Kitabı oku: «Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris», sayfa 4

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4 (Gattungs-)Rezeption, Innovation und Intertextualität in den Remedia amoris

Auf der Grundlage der Ausführungen zum literaturtheoretischen Rahmen und der Struktur der Remedia wird im Folgenden untersucht, wie Ovid paradigmatische Texte seiner Zeit, v. a. das Lehrgedicht des Lukrez, Horaz’ Epoden und Satiren und Catulls Carmina, strukturell und motivisch in seine Remedia integriert und durch Transgression von Gattungsgrenzen bzw. produktiv-reorganisierende Rezeption und Integration von insbesondere jambisch-satirischen Gattungsmerkmalen dem erotodidaktischen Lehrgedicht seine spezifische Form gibt.

4.1 Ovids parodistische Inversion von Lukrez’ philosophischem Lehrgedicht

Zum ersten Mal greifbar wird die intertextuelle Bezugnahme auf Lukrez’ Diatribe gegen die Liebesleidenschaft im Finale von De rerum natura liber 4 (Lucr. 4, 1058–1191) bei der Frage danach, wann der Heilungsprozess am besten einzuleiten sei (vgl. V. 79–134), also noch in der Einleitung zu Ovids tractatio.1

Weitaus deutlicher treten diese Parallelen jedoch innerhalb der ‚ars agendi‘ der Remedia zu Tage (vgl. V. 135–488). Im Folgenden belege ich die These, dass sich die Weisungen des lukrezischen praeceptor wie eine intertextuelle Klammer um die ersten Vorschriften Ovids legen, bevor dieser in der Aufforderung zur Selbsttäuschung die epikureische Basis von De rerum natura invertiert und praecepta vorstellt, die kontrapunktierend über Lukrez hinausgehen.2 Dass es legitim ist, Lukrez als einem der ‚Archegeten‘ der Gattung Lehrgedicht eine Wirkung auf Ovids Text zuzuschreiben und De rerum natura als Anknüpfungspunkt für die Remedia zu untersuchen, sehe ich in zweierlei Hinsicht begründet. Zum einen ist der Einfluss des Hexameteropus auf die Literatur der augusteischen Zeit im Allgemeinen vielfach spürbar.3 Zum anderen erwähnt Ovid, als einziger Dichter seiner Zeit, Lukrez namentlich,4 und zwar als sublimis Lucretius in am. 1, 15, 23 und trist. 2, 423–428. Dabei ist besonders das vierte Buch des didaktischen Prätextes für die intertextuelle Referenz relevant.

4.1.1 Die Grundkonzeption von De rerum natura liber 4 und die Bedeutung der ‚Bilder‘

Im Buchpaar1 der libri 3 und 4 werden die atomistischen Grundprinzipien, die Lukrez in den ersten beiden Büchern entfaltet, auf das menschliche Leben angewandt: Buch 3 behandelt die Beschaffenheit der Seele und Buch 4 die Sinneswahrnehmungen. Das Ziel besteht darin, psychophysische Phänomene wie Wahrnehmung, Verlangen und Schlaf zu erklären,2 wobei die Themen „effluence“, also Wahrnehmung durch den Ausfluss von Partikeln eines Objektes, und ‚Illusion‘ dominieren.3 Das Fundament hierfür bildet, wie etwa Robert Brown (1987) ausführt, die epikureisch-atomistische Erkenntnistheorie, die besagt, dass εἴδωλα/simulacra als materielle Basis für sinnliche Wahrnehmung fungieren und sie generieren (vgl. auch Lucr. 4, 26–822).4 Diese wiederum stelle das Kriterium für wahre Erkenntnis dar (vgl. Lucr. 1, 422–425 und 693–700 sowie Lucr. 4, 469–521),5 während Irrglaube, Illusion und falsche Vorstellungen für Lukrez darin begründet lägen, dass der Verstand die sensuellen Daten falsch evaluiert und interpretiert (vgl. etwa Lucr. 4, 379–468).6 Dementsprechend werde im Fall der, von Epikureern als negativ beurteilten, Liebesleidenschaft die Attraktivität des geliebten Menschen nicht mehr nur für sexuelle Stimulation und körperliche Befriedigung genutzt.7 Vielmehr seien die Bildchen, die der geliebte Mensch aussende, als dianoetische simulacra im Verstand des Betroffenen präsent. Deshalb beginne dieser, bei Abwesenheit des/der Geliebten8 von seinem/ihrem Bild besessen zu sein (vgl. V. 1037–1072) und der physischen Erscheinung über die sinnliche Wahrnehmung hinaus falsche Qualitäten zuzuschreiben (vgl. V. 1149–1191).9 In ihrer Gegenwart überhöhe er die Erotik ihrer Ausstrahlung, deren eigentliche Funktion nur sexuelle Erregung mit nachfolgendem Koitus sein sollte; doch anstatt dem sexuellen physiologischen Drang Folge zu leisten, konzentriere sich der Verliebte ausschließlich auf eine Person, er schiebe die Befriedigung auf und müsse so psychisch und physisch negative Folgen ertragen (vgl. Lucr. 4, 1073–1120).10 Die Liebe ist nach epikureischen Gesichtspunkten ein furor, ein Zustand der emotionalen Besessenheit vom Bild der Geliebten.11 Dementsprechend lautet eines der ersten praecepta in der Diatribe des Lukrez, dass der Liebende die simulacra des Objekts seiner Begierde aus seinem Geist vertreiben und sich nicht der unersättlichen Liebesraserei hingeben solle: sed fugitare decet simulacra et pabula amoris / absterrere sibi atque alio conuertere mentem (Lucr. 4, 1063f.).

