Kitabı oku: «Träum süß stirb schnell», sayfa 2

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Kapitel 3

„Frau Schwarz, ist alles in Ordnung?“

Die beruhigende Stimme der Psychologin drang wie durch einen Wattebausch an Yakidos Ohr, bemüht, ihr Bewusstsein zu erreichen.

Yakido war weit weg gewesen. Der Ärztin gelang es tatsächlich, dieses tief in ihrer Patientin vergrabene Erlebnis wach zu rufen, es aus ihr heraus zu locken.

Während Yakido sich erinnerte, vergaß sie völlig, wo sie sich befand. Hier in diesem Raum fühlte sie sich eigenartig geborgen. Eine behagliche Atmosphäre, dominiert vom wuchtigen Schreibtisch, auf dem ein Arrangement aus getrockneten Feldblumen thronte, aus deren Mitte filigrane Gräser hervorlugten.

Doch nun beförderte die Frau hinter dem imposanten Tisch Yakido zurück in die Gegenwart. Ihr verständnisvoller Blick ruhte auf ihrem Schützling. Kein Wort entging ihrer Aufmerksamkeit. Schließlich nickte sie.

Yakidos Mund war wie ausgetrocknet. Sie griff nach dem gefüllten Glas Wasser, welches die Ärztin ihr reichte, räusperte sich und schaute zu Boden.

„Es ist schon so lange her. So entsetzlich lange.“

Wie kläglich empfand sich Yakido nun, zusammengesunken auf einem der Stühle, der ihr heute das Empfinden gab, auf einer Anklagebank zu sitzen.

„Wie fühlen Sie sich, Frau Schwarz?“

In der Hoffnung, ihr Zittern würde den geschulten Augen der Ärztin entgehen, verschränkte Yakido die Arme, den Blick immer noch Richtung Boden.

„Ich fühle mich leer, unendlich leer.“

„Das ist in Ordnung so, Frau Schwarz“, erwiderte Frau Dr. Neuenhagen.

Sie zog den zweiten Stuhl heran, um sich neben ihre Patientin zu setzen.

„Es ist so lange her. Ich hielt es für einen Segen, die Erinnerung daran aus meinem Gedächtnis zu verbannen.“

Yakido nippte erneut am Wasserglas.

„Kleines Engelchen“, murmelte sie leise. Gleichzeitig spürte sie die schmerzvolle Sehnsucht, ihre Mutter würde sie jemals wieder so nennen. Sofort hakte die Psychologin ein.

„Das ist wirklich völlig okay, Frau Schwarz, glauben Sie mir. Sie haben es nicht vergessen, die Erinnerung daran haben Sie nur ganz tief in Ihrem Inneren verborgen. Instinktiv schützten Sie sich damit selbst.“

„All die Jahre habe ich nicht mehr daran gedacht.“

„Sie haben Ihre Erlebnisse verdrängt. Sie waren noch sehr jung, ein kleines Mädchen. Wie hätten Sie damals verstehen können, was Ihnen dieser Mann, und auch Ihre Mutter, antaten?“

Mitfühlend legte die Ärztin ihre Hand auf Yakidos, die sie ihr unwillkürlich entzog.

„Heute erinnerten Sie sich zum ersten Mal bewusst daran. Sie überwanden sogar Ihre innere Blockade, Ihr Erlebnis laut auszusprechen, einer anderen Person anzuvertrauen. Das ist mehr als bemerkenswert!“

Die Anerkennung der Psychologin klang ehrlich und Yakido empfand sich erleichtert.

„Sie haben sich jetzt Ruhe und Entspannung verdient. Ich rufe Larissa, sie soll Sie auf Ihr Zimmer begleiten und noch ein wenig bei Ihnen bleiben.“

Die Frau drückte den Knopf der Gegensprechanlage. Sofort meldete sich Larissa, der gute Geist der Station. Nur Augenblicke später betrat die barsche, doch rührend besorgte Pflegerin das Sprechzimmer.

