Kitabı oku: «Auf lange Sicht (E-Book)»

Marie-José Kolly und Simon Schmid (Hrsg.)
Auf lange Sicht
Daten erzählen Geschichten
ISBN Print: 978-3-0355-1960-0
ISBN E-Book: 978-3-0355-1961-7
Gestaltung: Salzmann Gertsch
1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© 2021 hep Verlag AG, Bern
Daten erzählen Geschichten
Die New Coronomy
Was, wenn nur Frauen abstimmten?
Die schönste Klimagrafik der Welt
Wie viel wir arbeiten
Wie enden Epidemien?
Swish! So zerreisst es den Finanzausgleich
Höchste Temperatur seit 120 000 Jahren gemessen!
Was ist Zersiedelung?
Warum Grossmamis und Kinder Emma heissen, aber nur Grossmamis Erika
Hey, Alter!
Journalismus in Gefahr
Die Schweizer Politik im Parteientumbler
Drei Blicke auf die SNB
Das bunte Europa der Regionen
Ein paar Wahrheiten über Lügen
Opa Bauer, Mama Monteurin, Sohn Gamedesigner
Unser schrumpfendes Kohlenstoffbudget
Das Dilemma mit den «Super Sundays»
Steht bei Ihnen ein Chrischtbaum, ein Wienachtsboum – oder einfach eine Tanne?
Afrika ist die Zukunft
Die Mutterschaftsstrafe
Wie stark sind die Mieten gestiegen?
Systemrelevant – und schlecht bezahlt?
Wie sich Amerika auseinandergelebt hat
Auch die Treibhausgase wachsen exponentiell
Wie die Menschheit Viren und Bakterien zurückgedrängt hat
Daten erzählen Geschichten
Hätten Sie gewusst:
—dass die Videocall-Anbieterin Zoom während der zweiten Corona-Welle so viel wert war wie die zehn grössten Airlines der Welt zusammengezählt?
—dass die Erdtemperatur im Jahr 2020 so hoch war wie seit 120 000 Jahren nicht mehr?
—dass in Afrika bis zum Ende des 21. Jahrhunderts gleich viele Menschen wie in Asien leben dürften?
Auch wir wussten noch nicht, was herauskommen würde, als wir vor drei Jahren mit der «langen Sicht» begannen: der wöchentlichen Datenkolumne im Online-Magazin «Republik». Doch fast bei jedem Thema, das wir recherchierten, bei fast jeder Datenquelle, die wir auswerteten, stellten wir fest: Hier steckt eine interessante, erstaunliche, überraschende Geschichte drin – eine Geschichte, die es lohnt, in Grafiken erzählt zu werden.
Manchmal lag die passende Umsetzung auf der Hand. Etwa im Dezember 2018: Ein halbes Jahr vor dem Frauenstreik befassten wir uns mit geschlechtstypischen Erwerbsbiografien und fragten uns: Ab welchem Punkt verdienen Männer eigentlich mehr als Frauen? Ist das schon ab Karrierebeginn so, oder zementieren sich die Unterschiede erst nach und nach? Dann stiessen wir auf eine Studie, die eine Grafik enthielt – und der Fall war klar: Ausschlaggebend ist die Geburt des ersten Kindes. Bis dahin wachsen die Einkommen mehr oder weniger im Gleichschritt, danach geht die Schere auf. So entstand ein Beitrag über die «Mutterschaftsstrafe». Sie finden ihn, zusammen mit der Grafik hier.
Manchmal war die Sache aber auch kniffliger. Wie illustriert man ein trockenes Thema wie Mietpreisindizes? Klar: Man könnte eine Schweizerkarte nehmen, sie in Orange- und Rottönen einfärben und darüberschreiben: «Wohnen ist so teuer wie nie zuvor: Hier sind die Hotspots!» Doch das wird der Sache nicht gerecht. Denn mieten ist nicht gleich mieten: Die Preisentwicklung sieht völlig anders aus, je nachdem, ob man neu ausgeschriebene Wohnungen oder bestehende Mietverhältnisse betrachtet. Um diesen Unterschied aufzuzeigen und zu einem differenzierten Fazit zu gelangen, haben wir uns für eine optisch sehr simple, dafür sehr verständliche Grafik entschieden. Sie finden sie hier.
