Kitabı oku: «Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid»
Rittmeister Brand
I
Dietrich Brand entstammte einer uralten angesehenen Kaufmannsfamilie. Seit fast einem Jahrhundert bestand das Rohseidengeschäft Brand & Co. in Ehren auf dem Wiener Platze. Es hatte seine Begründer und ihre nächsten Nachfolger reich gemacht und trotz der Ungunst der Verhältnisse in den letzten Decennien keinen Rückgang erfahren. Diesen Erfolg verdankte das Haus der Tüchtigkeit seines Chefs, und Niemand zweifelte, daß sein willensstarker und energischer Sohn sein Nachfolger werden würde. Durch lange Zeit blieb das streng, sogar vor einander bewahrte Geheimniß seiner Eltern: Dietrich zeigt zum Kaufmannsstande wenig Lust und Talent.
Trotzdem war es ein Tag des Entsetzens für sie, als er kam und ihnen seinen unerschütterlichen Entschluß kund that, nichts anderes zu werden, als wozu er sich im Innersten berufen fühlte, Soldat.
Warum Soldat, um Gotteswillen? Warum nicht Beamter oder Landwirth, wenn schon durchaus nicht Kaufmann? – Ja, weil er dazu beitragen wollte, die außer Rand und Band gerathenen Menschen wieder an Zucht zu gewöhnen. Weil er erziehen wollte, wie er von klein auf gethan. Das mußten die Eltern gelten lassen. An dem Hunde und Papagei seiner Mutter, an den Tauben und Spatzen, die er mit Weißbrotkrumen auf den Fenstersims lockte, an Allen hatte er – und mit Glück – erzogen. Im Sommer, wenn die Familie in ihrer Villa in Neuwaldegg Aufenthalt nahm, kamen die Kinder dran. Da war er immer von einem Trupp umgeben, den er commandirte und der ihm gehorchte, weil es sich von selbst versteht, daß man dem Dietrich Brand gehorcht.
Dem Vater wollte das Befehlshaberische im Wesen seines Sohnes nicht gefallen: »Aus Dir wird einmal ein Schulmeister,« sprach er zu ihm.
»Nicht ein Schulmeister, ein General,« antwortete Dietrich.
Ja, sie hätten es voraus sehen können und nicht schweigen sollen. Auch nicht zu den schweren Kämpfen, die er im Stillen bestand. Den Trübsinn, der ihn seit längerer Zeit ergriffen hatte, sein übles Aussehen, die rothen, überwachten Augen, mit denen er jeden Morgen zum Frühstück kam, erklärte Vater Brand für Symptome der Übergangsjahre, die einem weiter keine Sorgen zu machen brauchen. Das sagte er freilich nur, um »die Frau« zu beruhigen, die sich wieder ihm zur Liebe beruhigt stellte; denn die wahre Liebe, die Alles kann, kann sogar ihre eigenste Natur verleugnen, kann sogar lügen, wenn’s gilt.
Als Dietrich ihnen sein Vorhaben mittheilte, wußten die Beiden gar wohl: Leicht ist es ihm nicht geworden, unsere Luftschlösser nieder zu reißen und unsere Altershoffnungen bankerot zu machen.
Was ihnen anfangs ganz unauffindbar schien, war der Zusammenhang zwischen seiner Lust am Erziehen und seiner Liebe zum Militärstande. Er wies ihnen aber nach, daß kein anderer so viel Macht verleiht, auf den armen und ungebildeten Nächsten fördernden Einfluß zu nehmen. Und in diesem edelsten Stande giebt es wieder keine Waffengattung, die dem Erzieher so viel Möglichkeit bietet, sein Talent nutzbringend zu entfalten wie die Kavallerie. Das Wesen, dem ich meine Sorgfalt widme, wird zugleich angehalten, die seine einem anderen Wesen zu spenden – seinem Pferde. Da steht also der Mann gleichsam in der Mitte zwischen einer heilsamen Ursache und einer heilsamen Wirkung und erfährt zugleich zweifachen Nutzen. Deshalb wollte Dietrich Brand nicht nur Soldat, er wollte ein Reiter werden, ein schwer wiegender, ein Dragoner.
