Kitabı oku: «Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts», sayfa 8
II. Strafrechtliche Steuerungsmechanismen
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Im Unterschied zum ökonomischen Ergiebigkeitsprinzip wirken rechtliche Steuerungsmechanismen nicht aus sich heraus, sondern über je nach Fall mehr oder weniger konkrete, von außen gesetzte Verhaltenserwartungen[250]. Der Normadressat soll Gesetze bereits deshalb einhalten, weil sie Gesetz sind, und unabhängig von dem Umstand, ob sie ihm persönlich unmittelbar oder auch nur mittelbar von Nutzen sind.
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Dies bedeutet freilich nicht, dass damit jede beliebige Verhaltenserwartung strafrechtlich durchgesetzt werden dürfte. Die Diskussion über das Maß der zulässigen strafrechtlichen Steuerung reicht zurück bis zu den Wurzeln des modernen Strafrechts[251] und in jüngerer Zeit betonte etwa Stratenwerth auf der Basler Strafrechtslehrertagung 1993, eine „Zukunftssicherung mit den Mitteln des Strafrechts“ habe die herkömmlichen rechtsstaatlichen Sicherungen einzuhalten, und Strafe bleibe an „differenzierte Regeln der Zurechnung gebunden“[252].
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Erst recht gilt dieses Monitum für ein Wirtschaftsstrafrecht, das seine Grundlage im frei wirtschaftenden Individuum, dessen Wohlergehen von eben diesen frei wirtschaftenden Individuen abhängt, findet[253]. Unabhängig von einem Verweis auf den Geist der Aufklärungszeit und der französischen Revolution, in dem diese scharfen Begrenzungen der staatlichen Strafgewalt entwickelt wurden[254], sind solche Schranken einem derartigen Wirtschaftsstrafrecht a priori immanent. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit jede strafrechtliche Steuerung abzulehnen wäre. Konsequenzen hat die Kriminalpolitik vielmehr insoweit zu ziehen, als sanktionenrechtliche Normen nur den äußersten Rahmen des individuellen Wirtschaftens eingrenzen dürfen[255]. Andererseits muss dieser Rahmen aber auch sanktionenrechtlich gesichert werden, soweit sich zivil- und sonstige öffentlich-rechtliche Steuerungsmechanismen als nicht hinreichend oder gegenüber einer strafrechtlichen Regelung nachteilig erweisen[256].
1. Die Strafe als elementarer strafrechtlicher Steuerungsmechanismus
a) Gegenstand und Begriff der Strafe
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Konnte für die Ökonomik das Ergiebigkeitsprinzip als elementarer Steuerungsmechanismus ausgemacht werden, so ist grundlegend für das Strafrecht die Sanktion[257]. Die Sanktion ist formal der letzte Bezugspunkt jeder strafrechtlichen Vorschrift, Diskussion und Normanwendung, durch die die Sanktion entweder im ersten Schritt abstrakt begründet oder in einem zweiten Schritt konkret einem Rechtssubjekt zugeordnet werden soll[258]. Rein rechtstechnisch formen die allgemeinen und besonderen Sanktionsnormen zusammen allein die Voraussetzungen, um ein Fehlverhalten mit Strafe ahnden zu können[259]. Die Sanktionsnorm fordert also nicht bestimmtes Verhalten und macht nicht einmal konkrete Vorgaben, wie sich eine Person zu verhalten hat. Sie ahndet zunächst nur einzelne unerwünschte Verhaltensweisen mit einem empfindlichen Übel und sorgt so für die handlungswirksame Anerkennung aufgestellter Verbote[260].