„Wenn es Ihnen Morgen gut geht, kommen Sie wieder zu mir“, munterte die Psychologin ihre Patientin auf.

„Jedes einzelne Wort, welches Ihre Lippen verlässt, tut Ihnen gut. Es reinigt Ihre Seele.“

Vertrauensvoll reichte sie Yakido zum Abschied die Hand und geleitete sie zur Tür, um sie an Larissa zu übergeben.

„Kommen Sie Frau Schwarz“, zog Larissa Yakido den Flur entlang.

Währenddessen schrie ein Wort in Yakidos Hirn: Seele.

Was sollte das? Hatte sie eine Seele?

Wurde sie nicht schon längst verkauft, zum höchsten Preis?

Am folgenden Tag zog es Yakido wieder hinunter zum Teich, auf die Parkbank hinter den Bäumen nahe der Wiese. Der Herbstwind blies die Blätter von den Zweigen. Das Geäst der Bäume wirkte kahl und trostlos. Einzig die grünen Nadeln der Tannen würden der grauen Jahreszeit etwas Farbe verleihen.

Schnellen Schrittes eilte sie zu ihrem Lieblingsplatz. Sie hoffte, dort wieder das fremde Mädchen anzutreffen. Doch die Zeit verging, ohne dass sich jemand blicken ließ.

Natürlich, sie musste geträumt haben! Die vielen Tabletten spielten ihr einen Streich. Fröstelnd, die Herbstsonne wärmte an diesem Tag nicht mehr, begab sie sich auf den Rückweg zur Klinik. Seit einigen Wochen befand sich dort Yakidos Zuhause. Sie wehrte sich nicht mehr dagegen.

Kapitel 4

Derweil in einer Stadtrandsiedlung von Berlin. Immer wieder stellte sich Bernd Fischer die gleiche Frage: Welches Schicksal trieb die geheimnisvolle Unbekannte dazu, sich die Pulsadern aufzuschneiden?

Seit er die Mitbewohnerin aus dem achten Stock regungslos in der Badewanne fand, ging ihm die Unglückliche nicht mehr aus dem Kopf. Bei den wenigen zufälligen Begegnungen, meistens im Fahrstuhl, weckte sie jedes Mal sein Interesse. Gegen seinen Willen. Er wunderte sich selbst darüber, denn die Frau tat eigentlich nichts, was ihn dazu veranlasst hätte. Außer, ihn absolut zurückhaltend, mit einem kurzen, flüchtigen Lächeln zu bedenken. Es ärgerte ihn, doch trotzdem reichte dieses Lächeln aus, um ihn für Augenblicke zu verzücken. Nie hätte er gewagt, sie anzusprechen.

Von der Damenwelt hielt er sich fern, lehnte weiblichen Kontakt kategorisch ab. Fischer hatte genug mit sich selbst zu tun. Er fokussierte sich auf sein Leben. Es bescherte ihm die Aufgabe, sich nach der Scheidung neu zu ordnen, mental und finanziell wieder auf die Beine zu kommen und seine innere Balance wiederzufinden. Frauen hätten dabei nur gestört, so viel war klar.

Deshalb wählte der Versicherungsfachmann die Einsamkeit inmitten einer menschenfressenden Anonymität, hinter der sich Großstädte wie Berlin so gern verstecken. Trabantensiedlungen, Molochs des sozialen Wohnungsbaus wie in Marzahn, das Märkische Viertel oder die Gropiusstadt.

Rückblicke in Baukünste vergangener Jahrzehnte, deren Hochhäuser potenzielle Selbstmörder anlocken. Wie Ikarus durch die Lüfte schweben. Daraus wird allerdings nichts, wenn man vom zehnten Stock wie ein nasser Sack in die Tiefe stürzt.

Er fühlte sich wohl, so völlig zurückgezogen am Stadtrand zu leben.

