Kitabı oku: «Gefällt mir!», sayfa 2
»Da, schau, das musst du dir geben, das Video!«
»Hahaha, wie geil. Gibt’s noch mehr von denen? Ich könnt mir das stundenlang anschauen.«
Ich hatte keine Ahnung, was sich die beiden da gerade auf dem Smartphone ansahen, aber ihr Gespräch brachte mich trotzdem auf eine Idee. Ich hatte die ganze Zeit nur überlegt, wie ich ein noch verrückteres Foto hinbekommen könnte. An die Möglichkeit eines Videos hatte ich bis jetzt noch überhaupt nicht gedacht. Dabei war es doch ganz simpel: Wenn ich die Leute schon mit einem verrückten Foto zu einem Like animieren konnte, dann musste mit einem verrückten Video doch noch viel mehr drin sein, oder?
Apropos verrückt, ich muss damals wirklich einen besonderen Schub gehabt haben. An einem der folgenden Wochenenden lernte ich in einer Disco ein junges Mädchen kennen. Später vertraute sie mir an, dass sie nur deshalb auf mich aufmerksam geworden war, weil ich in betrunkenem Zustand alleine auf der Tanzfläche eine so abgedrehte Performance hinlegte.
»Ich hab noch nie gesehen, dass jemand alle seine Arme und Beine so unrhythmisch gleichzeitig bewegt. Was ist das nur für ein Volltrottel?«, dachte sie sich. Ich bemerkte ihre Blicke und entschloss mich zu einer charmanten Kontaktaufnahme: »Was schaust du so deppat? Wenn du schon deppat schaust, dann kannst du auch was trinken.« Mit diesen Worten begann ich Kerstin, so hieß sie nämlich, schwer lallend auf einen Drink nach dem anderen einzuladen, wobei ich nicht mitbekam, dass sie jedes Glas, das ich ihr brachte, im Blumentopf ausleerte, weil sie als Autofahrerin nichts trinken durfte. Ich hingegen trank fröhlich weiter, weshalb ich mich am nächsten Tag auch an nichts mehr davon erinnern konnte.
Das klingt zugegeben alles nicht danach, als ob ich mit meinem Verhalten besonders positiv bei Kerstin in Erinnerung geblieben wäre. Aber es ist wie bei meinen gestörten Facebook-Fotos: Irgendetwas muss ich dabei wohl richtig gemacht haben, denn bald darauf wurden Kerstin und ich ein Paar. Wir hatten dann noch ein romantisches zweites Treffen, das für mich eigentlich das erste war, weil mir der Alkohol unsere tatsächliche erste Begegnung nachhaltig gelöscht hatte.
Vielleicht war ich von diesem freudigen Ereignis ein bisschen abgelenkt, auf jeden Fall beschloss ich, mir die Sache mit dem Video noch ein wenig aufzuheben. Ich wollte mit den Fotos weitermachen, von denen viele meinten, sie müssten dem Hirn eines Irren entsprungen sein und vielleicht gerade deshalb auf den »Gefällt mir«-Button drückten. Das sah dann zum Beispiel folgendermaßen aus: Ich ging mit einer riesigen Regentonne zu McDonald’s und fotografierte mich neben der Getränkeausschank: »Es hat geheißen, man darf nachfüllen, so oft man will.« Ich klebte mir mein Handy mit einer Menge Tape ans Ohr und fotografierte mich damit auf dem Fahrersitz meines Autos: »Jetzt hab ich endlich auch eine Freisprecheinrichtung und muss nicht mehr 50 Euro zahlen, wenn mich die Polizei erwischt.« Ich machte ein Foto, auf dem mich Kerstin mit Hundehalsband und Leine spazieren führte und ließ sie darunter schreiben: »Böse Zungen behaupten, der Marco sei jetzt wieder an der kurzen Leine. Ich finde, sie ist lang genug.«
Fast mit jedem Foto, das ich machte, vergrößerte sich die Zahl an Likes und Kommentaren, und zusätzlich bekam ich immer mehr Freundschaftsanfragen von Menschen, die ich überhaupt nicht kannte. Die Leute wurden auf mich aufmerksam, weil Freunde von ihnen meine Bilder gereposted hatten, und jetzt schickten sie mir Freundschaftsanfragen, damit sie in Zukunft keinen meiner Streiche mehr verpassten. Ich ließ mir immer wieder etwas Neues einfallen und beschränkte mich nicht auf bestimmte Themen oder Abläufe. Auf diese Weise machte es mir selbst am meisten Spaß und gleichzeitig gelang es mir so, die verschiedensten Menschen anzusprechen.