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Diese Zurückhaltung, grundsätzlich gerade kein bestimmtes Verhalten zu fordern, entspricht einer freiheitlichen Gesellschaft[261]. Für die Bundesrepublik ist diese allgemeine Handlungsfreiheit ausdrücklich festgeschrieben in Art. 2 Abs. 1 GG: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Auch der Schrankentrias der allgemeinen Handlungsfreiheit liegt lediglich die Überlegung zugrunde, dass die Handlungsfreiheit eine Begrenzung verlangt, die dem Einzelnen ein Mindestmaß an sozialem Verhalten abverlangt. Lediglich dieses absolute Minimum ergibt sich aus der von Binding beschriebenen gedanklichen Umwandlung der Strafgesetze in einen Befehl, in eine sog. Verhaltensnorm oder genauer: in eine Mindestverhaltenserwartung[262].
b) Votum für ein extensives Begriffsverständnis – Bestimmung des dominierenden Strafzwecks nach der konkreten Art der Tat
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Über die formale Bestimmung des Begriffs der Strafe hinaus finden sich in der Literatur vielfältige Versuche, die Strafe auch material näher zu bestimmen. Obwohl es sich bei dem Begriff der Strafe um den zentralen Begriff des Strafrechts schlechthin handelt[263], herrscht über seine materiale Bestimmung eine weitreichende Unsicherheit[264].
Diese Unsicherheit kommt zunächst in der Kontroverse der verschiedenen Straftheorien zum Ausdruck. Zwischen absoluten und relativen Theorien vermittelnd soll eine Vereinigungslehre die Grundlage des gesamten Systems bilden[265]. Die mit der Strafe verfolgten Zwecke bestimmen aber in jedem Fall ganz wesentlich den Gehalt der Strafe, soweit er über das bloße Zufügen eines empfindlichen Übels hinausgehen soll. Der Strafzweck als materialer Legitimationsgrund der Strafe beeinflusst maßgeblich deren kommunikativen Gehalt sowie ihre tatsächliche Ausgestaltung und damit das Sanktionensystem überhaupt[266]. Die entscheidende Weichenstellung folgt aus der Entscheidung, ob Strafe (auch) einen personalen Tadel oder (nur) ein rechts- oder sozialethisches Unwerturteil zum Ausdruck bringen soll[267], ob Strafe (auch) zur symbolischen Wiederherstellung eines Rechtsverhältnisses oder (nur) der Normbestätigung dienen soll[268] und ob Strafe weitere Nebenzwecke verfolgen darf[269].
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Zwar werden in der Strafrechtswissenschaft der Verbrechensbegriff und das Strafziel nicht selten getrennt voneinander behandelt, und auch die Kategorien der Straftat werden in der Regel eigenständig ohne ausdrücklichen Bezug auf die Strafzumessung entfaltet[270]. Dies ändert indessen nichts daran, dass jede nähere Deutung des Verbrechensbegriffs zumindest implizit die Vorstellung von einem konkreten Strafziel voraussetzt[271]. Dabei wird im vertikalen wie horizontalen Rechtsvergleich in jeder entwickelten Rechtsordnung zwischen verschiedenen Arten von Delikten unterschieden:
In fast jeder europäischen Rechtsordnung wie auch in der Rechtsordnung des anglo-amerikanischen common law findet sich die Unterscheidung zwischen Kriminalstrafen und Verwaltungssanktionen[272]. Für das deutsche Strafrecht kann auf die Unterscheidung zwischen Privatverbrechen, bürgerlichem Unrecht und Kriminalunrecht bei Kant und Hegel und das aus dem Kriminalstrafrecht ausgegrenzte Polizeistrafrecht bei Feuerbach verwiesen werden[273]. Noch heute wird de lege lata grundlegend zwischen dem Kriminalstrafrecht und dem Recht der Ordnungswidrigkeiten unterschieden. In jüngerer Zeit unterteilt – zum Teil als wegweisend charakterisiert[274] – Naucke das Strafrecht im weitesten Sinn in ein „echtes“ Strafrecht unter dem Postulat der Vergeltungsstrafe, dem ein Interventionsrecht gegenüber stehen soll, das kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen offen steht[275]. In der Folge grenzt er den Verbrechensbegriff stark ein und fasst unter das echte Strafrecht nur „vorsätzliche, mit Unrechtsbewusstsein begangene gewaltsame Angriffe auf Leib, Leben und Freiheit“. Abstrakt beschreibt er das damit erfasste Unrecht als Unrecht, das unabhängig davon ist, ob man in einer Demokratie oder einer Diktatur lebt, das so gesehen absolut sei und sich politischer Verfügung entziehe[276].
