Kitabı oku: «Der Barbarossa-Effekt»
DER BARBAROSSA-EFFEKT
Impressum
Der alte Barbarossa
Vorwort der Autorin
10. September 2020
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Ein abschließendes Wort in eigener Sache …
Die Autorin
Der Barbarossa-Effekt
Das große Erwachen am Kyffhäuser
Marie Kastner
XOXO Verlag
DER BARBAROSSA-EFFEKT
Das große Erwachen am Kyffhäuser
Marie Kastner
XOXO Verlag
Impressum
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Print-ISBN: 978-3-96752-018-7
E-Book-ISBN: 978-3-96752-518-2
Copyright (2019) XOXO Verlag Umschlaggestaltung: Grit Richter
© Ulrich Guse, Art Fine Grafic Design, Orihuela (Costa)
© Fotos/Grafiken: Lizenz von www.dreamstime.com
Buchsatz: Alfons Th. Seeboth
Rechtlicher Hinweis:
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten rund um diesen Roman sind, abgesehen freilich von real existierenden Ortschaften, frei erfunden. Dasselbe gilt bezüglich der beschriebenen Vorgänge bei Behörden sowie anderen Institutionen oder Firmen. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen sowie deren Vereinigungen sind von der Autorin nicht beabsichtigt und wären daher rein zufällig. Selbstverständlich gilt letzteres nicht für ›Öffentliche Personen‹ aus der Politik.
Hergestellt in Bremen, Germany (EU)
XOXO Verlag
ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH
Gröpelinger Heerstr. 149
28237 Bremen
Der alte Barbarossa
Der Kaiser Friederich Im unterird’schen Schlosse Hält er verzaubert sich
Er ist niemals gestorben Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloss verborgen Zum Schlaf sich hingesetzt
Er hat hinabgenommen Des Reiches Herrlichkeit
Und wird einst wiederkommen Mit ihr, zu seiner Zeit
Auszug aus dem Gedicht Der alte Barbarossa von Friedrich Rückert, 1817
Vorwort der Autorin
Liebe Leser/innen,
mir ist vollkommen bewusst, dass dieses Buch geistigen Zündstoff liefert, geht es darin doch um linken, rechten und religiösen Extremismus. Ein Reizthema, zweifellos. Ich bemühe mich in meiner fiktiven Geschichte, die Zustände und Denkweisen im Deutschland unserer Tage darzustellen und hoffe, dass es Ihnen bis zum letzten Buchstaben nicht gelingen möge, meine eigene politische Ausrichtung durchschimmern zu sehen, denn diese spielt keine Rolle.
Es geht um das Prinzip von Ursache und Wirkung, Bewegung und Gegenbewegung, um zu erwartende Folgen für eine von Wirtschaftsinteressen gesteuerte Republik.
Dies ist zwar ein Politkrimi, doch im Grunde dreht er sich um die Menschen, die mehr oder weniger glücklich in dieser larvierten Kapitaldiktatur leben – um ›uns Deutsche‹. Wobei die genaue Definition, wer unter diesen Begriff fallen soll, zunehmend schwieriger wird; schon insofern scheiden sich mittlerweile die Geister.
Ob wir Menschen es nun wahrhaben wollen oder nicht, die Wahrheit hat viele Gesichter. Sie lässt sich niemals greifen und festnageln, das hat die Weltgeschichte eindrucksvoll bewiesen. Es laufen unter der Oberfläche immer wieder dieselben Mechanismen ab, auch wenn im Laufe der Zeit viele unterschiedliche bunte Etiketten über den obskuren Machenschaften der Mächtigen kleben.
Hochkulturen kommen und gehen. Deutschland wird sich da kaum ausnehmen können, es existiert in Wirklichkeit kein Status quo, den man mit stetigen Bemühungen aufrechterhalten könnte. Auch das geheiligte Wirtschaftswachstum muss – und wird – irgendwo ein Ende finden, selbst wenn man mithilfe der Allmacht von bunten Werbebildern ständig Bedürfnisse für neue, im Grunde völlig überflüssige Güter schafft.