Tipp: Beschränk dich in den sozialen Medien nie nur auf ein Thema, denn die Leute suchen Abwechslung. Lass dir immer wieder Neues einfallen, dann wird deine Fanbase wachsen.
Nach wie vor spannte ich immer wieder Berni und andere Freunde ein, um mir bei den komplizierteren Aktionen zu helfen, und auch Kerstin konnte ich oft überreden, bei meinen Spinnereien mitzumachen. Aber ich merkte ganz genau, dass niemand das Ganze für mehr als eine Blödelei hielt. Nicht, dass ich selbst es zu diesem Zeitpunkt schon wirklich ernst genommen hätte. Aber mit jedem erfolgreichen Posting stieg meine Motivation, mit dem nächsten Einfall noch mehr Leute zu erreichen und noch begeistertere Reaktionen hervorzurufen. Und wenn ein Foto einmal floppte und meine sich bildende Fanbase sich in den Kommentaren beschwerte, dass mir anscheinend langsam die Ideen ausgingen, dann stachelte mich das nur umso mehr an, mit meiner nächsten Aktion wieder einen Volltreffer zu landen.
Schritt für Schritt und Posting für Posting wurde das Ganze fast zu einer Art Sucht für mich. Schon lange wartete ich nicht mehr auf das Wochenende, um meine Bilder aufzunehmen und meine lustigen Sprüche ins Netz zu stellen. Die Frequenz hatte sich auf ungefähr eine Meldung pro Tag gesteigert, und so war ich immer öfter auch in der Arbeit mit meinem Facebook-Account beschäftigt.
»Machst du nur Blödsinn im Internet, oder arbeitest du hier auch?«, fragte mich mein Chef einmal, als er mich in mein Smartphone vertieft entdeckte. Zum Glück meinte er es aber nicht böse. Auch bis zu ihm hatte sich schon herumgesprochen, dass ich als steirischer Facebook-Komiker immer mehr Fans zufriedenstellen musste, und solange ich mein Arbeitssoll erfüllte, hatte er auch gar kein Problem damit.
Das Meiste erledigte ich ja auch tatsächlich nicht direkt während meiner Arbeitszeit, sondern in den Pausen. Die gingen großteils dafür drauf, Leuten zu antworten, die mich anschrieben, um mir für meine Bilder zu danken oder mich zu fragen, ob ich nicht noch diese oder jene verrückte Sache machen könnte. Ich freute mich über jede einzelne solche Meldung und bemühte mich deshalb, jedem, der mir schrieb, einigermaßen zeitnah zu antworten, was aber natürlich bald in Arbeit ausartete.
Als ich eines Abends gerade von der Arbeit nach Hause kam, rief Kerstin mich an: »Na, Marco, mach ma heute einmal was gemeinsam, oder bist du wieder mit deinen Fotos beschäftigt?«
»Natürlich machen wir was gemeinsam. Wir … wir gehen ins Kino«, sagte ich. Eigentlich hatte ich zu Hause schon alles für mein nächstes Bild aufgebaut, aber Kerstins Stimme verriet mir, dass es angebracht war, das aufzuschieben.
Wir trafen uns also im Kino und suchten gemeinsam einen Film aus. Zuerst verweigerte ich alle Romantic Comedys, die Kerstin vorschlug – dann sperrte sie sich gegen sämtliche Action-Movies. Also einigten wir uns auf den Horrorfilm »Evil Date«. Wie schlimm konnte es schon werden?
Es wurde ziemlich schlimm. Als wir das Kino verließen, versuchte ich, den Coolen zu spielen und Kerstin nicht zu zeigen, dass ich die Hosen ordentlich voll hatte.
»Haha, jetzt hätt ich gern ein Video von dir, Marco, wie du so bibbernd aus dem Kino herauskommst«, sagte Kerstin. Diese Frau kannte mich einfach zu gut.
»Ein Video …«, sagte ich.
»Marco, is alles okay mit dir? Hat dir der Film das Gehirn geröstet?«, fragte Kerstin.
In gewisser Weise hatte er das, aber das war nicht der Grund, warum ich in der Kino-Vorhalle stehen geblieben war. Vielmehr war mir wieder eingefallen, dass ich doch ursprünglich einmal den Plan gefasst hatte, ein Video zu drehen. Aber dann war es mit den Fotos und den dazugehörigen Sprüchen so gut gelaufen, dass sich bis jetzt gar kein Anlass dafür ergeben hatte. Jetzt war genau der richtige Zeitpunkt dafür gekommen.