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Die vorstehenden Erwägungen zeigen jedenfalls, dass die Sanktion als Reaktion auf unwertes Handeln einen Sinngehalt hat, der maßgebend durch die Tat bestimmt wird. Je nach Tat fungiert Strafe als Instrument zum Schutz von elementaren Rechtsgütern, schützt Strafe Sicherheitsinteressen oder eine elementare Sozialmoral oder verwirklicht einen sozialen Ordnungsauftrag. Dies alles unter den einen Begriff des Strafrechts zu fassen, ist bei einem Verständnis des Begriffs der Strafe als Sanktionierung von unwertem Verhalten möglich, für die Entwicklung prinzipieller Zurechnungs- und Verantwortlichkeitsstrukturen aus Gründen der Praktikabilität der Rechtsanwendung wünschenswert und insbesondere im Kontext einer wirtschaftsstrafrechtlichen Abhandlung auch sachdienlich[277]. Jenseits dieses Grundverständnisses ist die Strafe material aber vielgestaltig, weshalb auch das Sanktionensystem insgesamt pluralistisch ausgestaltet ist.
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Damit verknüpft ist die Forderung nach einer Präzision bei der Strafrechtsanwendung im Einzelfall: Strafe als Vergeltung für die Verletzung elementarer Rechtsgüter, wie etwa der Tötung eines Menschen, fordert die schärfste Sanktion heraus, verlangt material eine möglichst präzise Zurechnungsdogmatik und prozessual die größtmögliche Gewährleistung der Beschuldigtenrechte. Bei einer Strafe als Reaktion auf einen bloßen Verstoß gegen gesamtgesellschaftliche Sicherheitsinteressen (z. B. den öffentlichen Frieden) oder elementare sozialmoralische Vorstellungen rückt das Element des sozialethischen Tadels in den Vordergrund, material liegt hier die Straftat möglicherweise im Vorfeld einer in der Außenwelt dokumentierten, dinglich fassbaren Rechtsgutsverletzung, dafür bleibt die Strafe in ihren Folgen begrenzt. Eine Sanktion gegen bloße Ordnungsvorschriften kann möglicherweise bereits bei einem rein objektiven und nicht mit individueller Schuld verknüpften Verstoß gegen eine Norm verhängt werden, entsprechend gering wird der kommunikative Gehalt der Strafe, die ihrem Betrag nach im Einzelfall – etwa bei einem massiven kartellrechtlichen Verstoß gegen die gesetzlich festgeschriebene Marktordnung – weit über der Geldstrafe einer Straftat liegen kann. Daraus folgt, dass auch Ordnungswidrigkeiten und Verwaltungsunrecht mit einem sozialethischen Unwerturteil belegt werden, der Gehalt dieser Aussage erschöpft sich aber (meist) in dem Tadel des Verstoßes gegen die Ordnung oder den Missbrauch einer bestimmten Institution[278].