Das Konzept, das die Wahrnehmung und die epikureische simulacra-Theorie umfasst, ist, wie Brown zeigt, wesentlich für den Zusammenhang des vierten Buches. Auch quantitative Betrachtungen belegen die zentrale Stellung der ‚Bilder‘: Das Wort simulacrum wird in Buch 4 allein 46 Mal verwendet, während es in den anderen Büchern nur ein bis fünf Mal erscheint.12

Die dianoetischen simulacra, die in Träumen wahrgenommen werden (vgl. Lucr. 4, 962–1029),13 bilden den argumentativen Ausgangspunkt; über die anschließende Erörterung zu Bettnässen und Samenerguss im Schlaf (vgl. Lucr. 4, 1030–1036) werden die Themen „Traum“ und „Sex und Liebe“ miteinander verknüpft, bevor sich die lukrezische Persona in der folgenden diatribisch-invektivischen, dabei einen auch satirischen Tonfall aufweisenden,14 Attacke gegen den Liebeswahn wendet.15 Beide Körperfunktionen der Seele sind, so Brown, paradigmatische Formen von Illusion, da sie auf einer Fehlinterpretation der Bilder beruhen – denn im Fall des Traumes werden diese als im Moment existierend imaginiert16 und im Fall von Liebe als Gedächtnisbilder weiterverarbeitet und überhöht. So entstehe, da die mens das wahrgenommene Objekt, den Körper des geliebten Menschen, in seiner Bedeutung überinterpretiert und ihm falsche Bedeutung zuschreibt,17 eine Unersättlichkeit im Affekt Liebe, der selbst durch körperlichen Kontakt nicht befriedigt werden könne und zum Liebeswahn führe. Die Verbindung zu Traumvorstellungen bleibt bei Vergleichen innerhalb der Diatribe weiterhin präsent:


ut bibere in somnis sitiens cum quaerit, et umor
non datur, ardorem qui membris stinguere possit,
sed laticum simulacra petit frustraque laborat
in medioque sitit torrenti flumine potans,
sic in amore Venus simulacris ludit amantis
nec satiare queunt spectando corpora coram
nec manibus quicquam teneris abradere membris
possunt errantes incerti corpore toto. (Lucr. 4, 1097–1104)

Lukrez beschreibt in seiner Diatribe, wie ein Liebender in seinem furor, dem Zustand seiner emotionalen Obsession, versucht, allein durch die erotisch stimulierenden Bilder sein Begehren zu stillen. Die rabies der Liebesleidenschaft äußert sich in dem Wahn, in welchen der Liebende dabei verfällt: Er frisst seine Geliebte mit Küssen fast auf, kratzt und beißt an ihr herum (vgl. Lucr. 4, 1073–1085) und verkennt, dass seine Triebe dadurch nicht befriedigt werden können.18 Wenngleich im Anschluss an den Traumvergleich das Wort simulacrum nicht mehr explizit verwendet wird, so ist es, wie auch Brown hervorhebt, dennoch im weiteren Verlauf der Diatribe mitzudenken: „[T]he general idea that love consists of an obsession with images persists […] in an altered form.“19

