Kitabı oku: «Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts», sayfa 4

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2. Konkretisierung des eigenen Ansatzes durch einen Rückgriff auf institutionenökonomische Erkenntnisse

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Wenn man einer strafrechtsimmanenten Ausarbeitung eines methodischen Individualismus kritisch gegenüber steht, so bietet sich als Ausweg ein die Disziplin des Rechts überschreitender Blick in die Wirtschaftswissenschaften an. Dort scheint die Mitte der 1970er Jahre eingeleitete Wende von kollektivistischen, holistischen Ansätzen hin zu stärker individualistischen Ansätzen mittlerweile unumkehrbar[76]. Dort hat sich gezeigt, dass der methodische Individualismus bislang am ehesten in der Lage ist, eine Theorie zu erstellen, die mit wenigen, aber vergleichsweise klaren Begriffen auskommt, dass er komplexe ökonomische Zusammenhänge in eher einfachen Modellen abbilden kann und dass er die eigenen Werturteile möglichst offen darstellt[77].

a) Die Grundidee institutionenökonomischer Wirtschaftstheorie und ihr methodologischer Individualismus

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Diejenige wirtschaftswissenschaftliche Strömung, die den methodologischen Individualismus bislang am weitesten entwickelt hat, ist die sog. Neue Institutionenökonomik[78]. Der Begriff der „Neuen Institutionenökonomik“ dient zur klassifikatorischen Abgrenzung vom sog. „amerikanischen Alten Institutionalismus“. Kernaussage der Neuen Institutionenökonomik ist zunächst, dass Institutionen (stark vereinfacht: Regeln für wirtschaftliches Handeln) für den Wirtschaftsprozess von Bedeutung sind[79]. Diese Aussage wird zwar auch von neoklassischen Wirtschaftswissenschaftlern nicht bestritten; die Neue Institutionenökonomik geht aber einen wesentlichen Schritt weiter. Sie geht davon aus, dass Institutionen dem Menschen nicht exogen vorgegeben sind. Die Institutionen werden als endogen und variabel betrachtet. Die Struktur der Institutionen wird wesentlich durch sog. Transaktionskosten – im weitesten Sinne also Kosten beim Eingehen und bei der Kontrolle der Durchführung von Vereinbarungen zwischen verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern[80] – beeinflusst. Der Neuen Institutionenökonomie liegt folgender gedanklicher Dreischritt zugrunde: Individuum – Vertrag – Institution oder in umgekehrter Reihenfolge Institution – Vertrag – Individuum. Der Begriff der Institution wird dabei – etwa nach Ostrom – definiert „als die Menge von Funktionsregeln, die man braucht, um festzulegen, wer für Entscheidungen in einem bestimmten Bereich infrage kommt, welche Handlungen statthaft oder eingeschränkt sind, welche Aggregationsregeln verwendet werden, welche Verfahren eingehalten werden müssen, welche Information geliefert oder nicht geliefert werden muss und welche Entgelte den Einzelnen entsprechend ihren Handlungen zugebilligt werden“[81]. Damit wird deutlich, dass Dreh- und Angelpunkt aller Bemühungen dieses Wissenschaftszweiges Überlegungen zu den Voraussetzungen individuellen Wirtschaftens sind – also genau jene Voraussetzungen, die auch die Basis des hier entwickelten Wirtschaftsstrafrechts bilden sollen[82]. Betrachtet man das Wirtschaftsstrafrecht nun aus einer externen, sozialwissenschaftlichen Perspektive im Sinne der Neuen Institutionenökonomik selbst als eine Institution von vielen, die den gemeinsam den Rahmen wirtschaftlichen Handelns bilden, so schließt sich letztlich die Kluft zwischen beiden anfangs so weit von einander entfernt erscheinenden Disziplinen[83].