Das einzige Problem: Für meine Video-Idee benötigte ich Kerstin, und sie zu überreden war in diesem Fall eine schwierigere Übung als bei den Fotos.
»Nein, Marco, ich bin doch keine Schauspielerin, das is mir peinlich«, sagte sie. »Mach das doch mit einem von deinen Freunden.«
»Schatz, das geht nicht, es geht doch um den Film, in dem wir grad waren. Das haut nur mit dir hin«, flehte ich.
Irgendwann hatte ich sie so weit. Ich erklärte Kerstin den Ablauf, dann begannen wir mit meinem Handy im Garten vor dem Haus meiner Großeltern zu drehen.
»Wir waren grad in einem Horrorfilm«, berichtete Kerstin in die Kamera. »Jetzt schauts euch amal den Marco an, ich glaub, dem gehts nicht so gut«, sagte sie mit gespieltem Ernst. Dann schwenkte sie das Handy, so dass man mich in der Wiese sitzen und wie in einer Psychose versunken vor- und zurückwippen sah. Dann packte ich das volle Repertoire aus: Ich rannte wie ein Verrückter durch die Gegend, schrie, krachte gegen die Hausmauer, zeigte die ganze Palette an Panikreaktionen, die ich drauf hatte, und Kerstin hielt alles für Facebook und die Nachwelt fest.
Innerhalb kürzester Zeit, nachdem ich das Video hochgeladen hatte, war die Tausend-Like-Grenze überschritten. Und es ging weiter nach oben. In den Kommentaren forderten die Leute sofort mehr und drückten ihre Begeisterung darüber aus, dass es jetzt auch ein Marco-Wagner-Video gab.
Tipp: Facebook ist ein visuelles Medium. Fotos sind gut, Videos sind besser. Kein noch so guter Text wird dir so viele Likes bringen, wie ein wirklich witziges Video.
In den nächsten Tagen und Wochen legte ich nach, so gut ich konnte. Ich drehte ein verrücktes Video nach dem anderen, zwischendurch schoss ich natürlich auch weiterhin Fotos und garnierte sie mit abgedrehten Sprüchen. Die Freundschaftsanfragen und Likes vervielfachten sich in dieser Zeit rasant: von ein paar hundert war meine Reichweite nur durch den Schritt zum Video bald auf ein paar tausend Leute gestiegen.
Eines Tages stellte ich fest, dass ich zwei neue Freundschaftsanfragen, die ich bekommen hatte, nicht annehmen konnte. »Hab ich jetzt Facebook gesprengt, oder was?«, dachte ich. Dann entdeckte ich eine Info darüber, dass ich die maximale Zahl an Freunden erreicht hatte: 5.000. Mehr ging nicht.
Das fand ich nicht lustig. Gerade lief alles so gut, mehr und immer mehr Leute wollten meine Späße sehen, und jetzt wollten die mir mein Publikum aussperren? Verdammtes Facebook. Es musste einen Weg geben, diese Blockade zu umgehen. Wütend drückte ich immer wieder auf den »Freundschaftsanfrage annehmen«-Button, aber es tat sich überhaupt nichts.
Schließlich beschloss ich, einen Freund anzurufen, der, was Computer betraf, nicht so total auf der Nudelsuppe dahergeschwommen war wie ich, um ihm mein Problem zu schildern.
»Marco, du musst einfach nur freischalten, dass man dich abonnieren kann. Dann kannst du so viele Follower haben, wie du willst«, sagte mein Kumpel.
Tipp: Informier dich gründlich über die technischen Möglichkeiten, die Facebook dir bietet. Nur, wenn du die Plattform kennst, die du bespielen willst, kannst du aus einem Hobby ein Geschäftsmodell machen.
So einfach ging das? Vielleicht war Facebook ja doch nicht so schlecht. Ich bedankte mich artig und klickte auf ein paar Knöpfe, um die Abonnier-Funktion einzuschalten. Dann sah ich zu, was passierte.
Die ersten paar hundert Abonnements waren schnell beisammen. Ein paar Tage später übersprang ich die Tausend-Abonnement-Grenze. Natürlich drehte ich fleißig weiter Videos und knipste meine Bilder, von nichts kommt bekanntlich nichts.