c) Auseinandersetzung mit naheliegender Kritik
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Den Begriff der Strafe in erster Linie als sanktionierende Reaktion auf unwertes Handeln zu beschreiben, mag Kritik hervorrufen. Am nächsten liegt der Einwand Roxins, ein entsprechendes Strafrecht drohe unscharf zu werden, und die zu schützenden Rechtsgüter seien nur schwer fassbar[279]. Und wenn das Strafrecht erst seinen Bezug zu einem konkreten Rechtsgut verloren habe, bestehe die Gefahr, sich in bedenklicher Weise einem reinen Gesinnungsstrafrecht zu nähern[280]. Roxin ist freilich nicht der Auffassung, dass sozialgefährliches Verhalten von der Gesellschaft geduldet werden soll. Roxin erkennt das Bedürfnis einer staatlichen Intervention vielmehr ohne Weiteres an. Seine Kritik mündet letztlich in die Mahnung, eine Dogmatik und Zurechnungsstrukturen zu entwickeln, die insbesondere Ausdehnungen und Vorverlagerungen gerecht werden kann[281]. Diese Mahnung ist sicher auch für das Wirtschaftsstrafrecht berechtigt.
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Weiter geht die Kritik von Jakobs an modernen Entwicklungen des Strafrechts. Jakobs erkennt die Stabilisierungsprobleme moderner Gesellschaften und den daraus resultierenden Bedarf einer Garantie auch von Werten und des entsprechenden Wertekonsenses. Er will den Einsatz des Strafrechts in diesem Bereich aber auf „Legitimationskrisenzeiten“ beschränken und nennt es dann „Feindstrafrecht“[282]. Dieses „Feindstrafrecht“ müsse so deutlich vom „Bürgerstrafrecht“ abgesetzt werden, dass keine Gefahr bestehe, es könne per systematischer Interpretation oder Analogie oder sonst wie in das bürgerliche Strafrecht einsickern[283]. Diese Analyse des Istzustandes lässt freilich einige wesentliche Fragen offen: So erscheint zweifelhaft, wie sich die von Jakobs beschriebenen Legitimationskrisenzeiten auszeichnen. Dieser Frage soll an dieser Stelle nicht näher nachgegangen werden. Von Interesse ist hier nur, ob zu diesem Feindstrafrecht auch das Wirtschaftsstrafrecht zu zählen ist und dieses in seiner Anwendung auf besondere Legitimationskrisen unseres Wirtschaftssystems zu beschränken ist. Darauf deutet zunächst der Umstand hin, dass zu den von Jakobs kritisierten Normen auch Normen gehören, die typischer Weise dem Wirtschaftsstrafrecht zugeordnet werden[284]. Auch geht es im Wirtschaftsstrafrecht, das die Voraussetzungen von wirtschaftlichem Handeln des Einzelnen im konkreten Wirtschaftssystem schützt, letztlich um den Schutz eines Wertekonsenses und nicht um den Schutz naturgegebener Freiheiten. Da im Wirtschaftsstrafrecht die Legitimationskrise von Normen aber nicht zeitlich beschränkt, sondern aufgrund der dort herrschenden Dilemmasituationen strukturell angelegt ist, kann es sich nicht um typisches Feindstrafrecht handeln. Die Gesellschaft kann sich nicht auf Anreizstrukturen verständigen, denen die Neigung zum Rechtsbruch immanent ist, und diejenigen Personen, die diesen Strukturen folgen, zugleich als Feinde aus ihrer Mitte ausschließen. Es scheint also neben dem von Jakobs als „Feindstrafrecht“ bezeichneten Strafrecht durchaus Bereiche zu geben, in denen eine solch besondere Stabilisierung der Normen durch Strafrecht notwendig ist und dazu gehört auch das Wirtschaftsstrafrecht.
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Nach Hassemer könnte das Wirtschaftsstrafrecht tendenziell aus dem Bereich des Strafrechts auszuscheiden und einem von ihm für die Zukunft favorisierten außerstrafrechtlichen Interventionsrecht zugeordnet werden[285]. Ob eine Flucht in ein Interventionsrecht gegenüber dem tradierten Strafrecht verstanden als Kombination von Kriminal- und Verwaltungsstrafrecht tatsächlich vorzugswürdig ist, erscheint zweifelhaft. Letztlich sind es aus bürgerlich-liberaler Sicht doch gerade die rechtsstaatlichen Garantien, die das Strafrecht als Sitz der staatlichen Sanktionsgewalt so attraktiv machen, und deren Schutz auch bei der Sanktionierung von Verstößen gegen elementare individuelle Voraussetzungen wirtschaftlichen Handelns eingreifen sollte.