Nichts ist so beständig wie der Wandel. Die einzigen Leitfäden, die auf ewig Bestand zu haben scheinen, sind die ehernen Regeln der Vernunft und des zwischenmenschlichen Anstandes – auch wenn beides oft genug für Machtansprüche missbraucht und bis zur Unkenntlichkeit verbogen wird, was für die meisten Politiker leider besonders in Wahlkampfzeiten zu gelten scheint. Zudem gibt es auch in Bezug auf hehre Werte eklatante kulturelle Unterschiede zwischen den Völkern, vieles davon ist nicht kompatibel. Die subjektive Meinung eines jedes Menschen bildet sich aus einem Konglomerat, das von persönlichen Erfahrungen seiner Vergangenheit, der individuellen Erziehung, den durch die Medien vorgegebenen Denkweisen und anderen Einflüssen gespeist wird. Das Ich ist alles andere als objektiv.
Wie sollte aber angesichts dessen die eine, weil allgemeingültige Wahrheit für sämtliche Einwohner eines Landes, geschweige denn der gesamten Welt, existieren? Vollkommen ausgeschlossen. Wer da allen Ernstes behauptet, sie zu kennen, überschätzt sich selbst, belügt sich und andere gleichermaßen.
Extremisten hat es in jedem Zeitalter gegeben, doch bezeichnet die Nachwelt die prominentesten von ihnen, je nach gegenwärtig vorherrschender Strömung in der Geschichtsschreibung, als Feldherren, Eroberer, Religionsstifter, Heilige, Revolutionäre, Wahnsinnige oder blutrünstige Verbrecher. Irgendeine Form des Extremismus scheint in jeder Epoche salonfähig zu sein.
Ich möchte diese Geschichte daher all jenen Menschen widmen, die sich von politischen und kirchlichen Ideologien nicht die Gehirne verkleistern lassen und sich daher von Extremismus und Schönfärberei in jeglicher Verbrämung distanzieren.
Ich nenne sie Realisten.
Eigentlich, und das finde ich unsäglich traurig, muss ich mich bei Menschen von Angela Merkels Charakterstruktur sogar bedanken. Ohne sie wäre dieses Buch sicher nie erschienen.
Orihuela (Costa), im Winter 2017/2018 Marie Kastner
10. September 2020
Der Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg gehört mit seinen Kneipenstraßen nicht zu den ruhigsten Wohnlagen. Es handelt sich um ein turbulentes Viertel, das vornehmlich kinderlose, junge, urbane Menschen anzieht, die sich teure Mieten leisten können. Was sich an diesem Donnerstag frühmorgens in der Lychener Straße abspielte, lockte jedoch außergewöhnlich viele Bewohner an die Fenster und aus den Hauseingängen.
Auf dem breiten, von Laubbäumen gesäumten Bürgersteig vor einem frisch renovierten Apartmenthaus mit Balkonen standen die Einsatzfahrzeuge von Polizei, Notarzt und Feuerwehr. Blaulicht zuckte, eine Bahre wurde ins Haus getragen.
Eine junge Frau mit leuchtend rot gefärbtem Haar sprach am Eingang mit einer Polizeibeamtin. Ein auffälliges, buntes Tattoo in Form eines Diamanten mit Flügeln verzierte ihr Dekolletee.
»Ich weiß nicht genau, könnte so gegen vier Uhr gewesen sein, vielleicht auch viertel nach vier. Der Knall war dermaßen laut, dass er mich aus dem Schlaf gerissen hat«, berichtete sie gestikulierend. Ihr Freund – oder Lebensabschnittsgefährte – stand in Boxershorts und T-Shirt daneben, nickte zu jedem ihrer Worte. Der Endzwanziger schien noch nicht ganz wach zu sein, rieb sich gähnend die Augen. Er fröstelte in der kalten Morgenluft, die bereits von ersten Herbsttagen kündete.
»Und wieso dachten Sie auf Anhieb daran, dass Ihr Nachbar sich etwas angetan haben könnte? Gab es zuvor entsprechende Anzeichen?«, hakte die Polizistin nach.
»Och, das war immer so ein dynamischer Typ, ein echter Tausendsassa. Sie wissen schon, einer dieser Erfolgsmenschen mit ganz besonderer Ausstrahlung. Immer bestens gelaunt, immer freundlich, zumindest nach außen hin gab er sich so. Aber seit einiger Zeit hatte ich beobachtet, wie er sich veränderte. Ich bin meistens in meiner Wohnung, betreibe dort ein Künstleratelier. Meine Staffelei steht in der Nähe des Fensters, deswegen sah ich ihn jeden Tag mehrmals kommen und gehen.
