Kitabı oku: «Transnationale Geschichte», sayfa 3

Yazı tipi:

Der Vergleich, lautete der Vorwurf weiter, führe zu einer Defizitgeschichte. Nicht mehr ein von beiden Vergleichseinheiten unabhängiges tertium comparationis bilde den Maßstab, sondern eine der Einheiten stelle zugleich die Norm dar, an der die Entwicklung gemessen werde. Nicht um den Vergleich von Äpfeln und Birnen ginge es, um im Bilde zu bleiben, sondern darum, was der Birne fehle, um ein Apfel zu sein–die klassische Frage nach dem ›What went wrong with Islam?‹ (Lewis, 2002). Anders als im Falle des Obstes gäbe es für den Vergleich zwischen Kulturen keine Begriffe und keine Metaebene, die nicht ihrerseits schon sprachlich, historisch und kulturell geprägt seien. Zumal wenn die beiden Seiten des Vergleichs noch immer über unterschiedliche (wissenschafts-)politische Macht verfügten, die Möglichkeit eines »the Empire writes back« (Ashcroft / Griffiths / Tiffin, 1989) also nur marginal bestünde, führe der Vergleich damit zu einer Verfestigung des Ungleichgewichts.

Der zweite methodische Angriff kam von Seiten der Historiker, die räumliche Wanderungsprozesse untersuchten–sei es von Völkern, Sprachen, Ideen oder Artefakten: Ein methodisch sauberer Vergleich, der auf den Nachweis von Interdependenzen zwischen zwei Faktoren abziele, müsse von zwei oder mehr unabhängig voneinander existierenden Einheiten ausgehen, die zum einen über den Vergleichszeitraum hinweg stabil blieben, zum anderen weder auf gemeinsame Wurzeln zurückgingen, noch sich gegenseitig beeinflussten. In den Naturwissenschaften war dieser Einwand bereits im 19. Jahrhundert unter dem Stichwort ›Galtons Problem‹–nach dem britischen Rasseforscher Francis Galton–diskutiert worden (Kleinschmidt, 1991). Für die Neuzeit sei diese Form der Unabhängigkeit nur in Extremfällen gegeben, in der Regel seien die Untersuchungseinheiten vielmehr Teil eines|34◄ ►35| engen Beziehungsgeflechts. Dieses auszublenden führe nicht nur zu Verzerrungen, es nähre auch die Illusion von unabhängigen Nationalstaaten, deren Entwicklung durch endogene Faktoren zu erklären sei. Der Vergleich führe also gerade nicht zu einer Überwindung nationalstaatlicher Paradigmata, sondern im Gegenteil zu ihrer Verstärkung (Espagne, 2003).

Diese Vorwürfe haben zu einer überaus anregenden Diskussion sowohl innerhalb der Komparatistik wie auch zwischen den Komparatisten und den Transferhistorikern beigetragen und zur Entwicklung von Vorschlägen für eine Kombination beider Ansätze geführt. Sie sollen im nächsten Kapitel vorgestellt werden.

|35◄ ►36|

III. Methodische Zugänge jenseits der Nation

Im Gegensatz zu den Forschungsrichtungen aus dem vorigen Kapitel, die eine lange Geschichte vorweisen können, sind viele der Ansätze, von denen jetzt die Rede sein soll, erst in den letzten Jahren entwickelt worden. Zwar sind Unterschiede zwischen den neueren transnationalen Forschungsbeiträgen durchaus erkennbar, zugleich jedoch lesen und kommentieren sich die Autoren gegenseitig, sie grenzen sich voneinander ab, aber sie nehmen auch Anregungen auf und modifizieren die eigene Position. Jede Ordnung und Klassifikation ihrer jeweiligen methodischen und theoretischen Grundannahmen ist daher bis zu einem gewissen Grade willkürlich. Stellt man etwa die Histoire croisée als eigenständigen Ansatz vor? Oder sieht man in ihr eine Unterform der Transfergeschichte, aus der sie sich entwickelt hat? Oder verortet man sie methodisch gar näher bei der Verflechtungsgeschichte? Fasst man die Überlegungen zur Globalgeschichte mit denen zur Weltgeschichte zusammen oder bewertet man die Unterschiede zwischen ihnen so hoch, dass sie zwei unterschiedliche Ansätze darstellen? Ebenso könnte man diskutieren, ob die Liste der untersuchten Ansätze nicht zu erweitern wäre–warum beispielsweise nur translokale Zugänge untersuchen und nicht auch transkulturelle oder transregionale?