«Auf lange Sicht» erscheint jeden Montag. Mal knüpft die Datenkolumne stärker an die Aktualität an, mal geht es um zeitlose Themen. Mal geht es um ernste Politik, mal regt die Kolumne zum Schmunzeln an. Wir erzählen Datengeschichten darüber, welche Länder den klimafreundlicheren Strom produzieren, welche Schweizer Parteien am häufigsten mit der Regierung abstimmen oder in welchen Schweizer Regionen man welche Wörter benutzt: «Chrischtbaum» oder «Wiehnachtsboum». Für dieses Buch haben wir ein Best-of der anschaulichsten Beiträge zu einem bunten Mix verschiedener Themen zusammengestellt und aktualisiert.
Jede dieser Datengeschichten bewegt sich in einem Spannungsdreieck.
Am ersten Eckpunkt steht die Wissenschaft. Wir wollen eine bestimmte Fragestellung nach bestem Wissen und so objektiv wie möglich beantworten. Daten helfen uns dabei, diesem Anspruch gerecht zu werden: Wir bereiten nur Zahlen auf, die methodisch sauber erhoben und sinnvoll ausgewertet wurden. Das garantiert, dass wir keine falschen Behauptungen aufstellen – hat jedoch den Nachteil, dass die Erkenntnisse zuweilen wenig spektakulär sind. Widersprüchliche Studien, unsichere Zusammenhänge, Detailergebnisse ohne allgemeine Gültigkeit: Das ist das harte Brot, das die Wissenschaft uns oft serviert.
Unsere Aufgabe als Datenjournalistinnen ist, diese Kost mit abwechslungsreichem Storytelling zu versüssen. Wir alle empfinden die «Zersiedelung» als etwas Störendes. Doch wie misst man dieses Phänomen eigentlich? Oft stecken in solchen Details die spannendsten Fragen – Antworten darauf finden Sie in diesem Fall hier. Versetzt man sich erst einmal in Forschende hinein und beginnt, ihre Schwierigkeiten auf der Suche nach Ergebnissen zu verstehen, ergibt sich die Spannung oft wie von selbst. Unser Ziel ist, genau diese Spannung in unseren Texten nachvollziehbar und visuell erfahrbar zu machen.
Am zweiten Eckpunkt steht die Handwerkskunst. Es ist eine Kunst, die, wenn man sie geschickt anwendet, eine beträchtliche Wirkung entfalten kann: die Datenvisualisierung.
Diese Wirkung hat mit der Art und Weise zu tun, wie unsere Gehirne Informationen aufnehmen. Betrachten Sie zum Beispiel die folgende Datenreihe: 0, 27, 310, 1863, 5274, 7335, 6271, 4315, 2325, 1321, 844. Das sind die wöchentlichen Ansteckungszahlen während der ersten Welle der Corona-Pandemie in der Schweiz. Vermutlich lösen diese Zahlen in Ihnen keine besondere Reaktion aus – sehr wahrscheinlich haben Sie sie nicht einmal genau gelesen. Ganz anders ist es, die Corona-Fälle als Grafik zu sehen – so wie hier in diesem Buch: mit farbigen Balken, die erst im Frühjahr 2020 und dann erneut im Winter 2020/21 – während der zweiten Welle – in die Höhe ragen und bildlich vor Augen führen, welche Dynamik eine Pandemie entfalten kann.
Indem wir Daten grafisch darstellen, bringen wir sie zum Sprechen, hauchen ihnen Leben ein. Doch es braucht Können und Erfahrung, Zeit und Musse, und nicht selten auch etwas Glück, um eine wirklich herausragende Datenvisualisierung zu erstellen. Und genau dieses Anliegen kann uns auch in Versuchung führen – dann, wenn wir beginnen, die grafische Darstellung mit der Realität selbst zu verwechseln und daraus Dinge ableiten zu wollen, die so gar nicht stimmen. Deshalb ist es uns so wichtig, Daten jeweils in den richtigen Kontext zu stellen. Zu erwähnen, wie sie erhoben wurden, was sie aussagen können – und in welchen Momenten man sich mit Schlussfolgerungen und Voraussagen zurückhalten muss, weil die Unsicherheit einfach zu gross ist. Und vielleicht auch: im Zweifelsfall die langweiligere, dafür aber verständlichere Darstellung zu wählen.