Er wirkte auf mich zunehmend bedrückt und desinteressiert, schien seine Umwelt komplett auszublenden. Nahm seine Post nicht mehr aus dem Kasten, bis er überquoll und einige Briefe schon auf dem Fußboden landeten. Gestern Abend klingelte ich bei ihm, brachte sie ihm – und erschrak. Offensichtlich hatte er getrunken. ›Danke Ina‹, sagte er, ›aber das Zeug interessiert mich gar nicht mehr.‹ Er hat mir die Wohnungstür vor der Nase zugemacht, ließ mich mitsamt seiner Post einfach auf dem Hausflur stehen«, berichtete sie in unverkennbarem Berliner Dialekt.
Während seine Kollegin der Nachbarin weitere Fragen stellte, fischte Kommissar Maximilian Schmidke oben in der Wohnung, im grellen Blitzlichtgewitter des Polizeifotografen, mit der Pinzette einen mutmaßlichen Abschiedsbrief aus dem Drucker.
Der Leichnam saß, mit einem deutlich erkennbaren Loch in der Schläfe, an seinem Schreibtisch. Mund und Augen standen offen, der schlanke Körper war in sich zusammengesackt.
Dunkelrote Blutströme hatten sich über den mit schneeweißem Nappaleder bezogenen Bürosessel ergossen und auf dem Parkettboden eine Lache gebildet. Teile seines Gehirns, winzig kleine Knochensplitter und unzählige Blutspritzer verunzierten die satinierte Glasplatte des flächigen Schreibtisches sowie den cremefarbenen Lamellenvorhang, der allzu grelles Sonnenlicht aussperrte. Einige davon waren auch auf dem Blatt im Ausgabeschacht des Druckers gelandet, verliehen ihm den Charakter eines schaurig gestalteten Briefpapiers.
Das Design würde gut für die Einladung zu einer Halloween-Party passen, sinnierte der Kommissar. Diesen Beruf konnte man auf Dauer nur mithilfe einer gehörigen Portion schwarzen Humors ertragen, besonders hier in der Landeshauptstadt. Er steckte die blutbesudelten Blätter einzeln in Klarsichthüllen, versenkte diese wiederum in einem verschließbaren Asservatenbeutel. Erst danach begann er, Blatt für Blatt, aufmerksam zu lesen.
Sieben Minuten später ließ er den ›Abschiedsbrief‹ sinken, pfiff durch die Zähne. Alter Falter … dafür werden sich wohl noch ganz andere Behörden als die Kripo interessieren müssen, dachte er bei sich.
1
LEITKULTUR IM VERTEIDIGUNGSMODUS
21. Februar 2016
Auf der Hoyerswerdaer Straße war trotz der frühen Stunde kein Durchkommen mehr. Sirenen der Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr jaulten durch die Nacht, rissen etliche Bewohner der ostsächsischen Stadt Bautzen abrupt aus dem Schlaf. Jedenfalls diejenigen der Anwohner rund um den Käthe-KollwitzPlatz, welche nicht bereits der penetrante Brandgeruch alarmiert hatte aufschrecken lassen.
Marcel Lünitz wurde auf dem Nachhauseweg von einer Familienfeier von den Stauungen überrascht. Seine Schwester lebte seit den Neunzigern im benachbarten Ort Neschwitz. Ortskundige Bautzener und Navi-Verwender bogen in Seitenstraßen ab, um die Verkehrsbehinderung möglichst weiträumig zu umfahren, alle anderen Autos verharrten notgedrungen in der blechernen Kolonne. Es ging nur im Schritttempo voran. In Höhe der Abzweigung zur Thrombergstraße schwante dem zweiundfünfzigjährigen Geschäftsführer und Firmeninhaber, was die Ursache für das konvulsive Blaulichtblitzen sein mochte.
Irgendwo im Bereich der Löhrstraße brannte ein Dachstuhl. Es war noch stockdunkel, die in den Himmel lodernden Flammen waren deutlich zu erkennen. Ein orangefarbenes, flackerndes Leuchten lag über dem historischen Kern der Kleinstadt an der Spree. Prompt kam der Verkehr auf der 156 wegen der vielen Schaulustigen komplett zum Erliegen. Einige Fahrzeuginsassen stiegen jetzt sogar aus ihren Autos und gafften, manche mit einem hämischen Grinsen im Gesicht.