Das transnationale Forschungsfeld ist noch in heftiger Bewegung und es lässt sich heute noch nicht absehen, welche Taxonomien sich letztlich durchsetzen werden–dem soll hier nicht vorgegriffen werden. Ziel des Kapitels ist es vielmehr, einige Schneisen durch das Dickicht der Theorieangebote zu schlagen und vor allem Fragen und Probleme aufzuwerfen und zu diskutieren, denen sich künftige transnationale Forschung wird stellen müssen.

|36◄ ►37|

1. Connected History

Das ›In-Frage-Stellen der Nation‹ als grundlegende Kategorie für die Geschichtsschreibung geht keineswegs nur oder auch nur primär von den (west-)europäischen Neuzeithistorikern aus. Vielmehr ist dieses Anliegen gerade für Forscher jener Epochen und Länder zentral, deren Akteure ihre Welt nicht durch nationale Narrative ordneten: Wenn die Nation (zumindest in ihrem modernen Sinn) in der Vorstellungswelt der Akteure keine Rolle spielt, etwa in der europäischen Antike, im vorkolonialen Amerika oder, mit Ausnahme einiger Eliten, in Indien bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, macht eine trans-›nationale‹ Geschichte wenig Sinn. Für diejenigen, die sich mit Regionen beschäftigen, die dem europäischen Einfluss entweder direkt oder indirekt unterworfen waren, kommt hinzu, dass sich zumindest für die Neuzeit die Wahl, ob Geschichte als Beziehungsgeschichte oder lediglich als Entfaltung endogener Faktoren geschrieben werden soll, gar nicht stellt.

Der Begriff der Connected History, der auf die enge Verwobenheit der quatre parties du monde (der vier Weltregionen der frühen Neuzeit) abhob, wurde zunächst im Umfeld der aus der Schule der Annales hervorgegangenen École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris geprägt. Serge Gruzinski, Lateinamerika-Historiker mit dem Schwerpunkt Frühe Neuzeit an der EHESS, untersucht in erster Linie die kulturellen Prozesse, die infolge der spanischen Eroberung abliefen.

Schule der Annales

Gruppe französischer Historiker, die sich seit den 1920er Jahren (Gründung der Zeitschrift Annales d’histoire économique et sociale 1929 durch Marc Bloch und Lucien Febvre) um die Öffnung der Geschichtswissenschaft gegenüber der Geografie und der Soziologie bemühten. In Abgrenzung von der Betonung der Ereignisgeschichte rückten nun längerfristig wirkende Kräfte, insbesondere die Wirtschaft und die Mentalitäten, in den Mittelpunkt.

|37◄ ►38|

Dabei kommt es ihm darauf an zu zeigen, in welchem Ausmaß es zu kulturellen Mischformen–métissage ist der Ausdruck, den er verwendet–gekommen ist, die sich mit den herkömmlichen Methoden des Vergleichs oder auch der Beziehungsgeschichte zwischen zwei als stabil und homogen gedachten Einheiten nicht erfassen lassen (Gruzinski, 1999). Diese Mischformen sind aber nicht im Sinne einer »happy hybridity« (Ahuja, 2006, S. 112) zu verstehen, einer Zelebrierung multikultureller Gemengelagen, wie sie vor allem von Salman Rushdie wortgewaltig inszeniert und der vermeintlichen ›Reinheit‹ unvermischter Kulturen gegenüber gestellt werden (Rushdie, 1991). Vielmehr sind sie das Ergebnis einer Begegnung, die im Wesentlichen durch Gewalt gekennzeichnet war: in erster Linie die Gewalt der Eroberung, die Gewalt des bald darauf einsetzenden Sklavenhandels mit Afrika, aber auch–für die Spanier–die Gewalt der Revolten, der klimatischen Bedingungen und der Krankheiten. Nicht zwei oder drei Kulturen begegneten sich auf mittelamerikanischem Boden, jedenfalls nicht, solange man unter Kultur ein auch nur relativ stabiles, geordnetes und Ordnung schaffendes System versteht. Vielmehr kam es auf der Seite der Eroberer ebenso wie unter den Eroberten zu einer Fragmentarisierung der Kultur und dann vor allem zu einer Dekontextualisierung dieser Fragmente, die erst langsam wieder in einen neuen Kontext, eben jenen des métissage überführt wurde (Gruzinski, 1999, S. 77–81). Dabei war freilich der Spielraum, der einer Anpassung und Adaptation der Kultur–durch Indios, Afrikaner oder Spanier–eingeräumt wurde, ein anderer, je nachdem ob es sich um kirchliche Dogmatik, um Rituale und Praktiken oder um Kunst handelte.

