Kitabı oku: «Geschichte des frühen Christentums»

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UTB 4737

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Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft

Herausgegeben von Lukas Bormann


Der Autor Dr. theol. Markus Öhler ist Professor für Neutestamentliche Wissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Markus Öhler

Geschichte desfrühen Christentums

Mit 9 Karten

Vandenhoeck & Ruprecht

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

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Umschlagabbildung: Pfingsten, © akg-images.de Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: SchwabScantechnik, Göttingen EPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

UTB-Band-Nr. 4737

ISBN 978-3-8463-4737-9

Inhalt

Vorwort

Literatur

1 Grundfragen einer Geschichte des frühen Christentums

1.1 Worum es geht …

1.2 Quellen

1.3 Historische Re-Konstruktion

Literatur

2 Die griechisch-römische Welt: Herrschaft, Gesellschaft, Religion

2.1 Strukturen von Herrschaft

2.2 Gesellschaft und Kultur

2.3 Griechisch-römische Philosophie

2.4 Griechische und römische Religion

Literatur

3 Religion und Kultur der Judäer – Das Judentum in der frühen Kaiserzeit

3.1 Elemente judäischer Identität

3.2 Gruppen innerhalb des Judentums in Judäa und Galiläa

3.3 Samaritaner

3.4 Propheten und Aufstandsbewegungen vor 66 n. Chr.

3.5 Die beiden Aufstände in Palästina

3.6 Das frühe rabbinische Judentum

3.7 Das Diasporajudentum

3.8 Proselyten und Gottesfürchtige

Literatur

4 Chronologie des frühen Christentums

4.1 Die absolute Chronologie

4.2 Die relative Chronologie

4.3 Die Chronologie des frühen Christentums

Literatur

5 Jesus von Nazareth

5.1 Die Vorgeschichte – von der Geburt bis zur Taufe

5.2 Jesu Wirksamkeit

5.3 Die letzten Tage Jesu

Literatur

6 Der Neuanfang: Ostern und Pfingsten

6.1 Die Ostererfahrung

6.2 Die Geisterfahrung

Literatur

7 Die ersten Gemeinschaften in Judäa, Galiläa und Samaria

7.1 Christusgläubige in Jerusalem und Judäa

7.2 Christusgläubige in Galiläa

7.3 Christusgläubige in Samarien

7.4 Rückblick

Literatur

8 Die Ausbreitung des Christusglaubens nach Syrien

8.1 Die Verkündigung des Evangeliums an Nicht-Juden

8.2 Damaskus

8.3 Antiochien

Literatur

9 Die Frühzeit des Paulus

9.1 Paulus, ein Diasporajudäer

9.2 Paulus, ein Pharisäer in Jerusalem

9.3 Paulus, ein Verfolger der Christusgläubigen

9.4 Die Wende des Paulus zum Christusglauben

9.5 Das Wirken des Paulus bis zum Apostelkonvent

9.6 Die zeitliche Einordnung der Verkündigung auf Zypern und in Südkleinasien

Literatur

10 Die fortwährende Auseinandersetzung um Gesetz und judäische Identität

10.1 Der Apostelkonvent in Jerusalem

10.2 Der Antiochenische Zwischenfall

10.3 Das Aposteldekret

10.4 Erneute Forderungen nach Einhaltung der Tora – die galatische Krise

Literatur

11 Die Ausbreitung des Evangeliums in Kleinasien und Griechenland durch Paulus

11.1 Reisen in der griechisch-römischen Antike

11.2 Die Verkündiger als Reisende

11.3 Die Methoden der Verkündigung

11.4 Die Reise nach Zypern und in den Süden Kleinasiens (47–48 n. Chr.; Apg 13f.)

11.5 Die Reise nach Makedonien und Griechenland (48–52 n. Chr.; Apg 15,41–18,22)

11.6 Die Verkündigung in Ephesus (52–55 n. Chr.; Apg 18,23–20,1)

11.7 Die Kollektenreise (55–56 n. Chr.; Apg 20,1–21,17)

Literatur

12 Die paulinischen Gemeinden

12.1 Das soziale Profil paulinischer Gemeinden

12.2 Die Organisationsform paulinischer Gemeinden

12.3 Innere Entwicklungen

12.4 Herausforderungen durch äußere Einflüsse

Literatur

13 Die Weiterführung und Aufnahme judäischer Identität im frühen Christentum vom Apostelkonvent (47 n. Chr.) bis zum Bar-Kochba-Aufstand (135 n. Chr.)