So wie Yakido.

Seit Wochen drängte es Fischer, sie, deren Leben er rettete, zu besuchen.

Fischer setzte seine Überredungskünste ein, denn er wollte unbedingt erfahren, wohin der Ambulanzwagen die Hoffnungslose brachte. Nach etlichen Telefonaten erhielt er endlich die ersehnte Auskunft: die Adresse der Klinik.

Er fühlte sich unsicher, ob bereits der richtige Zeitpunkt dafür gekommen wäre. War sie soweit über den Berg, um Besuch von ihm, einem Fremden, zu empfangen? Wie würde sie auf ihn reagieren?

Fischer verspürte ein Ziehen in der Magengegend. Er wusste genau, weshalb er die Unbekannte mit dem sanften Lächeln nie angesprochen hatte. Diese Frau strahlte auf ihn etwas aus, was ihm hätte gefährlich werden können.

In Yakidos Zimmer läutete das Haustelefon. Sie erschrak. Augenblicklich riss sie den Hörer von der Gabel.

„Ja bitte?“

„Hier ist Larissa. Frau Schwarz, für Sie hat sich Besuch angekündigt. Gegen 16.00 Uhr möchte Sie ein Mitbewohner aus Berlin beehren.“

„Mitbewohner aus Berlin?“, wunderte sich Yakido.

„Wer soll denn das sein?“

„Na, der Herr Fischer! Der Mann, der den Notarzt rief. Er sagt, Sie würden ihn kennen.“

Yakido vermochte sich nicht an einen Mitbewohner Namens Fischer zu erinnern. Auch an keine anderen Nachbarn aus dem Wohnhaus. Wie auch? Sie suchte keinen Kontakt zur Außenwelt, verließ die Wohnung nur selten.

Allein in dieser fremden Stadt, in einem anonymen Hochhauskomplex, fixierte sie sich einzig auf diesen einen Mann an ihrer Seite. Sie klammerte sich an ihn wie eine Klette. Nur, weil er ihr eine vermeintliche Zukunft versprach. So lange, bis er Yakido wegwarf wie einen alten Wischlappen.

„Was will er?“

Yakidos abweisende Stimme war nicht zu überhören. Larissa zuckte instinktiv mit den Schultern, dabei sprach sie weiter ins Telefon.

„Sie einfach nur besuchen. Einen netten Nachmittag mit Ihnen verbringen. Weiter nichts!“

Larissa verstand die Abneigung der Patientin nicht. In einem sanfteren Ton als bisher fügte sie hinzu:

„Nun freuen Sie sich doch! Für heute ist leider Regen angesagt, sonst hätte ich Ihnen einen Spaziergang im Park vorgeschlagen.“

„Und nun, wohin soll ich anstatt dessen mit diesem Herrn Fischer gehen?“

„Was halten Sie denn von unserer Cafeteria? Wir servieren dort einen herrlichen Latte Macchiato!“

„Wie Sie meinen. Danke Larissa. Das ist eine gute Idee.“

Yakido legte auf. Der Blick in den Spiegel zeigte ein aschgraues Gesicht mit tiefen Rändern unter den Augen. Hastig kniff sie sich in ihre Wangen, um keinen farblosen Eindruck zu hinterlassen. Aus der Schublade der Kommode fingerte sie ein schwarzes Band aus Samt hervor, um das lange Haar zu einem Zopf zu binden.

Yakido wählte einen Tisch in Fensternähe. Dort saß sie bereits, als Bernd Fischer die in einem freundlichen hellbeige eingerichtete Cafeteria betrat. Er blieb ein wenig orientierungslos am Eingang stehen, blickte sich suchend um. Sobald er Yakido entdeckte, steuerte er zielstrebig auf sie zu. Hinter dem Rücken verbarg er einen kleinen Strauß gelber Herbstastern.

„Frau Schwarz?“, sprach er sie zögernd an.

