Kitabı oku: «Hotel Amerika», sayfa 2
Zweites Kapitel
In der Frühstücksbar des Hotels Amerika sitzt an dem braun polierten Holztisch, der in einem Halbkreis durch den ganzen Raum läuft, Herr Fish, ein junger Mann mit gepflegtem Äußern, und löffelt seine Grapefruit. Die anderen hohen, runden Stühle sind noch leer. Herr Fish ist der erste Gast und genießt demzufolge aufmerksamste Bedienung.
Der Kellner stellt ihm jetzt mit eleganter Handbewegung Haferbrei mit Sahne auf den Tisch und bleibt dann in angemessener Entfernung vor ihm stehen. Herr Fish ist leutselig und mitteilsam. „Ein feiner Morgen heute, ein schöner Tag, ganz entschieden." Er reibt sich die Hände.
Dann entfaltet er die Zeitung und beginnt, die Börsenmitteilungen zu studieren. Während des Lesens redet er fortwährend auf den Kellner ein: „Millionen, wohin man blickt, Milliarden, und was alles hinter diesen Milliarden steckt! In Brasilien sprießen Gummiwälder, echt amerikanische, mein Lieber. Ja, man wird England ein Schnippchen schlagen, Amerika, das mächtigste Land der Welt. Hier sehen Sie:,Wall Street finanziert Kanalisationsarbeiten im Sudan', ,Hungersnot in China' soll finanziell ausgebeutet werden. ,Rationalisierung in Deutschland befestigt das dort angelegte amerikanische Kapital'. Man muss Börsenkurse lesen können, mein Lieber, die sind interessanter als der fantastischste Roman."
„Hehe", kichert diskret hinter der hochgehobenen Serviette der Kellner. Er findet den Gast reichlich merkwürdig. Man liest Börsenkurse, spricht aber nicht soviel. Der Gast redet immer weiter.
„Man muss nur schlau sein, dann kann man auch seinen Teil aus dem Trüben fischen."
Der Kellner, der seinen Spitznamen „der schöne Alex" gerne hört, beginnt aufzuhorchen. Aus dem Trüben fischen, — hm, das lässt sich hören. Man kann nie wissen, ob man nicht auch einmal brauchbare Tipps bekommt, obgleich es bekannt ist, dass die Kleinen immer über den Kamm geschoren werden. Man kann nie vorsichtig genug sein. Der Kerl ist vielleicht ein Agent, der gern Aktien loswerden möchte. Von meinen sauer verdienten Dollars bekommst du nichts, — denkt der „schöne Alex" und geht in die Küche, um dem gesprächigen Gast seine verlorenen Eier auf Toast und den Kaffee zu bringen. Herr Fish ist anscheinend noch mit seinen hochfliegenden Gedanken beschäftigt. „Das Ganze durchschauen, das ist alles! Das Chaos analysieren, dann findet sich auch ein Weg, der richtige Weg für den eigenen Gebrauch und zum eigenen Nutzen." Der „schöne Alex" denkt wegwerfend: Man muss nur wissen, was man will, das ist die Hauptsache, man muss ein bestimmtes Ziel haben. Das hat er auch. Er will eine Flüsterkneipe in der 81. Straße New-York-Ost, das ist sein Traum. Ja, er kennt die 81. Straße im Osten besser als seine Westentasche. Er hat eigentlich eine schöne Karriere gemacht: Kellner sein in dem feinsten Hotel der Stadt ist keine Kleinigkeit. Und trotzdem spürt er Heimweh, wenn er an die alten Zeiten denkt, obgleich man ihm übel mitgespielt hat. Aber er wird Rache nehmen. Er sieht sich wieder in der „Bar Lohengreen" (wirklich mit zwei „ee" geschrieben). Freilich, da stellte er mehr vor als ein Kellner. Er war die rechte Hand der Besitzerin, der Witwe Lohengreen, — ja, mehr als die rechte Hand: er war die große Liebe der Witwe und der „schöne Alex" sah sich schon als Besitzer, als „Lohengreen" selbst, enthoben dem harten Kampf der Abhängigen.