13.1 Das Christentum in Palästina bis 135 n. Chr.

13.2 Zwischen Ausgrenzung und Integration: Matthäusevangelium und Didache

13.3 Die Orientierung an Jakobus als Element christlicher Identität

13.4 Die Johannesapokalypse

13.5 Orientierung an der Tora und judäischer Identität im 2. Jh. n. Chr.

13.6 Polemik gegen eine Orientierung an judäischer Identität nach 70 n. Chr.

Literatur

14. Das frühe Christentum in der griechisch-römischen Gesellschaft zwischen 60 und 130 n. Chr.

14.1 Bedrängnisse und der Tod der Apostel

14.2 Die Neronische Verfolgung (64 n. Chr.) – eine antike Geschichtskonstruktion

14.3 Keine Verfolgung unter Domitian (81–96 n. Chr.)

14.4 Die ersten Christenprozesse unter Trajan (98–117 n. Chr.)

14.5 Christenprozesse unter Hadrian (117–138 n. Chr.)

14.6 Das frühe Christentum in der griechisch-römischen Gesellschaft

Literatur

15 Innere Krisen im frühen Christentum zwischen 60 und 135 n. Chr.

15.1 Die Kontinuitätskrise

15.2 Die Kohärenzkrise

Literatur

16 Innere Wandlungen im frühen Christentum zwischen 60 und 135 n. Chr.

16.1 Von der Bekehrungsreligion zur Traditionsreligion

16.2 Die religiösen Vollzüge

16.3 Die Etablierung von Ämtern

16.4 Die johanneische Bewegung

16.5 Askese

16.6 Die soziale Gestalt

16.7 Das Ethos

Literatur

Abkürzungen

Personenregister

Ortsregister

Sachregister

Stellenregister

Verzeichnis der Abbildungen

Vorwort

„Die verschiedenen Momente der Menschheit aneinander zu knüpfen, und aus ihrer Folge den Geist in dem das Ganze geleitet wird errathen, das ist ihr höchstes Geschäft. Geschichte im eigentlichsten Sinn ist der höchste Gegenstand der Religion, mit ihr hebt sie an und endigt mit ihr – denn Weißagung ist in ihren Augen auch Geschichte und beides gar nicht voneinander zu unterscheiden – und alle wahre Geschichte hat überall zuerst einen religiösen Zwek gehabt und ist von religiösen Ideen ausgegangen. In ihrem Gebiet liegen dann auch die höchsten und erhabensten Anschauungen der Religion.“ (Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1799], ed. G. Meckenstock, Berlin 2001, 100f.)

“History is merely gossip.” (Oscar Wilde, Lady Windermere’s Fan, 1892)

Die vorliegende Rekonstruktion der Geschichte des frühen Christentums ist als einführendes Lehrbuch konzipiert. Es setzt eine lange Forschungsgeschichte voraus und profitiert von unzähligen Vorarbeiten, kann diese aber in dem begrenzten Rahmen weder ausreichend würdigen noch die entsprechenden Einzeldiskussionen führen. Sie verzichtet daher nicht nur auf Fußnoten, sondern auch weitgehend auf die üblichen Formulierungen historischer Forschung wie „wahrscheinlich“ oder „möglicherweise“ usw., die den unvermeidlich hypothetischen Charakter von historischer Rekonstruktion anzeigen. Um die zahlreichen Einzelfragen vertieft studieren zu können, sei der Leser/die Leserin auf die Lektürehinweise am Ende jedes Kapitels verwiesen. Über diese hinaus können ausführlichere Gesamtstudien zur Geschichte des frühen Christentums herangezogen werden.

Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut: Nach einer Einführung zum Thema „Geschichte des frühen Christentums“ wird zunächst ein Überblick über den antiken Kontext gegeben, der für das Verständnis der Entwicklung des frühen Christentums unerlässlich ist. Daran anschließend widmet sich ein relativ breiter Abschnitt der Chronologie, wobei dieser Teil auch als Vorausblick auf die folgenden Kapitel dient. Diese orientieren sich grob an einem chronologischen Ablauf, berücksichtigen aber auch geographische Aspekte: die Wirksamkeit Jesu von Nazareth, die ersten Christusgläubigen in Palästina, Syrien, Kleinasien und Griechenland bis hin zu den weiteren Entwicklungen im beginnenden 2. Jh. n. Chr. Dabei stehen die Positionierung zu judäischen Identitätsmerkmalen, die innergemeindlichen Entwicklungen sowie das Verhältnis zur nicht-christlichen Gesellschaft im Fokus. Einige Exkurse widmen sich bedeutenden Personen des frühen Christentums.