b) Der Ausgangspunkt beim homo oeconomicus

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Ausgangspunkt der Rekonstruktion ist das Modell des homo oeconomicus. Die Ökonomik – vereinfacht: die Lehre vom rechten Wirtschaften[84] – weist dem Menschenbild des homo oeconomicus seit der um etwa 1870 beginnenden Neoklassik eine überragende Bedeutung zu[85] und beschreibt den Menschen (heute) als strategisch und am Eigeninteresse orientiert[86]. Der Begriff „strategisch“ steht in diesem Zusammenhang für die Fähigkeit, sich die möglichen Folgen unterschiedlicher Verhaltensweisen in Interaktionen vorzustellen und das Handeln, mit Bezug auf die jeweiligen Intentionen, an diesen Vorstellungen zu orientieren[87]. Der homo oeconomicus handelt aufgrund seiner eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit begrenzt rational. Die Einschränkungen seiner Wahrnehmungsfähigkeit verhindern, dass der homo oeconomicus alle Folgen seines Handelns ex ante exakt bestimmen kann, und zwingen ihn, sein Verhalten sich verändernden Situationen anzupassen. Das Modell des homo oeconomicus ist damit zugleich ein Modell zur Analyse von Entscheidungsprozessen und zur Interaktion mit anderen[88]. Die Ausrichtung des homo oeconomicus am Eigeninteresse wird heute nicht mehr als schlichte Verfolgung von Eigeninteressen verstanden, bei der Ausgangspositionen vollständig und freimütig bekannt gegeben und dann regelgebunden wechselseitige Zusagen erfüllt werden[89]. Das Eigeninteresse wird vielmehr opportunistisch verfolgt[90]. Opportunismus bedeutet insoweit die „listige Verfolgung des Eigeninteresses“. Der Begriff der List schließt auch krasse Formen wie Lügen, Stehlen und Betrügen ein, bezieht sich meist aber auf raffinierte Formen der Täuschung. Für das Recht bedeutet das, der homo oeconomicus nimmt, soweit dies für ihn folgenlos bleibt, auch einen Rechtsbruch in Kauf[91].

aa) Kritik am Menschenbild der Ökonomik

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So berühmt das Bild des homo oeconomicus zwischenzeitlich geworden ist, so heftig ist die Kritik, der es sich ausgesetzt sieht[92]. Gegenstand dieser Kritik ist vor allem die dem klassischen Bild des homo oeconomicus zugrunde liegende Anthropologie, die sowohl normativ als auch empirisch unhaltbar sei:

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Geradezu auf der Hand liegt der Hauptvorwurf, die Reduktion von Komplexität sei mit dem Bild des homo oeconomicus ins Extrem getrieben worden, so dass die wesentlichen Züge des Menschen verloren gegangen seien[93]. Die Kritik begnügt sich allerdings nicht mit solch einer grundsätzlichen Verwerfung des homo oeconomicus; sie richtet sich auch gegen die einzelnen Definitionsmerkmale selbst. Dies gilt zunächst für das Maß des von den Individuen angestrebten Eigennutzes. Uneinigkeit besteht hier darüber, ob erstens der homo oeconomicus sein Eigeninteresse maximieren oder lediglich befriedigen will, ob also das Maß des verfolgten Eigennutzes nicht seinerseits nach wirtschaftlichen Kriterien variiert, und ob zweitens nicht grundsätzlich von einer eingeschränkten Rationalität des Akteurs ausgegangen werden muss, ob also nicht „mehr harte Fakten der wirklichen Welt“ in die Theorie einbezogen werden müssen[94]. Die angedeuteten Schwächen können bereits am einfachen Fall des privaten Kapitalanlegers exemplifiziert werden, der sich mit dem Modell des homo oeconomicus nur schwer verarbeiten lässt.

Beispiel:

Obwohl beim privaten Kapitalanleger das erstrebte Eigeninteresse, die Realisierung einer gewissen Rendite, noch einfach zu definieren ist, hängt die konkrete Anlageform und damit das konkrete Verhalten von einer Vielzahl individueller Umstände ab. Solche Umstände sind etwa die Anlagedauer und die Verfügbarkeit des anzulegenden Kapitals, aber auch die eigenen Kenntnisse über den Kapitalmarkt, die Bereitschaft, die Anlage bei der Investition in einen stark volatilen Markt zu überwachen, die individuelle Risikobereitschaft und vieles mehr. Das Modell des homo oeconomicus versagt aber auch, wenn sich in dem Beispiel des Kapitalanlegers nicht nur eine, sondern mehrere Alternativen finden lassen, die das angestrebte Ziel bei gleichen Kosten in demselben Maße erreichen[95]. Vielleicht wird der Kapitalanleger sein Renditeziel anheben – damit wird das Modell des homo oeconomicus dynamisch; anstatt einer „bestimmten“ Rendite, versucht der Kapitalanleger in diesem Fall also eine „möglichst hohe“ Rendite zu erwirtschaften.