Eines Tages bekam ich eine Nachricht von einem alten Freund, von dem ich schon länger nichts mehr gehört hatte: »Schämst du dich nicht, Marco? Du bist doch kein kleiner Bub mehr. Ein erwachsener Mann, und so einen Blödsinn machen. Mir wär das peinlich, echt.«
Zugegeben, das war nicht die einzige Nachricht dieser Art, die ich bekommen hatte. Von harmlosem Spott bis zu Drohungen à la »Wenn ich dir irgendwo begegne, dann hau ich dich nieder, du Depp!«, war in den vergangenen paar Monaten seit Bernis und meinem ersten verrückten Posting schon so ziemlich alles vorgekommen. Ich hatte das immer als bedeutungslos abgetan und mir gedacht, dass das Internet eben voll von verkorksten Leuten und Neidern ist. Immerhin zwang ich ja niemanden, sich meine Bilder und Videos anzuschauen, oder? Warum sich jemand so über etwas aufregte, das er stattdessen einfach wegklicken konnte, wenn es unbeabsichtigt auf seinen Bildschirm geraten war, konnte ich einfach nicht verstehen.
Aber jetzt hatte ich das erste Mal eine negative Nachricht von jemandem bekommen, der mir einmal nahe gestanden war. Das gab mir zu denken. In den kommenden Tagen achtete ich mehr darauf und stellte fest, dass es ein paar Leute aus meinem Bekanntenkreis gab, die, zunächst fast unmerklich, von mir abrückten oder mich mit anderen Augen zu sehen schienen.
Interessanterweise sollten es ein paar Jahre später mitunter genau die Leute sein, die sich als meine besten Freunde aufspielten, als ich plötzlich über die Grenzen von Facebook und der Steiermark hinaus Erfolg hatte.
Tipp: Wenn du Erfolg in den sozialen Medien hast, wird das manche Menschen ärgern. Setz dich nicht mit den Neidern auseinander, sondern konzentrier dich auf deine Fans, um deinen Erfolg zu vergrößern.
Zugleich hatte ich bald nach Aktivierung der Abonnement-Funktion meines Facebook-Profils auch die ersten Erlebnisse, die mir vor Augen führten, wie Prominente sich im öffentlichen Raum fühlen mussten. Ich wurde nun hin und wieder von Menschen auf der Straße erkannt, die mich fragten, ob ich nicht der mit den verrückten Videos sei und die sogar manchmal um ein Foto oder ein Autogramm baten. Danach fühlte ich mich regelmäßig wie ein Rockstar und berichtete Kerstin, wenn sie nicht dabei gewesen war, wie ein Kind, dem jemand ein Eis geschenkt hat, von meinem Erlebnis.
»Schön, dass es dir so viel Spaß macht, Marco«, sagte Kerstin dann, »aber übertreibs nicht, es ist nur ein Hobby.«
Da hatte Kerstin natürlich Recht, es war nur ein Hobby. Zwar war es ein Hobby, das mir inzwischen verflucht viel Spaß machte, aber trotzdem durfte ich den Rest meines Lebens darüber nicht vernachlässigen. Ich hatte einen 40-Stunden-Job als Koch in der Fruchtverarbeitungsfirma zu erledigen, ich hatte eine Beziehung, und ich lebte immer noch als Mitbewohner meiner Großeltern in deren Haus in Großpesendorf. Ich war kein Rockstar, und wegen ein paar im Internet erfolgreicher Fotos musste ich auch nicht beginnen, mich wie einer zu fühlen.
Ich dachte daran, dass ich meinen Großeltern nicht erklären hätte können, was Facebook eigentlich war, nicht einmal, wenn ich es gewollt hätte. Es war für sie wie für die meisten Menschen ihrer Generation einfach nicht Teil der realen Welt. Und vielleicht hatten sie mit dieser Einstellung ja sogar Recht? Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich mit meinen Bildern und Videos etwas Reales geschaffen hatte, denn hinter den zigtausenden Likes, die ich inzwischen bekommen hatte, standen doch auch reale Menschen, die sich diese Bilder anschauten, darüber lachten und deshalb auf den »Gefällt mir«-Button klickten.
Wieder einmal musste ich an meine Schulzeit zurückdenken, in der ich mit meiner Begeisterung für Rapid Wien zwar eine Außenseiterrolle eingenommen hatte, davon abgesehen aber auch irrsinnig darauf abgefahren war, als Klassenkasperl beklatscht zu werden. Ich hatte keinen Blödsinn ausgelassen, um meinen Mitschülern zu demonstrieren, was für ein verrückter Hund ich war und wie weit ich gehen konnte, wenn ich nur wollte. Außerdem hatte ich immer schon ein gutes Gespür dafür gehabt, was andere lustig finden. Wenn ich mir eine Komödie im Fernsehen oder im Kino ansah, dann musste ich selbst meistens kaum lachen, aber ich wusste ganz genau, welche die Momente waren, bei denen meine Freunde in Gelächter ausbrechen würden.
