Kitabı oku: «Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts», sayfa 9

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a) Analyse der Steuerungsmechanismen des Verletzungsdelikts

aa) Verletzungsdelikte als Verbote jeglicher zurechenbarer Rechtsgutsverletzung

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Den Prototyp des Straftatbestandes bildet das sog. Erfolgs- bzw. Verletzungsdelikt[304]. Verletzungsdelikte sind Tatbestände, bei denen der Erfolg typischerweise in einer von der Täterhandlung räumlich und zeitlich getrennten Verletzungswirkung besteht. Geschützt sind grundsätzlich konkrete Individualinteressen, wie Leib und Leben Einzelner, Eigentum und Vermögen, die Fortbewegungsfreiheit oder der Ehranspruch einer Person. Es können aber auch Gemeinschaftsinteressen geschützt werden, wie etwa bei der Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB)[305]. Sanktioniert der Gesetzgeber den Eintritt einer solchen Verletzung mit Strafe, wird jedes Verhalten unter Strafe gestellt, das diesen Verletzungserfolg in zurechenbarer Weise bewirkt. Bestraft wird, weil ein (straf)rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen wurde und sich dieses Risiko in der tatsächlichen Gutsverletzung realisiert hat[306]. Verboten sind damit alle Handlungen, denen ein bestimmtes Risiko der Erfolgsverursachung innewohnt. Jedermann muss demnach bei allen seinen Tätigkeiten Sorge tragen, dass diese Erfolge nicht herbeigeführt werden.

bb) Beschränkung der Sanktionierung fahrlässiger Gefahrschaffungen auf überragende Rechtsgüter

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Der den Verletzungsdelikten eigene strafrechtliche Steuerungsmechanismus ist damit freilich erst unvollkommen erfasst: Bliebe es bei dieser rein objektiven Beschreibung des Unrechts, wären die in den Tatbeständen umschriebenen Interessen zwar umfassend geschützt, gleichzeitig wären allerdings die Handlungsfreiheiten der Normadressaten in unerträglicher Weise eingeschränkt. Eine Sanktion würde nämlich bereits dann eingreifen, wenn ein Täter gehandelt hätte, ohne das Rechtsgut verletzen zu wollen oder die Gefahr auch nur zu erkennen. Soll diese unbewusste Fahrlässigkeit für die Begründung einer Strafe ausreichen[307], so kann sie überhaupt nur mit dem Schutz überragend wichtiger Güter legitimiert werden[308]. Rechtstatsächlich entspricht dem die Konzentration auf Fälle der fahrlässigen Tötung sowie der fahrlässigen Körperverletzung. Die Grenzen werden allerdings recht schnell deutlich, wenn man sich – die fahrlässige Nötigung unter Strafe gestellt – den Fall denkt, dass ein Arbeitgeber unter Verkennung der einschlägigen Rechtslage seinen Arbeitnehmer unter Ausübung nicht unerheblichen Druckes dazu drängt, auf ihm zustehende Ansprüche – wie zum Beispiel Auslandszuschläge für eine Geschäftsreise – zu verzichten. Kritisch zu beurteilen sind auch weit gefasste Fahrlässigkeitstatbestände im Umweltstrafrecht, wie z. B. die fahrlässige Gewässerverunreinigung gem. § 324 Abs. 3 StGB.

cc) Beschränkung auf rechtlich missbilligte und sich aufdrängende Gefahrschaffungen im Übrigen – besondere Problematik subjektiver Beschränkungen im Wirtschaftsstrafrecht

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Soll der Einzelne in die Lage versetzt werden, von seiner allgemeinen Handlungsfreiheit in stärkerem Maße Gebrauch zu machen, wird man mehr[309] verlangen müssen. So kann man etwa bereits objektiv eine besondere Qualität der Handlung dahin einfordern, dass nur solche Handlungen tatbestandsmäßig sind, die als besonders missbilligte Gefahrschaffung den Erfolg in objektiv zurechenbarer Weise herbeigeführt haben[310]. Subjektiv kann man als Untergrenze fordern, dass sich die mit einem bestimmten Verhalten verbundene Gefahr in besonderem Maße aufgedrängt hat[311], dass der Einzelne den Eintritt des Erfolges als möglich oder wahrscheinlich erkannt hat[312] oder dass er den Eintritt des Erfolges zumindest voluntativ gebilligt hat[313].

