Kitabı oku: «Amorphis», sayfa 5
Nach langer Zugfahrt erreichte die Gesellschaft schließlich das Hauptquartier von MAYHEM, ein zweistöckiges Bauernhaus in Kråkstad, in dem die Band wohnte und probte. Mit dabei waren diverse weitere norwegische Szenefiguren, unter anderem Jon „Metalion“ Kristiansen, angesehener Herausgeber des Slayer Mag. Der 22-jährige Euronymous verhielt sich den Finnen gegenüber höflich und gastfreundlich. In bester Stimmung unterhielt er sich mit ihnen über alles Mögliche von Metal bis Religion und spielte den Gästen keine verrauschten Demos vor, sondern das neue Album von Steve Vai.
Der ein Jahr jüngere Dead war ein bizarrerer Fall. Der introvertierte Künstler litt unübersehbar an schweren psychischen Problemen. Auch auf der Party verhielt er sich drohend und unberechenbar. Zwischendurch verschwand er nach draußen und kam schweißgebadet wieder herein, gekleidet nur in Unterhose und Patronengürtel. Die kalte Oktobernacht hatte ihn zu einem spontanen Waldlauf verleitet.
„Wir nahmen Teile der Fete im Suff auf Video auf. Mitten in der Nacht beschlossen MAYHEM, im Keller zu proben, was wir ebenfalls aufnahmen. Dead sagte hinterher, er würde uns umbringen, wenn irgendwer das zu sehen bekäme“, sagt Koivusaari.
MAYHEM wurde nachgesagt, dass sie eingeschlafenen Gästen die Socken in Brand stecken würden, weswegen die Finnen versuchten, wach zu bleiben. Zunächst glückte dies, doch irgendwann schlief Koivusaari ein – ausgerechnet im Bett von Dead: „Ich wachte dadurch auf, dass Dead mich auf den Boden wälzte.“ Es hätte schlimmer kommen können. Viel schlimmer.
Ein halbes Jahr nach der Party wurde Dead im selben Haus tot aufgefunden. Er hatte sich mit einem Küchenmesser die Schlagader aufgeschlitzt und sich mit einer Schrotflinte in den Kopf geschossen. Zwei Jahre später wurde Euronymous vom BURZUM-Frontmann und damaligen MAYHEM-Bassisten Varg Vikernes mit 23 Messerstichen getötet: zwei in den Kopf, fünf in den Hals und 16 in den Rücken. Den Musikern aus Vantaa erschien das Geschehen vollkommen absurd und unbegreiflich.
Koivusaari neuer Look: mehr Hippie als Death Metal.
IN IHRER HEIMAT waren ABHORRENCE mittlerweile so bekannt, dass ihre Songs auf den Gigs erkannt wurden. Die Fanbasis wuchs ständig. Dies ist auch der Treue der südfinnischen Death-Metal-Kreise zu verdanken: Die Kids aus dem Lepakko fuhren auch zu Gigs in die etwas weitere Umgebung. Kolehmainen beschreibt die Gigs von ABHORRENCE als „heilloses Durcheinander“ und „soeben noch beherrschtes Chaos“. Bewusst wurde sich die Band ihrer zunehmenden Popularität erstmals in Riihimäki, einer etwa 50 km von Vantaa entfernten Kleinstadt, wo sie am 26. 10. 1990 zusammen mit XYSMA, NECROMANCER, DISGRACE, MANIFEST und TEA BAGS im Kino Sampo auftrat.
Das Lichtspielhaus – eines der ältesten noch aktiven in ganz Finnland – hatte eine Empore, die den Bands als Backstagebereich diente. Von dort aus wurden unter reichlichem Alkoholgenuss die Kollegen auf der Bühne angefeuert. Als ABHORRENCE selber an der Reihe waren, hatten alle schon kräftig einen sitzen.