Dies führt zum dritten Eckpunkt: dem Journalismus. «Sagen, was ist»: Mit Slogans wie diesem definieren manche Medien ihre Mission. Gleichzeitig sind sie den kurzen Aufmerksamkeitsspannen eines überfütterten Publikums unterworfen: Tatsächlich gesagt wird in der Regel nur, was Journalistinnen als relevant einstufen. Und wovon sie glauben, dass jemand es hören will – weil es Neuigkeitswert hat, eine Sensation ist oder Emotionen weckt.
Als Datenjournalisten sind wir mit diesen Gesetzmässigkeiten vertraut. Wir nutzen sie, um Geschichten zu erzählen: Wer weiss, wie man Aufmerksamkeit erzeugt, hat eine grössere Chance, wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig müssen wir auf der Hut sein. Denn viele Schlagzeilen, die auf einer Grafik beruhen, lassen sich mit einer anderen Grafik relativieren. Um damit klarzukommen, braucht es neben einer sauberen Methodik auch Fachwissen, das wir uns in der Literatur oder im Gespräch mit Expertinnen aneignen. So können wir begründen, warum wir eine bestimmte Darstellung bevorzugen – zum Beispiel zu der Frage, wie viele Stunden pro Woche Frauen und Männer im Schnitt arbeiten. Wie sich diese Werte im Verlauf des letzten Jahrhunderts verändert haben, steht hier.
In drei Jahren «lange Sicht» haben wir unsere eigene Art entwickelt, mit dem Spannungsfeld aus Wissenschaft, Handwerkskunst und Journalismus umzugehen. Bei jeder Datengeschichte, die wir schreiben, achten wir auf eine Reihe von ganz bestimmten Grundsätzen:
Jede Leserin muss nachvollziehen können, wie eine bestimmte Aussage zustande kommt. Wir schreiben nicht über die demografische Alterung, um zu polemisieren oder um etwa Angst davor zu schüren, irgendwann würden wir alle «keine Rente mehr erhalten». Sondern, um aufzuzeigen, wie eine wichtige Kenngrösse wie der Altersquotient (das ist die Anzahl der über 65-Jährigen im Verhältnis zu den Erwerbstätigen) überhaupt berechnet wird und welche Faktoren diese Kerngrösse bestimmt (Spoiler: Es sind Geburtenrate und Lebenserwartung).
Hinter diesem Vorgehen steht die Überzeugung, dass wir als Bürgerinnen ein tiefes Verständnis der thematischen Zusammenhänge entwickeln müssen, um gesellschaftlich und politisch überhaupt rational handeln zu können. In jeder Datengeschichte achten wir deshalb auf sorgfältige und verständliche Erklärungen. Wie sich der Altersquotient in der Schweiz bis ins Jahr 2050 entwickeln wird, erfahren Sie übrigens hier.
Die Methode ist ein fester Teil der Geschichte. Wie kommen beispielsweise die schönen Klimastreifen zustande: jene blau-roten Illustrationen, die man inzwischen sogar auf T-Shirts und Flipflops druckt? Bei genauem Hinsehen zeigt sich: Wer solche Grafiken herstellen will, muss zuerst eine Reihe von Fragen beantworten. Fragen, die entscheidend dafür sind, wie das Endprodukt aussieht und welche Reaktionen es bei der Betrachterin hervorruft.
Solche bewussten Entscheide zu thematisieren und dabei herauszustreichen, zu welchen Aussagen sie jeweils führen, ist uns sehr wichtig. Warum, lesen Sie im Beitrag über die Klimastreifen am besten selbst nach – hier (apropos: Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, wir wechseln in unseren Texten, dort, wo es um eine allgemeine Personengruppe geht, konsequent zwischen männlichen und weiblichen Formen ab).
Wir stellen das Visier möglichst weit ein. Wie viel Zucker möchten Sie in Ihren Kaffee? «Zehn Prozent mehr als letztes Mal.» Informationen wie diese sind komplett nutzlos, wenn man den Kontext nicht kennt. Doch genau nach diesem Muster werden sehr viele Newsmeldungen verfasst. Man blickt nur sehr kurz in die Vergangenheit zurück.
Anders arbeiten wir in der «langen Sicht» (und darum heisst die Kolumne auch so): Hier versuchen wir, Zahlen auf möglichst breiter Vergleichsbasis oder im Rahmen einer möglichst langfristigen Entwicklung zu zeigen. Ein Beispiel dafür ist die Schweizer Wirtschaft: Dass sie nicht mehr so wächst wie vor hundert Jahren, ist eigentlich kein Wunder. Denn die Wirtschaft wurde strukturell komplett umgekrempelt, es machen nur noch wenige Sektoren wirklich vorwärts. Welche? Das zeigt der Beitrag hier.