Weiterhin zeigt Gruzinski, dass die gegenwärtige Globalisierung keineswegs so neuartig ist, wie sie uns heute bisweilen erscheinen mag, sondern ihre Wurzeln bereits in der frühen Neuzeit hat (Gruzinski, 2004; 2008). Hat sich die Forschung bislang, wo sie überhaupt Verbindungen und Connected History ins Zentrum ihrer Untersuchungen stellte, hauptsächlich auf die Verbindungen zwischen der iberischen Halbinsel und Lateinamerika konzentriert, richtet Gruzinski seinen Blick darüber hinaus auf jene Verbindungen zwischen den vier Weltteilen, die nicht oder nur |38◄ ►39| indirekt über Europa liefen: etwa auf die Beschreibung der Eroberung Amerikas in osmanischen Chroniken oder umgekehrt auf die Darstellung des Osmanischen Reiches aus der Feder eines Hamburger Chronisten, der sich in Mexiko als Buchdrucker niedergelassen hatte, oder auch auf das Auftauchen chinesischer Drachenmotive auf peruanischer Töpferware.

Gruzinski räumt selbst ein, dass sein Stil pointilistisch ist. Er trägt eine Fülle unterschiedlicher Beobachtungen zusammen, oft aus ganz unterschiedlichen Zeiten und Regionen, die er wie kleine Farbtupfer nebeneinandersetzt, in der Hoffnung, dass sich daraus für den Leser ein zusammenhängendes Bild ergibt. Dies ist ein gewagtes Unterfangen, denn über die Beschreibung hinaus zur Analyse der treibenden Kräfte einer Epoche, zu ihrer Gewichtung gar, gelangt er mit diesem Verfahren kaum. Gruzinski überzeugt weniger durch die Schärfe des Arguments, als durch die Faszination seiner Bilder, seiner Schnitte und seiner Gegenüberstellungen, die sich mehr am zeitgenössischen Film als an der historischen Soziologie orientieren–ein bewusst eingesetztes Mittel, um das Offene und Fragmentarische kultureller Phänomene nicht durch die Struktur wissenschaftlichen Argumentierens in eine größere Kohärenz zu zwingen, als ihnen ursprünglich zu eigen ist. Die Leserin und der Leser, zumal wenn sie durch den Eindruck eines fehlenden Gesamtkonzepts irritiert sind, tun gut daran, sich in Erinnerung zu rufen, dass auch die Analysen der Historiker gar nicht denkbar wären ohne die mentalen Bilder der Vergangenheit, auf denen sie ruhen. In viel stärkerem Maße, als wir es uns oft einzugestehen bereit sind, sind es diese Bilder, die prägen, was wir für denkbar, für fragwürdig und damit auch für erforschenswert halten. Wenn es Gruzinski hier gelingt, transnationale Verbindungen denkbar zu machen, beim Leser ein ›So habe ich das noch nie gesehen‹-Gefühl hervorzurufen und damit seine innere Landkarte zu verändern, so trägt er damit wesentlich dazu bei, die »horizons de réflexion« auszuweiten (Gruzinski, 2001, S. 86) und so den Grundstein zu legen für einen neuen Blick auf die Geschichte. |39◄ ►40|

Sanjay Subrahmanyam teilt mit Serge Gruzinski das Anliegen, Verbindungen zwischen Regionen in der frühen Neuzeit aufzuzeigen und sie zu einer Connected History zu verbinden, doch unterscheidet sich sein Ansatz in einer ganzen Reihe von Punkten. Als ausgebildeter Wirtschaftshistoriker beschäftigte sich Subrahmanyam zunächst mit der Geschichte der portugiesischen Herrschaft in Indien, dann darüber hinausgreifend in Asien. Dies bettete er im Folgenden ein in Untersuchungen zu Staat und Gesellschaft in Südindien, aber auch zum Mogulreich und dessen Beziehungen nach Zentralasien. Aus seiner Zeit am EHESS in Paris stammen die Überlegungen zum Konzept der Connected History, die er gleichwohl niemals losgelöst von konkreten Fallstudien betreibt. Verallgemeinerungen seien zu wichtig, um sie den Generalisten zu überlassen (Subrahmanyam, 2005a, S. 136), daher gelte der Grundsatz: »We cannot safely attempt a macro-history of the problem without muddying our boots somewhat in the bogs of micro-history« (Ebd., S. 108).