„Wir benahmen uns auf der Bühne genauso wie wenn wir selbst das Publikum waren“, beschreibt Kolehmainen. „Bier und billiger Johannisbeerwein gehörten einfach dazu. Als der Kino-Gig anfing und ich bei der ersten Nummer losgrowlen wollte, kotzte ich stattdessen über das Mikro. Zum Glück hat’s keiner gemerkt, die Menge brüllte nur ‚Jeee!‘“
Der folgende Auftritt in Orivesi war Arnkils letzter in den Reihen der Band. Der Schlagzeuger hatte beschlossen, zu seiner früheren und mittlerweile reaktivierten Band ANTIDOTE zurückzukehren. ABHORRENCE wollten den bereits gebuchten Gig im Jugendzentrum Herttoniemi nicht absagen und fragten Ex-Drummer Kimmo Heikkinen, ob er noch dieses eine Mal aushelfen könne. Heikkinen sagte zu.
Im Laufe des einjährigen Bestehens der Band waren die Geschmäcker ihrer Mitglieder allmählich vom Death Metal abgedriftet. Koivusaari begeisterte sich erst für Grindcore à la NAPALM DEATH und SORE THROAT, bis ihn plötzlich THE DOORS, PINK FLOYD und dergleichen in andere Sphären lockten. Hinsichtlich des Death Metal war eine gewisse Übersättigung eingetreten: zu viel des Guten in zu kurzer Zeit.
„Juice hatte sich schon als Protest eine Ponyfrisur schneiden lassen“, erinnert sich Koivusaari. „Die letzten Gigs spielte er im Trainingsanzug. Man sah ihm an, dass er keinen Bock mehr hatte.“
Die Musik stammte überwiegend von Koivusaari, die Texte von Ahlroth. Beide kamen zu dem Schluss, dass ABHORRENCE sich überlebt hatte. Das Feeling war nicht mehr da. Die übrigen Bandmitglieder erfuhren erst nach und nach von der Entscheidung. „Jukka kriegte als letzer mit, dass Schluss war. Er musste gerade zum Wehrdienst und sich die Haare abschneiden, was ihn ankotzte. Nach ein paar Wochen rief er an und fragte, wann wir das nächste Mal proben. Ich antwortete, ‚gar nicht, wir haben uns aufgelöst‘. Er war lange sauer deswegen. Damals gab es weder Handys noch E-Mail, sondern alle wohnten bei ihren Eltern und waren auf Schnurtelefone angewiesen“, kommentiert Koivusaari.
Der letzte Gig von ABHORRENCE fand am 18. 11. 1990 im Jugendzentrum Herttoniemi statt. Bei der Veranstaltung traten auch ALENNUSMYYNTI und NUXVOMICA auf. Den Bass der letzteren bediente ein junger Mann namens Olli-Pekka Laine, genannt „Oppu“.
5. DIE GEBURT VON AMORPHIS
MAN SCHRIEB DEN Spätherbst 1990, als sich Esa Holopainen, 18, und Jan „Snoopy“ Rechberger, 16, nach einem Proberaum für ihre neu gegründete Death-Metal-Band umsahen. Ein geeigneter Luftschutzkeller fand sich mitten in Helsinki, genauer gesagt in der Malminkatu in Kamppi. Snoopy verkaufte sein Gitarrenequipment und sein Vater besorgte ihm ein gewaltiges Pearl Export-Drumkit mit sechs Toms und zwei Bassdrums. Sie probten zunächst zu zweit und begannen, mögliche Bandmitglieder zu sichten. Diverse Bekannte kamen probeweise vorbei, bis schließlich Tomi Koivusaari, 17, als Sänger engagiert wurde. Koivusaari spielte noch bei ABHORRENCE und gab seine Zusage daher nicht sofort mit vollem Ernst.
„War schon etwas komisch, dass Snoopy und Esa VIOLENT SOLUTION auflösten, um eine Death-Metal-Band zugründen. Gerade noch hatten sie das ganze Genre heruntergemacht, und jetzt fingen sie selbst damit an. Ich hatte auf den ABHORRENCE-Gigs das BOLT-THROWER-Cover gesungen und gemerkt, dass es mit dem Growlen ganz gut klappt. Also stieg ich bei denen als Sänger ein“, erinnert sich Koivusaari.