Quellen durchforsten, Daten analysieren, Grafikvarianten ausprobieren, Interpretationen überprüfen, Fachleute befragen, Dramaturgien entwickeln, Texte schreiben: Für all dies nehmen wir uns in der «langen Sicht» als Autoren und in der Gruppe jeweils viel Zeit. Jede unserer Datengeschichten soll ein ebenso erhellendes wie kurzweiliges Leseerlebnis sein.
Hätten Sie gedacht:
—dass Strom in Frankreich grün ist, in Deutschland violett und in der Schweiz türkis?
—dass die politische Landschaft der USA immer mehr einem Tannzapfen gleicht?
—dass Schweizer Parteien in einem umgekehrten Hufeisen zueinander stehen?
Wir ebenfalls nicht, als wir die betreffenden Beiträge in Angriff nahmen. Doch fast immer haben wir festgestellt, dass es eine originelle Art gibt, rigorose Datenanalysen mit inspirierender Visualisierung und spielerischem Erzählen zu verbinden. Und genau deshalb hat uns die Arbeit an der «langen Sicht» auch so unglaublich viel Freude gemacht. Wir hoffen, Ihnen einen Teil dieser Freude beim Lesen weiterzugeben.
Die New Coronomy
Simon Schmid
Publiziert am 25.01.2021
9 Minuten
Wenn die Videocall-Software Zoom gleich viel wert ist wie die zehn grössten Airlines zusammen, dann hat die Pandemie einiges auf den Kopf gestellt. Vier erstaunliche Grafiken zur neuen Börsenwelt nach der Corona-Pandemie.
WIRTSCHAFT
Um einen privaten Event live zu übertragen, habe ich letztes Jahr einen Pro-Zugang von Zoom abonniert. Kostenpunkt: 15 Dollar pro Monat. Offensichtlich war ich nicht der Einzige, der sich während der Pandemie an Videocalls gewöhnen musste. Mehrere Hundert Millionen Userinnen und User halten sich täglich in Zoom-Meetings auf. Eine halbe Million Kleinunternehmen nutzen Zoom professionell. Das sind bemerkenswerte Zahlen.
Schade, habe ich nicht auch Aktien von Zoom gekauft. Die Techfirma mit Sitz im kalifornischen San José ist eine absolute Senkrechtstarterin. In knapp zwei Jahren hat sich ihr Kurs verfünffacht. Zoom ist damit nicht nur eines der erfolgreichsten Software-Start-ups aller Zeiten, sondern die Firma hat auch eine Art Schallmauer durchbrochen. Sie hat nämlich inzwischen einen Wert von über 100 Milliarden Dollar.
Zoom vs. Airlines
Zoom (G1) bringt damit an der Börse einen ähnlich grossen Marktwert auf die Waage wie die zehn grössten Airlines der Welt zusammengezählt. Um zu verstehen, wie ein solch enormes Wachstum in so rascher Zeit möglich ist, muss man etwas ausholen.
Zoom wurde 2011 vom chinesischen Netzwerkingenieur Eric Yuan gegründet. Das Start-up durchlief eine Bilderbuchkarriere: 2013 wurde die Software veröffentlicht, ein Videoconferencing-Tool mit Chatfunktion. 2017 kam die Investmentfirma Sequoia Capital mit 100 Millionen Dollar an Bord, 2019 folgte schliesslich der Börsengang.
Schon damals wurde Zoom von Anlegern sportlich bewertet. Die Firma erzielte gerade einmal sechs Millionen Dollar Betriebsgewinn und war trotzdem 20 Milliarden Dollar wert – ein Verhältnis von 1 zu 3333. Solche Bewertungen sind nur unter der Annahme gerechtfertigt, dass ein Unternehmen seinen Gewinn in der Zukunft enorm steigern kann. Völlig falsch waren diese Erwartungen nicht. Tatsächlich ist Zoom stark gewachsen: Der Betriebsgewinn beträgt mittlerweile rund 400 Millionen Dollar. Und so hat sich auch das Verhältnis etwas normalisiert. Der Börsenwert von Zoom ist «nur» noch rund 270-mal so hoch wie der Gewinn.