Yakido starrte aus dem Fenster, beobachtete die Regentropfen, die klatschend gegen die Fensterscheiben prasselten. Nun drehte sie sich langsam um, behutsam darauf bedacht, ihre Abneigung gegen diesen Nachmittagsbesuch zu verbergen. Beim Anblick Fischers rasten augenblicklich ihre Gedanken, suchten in ihrem Erinnerungsvermögen.

Wo habe ich diesen Mann schon mal gesehen?

Fischer schien ihre Gedanken zu erraten.

„Wir sind uns einige Male im Fahrstuhl begegnet. Erinnern Sie sich an mich?“

Fischer erschrak über die blasse, wie durchsichtiges Seidenpapier scheinende Haut, die Yakidos Wangen bedeckte. Vielmehr jedoch über ihren stumpfen Blick, der mit leeren Augen auf ihm ruhte.

„Ja, ich erinnere mich“, erwiderte sie leise.

„Was wollen Sie hier?“

„Darf ich Platz nehmen?“

Er blieb weiterhin höflich, ihre Teilnahmslosigkeit irritierte ihn jedoch.

„Ich habe für uns einen Latte Macchiato bestellt. Die Schwester sagte mir, der wäre sehr lecker und Sie würden dieses Getränk mögen.“

Pause. Betretene Stille. Yakido sagte kein Wort, sah Fischer nur ausdruckslos an. Er fühlte sich unbehaglich, wusste nicht, wie er einen Zugang zu dieser Frau finden sollte. Es bereitete ihm Schwierigkeiten, ein Gespräch zu beginnen. Zur Überbrückung reichte er ihr den Blumenstrauß.

„Danke“, entgegnete sie matt.

„Die sind schön.“

Gemeinsam tranken sie ihren Kaffee. Sie schwiegen. Tausend Worte kreisten durch Fischers Gehirn. Tausend Worte, die er ihr gern sagen wollte. Dann endlich brach es aus ihm heraus.

„Wer hat Ihnen das angetan?“

„Wer hat mir was angetan? Was meinen Sie? Was soll das?“

Yakido verstärkte sofort ihre Abwehrhaltung. Sie fühlte sich von der direkten und völlig unerwarteten Frage regelrecht bedroht.

„Warum wollten Sie nicht mehr leben?“

Yakido erstarrte. Niemand besaß das Recht, in ihrem Leben zu wühlen, geschweige eine Rechtfertigung von ihr zu erhalten. Was bildete sich dieser Kerl ein?

„Was geht Sie das an? Was verdammt geht Sie das an?“

Yakido verlor die Beherrschung. Ihre Stimme wurde lauter. Fischer stocherte in ihrem wunden Punkt herum. Sie begann zu schreien.

„Was wollen Sie von mir? Spazieren hier einfach so herein und fragen mich, warum ich nicht mehr leben wollte? Das geht Sie verdammt noch mal einen Scheißdreck an! Verschwinden Sie, ich will Sie hier nicht mehr sehen. Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Mist! Lassen Sie mich in Ruhe!“ Yakidos Stimme überschlug sich, sie war außer sich vor Wut. Ruckartig stand sie auf, dabei kippte der Stuhl nach hinten und polterte auf den Boden. Die übrigen Gäste der Cafeteria wohnten entgeistert dem Geschehen bei, einige wurden bereits unruhig.

„Hauen Sie endlich ab! Verschwinden Sie!“

Wutentbrannt drehte Yakido Fischer den Rücken zu, während sie hastig zum Ausgang eilte.

Larissa, die sich mit gemischten Gefühlen, dabei nichts Gutes ahnend, in der Nähe der Patientin aufhielt, stürmte herbei. Energisch bedeutete sie dem Besucher, zu gehen. Sie ergriff Yakido am Arm.