Ein weiteres Löschfahrzeug versuchte mit Hupen und abenteuerlichen Fahrmanövern, sich eine Durchfahrt zum Brandort zu bahnen, schien jedoch große Schwierigkeiten damit zu haben.
Schemenhaft konnte Marcel erkennen, dass in der Zwischenzeit offenbar ganze Pulks aus Menschen dorthin gepilgert waren und jetzt massiv die Löscharbeiten behinderten.
Was ist nur in die Leute gefahren? Die Bautzener sind doch sonst nicht so unvernünftig, fragte er sich verwundert.
Siedend heiß kam ihm die Erkenntnis, welches Gebäude, oder vielmehr, welcher steinerne Zankapfel da lichterloh brannte. Es musste sich wohl um das ehemalige Hotel Husarenhof handeln, das seit einiger Zeit geschlossen war, um renoviert und für die neue Zweckbestimmung umgebaut zu werden. Seit Wochen und Monaten erhitzten sich an diesem einstigen, offenbar unrentabel gewordenen Traditionshaus die Gemüter. Er hatte die Pros und Contras in Zeitung und Internet genauestens verfolgt. Und nun das … an Zufall glaubte er keine Sekunde. Andernorts hatte sich der Volkszorn schließlich in ähnlicher Weise entladen. Dies hier war möglicherweise weniger ein Stau als vielmehr eine Blockade.
Sein Interesse war geweckt.
Spontan entschloss er sich, in der Nähe des Geschehens einen Parkplatz zu suchen und die skurrilen Vorgänge rund um das geplante Asylbewerberheim live zu beobachten. Der Großbrand im Husarenhof würde unter Garantie schon morgen Abend in der üblichen Runde thematisiert werden, daher konnte es kaum schaden, über eigene Informationen zu verfügen. Die Pressevertreter würden die Geschehnisse zweifellos wieder so lange aufbereiten, bis der Volkswille der Einheimischen wie stramm rechtes Gedankengut herüberkam. Es ging denen vorrangig darum, zu polarisieren und eine Sensation abdrucken zu können.
Er bog in die Peter-Jordan-Straße ein, mühte sich durch das Gewirr von Anwohnerstraßen. Zwei Blocks weiter fand er endlich einen semilegalen Stellplatz für seinen schwarzen Audi A 6, parkte ihn zwischen einem überfüllten Müllcontainer und einer mit Verbotsschildern bepflasterten Garagenausfahrt.
Lünitz beglückwünschte sich innerlich dazu, die Geburtstagsfeier seiner kleinen Schwester als letzter Gast verlassen zu haben. Er hatte bis zum Schluss damit geliebäugelt, auf Martinas Ledercouch zu nächtigen, aber dann hatte ihm sein volltrunkener Cousin Jojo einen Strich durch die Rechnung gemacht. In seinem desolaten Zustand hatten sie ihn nicht mehr nach Hause fahren lassen können, das wäre unverantwortlich gewesen. So hatten sie ihm in gemeinsamer Anstrengung den Autoschlüssel abgenommen und vorsorglich einen Kotzeimer auf den Teppich gestellt. Zum Glück war er halbwegs nüchtern geblieben.
Im Laufschritt hastete er in Richtung des Feuerscheins.
Nach wenigen Minuten kam das lange, einstöckige Gebäude mit seinem ausgebauten Dachgeschoss in Sicht – oder vielmehr das, was noch vorhanden war. Im flackernden Schein des Feuers und dem Blitzlichtgewitter der Einsatzfahrzeuge konnte man schon von weitem erkennen, dass der gesamte Dachstuhl des rechtwinkligen Baus in Flammen stand. Die in Apricot gestrichene Fassade war teilweise rußgeschwärzt.
Wow, was für ein Inferno … hier wird bestimmt so schnell niemand mehr einziehen können, dachte er, nicht ohne ein Gefühl der Befriedigung. Hier kam schließlich kein einziger Mensch zu Schaden, das Gebäude hatte wegen der aufwändigen Renovierungsarbeiten vollkommen leer gestanden. Tote und Verletzte waren nicht zu befürchten. Es handelte sich daher nur um ein weiteres eindrückliches Signal, dass die Leute in dieser Region die aufgezwungene Überfremdung allmählich leid waren.