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Zuletzt bescheinigen verschiedene Autoren dem tradierten Strafrecht angesichts der Herausforderungen einer modernen Gesellschaft zumindest gravierende Unzulänglichkeiten und kritisieren eine „Flexibilisierung der überkommenen dogmatischen Strukturen“[286] sowie „neuartige organisationsbezogene Betrachtungsweisen“[287]. Diese Kritik beinhaltet – wie schon die Kritik Roxins – positiv gewendet die Aufforderung, die rechtsstaatlichen Zurechnungsgrundsätze zu bewahren und Strafrecht nur dort einzusetzen, wo rechtlich missbilligte Gefahrschaffungen individuell zugeschrieben werden können. Das aber ist ein Anliegen, dem an dieser Stelle nur zugestimmt wird und dem auch die folgenden Ausführungen gewidmet sind.
2. Die besondere Bedeutung des Handlungsunrechts gegenüber dem Erfolgsunrecht bei der Begründung von Strafe
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Verboten kann nur sein, was prinzipiell verbietbar ist. Verbietbar ist nur, was einer normativen Steuerung zugänglich ist, also nur eine menschliche Verhaltensweise[288]. Der rein tatsächliche Eintritt des Erfolges scheidet dagegen als Verbot per se aus[289]. Das traditionelle Strafrecht scheint an diesem Punkt inkonsistent, hängt die Strafbarkeit doch beim dominierenden vorsätzlichen Erfolgsdelikt – soweit nicht bereits der bloße Versuch strafbar ist – gerade vom Eintritt des Erfolges ab[290]. Tatsächlich handelt es sich dabei aber nur um eine scheinbare Inkonsistenz.
Gerade der Erfolgseintritt dokumentiert das Gewicht des Normverstoßes und fordert damit den Einsatz des Strafrechts in besonderem Maße heraus[291]. Bereits Hans Welzel hat pragmatisch den Erfolg als den äußeren Umstand qualifiziert, der die Behörden in der Rechtswirklichkeit zum Einschreiten veranlasst[292]. Welzel hat außerdem darauf hingewiesen, dass der Erfolg einen intensiveren Deliktswillen oder eine besondere Sorgfaltswidrigkeit indiziert[293].
Auf tiefere Wurzeln deutet möglicherweise der Verweis auf dem Strafrecht eigene atavistische Momente der Vergeltung – Vergeltung für das in der Gestalt des tatbestandlich umschriebenen Erfolgs eingetretene Übel[294]. Das Übel – und also der Erfolg – würde damit gar zur Voraussetzung von Strafrecht. Weniger dramatisch könnte der schlichte Hinweis darauf klingen, die Gesellschaft hätte sich seit Macchiavelli[295] daran gewöhnt, Handlungen nicht als solche, sondern nach ihren Konsequenzen zu beurteilen. Begründen lässt sich eine solch konsequentialistische Betrachtung der Straftat über den bloßen Verweis auf Gewohnheiten hinaus aus dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit. Der grundlegende Gedanke der allgemeinen Handlungsfreiheit in einer aufgeklärten Gesellschaft erlaubt grundsätzlich riskante Handlungen, wenn und solange daraus kein Schaden entsteht[296]. Nur riskantes Verhalten ist ein Verhalten, dem die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts anhaftet, ohne dass sich das Schadenspotential zu einer Gefahr spezifiziert hat. In diesem Fall kann damit noch nicht prognostiziert werden, dass es bei ungehindertem Verlauf mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden kommen wird, sodass es in der Regel an einer Grundlage für ein Verbot eines solchen Verhaltens und für Maßnahmen zur Gefahrenabwehr fehlt[297].