Herr Fish hängt gleichfalls seinen eigenen Gedanken nach und trinkt den Kaffee in ganz kleinen Schlucken. Der schöne Alex" durchlebt wieder einmal die demütigenden Minuten seines Sturzes. Die Witwe Lohengreen überraschte ihn bei einem Vergnügen mit einer kleinen hübschen Kellnerin. Statt einzusehen, dass er, der „schöne Alex", ein Mann sei, den man nicht mit gewöhnlichem Maße messen könne, gab sie ihm noch am selben Abend seinen Lohn mit den dürren Worten: „Morgen brauchen Sie nicht mehr zu kommen." Das ihm, dem „schönen Alex"! Wenn er an die Flüsterkneipe denkt, die er einmal in der 81.Straße New-York-Ost haben wird, träumt er zugleich von Rache. Herr Fish beginnt jetzt wieder zu reden, der „schöne Alex" kann seinen Gedanken nicht länger nachhängen. „Haben Sie auch manchmal dieses kitzelnde Gefühl, hineinsehen zu wollen in alle Häuser, in alle Wohnungen, Lokale, Geschäfte, in die Warenhäuser, Fabriken, Wolkenkratzer, Hospitäler, hineinsehen in alles: die Gedärme, das Herz, das Gehirn, das ganze Innere, die Triebfeder, die Hintergründe sehen, entdecken, erkennen können? Überkommt Sie nicht auch manchmal diese Neugierde?" Der „schöne Alex" murmelt etwas Bejahendes. Er sagt sich, dass im Hotel Amerika die Gäste immer recht haben, aber er ist zufrieden, dass er selbst nie so verstiegene Gedanken wie dieser Herr da hat; er weiß, was er will, und das ist die Hauptsache, wenn man wirklich etwas erreichen will. Wenn er das Geld für seine Flüsterkneipe zusammenhätte, so wüsste er schon, den Betrieb nutzbringend zu führen. Er würde sich gegenüber der „Bar Lohengreen" ansiedeln, — sie würde bald pleite gehen, die Witwe. Nun, sie könnte ja zu ihm arbeiten kommen; der „schöne Alex" würde es ihr sogar anbieten. Und dann eines schönen Tages würde er ihr den Lohn auszahlen und sagen: „Morgen brauchen Sie nicht mehr zu kommen." Ja, sein eigener Herr sein, Leute wegschicken können, das möchte er auch... „Sie verdienen hier wohl gut", fragt der neugierige Gast; er macht keine Anstalten, mit seinem Frühstück fertig zu| werden.
„Na, es geht so lala; Sie würden staunen, Herr, wie oft die vornehmen Leute Trinkgelder zu geben vergessen." Ja, der „schöne Alex" hält nicht viel von feinen Gegenden. Auch wenn er von seinen Racheplänen absieht, möchte er sich nicht in den „tobenden Vierzigern" ansiedeln, in den Straßen zwischen 40 und 50 an beiden Seiten des „Weißen "Weges", wie man den Broadway dort nennt, wo er Vergnügungen bietet. Die dort florierenden Nachtklubs, geheimen Absteigequartiere und Tanzlokale sind nicht das Ziel seiner Sehnsucht; dafür braucht man klotzige Gelder, und im übrigen ist alles in einigen wenigen Händen; der Außenseiter wird schnell zermalmt. Aber in der 81. Straße New-York-Ost, da könnte es auch noch der kleine Mann zu etwas bringen. Er sieht die Straße dunkel und schmal im East River verenden. Die Gäste ihrer Kneipen sind armselige Burschen, Leute, denen es schlecht geht, die Heimweh haben, die schon halb verkommen sind, Leute mit geheimem Kummer, Einwanderer, die sich noch nicht richtig verständigen können.
Mit einem Wort, lauter Menschen, denen es ganz dreckig geht Aber gerade an solchen Menschen ist etwas zu verdienen, stellt Alex fest. Die anderen, die fest im Sattel sitzen, die sind so scheußlich wach, sogar dann, wenn sie viel getrunken haben. Sie sind immer nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Ja, so unglaublich es auch scheint, gut verdienen kann man nur an Leuten, die in der Patsche sitzen. Vor Alex' Augen tauchen die Betrunkenen auf, die das Pflaster der 81. Straße besäen und zwischen denen die Polizisten friedlich daherwandeln.
Herr Fish aber hat sich während dieser Überlegungen des „schönen Alex" in Begeisterung geredet.
„Immerhin, was Sie hier alles sehen können... ! Haben Sie schon darüber nachgedacht, was für eine ungeheuere Stadt dieses New York ist? Sie können sich große Reisen ersparen, wenn Sie sie nur genau studieren. Ungarn und China, Schweden und Japan, bitte, hier sitzt alles zusammen. Die Ausgestoßenen aus allen Teilen der Welt haben sich in dieser Stadt ein Rendezvous gegeben. Sie können hier im Hotel Amerika glänzende Studien machen. Wie?"