In der Schule nahm ich sogar Strafen in Kauf, wenn die Leute über mich lachten, denn das gab mir das Gefühl, von ihnen geschätzt und akzeptiert zu werden. So vereinbarten wir zum Beispiel einmal unter den Schülern in der Pause einen Wettbewerb, bei dem es darum ging, wer sich am längsten stehen zu bleiben traute, nachdem der Lehrer die Klasse betreten hatte. Nachdem alle aufgestanden waren, um den hereinkommenden Lehrer zu begrüßen, sagte der wie immer: »Bitte setzen.«
Alle blieben stehen, und die ganze Klasse lachte.
»Witzig seid ihr«, sagte der Lehrer, »aber jetzt setzt euch bitte wirklich, damit wir mit dem Unterricht beginnen können.«
In etwa die halbe Klasse folgte seiner Aufforderung, die andere Hälfte blieb immer noch stehen. Der Lehrer schlug jetzt einen ernsteren Ton an: »Es ist ja sehr lustig gewesen, aber jetzt möchte ich, dass ihr euch alle setzt, und zwar sofort!«
Nun setzten sich natürlich die allermeisten, nur ein paar vereinzelte Sturköpfe, zu denen auch ich gehörte, blieben weiterhin stehen. An diese Widerständigen trat der Lehrer einzeln heran und bekam bei seiner Schimpftirade langsam einen roten Kopf: »Das ist nicht mehr witzig. Ihr setzt euch jetzt auf der Stelle hin, oder ich hole den Direktor!«
Als der Lehrer wütend das Klassenzimmer verließ, setzten sich alle noch stehenden Schüler nieder – bis auf mich und einen anderen, der mir den Sieg in diesem kleinen Wettstreit nicht einfach so überlassen wollte. Jetzt wurde der Rest der Klasse langsam nervös, weil die Sache zu eskalieren drohte.
»Ihr seid so krank! Setzt euch nieder. Er holt schon den Direktor! Was ist los mit euch?«, das riefen und flüsterten uns unsere Mitschüler zu. Mir war sonnenklar, dass ich bis zuletzt stehen bleiben würde. Ich war immer schon ein sturer Teufel gewesen – mein Kollege aber leider auch, also standen wir beide weiterhin kerzengerade hinter unseren Tischen.
Nach einer Ewigkeit tauchte der Lehrer mit dem Direktor im Schlepptau wieder auf. Unsere Mitschüler versteckten sich hinter ihren Pulten oder taten demonstrativ unbeteiligt, weil ihnen die Sache schon so unangenehm war.
»Was ist hier los?«, herrschte mich der Direktor an. »Warum setzt du dich nicht? Wenn du dich nicht sofort niedersetzt und weiterhin den Unterricht störst, rufe ich deinen Vater an!«
»Dann rufen Sie ihn halt an«, antwortete ich ruhig. Nervöses Gelächter war kurz von den Schülern zu hören. Dann verstummten sie auf einen Blick des Direktors hin, dessen Gesicht in puncto Zornesröte das des Lehrers inzwischen überholt hatte.
»Hör auf jetzt, setzen wir uns hin«, raunte mir mein Kontrahent unerwartet zu.
»Du kannst dich gerne hinsetzen«, antwortete ich, »aber ich setze mich erst nach dir.«
Wieder lachte die Klasse auf. Der Direktor murmelte etwas von Konsequenzen, die das alles haben würde, und verließ die Klasse. In diesem Moment setzte sich mein letzter verbliebener Gegner.
»Jawohl, gewonnen!«, rief ich und zeigte die Becker-Faust, bevor ich mich ebenfalls in meinen Sessel fallen ließ.
Als mein Vater die Schule erreichte, der dafür extra seinen Arbeitsplatz hatte verlassen müssen, wurde ich aus dem Klassenzimmer gerufen, um ein Gespräch mit ihm und dem Direktor zu führen. Das Gespräch war ziemlich langweilig und voller Floskeln.