Wo Gruzinski pointilistisch arbeitet, ist Subrahmanyam ein Meister der Miniatur. Geschickt sucht er seine Fallbeispiele so aus, dass sich in ihnen globale Verbindungen bündeln. Dies kann ein Ereignis, ja sogar ein einzelnes Gespräch sein, dessen Ursprünge und Verästelungen über die Regionen hinweg durch detaillierte Archivstudien verfolgt werden. Ermöglicht wird dieser Ansatz durch seine außerordentlichen Sprachkenntnisse–es gibt wohl kaum jemanden anders, der in gleicher Weise Quellen auf Portugiesisch, Spanisch, Französisch, Holländisch, Italienisch, Persisch und in mehreren indischen Sprachen auswerten kann. Wollte man seinen Ansatz übernehmen, so bräuchte man ein ganzes Team von Spezialisten.

Wenngleich Subrahmanyam sich kaum jemals explizit zu Theoriefragen geäußert hat, so lassen sich aus seinen Studien doch eine Reihe von Thesen ableiten.

Erstens: Die Forschung ging lange Zeit von der Statik der vorkolonialen Gesellschaften aus, die erst durch die Begegnung mit dem Westen Dynamik gewann. Der These vom ewigen und bewegungslosen Orient wurde schon lange vor Subrahmanyam die historische Dynamik der Region entgegengehalten, die keineswegs |40◄ ►41| erst mit der Kolonialisierung begann. Diese Bewegung auf der Zeitschiene ergänzt Subrahmanyam nun durch die These von der räumlichen Mobilität. Er verschiebt den Blick von den europäischen Reisenden, Händlern und Entdeckern auf ihre asiatischen Gegenüber, die keineswegs still darauf gewartet haben ›entdeckt‹ zu werden, sondern ihrerseits bereits eine hohe Mobilität aufwiesen (→ Kap. IV.1). Untersuchungen zu diesem Thema reichen von Studien zu persischen Reisenden (Alam / Subrahmanyam, 2007) über einen Sammelband zu »Society and Circulation« (Markovits / Subrahmanyam / Pouchepadass, 2003) bis zu Forschungen über Handelsbeziehungen in der Bucht von Bengalen vor der Ankunft der Europäer (Subrahmanyam, 2005a, S.45–80).

Zweitens: Im Gegensatz zu Ansätzen, die von der Geschlossenheit regionaler Kulturen und den Differenzen zwischen ihnen ausgingen–von den klassischen Komparatisten bis zu Strukturalisten, historischen Anthropologen und Postkolonialisten–vertritt er die These, dass es zwar Unterschiede zwischen Kulturen gebe, diese jedoch nicht im Sinne einer gleichbleibenden Essenz zu verstehen seien, sondern ihrerseits schon Produkt der Geschichte und darüber hinaus ständigem Wandel unterworfen seien. Wie sich diese Differenzen in der Kommunikation auswirkten, ob sie die Verständigung behinderten oder gar unmöglich machten, welche Gemeinsamkeiten, Brücken, Mittler und Lernprozesse andernfalls zum Tragen kämen, könne nur am Einzelfall geklärt und nicht ein für allemal entschieden werden (ebd., S. 1–17; 2007).

Drittens geht es Subrahmanyam darum, die grundsätzliche Offenheit der Geschichte zu unterstreichen und sowohl der Entscheidung der Akteure als auch dem Zufall einen Platz einzuräumen. Diese Abwehr jeglicher Teleologie betrifft vor allem, aber nicht nur die Entwicklung zum Nationalstaat. In einem faszinierenden kontrafaktischen Aufsatz überlegt Subrahmanyam, was passiert wäre, wenn Nadir Shah, der afghanische Herrscher, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts Delhi eroberte, sich nach Ende der Plünderungen nicht zurückgezogen hätte, sondern–was durchaus zur Debatte stand und zu verwirklichen gewesen wäre –seine Herrschaft konsolidiert hätte zu einem Staat, der das |41◄ ►42| heutige Afghanistan, Teile von Iran und Nordindien umfasst hätte. Dies hätte nicht nur die britische Kolonisierung für mindestens ein dreiviertel Jahrhundert verhindern können, sondern auch geopolitische Fakten geschaffen, denen sich die spätere britische Herrschaft hätte anpassen müssen. Statt einem indischen Nationalstaat von Kaschmir bis zur Südspitze des Subkontinents gäbe es dann womöglich einen, der von Nordindien bis Persien reichte, mit starken Verbindungen nach Zentralasien, und einen anderen, der das Hochland des Dekhan und den Süden umfasste und sich nach Südostasien orientierte (Subrahmanyam, 2005c).