„Nun, man tut seine Arbeit, da hat man keine Zeit zu Studien, mein Herr, und dann hat man auch seine eigenen Sorgen und kümmert sich nicht soviel um die der anderen."
Aber der „schöne Alex" beginnt doch aufzumerken. Ob er hier Studien macht? Das klingt gut. Aber es scheint, dass dieser merkwürdige Gast etwas Bestimmtes von ihm will. Man wird ja sehen.
„Sie haben hier im Hotel allein ein Dutzend Restaurants, nicht wahr?"
Der „schöne Alex" winkt zum Zeichen der Bejahung mit
seiner Serviette.
„Sie bedienen wohl auch abends gelegentlich im großen Ballsaal?"
Der „schöne Alex" beginnt aufzuhorchen. Jetzt kommt's
doch, man wird ja hören, was der gesprächige Mann will.
„Na ja, es kommt schon vor."
„Heute abend?"
„Mag schon sein, müsste mal nachsehen." Der „schöne Alex" langt nach seinem Notizbuch und überlegt. Man muss schlau sein. Dem jungen Mann da, der gar soviel spricht, geht es wahrscheinlich nicht so gut, wie er den Anschein geben möchte. Menschen, denen es gut geht, reden nicht soviel mit einem Kellner, man hat schon so seine Erfahrungen. Aber mit Menschen, denen es schlecht geht, kann man wiederum gute Geschäfte machen. Er blättert in seinem Notizbuch. „Ja, heute abend ist große Hochzeit." „Die Hochzeit Marjorie Strongs mit Edgar Sedwick?" „Mich interessieren die Namen nicht, aber es wird schon stimmen."
„So etwas aus der Nähe zu sehen, das würde mich interessieren — ich meine als dienstbarer Geist, nicht als Gast." Der „schöne Alex" ist jetzt ganz Ohr. „Hm, hm, so was lässt sich aber nur schwer durchführen... Und warum gehen Sie nicht als Gast, mein Herr? Lassen Sie sich doch eine Einladung geben. Ich muss schon sagen, ich möchte mir so ein Fest lieber als Gast ansehen, das würde mir mehr Spaß machen."
„Nun, erstens, sehen Sie, ist das auch mit einer Einladung nicht so einfach, und dann, wie ich Ihnen schon gesagt habe, möchte ich einmal ein solches gesellschaftliches Ereignis aus einer anderen Perspektive, von der anderen Seite ansehen." „Was Sie sich wohl denken, Herr? Dabei gibt es doch gar nichts zu sehen. Wenn man arbeitet, hat man keine Zeit zum Sehen und auch kein Interesse dafür. Haben Sie eine Ahnung, mein Herr, wie es bei uns zugeht, wie man rennen, wie man aufpassen muss!"
„Na, sehen Sie, deshalb will ich doch eine Ahnung von der ganzen Sache bekommen."
„Aber warum wenden Sie sich gerade an mich? Wie sollte ich Ihnen denn helfen?"
„Man hat mich zu Ihnen gewiesen, Sie sind als fixer Kerl bekannt, mein Lieber; man hat mir erzählt, dass Sie nicht abgeneigt sind, kleine Nebeneinnahmen zu erzielen, ohne Risiko, versteht sich."
„Ich möchte wohl wissen, wer Ihnen das von mir erzählt hat; da hat man Sie schön angeführt, Herr." „Also, ich könnte auf Sie nicht rechnen, meinen Sie?Ich habe natürlich auch Adressen von anderen Kellnern." „Habe ich Ihnen vielleicht ,nein' gesagt? Kann man überhaupt ,ja' oder ,nein' sagen, wenn man nicht weiß, um was es sich handelt?" „Sie sind zu klug, als dass Sie nicht erraten hätten, was ich will. Leihen Sie mir Ihre Arbeitskarte und Nummer für heute abend, das ist alles, verstehen Sie jetzt?" „Verstehen kann ich nicht, wie jemand zu so etwas Lust haben kann. Eine Hochzeit ist kein Spaß, für niemanden, mein Herr, aber für die Kellner schon ganz gewiss nicht. Sie wollen also Kellner spielen, darauf läuft wohl Ihr Vorschlag hinaus?"
„Passen Sie auf, Sie können heute einen freien Abend haben und mich zur Aushilfe schicken, — und der Verdienst gehört doch Ihnen."
„Dass ich nicht lach', mein Herr, meine Stellung soll ich aufs Spiel setzen und nicht mehr haben, als das, was Sie verdienen können? Glauben Sie denn, es ist so leicht, Kellner zu werden, dass es nicht auch eine Kunst ist, die gelernt werden muss."
