Kitabı oku: «Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris»
Maria Anna Oberlinner
Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris
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Umschlagabbildung: Marmorsphinx als Basis. Neapel, Museo Nazionale, Inv. 6882. Guida Ruesch 1789. H: 91 cm INR 67. 23. 57. Su concessione del Ministero dei Beni e delle Attività Culturali e del Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli.
Diss. Ludwig-Maximilians-Universität München 2021
DOI: https://www.doi.org/10.24053/9783823395263
© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISSN 0941-4274
ISBN 978-3-8233-8526-4 (Print)
ISBN 978-3-8233-0355-8 (ePub)
Inhalt
Abkürzungen
Vorwort
1 Einleitung
2 Der Aufbau der Remedia amoris
3 Der literaturtheoretische Rahmen 3.1 Ein Intertextualitätskonzept für philologische Heuristik 3.2 Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik 3.3 Ein Visualisierungsmodell: Die Pyramidenstruktur der Intertextualität
4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht4.1.1 Die Grundkonzeption von De rerum natura liber 4 und die Bedeutung der ‚Bilder‘4.1.2 Die sukzessive Entfernung vom Prätext4.1.3 ‚simulare vs. simulacra‘4.2 Parodie und Intertextualität: Die Remedia amoris und die didaktische Poesie4.2.1 Ovidische Erneuerungen in einer innovationsfreudigen Gattung4.2.2 Die Funktionalisierung didaktischer Standards für die Remedia amoris4.2.3 Die Demontage der Elegie im Medium des Lehrgedichts4.2.4 Amor schleicht sich ein: Die unmöglichen Remedia amoris4.3 Die Funktionalisierung jambischer und satirischer Elemente für das Programm der Remedia amoris4.3.1 Eine parodistische ‚aemulatio Horatii‘? Ovids intertextuelle Bezugnahme auf den Augusteer und jambisch-satirische Traditionen4.3.2 Ovid und Catull: Reaktion auf Geschichten eines Rückfalls4.3.3 Resümee zum Umgang mit den satirischen und jambischen Prätexten sowie weiteren carmina der Catull’schen Liebeszyklen
5 Zusammenschau und Ausblick auf weitere Forschungsfelder
6 Literaturverzeichnis6.1 Textausgaben, Übersetzungen, Kommentare und Konkordanzen6.2 Wörterbücher und Bibliographien6.3 Forschungsliteratur
7 Stellenindex
meinen Eltern gewidmet
Abkürzungen
Für antike lateinische und griechische Autoren und Werke verwende ich die Abkürzungen nach dem Neuen Pauly, vgl. Cancik, Hubert/Schneider, Helmuth (2003/2012; Hgg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 1, Stuttgart, XXXIX–XLVII.
Für Zeitschriftentitel im Literaturverzeichnis verwende ich die Abkürzungen nach L’ Année Philologique.
Zudem kürze ich das Oxford Latin Dictionary mit OLD und den Thesaurus Linguae Latinae mit ThLL ab (für genaue Literaturangaben siehe 6.2).
Vorwort
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die geringfügig überarbeitete und um einen Stellenindex erweiterte Fassung meiner Dissertation, die ich im Wintersemester 2020/2021 an der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht habe. Die Disputation erfolgte am 06.05.2021. Mein Dank gilt mehreren Mentoren und akademischen Weggefährten.
Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Claudia Wiener, für deren unermüdliche Unterstützung meiner Arbeit ich mich aufrichtig bedanken möchte. Sie begegnete meinen Ideen und Ergebnissen stets mit Offenheit und großem Interesse und war als äußerst engagierte Mentorin eine vertrauensvolle Ansprechpartnerin in allen Belangen. Ebenfalls gilt mein herzlicher Dank Prof. Dr. Niklas Holzberg, der mich mit seiner Begeisterung für die griechische und römische Dichtung zur Auseinandersetzung mit Ovid inspiriert und meine Zulassungsarbeit, von der meine Dissertation ihren Ausgangspunkt nahm, betreut sowie das Korreferat für meine Dissertation übernommen hat. Die anregenden Vorträge im Rahmen der von ihm begründeten Petronian Society Munich Section und die dabei geknüpften Kontakte prägten zudem meine Studienzeit und mein Interesse an der wissenschaftlichen Beschäftigung mit lateinischen Texten. Außerdem bedanke ich mich bei Prof. Dr. Markus Janka, der als Drittgutachter meiner Dissertation fungierte und an dessen Arbeitsbereich für Fachdidaktik ich in meiner Studienzeit wertvolle Erfahrungen sammeln konnte. Zudem gilt mein Dank allen Mitgliedern des Forum Didacticum, insbesondere Dr. Rüdiger Bernek, da ich mehrfach an Forschungskolloquien teilnehmen und Thesen präsentieren sowie diskutieren durfte. Ferner bin ich Prof. Dr. Friedrich Vollhardt, der bereitwillig und mit großem Interesse für meine Forschung als Drittprüfer der Disputation agierte, und seinem Lehrstuhl zu großem Dank verpflichtet.