„Kommen Sie, Frau Schwarz. Beruhigen Sie sich. Herr Fischer wird unser Haus wieder verlassen und Sie nicht weiter belästigen. Das verspreche ich Ihnen.“

Entschlossen schob sie Yakido in den Flur und begleitete sie zu ihrem Zimmer.

„Hier, nehmen Sie das. Das wird Sie beruhigen und Sie werden ein wenig schlafen.“

Larissa reichte ihrem Schützling eine Beruhigungstablette. Danach schob sie einen Stuhl im Zimmer zurecht, klopfte auf das Sitzkissen und bedeutete der Patientin, sich dort nieder zu lassen. Yakido nahm Platz. Widerwillig schluckte sie die weiße Pille.

„Das wird schon wieder, Frau Schwarz“

Die Pflegerin tätschelte vertraulich Yakidos Arm.

„Ich muss wieder weiter, habe noch mehr Schäfchen, die ich hüten muss!“

Sie zwinkerte mit den Augen, was ihrem kantigen Gesicht einen spitzbübischen Ausdruck verlieh.

„Ich werde Sie nun allein lassen. Wenn Sie mich brauchen, Sie wissen ja, wo Sie drücken müssen!“

Lächelnd verließ die gute Seele das Zimmer, zeigte gleichzeitig auf den Klingelknopf neben dem Lichtschalter und zog die Tür hinter sich zu. Zur Kontrolle blieb sie noch einen Moment auf dem Flur stehen, horchte angestrengt an der Zimmertür.

Stille erfüllte den Raum, welcher Yakido nun seit einiger Zeit anstelle der kärglichen Wohnung in der Stadtrandsiedlung ein mehr oder weniger gemütliches Domizil bot.

Yakido gab keinen Laut von sich. Bewegungslos blieb sie auf dem Stuhl sitzen, wohl wissend, dass Larissa noch horchend vor der Tür stehen würde.

Jetzt nur nicht weiter auffallen! Ganz ruhig bleiben.

Die Wirkung der Tablette ließ Yakido gleichmütig werden, weshalb sie sich ohnehin allmählich beruhigt hatte. Bedächtig wartete sie, bis sich Larissa von der Zimmertür entfernt hatte. Sie steuerte die weiße Kommode an, die sich der Klinikeinrichtung perfekt anpasste, und zog die oberste Schublade auf.

Unter bunten Tüchern lugte ein Foto hervor, das einzige, welches sie damals mitnehmen konnte. Es zeigte ein lächelndes Mädchen auf dem Schoß der Mutter sitzend. Ein unbeschwertes Kind, inmitten einer trügerischen Friedlichkeit nebst Harmonie. Ein falsches Zeugnis der Vergangenheit.

„Das bin ich nicht“, hörte sie sich flüstern.

„Das bin nicht ich.“

Vorsichtig verstaute sie das Erinnerungsstück wieder in der Schublade. Müde sank sie auf das Bett. Die Aufregung des Tages hinterließ ihre Spuren. Die Beruhigungstablette tat das Übrige.

Yakido sehnte sich nach todesähnlichem Schlaf, der ihre Erinnerungen für immer aus ihrem Gedächtnis löscht. Bleischwer senkten sich ihre Lider, doch ihre Augen blieben nicht von ihnen bedeckt. Ein nervöses Flimmern hielt sie wach.

„Okay, du verhasster Dämon. Komm, schlag zu. Führen wir unsere eigene Therapie durch. Lass uns spielen, quäle mich. Spielen wir Vergangenheit. Ich halte dich aus, du verdammter Teufel!“

Sie straffte ihre Muskeln und begann, sich zu konzentrieren. Yakido schärfte ihr Bewusstsein, versuchte, sich eines der verhassten Erlebnisse ins Gedächtnis zu rufen. Begierig, die einstige Qual erneut zu durchleben. Wohin würde der Dämon sie führen, wenn nicht wieder in die Enge der kalten, feuchten Wohnung? Der muffige Geruch der Möbel und Gardinen stieg ihr bereits in die Nase.