„Beruhigen Sie sich, ich werde schon meine Sache gut machen, ich war schon Kellner, ich war schon alles. Sie würden schwer einen Beruf ausfindig machen, den ich nicht schon ausgeübt hätte."
„So, Sie waren früher Kellner? Vorhin erzählten Sie etwas von einer Perspektive, die Sie studieren möchten. Wenn Sie schon Kellner waren, warum wollen Sie jetzt wieder einer sein? Wenn man den Dreh kennt und nicht unbedingt Geld zum Leben braucht, hat man keine Sehnsucht, noch einmal anzufangen."
„Ich habe Ihnen schon gesagt, ich will dieses bestimmte gesellschaftliche Ereignis von der Hintertreppe aus sehen." Alex überlegt schnell. Was will eigentlich der Bursche? z6
Juwelen stehlen? Armer Mensch, der würde seine Enttäuschungen erleben. Auf jeden Gast kommt ein Detektiv und auf jeden Kellner kommen zwei. Da könnte er schon leichter Juwelen auf der Fifth Avenue klauen. Andererseits: Unannehmlichkeiten könnte ich ja doch nicht haben, wenn ich ihn auch wirklich einschmuggelte; ich wüsste schon, wie ich mich ausreden würde. Und es würde ihm schon Hören und Sehen vergehen, wenn ihn unsere „Kapitäne" hin und her kommandieren.
Er lässt seine Augen über Herrn Fish auf- und abwandern. „Mein Herr, Sie glauben, es ist so leicht, im Hotel Amerika als Kellner eingestellt zu werden. Ich bin nicht eingebildet, aber sehen Sie sich mal meine Figur an, sehen Sie sich mein Profil an. Wer Kellner im Hotel Amerika werden will, noch dazu Aushilfskellner bei einer erstklassigen Hochzeit, der muss über ein tadelloses Äußeres verfügen, mein Herr. Ein Tenor kann einen Bauch haben, ein Liebhaber auf der Bühne krumme Beine, aber ein Kellner im Hotel Amerika muss aussehen, dass die Leute Appetit bekommen, wenn sie ihn erblicken. Wenn Sie nur eine Pustel haben, schickt Sie der Ober nach Hause."
Der Kerl ist unverschämt, denkt Herr Fish. Aber er lässt sich auf keine weitere Diskussion mehr ein. „Also hören Sie, Sie leihen mir heute abend Ihren Frack, Ihre Nummer und Ihre Arbeitskarte. Ich wette, keiner wird merken, dass ein anderer Kellner zur Arbeit angetreten ist, trotz Ihres vollkommenen Profils. Machen Sie sich also keine Sorgen."
„Mein Herr, Sie denken, Sie können nur so ohne weiteres über mich verfügen, das Ganze muss noch genau überlegt werden. Wie soll es sich mit meinem entgangenen Verdienst verhalten?"
„Wie viel pflegen Sie an solchem Abend einzunehmen?" „Na ja, 25 Dollar ist das wenigste", — der „schöne Alex" ist der Meinung, dass es nichts schaden kann, wenn er seine Verdienstmöglichkeiten vergrößert — „multiplizieren wir diesen Betrag mit sechs, und dann will ich noch über die Angelegenheit nachdenken." „Sie wollen mich ganz ausplündern?" „Wir brauchen über die Sache ja nicht weiter zu reden." „Also mit vier."
„Mit fünf, oder ich spreche kein Wort mehr." Der „schöne Alex" sieht Zahlen vor seinen Augen. Eintausenddreihundertfünfundsiebzig Dollar hat er auf der Sparkasse, kämen heute abend noch die hundertfünfundzwanzig Dollar dazu, so hätte er rund eintausendfünfhundert. Die Hälfte der Summe, die er unbedingt haben will. Mit dreitausend Dollar könnte er in der 81. Straße schon etwas anfangen, aber wann wird er so weit sein? Auf der Sparkasse hat er erst eintausenddreihundertfünfundsiebzig, das sind sechs Jahre Bücklinge, das sind Geschirrwaschen in einem schmutzigen Lokal in Cherry Street, Nachtarbeit in einer Matrosenkneipe in Hoboken, vierzehn Stunden Arbeit bei vierzig Grad Wärme in einem Seebad. Das ist Schöntun bei der Witwe Lohengreen, das sind Entsagungen an freien Tagen, das sind schmutzige kleine Dienste, die schlecht bezahlt werden. Ein Sparkassenbuch über eintausenddreihundertfünfundsiebzig Dollar, das sind sechs Jahre Robot, Qual und Dreck, und er braucht dreitausend. Zum Teufel auch, es wäre Zeit, dass auch er einmal Glück hätte! „Mit vier", sagt Herr Fish, der schon viel auf eine Karte gesetzt hat. „Sie bekommen Ihr Geld, wenn Sie mir die Arbeitskarte und die Uniform übergeben. Was tragen Sie überhaupt für einen Frack?"