Zu Beginn von Lukrez’ Attacke werden ‚remedia‘, Methoden zur Bekämpfung des krankhaften Liebeswahns, aufgeführt, mit denen die Gedächtnisbilder und Vorstellungen (überarbeitete εἴδωλα), die auch bei Abwesenheit der bzw. des Geliebten noch vorhanden sind,20 beseitigt werden können:


sed fugitare decet simulacra et pabula amoris
absterrere sibi atque alio conuertere mentem
et iacere umorem collectum in corpora quaeque
nec retinere, semel conuersum unius amore,
et seruare sibi curam certumque dolorem.
ulcus enim uiuescit et inueterascit alendo,
inque dies gliscit furor atque aerumna grauescit,
si non prima nouis conturbes uulnera plagis
uulgiuagaque uagus Venere ante recentia cures
aut alio possis animi traducere motus. (Lucr. 4, 1063–1072)

Damit eine ‚Heilung‘ des Betroffenen möglich ist, sollen also die simulacra, die Bilder der Geliebten und die einseitige Ausrichtung auf nur eine einzige Person aus seinem Bewusstsein verbannt und die mens auf andere, von der Liebeswunde ablenkende Tätigkeiten ausgerichtet werden (vgl. V. 1063f.).21 Die dabei erkennbare Teilung in zwei Hälften „which put the advice in complementary negative and positive forms“22 zeigt sich auch in V. 1065f.: Es ist zu vermeiden, dass sich der Samenstau nur bei einer Person entlädt; vielmehr wird Promiskuität empfohlen und kein Zurückhalten des semen für ein einziges Zielobjekt.23 Damit die Verwundung sich nicht wie bei einem infizierten Geschwür (ulcus) weiter verschlimmert und so die physische und psychische Gesundheit des Betroffenen gefährdet ist,24 müsse man stets darauf achten, dass man sich mit noui amores ablenkt und – erneut findet sich der Hinweis auf Promiskuität – sexuell mit frei verfügbaren Partnern verkehrt, wobei das Kompositum uulgiuaga auf Prostituierte hindeutet und man selbst uagus, also ebenfalls frei verfügbar, sein solle.25 Die bildhafte Darstellung der sich verschlimmernden Liebeswunde veranschaulicht das Problem, das der Liebeswahn mit sich bringt, und lässt die remedia, v. a. den variierend wiederholten Hinweis auf den promiskuösen Wechsel der Sexualpartner, dadurch besonders dringlich und notwendig erscheinen.

4.1.2 Die sukzessive Entfernung vom Prätext

Dass Lukrez’ ‚Remedia amoris en miniature‘1 viel mehr als nur eine Inspirationsquelle für Ovid darstellen, ja sogar Teile der Struktur seiner Remedia mitbestimmen, lässt sich anhand der ‚Heilmittelklammer‘ zeigen, mit welcher sich die oben genannten lukrezischen praecepta um einen Großteil der Vorschriften in der ersten Hälfte von Ovids Werk (bis V. 488) legen (siehe die tabellarische Übersicht in Abbildung 5); wie so oft im intertextuellen Dialog mit seinen Vorgängern übernimmt Ovid also ein Motiv bzw. einen Abschnitt eines anderen Werkes, erweitert ihn in seinem Umfang und schafft durch die Neuakzentuierung humorvoll Distanz zum ‚vorbildhaften‘ Prätext.2

Wie Lukrez vor ihm fordert Ovid seine Schüler dazu auf, sich Handlungsfeldern zuzuwenden, die von Liebesqualen abzulenken vermögen. Ovid konkretisiert dabei die bei Lukrez nur pauschal formulierte Aufforderung (vgl. Lucr. 4, 1064) und entfaltet verschiedene Bereiche als Beispiele dafür, wie sich der Liebende bei ‚akutem Liebeskummer‘ zu verhalten habe. Neben forensischer, juristischer und landwirtschaftlicher Betätigung sowie der Jagd und der Vermeidung des gefährlichen otium3 werden den Schülern Ortswechsel und lange Reisen angeraten.4 Auch dass der unglücklich Verliebte sexuelle Befriedigung bei mehreren Personen zu suchen habe, führt Ovid an zwei Stellen aus: Einerseits solle er sich durch viel sexuellen Verkehr mit anderen Frauen ermüden, bevor er mit seiner Herrin schlafe (vgl. rem. 403f.), andererseits sei auch das Pflegen mehrerer Verhältnisse empfehlenswert (vgl. rem. 441–488).5

