Kitabı oku: «ironisch Short Stories», sayfa 2

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Graphologin im Supermarkt

Ich habe mich dabei erwischt, totalen Unsinn zu denken. So etwas, von dem ich früher dachte, dass es mir nie in den Sinn kommen würde. Während ich meinen Einkaufskorb durch einen Supermarkt schiebe, treffe ich auf eine Bekannte mit ihrem Kind, das neulich eingeschult wurde. Ich schaue mir den Kleinen an und da kommt dieser furchtbare Gedanke hoch. ›Dann beginnt jetzt also der Ernst des Lebens!‹ Ich habe es nicht einmal gesagt, aber gedacht! Und schon allein der Gedanke ist, wenn nicht strafbar, dann zumindest in meinem Werteuniversum ein Ordnungsgeld wert! Und außerdem würde mir der Kleine wahrscheinlich am Liebsten entgegnen: »Hey Alter, ich habe eine Geburt hinter mir, die Qual des Kindergartens noch dazu und du redest vom Ernst des Lebens!« Worauf ich ihm sagen würde: »Warte erst einmal auf den Tag, an dem du herausfindest, dass deine erste große Liebe auch nur eine Zicke ist und der Weg zum Glück länger als 30 Zentimeter.«

Ich lasse sie also stehen und verfluche mich für mein konservatives Gedankengut gut gemeinter Sprüche scheinbar Erwachsener. Der wahre Ernst des Lebens begegnet mir allerdings wenig später an der Kasse. Ich lege meine Einkäufe auf das Band, und nachdem mich der Blick der hinter mir wartenden Rentnerin lange genug gestraft hat, teile ich meine Waren von den ihrigen mit so einem Teil ab, für das es nicht einmal einen anständigen Namen gibt. Auf jeden Fall ist Zigarettenwerbung drauf. Also möglicherweise handelt es sich um ein Kippenkantholz oder einen Tabakriegel.

Dann komme ich an die Reihe. Die Kassiererin schiebt alles brav über den Laser und Piep um Piep wird die Rechnung länger.

Sie teilt mir den Zahlbetrag in einer Lautstärke mit, die auch jemand vernehmen kann, der sich am anderen Ende des Marktes mit dem Kopf voran in der Tiefkühltruhe nach einer Pizza reckt.

Ich gebe ihr meine EC-Karte, die sie flink durch ihr Gerät zieht und sie legt mir einen Zettel zum Unterschreiben hin. Ich unterschreibe, packe meine Sachen zusammen, in Gedanken schon gar nicht mehr im Laden.

Sie aber schaut auf meine Karte und vergleicht die beiden Unterschriften. Wieder und wieder. Dann sieht sie mich missbilligend an. »Die ähneln sich aber nicht sehr!«

»Na und? Sind Sie Graphologin und verdienen sich hier nur was dazu?«

»Jetzt werden Sie mal nicht frech! Die beiden Unterschriften gleichen sich nicht annähernd. Schauen Sie doch mal!«

Und schon hält sie der Alten den Zettel vor die brillenbewachten Augen. Ich denke noch, dass diese Gläser definitiv durchschusssicher sind, da erkenne ich ganz weit hin-Ter den Gläsern zwei winzige, auf mich gerichtete Augen.

»Stimmt!«, krächzt die Alte.

Wo bin ich denn bitteschön gelandet? Eine Discountfachkassiererin und eine Rentnerin bezweifeln die Richtigkeit meiner Unterschrift! Wahrscheinlich werden sie noch die übrigen im Markt zu findenden Passanten befragen, und wenn sie sich zu einem endgültigen Urteil durchgerungen haben, wird weißer Rauch über dem Discounter aufsteigen! Vielleicht doch nicht mehr zum Billigladen? Sollten es mir die paar Cent in Zukunft wert sein?

»Was machen wir denn nun?«, frage ich die Kassiererin, die meine Karte noch immer wie Beweisstück Nummer eins im Prozess Penny gegen Jischinski in ihrer Hand hält.

Derweil krame ich in meinem Bargeld herum, stelle aber fest, dass ich sie leider auch auf diese Art nicht glücklich machen kann.

»Ich frage mal den Filialleiter«, entfährt es meiner Sherlocke Holmes. Die Rentnerin schaut mich inzwischen wie etwas an, was sie sonst nur bei »Aktenzeichen XY ungelöst« sieht.