„Mit fünf, dabei bleibt es. Der Frack hat eine dünne Silberborte unter dem Aufschlag. Aber für ihn und die Arbeitskarte müssen Sie extra ein Pfand hinterlassen." „Man muss es Ihnen lassen, Sie verstehen sich auf Geschäfte."
„Es bleibt also dabei, mein Herr, wenn Sie meine Hilfe unbedingt in Anspruch nehmen wollen — und vergessen Sie nicht das Pfand. Kommen Sie heute abend zu mir. Hier ist meine Adresse. Sie können sich bei mir ankleiden, und ich werde Sie ein wenig abrichten, denn ein perfekter Kellner sind Sie nicht, ich habe gute Augen für so was. Ja, und was ich fast vergessen hätte: können Sie auch etwas Französisch parlieren? Wir Kellner, versteht sich, dürfen bei einer so feinen Gesellschaft nur französisch sprechen." „Auch darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich war drüben mit der Armee, habe geholfen, Ordnung zu schaffen, hehe."
„Na, dann ist ja alles in Ordnung."
„Möglicherweise aber werde ich Ihre Dienste nicht einmal benötigen. Ich bereite mich nur auf alle Fälle vor, Sie werden natürlich auch dann entschädigt, beruhigen Sie sich. Nur müssten Sie in dem Fall allerdings doch heute abend arbeiten."
Drittes Kapitel
Heinrich Klüter aus Hamburg und Fritz Globig aus Berlin sitzen im Vorzimmer des „Timekeeper" („Zeithalter"), des Mächtigen, der darüber zu entscheiden hat, wer in das Hotel Amerika zur Arbeit aufgenommen werden kann. „Nur keine Bange", sagt Heinrich Klüter zu seinem Freund. Aber die hat ja Fritz gar nicht, obgleich er auf Arbeit wartet wie ein Hund auf ein Stückchen Knochen. Er ist mager und schlecht in Schale, und er hat schon die Erfahrung gemacht, dass solche Arbeitskräfte nicht gerade begehrt sind. „Sie sind zu schwach", diesen Satz bekam er immer wieder zu hören, als er nach seiner Krankheit, die ihn stark abgezehrt hatte, auf die Arbeitsuche ging. „Sie sind zu schwach." Das bedeutet: Du kannst ruhig verhungern, mein Lieber, aus dir kann man doch nicht viel Arbeit herauspressen! Ja, er hat eine scheußliche Zeit hinter sich. Im Anfang wollte er nicht daran glauben, dass sich keine Arbeit für ihn finden würde.
Den ganzen Tag lief er die 6. Avenue auf und ab. Man hätte meinen können, dass hier die Arbeit einfach auf Stellungsuchende warte. Eine Agentur neben der anderen. Ganze Häuser vollgeklebt mit Zetteln, kleinen weißen Zetteln: Koch gesucht, Geschirrwäscher gesucht, Portier gesucht, Hausdiener gesucht. Am ersten Tag war Fritz mächtig begeistert von diesen vielen Zetteln, die alle Arbeit anboten. Aber oben in den Agenturen verlangten sie überall erst Geld. Leicht gesagt, — von wo hätte er Geld hernehmen sollen. Er versuchte, das Herz der Vermittler zu erweichen, versprach, später das Doppelte zu zahlen. Aber die hatten wohltrainierte Ohren.
„Nicht zu machen, mein Junge." Andere, erfahrenere Arbeitsuchende beruhigten ihn. „Glaub nur ja nicht, dass du schon Arbeit hast, wenn die dir dein Geld abknöpfen. Wir haben gezahlt; aber glaubst du, deshalb hätten wir Arbeit? Jetzt können wir unserem Geld nachlaufen. Die vielen weißen Zettel sind nur Lockspeise." „Ja, besonders dann, wenn sie merken, du bist ein Grünhorn, kannst du allerlei erleben."
Fritz ist schon ungeduldig, er möchte endlich wissen, ob er heute Glück haben wird. Glück! Wenn man durch schwere, harte Arbeit gerade so viel verdient, dass man nicht verhungert, so hat man schon „Glück". Eine verrückte Welt das!