Für den Viersaiter war nur ein Name im Gespräch: Olli-Pekka Laine, 17 (geb. 05. 02. 1973). Oppus Hauptband NUXVOMICA spielte progressiven Death Metal, der die traditionellen Elemente des Stils mit untypischeren Akzenten wie Cleangesang und unverzerrten Gitarren würzte. Die Band hatte ein Demo veröffentlicht und war in ein paar Jugendzentren aufgetreten. Der junge Bassist war in der Szene außerdem als Mitglied von SININEN HEVONEN bekannt, einer humoristischen Hardrock-Truppe, in der auch der spätere AMORPHIS-Keyboarder Kasper Mårtenson spielte. Weitere Mitglieder waren Rockreporter Nalle Österman, der später zum Elektro gewechselte Ville Juvonen sowie der heutzutage unter anderem als Initiator einer jährlichen Metal-Weihnachtskonzertserie erfolgreiche Erkka Korhonen. Ihre Künstlernamen lauteten Jack Sibelius, Nasty Lord, Barry Covana, Ace Afrodite und J.C. Adonis.
„Zu AMORPHIS kam ich schlicht dadurch, dass Holopainen anrief und erzählte, dass er mit Snoopy eine Band gegründet hatte und Koippari singen würde“, so Laine. „Esa kannte ich vom Heavy-Kiosk her. Ich hatte damals ein kleines Zine, für das ich ein Interview mit VIOLENT SOLUTION wollte. Das Blatt erschien nur einmal und wurde per Kopiergerät vervielfältigt. Soweit ich mich erinnere, kam das Interview nie zustande, aber in dem Zusammenhang hatten wir Telefonnummern ausgetauscht. Anscheinend erinnerte sich Holopainen daran, dass ich Bass spielte. So fing das an.“
Laine hatte von Kindesbeinen an mit Musik zu tun gehabt. In der Schule hatte er bis zur sechsten Klasse Musik als Schwerpunkt gehabt. Als seine Großmutter ihm zu Weihnachten eine Geige schenkte, nahm er pflichtgemäß Stunden, obwohl ihn das Instrument nicht im Geringsten interessierte. Immerhin erhielt er dadurch eine gute theoretische Grundlage, auch wenn er regelmäßig schwänzte. Schließlich sah seine Mutter jedoch ein, dass es sich nicht lohnte, noch mehr Geld für Privatstunden zu verschwenden, und der Geigenkoffer wurde zum Staubfänger. Die Musik ließ Oppu jedoch nicht los, und er fand schon früh seine wahre Bestimmung. Seine Begeisterung für den Bass begann Anfang der Achtziger mit Pave Maijanen, einem auch als Produzent erfolgreichen Multi-Instrumentalisten, dessen kurzlebige Poprock-Combo MISTAKES mit Pidä huolta einen der größten finnischen Hits des Jahres 1981 landete. Über seine Altersgenossen kam Laine zu KISS, AC/DC und anderen populären Heavy- und Hardrockbands. Seine ersten Versuche am Bass waren auch von der E-Gitarre seines großen Bruders beeinflusst. Als ihm ein älterer Junge aus der Nachbarschaft einen Bass und ein paar Effekte borgte, war sein Schicksal besiegelt. Oppu hat den Moment der Offenbarung noch in lebhafter Erinnerung: „Das is’ mein Ding, alles klar!“
Die erste Fotosession von AMORPHIS im Proberaum in Kamppi, 1990.
© Teijo Tiainen
Musik gehörte bei den Laines zum Alltag. Der Bruder hörte KISS, die ältere Schwester die DOORS und die ROLLING STONES und die Mutter die melancholischen Schlagerklassiker von Olavi Virta, deren starke Melodien Oppu als prägend für sein eigenes Songwriting bezeichnet. Sein Vater schwor auf Jazz und arbeitete als Musikreporter für die linke Wochenzeitung Kansan Uutiset, weswegen die Familie jedes Jahr zum internationalen Jazzfestival nach Pori fuhr. Oppu hatte für dieses nicht viel übrig und fand endlose Jamsessions ausgesprochen langweilig, doch der väterliche Beruf öffnete ihm unerwartete Türen. Eines Tages fragte der Vater ihn, ob er im Kino den neuen Herbie-Film sehen oder stattdessen mit ihm zur Arbeit kommen wolle: Auf der Tagesordnung stand ein Interview mit Pave Maijanen. Oppu wählte letzteres. Seine Faszination für den Bass wuchs mit jedem Tag. Als die Familie 1986 aus dem Osten Helsinkis in den zentrumsnäheren Stadtteil Vallila umzog, fand er erstmals Anschluss an eine Band. Sie spielte METALLICA und IRON MAIDEN nach und hörte auf den Namen METAL DISEASE. Auch anderweitig entwickelte sich die Musik zu Laines wichtigstem Hobby. Wie die übrigen Mitglieder von AMORPHIS besuchte er als Teenager häufig Konzerte in Jugendclubs und im Lepakko. Die Gesichter von Snoopy, Koippari und Esa kannte er nicht nur aus dem Publikum, sondern auch von der Bühne her. Er sah sowohl VIOLENT SOLUTION als auch ABHORRENCE öfters live und mochte beide Bands.