»Unser Sohn ist ein Feuergeist,« klagten die tiefbetrübten Eltern ihrem Vertrauensmanne, dem greisen Buchhalter; und er dachte bei sich: Zur Hälfte Feuergeist, zur Hälfte Pedant. Die Sorte setzt Alles durch.
Klug wie er war, befolgte er auch dieses Mal die bewährte Praxis, die ihm das Vertrauen des Herrn und der Frau Principal sicherte. Er rieth ihnen, das zu thun, was sie ohnehin gethan hätten – nachzugeben.
Der Vater versöhnte sich nie ganz mit der Berufswahl Dietrichs; aber das uneingeschränkte und einstimmige Lob, das seinem Sohne gezollt wurde, freute ihn doch. Was seine Vorgesetzten am meisten an ihm rühmten, um was seine Kameraden ihn am meisten beneideten, das war die unerschöpfliche Geduld, die ihn bei all’ seiner eisernen Strenge nie verließ.
»Hätten wir viele Offiziere wie Sie, würde unsere Armee zur grandiosesten Volkserziehungsanstalt der Welt,« hatte ein sehr hoher Herr zu Dietrich gesagt, und an diesen Ausspruch erinnerte man sich im Regimente noch lang, nachdem Brand aus ihm geschieden war.
Seine Mutter gerieth nach und nach in eine wahre Begeisterung für den Militärstand. Vom Tage der Ernennung ihres Sohnes zum Lieutenant begann sie den Militärschematismus zu studiren und fehlte bei keiner Revue auf der Schmelz. Remonte, Train, Ménage, Zug, Eskadron, Regiment, Division, in der Tour, außertourlich u. s. w. wurden für sie gebräuchliche Worte. Von allen kamen aber keine so oft über ihre Lippen wie die: »Mein Sohn, der Lieutenant.« Als sie sagen durfte: »Mein Sohn, der Oberlieutenant,« und als er in dieser Charge die Wiener Garnison bezog, da mußte Vater Brand mit ihr hinaus fahren auf den Exercirplatz zu jeder Truppenausrückung. Die Gattin an seiner Seite gerieth beim Defiliren der Regimenter in solche Extase, daß er sich fragte, ob der Sohn nicht am Ende von ihr die kriegerischen und heroischen Neigungen geerbt habe. Aber die erbliche Belastung wäre in dem Falle schwer nachweisbar gewesen, denn Frau Brand entstammte, wie ihr Gemahl, einer alten, friedfertigen Kaufmannsfamilie.
Im Winter wurde der Zug des Oberlieutenants Brand mit Puls- und Seelenwärmern, mit Socken und Flanellunterkleidern so reichlich versehen, daß die Leute sich durch ihr behagliches Aussehen vor allen Anderen auszeichneten. Frau Brand erlebte auch noch die Glückseligkeit, von ihrem Sohne, dem Rittmeister, sprechen zu können und ihren guten Alten dazu ein wenig schmunzeln zu sehen.
Zu der Kaiserrevue in dem Jahre, in dem Dietrich zum ersten Male eine Eskadron kommandirte, kam seine Mutter allein gefahren im schönen offenen Landauer. Die Pferde hatten schwarze Geschirre, und die Diener trugen schwarze Livrée, und im Wagen saß eine gebrochene Frau in Wittwentrauer. Noch ein Jahr, und der Rittmeister hatte keine Eltern mehr, er hatte auch sonst Niemanden, er hatte nur seinen Beruf.
Nein, man darf nicht sagen »nur«, wenn von einem Beruf die Rede ist, von einem vollen, ganzen. Der Beruf ist Alles, ist mehr als Eltern und Kinder, als die Geliebte, als der Freund. – So glaubte Dietrich wenigstens damals.