Vielleicht ist alles nur die gerechte Strafe für diesen blöden Gedanken. ›Hey, Kleiner, nun fängt der Ernst des Lebens an!‹ Dieser doofe Ernst holt dich schneller ein, als du denkst. Und vor allem ist er gänzlich humorlos. Meine Sherlocke kommt wieder zurück. Für einen winzigen Moment habe ich das Gefühl, als sei ihr eine Erleuchtung gekommen. Als hätte sich der böse Gedanke an einen Trickbetrüger wie ein Sandkorn in ihrem Hirn eingenistet und in den wenigen Minuten des Weges bis zum Filialleiter hat das Perlmutt ihres Hirns daraus eine wahre gedankliche Perle entstehen lassen. Doch das, was aus ihrem Mund perlt, ist reichlich schal.

»Sie sollen die Sachen hier lassen und Sie können sich später alles gegen Bargeld abholen.«

Ich schaue böse in Richtung dieses Spiegelglases. Sitzt dahinter der Messias? Der Hausmeister vom Landgericht? Oder doch Barbara Salesch?

Es gibt Verschwörungstheorien zum 11. September, zur Mondlandung und zum Mord an Kennedy. Aber an den kleinen Mann im Supermarkt denkt keiner. Ich verlasse das Geschäft, steige in mein Auto und fahre in den nächsten Laden. Dort angekommen, suche ich die gleichen Sachen wie vorher zusammen, lege sie aufs Band, bezahle mit meiner Karte, unterschreibe und nichts passiert. Es kann sich eben nicht jede Kette eine Graphologin als Kassiererin leisten, denke ich noch, während mich meine Bekannte anspricht: »Na, hast du vorhin auch nicht alles bekommen?«

»Im Grunde schon! Die Kassiererin hat meine Karte aber leider nicht akzeptiert. Ist ’ne längere Geschichte. Aber jetzt habe ich ja alles.« Ich schaue auf den Kleinen, der an einem Lutscher schleckt. »Wie gefällt es dir denn in der Schule?«, frage ich höflich. »Geht so«, nuschelt er mir entgegen.

»Tja, jetzt beginnt der Ernst des Lebens!«, flötet seine Mutter und haut ihm eine Hand auf die Schulter. Im Weggehen schaue ich traurig auf den Kleinen. Er lächelt noch und seine Augen leuchten. Wenn die alle wüssten, wie ernst es wirklich wird, sie würden sich mit Freude totlachen.

Gute Vorsätze

Ich laufe durch diese Bar und die Blicke der Frauen treffen mich wie etwas, das mich streichelt und zu sich zieht. Es ist bloß der Rückweg von der Toilette, aber ich laufe wie auf dem Catwalk. Es fühlt sich gut an, wie sich das Training der letzten Wochen auswirkt. Ich muss den Bauch kein bisschen einziehen, sondern laufe einfach so durch die Gegend. Ja, regelmäßiges Training, weniger Stress, mehr Schlaf, so einfach ist das. Ich komme zurück zu meinem Barhocker und setze mich. Die Hose spannt nirgends und ich kann auf einen wundervollen Tag zurückblicken. Alle Arbeit ist getan, noch dazu mit Freude, und morgen werde ich wieder aufstehen und wissen, dass alles möglich ist. Der Gemüsecocktail vor mir schmeckt zwar wie eine alte Biosandalette, aber er wirkt, als würde ich ein Serum für Männlichkeit und Wohlbefinden in mich aufnehmen. Durch das Menschengetümmel hindurch kann ich sie sehen. Sie hört sich das Gelaber von irgend so einem Typen an, wirkt dabei furchtbar gelangweilt, ist aber trotzdem so höflich, alles über sich ergehen zu lassen. Als er endlich weg ist, gehe ich zu ihr.

»Hallo«, sage ich, ohne meine Stimme zu verstellen, »das mag jetzt überraschend sein, aber ich sehe keine Möglichkeit, es dir schonend beizubringen. Also, ganz direkt. Ich stehe hier vor dir, weil ich dich interessant finde und dich kennenlernen will. Ich bin den weiten Weg von meinem Platz dort drüben zu dir gekommen, um dich anzubaggern.«

Sie lacht mich an: »Und wann geht es los?«

»Jetzt gleich.«

Wir unterhalten uns lange und sie lacht über das was ich sage und lustig meine. Ihr Lachen verzaubert mich und ich hänge an ihren Lippen. Sie interessiert sich für mich und mein Leben. So, wie ich etwas über sie wissen will. Längst habe ich ihren Körper als eine Landkarte voller Versprechungen vermessen, wohl wissend, dass es Berge und Täler an ihr gibt, die himmlische Vergnügungen garantieren.