Sicherlich, der Steuerzahler würde am Ende wieder einmal die Zeche für die Brandstiftung zahlen müssen, verhindern ließ sich die massenhafte illegale Einwanderung von sogenannten Flüchtlingen mit solchen Aktionen selbstverständlich auf Dauer nicht. Dieses ehemalige Viersternehaus wäre schon die sechste Unterkunft in dieser gemütlichen Stadt mit ihren zirka vierzigtausend Einwohnern gewesen, die ihre Pforten seit Beginn der aktuellen Flüchtlingskrise für dreihundert weitere Zuwanderer aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern öffnen sollte, deren Identität zum Teil nicht einmal geklärt war. Aber natürlich, das vollmundige ›Wir schaffen das‹ ging der Frau Kanzlerin immer noch über die ureigenen Interessen der Bevölkerung.
Viele junge Heißsporne sahen nun mal keine andere Möglichkeit, auf ihre Wut aufmerksam zu machen. Vielleicht würde er den einen oder anderen als Mitstreiter für die gemeinsame Sache gewinnen können … mal sehen. Es war alles andere als leicht, passende Gefährten im Geiste zu gewinnen. Das Glatzenund Springerstiefelgeschwader kam hierfür nicht infrage. Diese Sorte sollte sich lieber weiterhin in ihren erfolglosen Neonazi-Parteien tummeln und sich zum Gegenstand für Gespött und öffentliche Ächtung machen. Bedauerlicherweise führten ihre oft saudummen Aktionen dazu, dass in dieser schadhaften Republik auch gemäßigte Nationalisten gleich mit an den Pranger gestellt wurden. Das war Lünitz und seinen treuen Weggefährten verständlicherweise ein Dorn im Auge.
Mithilfe beider Ellbogen bahnte er sich einen Weg durch die Menge, die in vorderster Front eher einem erregten Mob glich. Es grenzte nahezu an Unmöglichkeit, mit dem Smartphone über Kopf zu filmen, ohne dass einem dieses im dichten Gerangel der Menschenleiber aus der Hand gestoßen wurde.
Lünitz sah bewusst genauer hin. Der erste Eindruck hatte ihn scheinbar getrogen. Klar, die Leute standen hier vorne dicht an dicht, bildeten im Zwielicht des Feuerscheins eine dunkle, anonyme Masse … aber der Platz vor dem Gebäude war durch die quer geparkten Löschzüge und Absperrbänder der Polizei sehr begrenzt. Um wie viele Schaulustige mochte es sich da handeln, die den Brand des Husarenhofs aus nächster Nähe sehen wollten … fünfzig, maximal hundert?
Die Presse wird sicher ein paar tausend daraus machen und vom Niedergang der Demokratie und einem braun durchsetzten Bautzen sprechen, obwohl es eine ähnliche Anzahl von Gaffern bei jedem Brand gibt, mutmaßte er in Gedanken.
Außerdem – und das muss man bei objektiver Betrachtung auch ins Kalkül ziehen – viele der Parolengröler sind vermutlich nicht nüchtern. Um diese Uhrzeit sind neben extremen Frühaufstehern und Pendlern nur letzte Nachtschwärmer auf den Straßen unterwegs.
Die bleierne Müdigkeit schien wie verflogen. Aufmerksam wie ein Erdmännchen sog er die Eindrücke aus seiner näheren Umgebung in sich auf, reckte den Hals wie alle anderen. Seine Körpergröße von einem Meter neunzig kam ihm dabei sehr zupass.
Ein paar offenkundig besoffene Teenager, drei oder vier, krochen behände unter den flatternden Absperrbändern hindurch, brüllten Parolen wie: »Raus mit dem Ausländerpack!« und »Weg mit den Kanaken!« Andere Leute diskutierten über das Für und Wider der Unterbringung von Muslimen und ob der starke Zustrom jemals enden werde, oder zogen scharfzüngig über Merkels Willkommenspolitik her. Wieder andere waren hauptsächlich an der Feuersbrunst selbst interessiert – und diese stellten wahrscheinlich den Löwenanteil. Er sah seine Vermutung verifiziert. Von einem Mob zu sprechen, wäre übertrieben gewesen.