II
Wenn seine Mutter ihm gesagt hatte: »Du solltest doch endlich ans Heirathen denken,« war seine Antwort gewesen: »In Gottesnamen; nur nicht zu viel, nur nicht zu oft; mein Beruf läßt mir keine Zeit zu Nebenbeschäftigungen.«
Und gerade im ersten Sommer nach dem Tode der guten alten Frau verliebte er sich. Es geschah so sachte, so allmählich, daß er’s anfangs gar nicht merkte. Die Ehe seiner Eltern hatte ihn gelehrt, von der Liebe den höchsten Begriff zu haben. Sie kommt nicht, oder im Triumphe, die unwiderstehliche, allmächtige Siegerin. Und nun war sie erschienen ohne Sang und Klang, hatte sich ihm ins Herz geschlichen unter fremdem Namen in der bescheidenen Gestalt von Sympathie, Werthschätzung und tiefem Mitleid.
Die es ihm angethan hatte, hieß Sophie von Henning, und war die Tochter eines mährischen Landedelmannes, der sich, als Brands Eskadron in der Nähe seines Gutes einquartiert wurde, eben damit beschäftigte, die Reste seines einst ansehnlichen Vermögens in alle Winde zu streuen.
So lange seine, ihm weit überlegene Frau am Leben gewesen war, hatte sie verstanden, seiner Verschwendungssucht bis zu einem gewissen Grade Einhalt zu thun. Nach ihrem Tode, den er sechs Wochen lang leidenschaftlich betrauerte, erwachte er aus seinem Grame als ein verjüngter, lebensfreudiger Mensch. Er färbte seine Haare, unterzog sich einer Entfettungskur, machte jungen Damen den Hof, stellte kostbare Pferde in den baufälligen Marstall ein, steckte seine dörfliche Dienerschaft in Livréen von falscher Eleganz, und hielt offenes Haus.
Seine Tochter sah den Augenblick des unabwendbaren Zusammenbruches immer näher heran kommen, war aber dem leichtsinnigen Vater gegenüber ohnmächtig. Sie konnte nichts thun, als mühsam und unter Entbehrungen aller Art die Lücken und Risse verkleistern, die hinter der kläglichen Herrlichkeit des zu Grunde gehenden Haushaltes klafften.
Herr von Henning nahm die Hülfe Brands, der ihn schon mehrmals aus momentaner Verlegenheit gerettet hatte, mit der größten Unbefangenheit in Anspruch. Sobald der hart gesottene Optimist die Spur einer Neigung des Rittmeisters für Sophie wahrgenommen hatte, stand es ihm auch fest: Brand wird sein Schwiegersohn und rangirt ihn. In fröhlicher Weinlaune vergaß er sich einmal so weit, daß er in Gegenwart der Beiden Anspielungen auf diesen Zukunftsplan machte.
Von Stunde an veränderte Sophiens Benehmen gegen Brand sich völlig; keine Spur mehr des unbefangenen Vertrauens, mit dem sie ihm bisher begegnet war, auch keine auffallende Zurückhaltung, die wieder auszeichnend gewesen wäre. Gleichgültigkeit schien an die Stelle der stillen, tiefen Neigung getreten zu sein, die in ihr erwacht war, ihren Ernst hold durchsonnte, ihr stilles Wesen lieblich verklärte.
Aber Dietrich ließ sich nicht täuschen: er bewunderte die Seelenstärke, mit der sie ihre Neigung verleugnete, den Stolz, aus dem diese Selbstverleugnung entsprang. Zum ersten Male erwog er die Möglichkeit, seine goldene Freiheit aufzugeben und sich fürs Leben an ein anderes Wesen zu ketten. Dann hatte er die Wahl: austreten – den Gedanken schleuderte er nur so hinweg; oder: allen seinen Überzeugungen und Grundsätzen untreu werden und als verheiratheter Mann weiter dienen. Also – thun, was er von jeher verschworen hatte: eine Frau, und weiß Gott wie bald, auch Kinder nachschleppen in kleine Kavallerie-Garnisonen, immer bereit, das eben erst errichtete Zelt wieder abzubrechen.
