemanden, der schon Mal von heruntergefallenem Schrott erschlagen wurde.«

»Aber hier ist so viel …«, sagte Pan und sah sich in alle Richtungen um.

»Und das meiste davon liegt hier auch schon eine verdammt lange Zeit. Komm jetzt!«

Um mehr Gefühl für Zeit zu bekommen, versuchte er sich zuerst begreiflich zu machen, wie lange er auf dem Jupitermond Europa gearbeitet hatte. Sein Leben lang. Aber was bedeutete das? Wie lang lebte er denn schon? Eine Antwort darauf hatte er nicht. Ein Jahr hatte 365 Tage, das wusste er. Er wusste auch, dass zu jedem Ende eines Jahres, der Druck auf der Arbeit anstieg, und dass er viele dieser Jahre auf Europa verbracht hatte. Doch wie viele es an der Zahl waren, konnte er nicht sagen. Es war gar so, als habe sich jedes Jahr etwas in ihm wieder auf null zurückgestellt und einfach wieder von vorn begonnen.

»Wir müssen dort runter«, sagte der Mann und deutete auf ein kreisrundes Loch im Boden, »bis hierhin verirren sich nur die wenigsten, dort unten trifft man auf niemanden, der nicht zu uns gehört. Das ist der Zugang zur alten Kanalisation. Dieser Ort wurde vom System vergessen. Und genau darauf hoffen wir ebenfalls, vom System vergessen zu werden.« Der Fremde zwinkerte Pan zu, was dieser nicht verstand, betrat die erste Sprosse einer rostigen Leiter und stieg langsam hinab. Als er bis zur Brust im Loch verschwunden war, schaute er Pan ins Gesicht. »Hab´ keine Angst. Du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich deine Angst und Verwirrung sehr gut nachempfinden kann. Folge mir, wenn du Erklärungen für all das haben willst, was du gerade durchmachst.« Mit diesen Worten verschwand er auf der Leiter.

Langsam trat Pan an das Loch heran und blickte argwöhnisch in die Tiefe. Es war stockfinster und der Fremde wurde schon bald von der Dunkelheit verschlungen. Es fiel ihm schwer, Vertrauen zu fassen.

Du kennst ihn nicht, begannen seine Gedanken ihn zu warnen, er könnte dich in eine Falle locken! Kennst du seinen Namen, oder weißt sonst irgendetwas über ihn?

Aber er ist freundlich und könnte mir einen Ausweg zeigen. Ich hab noch nie so einen sonderbaren Menschen kennengelernt – er ist irgendwie anders. Außerdem kann er mir das alles erklären.

Er zögerte lange und schaute die Sprossen hinab.

Ob ich diese Leiter jemals wieder hinaufklettern werde?, fragte er sich und schluckte schwer.

»Na los, jetzt komm schon!«, rief der Mann. Die Stimme des Fremden war leise und hallte lange wieder. Dadurch konnte Pan gut abschätzen, wie tief es vor seinen Füßen hinabging. Abermals schluckte er und atmete tief ein.

Du kannst dich nicht länger allein durchschlagen. Entweder du vertraust dem Fremden oder du drehst um und lässt dich von der Polizei schnappen.

Er nahm all seinen Mut zusammen und betrat die Leiter. Während er die Sprossen hinabstieg und allmählich in der Finsternis versank, bereute er seine Entscheidung bereits wieder. Er hatte jedoch keine andere Wahl – er musste dem Fremden einfach vertrauen und wollte mehr über das System erfahren, von dem er gesprochen hatte. Wenn es etwas gab, das größer war als sein Fluchtinstinkt, dann war es die Neugier.

Die Luft wurde immer kälter und Pan schaute die Leiter hinauf. Obwohl er das Ende noch nicht erreicht hatte, war der Ausstieg inzwischen so weit entfernt, dass er das Licht mit seiner Hand des ausgestreckten Armes abdecken konnte. Es roch seltsam und die Luft war feucht.

Endlich hatte er den Boden erreicht und trat sogleich in eine Pfütze. Die Atmosphäre der nasskalten Umgebung legte sich wie eine Decke um seinen Körper.