Zumindest im Kreise derer, die sich grundsätzlich um einen transnationalen Ansatz bemühen, sind diese Annahmen auf weitgehende Zustimmung gestoßen. Zu erforschen, wie sich Regionen begegnen und Verbindungen aufgebaut werden, es dabei zu vermeiden Differenzen festzuschreiben und sie statt dessen zu historisieren, das ist sicherlich ein Programm, dem sich viele anschließen können, auch wenn sie nicht alle den Versuch von Gruzinski billigen würden, diese frühneuzeitlichen Verbindungen als Vorgeschichte der gegenwärtigen Globalisierung zu deuten. Die Probleme liegen anderswo: Dass Verbindungen bestehen, haben Gruzinski und Subrahmanyam eindrucksvoll gezeigt. Doch woran entscheidet es sich, ob es zum Aufbau von connections, gar einer Connected History kommt? Welche Faktoren wirken in Richtung auf eine Verbindung, welche hingegen auf ihre Verhinderung oder auf den Abbruch bestehender Beziehungen? Welchen Stellenwert nehmen die Verbindungen ein, wie und warum wandelt sich dieser zu verschiedenen Zeiten (Zuniga, 2007)? Die Antwort auf diese Fragen bleibt der ansonsten überaus anregende Ansatz schuldig, hiernach muss an anderer Stelle gesucht werden.

|42◄ ►43|

2. Transfergeschichte

Auf den engen Zusammenhang zwischen Komparatistik und Transfergeschichte ist oben schon hingewiesen worden, ja, man kann sogar die Behauptung wagen, dass die Transfergeschichte in ihrer jetzigen Form wesentlich in Abgrenzung zur vergleichenden Geschichte entstanden ist. Wenn Michel Espagne, französischer Deutschlandhistoriker und einer der Vordenker des transfert culturel, die Rolle der Transfergeschichte als eine »rückwärtsgewandte Dekonstruktion identitärer Gewissheiten« beschreibt (Espagne, 2000, S.44), so entwirft er damit ein gleichermaßen politisches wie auch wissenschaftliches Programm. Politisch soll sich die Geschichtsschreibung nicht länger in den Dienst des Nationalstaates oder anderer Gemeinschaften nehmen lassen, deren Identität sie so lange historisch untermauert hat. Wissenschaftlich werden Gemeinschaften historisiert–sie sind nicht gegeben, sondern durch kommunikative Praktiken hervorgebracht und unterliegen einem steten Wandel. Vor allem gehen die Gemeinschaften nicht länger den Transfer- und Austauschprozessen voraus, in dem Sinne, dass zwei bereits identifizierbare und beschreibbare Gemeinschaften in einem zweiten Schritt in Kontakt miteinander treten, sondern der Transfer ist konstitutiv: Erst er bringt die Gemeinschaften hervor (Espagne, 1994; 2003).

Auch komparatistischen Ansätzen kann der Impuls zugrunde liegen, durch ihre Forschung Grenzen zu überwinden. Es besteht jedoch die Gefahr, so führen die Vertreter der Transfergeschichte aus, dass sie letztlich doch wieder zu einer Vertiefung der Grenzen beitragen, denn im Zentrum jeden Vergleichs steht die Differenzbestimmung: Gäbe es die Differenz nicht, würde der Vergleich in sich zusammenfallen. Die Vergleichseinheiten, derer die komparative Geschichtsschreibung sich bedient und die sie getrennt voneinander betrachten muss, um sie dann in ein analytisches Verhältnis zu setzen, bestehen nach Auffassung ihrer Kritiker nicht ›von Natur aus‹ (hierin unterscheiden sie sich von den Äpfeln und Birnen), sondern sind ein Konstrukt der Historiker –und zwar eines, auf das die Komparatistik nicht verzichten kann und das sie zudem, zumindest für die Dauer des Vergleiches,|43◄ ►44| stabil halten muss. Ein Vergleich zwischen Einheiten, die sich ändern oder deren Grenze sich verschiebt, macht wissenschaftlich keinen Sinn.