Zwei sachliche Anliegen durchziehen diese Rekonstruktion: Zum einen soll gezeigt werden, dass die Entstehung des frühen Christentums mit den historischen und kulturellen Entwicklungen des 1. Jhd. n. Chr. verbunden ist. Geschichte ist nicht anders zu denken als unter Berücksichtigung der zahlreichen Kontexte, in die sie eingebettet ist.

Zum anderen soll die von Anfang an bestehende Diversität des frühen Christentums erkenntlich werden, um zu ermöglichen, die frühchristlichen Texte im Rahmen ihrer Entstehungssituation deuten zu können. Die Rekonstruktion der Geschichte des frühen Christentums hat ihre Bedeutung eben auch darin, zu einem besseren Verständnis der Glaubenszeugnisse des Anfangs zu verhelfen und so zum Gesamten der Theologie beizutragen.

Die Basis einer Rekonstruktion der Geschichte des frühen Christentums sind die Quellen der Antike, nicht nur des Neuen Testaments, sondern auch weit darüber hinaus. Viele der in diesem Buch erwähnten Texte außerhalb des Neuen Testaments sind in einschlägigen Quellensammlungen abgedruckt, unter denen jene, die von Jens Schröter und Jürgen Zangenberg herausgegeben wurde, hier empfohlen sei. Für das Studium des kultur- und religionsgeschichtlichen Kontextes finden sich in den Bänden aus der Reihe „Neues Testament und Antike Kultur“ gute Einführungen zu einzelnen Themenbereichen. Lexika wie „Der Neue Pauly“ bieten Einzelinformationen zu Personen, Orten und Sachen.

Ich danke herzlich all jenen, die an der Gestaltung des Buches sowohl in inhaltlicher wie formaler Hinsicht mitgewirkt haben: Lukas Bormann für die kritische Lektüre, Clarissa Breu und Kerstin Böhm für zahlreiche inhaltliche Vorschläge und Korrekturen, Milena Heussler und Sarah Herzog für die Überprüfung von Belegen und die Erstellung von Registern, sowie meiner Tochter Corinna Öhler für die Bearbeitung der Karten, für deren Bereitstellung ich den Kollegen D.-A. Koch und U. Schnelle danke.

Literatur

Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, 18 Bände, Stuttgart/Weimar 1996–2003.

James D. G. Dunn, Beginning from Jerusalem, Christianity in the Making 2, Grand Rapids/Cambridge 2009.

ders., Neither Jew nor Greek. A Contested Identity, Christianity in the Making 3, Grands Rapids/Cambridge 2015.

Kurt Erlemann/Karl-Leo Noethlichs/Klaus Scherberich/Jürgen Zangenberg, Neues Testament und Antike Kultur, 5 Bände, Neukirchen-Vluyn 2004–2008.

Dietrich-Alex Koch, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 22014.

Eckhard J. Schnabel, Urchristliche Mission, Wuppertal 2002.

Udo Schnelle, Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, Göttingen 22016.

Jens Schröter/Jürgen Zangenberg, Texte zur Umwelt des Neuen Testaments, UTB 3663, Tübingen 2013.

Alexander J. M. Wedderburn, A History of the First Christians, London 2004.

1 Grundfragen einer Geschichte des frühen Christentums

1.1 Worum es geht …

1.1.1 Der Gegenstand „Christentum“

(Begriffsklärung)

Eine Geschichte des „Christentums“ setzt einen Begriff voraus, der im Neuen Testament nicht vorkommt. Xριστιανισμός/Christianismos begegnet erstmals im 2. Jh. n. Chr. bei Ignatius von Antiochien in seinen Briefen an die Gemeinden von Magnesia, Philadelphia und Rom (IMagn 10,1.3; IPhilad 6,1; IRöm 3,3), wobei dies dort u. a. als Gegensatz zum Judentum (griech. Ίουδαϊσμός/Judaismos) erscheint. Mit der heutigen Verwendung des Begriffs „Christentum“ wird allerdings eine soziologische und theologische Einheit als Religion postuliert, die, so wird im Folgenden immer wieder deutlich werden, in der Frühzeit nicht bestand. Zudem wird damit häufig die Vorstellung von der Trennung von einem als Einheit verstandenen „Judentum“ verbunden. Auch diese geschah erst in einem lange dauernden und unterschiedlich ablaufenden Prozess. Und schließlich dient der Begriff „Christentum“ bis heute als Abgrenzung zu einem antiken „Heidentum“, das aus zahlreichen Kulten unterschiedlicher Form und Geschichte bestand und keine Ganzheit darstellte.