Auf dem Rückweg zum Auto zog Marcel Lünitz das subjektive Resümee, dass viele der Anwesenden einfach nur sensationsgeile Gaffer gewesen waren und nicht wenige es begrüßten, dass die neue Ladung von ungewollten Fremden jetzt erstmal nicht anrücken konnte. Besonders die Anwohner schien das zu freuen. Es hatte zwar ein paar Behinderungen der Feuerwehr gegeben, oh ja, aber womöglich lag das lediglich an einer mangelhaften Organisation am Brandort.
Den eilig angerückten Löschtrupps war kaum Zeit geblieben, sich auch noch um das adäquate Fernhalten der teils alkoholisierten Leute zu kümmern. Sie hatten lieber das Ausbreiten der Flammen auf Nachbarhäuser vereitelt, so wie es ihre Aufgabe war. So viel er von seiner Warte aus erkennen hatte können, waren zwei der Parolengröler unter Gewaltanwendung von der Polizei abgeführt worden, weil sie den Beamten bei der Räumung der unmittelbaren Gefahrenzone angeblich körperlichen Widerstand geleistet hatten.
Zur Hexenjagd brauchte man immer ein paar Schuldige, die man als Warnung für andere Randalierer pressegestützt verfolgen konnte. Die dummen Jungs taten ihm ein bisschen leid, sie würden die Härte des Gesetzes zweifellos in vollem Ausmaß zu spüren bekommen.
Wie alt mögen die beiden Unglücksraben sein, zwanzig bis zweiundzwanzig? In deren Haut möchte ich lieber nicht stecken. Sie werden mehr Verachtung auf sich ziehen als der Brandstifter selbst. Bei objektiver Betrachtung hat allein dieser zündelnde Mitbürger sich heute Nacht schuldig gemacht. Aber es ist sonnenklar, wie das wieder ablaufen wird.
Eines wusste er leider jetzt schon zu prophezeien. Die Schilderungen der soeben observierten Ereignisse würden sich in den Medien ganz anders anhören. Politiker aller Couleur würden das Ereignis für propagandistische Zwecke ausschlachten, sich in Statements als Gutmenschen profilieren und mit dem Finger auf all Jene zeigen, die es auch bloß ansatzweise wagten, gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung aufzubegehren.
War denn wirklich jeder Bürger, dem am Wohlergehen seiner Heimatstadt gelegen war, gleich ein fieser, menschenfeindlicher Rassist, ein Neonazi oder sogar ein Volksverhetzer? Man musste als halbwegs gebildeter Mitteleuropäer doch zweifellos befähigt sein, vorurteilsfrei differenzieren zu können! Geschweige denn, es als freier Bürger überhaupt zu dürfen.
Es war ihm schon seit längerem unerfindlich, was diese Praxis der Massensteuerung inzwischen noch mit freier Meinungsäußerung oder einer Demokratie zu tun haben sollte. Die herrschende Groko regierte in ihrer eitlen Selbstgefälligkeit frech am Volk vorbei und regte sich auf, wenn das zunehmend bemerkt wurde. Manch einer wollte sich wohl noch zu Lebzeiten ein Denkmal setzen, sich dazu um jeden Preis von Viktor Orbán und seinen Grenzschließungen an der Balkanroute abheben. So einfach war dieses Phänomen zu erklären. Sich deutlich von jenem Ungarn zu distanzieren, gegen welchen man regelmäßig den moralischen Zeigefinger erhob, hielt man wohlweislich für ratsam. Man hätte ihm stattdessen dankbar sein sollen. Die langfristigen Folgen der Masseneinwanderung für Deutschland und Europa behielt aber keiner ernsthaft im Fokus, geradeso als wären diese nebensächlich oder bereits eingepreist. Lünitz fand das reichlich abstrus. Wo genau verlief die Grenze zwischen mildtätiger Großzügigkeit und bodenloser Dummheit, die förmlich danach schrie, sie schamlos auszunutzen? Diese unfähige, sich selbst beweihräuchernde Regierungskoalition schien sie nicht einmal klar definieren zu wollen. Angela Merkel duckte sich lieber weg, so wie sie es in Krisenzeiten meistens handhabte.