Es dauert aber lange, bis man zu dem „Zeithalter" vorgelassen wird.
Eine komische Bezeichnung: „Zeithalter". Da sitzt einer und hält die Zeit fest, gebietet über die Zeit, über unsere Zeit. Wir müssen dankbar sein, wenn er uns ein Stück Zeit hinwirft, in der wir arbeiten dürfen. „Ich bring' dich schon herein", lässt sich wieder Heinrich vernehmen, „ich arbeite hier lange genug, die werden schon auf mich hören."
„Man muss es erst am eigenen Leibe erfahren, dann begreift man, wie irrsinnig unsere Welt eingerichtet ist." Darin gibt Heinrich seinem Kameraden recht. Heinrich Klüter ist seit drei Jahren Nachtwächter im Hotel Amerika. Er hat eben seine Nachtarbeit beendet. Sein Gesicht ist grünfahl, und unter seinen geröteten Augen lagern schwere Tränensäcke. Heinrich hat seit drei Jahren keine Nacht geschlafen. Sein verantwortungsvoller Posten verleiht ihm eine gewisse Würde. Mit einer Laterne, einem Revolver und einer Alarmglocke am Gürtel durchwandelt er Nacht für Nacht die Korridore des Wolkenkratzers. Jedes Stockwerk des Hotels wird lautlos von den Nachtwächtern umkreist, nichts darf unbemerkt geschehen. In den ersten Nächten empfand Heinrich Klüter vor allem in den frühen Morgenstunden ohnmächtigen Neid, wenn er das gleichmäßige Atmen, das Schnarchen der Gäste hinter den geschlossenen Türen hörte.
Langsam aber gewöhnte er sich an die Nacht. Sobald es still und ruhig um ihn wurde, schärfte sich sein Ohr. Der Tag konnte alles verbergen und war übertäubt von Lärm und Geschrei, zuviel Geräusche machten ihn stumm. Die Nacht aber machte alles wieder klar. Die Menschen, die tagsüber taten, als wären sie Maschinen, hörten auf, sinnlos zu rattern und verrieten ihr wirkliches Sein. Der Nachtwächter Heinrich Klüter, dessen Amt und Aufgabe es war, nachts vor geschlossenen Türen zu horchen, wurde ein Weiser. Er kannte die Auflösung, die Fäulnis unter der glänzenden Oberfläche des Tages. Er hätte vieles erzählen können, von Leid und Jammer, von geheimen Tragödien, aber er schwieg. Nur — er konnte nachts nicht mehr schlafen. Auch dann nicht, wenn es ihm erlaubt war; er musste, er wollte wachen. Heinrich Klüter hatte auch während einer freiwilligen Nachtwache Fritz, der jetzt neben ihm saß, kennen gelernt. Es war in einer seiner freien Nächte, auf die er zweimal im Monat Anspruch hatte.
Die Wache hielt er in dem Hotel, in dem er selbst wohnte. „Onkel Sams Hütte" hat allerdings nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Hotel Amerika. Die Bezeichnung ist keineswegs zu bescheiden, obgleich die meisten Gasthäuser ähnlichen Ranges bedeutend hochtrabendere Namen führen und sich „Palace" und „Grand" nennen, als dienten sie Luxusbedürfnissen.
„Onkel Sams Hütte" ist eines von hunderten, von tausenden „Hotels", die über ganz New York verstreut sind, natürlich in angemessener Entfernung von den besseren Gegenden. In diesen Häusern wohnen die männlichen Angestellten der Luxushotels und Appartementhäuser, hier wohnen Fabrikarbeiter, Geschirrwäscher aus feinen Restaurants, mit einem Wort, hier wohnen Leute, die nur über geringe Mittel verfügen.
Diese Hotels nehmen sogar Rücksicht auf eine eventuelle Verschlechterung der Finanzlage ihrer Gäste. Man kann, wenn man ständige Arbeit und damit auch ein ständiges Einkommen hat, ein eigenes Zimmer besitzen. Für einen Dollar pro Nacht. Man kann mit einigen anderen zusammenwohnen und fünfzig Cents zahlen. Der billigste Platz aber kostet fünfundzwanzig Cents; man schläft dann zusammengepfercht mit seinen Leidensgenossen im großen Schlafsaal. Es gibt in diesen Hotels auch „Gesellschaftsräume", die sich gleichen, wie ein Ei dem anderen, wie sich das Schicksal all ihrer Insassen gleicht.