Dieser Wert ist nach wie vor extrem hoch. Besonders im Vergleich mit den Airlines: Sie werden – gemessen am Gewinn vor der Pandemie – zu einem bloss sechsmal so hohen Wert gehandelt. Das zeigt: Die Pandemie hat die Wirtschaft auf den Kopf gestellt.
G1 | ZOOM VS. AIRLINESVideocalls werden wichtiger als Businesstrips |

Börsenwert in US-Dollar. Zur IAG (International Airlines Group) zählen unter anderem die British Airways. QUELLE: companiesmarketcap.com
G2 | APPLE VS. BANKENTechnologie schlägt Finanzbranche |

Börsenwert in US-Dollar. QUELLE: companiesmarketcap.com
G3 | AMAZON VS. PHARMAEin Gigant im Detailhandel |

Börsenwert in US-Dollar. QUELLE: companiesmarketcap.com
G4 | TESLA VS. AUTOFIRMENElektromobilität überstrahlt alles |

Börsenwert in US-Dollar. QUELLE: companiesmarketcap.com
Die Luftfahrt ist zwar noch immer ein wichtiger Wirtschaftszweig. Trotz teilweisem Grounding gaben Konsumentinnen zuletzt bei den zehn grössten Airlines bei Weitem mehr Geld aus als bei Zoom. Aber eben: Die Gewinn- und Wachstumschancen werden komplett anders eingestuft. Southwest Airlines, die wertvollste Luftfahrtgesellschaft der Welt, dürfte erst 2022 wieder profitabel sein. Zoom dagegen ist eine Techfirma. Sie erzielt mit wenig Mitarbeitenden viel Gewinn – und steigert diesen von Quartal zu Quartal. Das mögen Investoren, wie sich auch an anderen Unternehmen des Technologiebereichs zeigt.
Apple vs. Banken
Das Paradebeispiel dafür ist Apple (G2). Auch hier lässt sich ein passender Vergleich aufstellen: Die Herstellerin von Computern, Tablets und Smartphones ist etwa gleich viel wert wie die zehn grössten Banken der Welt. Anders als im Fall von Zoom beruht der Marktwert hier aber nicht auf dem Prinzip Hoffnung. Apple ist bereits heute ein Unternehmen der Superlative:
—Unter allen Firmen, die an der Börse gehandelt werden, erwirtschaftet Apple den zweithöchsten Gewinn.
—Apple erzielt zudem den sechsthöchsten Umsatz.
—Und Apple ist schon seit geraumer Zeit die wertvollste aller Firmen.
Seit fünfzehn Jahren legt der Aktienkurs von Apple kontinuierlich zu. Die Vergangenheit spricht also ebenso für das Unternehmen wie die Zukunft. Dies reflektiert sich auch in der Bewertung. Das Verhältnis von Börsenwert zu Betriebsgewinn beträgt bei Apple ungefähr 1 zu 30. Das ist ein Wert, den man bei einer gesunden Firma mit guten Aussichten etwa erwarten würde. Ganz anders als die von Apple sind die Aktien der grossen Banken gelaufen. Egal, ob sie aus den USA, aus China oder aus Europa stammen: Ihre Kurse treten seit der Finanzkrise an Ort und Stelle. Einzig die Royal Bank of Canada oder die amerikanische J. P. Morgan Chase haben an der Börse etwas an Wert zugelegt.
Amazon vs. Pharma
Ein weiterer Riese der Technologiewelt ist Amazon (G3). Die Firma, die 1994 als Onlinebuchhändlerin gestartet ist und inzwischen ein ganzes Retail-Imperium betreibt, ist gemessen am Börsenwert heute das viertgrösste Unternehmen. Sie wird ähnlich hoch gehandelt wie die zehn weltgrössten Pharmahersteller.
Die von Jeff Bezos geleitete Firma ist eine Mischform. Einerseits ist sie ein Onlineunternehmen: Sie betreibt Serverfarmen und eine Marktplattform, über die Drittanbieter ihre Produkte verkaufen können. Diese Bereiche sind sehr profitabel, wodurch Amazon in gewisser Weise wie ein Tech-Start-up bewertet wird: Das Verhältnis zwischen Betriebsgewinn und Börsenwert liegt bei rund 1 zu 70, was für gewöhnliche Firmen undenkbar ist.