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Unanfechtbar scheint die Kritik am homo oeconomicus dort, wo sie durch empirische Untersuchungen zuverlässig reproduzierbare Anomalien in den Rationalitätsannahmen aufzeigen kann[96]. Dazu sollen Experimente gehören, in denen der homo oeconomicus als Proband irrationale Verlustaversionen zeigt und einem rational erwartbaren sehr hohen Gewinn, den nur hohen, dafür sicheren Gewinn vorzieht. Andere Beispiele bieten Situationen, in denen der homo oeconomicus „ethisch“ statt ökonomisch handelt, indem er etwa anonym spendet oder Trinkgeld gibt.

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Ob dieser Triumph wirklich unanfechtbar ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Vielleicht lassen sich aber gerade einige der angeblichen empirischen Anomalien doch rational durch Wahrnehmungsdefizite, durch Grenzinvestitionen in Informationen oder auch nur durch den abnehmenden Grenznutzen eines materiellen Gutes und der ab einem bestimmten Wohlstandsniveau angestrebten sozialen Anerkennung erklären[97].

bb) Sachgründe für das Bild des homo oeconomicus als Arbeitsmodell

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Der Umstand, dass die Ökonomik an dem Bild des homo oeconomicus in vielen Bereichen weiter festhält, hat andere Gründe und – um eine Vermutung gleich auszuschließen – die Gründe liegen nicht in einem Mangel an Alternativen[98]: Bereits die klassischen Ökonomen um Adam Smith haben den Menschen weitaus differenzierter gesehen[99] und selbstverständlich haben auch die Wirtschaftswissenschaften das Bild des homo oeconomicus angereichert[100]. Die bekanntesten dieser komplexeren Menschenbilder sind die des resourceful evaluative maximizing man (REMM)[101] und das der Soziologie entlehnte Bild des socialized, roleplaying, socialy sanctioned man (SRSM)[102]. Das REMM-Modell baut zunächst auf dem Bild des homo oeconomicus auf. Menschen sind danach zwar weiterhin rational und abwägend (evaluative) und versuchen weiterhin ihre Ziele maximal zu erreichen (maximizing); zugleich wird aber in Rechnung gestellt, dass sie kreativ und unberechenbar (resourceful) sind. Der resourceful man maximiert daher nicht nur monetäre, sondern auch nicht-monetäre Güter wie etwa Prestige, Selbstverwirklichung oder Freiheit[103]. Nach dem SRSM-Modell wird der Mensch als Person verstanden, die die Rollen ausfüllt, in denen sie sozialisiert wurde, und bei der innere (dem Gewissen entspringende) und äußere Sanktionen dafür sorgen, dass ihr Verhalten von den mit den Rollen verbundenen Erwartungen nicht abweicht[104]. Der Zweck dieser Menschenbilder besteht darin, die Menschen in ihren über die rein physiologischen Grundbedürfnisse hinausgehenden Zusammenhängen zu erkennen, ihre bestimmende Handlungsmotivation zu erklären und die Wohlfahrtswirkungen alternativer institutioneller Regelungen abzuschätzen. Über diese angereicherten Bilder des homo oeconomicus hinaus hat die Betriebswirtschaftslehre ihren Teilbereichen – namentlich der Organisation, Planung, Steuerung sowie dem Informations- und Rechnungswesen – angepasste, spezifische Menschenbilder entwickelt[105].