Militärwirthschaften – er hatte ihrer genug vor Augen – waren ihm ein Greuel. Kaum hat die Familie sich seßhaft gemacht, wohnt leidlich, schickt die Kinder in die Dorfschule oder den Dorfschullehrer zu den Kindern, und schon wieder heißt es wandern. Die richtige »ärarische Frau« sagt dann zu ihrem Manne: »Du brauchst Dich um nichts kümmern, die Übersiedlung ist meine Sache.« Der Bagagewagen steht vor der Thür und daneben sie und überwacht das Aufladen der Einrichtungsstücke, der Betten, der Kisten. Ein Kind hängt sich an ihr Kleid, ein anderes ist in Gefahr, unter die Räder zu kommen, wie der Wagen sich in Bewegung setzt, ein drittes heult um sein Schaukelpferd, das ihm davon geführt wird. Der »ahnungsvolle Engel« sieht es im Geiste schon nach dem Überladen auf den Lastzug und von da wieder auf den Fuhrmannswagen mit drei Beinen ankommen, wenn’s gut geht. Die Tische und Stühle theilen sein Schicksal. Im unbekannten Lande, im neuen Haus, das meistens eine Hütte ist, wird dann geleimt, geflickt, die Bude wieder hergerichtet – fürs Auge.
So manche unternehmende Lieutenantsgattin lädt schon am Tage des Einrückens in die Station einige Offiziere zum Thee. Auf einer umgestürzten Kiste wird er servirt, aus schartigen Tassen getrunken. Wie der Hausrath aussieht, wie die Kinder untergebracht sind, darüber geht man hinweg mit Leichtsinn und Humor. – Aber haben muß man die, ein Pedant darf man nicht sein, für den die schönste Frau allen Reiz verliert, wenn er dahinter kommt, daß sie nicht Ordnung hält in ihrem Wäscheschrank. Ein solcher Mann darf seine Frau nicht in Lagen bringen, in denen die Schönheit der äußeren Lebensform gar zu oft verletzt werden muß.
Nein denn, und dreimal nein.
Und nun kam er auf den Gedanken, den er schon als völlig unausführbar verworfen hatte, zurück – den Dienst aufgeben.
Ja, er überlegte, erwog die große Frage aufs Neue. Konnte es einen besseren Beweis geben, daß er liebte, innig und tief? Aber das Resultat seines peinigenden Nachgrübelns war doch wieder »nein« gewesen. Und nun stand es fest, und kein Gott hätte daran rütteln können. Dem Rittmeister blutete das Herz. Man sagt das oft so leicht hin: Mir blutet das Herz. Erfahre es nur an dir selbst, wie das ist, wenn sich’s zusammenschnürt, immer fester, immer erstickender, bis man meint, die schweren, schmerzenden Tropfen hervorquellen zu fühlen, mit denen Frohsinn und Lebensfreude dahin fließen.
Er wußte auch: Sie leidet und vielleicht mehr als er selbst; sie hat ja nicht einen Beruf, der für Alles Trost bietet, sie hat nur elende Sorgen.
Seitdem Brand das Haus Henning mied, war dort ein Freier aufgetreten, der sich bisher vor dem brillanten Rittmeister bescheiden im Hintergrunde gehalten hatte, ein Herr von Müller, Major in Pension, von dem es hieß, daß er ein wohlhabender Mann sei und den traurigen Muth haben wolle, das verschuldete Gut Hennings zu übernehmen. Er knüpfte an dieses problematische Erlösungswerk die Hoffnung, Sophie werde sich entschließen, ihm ihre Hand zu reichen. Sie that es nicht, sie widerstand seinem treuen Werben, dem flehenden Beschwören ihres Vaters.
Brand hörte durch gemeinsame Bekannte ab und zu von ihr in der fernen Garnison, in die sein Regiment versetzt worden war.
Zwei Jahre gingen vorüber, da traf eine überraschende Kunde ein. Müllers Großmuth und Güte mußten Sophie endlich gerührt haben, sie war seine Frau geworden.