Im Hinblick auf die inhaltliche Dimension der einzelnen praecepta lassen sich Parallelen zwischen dem philosophischen Lehrgedicht des Lukrez und den Remedia feststellen, zumal beide Werke auch auf ein ähnliches Ziel ausgerichtet sind: So soll dem amor als einem die Ataraxie des Epikureers störenden Liebeswahn bzw. als unerwünschter Liebe ein Ende bereitet werden. Die Wege, auf denen die Schüler zu diesem Ziel gelangen sollen, unterscheiden sich dabei jedoch grundlegend. Während Lukrez Täuschung und Illusion ablehnt, preist Ovid in Fortführung von Tendenzen der Ars amatoria, der „ars fallendi“,6 Verstellung und Selbstbetrug als probates Mittel für die Loslösung von unglücklicher Liebe (vgl. besonders rem. 497–504).

Abbildung 5:

Tabellarische Übersicht zum ersten tractatio-Teil der Remedia amoris

Contes suggestive Frage: „How could Ovid forget that Lucretius had argued against obstructing the cure of love by self-deception?“7 lässt sich klar mit ‚Hat er gar nicht‘ beantworten. Denn meines Erachtens grenzt sich Ovid bewusst von Lukrez ab, indem er die Instruktionen, die ihren Ausgangspunkt durchaus bei seinem Vorgänger nehmen, in die Vorschrift der Selbsttäuschung münden lässt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings auch, dass die oben genannten Parallelen nur scheinbar mit Lukrez’ Diatribe übereinstimmen, da die Anklänge an De rerum natura 4 innerhalb der ‚Heilmittelklammer‘ der Remedia stets mit Elementen des Täuschens, Einredens und Imaginierens durchsetzt und so von Anfang an gebrochen sind.

Bereits innerhalb des praeceptum, das zur Ablenkung durch Jagen ermahnt und das unter Lukrez’ alio conuertere mentem (Lucr. 4, 1064) subsumiert werden kann, klingt das Motiv der Selbsttäuschung, des se ipsum decipiendi, an: aut his aut aliis, donec dediscis amare, / ipse tibi furtim decipiendus eris (rem. 211f.).

Noch deutlicher sichtbar ist die Umkehrung lukrezischer Argumentation in der folgenden Vorschriftengruppe (vgl. rem. 291–356).8 Wenn Ovid Taktiken des Schönredens nicht einmal erwähnt und auch nicht dazu rät, die negativen Eigenschaften des Mädchens zu übergehen, besteht noch kein Bruch mit dem lukrezischen Prätext.9 Doch wenn der Schüler seinem Mädchen herabsetzende, der Realität nicht entsprechende Bezeichnungen geben soll, um es dadurch für sich unattraktiv zu machen, kann man von einer Invertierung der epikureischen Erkenntnislehre in De rerum natura 4 sprechen. Dabei wächst die Distanz zu Lukrez beim linearen Fortschreiten dieser Vorschriften kontinuierlich an: Die rhetorisch, so Stroh (1979), als evidentia10 gestaltete Ermahnung, dass man sich verwerfliche Taten der puella vor Augen halten sollte, ist noch analog zu Lukrez aufgebaut. Zunächst soll sich der Liebende den durch das Mädchen verursachten Schaden vergegenwärtigen (vgl. saepe refer tecum sceleratae facta puellae / et pone ante oculos omnia damna tuos, rem. 299f.), was die negativen Folgen, die Lukrez als Resultat der Liebesleidenschaft anführt, evoziert (vgl. Lucr. 4, 1121–1140); auch materieller Schaden ist genannt, vgl. labitur interea res (Lucr. 4, 1123a). Die folgenden Vorschriften, die eine negative Evaluierung des Mädchens vom Schüler verlangen, stimmen anfangs noch mit der Grundaussage des Lukrez überein, wenn dieser die Euphemisierungspraktiken Verliebter verspottet (vgl. Lucr. 4, 1149–1170) und so Beschönigungstaktiken eine Absage erteilt;11 man könnte dabei auch behaupten, dass Ovid „de[n] (impliziten) Rat des Lucrez“12 zum Zweck der Therapie dadurch verbalisiere. Denn im Gegensatz zu v. a. der Passage in der Ars amatoria (ars 2, 657–662), in der das ‚Schönreden‘ als erlaubte Praxis propagiert wird,13 weist der ovidische Lehrer unter Berufung auf eigene Erfahrung darauf hin, dass die Fokussierung auf Mängel der puella zielführend sei: profuit assidue uitiis insistere amicae, / idque mihi factum saepe salubre fuit (V. 315f.).14 Ovids Schüler soll aber darüber hinaus gute Eigenschaften des Mädchens verkennen (vgl. V. 317–321)‚ diese ‚schlecht machen‘ (qua potes, in peius dotes deflecte puellae / iudiciumque breui limite falle tuum, V. 325f.), er soll Makel übertrieben hervorheben und die puella zu Handlungen animieren, die sie lächerlich wirken lassen: quin etiam, quacumque caret tua femina dote, / hanc moueat, blandis usque precare sonis (V. 331f.). Diese praecepta stehen nun dem epikureischen Anspruch, die eigene Wahrnehmung nicht durch Illusion zu trüben, diametral entgegen.15