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Speziell im Wirtschaftsstrafrecht kann man freilich selbst diese Untergrenze – unabhängig davon, wo sie genau gezogen wird – hinterfragen. Greift man wieder das Bild des homo oeconomicus auf, so ist dieser in seinem Handeln extrem folgenorientiert und kalkulierend. Die abstrakte Möglichkeit, dass sich ein ein Rechtsgut schädigendes Risiko realisiert, wird der seine Handlungsfolgen kalkulierende homo oeconomicus zumeist erkennen. Wenn er eine Handlung gleichwohl vornimmt, dann hat er auch die Möglichkeit eines Fehlschlags im Sinne einer Rechtsgutsverletzung in die Kalkulation aufgenommen und sich mit der Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung abgefunden.

Befürwortet man daher für das gesamte Strafrecht einheitliche Mindestbedingungen für vorsätzliches Handeln, so muss man sich darüber im Klaren sein, dass dieser Kategorie im Wirtschaftsstrafrecht eine allemal geringere Ausscheidungsfunktion zukommt als in anderen Kriminalitätsfeldern. In der Rechtsprechung wird diesem Umstand dadurch Rechnung getragen, dass insbesondere an die Feststellung des Billigungselements bei Vorliegen eines Eventualvorsatzes (zumindest bereichsweise) erhöhte Nachweisanforderungen gestellt werden[314].

dd) Vorverlagerungen der Steuerungswirkung durch die Strafbarkeit des Versuchs – Besonderheiten in wirtschaftsstrafrechtlichen Fallkonstellationen

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Wenn der Täter weiß oder zumindest für möglich hält, dass sein Verhalten ein tatbestandlich geschütztes Rechtsgut verletzen kann, bedarf es doch andererseits einer Begründung, weshalb der tatsächlichen Rechtsgutsverletzung eine grundsätzlich strafbarkeitsbegründende Funktion zukommen und der Versuch nur unter bestimmten weiteren Umständen (§ 23 Abs. 1 StGB) strafbar sein soll. Der Gedanke der Verhaltenssteuerung würde an sich eine Begründung für die Strafbarkeit der (nur) versuchten Tat erst gar nicht verlangen, da mit der Vornahme der (straf)rechtlich missbilligten Handlung der hinreichende Beitrag des Täters bereits erbracht ist[315].

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Ein – freilich schwacher – Legitimationsversuch könnte historisch argumentierend darauf verweisen, dass die tatsächliche Verletzung herkömmlich erst den äußeren Anlass für das öffentliche Einschreiten und in der Folge den Ausspruch der Sanktion gegeben hat[316]. Heute ist es geläufig, den Strafgrund des Versuchs subjektiv in der Betätigung des rechtsfeindlichen Willens[317], in dem Eindruck der Tat auf die Allgemeinheit[318] oder objektiv in der (konkreten) Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts zu suchen[319]. Der Wert dieser Ansätze wird wiederum vor dem Hintergrund der individuellen Freiheitsinteressen deutlich: Die Anerkennung der allgemeinen Handlungsfreiheit mit dem daraus resultierenden Recht des Einzelnen auf Freiheit seiner Person schützt den Einzelnen vor staatlichen Zugriffen, solange aus seinem Verhalten keine Gefahren für Dritte resultieren[320]. Der Eintritt des Erfolgs dokumentiert regelmäßig eine solche Gefahrschaffung und wird damit zur grundsätzlichen Voraussetzung, um das Verhängen einer Sanktion insgesamt als verhältnismäßig erscheinen zu lassen. Die Versuchsstrafbarkeit für schwerwiegende Delikte als Strafbarkeit der erst im Ansatz dokumentierten Gefährlichkeit fügt sich in dieses Konzept dann als eine wegen der besonderen Bedeutung des Rechtsguts noch verhältnismäßige, weitergehende Inanspruchnahme des Einzelnen ein[321]. Im Bereich vor einer dokumentierten Gefährlichkeit sind indessen selbst weniger einschneidende präventive Eingriffe der Hoheitsgewalt nur unter engsten Voraussetzungen zulässig; Raum für repressives Vergehen besteht unterhalb dieser Einschrittsschwelle nicht[322].

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Der Gedanke eines solchen, in der gesetzlichen Regelung des Versuchs zum Ausdruck kommenden Interessenausgleichs kann aber noch – unter anderem – zwei weitere Eigenheiten der Versuchsdogmatik erklären: die Vorverlagerung der Strafbarkeit (zeitlich) vor die tatbestandsmäßige Handlung sowie die durchweg mildere oder gar nicht erst eintretende Sanktion, wenn der Täter nach dem Überschreiten des Versuchsstadiums Handlungen vornimmt, um den Eintritt des Erfolges zu verhindern.