Zumindest solange, wie die Komparatistik an der Vorstellung festhält, dass der Vergleich dem Historiker einen Ersatz für Experimente zu bieten vermag, und sie mit seiner Hilfe Relationen zwischen Faktoren feststellen kann, die über die untersuchten Einzelfälle hinaus Gültigkeit haben, führt jede Art von Beziehungen zwischen den Untersuchungsobjekten, seien es Transfers oder ein gemeinsamer Ursprung, zur Störung des ›Experiments‹ und zur Einschränkung seiner Aussagekraft (Kleinschmidt, 1991).

Ein fiktives Vergleichsprojekt mag dies verdeutlichen. Nehmen wir an, es würde der Zusammenhang zwischen künstlerischer Produktivität und der Entwicklung von Nudelgerichten untersucht: Vergleichsobjekte könnten in diesem Fall Italien und China sein, das tertium comparationis wäre, dass es sich in beiden Fällen um Hochkulturen mit einer langen Geschichte handelt. Historiker könnten sich nun ausführlich der Geschichte der Nudelgerichte in beiden Ländern widmen, sie könnten den Konsum von Nudeln pro Person in Beziehung setzen zur Produktion von Gedichten und Gemälden, sie könnten die Essgewohnheiten der Künstler untersuchen und sogar interdisziplinär mit Hirnforschern zusammenarbeiten, die Testreihen zur Auswirkung des Nudelkonsums auf Areale des Gehirns, in denen man derzeit das Zentrum für Kreativität vermutet, beisteuern. Aber auch wenn das Projektdesign beliebig verfeinert würde–da Marco Polo die Nudeln von China nach Italien gebracht hat und es sich mithin um eine Transfergeschichte handelt und nicht um die Entfaltung endogener Faktoren, lässt sich die Fragestellung an dieser Konstellation nicht untersuchen.

Gegenüber der klassischen Komparatistik verzichtet die Transfergeschichte auf die Untersuchung von generalisierbaren Zusammenhängen zwischen Einzelfaktoren (nicht aber auf die Frage nach dem ›Warum‹ des Transfers): Matthias Middell definiert Transfer als

|44◄ ►45|

[…] die Bewegung von Menschen, materiellen Gegenständen, Konzepten und kulturellen Zeichensystemen im Raum und dabei vorzugsweise zwischen verschiedenen, relativ klar identifizierbaren und gegeneinander abgrenzbaren Kulturen mit der Konsequenz ihrer Durchmischung und Interaktion. (Middell, 2000, S.18)

Deutlich wird anhand dieser Definition, dass auch die Transfergeschichte auf Grenzziehungen nicht völlig verzichten kann, doch liegt das Schwergewicht der Untersuchungen auf den Veränderungen, die diese Grenzziehungen durch Austausch erfahren. Die Differenz wird gerade nicht stabil gehalten, sondern historisiert und relativiert–Fremdheit existiert, doch der Andere »ist nur ein bisschen anders« (Osterhammel, 2001, S. 78). Statt der Betonung von Dichotomien kommen dabei die Mischformen in den Blick: Jede Gemeinschaft, auch diejenige, die sich vehement vom Anderen abgrenzt, trägt in sich schon die Spuren einer früheren Begegnung, eines vorgängigen Transferprozesses.

Bis zu diesem Punkt unterscheidet sich die Transfergeschichte noch nicht sehr von der Connected History, denn auch dort geht es um Bewegungen im Raum, um Menschen, Artefakte und Ideen, die von einem Ort zum anderen gehen oder transportiert werden. Jedoch erlaubt der Begriff des Transfers gegenüber dem der connection, den Vorgang in einer Reihe von Punkten schärfer zu fassen und präziser zu operationalisieren.