„Komm schon, lass mich nicht so lange warten!“

Endlich fiel Yakido in einen anderen Bewusstseinszustand, ähnlich wie der in Trance. Mit aller Anstrengung versetzte sie sich in die damaligen Handlungsabläufe, bewegte sich in ihnen, als führte sie Regie. Sie befand sich wieder in ihrem Mädchenzimmer, fernab in Hamburg, an dem Ort, den sie seit Kindertagen zu hassen lernte.

Kapitel 5

Vertrautheit empfing Yakido. Hier kannte sie sich aus; es hatte sich nichts im Raum verändert. Ihr Atem wurde flacher. Der Dämon lotste ihre Erinnerungen in eine Zeit, in der sie ein junges Mädchen war. Älter als damals, als sie zu dem fremden Mann, dem Onkel, ins Bett schlüpfen musste. Ihr Körper begann gerade zart zu erblühen, ihr Busen drückte sich leicht unter dem Pulli durch.

Yakido saß zur vorgerückten Stunde allein in ihrem Zimmer. Unter dem fahlen Licht der Schreibtischlampe stapelten sich mit feiner Handschrift verfasste Notizen, die sie an diesem Abend angefertigt hatte. Plötzlich wurde die Zimmertür heftig aufgerissen. Völlig verstört stürzte ihre Mutter herein. Schlecht gelaunt und in ihren Überlegungen gestört, blickte Yakido auf.

„Mama, lass mich heute Abend. Ich muss noch für die Schule büffeln. Wir schreiben morgen einen Test, den will ich nicht versauen.“

„Yakido!“, stieß ihre Mutter hervor.

Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn.

„Mama! Bitte, schaffst du es diesmal nicht allein?“, fauchte das Mädchen.

„Außerdem habe ich meine Tage, ich kann sowieso nicht!“

„Komm rüber, es ist was passiert!“

Kreidebleich stand die Mutter im Türrahmen. Die schöne, elegante Frau, sie, die sonst ruhig, professionell und eiskalt die Männer abservierte, war völlig aus der Fassung geraten.

Yakido begriff sofort, dass etwas nicht stimmte. Derart aufgeregt und kopflos hatte sie ihre Mutter noch nie erlebt. Im Gegenteil. Annabells immer wieder auftretende eisige Kühle und Besonnenheit löste selbst bei Yakido oft Unbehagen aus.

Gemeinsam eilten sie nun in das Nebenzimmer. Wie immer verströmten Kerzen ein schummriges Licht und es roch nach Alkohol, Schweiß und Sperma. Auf dem Bett lag ein nächtlicher Besucher. Ausgestreckt, auf dem Bauch, den Kopf im Kissen vergraben, hing der rechte Arm merkwürdig schlaff über der Bettkante.

„Oh Gott, was ist hier los?“, schrie Yakido nach der ersten Schrecksekunde.

Der Anblick des reglosen Mannes jagte dem Mädchen einen Schauer über den Rücken.

„Ich glaube, der ist tot!“, flüsterte Annabell.

„Der ist tot. Beim Vögeln einfach ausgelöscht!“

Sie lachte zynisch.

„Was kann schöner sein...?“

„Aber wie..., was hast du gemacht?“

Yakido zitterte am ganzen Leib.

„Nichts! Nichts habe ich gemacht! Alles war okay. Es hat ihm ordentlich Spaß bereitet. Plötzlich begann er zu röcheln, hob seinen Kopf und schnappte nach Luft. Dann sackte er in sich zusammen. Blieb auf mir liegen, schwer wie Blei. Kostete mich alle Kraft, mich von dem alten Sack zu befreien.“

Beide standen im Raum und starrten fassungslos auf den leblosen Körper. Ein unansehnlicher Mann, Mitte fünfzig, mit einem dicken Bierbauch und weißer, dünner Haut.