Schließlich möchte ich Prof. Dr. Regina Höschele meinen besonderen Dank aussprechen, da sie aus der Nähe und Ferne meine Studienzeit prägte und mir stets menschlich und fachlich mit wertvoller und präziser Kritik zur Seite stand. Auch Herrn Tillmann Bub, dem Lektoratsteam und Frau Iris Steinmaier vom Narr Francke Attempto Verlag sei für die Unterstützung bei der Publikation ebenso aufrichtig gedankt wie Prof. Dr. Claudia Wiener und Prof. Dr. Martin Hose für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe Classica Monacensia.
Ein spezieller Dank gilt zudem nicht nur allen, die mich auf meinem akademischen Weg und auf Tagungen, in Seminaren, Forschungskolloquien und in fachlichen Gesprächen begleitet haben, sondern vor allem meiner Familie und meinen Freunden, insbesondere meinen Eltern, die mich in der Phase der Promotion unterstützt haben. Ihnen, die mich auf jedem Schritt meines Lebens geleitet haben und denen ich alles verdanke, sei dieses Buch gewidmet.
München, im Januar 2022 Maria Anna Oberlinner
1 Einleitung1
Zu Beginn des vierten Teils seiner liebesdidaktischen Tetralogie2 inszeniert Ovid Amors Empörung über den Titel des neuen Werkes, da die ovidische Persona remedia amoris in, wie es zunächst scheint, Opposition zum Zuständigkeitsbereich des Liebesgottes ankündigt. Gegen welche Form der Liebe diese Heilmittel gerichtet sind, erläutert der Sprecher im ersten Teil des Proöms (vgl. V. 1–40): eine unglückliche und unerwünschte, deren Bekämpfung auch Amor am Herzen liegen müsse (vgl. at si quis male fert indignae regna puellae, / ne pereat, nostrae sentiat artis opem, V. 15f.). Ovids Schüler soll das Buch lesen und die Regeln und Hilfestellungen beherzigen, bis er schließlich zu lieben verlernt (vgl. donec dediscis amare, V. 211b).
Ein Blick auf aktuellere Publikationen in Sachen Liebesratgeber lässt die Remedia amoris geradezu modern erscheinen. In zahlreichen Büchern, (Lifestyle-)Magazinen und Internetbeiträgen finden sich Hinweise auf verschiedene bewährte Strategien, die zur Befreiung von lästiger Liebe oder Liebeskummer verhelfen.3 Die Nachfrage nach entsprechender Ratgeberliteratur ist offenbar groß.