III
Nun erfuhr Brand, was heiße Reue ist. Er sagte sich, daß es doch besser gewesen wäre, im Kampfe gegen seine Herzensneigung zu unterliegen als zu siegen. Schade, schade um diese edle Sophie, die ihm herabgewürdigt schien durch eine nicht aus Liebe geschlossene Verbindung. Die Schuld an dem schweren Unrecht, das damit an ihr begangen wurde, maß er mit gutem Grunde sich selbst zu.
Alles, was Brand damals im Stillen litt, trat aber bald in den Hintergrund vor einem anderen wichtigen Ereigniß, das über seine ganze Zukunft entscheiden sollte.
Von Kind auf hatte er bedauert, daß er keine Geschwister gehabt, keinen schwachen, kleinen Bruder, den er hätte beschützen, leiten, erziehen können. Im Regimente fand er, was die Familie ihm schuldig geblieben war, den jüngern, etwas unselbständigen Kameraden, auf den er alle Bruderliebe, die in ihm geschlummert hatte, übertragen konnte, und der ihm dafür durch unbedingte Ergebenheit dankte.
Es war ein schöner, etwas zur Melancholie geneigter Mensch, dem das Leben mehr Bitternisse zu kosten gegeben hatte als gut ist für eine feine, scheue Natur. Früh verwaist, arm, die ganze Kindheit hindurch auf das Gnadenbrot angewiesen, das wohlhabende Verwandte ihm und seiner Schwester widerwillig reichten, schlug für ihn die erste glückliche Stunde, als seine Angehörigen seinem Drängen nachgaben und ihm erlaubten, in eine Militär-Erziehungsanstalt zu treten. »Er wird die harte Schule bald satt haben,« meinten sie, »und ungestümer herausstreben, als er hineingestrebt hat.« Sie irrten. Er bestand die harte Schule zum Verdruß der Onkel und Tanten, denen seine Ausdauer als eine weitgetriebene und ziemlich respektlose Rechthaberei erschien. Sobald die lange – oft endlos scheinende – Lehrzeit vorbei und er Offizier geworden war, hatte er seine Schwester zu sich nehmen wollen. Darüber lachte man nur. Einem zwanzigjährigen Lieutenant, wenn er auch ein Muster von Solidität ist, pflegt man nicht ein achtzehnjähriges Mädchen zur Vollendung ihrer Erziehung zu übergeben. »Ihr müßt warten,« sagten der Onkel-Vormund und seine Frau, denen es sehr angenehm war, eine unbesoldete Bonne im Hause zu haben, auf die man sich unbedingt verlassen konnte.
Die Geschwister warteten, bis die Ernennung Wildensteins zum Rittmeister nahe bevorstand und seine Schwester mündig gesprochen werden sollte. Sie hatten in dem kleinen, dunkeln Hofzimmer, das sie bewohnte, das letzte, kurze Wiedersehen vor der letzten Trennung gefeiert. »In drei Wochen also komme ich und hole Dich« – hatte er gesagt, und sich erhoben und ihr die Hand gereicht. Aber sie hatte die Hand nicht erfaßt, sie war in unaussprechlichen Jubel ausgebrochen. Die Schüchternheit, von der sie sonst in der Nähe des abgöttisch verehrten Bruders ergriffen wurde, verschwand. Sie stürzte in seine Arme, und ihre Glückseligkeit verrieth ihm, wie viel sie bisher gelitten hatte: So nahe der Augenblick, in dem die Sehnsucht ihres ganzen Lebens sich erfüllen sollte! So nahe die Erlösung! Es war kaum zu fassen, es berauschte sie, es stand vor ihr wie das plötzlich geöffnete Himmelsthor: »Ich werde bei Dir sein!« Sie lag an seiner Brust, die kleine, stille Dulderin, seine echte Schwester, so schweigsam und tapfer in ihrer Weise, wie er in der seinen – und weinte.