„VIOLENT SOLUTION waren live überraschend gut. Ihr Material hatte Qualität, und sie konnten deutlich besser spielen als die übrigen Bands“, vergleicht er. „Sie waren nicht die originellste Band der Welt, machten aber trotzdem Eindruck. Ich kaufte alles, was sie rausbrachten. Die Single hab’ ich heute noch. Auf ABHORRENCE fuhr ich richtig ab. Das war eine der ersten Death-Metal-Bands, die ein vernünftiges Demo machten. Wir gingen zwar auch in die Richtung, aber wir waren nicht so gut, dass wir einfach so hätten ins Studio gehen können. ABHORRENCE und XYSMA waren die ersten in der Death-Metal-Szene, die musikalisch etwas Relevantes zuwege brachten. Die Gigs von denen konnten auch einiges. ABHORRENCE waren eine wichtige Band mit gutem following.“
METAL DISEASE live in der Schule von Myllypuro. Oppu Laine, Juri Kovaleff, Jani Salmi und Marko Hirvi.
Verständlicherweise war der Bassist mehr als angetan, als er in die Nachfolgeband von VIOLENT SOLUTION und ABHORRENCE eingeladen wurde. Für seine Musikerkarriere bedeutete dies einen großen Sprung vorwärts. In seinen bisherigen Gruppen hatten nicht alle Mitglieder seine Leidenschaft geteilt, hier dagegen waren sämtliche Beteiligten voll bei der Sache und der Gedanke an eine ernsthafte Karriere erschien nicht länger unrealistisch.
HOLOPAINEN BEHAUPTETE, DASS er das Wort AMORPHIS in einem Wörterbuch gefunden hätte und dass es so viel wie „gestaltlos“ bedeutete. Der Gitarrist hatte die Schreibweise jedoch falsch in Erinnerung. Die Wahrheit kam erst ans Licht, als die Gruppe in ihrem ersten englischsprachigen Interview nach der Bedeutung ihres Namens gefragt wurde und das Wort „amorphis“ in keinem Wörterbuch zu finden war. Korrekt wäre amorphous gewesen. Der Name blieb jedoch am Leben.
Etwa zur gleichen Zeit, als Laine bei AMORPHIS einstieg und somit die Originalbesetzung komplett war, lösten sich ABHORRENCE auf. Infolgedessen begann Koivusaari, der in den ersten drei Monaten nur für die Growls zuständig gewesen war, sich voll auf seine neue Band zu konzentrieren und dort auch Gitarre zu spielen. Er stellte den anderen jedoch eine Bedingung: er würde nur dann in der Band bleiben, wenn die drei bisherigen Songs neu geschrieben würden.
„Das Studio war schon gebucht, um die aufzunehmen, aber ich fand sie einfach nicht gut“, erinnert sich Koivusaari. „Keine Ahnung, für was für einen Death-Metal-Experten ich mich hielt, aber für mich klangen sie einfach nur wie eine härtere Version von VIOLENT SOLUTION. Die andern fanden das dann auch, und wir beschlossen, den Studiotermin abzusagen und nochmal von vorne anzufangen.“
AMORPHIS in ENTOMBED-Pose auf dem Friedhof Hietaniemi, 1991.