Natürlich bringe ich sie nach Hause bis vor ihre Tür. Aber ich zerstöre diesen wundervollen Abend nicht mit so etwas Banalem wie einem One-Night-Stand. Ich küsse sie zum Abschied in dem Wissen, dass wir uns wiedersehen werden, schon bald. Auch meine enttäuschte Erektion sieht das an diesem Abend noch ein.

Am nächsten Tag stehe ich kurz nach Arbeitsbeginn im Büro meines Chefs. Er gießt uns beiden viel zu trockenen Sekt ein, aber zu Ehren meiner Beförderung einschließlich Gehaltserhöhung lasse ich auch das über mich ergehen. Nach meinem Tagwerk sitze ich in einem Café und lese ganz in Ruhe die FAZ. Doch meine Konzentration ist getrübt, denn immer wieder sehe ich sie vor mir. Ich träume ein wenig von ihr und male mir aus, wie unser Rendezvous am Abend aussehen wird. Auf dem Weg nach Hause kaufe ich ihr einen Strauß roter Rosen. Sie wird mich lieben dafür, bin ich mir sicher.

Ich rufe Tom an, um zu hören, wie es ihm geht. »Klar«, sage ich, »es ist immer schwierig, Zeit für die wichtigen Dinge im Leben zu haben, aber unmöglich ist es nicht.«

Wir reden noch über seinen bevorstehenden Umzug und den Ärger, den er mit seinen Kollegen hat. Ich baue ihn auf, und als ich auflege, glaube zumindest ich daran, dass es ihm besser geht.

Danach ziehe ich mich um und gehe ins Fitnessstudio. Knappe zwei Stunden nehme ich mir Zeit, um meine Kondition und Kraft weiter zu verbessern, auch wenn das im Moment kaum noch möglich ist. Ich dusche und salbe mich, als würde ich einen Preis für Reinlichkeit erwarten. Dabei sind Teile meiner Gedanken reichlich schmutzig, als ich wieder zu Hause sitze und die letzten Lektionen meiner Fernstudieneinheit durcharbeite.

Ich hole sie ab, aber wir kommen nicht in das Restaurant. Wir fallen übereinander her wie zwei Unwetterwolken, die sich ausregnen müssen. Wir landen in ihrem Bett, wo ich mir ausgiebig Zeit nehme, all ihre Schönheit zu erfassen, sie mit allen Sinnen zu erfahren.

Im Moment der höchsten Ekstase greife ich nach ihr und will sie nie wieder loslassen. Aber sie ist nicht mehr da. Meine Hände landen auf meinem Bauch, aber die möglicherweise in tieferen Schichten lauernden Sixpacks lassen sich nicht ertasten. Irgendwie klatschen meine Hände bloß auf eine riesige Masse Fett. Langsam entfernen sich die wundervollen Bilder aus meinem Kopf. Ich wache auf und schleiche ins Bad. Ich stelle mich vor den Spiegel und öffne vorsichtig meine Augen. Eine behaarte Murmel mit einem Kopf sieht mich verstört an. Und ich denke nur:

Na toll, nur geträumt! Morgen wird ein Scheißtag im Büro sein. Es gibt wieder eine Woche, in der ich nur arbeiten werde. Keine Beförderung, kein Sport und natürlich auch keine Zeit für Tom. Es wird alles so sein, wie es schon immer war. Die FAZ wandert ungelesen in den Müll, die Studienunterlagen hinterher und von dieser Frau bleiben nur meine Träume. Höchste Zeit also, dass ich meine guten Vorsätze endlich in die Tat umsetze.

Feng-Shui in Vollendung

Es hatte alles mit diesem aufregenden Artikel in der Zeitung angefangen. Feng-Shui in der Wohnung würde alles besser machen und wenn das Qi erst richtig fließt, dann würde er sich auch wieder besser fühlen, munterer, ja sogar jünger. Er verglich die Fotos in dem Magazin mit dem Bild, das seine Wohnung bot. Wichtigster Unterschied: Bei ihm war in jedem Regal alles zu sehen. Bücherrücken, kleine Dinge, die einfach mal zwischengelagert werden sollten, aber nun bereits seit Jahren verstaubten, Notizen und Kreditkarten. Gefüllte Koffer unter den Schränken, alte Fotos in vergilbten Kisten und in den Schränken hingen Sachen, die ihm schon lange nicht mehr passten. Das Qi hatte gar keine Chance zum Fluss zu kommen, und so war es auch kein Wunder, dass er sich so matt und antriebslos wie immer fühlte. Kein Qi da, also auch keine Freude im Leben.