(Christianoi)

Die Bezeichnung Christianismos selbst geht auf die Benennung von Christusgläubigen als Christianoi (griech. Χριστιανοί) durch Außenstehende zurück (Apg 11,26; 26,28). Sie wurde erst gegen Ende des 1. Jh. n. Chr. auch als Wort für die eigene religiöse Identität übernommen (1Petr 4,16). Im Neuen Testament begegnen viele andere Bezeichnungen (s. u. S. 175, 251), sie lassen sich allerdings nicht auf einen Nenner bringen.

(Alternative Begriffe)

In jüngerer Zeit haben Autorinnen und Autoren daher auf soziologische Begriffe zurückgegriffen: So wurden „Bewegung der Gottesherrschaft“, „Jesusbewegung“, „Jesusnachfolger“ oder „Anhänger und Anhängerinnen Jesu“ mit guten Gründen als Bezeichnungen verwendet, weil sie auf die Zeit vor Ostern verweisen. Sie sind allerdings darin defizitär, dass sie die besondere Bedeutung des Glaubens an Christus nicht abbilden können. Andere versuchen es mit „Glaubende an Christus“, „Jesus- bzw. Christusverehrer“ oder „Christusgemein-schaft“ und ähnlichen Konstruktionen. Insbesondere „Glaubende“ bzw. „Gläubige“ hat den Vorteil, dass damit eine Selbstbezeichnung aufgenommen wird, die in den Paulusbriefen begegnet (u. a. 1Thess 1,7; 1Kor 1,21; 14,22; Gal 3,22), aber auch darüber hinaus (1Petr 2,7; 1Joh 5,1.5.10). Allerdings ist auch dies nur ein Begriff aus der Vielzahl übergreifender Ausdrücke, die zeitlich und lokal offenbar ganz unterschiedlich ausgebildet wurden. Es bleibt so kaum eine andere Wahl, als einen Begriff zu verwenden, allerdings stets im Bewusstsein, dass er den bezeichneten Sachverhalt nur ungenau abbildet. Im Folgenden sprechen wir daher einerseits von „Christusgläubigen“, greifen aber andererseits für das zu besprechende Phänomen auf den klassischen Begriff „Christentum“ zurück, für den sich keine sprachlich sinnvolle Alternative ergibt. Es wird aber stets zu beachten sein, dass damit

Juden oder Judäer?

(Judaioi)

Anfang des 21. Jh. setzte in der Judaistik wie in der Erforschung des frühen Christentums eine Debatte ein, die gegenwärtig noch anhält und deren Ausgang noch nicht entschieden scheint. Dabei geht es um die Frage, ob die griechische Bezeichnung Ίουδαίοι/Judaioi mit „Juden“ oder mit „Judäer“ zu übersetzen ist.

Für die Wiedergabe mit „Judäer“ ist Folgendes vorgebracht worden: Es handelt sich aus antiker Perspektive eindeutig um ein Volk, nicht um eine Religion. Auch alle anderen griech. Volksbezeichnungen verweisen auf den Herkunftsort des entsprechenden Volkes. Ob Judaioi tatsächlich in Judäa selbst wohnen oder in der Diaspora, ist dabei irrelevant. Auch der griechische Begriff Ίουδαϊσμός/Judaismos ist dementsprechend nicht mit „Judentum“ wiederzugeben, also im Sinne einer Religion, sondern meint die Orientierung an der Lebenskultur des Volkes der Judäer. Die klassische Wiedergabe von Judaioi mit „Juden“ wird allerdings vehement verteidigt. Zum einen verstünden sich bereits seit der Makkabäerzeit die Judaioi selbst als Volk und Religion zugleich. Das zeige sich daran, dass man zum Judaismos übertreten kann (vgl. 2Makk 6,1–11 und 9,13–17). Zum anderen werde mit der Bezeichnung „Judäer“ die antike Geschichte des Judentums vom gegenwärtigen Judentum getrennt. „Judäer“ sollte daher ausschließlich für Bewohner des Gebietes Judäa in Palästina verwendet werden.