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So darf die Hoheitsgewalt schon wegen ihres Schutzauftrages gegenüber dem angegriffenen Rechtsgutsträger oft nicht zuwarten, bis der Täter die tatbestandsmäßige Handlung tatsächlich vornimmt. Andererseits darf der Zugriff auf den Täter nicht beliebig in den Bereich der Vorbereitungshandlungen hineinreichen. Insbesondere unter prozessualen Aspekten wären bei einem zu frühen Zugriff auf den Täter Beweisprobleme hinsichtlich der tatsächlich beabsichtigten Tat vorprogrammiert, die der Effizienz des Strafverfahrens als Verfahren zur Sanktionierung von unerwünschten Verhaltensweisen kontraproduktiv wären.

Angesichts dieser komplexen Interessenlage ist es schwierig, den Zeitpunkt, bis zu dem die Versuchsstrafbarkeit vorverlagert werden sollte, allgemeingültig festzulegen. Kriterien hierfür sind die räumlich-zeitliche Nähe zur tatbestandsmäßigen Handlung, die objektive Neutralität bzw. der objektiv-deliktische Sinnbezug einer Handlung, die Tätervorstellung und der Grad der persönlichen Entschlossenheit; in Grenzbereichen wird man über eine Kasuistik nur schwer hinauskommen. Gerade im Wirtschaftsstrafrecht gehört der Umgang mit Risiken indessen oft zur täglichen Arbeit. Wo Risiken eng mit der Berufsausübung verbunden sind, kann daher nicht jede Gefahrschaffung zur Überschreitung der Versuchsschwelle ausreichen. So kann organisatorisch zwar an einzelnen Punkten ein erhebliches Risiko geschaffen worden sein, an anderer Stelle können aber zugleich Maßnahmen ergriffen worden sein, um die Realisierung dieses Risikos zu verhindern. Dabei kann sich aus der Arbeitsteilung durchaus ergeben, dass Risikoschaffung und Maßnahmen zur Risikovermeidung personell auf unterschiedliche Stellen aufgeteilt sind. Notwendig ist in diesen Fällen stets eine Gesamtbetrachtung aller Umstände. Andererseits können der stereotype Ablauf der Ereignisse und feste Produktionsketten dazu führen, dass sich schon weit im Vorfeld des eingetretenen Schadens vorgenommene Manipulationen planmäßig in einem Erfolg niederschlagen. Ein Versuch kann hier also auch gegeben sein, obwohl bei einer naturalistischen Betrachtung eine räumlich-zeitliche Nähe zu einer Rechtsgutsverletzung noch nicht festgestellt werden kann. So kann etwa in der wissentlichen Auslieferung schadhafter Fahrzeugtanks bereits der Versuch einer Körperverletzung an potentiellen Unfallopfern liegen, auch wenn mit dem Auftreten der ersten gravierenden Unfälle erst in einigen Monaten zu rechnen ist[323].

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Ähnliche Erwägungen legitimieren die Strafmilderung bzw. -losigkeit beim Rücktritt vom Versuch: Insbesondere in Fällen, in denen die Strafbarkeit des Versuchs auf Verhaltensweisen jenseits der tatbestandsmäßigen Handlung vorverlagert wurde, scheint es konsequent, wenn der Täter straflos bleibt oder zumindest milder bestraft wird, falls er aus autonomen Gründen von der weiteren Begehung der Tat ablässt. Gründe, die eine normale Versuchsstrafe rechtfertigen würden, sind hier nicht mehr ersichtlich; Handlungs- und Erfolgsunrecht sind nicht verwirklicht worden und selbst ein Gesinnungsunrecht wird häufig nur in ganz abgeschwächter Form vorliegen. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es außerdem vorzugswürdig, den Strafausschluss- bzw. -milderungsgrund gesetzlich zu normieren und so mit Gewissheit zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen und nicht lediglich im Rahmen der reinen Strafzumessung zu berücksichtigen. Dagegen erscheint gerade im Wirtschaftsstrafrecht angesichts des in der Regel sehr rational handelnden Tätertyps die Hoffnung, ein Täter würde allein aufgrund des Angebots der Straffreiheit zum Ablassen von der Tat motiviert oder er würde mit dem Rücktritt seine Rechtstreue unter Beweis stellen[324], weniger berechtigt als in anderen Kriminalitätsbereichen. Der homo oeconomicus wird schließlich bereits per definitionem als Menschentyp verstanden, der den Rechtsbruch in Kauf nimmt, wenn ihm dies nur mit hinreichender Sicherheit zu seinem eigenen Vorteil gereicht.