Die erste Frage, mit der sich Transfergeschichte auseinandersetzen muss, ist die nach den Ursachen des Transfers. Auch wenn man postuliert, dass Transfer, dass Kulturbegegnungen überall und ständig stattfinden, so setzt sich dieser übergreifende Transfer aus vielen Einzeltransfers zusammen, die nicht ›einfach so‹ geschehen, sondern in spezifischen Situationen, durch spezifische Akteure, aus spezifischen Motiven initiiert werden. Die Antriebskräfte können entweder in der Ausgangskultur verortet sein (push factors) oder in der Rezeptionskultur (pull factors). Ausgehend von den deutsch-französischen (Espagne / Werner, 1988a), später dann auch den deutsch-englischen Beziehungen (Muhs / Paulmann / Steinmetz, 1998), liegt der Fokus der Transferforschung bislang auf der Seite der aufnehmenden Kultur. Es wird hervorgehoben,|45◄ ►46| dass ein Transfer nur dann gelingen kann, wenn ein Bedürfnis danach besteht, d. h. wenn er eine bestimmte Aufgabe innerhalb der Rezeptionskultur erfüllt–etwa die französische Orientierung am deutschen Primarschulwesen nach dem Krieg von 1870/71, in der Hoffnung, damit eine Verschiebung des außenpolitischen Machtverhältnisses herbeizuführen. Ähnliches kann auch für die gegenseitige Beobachtung und Beeinflussung im Bereich der sozialen Frage und der Lösungsangebote von Zivilgesellschaft und Staat zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich im 19. Jahrhundert gezeigt werden (Ritter, 1983).

Etwas unterschiedlich freilich stellt sich das Problem dar, wenn man es aus der Perspektive der kolonialen Geschichte betrachtet. Anders als in Europa war es hier schon seit dem 19. Jahrhundert unumstritten, dass eine Geschichte der Kolonien nicht ohne Bezug auf den Transfer von Ideen und Institutionen aus den Metropolen zu schreiben sei und dass die Dynamik für diese Entwicklung nicht oder zumindest nicht ausschließlich in der Rezeptionskultur zu finden sei. Stellten die frühen Narrative der Historiker den ›Zivilisierungsprozess‹ in den Mittelpunkt–sei es, dass er sich aus einem angenommenen Kulturgefälle gleichsam von selbst ergab, sei es, dass er als Ergebnis einer ›Zivilisierungsmission‹ gedeutet wurde–, so betonen jüngere Texte aus dem Umfeld der postkolonialen Studien den Zusammenhang von Kultur und Macht. Die Übernahme der kolonialen Kultur und ihrer Wissenssysteme war nicht nur zu keinem Zeitpunkt eine freie Entscheidung der Akteure der Rezeptionskultur; die Schaffung kolonialer Deutungsmuster trug auch erheblich zur Stabilisierung der kolonialen Herrschaft bei (Said, 1978; Viswanathan, 1989). Doch auch hier gilt es, sich nicht ausschließlich auf der Makroebene zu bewegen und sich nur mit den Interessen ›der‹ Kolonialmacht und ›der‹ Kolonie zu beschäftigen. Denn schaut man sich im Gegenzug einzelne Interessengruppen und Akteure an, die als Mittler in konkreten Transferprozessen tätig waren, so ergibt sich ein differenziertes Bild nicht nur von den Interessen, die auf beiden Seiten verfolgt wurden, sondern auch von überraschenden Allianzen–nicht notwendig zwischen Gleichen, aber auch nicht als reines Gewaltverhältnis. So begegneten |46◄ ►47| sich zum Beispiel in den 1840er Jahren am Delhi College, einer kolonialen Bildungseinrichtung, die danach strebte, westliches Wissen sowohl in einheimischen Sprachen wie auch auf Englisch zu vermitteln, nicht ›die‹ Briten und ›die‹ Inder. Vielmehr war das College für beide Seiten ein Element in einem komplizierten Prozess der Neuformulierung von Allianzen. Bestimmten Gruppen in Delhi bot es die Möglichkeit, durch Bildung ihre gesellschaftliche Stellung gegenüber anderen Gruppen zu verbessern–und auch unter den Briten war heftig umstritten, ob diese Bildungspolitik der richtige Weg sei, die Kolonie zu beherrschen (Pernau, 2006).

Die zweite Frage, die sich bei der Untersuchung von Transferprozessen stellt, ist die nach den Selektionskriterien, da es niemals zum Transfer einer gesamten Kultur, sondern immer nur von ausgewählten Aspekten kommt. Im Gegensatz zur ähnlich lautenden Frage in der Komparatistik geht es hier aber nicht mehr um eine Auswahl, die der vergleichende Historiker im Lichte seiner Forschungsinteressen vornimmt, sondern um die Untersuchung, vor welchen Alternativen die Akteure standen, wie und warum sie sich für die eine oder andere Möglichkeit entschieden und wie sie diese Wahl legitimierten, aber auch, welche Diskussionen sich um diese Selektionskriterien entsponnen, wo es Widerstand gab und wie und warum sich bestimmte Positionen durchsetzten.