Der Beschluss hatte sowohl symbolische als auch künstlerische Wirkung. Die Thrash- und Speed-Elemente flogen auf den Müll, und man konzentrierte sich fortan auf reinen Death Metal. Es ergab sich wie von selbst, dass zwar beide Gitarristen Songs schrieben, aber Holopainen die Melodien spielte und Koivusaari den Rhythmus, da letzterer gleichzeitig growlen musste. Oppu kommentiert: „Ich war beeindruckt, als Koippari forderte, die alten Songs über Bord zu schmeißen. Die Entscheidung war richtig, denn die neuen Stücke wurden viel besser und waren auch mehr nach meinem Geschmack. In der Phase gab ich auch selber alle anderen Bandprojekte auf und konzentrierte mich nur noch auf AMORPHIS.“
An den neuen Stücken feilte die Band dreimal wöchentlich in ihrem nach Urin stinkenden Proberaum. In dem Gebäude gab es kein Klo, sodass Musiker und Gäste – wie schon zahllose Bands in den Jahren zuvor – sich in einen Kanalschacht erleichterten, dessen Deckel irgendjemand einmal entfernt hatte. Offiziell wurde der Raum nicht einmal von AMORPHIS gemietet, sondern von einem entfernten Bekannten von Snoopy. Nichtsdestotrotz war der Kellerbunker ein beliebter Treffpunkt, und das Bier floss reichlich. Das Aroma der Raumluft war eine entsprechend bunte Mischung aus Fäkalien, abgestandenen Alkoholika, Erbrochenem und Schweiß. Eines feuchten Abends passierte es denn auch, dass ein Saufkumpan der Band in den Schacht fiel und mit vereinten Kräften aus der halbvergorenen Kloakenbrühe gehievt werden musste.
Die neuen Stücke waren härter als die fallengelassenen, zum Teil auch schneller. Snoopy sagte in einem frühen Interview mit dem Fanzine The Untouchables, dass die früheren Songs „von allem Möglichen“ gehandelt hatten, aber auch die neuen Texte, die Leben, Tod, Weltanschauung und Mittelalter streiften, keine besondere Botschaft hätten: „Ist doch völlig beknackt, dass heutzutage jede Death-Metal-Band von Hölle und Teufel singt, nicht zu vergessen Darmkrankheiten und Gehirnflüssigkeiten. Solche Texte kommen für uns nicht in Frage!“, prahlte der Zehntklässler, und die Band hat sich bis heute an diese Maxime gehalten.
Im Hof des hygienefreien Proberaums in Kamppi, 1990
Die Stücke entstanden entweder dadurch, dass ein Bandmitglied eine fertige Songidee mit in den Proberaum brachte, oder einfach durch das puzzleartige Zusammenfügen unterschiedlicher Riffs ohne Rücksicht auf traditionelle Songstrukturen. Der Großteil des frühen Materials stammte aus der Feder von „Death-Metal-Veteran“ Koivusaari.
Ein paar Wochen, nachdem dieser die Rhythmusgitarre übernommen hatte, nahm die Band bereits in Timo Tolkkis TTT-Studio ihr erstes Demo auf. Das Studio war vor kurzem umgezogen, aber das alte Problem bestand weiterhin: Die jungen Musiker wollten lieber ihre eigenen Verstärker verwenden als die teure Studioausrüstung. „Tolkki bot uns sein blinkendes Mega-Rack an, das furchtbar gut und professionell klang. Wir hatten die Gitarren auf C runtergestimmt, und irgendwie wollte es nicht werden. Er wurde sauer, als wir sagten, dass sein Gerät nicht beschissen genug klang. Dann drehten wir unseren 10-Watt-Marshall und den Proco Rat-Verzerrer voll auf: pfffrrrchchch! ‚Ja geil, sofort aufs Band damit!‘ Obwohl Tolkki nicht begeistert war, nahm er’s locker. Damals wurde nicht groß rumgefeilt, von Produktion oder so war keine Rede. Wir nahmen einfach auf, mischten und ließen die Kassette hinterher auf jedem Rekorder laufen. Wir haben uns nicht mal überlegt, ob der Sound gut war oder nicht. Da hieß es höchstens mal, ‚misch die Bassdrum was lauter‘. Die Sessions waren viel entspannter als heute, wo wir das hauptberuflich machen. Wir legten einfach los, ohne uns groß um Details zu kümmern“, erinnert sich Rechberger mit einem Anflug von Wehmut.