Aus dem allgemeinen Erfahrungsschatz des Lebens scheinen, den poetologischen Selbstaussagen zufolge,4 auch die Weisungen des ovidischen praeceptor zu stammen, da er in „Wenn-Dann-Szenarien“5 Möglichkeiten zur Heilung von Liebesqualen vorstellt, die u. a. darin bestehen, dass der Schüler sich mit Hobbies oder beruflicher Tätigkeit ablenken oder eine neue erotische Beziehung eingehen solle. Praktikabel, nachvollziehbar, realitätsnah gedacht, wenn man davon ausgeht, dass sich Emotionen durch Planung steuern lassen6 – so könnte ein erster Lektüreeindruck beschrieben werden. Doch zielen die Remedia wie ihre modernen ‚Entsprechungen‘ auf Anwendbarkeit im Alltag ab? Diese Frage ist mit Blick auf die Forschungsergebnisse, die Ovids intertextuelle und postmodernistische7 Referenzen auf literarische Traditionen und seine Ausrichtung auf ein literarisch gebildetes Leserpublikum hervorheben, zu verneinen.8
Es ist ein Verdienst der Forschung klassischer Philologen, besonders seit den 1970er und 1980er Jahren, die selbst-reflexive und auf intra- und intertextuellen Anspielungen basierende Natur der ovidischen Dichtung herausgearbeitet zu haben.9 Auch ich möchte meinen Beitrag dazu leisten und den Remedia amoris die Aufmerksamkeit schenken, die ihnen im Verhältnis zu anderen Werken des Dichters lange versagt war und auch im Grunde noch immer versagt ist. Denn dieses Werk verkörpert ebenfalls die typisch ovidische Poetik der „selbst-bewussten“ und selbstreflexiven Literarizität, die sich aus der Rekurrenz auf literarische Traditionen und konkrete Texte speist.10
Den Remedia wurde zunächst eine etwas ‚stiefmütterliche Behandlung‘ zuteil, was, wie auch Steven Green (2006) in seinem Forschungsbericht im Sammelband „The Art of Love“ erfasst, an der lange verbreiteten Sicht lag, dass sie lediglich eine Inversion der Weisungen aus der Ars darstellten.11 So bezeichnete der klassische Philologe Wilamowitz, wie Lenz (1969) berichtet, in einem seiner Berliner Seminare die Remedia als „matte[n] Aufguß auf die Teeblätter, aus denen der Gewürztrank der ‘Ars’ bereitet worden ist“12. Auch Fränkel hat 1945 noch behauptet: „Ovid […] had been writing on love for the better part of the past twenty-five years. No wonder that the subject had worn thin for him.“13 Mit der Publikation von Kenneys (auch für meine Untersuchungen maßgeblicher) textkritischer Ausgabe im Jahr 1961, die 1994 in zweiter Auflage und 1995 nochmals verbessert erschien,14 kam es jedoch zu einem „immense boost“15 an Forschung zur Ars und (wenngleich weniger ausgeprägt) zu den Remedia, wie sich auch am Entstehen der Kommentare zeigt16 – auch wenn man, im Vergleich etwa zu den Metamorphosen, Fasti, der Exildichtung und teils auch den Amores, nur partiell von einem ‚Boom‘ sprechen kann.17 Forschungsschwerpunkte, die Ars und Remedia gleichermaßen betreffen, waren dabei insbesondere Fragen zur Datierung18 und Struktur und zur Zusammengehörigkeit der Tetralogie19 – Rosati etwa bezeichnet die Remedia als „fourth book of the Ars“20 – sowie zur Gattung des elegisch-didaktischen Hybridprodukts und der damit einhergehenden Mischung verschiedener Diskurse,21 des „almost infinitely flexible genre“22 bzw. „supergenre“23 der ovidischen Elegie und zum Einfluss früherer literarischer Werke sowie Ovids Umgang damit.24 Auch die Rolle der mythologischen Exempel bzw. Exkurse wurde häufig zum Forschungsgegenstand.25 Die drei Bücher der Ars amatoria haben über die Jahrzehnte hinweg zwar deutlich mehr Aufmerksamkeit erfahren.26 Dennoch hat sich auch eine eigenständigere, spezifische Remedia-Forschung entwickelt. Im Zentrum standen dabei neben dem Aufbau und der (rhetorischen) Struktur27 Fragen zur Rolle des praeceptor (sanitatis), auch seiner Selbstpräsentation als Lehrer und Arzt und seiner Herkunft aus didaktischen und elegischen Traditionen,28 und die Rückgriffe auf literarische und philosophische Topoi, die sich mit dem Thema Heilung und Medizin befassen.29 Als ‚Meilenstein‘ und Wegweiser für die weitere Forschung ist m. E. Contes (1989) brillanter Aufsatz „Love without Elegy: The Remedia amoris and the Logic of a Genre“ – italienisch schon 1986 erschienen30 – zu werten. Dieser widmet sich dem Werk aus literaturkritischer Sicht, kontrastiert die der Elegie und Didaktik inhärenten Codes und erfasst das metaliterarische, gattungssprengende Programm der Remedia, die als „remedy against a form of literature“31, und zwar die sie konstituierende Elegie, fungieren. Dadurch erfasst Conte die grundsätzliche Natur von Ovids Heilmitteln gegen die Liebe.