ee) Die Erweiterung der Strafbarkeit über den unmittelbar Handelnden hinaus auf weitere Personen – grundlegende Besonderheiten des Wirtschaftsstrafrechts

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Versteht man die Versuchsstrafbarkeit als die Ausdehnung der Strafbarkeit über den Bereich der Tatbestandsverwirklichung hinaus, liegt es nahe, die Erweiterung der Strafbarkeit über den unmittelbar Handelnden hinaus als Ausdehnung der Straftat auf weitere Personen zu verstehen. Dieser sozialen Dimension kommt im Wirtschaftsstrafrecht deshalb besondere Bedeutung zu, weil der isoliert handelnde Einzelne in diesem Feld die Ausnahme darstellt. Regelmäßig ist der Einzelne hier in komplexere Funktionszusammenhänge eingebunden. Die Grenzen, bis zu denen dann eine strafrechtliche Zurechnung erfolgen kann, lassen sich im Ansatz auf eine entsprechende Weise gewinnen wie beim Versuch:

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Ausgangspunkt ist wieder die allgemeine Handlungsfreiheit und deren Einschränkung aus Gründen des Allgemeinwohls und damit das Prinzip, nach dem eine Haftung für fremdes Verhalten grundsätzlich abzulehnen ist. In die Handlungsfreiheit zeitlich früher agierender Personen kann also regelmäßig nicht eingegriffen werden, wenn deren Verhalten nur über (bewusstes) deliktisches Verhalten eigenverantwortlicher Dritter zu Güterbeeinträchtigungen führen kann[325]. Grenzen werden zum einen dort zu ziehen sein, wo dieses Handeln nach seiner subjektiven Zwecksetzung und seinem objektiven Sinnbezug dazu dient, deliktisches Verhalten Dritter zu ermöglichen oder zu fördern oder Dritte durch ein Verhalten erst zu ihrer Tat zu bestimmen. Ein gesetzlich normiertes Beispiel für diesen Grundsatz findet sich in den §§ 26, 27 StGB. Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit muss freilich eingeschränkt werden, soweit der zeitlich früher Handelnde die Aufgabe übernommen hat, Abläufe, in die auch eigenverantwortliche Personen integriert sind, zu organisieren, zu koordinieren oder zu unterbinden. Wichtig kann dieser Gedanke im Wirtschaftsstrafrecht insbesondere für Personen mit Leitungsbefugnissen werden. So kann auch die fehlerhafte Ausübung von Leitungsbefugnissen zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen, obwohl die den Erfolg unmittelbar verursachende Handlung von einem eigenverantwortlich Handelnden Dritten verursacht wurde. Entscheidend ist damit, wie die individuellen Handlungsfreiheiten gegeneinander abgewogen und wechselseitig ausgestaltet werden müssen, damit insgesamt der größtmögliche wechselseitige Vorteil bei noch tolerierbaren Risiken realisiert werden kann[326].

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Eine bedeutende Konkretisierung solcher Erwägungen zur allgemeinen Handlungsfreiheit, zur Beschränkung der Verantwortlichkeit auf das eigene Verhalten und die eigenen Erkenntnismöglichkeiten sieht die herrschende Auffassung im sog. Vertrauensgrundsatz[327] : Danach darf jeder Verkehrsteilnehmer auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der anderen vertrauen und muss sich nicht auf verkehrswidriges oder unvernünftiges Verhalten anderer einstellen[328], solange dieses Vertrauen objektiv nicht erschüttert ist[329].

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Der Vertrauensgrundsatz wurde von der Rechtsprechung zunächst für den Bereich des Straßenverkehrsrechts entwickelt[330], später aber verschiedentlich auch auf Sachverhalte arbeitsteiligen Vorgehens übertragen[331]. Zur Konkretisierung des Vertrauensgrundsatzes für die einzelnen Formen der Arbeitsteilung ist freilich insgesamt noch wenig Arbeit geleistet worden[332].

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Im Ausgangspunkt dürfte Folgendes gelten: Hilfspersonen tragen die Verantwortlichkeit für die ihnen übertragene Hilfstätigkeit und deren Gefahrenpotential für die durch die Verletzungsdelikte geschützten Güter. Leitungspersonen sind zuständig für die Organisation, Koordination und Kommunikation in den von ihnen geleiteten Arbeitsprozessen[333].