Im vorliegenden Buch werden beide Begriffe verwendet, wobei durch den Gebrauch jeweils angezeigt werden soll, ob eine vor allem ethnische oder eine kulturell-religiöse Perspektive vorliegt, auch wenn beides miteinander eng verbunden bleibt.

1. keine schon abgeschlossene Trennung vom Judentum impliziert ist;

2. keine soziologische oder theologische Einheit vorausgesetzt wird;

3. der Zusammenhang zwischen der Zeit des historischen Jesus und der Zeit der Gemeinschaften von Christusgläubigen nicht übergangen wird.

1.1.2 „Urchristentum“ oder „Frühes Christentum“?

(Die Fiktion der idealen Anfänge)

Der Begriff „Urchristentum“ stammt von Johann Bernhard Basedow (1723–1790) und ist eine abgekürzte Form von „ursprüngliches Christentum“. Er bezeichnet hier noch keine Zeitepoche, sondern das nach seiner Meinung unverfälschte, reine und originale Christentum, das in Verfall geraten sei. Diese Verfallstheorie beherrschte im 19. Jh. auch in anderen Bereichen der Wissenschaft den Blick auf die Anfänge kultureller und naturwissenschaftlicher Phänomene (u. a. Sprachwissenschaft, Anthropologie, Geologie). In der modernen Forschung wird der Begriff „Urchristentum“ allerdings nicht mehr ausdrücklich wertend, sondern im Blick auf einen Zeitabschnitt oder eine Epoche verwendet, wie z. B. zuletzt in dem Werk von Dietrich-Alex Koch. Der Ausdruck hat zwei Vorteile: 1) Es handelt sich um eine eingebürgerte Begrifflichkeit. 2) Eine Verwechslung mit dem Wissenschaftsbereich der frühchristlichen Archäologie bzw. Kunstgeschichte, die die Zeitspanne bis zum 6. Jh. n. Chr. untersucht, wird damit vermieden.

(Begriffsbildung)

Gegen die Verwendung von „Urchristentum“ spricht allerdings, dass damit vielfach immer noch eine Idealisierung der fernen Vergangenheit und eine Kritik an der Gegenwart verbunden werden. Das betrifft auch Ausdrücke wie „Urperiode“, „Urgemeinde“ oder „Urkirche“. Zudem finden sich in der Erforschung der griechisch-römischen Antike keinerlei Analogiebildungen, etwa im Sinne eines „Ur-Mithraismus“ oder eines „Ur-Judentums“. Auch die angloamerikanische Forschung hat diese Terminologie nicht aufgenommen. Alternativen haben sich zu Recht nicht durchgesetzt: Die Rede vom apostolischen bzw. nachapostolischen Zeitalter hat den Nachteil, ideale Anfänge, noch dazu verknüpft mit der schon im 1. Jh. n. Chr. umstrittenen Bezeichnung „Apostel“, zu konstruieren.

Man sollte daher einen neutralen Begriff verwenden: „Frühchristentum“, „Frühes Christentum“ oder „Anfänge des Christentums“ beschreiben dementsprechend das Phänomen, um das es im Folgenden gehen wird.

1.1.3 Die zeitliche Abgrenzung

(Beginn)

Die Frage, wann das Christentum beginnt, was also zu einer Geschichte des frühen Christentums gehört, wurde und wird unterschiedlich beantwortet. Zahlreiche Rekonstruktionen beginnen mit Jesus von Nazareth. Der Grundgedanke ist dabei, dass zwischen dem Wirken Jesu und der Entwicklung des Christentums eine Kontinuität besteht, die auch konzeptionell abgebildet werden soll.

(Jesus als Teil des frühen Christentums?)

Der Gegenentwurf sieht den Beginn des Christentums beim Tod Jesu bzw. bei der Ostererfahrung. Die theologische Begründung dafür geschieht häufig im Anschluss an Rudolf Bultmann, der die Bedeutung des Osterereignisses in den Vordergrund rückte. Erst ab der Zeit, als es einen wie auch immer gearteten „Glauben an Christus“ gegeben habe, könne man von Christentum und daher auch von seiner Geschichte sprechen. Jesus habe keine Bewegung oder gar „Religion“ gründen wollen, diese sei erst nach Ostern entstanden.