Viele wissenschaftliche Beiträge befassen sich mit dem Problem, ob die Remedia überhaupt funktionieren können. Denn sowohl die metrische Gestaltung als auch die negativen, eher scheiternden exempla und die durch Intertextualität stets durchbrechende elegisch-erotische Welt zeigen, welche Spannungen und Widersprüche durch das paradox wirkende Unterfangen entstehen, in elegischen Distichen eine Lösung von unglücklicher Liebe zu versprechen.32 Christopher Brunelle (2000/2001) zitiert etwa einen Ausspruch des August Graf von Platen, der dieses Problem bereits im 19. Jahrhundert erkannt hat. „Ich zweifle aber, ob so ein Gedicht, das die Liebe zwar abwehrend, aber doch so reizend behandelt, nicht eher zur Liebe lockt, als davon wegschreckt.“33
Es wurde auch erkannt, dass intertextuelle Betrachtungen für das Verständnis der Remedia notwendig sind; besonders oft wurde dabei das Verhältnis zur Ars und den Liebeselegikern sowie dem Genre Elegie in den Blick genommen.34 Auch damit geht das Problem der funktionierenden Remedia einher: So kann man als doctus lector eigentlich nicht gleichzeitig Weisungen zum Vergessen folgen und die intra- und intertextuellen Referenzen wahrnehmen.35 Des Weiteren haben die Verbindungen zu Lukrez und zur Gattung Satire bereits philologisches Interesse geweckt.36 Die Rezeption von Ovids Ars (und, meist weniger stark akzentuiert, auch der Remedia) in Ovids späteren Werken,37 bei späteren lateinischen Dichtern sowie das Nachleben allgemein sind ebenfalls vermehrt aufgegriffen worden.38
Insgesamt wurden die Remedia meist Gegenstand von Analysen in Form von, teils längeren, Aufsätzen. Abgesehen von den Kommentaren, Textausgaben und Übersetzungen, Jones’ (1997) kurzer, 120-seitiger Monographie und Brunelles Dissertation (1997) „Gender and Genre in Ovid’s Remedia Amoris“,39 die sich v. a. mit der paradoxen Gestaltung des poetischen decorum in den Remedia befasst, gibt es jedoch keine Monographien, die sich ausschließlich den Remedia widmen.
Mit dieser Arbeit möchte ich mich grundsätzlich in den Forschungsdiskurs einreihen, der in den Remedia ein humorvolles, „mock-serious [didactic]“40 sieht – ein Werk, das sich dabei durch intra- und intertextuelle Referenzen und eine grundsätzliche ‚Literarizität‘ auszeichnet. Denn durch die produktive und parodistische Auseinandersetzung mit Prätexten und Gattungskonzepten erlangt dieses Werk seinen spezifischen Charakter. Dabei geht es mir konkret darum zu zeigen, dass die Dichtungen des Lukrez, Horaz (die Satiren und Epoden) und Catulls als jeweils modellhafte Referenztexte Pate für den Tonfall und die inhaltliche und strukturelle Gesamtkomposition der Remedia stehen, die Bezugnahme also werk-konstitutive Funktion hat; erst eine Analyse der intertextuell-parodistischen Referenzen und des (meta-)literarischen Dialogs mit den zeitgenössischen literarischen Autoritäten ermöglicht ein umfassendes Verständnis der Remedia amoris. Die fokussierten Werke sind insofern privilegierte Intertexte, als sie für Ovid paradigmatisch sind. Lukrez’ Lehrgedicht ist in Buch 4 methodisch und thematisch mit den Remedia ‚verwandt‘, gleichzeitig aber auch illustres Gegenbild. In dessen parodistischer Negation erhält m. E. der erste Remedia-Teil seine Kontur. Auch Horaz’ Gattungsrevolution im Bereich Satire und Jambus ist für die Remedia wesentlich. So wird dadurch Ovids generisch-destruktives Programm, wie ich argumentiere, erst möglich. Zudem legitimieren die produktive Rezeption der bei Horaz und insbesondere Catull zu findenden Verbindung von Erotik und Jambus und die Präsentation prototypisch rückfallgefährdeter, unglücklich Verliebter Ovids Vorgehen, sich v. a. im zweiten Remedia-Teil als Autorität mit der Propagierung alternativer Verhaltensszenarien an seine Schüler zu wenden. Diese neuen Erkenntnisse und Beobachtungen auszuführen, ist Gegenstand des im Folgenden knapp skizzierten Hauptteils.