»Entschuldigung«, sagte der Mann mit der seltsamen Kappe und schaltete eine Taschenlampe ein. »Ich hätte dir ja auch leuchten können.«

»Was ist das für ein Ort?«

»Das ist die alte Kanalisation – auch die Katakomben genannt«, wiederholte der Fremde. »Wir müssen hier entlang, folge mir.«

Auf beiden Seiten eines breiten Kanals führten dünne Wege an den gemauerten Wänden entlang. Manchmal führte eine schmale Brücke von der einen Seite des Tunnels auf die andere. Ein Geländer war nur stellenweise vorhanden und sonderlich vertrauenserweckend war es nicht. Das Wasser im Kanal stand still und sonderte einen furchtbaren Gestank ab. Pan konnte sich nicht ausmalen, warum man freiwillig diesen Ort hätte besuchen sollen. Es war dunkel, kalt und nass – es stank und das Atmen fiel schwer, weil die stickige Luft sich schwer auf die Lungen legte.

»Was ist eine Kanalisation?«

»Hier wurden früher die Abwässer der Häuser aufgefangen und zum Klärwerk weitergeleitet. Heute läuft das ja ein wenig anders ab«, erklärte der Mann.

Jetzt konnte er sich zwar den Gestank erklären, war von diesem Ort jedoch noch weniger angetan. Pan war angewidert und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum sich jemand aus freien Stücken dazu entscheiden sollte, hier hinunterzusteigen. Und doch war er, ganz freiwillig, diese Leiter hinuntergeklettert und befand sich an diesem ekelerregenden Ort.

»Warum sind wir hier unten?«

»Wir verstecken uns vor dem System«, antwortete der Fremde.

»Wieso? Was ist das System?«

»Das System ist einfach alles. Es besteht aus unheimlich vielen Teilchen. Bis vor Kurzem warst du selbst noch ein Teil von ihm«, sagte der Mann und blieb stehen. »Dies ist wahrlich kein schöner Ort, aber gerade deshalb ist er so sicher. Die alte Kanalisation gehört nicht mehr zum System und alles, was nicht zum System gehört, kann auch nicht von ihm erfasst werden. Außerdem haben wir in all der Zeit, die wir uns hier unten versteckt halten, große Teile der alten Welt einnehmen können.« Der Fremde schaute Pan an, während er sprach, und ließ den Schein seiner Taschenlampe auf den feuchten Boden fallen.

»Ich versteh das nicht. Von was für einer alten Welt sprechen Sie da eigentlich?«

»Du wirst es bald verstehen, glaub mir. Wie heißt du eigentlich?«, fragte ihn der Mann.

»Pan.«

»Ich heiße Nelson, und du kannst gern du zu mir sagen. Glaube mir, Pan, am Anfang ist das alles sehr verwirrend, aber du wirst es bald verstehen. Und dann verstehst du auch, warum wir uns hier unten verstecken müssen.«

Nelson leuchtete wieder den engen Gang entlang und gab Pan zu verstehen, dass sie nun weiter gehen sollten.

Die Kanalisation war ähnlich verzweigt und unübersichtlich aufgebaut, wie die darüberliegenden Häuserschluchten. Doch genau wie an der Oberfläche wusste Nelson auch im Untergrund, welcher Weg der richtige war und nahm zielgerichtet eine Abzweigung nach der nächsten.

Nach einer Weile stieg der Boden im Kanalbecken auf die Höhe der umlaufenden Gänge an. Der Kanaltunnel wurde zu einem rund vier Meter breiten Flur, der an einer massiven Metalltür endete.

»Wir sind da«, verkündete Nelson.

Abgeschirmt

Hinter der Tür lag ein kleiner, schwach beleuchteter Raum. Nelson schaltete seine Taschenlampe aus und winkte Pan zu sich heran. Als er über die Schwelle trat, verließ er den feuchten Steinfußboden und betrat ein Stahlgitter, das laut schepperte, während er darüber ging. Das Gitter gab stark unter seinem Gewicht nach und er war sich nicht sicher, ob es dem standhalten würde.