Beide Optionen haben ihre Nachteile: Ein Ansatz bei Jesus oder sogar bei Johannes dem Täufer steht in der Gefahr, die durch die Ostererfahrung bewirkten Unterschiede im Verständnis der Geschichte Jesu und der Entwicklung des frühen Christentums zu verwischen. Nach Ostern, das zeigen die Darstellungen der Evangelien, war Jesus von Nazareth für die ersten Christusgläubigen der geglaubte Christus, der als gegenwärtiger Herr seine Gemeinde leitet und über die Geschichte herrscht.

Ein Ansatz einer Geschichte des frühen Christentums erst nach Ostern ist in der Gefahr, die vor- und nachösterlichen Entwicklungen auseinanderzureißen und damit ein wesentliches Moment der Geschichte des frühen Christentums, die Kontinuität, zu vernachlässigen. Die Prägung des Christentums durch das Wirken des historischen Jesus tritt dabei stark in den Hintergrund.

Das vorliegende Lehrbuch setzt bei Jesus, genauerhin bei seiner Geburt, ein, schlicht aus dem pragmatischen Grund, dass eine Geschichte des frühen Christentums auch auf die Fragen nach den „vor-christlichen“ Anfängen Antworten geben muss. Dabei wird im Folgenden darauf geachtet werden, dass jene einschneidenden Veränderungen, die die Kreuzigung Jesu und die Auferstehungserfahrungen für die Anfänge des christlichen Glaubens und daher auch für dessen historische Re-Konstruktion bedeuten, nicht zugunsten der Betonung von Kontinuität verloren gehen.

(Ende)

Wann von dem Ende des frühen Christentums gesprochen werden kann, ist ebenfalls umstritten. Wann waren die Anfänge abgeschlossen und wann begann die Zeit der Alten Kirche?

(Konsolidierung / 4 v. Chr. bis 135 n. Chr.)

Es finden sich sehr frühe Abgrenzungen: der Tod des Paulus bzw. der Apostel in den späten 60er-Jahren des 1. Jh. n. Chr. oder das etwa zeitgleiche Ende des 1. Judäischen Aufstands mit der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. Allerdings stammen die meisten Texte des Neuen Testaments aus den letzten Jahrzehnten des 1. und ersten Jahrzehnten des 2. Jh. n. Chr. Hinzu kommt, dass theologische und institutionelle Ansätze aus der Frühzeit in der ersten Hälfte des 2. Jh. n. Chr. zwar nicht zu einem Abschluss kamen, aber Entwicklungen erreichten, hinter die man später nur noch selten zurückging. Das gilt etwa für die Ausformung von Gemeindestrukturen oder die Bedeutung autoritativer Schriften, die dann später Teil des neutestamentlichen Kanons wurden. Diese Konsolidierungsphase setzt mit den Schriften der sogenannten „Apostolischen Väter“ ein, u. a. der Didache, den Ignatiusbriefen und dem 1. Clemensbrief, und reicht bis zu den ersten apologetischen Texten wie dem Quadratus-Fragment, der Apologie des Aristides, dem Kerygma Petri und dem Diognetbrief. Letztere markieren durch die literarische Hinwendung an eine intellektuelle Elite eine Neuorientierung. Sie fällt zeitlich zusammen mit verschiedenen Entwicklungen, die ab etwa 140 n. Chr. erkennbar werden: dem Aufblühen der Gnosis und der Bildung autoritativer Sammlungen frühchristlicher Texte. Hinzu treten zwei historische Entwicklungen, die eine Abgrenzung um etwa 135 n. Chr. sinnvoll machen: In diesem Jahr endete der zweite Aufstand der Judäer (132–135 n. Chr.), und 138 n. Chr. starb Kaiser Hadrian. Die vorliegende Rekonstruktion einer Geschichte des frühen Christentums reicht daher von der Geburt Jesu im Jahr 4 v. Chr. bis 135 n. Chr.