Gleich am nächsten Tag fuhr er ins Möbelhaus und kaufte ein großes Regal mit verschließbaren Türen, damit der Blick an nichts haften bleiben und das Qi frei fließen konnte. Schnell baute er es auf und verstaute die gesamten Bücher darin. Den nutzlosen Plunder, die Schränke, all die alten Fotos mit seinen Verflossenen, die Kartons und nicht mehr passenden Sachen warf er gleich in den Müll und bereits am Abend fühlte er sich deutlich besser. Als er am nächsten Morgen sein Werk betrachtete, stellte er fest, dass die schon etwas matte Farbe an der Wand nun nicht mehr so recht zum neuen Regal passte. Auch ein Blick in die Zeitschrift bestätigte, dass die Wandfarbe ebenfalls Feng-Shui entsprechend sein müsse. Das Zimmer lag gen Osten, weswegen ihm als beste Farben grün und braun empfohlen wurden. Also fuhr er in den Baumarkt und besorgte sich die neuen Farben. Innerhalb eines Tages räumte er das Zimmer leer, strich die gesamten Wände und räumte das Zimmer wieder ein. Am Ende des arbeitsreichen Tages bot alles einen prächtigen Anblick. Und er war nun noch ein Stückchen glücklicher. Es herrschte Ordnung und Klarheit. Alles war auf das Wesentliche reduziert und er würde fortan in Harmonie wohnen und leben. Sofort spürte er neue Kräfte in sich aufsteigen, befand es aber für sinnvoller, sich schnell zum Schlafen zu legen.

Gleich nach dem Aufstehen ging er am folgenden Tag in das Zimmer und musste sich die Augen reiben. Der Teppich passte nicht mehr. Dass ihm das am Abend zuvor nicht aufgefallen war! Es war so schön, dass das Sofa wunderbar passte, aber der Teppich musste raus. Er war in seiner ruhenden Mitte empfindlich gestört und beschloss sofort, zum Möbelhaus zu fahren und einen neuen Teppich zu kaufen. Dieses Mal kam auch seine Freundin mit und sie bewies wahrlich einen ausgezeichneten Geschmack, denn der neue Teppich legte sich wunderbar auf den Fußboden und verströmte pure Glückseligkeit. Wie sie nun aber Arm in Arm dastanden und den Anblick des völlig harmonisierenden Zimmers genossen, bohrte sich ein weiteres störendes Element langsam in ihrer beiden Blicke. Die Lampe ging nun auch nicht mehr! Und wenn sie schon einmal dabei waren, passte das grün-braun des Zimmers auch nicht mehr so recht zu den viel zu weißen Türrahmen. Es wäre besser, wenn diese einen angenehmeren Ton hätten, vielleicht etwas beige oder ein einfach nur nicht so schreiendes Weiß. Sie beratschlagten eine Weile, was zu tun war, denn so langsam hatten sie Angst bekommen, dass sie immer wieder einen Punkt finden könnten, der sie stören würde. Sie hatten bei dem Regal angefangen, was ja noch in Ordnung war, dann die Farbe, der Teppich und nun die Lampen. Möglicherweise die Türen noch dazu. Und was würde als nächstes kommen?

»Vielleicht war es doch keine so gute Idee mit diesem Feng-Shui, oder?«, fragte er sie schon ein wenig frustriert.

»Doch, ich glaube schon. Sieh doch nur, wie toll der Raum geworden ist! Den Rest können wir doch nach und nach machen und außerdem haben wir ja noch genügend andere Räume.«

»An die will ich jetzt mal gar nicht denken«, entfuhr es ihm sofort, »und eigentlich ist mir inzwischen auch egal, ob wir in den anderen Zimmern Feng-Shui haben oder nicht. Ich bin so platt von der ganzen Arbeit und will mich einfach nur ausruhen und wohl fühlen.«

»Das werden wir auch noch.« Und so drückte sie ihm einen Kuss auf den Mund, zog ihn zum Auto und sie fuhren wieder zum Baumarkt. In den folgenden Tagen schliffen sie die Tür und den Türrahmen ab und versahen alles mit einem dezenten beigefarbenen Anstrich. Als sie ihr Werk besahen, stellte sich eine deutlich größere Ruhe ein. Es war fast perfekt. Aber eben nur fast. Sie waren sich schnell einig, was noch zu tun war. Der Raum war noch nicht rituell gereinigt. Also liefen sie das gesamte Zimmer im Uhrzeigersinn mit einer Kerze ab, leuchteten die Ecken aus und baten die Kraft des Feuers, die alten Energien in sich aufzunehmen und an den Kosmos zurückzuführen. Sie stellten zudem ein Räucherstäbchen auf und sprühten frisches Quellwasser in jede Ecke des Raumes.