„Guck mal, Mama. Der hat noch seine Socken an.“

„Oh Gott!“

Panik beschlich Annabell. Allmählich begriff sie die Tragweite der Situation. Hier lag ein toter Mann in ihrem Bett, dessen Namen sie nicht einmal kannte. Ein anderer Stammgast prahlte dem unbekannten Freier gegenüber mit Annabells Liebesdiensten. Derart aufgeheizt, führte ihn seine Geilheit noch direkt in dieser Nacht zu ihr.

„Seine Frau wird ihn vermissen. Schon vor einer guten Stunde hätte er sie beinahe angerufen.“

Verächtlich zeigte sie mit ihrem Kopf in seine Richtung.

„Der Idiot wollte doch glatt mein Telefon benutzen, als ich kurz im Bad war. Typisch Mann. Wenn es da unten juckt, setzt der Verstand aus.“

„Wir müssen ihn loswerden, Mama. Der muss hier weg. Wie willst du erklären, was hier passiert ist?“

„Du hast Recht. Aber wie? Was sollen wir jetzt nur machen? Ich kann ihn ja nicht im Klosett herunter spülen.“

Sie blickte sich um, suchte nach einer Möglichkeit, den unliebsamen Gast zu beseitigen.

„Wir müssen uns beeilen. Wenn seine Frau nach ihm sucht, zur Polizei geht und ihren Mann als vermisst meldet...“

„So schnell geht das nicht, mein Engelchen. Wir werden bis zum Einbruch der Dunkelheit warten. Dann legen wir ihn ins Auto, fahren runter zur Elbe und werfen ihn ins Wasser.“

„Du willst ihn in die Elbe werfen?“

Entgeistert starrte Yakido ihre Mutter an.

„Warum denn nicht, da sind schon viele drin ertrunken!“

Da war sie wieder. Annabell hatte ihre Fassung wiedergewonnen. Sie grübelte, wie Mutter und Tochter es anstellen, sich aus diesem Dilemma herauszuschälen. Doch wie sollten die beiden den schweren, leblosen Körper zum Auto befördern?

Es gab keine Hintertür, so blieb nur der Weg über die Kellertreppe, um die Souterrainwohnung zu verlassen. Den leblosen Körper dort hoch zu schleppen, würde ohne Hilfe mehr als anstrengend werden. Ebenso, den Toten zum Auto zu transportieren. Und das alles, ohne Aufsehen zu erregen!

„Komm Yakido, fass mit an!“

Annabell zog an dem Teppich, der im Wohnraum lag.

„Wir wickeln ihn hier ein. Der Teppich ist groß genug.“

„Mama, das ist wie in einem schlechten Film!“

„Hast du eine bessere Idee?“

Yakido schüttelte den Kopf. Das Geschehen um sie herum wirkte wie eine gespenstische Szene, so, als liefe tatsächlich ein schlechter Film. Yakido fühlte sich, als wäre sie nur Zuschauerin. Sogar der Körper der Leiche auf dem Bett ihrer Mutter erschien ihr wie der einer Puppe in einer Kulisse eines billigen Filmsets. Der Fremde lag da, als schliefe er, als würde er sich jeden Moment erheben. Annabell ging zum Bett. Sie packte den Kerl an den Schultern. Grob zerrte sie ihn auf die Seite.

„Verdammt, ist der schwer“, fluchte sie.

„Wie ein nasser Mehlsack!“

Sie kletterte über ihn drüber und stieß ihn von der anderen Seite an den Rand des Bettes. Sie keuchte. Er rückte und rührte sich nicht.

„Scheiße noch mal, du Mistkerl!“

„Psst, Mama! Schrei nicht so laut. Wir dürfen jetzt nicht auffallen!“

Yakido empfand sich wie eine geheimnisvolle Verbündete in einer großen Schlacht.