Die Sorglosigkeit zeigte sich auch daran, dass Oppu nicht einmal seinen eigenen Bass mit ins Studio nahm. Auch auf Konzerten verließ er sich gelegentlich darauf, sich irgendwo ein Instrument ausleihen zu können. Das am 4. Januar 1991 fertiggestellte Demo umfasste drei Songs und wurde auf den Namen Disment Of Soul getauft. Die Stücke wurden größtenteils live eingespielt, mit nur wenigen Overdubs. Koivusaaris Stimme wurde etwas manipuliert, sodass sie tiefer und brutaler klang. Der Titel fiel demselben Flüchtigkeitsfehler zum Opfer wie schon der Bandname: Der Wörterbucheintrag war falsch im Gedächtnis geblieben. Der Name des Demos sollte „Zerstückelung der Seele“ bedeuten, aber die mittleren Silben von „dismemberment“ fielen der Vergessenheit anheim. Disment hat keine Bedeutung.
„Kein englischer oder amerikanischer Journalist hat den Fehler je zur Sprache gebracht“, erinnert sich Snoopy. „Auch Spielfehler machten uns nichts aus. Es war egal, ob das Timing stimmte oder die Doublebass sauber klang. Und von den Texten hat man eh kein Wort verstanden. Sowas hat damals kein Schwein interessiert.“
Democover, Bandlogo und das erste T-Shirt-Motiv wurden von dem Franzosen Chris „ThornCross“ Moyen gezeichnet, der gerade am Anfang seiner Karriere als Grafikdesigner und Illustrator stand. Er wurde später zu einem der angesehensten Künstler des Metal-Undergrounds; seine düsteren Werke zieren unter anderem Alben von BEHERIT, BLASPHEMY, ARCHGOAT und INCANTATION. Sein Stil war so detailgenau, dass die Einzelheiten des ersten AMORPHIS-Shirts, auf dem drei Leichen aus ihren Särgen steigen, vereinfacht werden mussten, um den verfügbaren Textildruckmöglichkeiten zu genügen.
Moyens Werke waren vor Insiderwitzen nicht sicher: Der fledermausähnliche Namenszug wurde intern als Batman-Logo bezeichnet und die Splatter-Figur, die sich auf dem Democover die Gedärme aus dem Leib reißt, erhielt den Spitznamen „Wurstverkäufer“. „Das Cover sieht aus, als hätte der Typ ’ne Fleischpastete in der Hand, aus der das Ketchup in die Gegend spritzt“, lacht Esa.
Die auf der Kassette befindlichen Stücke Disment Of Soul, Excursing From Existence und Privilege Of Evil knüpften an die Linie von ABHORRENCE an. Im musikalischen Sinne waren sie etwas weniger brutal, im technischen dafür umso mehr. Die Kompositionen waren düster und primitiv, die Soundlandschaft selbst in den klarsten Momenten ausgesprochen breiig. Das Demo erhielt jedoch viel Aufmerksamkeit und gute Kritiken in den internationalen Metalzines. Beispielsweise bezeichnete Mikko Mattila von Isten, dem wohl bedeutendsten Fanzine Finnlands, Privilege Of Evil als eine der besten Death-Metal-Nummern, die er seit langem gehört hätte. Er verglich die Band mit BOLT THROWER und PARADISE LOST. Vom Mainstream wurde Death Metal noch lange nicht verstanden. „Finnland war im Hinblick auf Death Metal total rückständig“, bestätigt Oppu. „Auch in den Studios hatten die Leute noch nie davon gehört und kriegten den Mund nicht mehr zu, wenn jemand zu growlen anfing. Als Koivusaari seiner Mutter das Demo vorspielte, hörte sie den Gesang überhaupt nicht! Heutzutage ist es nichts Besonderes, im Radio CHILDREN OF BODOM zu hören, aber damals gab’s nur die Tradingszene. Auch für Tolkki waren die Growls eher ein Witz. Der lachte nur bei den Aufnahmen, von wegen ach du scheiße!“
Ungeachtet der positiven Rezensionen machte die Band selbst das Demo in Interviews herunter und versprach für die Zukunft Besseres. Der Selbstkritik zum Trotz versendeten die Bandmitglieder Hunderte von Kassetten in alle Welt. Auch Holopainen begann ernsthaft mit dem Trading. Das Kontaktnetz wuchs gemäß dem Schneeballeffekt: Über Flyer und Kleinanzeigen in Zines fand man die Adressen anderer Zines und Bands, über die sich wiederum das eigene Netzwerk erweiterte. Der Doppeldeckrekorder lief auf vollen Touren, und es ging immer mehr Geld für Kassetten und Porto drauf.