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Nur riskantes Verhalten an sich kann im Einzelfall zwar eine Abweichung vom normativ erwünschten Verhalten – z. B. ein Verstoß gegen Vorsorgepflichten – und eine Regelübertretung sein; es ist aber grundsätzlich noch kein strafwürdiger Abfall von elementaren Rechtsgeboten. Das „nur riskante“ Verhalten ist demnach ein Fall, in dem die Rechtsordnung aufgrund „mangelnden Interesses“ grundsätzlich nicht intervenieren will[298]. Die besondere Bedeutung des Erfolgs – und normativ des Erfolgsunrechts – ist damit nicht nur gewohnheitsrechtlich-atavistisch oder prozessual abgesichert, sie ist material fundiert.
Die Schwere des Pflichtverstoßes, der besondere Deliktswille oder die besonderen Vergeltungsbedürfnisse aufgrund des Erfolgseintritts werden dadurch nicht als Konsequenzen einer auf sonstigen Prämissen beruhenden Dogmatik[299] desavouiert. Sie finden vielmehr Eingang in die Bewertung der Strafwürdigkeit des Versuchs, bilden dort aber nur einige der maßgebenden Faktoren.
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Zusammengefasst gilt also: Die traditionelle Aufgabe des Strafrechts als hoheitliches (Teil)Instrumentarium zur Aufarbeitung von Konflikten setzt den Verletzungserfolg als Auslöser für den zu bewältigenden Konflikt regelmäßig voraus, wenn nicht ausnahmsweise bereits die typisierbare und hinreichend konkretisierte Gefahr einer Rechtsverletzung ein strafrechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem Handelnden, der Gemeinschaft und dem Gefährdeten entstehen lässt[300].
3. Die Steuerungsfunktion des Tatbestandes
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Auf welche Weise welchen Interessen straf- bzw. sanktionenrechtlicher Schutz gewährleistet werden soll, entscheidet sich zunächst durch die Festlegungen im Straftatbestand[301]. Dazu hat die Rechtswissenschaft ein differenziertes Instrumentarium ausgearbeitet, das sich grob in Erfolgs- bzw. Verletzungsdelikte einerseits und Gefährdungsdelikte andererseits unterscheiden lässt und einen wesentlichen Teil der Überlegungen zur Unterscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsunrecht widerspiegelt[302].
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Dementsprechend drücken vorsätzliche Verletzungs-, Fahrlässigkeits- oder Gefährdungstatbestände unterschiedliche Verhaltenserwartungen aus: Der Normadressat darf sein Verhalten im ersten Fall nur nicht final, wissentlich oder billigend auf den Eintritt des Erfolges einrichten. Im zweiten Fall darf der Erfolg nicht einmal durch objektiv unvorsichtiges Verhalten herbeigeführt werden. Zuletzt wird bereits die bloße Gefahrschaffung als Abfall vom Recht qualifiziert. Eine erste Konkretisierung erfahren die Verhaltenserwartungen im Rahmen des Tatbestandes und weitergehend des Unrechts. Auf der Ebene der Schuld und Strafzumessung werden ergänzend die Defizite in der Person des Täters in den Blick genommen, um letztendlich ein die Sanktion begründendes Gesamturteil über das tatsächliche Geschehen bilden zu können[303].
Diese Deliktsgruppen nachfolgend in allen Einzelheiten darzustellen, ist an dieser Stelle nicht möglich, sodass nur die Grundstrukturen dieser Deliktskategorien in ihrer spezifisch steuerungsdogmatischen Funktion erörtert werden. Bei Fragen der Schuld, des Irrtums oder der Strafzumessung stehen dagegen spezifisch steuerungsdogmatische Erwägungen üblicherweise eher im Hintergrund, sodass sie an dieser Stelle unbehandelt bleiben.