Nelson zog die Tür hinter sich zu und ging danach an Pan vorbei, der zu Boden und durch die Lücken im Gitter sah. Er wollte wissen, was ihn erwartete, wenn das Gitter ihn nicht aushalten sollte. Der Schein eines Lichtes erhellte den Bereich unter seinen Füßen und warf lang gezogene Schatten, die sich dezent vom dunkelgrauen Fußboden abhoben. Sonderlich tief würde ich nicht fallen, stellte er beruhigt fest.

Am Ende des Stahlgitters führte eine Treppe nach unten. Als er mit Nelson die Stufen hinabgestiegen war, lief er direkt auf die Quelle des Lichtes zu, die lediglich eine Reflexion war. In der Oberfläche eines Spiegels, der im Neunziggradwinkel zur Wand angebracht worden war, brach sich das Licht der Sonne, das durch einen umfunktionierten Luftschacht den Weg in den Untergrund fand.

Der Raum war vollgestellt mit verschiedensten Sitzgelegenheiten, die allesamt ramponiert und dreckig waren. Auf den meisten Stühlen, Bänken, Sesseln und Sofas saßen Leute. Manche unterhielten sich miteinander, andere hatten sich zusammengekauert und schliefen. Wieder andere beschäftigten sich mit eigentümlichen Gerätschaften.

»Setz dich«, sagte Nelson und deutete auf einen freien Sessel, der vor einem kniehohen Tisch stand. Nelson nahm auf einem Stuhl Platz und legte die Füße auf den Tisch. Neben den beiden befand sich noch eine weitere Person an diesem Tisch. Sie lag auf einem Sofa, mit dem Gesicht zur Rückenlehne. Pan stach die Kopfbedeckung des Mannes in die Augen. Er trug die gleiche Kappe, eine Art metallischer Helm, wie Nelson. Die reflektierten Sonnenstrahlen spiegelten sich in der glatten Oberfläche wider.

»Das ist unser Unterschlupf. Er macht nicht besonders viel her, aber auf der Erde ist es das sicherste Versteck vor dem System.«

»Wieso versteckt ihr euch hier? Warum könnt ihr nicht an der Oberfläche leben?«, fragte Pan.

»Wir könnten an der Oberfläche leben«, antwortete Nelson, »doch nicht in Freiheit. Dann wären wir ein Teil des Systems, und mit Leben hat das herzlich wenig zu tun.«

Pan verstand nach wie vor nicht, was Nelson ihm zu sagen versuchte. Ihm kam dieser Raum, die gesamte Kanalisation, nicht sonderlich befreiend vor. Viel mehr löste sie ein beklemmendes Gefühl aus.

»Wieso könnt ihr nicht frei sein? Was genau meinst du damit – frei zu sein?«

»Du bist gerade dabei zu verstehen, was Freisein bedeutet. Seit wann ist das so, dass du deine eigenen Entscheidungen treffen kannst – seit wann bist du befreit?«, fragte Nelson.

»Befreit?«

»Seit wann hast du diese Gedanken? Wann hast du dich dazu entschieden wegzulaufen?«

»Heute Morgen – nach dem Aufstehen.«

»Dann wundert es mich nicht, dass du so verwirrt bist. Du bist erst seit ein paar Stunden befreit - zumindest in deinem Kopf. Und das ist zunächst das Wichtigste. Denn nur wer im Kopf frei ist, kann sich auch anderweitig Freiheit verschaffen. Du musst verstehen, dass es jedem offen steht, zu tun, was er will. Das System verbietet keine eigenen Entscheidungen, sie unterdrückt sie ganz einfach. Du warst dein Leben lang ein Arbeiter, du wurdest dazu erzogen und bestens auf deine Aufgabe vorbereitet. Hattest du vor heute Morgen jemals den Wunsch, etwas anderes zu machen?«

»Nein«, antwortete Pan.

»Ganz genau und warum nicht?« Nelson nahm die Füße vom Tisch, stützte die Ellenbogen auf seine Oberschenkel und beugte sich auf dem Stuhl nach vorn.