»Warum tust du das?«, fragte mich mein Vater, als wir die Direktion zu zweit verließen. »Was ist der Sinn dahinter? Du wirst nachsitzen müssen und kriegst nichts als Probleme!«
»Mir egal«, sagte ich. »Ich bin stolz darauf, gewonnen zu haben.«
Während ich so in Träumereien meiner Vergangenheit als Klassenkasperl vertieft war und darüber nachdachte, ob meine Facebook-Späße die logische Fortsetzung davon waren, registrierte ich eine neue Nachricht in meinem Postfach. Diesmal war es weder ein Fan noch jemand, der mich kritisieren wollte.
Es war der Vertreter einer Firma, der anfragte, ob ich nicht Lust hätte, bei einem Model-Contest in Wien in der Jury zu sitzen. Als Aufwandsentschädigung bot er mir 500 Euro an.
Ich konnte es zuerst gar nicht glauben. Ich, Marco Wagner, sollte in einer Jury sitzen und dafür auch noch Geld bekommen? Und das alles, weil ich nicht aufgehört hatte, der sture Klassenkasperl von früher zu sein und meine Freizeit damit verbrachte, verrückte Fotos und Videos auf meine Facebook-Seite zu stellen?
Ich holte Kerstin ins Zimmer und ließ sie mir die Nachricht vorlesen, damit ich sicher war, nicht verrückt geworden zu sein. Es klang wie Musik in meinen Ohren.
»Siehst du, Kerstin, von wegen das ist nur ein Hobby!«
Das konnte ich mir in diesem Moment einfach nicht verkneifen.
»Gratuliere, Marco. Kaufst du uns von dem Geld, das du bei dem Contest verdienst, dann eine eigene Wohnung?«
Das saß. Meine Freundin war gerade zu mir gezogen und wir hatten uns den oberen Stock des Hauses meiner Großeltern schön hergerichtet. Wir hatten auch einen eigenen Hauseingang, und es war fast wie eine eigene Wohnung. Aber natürlich blieb es trotzdem das Haus meiner Großeltern, in dem sie das Erdgeschoß bewohnten. Mehr war finanziell einfach nicht drinnen. Kerstin bemerkte meine Niedergeschlagenheit.
»Entschuldige Marco, ich habs nicht so bös gemeint. Super, dass dir die was zahlen für diesen Model Contest. Und vielleicht gewinnst du ja …«
Wir mussten beide lachen. Ich, als Model gestylt, in High Heels mit blonder Perücke, wie ich mich über den Laufsteg quälte, das würde Kerstin bestimmt gefallen. Und das war eigentlich schon wieder eine Idee für ein neues Video.
Natürlich sagte ich zu, als Jurymitglied an dem Model-Contest teilzunehmen. Aber bis dahin waren noch einige Wochen Zeit, und es ergab sich, dass ich in der Zwischenzeit noch eine weitere, kurzfristigere Anfrage für einen Auftrag erhielt. Der Besitzer einer Gleisdorfer Disco mit angeschlossener Pizzeria meldete sich bei mir und fragte mich, ob ich nicht als Stargast in seiner Disco auftreten könnte. Mehrere Leute hätten ihn darauf angesprochen und er erwarte sich ein volles Haus, wenn er auf die Plakate für seine nächste Party »Stargast Marco Wagner« schreiben dürfe. 300 Euro und unbegrenzte Freigetränke am Abend der Party würde er dafür springen lassen.
Selbstverständlich hatte ich nichts dagegen: Party machen, und dafür auch noch bezahlt werden, wie geil ist das denn?
In der letzten Nacht vor dem geplanten Event schlief ich allerdings verdammt schlecht.
»Was, wenn dich dort alle auslachen oder ausbuhen, Marco?«, dachte ich. »Du bist kein DJ, du bist kein Sänger oder Tänzer, was zum Teufel sollst du in dieser Disco vorführen, damit du deine 300 Euro wert bist?« Ich malte mir aus, wie ich vor einer Handvoll Leuten in der fast leeren Disco Witze erzähle, bis der Chef des Lokals die Veranstaltung abbrechen, mir meine Gage verweigern und eine Getränkerechnung vorlegen würde. Marco Wagner, der Disco-Star – wie hatte ich mich in meinem Größenwahn nur zu so einem Blödsinn überreden lassen können?
»Stress dich nicht so, Marco«, sagte Kerstin zu mir, während wir beim Frühstück saßen. »Der Chef von der Disco ist ein Geschäftsmann. Wenn der dir 300 Euro zahlt, dann weiß er schon, warum. Und wenn nicht, dann ist es seine eigene Schuld. Es war ja schließlich nicht deine Idee.«
Ich sagte nichts, weil ich nicht überzeugt war. Kerstin bekam einen besorgten Gesichtsausdruck.