Die dritte Frage richtet sich auf die Ergebnisse des Transfers. Wie oben ausgeführt, erfolgen die meisten Transfers mit dem Ziel, eine Veränderung auszulösen. Gewöhnlich ist zunächst einmal eine Veränderung in der Rezeptionskultur beabsichtigt–ob es um so große Transformationsprozesse wie ›Zivilisierung‹, ›Modernisierung‹ oder ›Entwicklung‹ geht oder bescheidener um das Streben nach Erhöhung der Effektivität der Sozialfürsorge, die im späten 19. Jahrhundert immer wieder britische Beobachter nach Deutschland führte; auch die Legitimation des ›Sturm und Drangs‹ durch die Übersetzung der Shakespeare-Dramen beinhaltete eine Transferleistung. Zugleich bleibt auch die Ausgangskultur vom Transferprozess selten völlig unberührt. Die Untersuchung etwa, wie der Kolonialismus auf die Metropolen zurückgewirkt|47◄ ►48| hat, bildet seit einigen Jahren eine eigene Forschungsrichtung (→ Kap. III.4.) Doch gilt es zu differenzieren: Häufig handelt es sich hier nicht einfach um die Umkehr des Transferprozesses (obwohl auch dies durchaus vorkommt–man denke nur an die Auswirkungen der Migration in die europäischen Metropolen), sondern um die Veränderungen, die das Bewusstsein auslöst, die eigene Kultur oder Elemente von ihr erfolgreich in andere Räume exportiert zu haben. Zumal wenn der Transfer bewusst geschieht und auch als solcher im Gedächtnis der Ausgangs- und der Rezeptionskultur bewahrt wird, verändert er fernerhin das Verhältnis der beiden Kulturen zueinander: Bei Gruppen, die sich im Prinzip als gleichwertig empfinden und zwischen denen die Transferprozesse in beide Richtungen verlaufen, führt eine als wechselseitiger Austausch wahrgenommene Geschichte zu Gemeinschaftsgefühl. Daher ist es kein Zufall, dass seit einigen Jahren die Untersuchungen zur Transfergeschichte innerhalb der Europäischen Union Hochkonjunktur haben. Anders sieht es aus, wenn der Transfer über längere Zeit nur in eine Richtung verlaufen ist. In diesem Fall ist nicht Gemeinschaftsbildung, sondern im Gegenteil Hierarchisierung des Verhältnisses das Ergebnis. Das letzte Element, das sich beim Transfer verändert, ist das Transfergut selbst. Dessen Veränderungen können sich auf den Inhalt beziehen, etwa wenn es nicht vollständig übertragen wird, wenn es missverstanden oder umgedeutet wird; sie können aber auch dadurch zustande kommen, dass jeder Transfer notwendig eine Dekontextualisierung und eine Rekontextualisierung beinhaltet, d. h. dass das Transfergut aus seinem Ursprungskontext in der Ausgangskultur herausgelöst wird, der ihm bislang seinen Sinn und seine Bedeutung verlieh, und in der Rezeptionskultur in einen neuen Kontext eingebettet und so mit neuer Bedeutung ausgestattet wird.

Ein Transfer kann gelingen, er kann aber auch scheitern. Gelungen ist ein Transfer, wenn es zur Rezeption in der Zielkultur kommt. Diese Rezeption kann wiederum ganz unterschiedliche Formen annehmen. Das Fremde kann abgesondert werden und als Fremdes gekennzeichnet bleiben; es kann angeeignet werden, hier ist es zwar noch als fremd markiert, hat jedoch schon einen |48◄ ►49| Transformationsprozess durchlaufen; es kann weiterhin durch Akkulturation in einer Weise und in einem Ausmaß in den neuen Kontext integriert werden, dass sein fremder Ursprung vergessen wird. Dieser Vorgang spielt vor allem eine Rolle, wenn es um die Schaffung von ›Nationalkulturen‹ geht, die als endogene Entwicklungen gedeutet werden sollen. Ein Transfer kann auch scheitern, weil das fremde Kulturgut ignoriert wird, sich Widerstand dagegen erhebt oder es schlichtweg verboten wird.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.