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Im Allgemeinen ergeben sich gerade im Wirtschaftsstrafrecht die konkreten Verantwortlichkeiten aus den typischen Berufsbildern und den Aufgabenbeschreibungen in den Arbeitsverträgen. Diese Faktoren müssen daher juristisch-konstruktiv ebenso angemessen erfasst werden wie die faktische Arbeitsverteilung, die betriebliche Übung, die informelle Organisation des Unternehmens und in einem Unternehmen geltende Verhaltenskodices.

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Wer eine sachliche Gefahrenquelle zu überwachen hat, muss dafür Sorge tragen, dass von dieser Sache keine Gefahren ausgehen. Schwieriger ist der Umfang von Überwachungspflichten in Bezug auf andere Personen zu beschreiben: Roxin schlägt etwa als Leitlinie vor, dem kompetentesten Mitwirkenden im Hinblick auf andere Beteiligte nur so viele Überwachungspflichten aufzuerlegen, wie er ohne Gefahr einer Vernachlässigung seines persönlichen Arbeitsanteils erfüllen kann[334]. Praktisch hat ein solcher Maßstab freilich wenig leitende Funktion. Zum einen lässt diese „Leitlinie“ gerade offen, in Bezug auf welche Beteiligte welches konkrete Maß an Überwachung notwendig sein soll. Zum anderen ist auch der Begriff der Überwachung wenig spezifisch. Überwachung wird in den Wirtschaftswissenschaften gemeinhin als Oberbegriff verstanden und umfasst die Aspekte der Kontrolle und der Prüfung bzw. Revision[335]. Eine Prüfung soll vorliegen, wenn eine Überwachungsmaßnahme von einer Person durchgeführt wird, die vom zu überwachenden Prozess oder Verantwortungsbereich weder direkt noch indirekt abhängig ist. Sie ist zwar eine an sich der Betriebsführung zukommende Aufgabe, wird jedoch in der Regel an betriebsinterne oder -externe Sachverständige delegiert. Von Kontrolle spricht man dagegen, wenn die Überwachung durch die mit der Ausführung der Aufgabe befassten Personen vorgenommen wird. Kontrolle und Prüfung haben zwar beide die Funktion, Abweichungen festzustellen. Ob die Abweichung aber noch rückgängig zu machen ist, hängt nicht von der Art der Überwachung, sondern von der Art des betroffenen Betriebsprozesses ab. Das Kriterium der Überwachung erfasst die strafrechtlichen Verantwortlichkeiten damit allenfalls unzureichend[336]. Insoweit werden im Rahmen der vorliegenden Untersuchung eingehendere Untersuchungen vorzunehmen sein[337].

b) Analyse der Steuerungsmechanismen des Gefährdungsdelikts

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Der moderne Gesetzgeber neigt immer stärker dazu, anstelle klassischer Verletzungsdelikte Gefährdungsdelikte zu normieren[338]. Von wissenschaftlicher Seite sind diese Delikte erst in jüngerer Zeit verstärkt erforscht und insgesamt noch deutlich weniger durchdrungen worden als die Verletzungsdelikte[339].

aa) Gefährdungstatbestände als Tatbestände zur Durchsetzung der demokratisch festgelegten Allokation von Risiken in konkreten Erfahrungsräumen

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Zur näheren Untersuchung der Gefährdungsdelikte ist die Unterscheidung zwischen abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten geläufig. Im Schrifttum wird zum Teil innerhalb der abstrakten Gefährdungsdelikte deskriptiv zwischen konkreten Gefährlichkeitsdelikten, Eignungsdelikten, Kumulationsdelikten, Vorbereitungsdelikten und rechtsgutslosen Delikten differenziert[340] und versucht, für jede Deliktsgruppe die maßgebenden Legitimationskriterien zu spezifizieren[341]. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den einzelnen neuen Deliktstypen ist bislang aber nicht gelungen und auch das kritische Potential ist für die hier im Vordergrund stehende Diskussion individueller Handlungssteuerung gering.