Da verlor er seine gewohnte Selbstbeherrschung, sein Herz überfloß. Sie erfuhr, daß er ihrer bedurfte, ihrer tröstenden, heilenden Nähe, der immer wach erhaltenen Überzeugung: da ist ein Wesen, für das ich leben muß. Wäre sie nicht, würde er selbst nicht mehr sein; er hätte längst den Qualen einer thörichten, verdammenswerthen und unüberwindlichen Liebe ein Ende gemacht. Als er seine Schwester in die Tiefen seiner Seele blicken ließ, lernte sie mit Entsetzen eine Leidenschaft kennen, von der bis jetzt nicht die leiseste Ahnung in ihr gedämmert hatte. Ihr Bruder liebte eine Unerreichbare, liebte wie nur einsame und verschlossene Menschen lieben, die bezaubernde junge Frau seines Obersten. Gräfin Erny ermuthigte ihn nicht – er betheuerte, daß sie es nie gethan habe. An Wahnsinn grenzte, sich einzubilden, der Wunsch vermöchte die Erfüllung zu erzwingen, es war Aberwitz, kühne Hoffnungen zu nähren. Er wollte sie austilgen, sich befreien, dem entnervenden Kampfe ein Ende machen, und zählte dabei auf die Hülfe seiner Schwester.
Als er sie verließ, blieb sie, im Innersten erschüttert, zurück. Erhört oder zurückgewiesen werden, fragte sie verwirrt und rathlos: Was ist das größere Unheil in dieser sündhaften Liebe? Aus ihrem Gleichgewicht gebracht, in unsäglicher Angst um ihn, hätte sie sich an seine Fersen heften, nicht mehr von ihm weichen mögen. Sie hatte so lange geduldig gelitten und gewartet; die zwanzig Tage, die sie noch von dem Zusammenleben mit ihm trennten, glaubte sie nicht überdauern zu können.
Sie schrieb ihm täglich; er beschäftigte sich mit den Vorbereitungen zu ihrem Empfang, und Rittmeister Brand, der sonst zu zetern und zu wettern pflegte, wenn die Ankunft einer Frau in der Station bevorstand, erwartete die Schwester des Freundes mit fast ebenso großer Ungeduld wie dieser selbst. Ehe noch ein Auge sie erblickt hatte, that sie Wunder: Brand sehnte ihr Erscheinen herbei, Wildenstein brachte es in der Selbstbeherrschung so weit, vierzehn Tage lang den Anblick der geliebten Frau zu meiden. Das war mehr, als er sich zugetraut hatte, und es gewährte ihm eine stolze schmerzvolle Freude, der Schwester schreiben zu können: »Wieder ein Tag, an dem ich sie nicht gesehen habe. Sei Du nur einmal da, und was mir jetzt als etwas Ungeheueres erscheint, wird mir leicht werden.«
Die Oberstin zeigte sich verstimmt; sie wollte Wildenstein nicht verlieren. Es verdroß sie nicht nur, es kränkte sie, daß er vermochte, den Gleichgültigen zu spielen, zu thun, als ob sie ihre Macht über ihn eingebüßt hätte.