Im zweiten Kapitel stelle ich zunächst den Aufbau der Remedia amoris unter Bezug auf bereits bestehende Untersuchungen dar und akzentuiere dessen Analyse insofern neu, als ich die beiden Hälften des Hauptteils, der tractatio,41 in Fortführung der Terminologie der drei Ars amatoria-Bücher als ‚ars agendi‘ und ‚ars vitandi‘ klassifiziere. Diese Makrostruktur ist dabei Grundlage für Untersuchungen zur Mikrostruktur des Textes, die illustriert durch tabellarische Übersichten zum Aufbau im Verlauf der Arbeit durchgeführt werden.
Das dritte Kapitel dient der Erläuterung der literaturwissenschaftlichen Grundlagen und Begriffe, welche die Basis meiner Analysen sind. Dabei versuche ich, moderne literaturkritische Konzepte auf ihre Kompatibilität mit der antiken (Sicht auf) Literatur zu prüfen und so zu verwenden, dass anachronistische Verzerrungen beim Blick auf die antiken Texte vermieden werden. Das betrifft den Begriff ‚Intertextualität‘ und seine Verbindung mit den antiken Termini aemulatio und imitatio und den Begriff ‚Parodie‘, welchen ich unter Bezug auf Margaret Roses (1993) Definition von modernen reduktionistischen Varianten abgrenze und in seiner antiken Fundierung verwende. Für intertextuelle Bezüge differenziere ich in Fortführung der Klassifikationen Ulrich Broichs und Manfred Pfisters (1985) zwischen Einzeltext- und Systemreferenzen, da dies der Konzeption der Referenzen in den Remedia entspricht. Über die Zusammenfassung bestehender Erläuterungen zum Intertextualitätsbegriff hinaus habe ich jedoch ein eigenes Analysemodell, das ‚Pyramidenmodell der Intertextualität‘ entwickelt, das ich für die intertextuellen Untersuchungen, den Schwerpunkt meiner Arbeit, nutze. Der Vorteil ist, dass in dieser dreidimensionalen pyramidalen Darstellung die Hierarchie intertextueller Bezüge, die von einem fokussierten Prätext ausgehen, visualisiert werden kann. Auch lässt sich die Gleichzeitigkeit mehrerer Bezüge, die für die Remedia und auch viele andere lateinische Texte konstitutiv ist, dadurch einfach und übersichtlich abbilden.
Mit dem vierten Kapitel beginnt der eigentliche Hauptteil meiner Arbeit. In Kapitel 4.1 belege ich, wie das Lehrgedicht des Lukrez, insbesondere die Diatribe gegen die Liebesleidenschaft aus dem vierten Buch von De rerum natura, intertextuell aufgerufen und letztlich parodiert wird. So zeige ich auf, dass sich die Ausführungen des Lukrez wie eine ‚Heilmittelklammer‘ um einen Großteil der Weisungen aus der ars agendi legen. Dabei nimmt Ovid den lukrezischen Prätext aber nicht als vorbildhaftes Muster, sondern er entfernt sich im Verlauf seiner Weisungen sukzessive von diesem Bezugstext, bis es zu einem endgültigen Bruch mit diesem kommt. Die Bezugnahme manifestiert sich auch lexikalisch darin, dass die Wiederholung von Formen des Verbs simulare bei Ovid auf die epikureische simulacra-Theorie anspielt. Daraus kann man folgern, dass Ovid durch seine Weisungen zum Verstellen (simulare), welche eine Charakterisierung der ersten tractatio-Hälfte als ars simulandi zulassen, letztlich eine parodistische Inversion des lukrezischen Textes und seiner Philosophie erreicht, die auf einer Vermeidung von Illusion beruht.