»Es war doch nicht deine Idee, Marco, oder? Bitte sag, dass das nicht auf deinem Mist gewachsen ist.«
»Natürlich nicht, Schatzi«, sagte ich. Meine Freundin traute mir also zu, dass ich auf eigene Faust einen Disco-Betreiber anquatschte und ihm 300 Euro dafür herausleierte, dass ich sein »Star-Gast« sein würde. Ich wusste nicht, ob ich beleidigt sein oder mich geehrt fühlen sollte. Wahrscheinlich beides.
Als ich am Abend das Lokal erreichte, stand eine Schlange von Leuten vor der Disco, die auf Einlass wartete. »Na gut, immerhin hat mein Name auf den Plakaten sie nicht vertrieben«, dachte ich. Ich machte mich auf den Weg zum Hintereingang, wie es mit dem Chef vereinbart war.
»Hey, du bist doch der Facebook-Marco!«, kreischten zwei Mädchen, die mich in der Masse erkannt hatten. Sofort wurden noch mehr Leute auf mich aufmerksam. Bevor mir recht bewusst wurde, was los war, hatte schon ein Dutzend Leute Selfies mit mir geschossen, auf denen ich wahrscheinlich einen ziemlich perplexen Gesichtsausdruck hatte.
Dann hakte mich der Chef des Lokals unter, der mich in der Menschenmenge ausgemacht hatte, und eskortierte mich zum Hintereingang.
»Die sollen erst Eintritt zahlen und danach mit dir Fotos machen«, sagte er und zwinkerte mir zu. Ich konnte mir ehrlich gesagt immer noch nicht vorstellen, dass ein wesentlicher Teil dieser paar hundert Leute wegen meines Namens auf dem Plakat gekommen sein sollte.
Das änderte sich, als mich etwas später der DJ als Stargast des Abends begrüßte und mich ans Mikrofon bat. Die Disco jubelte und johlte, als wäre gerade Gigi D’Agostino angesagt worden. Mit etwas weichen Knien kam ich aus dem Backstage-Bereich hervor und nahm das Mikrofon entgegen. Direkt vor mir kreischten mich ein paar ziemlich junge Mädchen an, schossen mit ihren Handys ein Foto nach dem anderen von mir und riefen meinen Namen. Was sollte ich tun? Ein Lied hatte ich nicht vorbereitet. Der DJ deutete mir, dass ich etwas sagen sollte, um meine Fans zufriedenzustellen. Also versuchte ich einfach, so locker und gelassen wie möglich zu wirken und sagte dabei ins Mikro: »Hi, ich bin der Marco Wagner, und ich bin heute da, um mit euch gemeinsam zu feiern!«
Riesiger Applaus, »Marco«-Rufe und kreischende Mädchen. Ich fühlte mich wie ein Mitglied der Beatles in den 60er-Jahren, auch wenn keiner von ihnen Marco geheißen hatte. Nach meiner erfolgreichen Begrüßungsaktion war meine Nervosität wie weggeblasen. Die Hütte war voll, der Chef zufrieden, und das Publikum erwartete offenbar nichts anderes von mir, als dass ich mich unters Volk mischte und gute Stimmung verbreitete. Wenn es sonst nichts war, das hatte ich doch jedenfalls drauf.
Na gut, eine weitere Sache wurde doch noch von mir erwartet: Einige Fans meiner Fotos und Videos wollten sich nicht mit den neumodischen Selfies zufriedengeben, sondern baten mich tatsächlich um ein Autogramm. Da ich über keine Autogrammkarten verfügte, signierte ich alles, was mir unter den ausgeborgten Stift gehalten wurde. Zettel, Eintrittskarten, Gesichter, Zigarettenschachteln. Auch Brüste wären sicher drinnen gewesen, aber ich war schließlich in einer festen Beziehung und hatte keine Lust, meiner Freundin morgen einiges erklären zu müssen, falls jemand gerade auf den Auslöser seines Smartphones drückte, während ich mit einem Kugelschreiber im D-Körbchen irgendeiner aufgeputschten Blondine herumfuhrwerkte. Nein, danke. Den Gratis-Drinks, die ja Teil der Vereinbarung waren, sprach ich allerdings schon ziemlich tüchtig zu, man gönnt sich ja schließlich sonst nichts.