Andererseits ist Amazon ein klassischer, aber sehr grosser Detailhändler. Über eine Million Menschen arbeiten für Amazon, sei es als Programmiererin oder als Lagerist in den gigantischen Verteilzentren. Unter allen börsengehandelten Firmen beschäftigt nur Walmart noch mehr Personal. Das verleiht Amazon ein reales Gewicht. Die Firma erzielt Milliardengewinne und ist auch umsatzmässig ein Riese: Sie wiegt die zehn grössten Pharmafirmen der Welt fast im Alleingang auf.
Zwar sind die Pharmafirmen keinesfalls Zwerge. Firmen wie Roche oder Novartis dominieren den Swiss Market Index: Wer in die zwanzig grössten Firmen der Schweiz investiert, dessen Geld geht zu einem Drittel an die beiden Pharmaunternehmen. Doch kein Bereich hat in der Pandemie so zugelegt wie die Technologie.
Tesla vs. Autofirmen
Besonders krass zeigt sich dies am Beispiel von Tesla (G4). Für ihre Fans war die E-Auto-Fabrikantin schon immer ein Börsentipp. Nun erhielten sie endlich recht: Unter Anlegerinnen brach eine regelrechte Tesla-Euphorie aus. 2020 hat sich der Aktienkurs verzehnfacht. Damit ist Tesla beinahe so wertvoll wie die zehn anderen weltgrössten Autohersteller zusammen. Ob das gerechtfertigt ist, wird intensiv diskutiert. Dafür spricht unter anderem:
—Der Boom der Elektromobilität: Über kurz oder lang werden auf unseren Strassen nur noch E-Autos fahren. Hier ist Tesla führend. Auch BYD und NIO, zwei chinesische E-Auto-Hersteller, werden zu sehr hohen Kursen gehandelt.
—Die Batterietechnologie: Tesla produziert Batterien mit hoher Kapazität, die sehr langlebig sind. Im Kampf um Marktanteile könnte dies ein entscheidender Vorteil sein.
—Tesla sei mehr als ein Autohersteller: Einige glauben, die Firma könnte ein Netzwerk von selbstfahrenden Taxis betreiben und ihre Software, die dies ermöglicht, an andere Firmen lizenzieren. Ähnlich wie Apple über das iPhone könnte Tesla über den eigenen Bordcomputer ein Geschäft mit Apps lancieren.
Dagegen wird ins Feld geführt:
—Die Angebotspalette von Tesla beschränkt sich bisher auf wenige Modelle: hochpreisige Limousinen. Um weiter zu wachsen, wird das Unternehmen in neue Segmente vorstossen müssen, wie Kleinwagen, Jeeps oder Nutzfahrzeuge. Das wird kostspielig und schwierig.
—Der Börsenwert von Tesla übersteigt den Betriebsgewinn um Welten – das Verhältnis liegt aktuell bei 1 zu 480. Das ist exorbitant: Tesla wird ein Wahnsinnswachstum hinlegen müssen, um die Erwartungen der Aktionärinnen zu erfüllen.
2020 dürfte Tesla zum ersten Mal einen Gewinn erzielen: vermutlich rund 2 Milliarden Dollar. Das ist aber immer noch ein Bruchteil dessen, was die zehn wertvollsten Vertreter der Autoindustrie insgesamt, von Toyota über BMW bis Hyundai, verdienen.
Verrückte neue Aktienwelt? Wie es mit den Börsenwerten von Tesla und Co. weitergeht, ist schwer zu sagen. Denn wenn die «New Economy» bereits in den Nuller- und Zehnerjahren für Furore gesorgt hat, so ist die digitale Wirtschaft im Corona-Zeitalter – die «New Coronomy», wenn man so will – noch mal eine ganz neue Nummer.
Vielleicht nur so viel: Ich habe meinen Pro-Account bereits wieder gelöscht. Fortan nutze ich Zoom wieder gratis – bis zu einer Zeitlimite von 45 Minuten. Für länger dauernde Videokonferenzen habe ich inzwischen keine Nerven mehr.
DIE DATEN
Die Angaben zum Börsenwert wurden am 19. Januar 2021 beim Portal companiesmarketcap.com eingesehen. Dort werden separate Ranglisten zu den börsenstärksten Unternehmen je nach Branchen geführt. Fürs Verhältnis zwischen Börsenwert und Betriebsgewinn haben wir uns (sofern nicht anders angegeben) auf dem Ebit-Gewinn der vergangenen vier Quartale abgestützt.