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Zieschang weist in seiner Untersuchung der Gefährdungsdelikte auf das Problem hin, dass einige Gefährdungsdelikte so weit gefasst sind, dass sie im Einzelfall auch bloße Verstöße gegen Form- und Ordnungsvorschriften erfassen[342]. So pönalisiert etwa das Unerlaubte Betreiben von Anlagen im Sinne von § 327 Abs. 2 StGB im Grunde die Nichteinhaltung behördlicher Genehmigungsverfahren ohne Rücksicht auf aus einem Verstoß gegen diese Pflichten resultierende echte Gefahren für die Umwelt[343]. In ähnlicher Weise pönalisiert § 283 Abs 1 Nr. 7b StGB die Nichteinhaltung handelsrechtlicher Bilanzvorschriften, ohne dass sich dadurch die Position der Gläubiger tatsächlich verschlechtern muss[344]. Mit Blick auf die oben angedeuteten verschiedenen kommunikativen Gehalte der Strafe sind solche Straftaten bedenklich. De lege ferenda wäre es vorzugswürdig, solche Verhaltensweisen nicht als Straftaten, sondern als Ordnungswidrigkeiten zu bestrafen, und sich wieder vermehrt der Technik der sog. unechten Mischtatbestände zu bedienen[345]. Beispielhaft kann insoweit auf § 2 WiStG verwiesen werden: Danach sind Straftaten gem. § 1 WiStG als Ordnungswidrigkeiten zu behandeln, wenn die Tat ihrem Umfang und ihrer Auswirkung nach nicht geeignet ist, die Verwirklichung der Ziele, denen die in § 1 WiStG genannten Rechtsvorschriften zu dienen bestimmt sind, merkbar zu beeinträchtigen[346].

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Kindhäuser sieht – zum Teil im Anschluss an Binding[347] – das Wesen des Gefährdungsdelikts im Schutz von Vertrauen und Sicherheit[348]. Dabei sind Vertrauen und Sicherheit insoweit austauschbar, als der Begriff des Vertrauens den psychologischen Reflex auf ein objektives Datum der Sicherheit darstellt. Die psychologisierende Betrachtung führt also insoweit in die falsche Richtung, als damit, soweit eine positive Verletzung des Rechtsgutes beschrieben werden soll, der grundlegende Unterschied zwischen Verletzung und Gefährdung aufgegeben wird. Kindhäuser geht daher einen richtigen und entscheidenden Schritt weiter und untersucht die Bedeutung von Sicherheit im Rahmen sozialer Interaktion: Die von den Gefährdungsdelikten geschützte Sicherheit ist danach dann gefährdet, wenn ein Verhalten die durch die Gesellschaft festgelegte Verteilungsordnung von Risiken verletzt[349]. Gefährdungsdelikte dienen also dazu, die demokratisch festgelegte Allokation von Risiken strafrechtlich durchsetzen zu können.

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Zu diesem Zweck stellen Gefährdungsdelikte im Gegensatz zu den allgemeinen Verletzungsdelikten auf einen konkreten Erfahrungsraum ab[350]. Sie sind auf spezifische Ereignisse fokussiert und berücksichtigen deren zeitlichen, örtlichen und sozialen Kontext.

Beispiele für Erfahrungsräume:

Die Gefahr des Todes oder einer lebensgefährlichen Gesundheitsschädigung, wenn jemand in hilfloser Lage ausgesetzt oder im Stich gelassen wird; die Gefahr einer erheblichen Störung des individuellen Rechtsfriedens, wenn eine Person mit der Begehung eines Verbrechens bedroht wird; Gefahren durch große Brände oder Umweltverschmutzungen, die geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu schädigen; der Umgang mit gefährlichen Stoffen und das Verhalten in für eine moderne Industriegesellschaft notwendigen Institutionen, wie etwa in einem funktionierenden Waren-, Kapital- oder Arbeitsmarkt.

Der Gesetzgeber kann und muss dem Einzelnen hier genau sagen, welche Pflichten er zu erfüllen und welche Handlungen er zu unterlassen hat[351]. Jakobs gelangt daher zu dem Schluss, die Normen der abstrakten Gefährdungsdelikte hätten oft die Funktion, die Normgeltung von Verletzungsverboten flankierend zu sichern und die Abweichung von Standards zu sanktionieren[352]. Das Gefährdungsdelikt ist damit die typische Deliktsform des Nebenstrafrechts.

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Der Strafgrund des Gefährdungsdelikts liegt in der Vornahme einer (straf)rechtlich missbilligten Handlung, der ein typisches Gefährdungspotential immanent ist[353]. Das Verbot betrifft einzelne Handlungen oder auch nur einzelne Handlungsweisen, denen rechtlich nicht tolerierte Verletzungsrisiken innewohnen[354]. Der Einzelne muss demnach Sorge tragen, dass er diese Verhaltensweisen nicht an den Tag legt, da ihm insoweit kein äußerer Freiraum zusteht[355].

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