In der Mitte des „Gesellschaftsraumes" steht der große Ofen; im Winter sind die Plätze um ihn herum heftig umstritten. Die Stühle stehen rings der Wand entlang. Man spielt Karten oder liest Zeitungen. Es wird nur wenig gesprochen. Auch Fritz wohnt in „Onkel Sams Hütte". Anfangs fand Fritz lohnende Arbeit in seinem Beruf als Dreher, Qualitätsarbeiter. In der Fabrik gab es bald Kämpfe. Die Arbeiter versuchten, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Fritz war ganz dabei. Die Arbeiter merkten, dass er etwas vom Organisieren verstand, — aber auch der Unternehmer! Er war der erste, der gefeuert wurde. Was aber Fritz am meisten wurmte, war, dass seine Arbeitskollegen nicht viel Aufhebens aus der Sache machten. Man wagte noch nichts Rechtes, jeder hatte zu große Angst um sein Stückchen Brot. Und Fritz machte die Erfahrung, dass diese Angst nicht ganz unberechtigt war, obgleich er bereit war, auch ungelernte Arbeit anzunehmen.
Bevor er krank wurde und noch von etwas Erspartem leben konnte, lastete die Erwerbslosigkeit nicht so schwer auf ihm. Er saß den ganzen Tag in der Bibliothek, wartete gespannt, dass auf der schwarzen Tafel seine Nummer rot aufleuchtete und ihm anzeigte, dass das Buch, das er verlangt hatte, ihm zur Verfügung stände.
Die Bücher, die sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung befassten, zeigten ihm klar, dass das, was ihm geschah, nicht blinder Zufall war, dass er kein Einzelschicksal haben konnte. Sie wiesen aber auch einen Ausweg, gaben die Gewissheit, dass nach heftigen Kämpfen eine völlig andere, eine neue, vernünftigere Zeit kommen wird. Ohne diesen Ausblick musste das Leben, das er zu führen gezwungen war, unerträglich erscheinen.
Er versuchte über diese Frage mit seinen Kameraden in „Onkel Sams Hütte" zu sprechen. Es war nicht leicht. Jeder hatte eine andere Sprache, und man musste jedes Wort lange hin und her wenden, bis es von allen verstanden wurde. Aber dann kamen doch Diskussionen in Gang. Bei einer solchen Gelegenheit machte Fritz die Bekanntschaft Heinrich Klüters.
Aber der Geschäftsführer von „Onkel Sams Hütte" machte solchen Gesprächen ein baldiges Ende. Hier werden keine aufrührerischen Reden gehalten. Im „Gesellschaftsraum" wird eine große Tafel angebracht mit der Aufschrift: „In diesem Raum ist das Reden verboten." Fritz war empört.
„Wie, sogar dann, wenn wir zahlen, wenn wir nicht arbeiten, bindet man uns den Maulkorb um?" Heinrich Klüter nahm die Sache gelassener auf. „Solche Aufschriften findest du in allen diesen Hotels. In den ,Gesellschaftsräumen' soll man Karten spielen, alte Zeitungen lesen und das Maul halten.
Heinrich Klüter wohnt schon drei Jahre in „Onkel Sams Hütte", seitdem er seinen Dienst im Hotel Amerika verrichtet. Die Hochbahn fährt an seinem Fenster vorbei. Anfangs hatte er immer das Gefühl, als sause sie jedes Mal über seinen Körper. Doch dann gehörte auch sie zu seinem Schlaf, genau wie das Halbdunkel des Zimmers und aller Lärm des Tages.
Die enge Freundschaft zwischen Heinrich und Fritz nahm ihren Anfang in einer der freien Nächte, als Heinrich wieder seiner Gewohnheit gemäß „Onkel Sams Hütte" durchwanderte. Er konnte nicht anders, er musste Nachtwache halten, aber sie war anders, als die im Hotel Amerika. In „Onkel Sams Hütte" gibt es wenige Geheimnisse, vor allem ist jede „Unsittlichkeit" ausgeschlossen. Vor den Eingängen dieser „Onkel Sams Hütten" stehen Tafeln: „Hier ist der Eintritt für Frauen streng verboten." Trotzdem konnte der Nachtwächter Klüter auch hier viel Merkwürdiges bei seinen Nachtwanderungen entdecken. Er hörte die Schreie und Seufzer der Schlafenden, sah, wie gerade die Armseligsten ihr wertloses Hab und Gut sogar im Schlaf krampfhaft umklammerten. Am misstrauischsten sind die sehr Armen und sehr Reichen, dachte der Nachtwächter Klüter.