Gräfin Erny war mehr als schön, sie war bildhübsch, lebenslustig, emotionsbedürftig und hatte Anwandlungen von Sentimentalität. Als fünfte Tochter eines unbegüterten, ungarischen Edelmannes geboren, bei reichen Verwandten aufgewachsen, kehrte sie nach deren Tod in das väterliche Haus zurück. Die kühle Aufnahme, die sie dort fand, that ihr weh, die kleinlichen Verhältnisse beengten sie. Nur fort, wieder fortkommen, heirathen, gleichviel wen, wenn er sie nur erlöst aus der Familie, in der sie das fünfte Rad am Wagen ist, war fortan ihr heißer Wunsch. Als ihr Vater ihr lachend mittheilte, der alte Oberst Graf Prach habe bei ihm um sie geworben, dachte sie einen Augenblick nach und rief dann entschlossen: »Hol’s der Kuckuck, ich nehm’ ihn!«
Er war freilich nicht verlockend, der unförmig dicke Oberst. Um ein Vierteljahrhundert älter als sie, so plump, wie sie zierlich, so langweilig, wie sie sprühend von guten Einfällen war. Allerdings hatte auch Prach eine kurze Blüthezeit gehabt, als er, ein junger Major, mit seinem Regimente die Garnison Wien bezog. Da war er in der Gesellschaft bis in exclusive Kreise vorgedrungen und hatte dort den Spitznamen: »Le bœuf à la mode« erhalten, denn Anlagen zum Dickwerden zeigte er schon damals und war auch nicht gescheiter als jetzt. Aber er konnte doch vor seiner Braut mit einst errungenen Erfolgen prahlen, und sie fühlte sich befriedigt in ihren Ansprüchen auf Glück, wenn sie die Frau eines Mannes wurde, der eine Stellung in der »großen Welt« hatte und Kommandant eines eleganten Kavallerieregiments war.
Kurz nach ihrer Verheirathung erlebte sie eine bittere Enttäuschung. Prach, der bisher immer von väterlicher Freundschaft und von der Unabhängigkeit gesprochen hatte, die Erny als regierende Frau Oberstin genießen sollte, wurde ein verliebter, eifersüchtiger Gatte und ein engherziger Haustyrann. Die schönen, glänzenden Augen der jungen Frau verschleierten sich allmählich, und die leise Trauer, von der die angeborene Munterkeit und Frische ihres Wesens nun oft gedämpft wurde, gab ihr einen neuen Reiz. Er wirkte auf keinen ihrer zahlreichen Verehrer so ergreifend wie auf Rittmeister Wildenstein.
Erny hatte mit ihm gespielt wie mit Allen, die ihr huldigten. Sie ließ sich gern den Hof machen in allen Ehren. Weiter als bis zu einem Handkuß brachten es bei ihr selbst die Unternehmendsten nicht. Seltsam war, daß fast Jeder, der in ihren Banden gelegen hatte, ihr Feind wurde von der Stunde an, in der er seine Eroberungspläne aufgab. Sie mußte eine gar unangenehme Manier haben, die Leute abblitzen zu lassen. Andere wieder, die ihr Glück bei ihr gar nicht versucht hatten, behandelten sie mehr wie einen lustigen Kameraden, denn als Respectsperson.
Herr von Wildenstein war ihr, von allem Anfang an, anders als alle Anderen begegnet. Er verehrte sie wie eine Königin, wie ein höheres Wesen. Ihr mochte das etwas komisch vorgekommen sein, nach und nach aber begann sie den Unterschied zwischen den Huldigungen, an die sie gewöhnt war und denen, die der junge Rittmeister ihr darbrachte, zu fühlen. Der Ton, den sie ihm gegenüber angeschlagen hatte, ihr gewöhnlicher, spielerischer, den Scherz herausfordernder Ton stimmte sich allmählich um. Sie mußte einen Blick in dieses Männerherz gethan haben, der ihr etwas völlig Neues, Schönes enthüllte: eine tiefe, ernste, an die Wurzeln des Lebens greifende Empfindung.
Und die wollte Erny nicht einbüßen, sie wußte sehr wohl, daß sie damit ihren besten Reichthum verlor. Sie beging eine große Unvorsichtigkeit, sie schrieb, sie beschied Wildenstein zu sich. Er kam nicht; sie erfuhr, daß er einen kurzen Urlaub nach Wien genommen hatte. Einige Tage hindurch waren die Briefe von seiner Schwester ausgeblieben, dann gab der Vormund traurige Nachricht von ihr. Sie hatte ihre Zöglinge in einer ansteckenden Krankheit gepflegt und lag nun selbst schwer darnieder.
Als Wildenstein zur bestimmten Frist zurückkehrte, kam er vom Begräbnisse seiner Schwester.