»Ich weiß es nicht«, begann Pan und dachte erst danach einen längeren Augenblick nach. »Mir sind solche Gedanken nie gekommen. Ich habe jeden Tag, zu jeder Zeit, das absolut Selbe gemacht. Eben das, was man von mir verlangte. Ich stand um fünf Uhr auf, verließ meine Wohnzelle eine Viertelstunde später und traf um halb sieben auf Europa ein, um gegen sieben Uhr mit meiner Arbeit zu beginnen. Um zehn Uhr abends war ich dann wieder zu Hause, sprang unter die Dusche und legte mich schlafen. Und das Tag für Tag.«

»Warum hast du das getan, was man von dir verlangte? Hat man dich dazu gezwungen oder hast du es dir ausgesucht?«, fragte Nelson des Weiteren.

Wieder dachte Pan einen Moment lang nach, bevor er antwortete. »Das kann ich nicht beantworten. Gezwungen hat mich niemand. Ausgesucht habe ich mir es hingegen auch nicht. Ich wusste, was ich tun sollte und habe es getan.«

»Es ist so«, sagte Nelson, lehnte sich in seinem Stuhl wieder zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Dann holte er aus: »Jeder hat die freie Jobwahl und jeder darf sein erspartes Geld ausgeben, wofür er oder sie es möchte. Das System zwingt niemanden zu etwas, das betont es nur zu gern. Es lässt aber ebenso gern unter den Tisch fallen, dass die Auswahl des Möglichen extrem beschränkt wird. Wenn man seine Möglichkeiten nicht kennt, sich deren Existenz nicht mal bewusst ist, kann man sie unmöglich ausschöpfen. Dein Arbeiterlohn wurde jeden Monat auf ein Konto eingezahlt und die Kosten, die du verursachst, wieder abgebucht. Ein geringes Plus hat sich seither ansparen können und doch wusstest du bis heute nicht, dass ein Lohn und das Konto existierten. Das System ist verpflichtet, dich für deine Arbeit zu bezahlen, es fühlt sich aber nicht dazu verpflichtet, dich es auch wissen zu lassen.«

Pan hing gespannt an den Lippen von Nelson und versuchte angestrengt, seinen Worten zu folgen.

»Du hast dein Leben lang auf einem Mond gearbeitet. Du hast jeden Tag die Erde verlassen und die unglaubliche Weite des Alls gesehen. Trotzdem warst du zufrieden damit, in deiner kleinen Wohnzelle zu hocken und die Grenzen deines Daseins zu akzeptieren. Sicherlich hattest du zu anderen Personen Kontakt, die einer anderen Arbeit nachgingen. Doch niemals hast du dir ausgemalt, dass du selbst diese Person hättest sein können. Niemals hast du dir Gedanken darüber gemacht, wie dein Leben hätte aussehen können, wärest du kein Arbeiter auf dem Planeten Erde.« Nelson machte eine kurze Pause, dann fragte er: »Wieso bist du heute Morgen geflohen?«

Darüber musste Pan eine Weile lang nachdenken. »Am Anfang habe ich nicht ans Fliehen gedacht. Ich war mit mir selbst beschäftigt. Mit mir und meinen Gedanken. Erst als eine Sirene ertönte und drei Polizisten meine Wohnzelle stürmten, hab ich mich für die Flucht entschieden.«

»Weißt du, warum die Polizisten versucht haben, dich zu fangen?«, fragte Nelson.

Pan schüttelte den Kopf.