Viele schrieen im Traum nach den Ihren, die in der alten Heimat lebten; er hörte aber auch wilde Wutschreie und Verwünschungen, die tagsüber unterdrückt werden mussten.
In jener Nacht fand der Nachtwächter Klüter Fritz unter der Treppe schlafend. Er konnte die Schlafstelle nicht bezahlen; schon seit Tagen blieb er die fünfundzwanzig Cents für ein Bett schuldig. Der Geschäftsführer machte nicht viel Federlesens mit ihm; er behielt Fritz' Mantel und wies ihm die Tür.
„Mach, dass du hinauskommst", schrie er ihn an. „Aber wohin soll ich denn gehen, was soll ich machen?" Fritz war richtig verzweifelt, so dass er schon den Geschäftsführer um Rat bat. Der war kurz angebunden.
„Geh auf die Bowery, da gehört ihr Strolche alle hin." Diesen Rat aber wollte Fritz nicht befolgen; er wartete ab, bis der Geschäftsführer sich verzog, dann machte er es sich unter dem Treppenabsatz unbequem. Er ist sonst nicht ängstlich, aber vor der Bowery hat er doch Angst. Sicherlich ist sie die fantastischste Straße der ganzen Welt, denkt Fritz, man soll lieber nichts mit ihr zu tun bekommen.
An die Bowery denkt er auch jetzt, im Vorzimmer des „Zeithalters". Sie flößt ihm wahres Entsetzen ein. Er ist noch von Berlin allerlei Elend gewöhnt, aber das hier ist doch etwas anderes, diese wildwuchernde Unordnung. Fritz kennt eine behördlich registrierte, gestempelte, statistisch und amtlich festgestellte Armut, mit Anstellen und Aufschreiben, mit Zetteln und Ämtern, mit eingezogenen Erkundigungen und alphabetischem Verzeichnis.
Auf der Bowery kann man sich höchstens um eine verdächtig aussehende Suppe anstellen, die in einem Blechtopf zusammen mit Gebeten und Predigten serviert wird. Es gibt Nachtasyle in Kirchen, in denen man auf Zeitungspapier schläft und wo man von Neugierigen, die in Touristenautos angefahren kommen, gegen Eintrittsgeld, das aber nicht ihnen, sondern der Kirche zugute kommt, bestaunt wird. Heilsarmeesänger vermischen sich mit Betrunkenen und schweren Jungens; Stellenvermittelungsbüros, die Sklavenmärkte genannt werden, sind Gebethäusern und Juwelengeschäften, in denen beste „Sore" feilgeboten wird, benachbart. Fritz hat vor allem vor den Stellenvermittelungsbüros Angst. Sie vermitteln nur Stellen nach auswärts. Transporte gehen von dort ab in menschenleere Gegenden, um "Wege zu bauen, oder nach einem primitiven Bergwerk, in dem alle Sicherungen fehlen, die das Leben der Arbeiter schützen. Noch schlimmer. Hier werden Streikbrecherkolonnen organisiert, ohne dass die Beteiligten etwas davon ahnen. Erst wenn sie die Reise hinter sich haben und keinen Cent mehr besitzen, um zurückfahren zu können, erfahren sie den Zweck ihrer Fahrt.
Sagt einer „ja" in diesen Agenturen, so ist er schon Sklave. „Na, Junge, bleib man da, deine Kolonne geht bald ab." Und schon sitzt er in der Falle.
Nein, das ist nichts für Fritz, da will er lieber die Hände von der Bowery lassen.
Fritz hatte Glück, dass ihn Heinrich fand und, als er das Schicksal Fritz' erfuhr, mit dem Geschäftsführer eine Abmachung traf, wonach Fritz nachts, wenn Heinrich auf Arbeit ging, in dessen Bett schlafen durfte.
Jetzt werden beide hineingerufen zu dem Mächtigen. Der Nachtwächter Klüter dreht seinen Hut in der Hand und entwirft ein schmeichelhaftes Bild Fritzens. Der „Zeithalter" beugt sich über eine riesige Tabelle mit vielen Zahlen, die das Personal bedeuten. Er macht grafische Zeichnungen wie ein Feldherr. Nein, Nachtwächter kann Fritz nicht werden. Er wird bleich. Sollte auch heute alles vergeblich sein? Aber der Mächtige will doch mal sehen; er setzt eine wichtige Miene auf. Dann stößt er mit dem Bleistift, sagt kurz: „Küche" — und somit kommt Fritz in die größte Kochanstalt der Welt.