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Die Ökonomik hält an dem einfachen Bild des homo oeconomicus vielmehr aus Sachgründen fest und findet ihre Bestätigung auch in den neueren, insbesondere entscheidungs- und spieltheoretischen[106] Forschungen: Die ökonomische Theorie ist in ihrem Grundanliegen keine normative Wissenschaft[107]. Die Ökonomik bemüht sich um die Erklärung und Gestaltung von Situationen, die durch gemeinsame und konfligierende Interessen gekennzeichnet sind. Hier kann dann alles menschliche Verhalten so betrachtet werden, als ob man es mit Akteuren zu tun hat, die allein darauf ausgerichtet sind, ihren Nutzen zu maximieren[108]. Der Handelnde sieht sich in diesen Situationen einem Gegenüber ausgesetzt, das potentiell seine konfligierenden Interessen durchzusetzen versucht, sodass die Handelnden in dieser Situation zur „präventiven Gegenausbeutung“ greifen, also strikt ihre Interessen verfolgen. Gerade diese sogenannten Dilemmastrukturen begründen also den homo oeconomicus als ökonomisches Menschenbild. Der homo oeconomicus dient damit methodisch präzise zur Analyse von Handlungssituationen und damit der Situationslogik[109]. Er ist ein Modell und soll als solches nur begrenzte, aber „hinreichend“ genaue Aussagen liefern[110].

Gerade die Annahme des eigennützigen und individualistisch handelnden Menschen führt überdies zu jener wundersamen Koordination der individuellen Wirtschaftspläne, die bereits von Adam Smith als die „unsichtbare Hand“ des Marktes bezeichnet wurde[111]. Es ist gerade das individuelle Streben nach Mehrung der eigenen Güter, das den Einzelnen zur Produktion handelbarer Waren unter Erzielung eines bestimmten Gewinns verführt und damit eine wechselseitige Koordination der individuellen Erwartungen bewirkt. Aus der daraus folgenden Vorstellung einer natürlichen Ordnung resultiert dann nicht nur die Forderung an den Staat, sich aus dem Wirtschaftsleben soweit als möglich herauszuhalten[112]. Die Forderungen lassen sich für die verschiedensten Wirtschaftsbereiche und Einrichtungen des Wirtschaftslebens konkretisieren und werden im Detail vor allem durch die Neue Institutionenökonomik formuliert[113].

cc) Konkretisierung des Bildes des homo oeconomicus als Erklärungsmodell

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Soweit das Bild des homo oeconomicus als wirtschaftswissenschaftliches Erklärungsmodell dient, genügt es nicht, allein die Reaktionsmechanismen des homo oeconomicus zu beschreiben[114]. Ein solches Erklärungsmodell wäre unvollständig, bestünden nicht auch Annahmen über die Umwelt des homo oeconomicus und Modelle zur Erklärung von Verhaltensänderungen.

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Nach dem ökonomischen Verhaltensschema gibt es theoretisch nur drei Möglichkeiten, Änderungen im Verhalten eines Wirtschaftsakteurs zu erklären: die Änderung von Präferenzen oder von Restriktionen oder von beidem[115]. Der Begriff der Präferenz erfasst nicht lediglich einzelne vorübergehende Vorlieben, sondern bezieht sich auf „tiefer liegende“ letzte Ziele von Wahlhandlungen[116]. Unter dem Begriff der Restriktion wird die (Kosten)Struktur objektiver Anreizsituationen beschrieben[117]. Dazu gehören etwa das Einkommen einer Person, die Preise von Gütern und insbesondere die rechtlichen Rahmenbedingungen[118]. Als Umweltannahme wird eine Identität der Präferenzen aller Individuen zugrunde gelegt[119].

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Tatsächlich scheiden zwei von diesen drei theoretisch denkbaren Erklärungsmöglichkeiten aus: Den Wandel im Verhalten durch sich ändernde Präferenzen und Restriktionen zugleich zu erklären, wäre für eine modellhafte Analyse von Verhalten wenig brauchbar. Eine solche Erklärung würde die Bedeutung der einzelnen Faktoren für die konkrete Verhaltensänderung im Unklaren lassen. Der Versuch, Verhaltensänderungen allein durch Präferenzänderungen zu erklären, scheidet regelmäßig ebenfalls aus. So wird unterstellt, dass sich Präferenzen wesentlich langsamer verändern als Restriktionen und sie daher für die Analyse vernachlässigt werden können[120]. Darüber hinaus sind Verhaltensänderungen durch intrasubjektive Präferenzen auch nicht direkt messbar, sodass dieser Erklärungsversuch aus steuerungssystematischer Perspektive ohnehin unergiebig sein würde[121]. In vielen Modellen wird daher bereits a priori eine Invarianz (Stabilität) der Präferenzen zugrunde gelegt. Damit verbleiben als Arbeitshypothese für ökonomische Ansätze Situationen mit Restriktionsänderungen, also mit objektiv wahrnehmbaren Änderungen in den Anreiz- bzw. Kostenverhältnissen.