»Für Geld, viel Geld, kann man sich Teile seines Bewusstsein freischalten lassen und sich mehr Entscheidungsfreiheit kaufen. Nur jemand, der wohlhabend ist, kann sich diese Erweiterungen kaufen. Und nur jemand der einen gut bezahlten Job besitzt, kann sich irgendwann als wohlhabend bezeichnen. Damit ist es quasi unmöglich, sich als Arbeiter ein höheres Bewusstsein zu verschaffen. In Wahrheit gibt es nur eine geringe Anzahl Menschen, die ein Bewusstsein besitzen, das wie das unsere ist. Wie bereits erwähnt ist diese Art der bewussten Wahrnehmung an sich nicht verboten, jedoch muss sie beim System registriert und von ihm erworben worden sein. Ergo wird das eigene Bewusstsein vom System überwacht und kontrolliert und demnach ist man nie wirklich frei. Um es anders zu sagen, das System nimmt dir deine Freiheit, um dir eine Illusion davon teuer zu verkaufen.«

»Und wir sind vielleicht auch bald nicht mehr frei!«, sagte der Mann, der bislang zusammengekauert auf dem Sofa gelegen hatte. Er trug einen langen Mantel, ähnlich dem von Nelson.

»Was meinst du damit?«, fragte Nelson.

»Ich meine ihn damit!«, antwortete der Mann und zeigte mit dem Finger auf Pan.

»Was willst du mir sagen, Paul?«

Paul tippte mit seinem Zeigefinger gegen den Helm auf seinem Kopf.

»Scheiße!«, fluchte Nelson und stand ruckartig auf. Er lief zu einem Regal, das Pan bisher nicht aufgefallen war. Es stand im Schatten, an einer Wand des Raumes. Nelson suchte hektisch nach etwas und Paul schaute ihm aufmerksam zu.

Nach wenigen Sekunden kehrte er zurück. In der Hand hielt er einen weiteren Helm. Er streckte ihn Pan entgegen und sagte: »Setz ihn auf!«

»Wieso?«

»Setz ihn einfach auf«, fuhr Paul ihn an.

»Was ist das?«, fragte Pan skeptisch. »Was macht es mit mir?«

»Setz ihn erst mal auf, bitte«, bat Nelson.

»Jetzt mach schon!«, hetzte Paul.

Pan nahm den schweren Helm entgegen und setzte ihn zögerlich auf.

»Warum sollte ich den aufsetzen?«

»Das ist ein Schutzhelm. Ich hätte ihn dir sofort nach unserem Eintreffen geben sollen.«

»Das hättest du mal besser getan«, sagte Paul aufgebracht. »Was, wenn sie uns jetzt aufspüren?«

»Immer mit der Ruhe, wir sind noch nicht lange hier.«

»Wer könnte uns finden?«, fuhr Pan dazwischen.

»Das System«, antworte Nelson beiläufig und wandte sich wieder an Paul, »jetzt beruhige dich wieder. Das ist Pan, ich hab ihn an der Oberfläche getroffen. Es gab wieder einen Ausfall!«

»Denkst du, das habe ich nicht mitbekommen? Warum meinst du, dass ich wollte, dass er den Helm aufsetzt? Als ich wach wurde, hab ich dich reden hören. Ich verstand sofort, welche Gefahr du in unser Versteck gebracht hast – wieder einmal! Das ist bereits das zweite Mal! Du gehst zu leichtsinnig mit unserer Freiheit um! Als ob du nicht wüsstest, wie kostbar sie ist!«

»Entschuldigung«, sagte Nelson kleinlaut.

»Was ist denn los?«, fragte Pan, der die Aufregung nicht verstand.

»Du darfst es Paul nicht verdenken, aber er hat recht. Ich hätte dir den Helm bereits zu Beginn geben sollen. Nicht wenige von uns haben unser Bewusstsein dem Umstand zu verdanken, durch den auch du befreit wurdest. Ein Fehler war dafür verantwortlich, dass wir nicht länger vom System erfasst wurden. Wir vermuten, dass diese Ausfälle recht häufig vorkommen, die meisten jedoch schnell berichtigt werden. Das Opfer weiß nach der Wiedererfassung nichts mehr von diesem Vorfall. Die Erinnerungen daran werden einfach deaktiviert. Uns ist die Flucht gelungen – genau wie dir. Es ist eigentlich nicht sinnvoll die Flucht zu ergreifen, weil das System einen überall finden kann. Deine Gedanken, die Gedanken von jedem von uns, können gelesen und geortet werden. Das dauert oft etwas länger. Wir alle wären schon längst wieder ein Teil vom System, wenn wir die hier nicht hätten.« Nelson klopfte mit den Fingerknöcheln auf seinen Helm.