Gegen vier Uhr früh, als sich die Disco langsam zu leeren begann, nahm mich noch einmal der Chef beiseite und steckte mir die 300 Euro zu, die wir als Gage vereinbart hatten.
»Danke, Marco, war super.«
Ja, verdammt, das war es. Ich hatte gerade 300 Euro bar auf die Hand bekommen, und wofür? Dafür, dass ich einen launigen Begrüßungssatz in ein Mikrofon gesprochen und eine Nacht lang Party gemacht hatte. Oder aber dafür, dass ich aus jeder verrückten Idee, die mich heimsuchte, ein Foto oder ein Video gemacht und es auf meine Facebook-Seite gestellt hatte? Wie auch immer: Wenn das ein Traum war, dann wollte ich auf keinen Fall aufwachen. Und wenn das mein Leben war, dann gefiel es mir jetzt aber schon verdammt gut.
Nach diesem extrem positiven Erlebnis hätte ich dem Model-Contest in Wien eigentlich etwas entspannter entgegensehen können. Aber nein, ich war nur noch nervöser als bei meinem Disco-Auftritt. Immerhin musste ich eigens nach Wien reisen. In Gleisdorf war das Ganze zumindest eine Art Heimspiel gewesen, aber in Wien kannte ich doch keinen Menschen. Und bei einem Event wie einem Model-Contest war die Peinlichkeit ungleich größer, wenn sich jeder im Publikum fragte, wer eigentlich dieser komische, völlig unbekannte Typ war, der neben der berühmten Ski-Fahrerin Renate Götschl saß und sich als Jury-Mitglied aufspielte. Ja, tatsächlich, die Veranstalter hatten mir wenige Tage vor dem Event mitgeteilt, dass Ski-Star Renate Götschl mit mir gemeinsam die Jury bilden würde. Natürlich fühlte ich mich davon irgendwie geehrt, aber zugleich schien mir das noch deutlicher zu machen, wie wenig ich geleistet hatte, um in diese Jury aufgenommen zu werden. Ich war nicht unter Lebensgefahr steile Hänge hinuntergerast, hatte keine WM- und Olympia-Medaillen erobert. Ich hatte einfach nur ein paar lustige Fotos und Videos gemacht.
In der Nacht vor meiner Fahrt nach Wien wurde ich von Albträumen heimgesucht. Der Moderator des Model-Contests stellte in meinem Traum die Jurymitglieder vor, brach aber selber in Lachen aus, als er meinen Namen und meine Verdienste verlas. Das Publikum lachte mit und auch Renate Götschl konnte bald nicht mehr an sich halten. Am Ende wurde ich hinter die Bühne gelotst und dazu gezwungen, ein enges Kleid und High Heels anzuziehen, mit denen ich dann unter allgemeinem Gejohle über den Laufsteg stöckeln musste.
»Damit du das Geld, das wir für dich verschwendet haben, wieder hereinbringst!«, feixte der Moderator und schlug mir derb auf den Hintern.
Ich erwachte schweißgebadet. Ich schüttelte Kerstin, die neben mir friedlich schlief, bis sie wach war.
»Kerstin, ich kann dort nicht hinfahren. Das ist eine Falle«, sagte ich.
»Marco, beruhig dich. Es ist doch alles gut. Du hast doch in der Disco gesehen, wie super das hinhaut.«
»Ja, aber das war in Gleisdorf. In Wien warten sie doch nur darauf, mich depperten Steirer vorzuführen.«
Ich weiß nicht mehr wie, aber Kerstin schaffte es, mich ein wenig zu beruhigen. Wahrscheinlich gelang es ihr, mich davon zu überzeugen, dass ich unter Lampenfieber litt und mich einfach ein bisschen zusammenreißen musste.
Am nächsten Tag ritt ich im Kaufpark Alterlaa ein, als wäre ich ein alter Profi, der schon hunderte Models bewertet hat. Nicht, dass meine Nervosität weg war, ganz im Gegenteil. Aber ich hatte beschlossen, dass Angriff die beste Verteidigung war und ich deshalb so tun würde, als ob die Veranstalter froh sein konnten, dass ich mich für ein paar hundert Euro extra auf den Weg gemacht hatte. Ich wurde vom Moderator begrüßt und zu meinem Platz geführt, wo ich auch Renate Götschl kennenlernte, die sehr freundlich und unprätentiös war. Wir bekamen beide je einen Stapel mit kleinen Punktetafeln, die wir hochhalten sollten, um die Models in ihren verschiedenen Outfits zu bewerten.
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