Für Auftritte probte die Band unter nahezu realistischen Bedingungen, da oft Freunde zum Zuhören und Biertrinken in den Proberaum kamen. Umgekehrt besuchten auch die AMORPHIS-Mitglieder die Proben befreundeter Bands. AMORPHIS waren mit einiger Regelmäßigkeit auf der Bühne zu sehen, vor allem in Jugendzentren. Den ersten Gig ihrer Karriere spielte die Band im Januar 1991 im Kasisali in Lahti. Ihren zweiten Auftritt dort musste sie ohne Bassisten bestreiten, da Oppu nicht rechtzeitig vor Ort erschien. Obwohl es feuchtfröhlich und betont amateurhaft zur Sache ging, erreichte die Band schon früh einen gewissen Status: Das Wort machte die Runde, das Demo verkaufte sich, die Shows waren gut besucht und das Publikum war angetan. Unterwegs ging es oft ereignisreich bis chaotisch zu. Am 23. 3. 1991, einem Samstag, war die Band für einen gemeinsamen Auftritt mit XYSMA, FUNEBRE, PHLEGETHON und UNHOLY im Jugendclub Penttilä in Joensuu gebucht. Am Vorabend bestiegen die Musiker am Helsinkier Hauptbahnhof den Nachtzug. Das strenge Reglement der finnischen Staatsbahn verbot den Genuss von mitgebrachtem Alkohol während der Fahrt. Nichtsdestotrotz zischten die Kronkorken, sobald die Truppe ihr Abteil gefunden hatte. Wie aus der Pistole geschossen erschien ein Schaffner, um lautstark das Ordnungsreglement herunterzurasseln. Die Störenfriede willigten ein, die geöffneten Flaschen herauszugeben, nicht jedoch die ungeöffnet im Rucksack befindlichen. In diesem Moment setzte sich der Zug in Bewegung. Der Schaffner verlor das Gleichgewicht und hielt sich reflexhaft an Koivusaaris Jacke fest. Wobei ein paar Tropfen Bier auf seine Uniform spritzten.
„Der Schaffner brüllte los und beschuldigte Koippari, das Bier absichtlich auf ihn geschüttet zu haben. Dann fing er an, mit dem Fahrkartenlesegerät auf Koippari einzuschlagen. Es kam zum Handgemenge und wir versuchten, den Schaffner loszureißen“, berichtet Holopainen. Im nächsten Bahnhof, dem knapp vier Kilometer entfernten Pasila, drängte der Schaffner gemeinsam mit einem Kollegen die ganze Truppe gewaltsam aus dem Zug. Koivusaaris Gitarre blieb im Kampfgetümmel auf der Gepäckablage zurück. „Tuukka von RYTMIHÄIRIÖ war aus Spaß mitgekommen, und der Kontrolleur haute auch ihm das Gerät über den Kopf“, erinnert sich Koivusaari. „Wir dachten, das kann nicht wahr sein: Der Schaffner hatte von sich aus nach mir gepackt, und nur deshalb spritzte das Bier auf ihn. Als die Beamten uns rausschmissen, hielt ich mich an der Tür fest und bat um meine Gitarre, aber sie traten einfach die Tür zu. Dann schmiss der eine die Gitarre in hohem Bogen aus der anderen Tür heraus. Der ganze Koffer ging zu Schrott. Ich rief umgehend bei der Bahngesellschaft an, sagte meinen Namen und berichtete den Vorfall. Sie fragten, ob ich wegen der Sache Anzeige erstatten wolle. Ich antworte, nicht unbedingt; wir könnten uns auch so einigen. Die Schaffner erfuhren dadurch meinen Namen und erstellten Strafanzeige gegen mich. Ich kam vor Gericht und musste Bußgeld zahlen. Ich versuchte, gemeinsam mit den Zeugen meinen Standpunkt darzulegen, wurde aber nicht beachtet, denn ‚darum geht es hier nicht‘. Im Endeffekt musste ich dem Schaffner die Reinigungskosten erstatten. Der saß im Gerichtssaal neben mir. Ich lachte ihn aus, er könne das doch wohl nicht ernst meinen. Er glotzte mich nur an. Die Reinigungskosten! Naja, viel war‘s zum Glück nicht.“