»Du sagst es, Nelson, und er hat seine Gedanken die ganze Zeit über nur so herausposaunt. Das war leichtsinnig und es würde mich nicht wundern, wenn es uns diesmal das Genick bricht.«

Paul wollte sich gar nicht mehr abregen und andere wurden auf ihn aufmerksam.

»Was ist denn los?«, fragte ein besonders verwahrloster Mann und setzte sich auf einen Stuhl neben Nelson.

»Das ist los!«, antworte Paul und deutete erneut auf Pan, der dies als sehr unangenehm und obendrein als äußerst unfreundlich empfand.

»Hi, John mein Name«, sagte der verwahrloste Mann und streckte Pan seine Hand entgegen.

»Pan«, erwiderte er.

Weitere Leute, darunter auch Frauen und Kinder, gesellten sich an den kleinen Tisch. Alle trugen die eigentümlichen Metallhelme und dreckige, bei Weilen beschädigte Kleidung.

»Wir sollten mit der Umsetzung unseres Planes vielleicht früher beginnen«, sagte Paul und schaute in die Runde.

»Wieso?«, fragten die Umstehenden im Chor.

»Was ist passiert?«, hörte man eine besorgte Frau fragen.

»Das, was uns schon einmal fast den Hals gekostet hat. Nelson hat diesen Flüchtling aufgeschnappt und ihn ohne einen Helm in unser Versteck gebracht.«

»Oh nein!«

»Was hast du dir nur dabei gedacht?«, fragte einer der Männer vorwurfsvoll.

»Nichts hat er gedacht, das ist ja das Problem«, antwortete Paul.

»Jetzt lasst doch mal gut sein«, beschwichtigte John.

Paul strich sich mit den Fingernägeln seiner rechten Hand über die Stoppel seines Dreitagebarts. Er schluckte die Worte herunter, die auf seiner Zunge lagen.

John hatte einen buschigen Vollbart und fuhr mit seiner Hand durch die zerzausten Haare.

»Wie früh willst du aufbrechen?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Paul und drehte sich zu dem Mann um, der ihm die Frage gestellt hatte, »So früh wie möglich. Wir wissen nicht, ob es ihnen gelingt seine Gedanken nachzuverfolgen, wir dürfen nicht davon ausgehen, dass wir abermals Glück haben.«

»Wenn es nach mir geht, können wir sofort aufbrechen«, sagte John.

»Geht es aber nicht!«, patzte Paul ihn an.

»Was hindert uns denn daran? Bislang haben wir es nur aufgeschoben, vielleicht ist das mit Pan nicht ohne Grund passiert, vielleicht ist es ein Zeichen«, sagte Nelson.

»Hörst du dir eigentlich selbst zu? Natürlich ist das nicht ohne Grund passiert. Du bist der Grund. Zum zweiten Mal bist du verantwortlich dafür, dass unserer aller Freiheit auf dem Spiel steht. Natürlich wollen wir unsere Gruppe vergrößern und Flüchtigen einen Unterschlupf bieten, jedoch nicht zu diesem hohen Preis!«

»Er könnte derjenige sein, von dem Leonard gesprochen hat«, sagte Nelson mit gedämpfter Stimme. Ein Raunen ging durch die Gruppe. »Es ist genau so, wie er gesagt hat. Ein Arbeiter ist gekommen und er wird den Aufbruch einleiten.«

»Er hat recht, Paul«, stimmten einige der Umstehenden Nelsons Worten zu.

»Ja, er ist ein Arbeiter – wie es so viele andere von uns auch waren, bevor sie hier herkamen. Das ist doch kein Beweis dafür, dass er derjenige ist, von dem Leonard sprach. Es ist nicht er«, wieder deutete Paul mit ausgestrecktem Finger auf Pan, »der den Aufbruch einleitet, sondern Nelson, mit einer Leichtsinnigkeit.«

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