dd) Normprägende und normkritische Funktion sowie Grenzen des ökonomischen Menschenbildes

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Das Bild des homo oeconomicus hat daher in der heutigen Ökonomie vor allem zwei Funktionen: eine eher normative normprägende und eine eher analytische normkritische[122].

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In ihrer normkritischen Funktion führt die zentrale Verhaltensannahme des Opportunismus weder zu seiner positiven Deskription noch gar zu einer positiven Handlungsempfehlung, sondern dient als analytischer Maßstab vorhandenen Rechts. Der kluge Normgeber und -anwender muss danach die Norm selbst auf den homo oeconomicus als Adressaten ausrichten und in einer Weise formulieren, dass der Normbefehl auch im Verhalten des homo oeconomicus wirksam wird. Dies gilt erst recht, wenn mit einer bestimmten Art von Normen (zum Beispiel mit Sanktionsnormen) deutlich wahrnehmbare Anreizverhältnisse gesetzt werden sollen, da hier das Modell des homo oeconomicus besonders tragfähige Analysen anbieten kann[123]. Die Opportunismusannahme als konsequente Fortführung der Eigennutzprämisse bildet hier einen zentralen Faktor in der Rezeption des ökonomischen Menschenbildes in rechtlichen Überlegungen. Auch wenn der Mensch dort komplexer bzw. zumindest in einem anderen Zusammenhang gesehen werden muss[124], bleibt die Eigennutzprämisse ein wesentlicher Faktor bei der Formulierung und Implementierung normativer Steuerungselemente. So muss sich der Normgeber bereits bei der Formulierung der Norm gewiss sein, dass der homo oeconomicus Lücken im Normtext stets ausnützen wird. Bereits bei der Normsetzung sollten Normen daher auf Missbrauchsmöglichkeiten überprüft werden. Jenseits der Ebene der Normsetzung sollte auf der Ebene des Normvollzugs gewährleistet werden, dass die Norm in der Praxis auch effektiv durchgesetzt werden. So kann etwa neben der Sanktionshöhe auch die Zuständigkeit bestimmter Behörden für die Durchsetzung der Norm einen ganz wesentlichen Faktor für praktische Wirksamkeit einer Norm sein.

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Wichtig ist freilich, die Grenzen des ökonomischen Verhaltensmodells klar zu erkennen[125]: Weder darf die Aussagekraft dieses Ansatzes überschätzt werden, noch dürfen die Anomalien mit aller Gewalt des Systems wegen systemkonform interpretiert werden, noch darf man der Illusion unterliegen, durch das Design geeigneter Restriktionen bzw. Sanktionen jedes beliebige Verhalten bewirken zu können[126]. Würden die verschiedenen Anomalien des Modells durch zusätzliche Annahmen und Verfeinerungen des homo oeconomicus eliminiert, drohte das Modell des homo oeconomicus seinen empirischen Gehalt (die Aussagekraft über den Normalfall und das regelmäßig Erwartbare) zu verlieren[127]. Der Aussagegehalt ist zudem äußerst abstrakt. Selbst wenn alle Individuen in ihren Interaktionen mit anderen vollständig ihr Eigeninteresse verfolgen könnten, entstünde nur eine Situation, in der niemand schlechter gestellt werden könnte als zuvor (sog. Pareto-Optimum). Wie eine solche (pareto-optimale) Situation konkret aussieht, ist nicht vorhersehbar, denn theoretisch bestehen unendlich viele solcher Situationen.