Schließlich merkten sie, dass der Raum noch immer nicht so rein war, wie sie ihn brauchten. Deshalb kaufte sie eine Klangschale und stellte sich mitten in den Raum. In einem sehr intensiven Ritual entlockte sie der Schale wundervolle »Om-Töne« und bat das Universum, die verstaubten und verbrauchten Energien wieder in den Kreislauf des Kosmos zu geben. So wähnten sie sich zurück im Einklang mit dem Schwingungsfeld des Alleinen. Doch wie sie danach in ihrem neuen Zimmer saßen, spürte sie in aller Konsequenz die letzten Störungsfelder auf. Sie sah ihn an. Länger als sonst. Er war nicht besser geworden, nicht jünger, nicht munterer.

»Schatz, es wäre schön, wenn du jetzt gehst.«

Und wie er den Raum verließ, durchflutete sie plötzlich Wärme und Licht.

Samstag ist Fußballtag

Neulich im Fanshop. Ich stehe vor einem Spiegel und habe ein Trikot vor meine Brust geheftet.

»Nicht deine Farbe«, sagt meine Freundin Karla zu mir.

»Was hast du gegen schwarz-gelb?«, frage ich.

»Gar nichts. Es steht dir nicht. Das ist alles. Aber warum muss hier auch alles schwarz-gelb sein? Einige Sachen sähen wirklich gut aus, wenn sie eine andere Farbe hätten.«

Ich schaue Karla fragend an.

»Du, das geht nicht anders. Es sind die Vereinsfarben. Schon seit hundert Jahren. Die können sie nicht einfach ändern!«

»Warum nicht? Andere Dinge ändern sich auch.«

Ich kapituliere innerlich, zeige es natürlich nicht.

»Mag sein. Aber im Fußball gibt es Regeln, Tradition und Werte. Nichts davon wird geändert.«

Für einen Moment habe ich das Gefühl, wir hätten uns gestritten, obwohl es eigentlich kein Streit war. Ich nutze die Gesprächspause, um mich zu den Schlüsselanhängern und Mousepads zu verdrücken. Beim Anschauen dieser Sachen, der Füllhalter, Ordner und Bettwäsche in schwarz-gelb frage ich mich schon, ob Karla nicht Recht haben könnte. Dabei stelle ich mir vor, wie alles gekommen wäre, wenn die Emanzipation schon vor hundert Jahren so weit gewesen wäre wie heute.

Auf einem holprigen Acker treffen sich schneidige Damen. Sie zeigen einander ihre neuen Schuhe, sündhaft teure Fetzen Stoff und unentbehrliche Taschen in Taschentuchgröße. Nach einem gemütlichen Plausch von mehreren Stunden drängt es sie zur Bewegung. Eine aufgeblasene Schweinsblase dient ihnen als Luftballon, der adrett durch die Luft geworfen wird. Irgendwann fällt er herab und übermütig treten die Frauen davor. Was auf einem Acker beginnt, wird die Geburtsstunde des modernen Fußballs. In der Folge gewinnt der Sport an Popularität und die Frauen formieren sich zu Mannschaften. Eine Liga wird gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehören Terracotta Bielefeld, Moccacino Gelsenkirchen und Östrogen Dortmund. Doch zur Überraschung aller gewinnt die erste Meisterschaft die Mannschaft von Mauve-Pastell Berlin. Von nun an geht es steil bergauf. Der Sport begeistert die Massen, Stadien werden als moderne Tempel errichtet und eine ganze Industrie folgt dem Damenfußball. Männer dagegen versinken im Haushalt, in der Elternzeit oder sie studieren Sozialpsychologie. Hundert Jahre nach dem ersten Tritt vor die Blase steht ein junger Mann mit seiner Freundin im Fanshop von Östrogen Dortmund. Die Vereinsfarben sind seit jeher pink-violett, ohne auch nur ein einziges Mal in Frage gestellt worden zu sein. Die Freundin steht vor einem Spiegel und hält sich ein Girlie vor die Brust.