Die Gräfin äußerte ihr Mitgefühl in liebenswürdiger Weise, schonend und herzlich. Wildenstein und sie hatten die Rollen getauscht; sie zeigte sich ihm dankbar, wenn er einer Gelegenheit, ein freundlich tröstendes Wort von ihr zu hören, nicht auswich. Seine Leidenschaft schien erloschen, untergegangen in seinem tiefen Schmerz.
Und doch war der Oberst nie eifersüchtiger auf ihn gewesen als jetzt. Er bewachte, er belauschte seine Frau, er verschlang sie mit den Augen, wenn sie den Namen Wildenstein aussprach, er hätte den zweiten Rittmeister von der Erde forttilgen mögen – und den ersten dazu. Die Eifersucht auf den einen ließ ihn nicht schlafen, der Neid auf das Ansehen, die Beliebtheit, die der andere im Regimente genoß, raubte ihm den Appetit. Seine Anlage zur Grausamkeit, das Erbtheil vieler bornirter Menschen, entwickelte sich unter solchen Umständen zu üppiger Blüthe. Das Offizierscorps und die Mannschaft hatten schlechte Zeiten und waren überzeugt: es giebt keine Hoffnung auf bessere, bevor der Oberst die beiden Rittmeister »weggebissen« haben wird.
Mühe genug ließ er sich’s kosten.
Die Eskadron Brands lag in der Stabstation, und der Morgenritt des Obersten führte an der Reitschule vorbei. Alle Augenblicke war er da, spöttelte, nörgelte – raste, brachte die Leute zur Verzweiflung und Brand beinahe um seine Geduld.
Auch seiner Frau machte der Oberst das Leben schwer. Einmal, in einer Stunde der Empörung über ihn, ließ sie sich hinreißen, Wildenstein ihr Leid zu klagen. Das wurde für beide verhängnißvoll. Die lange zurückgedämpfte Empfindung im Herzen Wildensteins brach mit elementarer Macht hervor; er entrang der Geliebten ein halbes Geständniß ihrer Gegenliebe und drückte in an Wahnsinn grenzendem Entzücken den ersten Kuß auf nur schwach widerstrebende Lippen. Sie hatte ihm durch ihre Klage das Recht gegeben, sie zu beschützen, und dieses Recht war nun sein, und er wollte es wahren, es vertheidigen, und sie war sein. Um dieses höchste Gut sollte ihn keine Macht der Erde bringen. Aber nicht unrechtmäßig, nicht in Unehren wollte er sie besitzen. Er sprach von der Scheidung ihrer Ehe, von dem Eingehen einer neuen mit ihm. Er entrollte vor ihr ein Zukunftsbild, das ihm die Seligkeit auf Erden verkörperte, vor dem ihr aber graute. So hatte sie es nicht gemeint! Empörend und lächerlich erschien der gesellschaftlich hoch stehenden, an Luxus gewöhnten Frau die Zumuthung Wildensteins und er selbst als ein rücksichtsloser Egoist.
Am folgenden Tage erhielt er einen langen Brief von der Gräfin. Sie bat ihn, ihre »gestrige Übereilung« großmüthig zu verzeihen. Sie war seitdem von Reue gefoltert. Sie hatte schwer gegen ihren Gatten gefehlt, dem sie ja im Grunde keinen anderen Vorwurf machen durfte als den, daß er sie zu sehr liebe. Sie hatte sich auch an Wildenstein schwer versündigt, sie hatte ihn – freilich eine Selbstgetäuschte – über die Stärke ihrer Empfindung für ihn getäuscht. Sie würde sich nie entschließen können, ihren Pflichten untreu zu werden, ihren Gatten zu verlassen. »Ich bin in Ihrer Hand«, hieß es am Schlusse. »Sie können mich verderben, Sie sind ein edler Mensch, Sie werden es nicht thun. Ich hoffe, ich baue auf Sie, Sie werden die arme, kleine Erny nicht unglücklich machen wollen. Ich wage nicht, Sie um Ihre Freundschaft zu bitten, ich bitte nur, seien Sie nicht mein Feind.«