Kopfschüttelnd stieg Lünitz in seinen Audi und steuerte ihn auf dem schnellsten Wege nach Hause. In einer Dreiviertelstunde würde er sich den Brandgeruch vom Körper duschen und sich eine Weile hinlegen können. Als Inhaber eines mittelständischen Betriebs musste er im Büro seiner Firma ranklotzen, auch sonntags. Wenigstens ein paar Stunden Schlaf hatte er nach alledem bitter nötig.
*
Tiefe, dunkle Augenringe verunzierten Marcels attraktives Gesicht. Nach dem Heimkommen hatte ihn seine Ehefrau Eva mit hunderttausend Fragen über die Geburtstagsfeier und die dort aufgeschnappten Neuigkeiten am Schlafen gehindert. Sie konnte zwar die meisten Mitglieder seiner überwiegend aus dem unterfränkischen Würzburg stammenden Verwandtschaft nicht ausstehen, genauso wenig wie deren schrägen Dialekt, wollte jedoch trotzdem ihre Neugierde nicht länger zügeln. Eva stammte von hier, genauer gesagt aus der Oberlausitz, konnte mit bayrischer Gemütlichkeit wenig anfangen.
Es war ihm gelungen, eine halbe Stunde zu dösen, dann hatte der Wecker des Smartphones geklingelt. Während Eva und sein achtzehnjähriger Sohn Arne weiterhin selig in den Federn lagen und pennten, versuchte er, die Lebensgeister mit starkem Kaffee aufzuwecken. Ein schier nutzloses Unterfangen.
Sinnierend stand er in der großzügigen Designerküche seines Einfamilienhauses am Zittauer Ortsrand. Er hatte es nach der Wende mit viel Fleiß, ererbtem Geld und Geduld geschafft, sich und seiner kleinen Familie hier im Dreiländereck, an den Grenzen zu Polen und Tschechien, etwas aufzubauen. Schade, dass die aktuelle Bilanz der Firma zu wünschen übrig ließ. Die massiv auf den europäischen Markt einfallende Billigkonkurrenz aus Asien hatte in den vergangenen fünf Jahren für eklatante Einbrüche im Auftragsbuch gesorgt. Er schrieb das den negativen Effekten der leidigen Globalisierung zu. Es zählte für die Leute heutzutage scheinbar nur noch der Preis – und nicht Qualität, Langlebigkeit des Produkts oder toller Kundenservice, wie sein Unternehmen ihn bot.
Ein Hoch auf Oma Erna. Hätte sie mir keine zwei Millionen Euro vermacht, könnte ich nicht quersubventionieren und die Firma wäre längst pleite. Ich könnte es kaum ertragen, mein mühsam aufgebautes Lebenswerk wegen ein paar Schlitzaugen in die Tonne zu treten und meine Angestellten in die Mühlen der Arbeitslosigkeit zu entlassen.
Seufzend schlüpfte Lünitz in seine gefütterte Outdoorjacke. Sie roch immer noch dezent nach Rauch. Es galt, in seiner mittelständischen Firma für Solaranlagentechnik eine Reihe E-Mails abzuarbeiten, Personalentscheidungen zu treffen und anschließend einen Ausflug mit Eva zu unternehmen.
Erst gegen sechs Uhr gelang es Marcel Lünitz, sich von seinen geschäftlichen und familiären Verpflichtungen frei zu schaufeln. Zumindest glaubte er das. Aufatmend schnappte er seine Autoschlüssel von der Kommode. Die allwöchentliche Versammlung fand diesmal ausnahmsweise sonntags statt.
»Kannst du mich mit in die Stadt nehmen?«
Lünitz‘ achtzehnjähriger Sohn Arne lehnte lässig im Türrahmen seines Zimmers, wie immer komplett in Schwarz gekleidet.
»Ach, hast du dich von deinen Games losreißen können? Wie lange hast du heute wieder gezockt … fünf, sechs Stunden?«
Arne kratzte sich ausgiebig am Hinterkopf, strich eine widerspenstige Strähne seines schulterlangen Haares aus den Augen. Der einstige moderne Kurzhaarschnitt war schon seit Monaten herausgewachsen, das Haar wirkte zerzaust und fettig. Der Junge war sichtlich genervt und das völlig grundlos.