Ausgehend von den Erkenntnissen zu diesem spezifischen Lehrgedicht, also der Untersuchung dieser Einzeltextreferenz, und bestehenden Forschungsergebnissen betrachte ich in Kapitel 4.2 Ovids Haltung dem didaktischen Genre allgemein gegenüber. Dabei zeigt sich, dass Ovid die Grenzen dieser grundsätzlich offenen Gattung weiter auslotet und dem Lehrgedicht durch die Verbindung elegischer und didaktischer Elemente seine persönliche Prägung gibt. Auch integriert er andere Lehrgedichte funktional in sein elegisch-didaktisches Hybrid-Projekt der Remedia amoris und ordnet diese seinem eigenen Werk unter. Mit den Instruktionen dazu, wie man sich von unglücklicher Liebe lösen kann, ist zugleich auch die Demontage der Gattung Elegie und ihrer Regeln (dies stellt Contes [1989] zentrale These dar) verbunden, wobei aber die in der Form und metrisch-rhythmischen Gestaltung inhärenten elegischen ‚Obertöne‘ die Ernsthaftigkeit einer Absage an diese Welt konterkarieren. Der letztgenannte Aspekt, der durch einen Forschungskonsens bereits bestätigt ist und so auch in dieser Arbeit referiert werden soll, sei an das Ende des Kapitels gestellt.
Meine darauf folgenden Betrachtungen zu Ovids Referenzen auf Horaz und Catull (Kapitel 4.3) stehen im Kontext einer Analyse der (eroto-)jambischen und satirischen Elemente, die ebenfalls für das Programm der Heilmittel gegen die Liebe funktionalisiert werden. Dabei werden die parodistischen Rekurrenzen auf Horaz vorwiegend als Systemreferenz realisiert, wobei sie jedoch in konkreten intertextuellen Bezugnahmen auf Textpassagen und Motive begründet liegen. Dagegen stehen die Liebesgedichtzyklen des Catull’schen Œuvres als Einzeltextreferenz im Vordergrund. Ausgangspunkte für meine Schlussfolgerungen sind dabei zunächst die Anspielungen auf die Autosuggestionspassage in Horaz’ dritter Satire des ersten Buches und Ovids parodistischer Umgang mit dem moralphilosophischen vitium-Begriff sowie die karikierende Referenz auf die Existenz von Liebessklaven, wie sie Ovid bereits in sat. 2, 3 und 2, 7 begegnet sind. Dabei zeige ich, dass Ovid Horaz, insbesondere seine produktive Gattungsrevolution in den Bereichen Satire und Jambus, teilweise in Form einer ‚aemulatio Horatii‘ nachahmt und teilweise parodiert und so für die eigene ‚destruktive‘ Gattungsrevolution der Remedia nutzt. Denn auch der jambische Tonfall der Epoden und die lineare Entwicklung der Epoden-Persona stehen, wie ich denke, im Hintergrund der parodistischen Aufnahme in den Remedia.
Die parodistische Referenz auf das Verhalten der Epoden-Persona ist vergleichbar damit, wie Ovid mit dem Sprecher-Ich Catulls umgeht. Dabei ist die Bedeutung der Liebesgedichtzyklen um Lesbia und Juventius und das Verhalten des Catull’schen Ich für die Remedia jedoch insofern größer, als sich zeigen lässt, dass die erkennbare emotionale Entwicklung Catulls motivisch und strukturell grundlegend für den zweiten tractatio-Teil, die ars vitandi, ist. Denn Ovid zeigt parodistisch, wie Catull ein Negativbild ist, dessen Fehler man vermeiden muss, um nicht rückfällig in der Liebe zu werden – Catull demonstriert schließlich, wenn man die Carmina einer intentional naiven Lesart unterzieht und in der Reihenfolge ihrer narrativen Präsentation liest, dass er das Prinzip der emotionalen Indifferenz, das Ovid in der zweiten Remedia-Hälfte entfaltet, missachtet. Die sich im wiederkehrenden Motiv des Nebenbuhlers konstituierende ‚Rivalen-Klammer‘, die sich um diesen zweiten tractatio-Teil legt, gründet ebenfalls auf dem ‚Beziehungsnarrativ‘ Catulls und belegt zusätzlich die Bedeutung dieses Prätextes für die Remedia. Diese Beobachtungen liegen auch der Analyse konkreter lexikalischer Anspielungen auf Catull (insbesondere anhand des Verbs desinere und dominanter Wortfelder zu ‚sprechen und schweigen in Liebesangelegenheiten‘) zugrunde, die meiner Ansicht nach eine Bezeichnung des zweiten Remedia-Teil als ‚ars desinendi et tacendi‘ zulassen. Den Ausführungen stelle ich einen Überblick über die Gestaltung der jambischen Gattung bei Catull und eine detaillierte Betrachtung der Liebeszyklen voran. Mit meiner Klassifikation fünf emotionaler Stadien, die das Catull’sche Ich in der linearen Repräsentation der Carmina durchläuft und die für die Betrachtung der Sammlung als ‚Geschichten eines Rückfalls‘ wesentlich sind, leiste ich auch einen Beitrag zur Catull-Forschung. Eine einführende, zusammenfassende Darstellung von Ovids Bezugnahmen auf den früheren Dichter an anderen Stellen seines Werkes dient als zusätzliche Legitimation der Analyse von Catulls Einfluss.