Die Jungs übernachteten bei Oppus Mutter im Nachbarstadtteil Vallila und gelangten schließlich mit dem Frühzug nach Joensuu. Als Promoter der Veranstaltung fungierte Heikki „Hege“ Hyvärinen, der einige Jahre später als Anführer der örtlichen Neonazis in Erscheinung trat. Zum Zeitpunkt des Geschehens war Hyvärinen ein dürrer Death-Metal-Fan mit Engelsgesicht und Bomberjacke; beim Organisieren des Gigs half seine Mutter. Als die Band eintraf, schlug Hyvärinen eifrig vor, erstmal einen trinken zu gehen. Er führte die Musiker auf ein Feld, in dessen Mitte ein Brunnendeckel prangte. Hyvärinen hob den Deckel. Im trockenen Brunnenschacht lehnte eine Leiter. „Was zum Teufel…?“ wunderte sich Oppu. „Nur zu!“, drängte Hyvärinen. Auf dem Boden des kochendheißen Schachtes standen Eimer, in denen Hochprozentiges vor sich hin gärte. Als Sitzbank diente ein Rohr. Der Promoter kredenzte die Eimer und kicherte: „Verdammt, hätte nie gedacht, dass ich mir mal mit Koivusaari von ABHORRENCE zusammen die Kante geben würde!“ Am Veranstaltungsort wurde die Alkoholvernichtung gemeinsam mit den Mitgliedern von XYSMA und anderen Bekannten fortgesetzt. Die Band absolvierte ihren Auftritt mit Ach und Krach. Hinterher wurde im Obergeschoss des Clubhauses gegessen, gefeiert und übernachtet. Die Mitglieder stopften gerade kalten Nudelauflauf in sich hinein, als ein örtlicher Prolet herbeischwankte und begann, sich aus derselben Schüssel zu bedienen „Hey, das Essen ist für die Bands!“ merkte XYSMA -Sänger Jani „Joãnitor“ Muurinen höflich an.
Anstatt ihm Gehör zu schenken, begann der Eindringling, den Anwesenden Prügel anzudrohen. Der bereits eingeschlafene Luxi Lahtinen erwachte von dem Lärm, als der Störenfried gerade ein Messer zog. Lahtinen – hochgewachsen, athletisch, aber von äußerst friedfertigem Naturell – verfolgte die Situation einen Moment lang, bis er plötzlich aufsprang und lospolterte: „Zum Donnerwetter noch mal!“ Womit er nicht nur den Streithals überraschte, sondern auch seine anwesenden Bekannten.
„Ich war stinksauer darüber, wie sich der Typ den Bands gegenüber verhielt“, erinnert sich Lahtinen. „Ich bin ziemlich groß und dachte mir, ich mach Schluss mit der Debatte und spiel mal kurz den Rausschmeißer. Ich hob den Kerl mit väterlichem Griff in die Luft, hielt ihn so fest, dass er mit seinem Messer nichts ausrichten konnte, und trug ihn die Treppe runter. Ich warf ihn in den Schnee, rief hinterher, dass er sich zur Hölle scheren solle, und machte die Tür zu. Ein etwas hitziger Adrenalinstoß für meine Verhältnisse, aber zum Glück war das Problem damit beseitigt.“
Die Heldentat des sanftmütigen Riesen wurde von den Musikern mit Respekt und Anerkennung bedacht. Wenig später, und ebenso unerwartet, sollte Lahtinen in der Geschichte von AMORPHIS eine noch wesentlich bedeutendere Rolle spielen.