Wie in einer Klimax, deren Ziel die sukzessive Entfernung vom lukrezischen Intertext und letztlich dessen Inversion ist, vergrößert sich bei linear fortschreitender Lektüre die immer klarer sichtbare Distanz zu De rerum natura mit ihrer Forderung nach Freiheit von Illusionen. Denn nachdem sich mit dem Motivkomplex ‚mehrere Geliebte und casual sex‘ die lukrezische Klammer um die Heilmittel legt,16 endet mit Ausnahme lexikalischer Parallelen die Vergleichbarkeit der beiden liebestherapeutischen Schriften: Für die Entfaltung der ‚ars simulandi‘ kann der angestrebte Rationalismus epikureischer Wahrnehmungs- und Verhaltensdogmatik17 in keiner Weise mehr Vorbild sein:18


et sanum simula nec, si quid forte dolebis,
sentiat, et ride, cum tibi flendus eris.
[…]
quod non es, simula positosque imitare furores:
sic facies uere, quod meditatus eris.
[…]
deceptum risi, qui se simulabat amare,
in laqueos auceps decideratque suos.
intrat amor mentes usu, dediscitur usu:
qui poterit sanum fingere , sanus erit.
[…]
te quoque falle tamen, nec sit tibi finis amandi
propositus: frenis saepe repugnat equus.
utilitas lateat; quod non profitebere, fiet: (rem. 493–515)

Der Verliebte müsse sich also, wie Ovid ausführt, durch eine autoinduzierte Form der Therapie heilen, indem er den Zustand psychischer Gesundheit nur vorgeben und konträr zur eigentlichen Gefühlslage so tun solle, als litte er nicht unter Liebesqualen, und indem er sein eigenes Verhalten durch Autosuggestion zur Gewöhnung machen und so habitualisieren solle.19 Dabei schließt sich diese Vorschrift (v. a. V. 497f.) an eine entsprechende Methode in der Ars amatoria an:20


est tibi agendus amans imitandaque uulnera uerbis;
[…]
saepe tamen uere coepit simulator amare;
saepe, quod incipiens finxerat esse, fuit. (ars 1, 611; 615f.)

Das Verlieben und das ‚Entlieben‘ werden also auf ähnliche Weise, nämlich mithilfe des ‚simulare-‘ bzw. ‚So-Tun-Als-Ob-Verfahrens‘ gelernt. Zwar besteht in beiden liebesdidaktischen Werken ein Kontrast zum Rationalismus des Lukrez.21 Die Remedia und die Diatribe in De rerum natura stehen sich aufgrund ihres Sujets, der Belehrung, wie man von der Liebesleidenschaft befreit werden kann, in ihrer Zielsetzung aber sehr nahe. Dadurch, dass das lukrezische Lehrgedicht im ars agendi-Part der tractatio (V. 135–488) und bei der Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für die Therapie (vgl. V. 79–134) somit als Prätext fungiert, ist der nun endgültige22 Bruch mit Lukrez ab V. 489 umso auffälliger.

Ovid bedient sich vorrangig eines sprachlich-stilistischen Mittels, mit dem er die sukzessive und letztlich gänzliche Entfremdung der Remedia von De rerum natura 4 erreicht und die Nachahmung23 seines Vorgängers in der amüsanten Inversion von dessen Werk gipfeln lässt: nämlich eines Wortspiels. In der Fokussierung auf das Verb simulare und dessen Bedeutung entzieht Ovid, wie ich im Folgenden zeige, dem Epikureer auf humorvoll-parodistische Weise das Fundament seiner simulacra-Theorie.

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