Ich möchte meinen Ausführungen noch eine kurze Bemerkung zu meinem Gebrauch von Sprecher-, Persona- und Autorbegriff voranstellen, die teilweise moderner Erzähltheorie entnommen, aber auch auf Werke der Antike anwendbar sind,42 wobei dies in der Forschung aber nicht unumstritten ist.43 Wenn man über die Diegese in literarischen Werken spricht, wird im literaturwissenschaftlichen Diskurs ein Sprecher-Ich angesetzt, das als eine fiktionale Figur innerhalb des aufgespannten literarischen Raumes, innerhalb der intradiegetischen Welt agiert, spricht etc. Die erzählte Welt wird dabei von einem extradiegetischen Erzähler konstituiert, der nicht mit dem historischen Autor gleichzusetzen, sondern eine literarische Persona ist; so erschafft etwa die ovidische Persona die Remedia amoris und nicht der 43 v. Chr. geborene Dichter. In den Remedia wie auch der Ars tritt nun diese Persona als ‚Ich‘ sagende Figur, als Lehrer im Liebeskurs, als magister/praeceptor amoris bzw. sanitatis sichtbar auf. Aus Gründen der Praktikabilität werde ich, etwa auch um bei Detailanalysen eine unnötige terminologische Verkomplizierung zu vermeiden, in folgender Arbeit die Begriffe Sprecher(-Ich), Persona44 und Autorname – Ovid oder auch Lukrez, Catull, Horaz etc. – synonym verwenden, zumal dies in der anglophonen Forschung in der Regel problemlos praktiziert wird.45 Wenn ich den Namen des Autors verwende, beabsichtige ich also keine Gleichsetzung mit der historischen Figur (was ich, in Anbetracht der lange autobiographischen Lesart der Gedichte Catulls und der steten Versuche, Lesbia mit Clodia zu identifizieren, als einen für Catull besonders wichtigen Hinweis erachte); ist bei einer Nennung tatsächlich die Autorfigur gemeint, ist dies explizit markiert. Denn trotz der grundlegenden Trennung von historischer und literarischer Ebene können in diesen antiken Werken auch Realitätsreferenzen möglich sein. In manchen Fällen sind diese sogar wahrscheinlich. In den Epoden etwa, die auch vor dem Hintergrund der Schlacht von Actium geschrieben wurden, kann es zu einer Übereinstimmung von fiktivem Sprecher-Ich und realhistorischem Autor kommen; eine Trennung ist nicht immer sicher bestimmbar oder sinnvoll, etwa wenn bestimmte Passagen oder Texte bewusst mit autobiographischen Angaben aufgeladen sind. So gibt es auch Stimmen, die in den Remedia in der Passage des Literaturexkurses eine Äußerung des Autors Ovid hören.46 Denn es können sich auch in der fiktiven Persona nur vereinzelte, implizierte Referenzen auf autobiographische Aspekte oder Spiegelungen der historischen Realität finden. Bei der Betrachtung der Remedia als literarischer Parodie von Prätexten und Gattungstraditionen, auf die intertextuell Bezug genommen wird, und bei der Analyse der praecepta, die durch die instruierende Persona präsentiert werden, geht es mir jedoch nicht um die reale Figur Ovid und Fragen etwa nach historischen und politischen Implikationen. In dieser Arbeit bleibe ich in der Welt der Literatur und bei ihren Gesetzen, die in den Remedia unter Rückgriff auf andere Intertexte produktiv verhandelt werden.