»Schatz, sag mal, steht mir das?«

Der Freund nestelt gerade gedankenverloren an einer pink-violetten Tamponaufbewahrungsbox herum und wägt ab, ob er seiner Freundin Karla lieber diese oder aber die etwas teurere Flakon-Socke in den Vereinsfarben zum Geburtstag schenken soll.

»Was sagst du, Schatz?«

»Ob mir das hier steht!?«

»Hm. Ich weiß nicht. Wenn es nicht pink-violett wäre, schon.«

Seine Freundin schaut ihn an wie die gegnerische Torfrau, wenn sie in der gemischten Regionalliga einen Elfmeter von ihm halten will. Zwischen ihren Zähnen presst sie hervor:

»Es gibt hier aber nur pink-violett! Östrogen Dortmund trägt nun einmal nichts anderes! Und das schon seit hundert Jahren!«

»Dann lass uns doch zum Shop von Minisiston Leverkusen fahren. Das Blau von denen steht dir wirklich gut!«, entfährt es ihrem Freund.

Karla sieht aus, als würde sie jeden Moment ihre Daseinsform wechseln. Ihr Kopf wird so rot, dass ihr Freund versucht ist zu bemerken, dass ihr gerade jetzt das pink-violett deutlich besser steht.

»Bist du wahnsinnig?? Eine Klamotte von Minisiston Leverkusen? Erstens würde ich das nie anziehen. Zweitens sind deren Shirts nicht blau, sondern azur! Und drittens, mein Lieber, trägt man nie etwas von Werksmannschaften.«

Reichlich bedeppert schleicht er sich von dannen und lässt Karla im Fanshop gewähren. Um sich die Zeit ein wenig zu vertreiben, geht er zum Imbiss und bestellt sich ein Glas Prosecco und einen Tomate-Mozzarella-Salat. Es sind noch ein paar Stunden Zeit bis zum Spitzenspiel Östrogen Dortmund gegen die Spitzenreiterinnen von Stiletto München. Die Ränge füllen sich langsam. Frauen setzen sich und präsentieren einander Hüte, Kleider und Dinge, die scheinbar nur aus einem Absatz bestehen. Unmöglich, dass man darauf laufen kann. Prosecco fließt in Strömen und vor den Damentoiletten bilden sich bereits jetzt die ersten Schlangen. Nur ganz vereinzelt sind Männer zu sehen, die sich unsicher an ihre Proseccogläser klammern. Verständnisvoll zwinkern sie sich zu. Es heißt so etwas wie:

Du auch, mein Bruder? Jeden Samstag im Stadion? Montags DSF und Mittwochs Premiere? Und bei jeder Party diese Fachsimpeleien, ob die Brasilianerin Madonna nicht doch zu Chanel Madrid wechseln sollte, statt bei Rucola Mailand zu versauern? Oder ob es Stiletto München wirklich verdient hat, wieder Meisterin zu werden? Und nicht zuletzt, ob die neuen Hotpants von Östrogen Dortmund nicht der letzte Schrei sind.

»Und?« Karla holt mich unsanft aus meinem Traum zurück ins Hier und Jetzt.

»Was ist nun mit deinem Shirt?«

»Du hast doch gesagt, dass es mir nicht steht.«

»Ja schon. Aber wenn du es doch so sehr magst, dann kannst du es auch haben.«

Ich lächle sie an. Sie ist einfach eine verständnisvolle, liebenswerte Göttin. Meine Karla eben.

»Aber nur«, fährt sie fort, »wenn ich dafür wieder meine Serie schauen kann.«

Ich schaue sie an. Sie ist eine Schlange. Eine hinterlistige Schlange. »Die am Mittwoch?«

»Welche sonst?«

»Dann lasse ich das Shirt hier.«

Wir verlassen den Laden und ich habe das Gefühl, einen wichtigen Sieg errungen zu haben. Schon vor dem Spiel. Ich gehe zum Imbiss, kaufe ein Bier, eine Cola für Karla und Pommes Schranke. Wir sehen, wie sich das Stadion füllt. Mit fettigen Händen schiebe ich mir die Pommes in den Mund. Karla schaut zu mir, dann zu den anderen Kerlen und schüttelt den Kopf.

»Schade, dass wir Frauen den Fußball nicht erfunden haben.«

Ich rülpse leise und sage: »Glaube mir. Das wäre ein schlechter Tausch!«

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
220 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783941935242
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Telif hakkı:
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