»Weiß nicht, kann schon sein. Also, was ist jetzt … nimmst du mich mit oder nicht?«
»Ich vermisse da ein ganz bestimmtes Wort.« Verständnisloses Augenrollen und Stöhnen.
»Na schön: BITTE.« Er buchstabierte das Wort.
»Dann zieh deine Latschen und was Warmes an, ich bin spät dran. Triffst du dich wieder mit deinen nichtsnutzigen, stinkfaulen Kumpels?«
»Klar. Genauso wie du«, konterte der Sohn respektlos.
»Nicht frech werden, sonst kannst du den Bus nehmen. Morgen habe ich übrigens einige Aufgaben für dich, also übertreibe es heute Nacht besser nicht mit dem Alkohol. Es kommt nicht infrage, dass du hier wie eine Made im Speck lebst und zu keiner Gegenleistung bereit bist. Wann hast du überhaupt zuletzt deine Socken gewechselt? Die stinken zum Himmel!«
»Und du muffelst wie eine Brandruine. Allerdings gehe ich dir nicht mit blöden Fragen auf den Geist.«
Lünitz spürte, wie sein Adrenalinspiegel schon wieder sprunghaft anstieg. Seit Arne volljährig geworden war, benahm er sich unmöglich. Aktuell wiederholte er die elfte Klasse Gymnasium, was aber nicht an mangelnder Intelligenz, sondern eindeutig an seiner notorischen Faulheit lag. Er umgab sich mit fragwürdigen Freunden, die zum Teil nicht einmal über einen Hauptschulabschluss verfügten und blauäugig in den Tag hinein lebten.
Er hätte es sich anders gewünscht, erkannte sein eigen Fleisch und Blut kaum wieder. Arne, der ihm optisch wie aus dem Gesicht geschnitten war, entwickelte zu seinem Entsetzen gerade eine ziemlich linke Gesinnung, hing gelegentlich auf Demos von Linksautonomen herum. Und je mehr er dagegen wetterte desto weiter driftete sein Sohn in diese Richtung ab. Er war enttäuscht und wusste sich keinen Rat mehr, wie er mit dem Jungen umgehen sollte. Eva fand eher einen Draht zu ihm, aber die verhielt sich auch erheblich nachgiebiger, obwohl das unter dem Strich wahrscheinlich kontraproduktiv war.
Die Fahrt verbrachten Vater und Sohn in eisigem Schweigen. Am Ende der Böhmischen Straße hielt Lünitz am Straßenrand, um ›Arnie‹ aussteigen zu lassen. Der Marktplatz lag hier ganz in der Nähe. Wahrscheinlich ging er mit seinen Gammlern wieder in den Filmpalast und danach in die übliche Musikkneipe. Was für ein dekadentes Leben.
»Soll ich dich heute Nacht wieder mit heimnehmen?«
»Nö. Ist mir viel zu früh. Irgendwie finde ich schon einen Lift, oder ich penne bei Carlo!« Er zündete sich fahrig eine Kippe an, knallte die Autotür zu und trottete grußlos von dannen.
Marcel sah ihm beunruhigt hinterher. Wenn der Bub sich nicht bald am Riemen riss, würde er jemand anderen als Nachfolger für seine Firma aufbauen müssen. Aktuell jedenfalls hätte er den eigenen Sohn nicht einmal als Azubi im Betrieb einstellen wollen. Rannte mit einem ausgeleierten Sweatshirt durch die Gegend, das vorne und hinten mit geballten Fäusten bedruckt war. Seinem Stammhalter schien nicht ansatzweise klar zu sein, welchen Eindruck das in der Öffentlichkeit hinterließ.
Er fragte sich zum wiederholten Mal, was Eva und er bei der Erziehung falsch gemacht hatten.
Auf dem unbefestigten Parkplatz der alteingesessenen Gaststätte Zum Schwarzen Ross streifte Lünitz die unerfreulichen Gedanken über seinen missratenen Nachwuchs in Windeseile ab. Hier, im abgetrennten Veranstaltungssaal des Lokals, war er kein erfolgloser Vater eines anmaßenden Rotzlöffels, sondern vielmehr ein eloquenter Redner und glühender Verfechter der gemeinsamen Sache. Diese Rolle stand ihm besser zu Gesicht.