„Wir wickeln ihn in den Teppich, die Gangster machen es auch so.“

„Komm her und rede nicht so viel. Hilf mir lieber, den Kerl vom Bett zu bekommen. Er ist zu schwer für mich allein.“

Annabell schob den Leblosen weiter an den Rand des Nachtlagers. Yakido zerrte von vorn an dem toten Mann. Mit einem dumpfen Aufprall des Körpers fiel die Leiche auf besagten Teppich.

„Endlich“, keuchte Annabell.

„Das hätten wir geschafft.“

Annabell strich sich die Haare aus dem Gesicht, wischte sich dabei über ihre schweißnasse Stirn.

„Wunderbar verpackt und gut verschnürt. Heiße Ware...“

Sie kicherte. Sie konnte so herrlich sarkastisch sein, selbst in diesem Moment. Wie eine Ironie des Schicksals läutete ausgerechnet jetzt die Türglocke.

„Mist, wer kann das sein?“

Annabell eilte zur Wohnungstür, spähte durch den Spion. Geistesgegenwärtig zupfte sie ihre Haare zurecht, zog ihren Rock in Form und löste zwei Knöpfe aus den Schlaufen ihrer Bluse.

„Der kommt gerade recht“, flüsterte sie Yakido zu.

„Bist du bereit, kann ich öffnen?“

Das Mädchen nickte nur, ihre Stimme war mit einem dicken Kloß belegt. Sie hätte sowieso keinen Ton von sich geben können.

„Wen haben wir denn da?“, fragte Annabell mit verführerischem Tonfall in der Stimme, während sie die Tür nur handbreit aufsperrte.

Vor ihr stand der aufdringliche Hausmeister. Durch den schmalen Türspalt begaffte er ihr Gesicht sowie den einladenden Busen.

„Hallo, schöne Frau. Ich wollte nur mal Bescheid sagen, dass die Wohnung über dir eine Verstopfung hat. Ich musste das Wasser abstellen, damit die Scheiße nicht überall lang schwimmt.“

Annabell räusperte sich.

„Na, wenn das keine gute Nachricht ist.“

Ihr entging nicht, wie seine Augen wieder an ihrem Körper klebten. Unschuldig fuhr sie fort:

„Wenn du das Malheur beseitigt hast, guckst du dann noch kurz bei mir vorbei?“

Sie lächelte ihn an. Er grinste. Er grinste so breit und selbstgefällig, dass es ihr Übelkeit in der Magengegend verursachte.

„Halt dich bereit, schöne Frau.“

Sein Zeigefinger tippte an den Schirm seiner Mütze.

„Bis nachher.“

„Puh!“ Erleichtert schloss Annabell die Tür und lehnte sich gegen sie.

„Das Problem scheint gelöst.“

Noch in dieser ereignisreichen Nacht befriedigte Yakidos Mutter den aufdringlichen Hausmeister nach allen Regeln der Kunst. Schließlich bat sie ihn mit zuckersüßer Stimme, den schweren Teppich samt Inhalt in den Kofferraum ihres Autos zu transportieren.

Der Hausmeister stellte keine Fragen. Er wunderte sich nicht über die nächtliche Aktion. Nein, er verlangte keine weiteren Erklärungen über diese ungewöhnliche Fracht. Wozu auch? Sein Interesse galt nur dieser schönen Frau. Er wusste, mit dieser Gefälligkeit frisst sie ihm künftig aus der Hand. Sie würde seine Wünsche, sie anzufassen, sie zu küssen und sich von ihr verwöhnen zu lassen, nicht mehr abschlagen können.

Instinktiv spürte er, dass er von nun an ein Geheimnis mit dieser Frau, die er so sehr begehrte, teilte. Selbstzufrieden ließ er sich von ihrem hübschen Engelsgesicht mit dem süßen Lächeln blenden. In seiner Überlegenheit begann er jedoch einen fatalen Fehler.

Er unterschätzte Annabells skrupellose Kälte.

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