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Normprägend ist der homo oeconomicus, soweit er möglichste Rationalität und die Verfolgung des eigenen Gewinnstrebens zur normativ verbindlichen Zielvorgabe des „guten“ Ökonomen macht[128]. So wird aus wirtschaftstheoretisch-systemimmanenter Perspektive von einem Händler erwartet, dass er Waren möglichst billig einkauft, um sie dann möglichst teuer zu verkaufen. Aus rechtlicher Perspektive würde der angestellte Kaufmann, der diese Prämisse missachtet, seine arbeitsvertraglichen Pflichten in rechtlich bedeutsamer Weise verletzen, vielleicht sein Arbeitsverhältnis gefährden und Schadensersatzpflichten auslösen oder in extremen Fällen sogar wegen Untreue strafbar sein. In diesem Sinne wird etwa in der gesellschaftsrechtlichen Literatur diskutiert, ob der Vorstand einer Aktiengesellschaft nicht sogar von seiner Legalitätspflicht gegenüber dem Unternehmen suspendiert sein soll, wenn ein Rechtsbruch dem Unternehmen nützt[129]. Das Gewinnstreben als normative Vorgabe könnte danach also in bestimmten Fällen sogar entgegenstehende rechtliche Vorgaben verdrängen und hätte demnach normativ sogar eine herausgehobene Bedeutung.

c) Aufnahme von Bezügen zu sonstigen Lebensbereichen – Hinweise auf die besondere Rolle des Wirtschaftsverfassungsrechts

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Potentieller Adressat strafrechtlicher Normen wird der homo oeconomicus erst dort, wo er mit anderen Individuen agiert und damit Teil einer Gesellschaft wird. Diese „Vergesellschaftung“ des homo oeconomicus ist daher konstitutiv für jedes Wirtschaftsstrafrecht. Wie genau die „Vergesellschaftung“ des homo oecomicus wirtschaftstheoretisch erklärt werden kann, ist (unter anderem) Gegenstand der folgenden Kapitel. Bereits an dieser Stelle soll aber auf die besondere normative Rolle des Wirtschaftsverfassungsrechts hingewiesen werden. Über das Wirtschaftsverfassungsrecht wird der homo oecomicus und das diesen betreffende Wirtschaftsstrafrecht zu den verschiedensten Lebensbereichen in Bezug gesetzt[130]. Aus dem Zusammenspiel der Berufsfreiheit beispielsweise mit der Glaubensfreiheit, der Freiheit der Forschung oder der Vereinigungsfreiheit ergeben sich wesentliche Aussagen für die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit hoheitlicher Beschränkungen und die widerstreitenden Interessen, die in eine praktische Konkordanz überführt werden müssen[131]. Das Wirtschaftsstrafrecht muss danach in einen Prozess der Konstitutionalisierung einbezogen werden, der andere Bereiche des Strafrechts längst erfasst hat und weit über die nationale Ebene hinausreicht[132]. Das heutige Wirtschaftsstrafrecht beschreibt daher das Wirtschaftsstrafrecht einer sozial korrigierten Marktwirtschaft[133]. Darüber hinaus wird der – in der Diktion von Weber[134] – zunächst „relativ offene“ Begriff Wirtschaftsstrafrecht dem alltäglichen politischen Prozess entzogen und damit zwar nicht in seiner Dogmatik, wohl aber in seinem materiellen Kerngehalt ähnlich änderungsfest wie das Wirtschaftsverfassungsrecht selbst[135]. Daraus folgt ein rechtstheoretisches Begriffsverständnis, das dem positiven Recht als kritischer Maßstab gegenüber steht und dieses hinterfragen kann.

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Indem das Wirtschaftsstrafrecht in diesen Konstitutionalisierungsprozess einbezogen wird, wird die Notwendigkeit, dieses Recht möglichst konsequent auf subjektive Rechte des Einzelnen zurückzuführen, nochmals bestätigt. Die Ausführungen zur Wirtschaftsverfassung werden zeigen, wie stark diese durch die Gewährleistungen der verschiedenen individuellen Freiheitsrechte geprägt wird. Der Rückgriff auf die einzelne Person bildet zugleich den entscheidenden Ansatz, mit dem eine Konvergenz[136] von (straf)rechtlichen und ökonomischen Steuerungsmechanismen hergestellt werden kann[137]. Der Hypertrophie überindividueller oder kollektiver Rechtsgüter wird damit entgegengetreten.

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