1.2 Quellen

(Paulusbriefe)

Den Grundstock für die Rekonstruktion der Geschichte des frühen Christentums stellen selbstverständlich die neutestamentlichen Texte dar, wobei die echten Paulusbriefe (Röm, 1/2Kor, Gal, Phil, 1Thess, Phlm) hier besonders wichtig sind. Sie sind Zeugnisse eines Beteiligten an dieser Geschichte. Allerdings ist stets zu beachten, dass Paulus in seinen Briefen nicht daran interessiert ist, objektive Berichte zu geben. Zudem handelt es sich um Gelegenheitsschreiben, die in der Regel nur partielle Rückschlüsse zulassen.

(Apostelgeschichte)

Mit der Apostelgeschichte ist uns ein mehr oder weniger zusammenhängender Bericht über Ereignisse etwa bis zum Anfang der 60er Jahre überliefert, der aus einem historischen Abstand verfasst wurde. Obwohl der Verfasser Quellen verwendete, die sich z. T. rekonstruieren lassen, hat er doch seine eigene Sicht in die Darstellung eingetragen. Dies ist besonders dort auffällig, wo uns Zeugnisse des Paulus zum selben Ereignis vorliegen, wie das etwa beim Apostelkonvent der Fall ist. Hier ist Paulus – unter Berücksichtigung der oben genannten Einschränkungen – jeweils vorzuziehen. In weiten Bereichen sind wir freilich allein auf die Apostelgeschichte angewiesen.

(Weitere Texte des frühen Christentums)

Die anderen Schriften des Neuen Testaments, wie die deuteropaulinischen Schreiben, die Evangelien, die sogenannten katholischen Briefe und die Johannesapokalypse, bieten zumeist nur indirekte Informationen für die Geschichte des frühen Christentums. Gerade für die Zeit nach dem Tod der ersten Generation sind sie aber unverzichtbar und über weite Strecken die einzigen Quellen, die wir haben. Dies gilt auch für die sogenannten „Apostolischen Väter“, von denen einzelne Texte zeitlich in die Spätphase des Neuen Testaments gehören.

Für andere außerkanonische bzw. apokryphe Schriften gilt zumeist, dass ihre Entstehungszeit jenseits unseres Zeitrahmens liegt. Ihre Berichte sind gegenüber älteren Quellen in der Regel sekundär, können im Einzelfall aber auch aufschlussreich sein. Die Nachrichten der Kirchenväter, wie z. B. von Irenäus oder Euseb, sind ähnlich zu beurteilen: Sie bieten direkte Nachrichten über bestimmte Ereignisse, freilich oft in Abhängigkeit von der Apostelgeschichte. Häufig sind sie legendarisch überformt, manchmal sogar frei erfunden, im Einzelfall aber u. U. glaubwürdig.

(Antike Historiker)

Abgesehen von christlichen Quellen sind Zeugnisse antiker Historiker heranzuziehen, wobei auch hier deren jeweiliges Darstellungsinteresse zu beachten ist. Diese bieten zwar so gut wie keine Informationen über das Christentum, helfen uns aber, die Ereignisse in einen größeren historischen Rahmen zu stellen. Zur Geschichte des frühen Judentums ist der jüdische Historiker Flavius Josephus (gest. um 100 n. Chr.) von größter Bedeutung, vor allem seine Bücher über den 1. Judäischen Aufstand Bellum Iudaicum (bell.) und die Geschichte des judäischen Volkes Antiquitates Iudaicae (ant.). Auch der hellenistisch-jüdische Philosoph Philo von Alexandrien (gest. nach 40 n. Chr.) ist eine Informationsquelle ersten Ranges. Fallweise sind auch rabbinische Quellen durchaus weiterführend. Aus der griechisch-römischen Literatur sind Plinius der Jüngere, Tacitus, Sueton, Cassius Dio u.v.m. unentbehrlich, vor allem um die Welt der frühen Christusgläubigen besser zu verstehen.

(Inschriften und Papyri)

Die Rekonstruktion historischer Ereignisse der Antike kann allerdings nicht allein auf Grundlage literarischer Quellen erfolgen, sondern muss auch andere Zeugnisse zu integrieren versuchen. Hier sind zunächst Inschriften zu nennen, die uns über historische Umstände und soziale Verhältnisse informieren und manchmal für Datierungen von besonderer Bedeutung sind. Ähnlich ist dies bei papyrologischen Zeugnissen, wobei vor allem bei den zahlreichen nicht-literarischen Papyri der oftmals lokale und private Charakter mit zu bedenken ist. Hinzu treten archäologische Überreste der Antike, die nicht nur die Lebenswelt der ersten Christusgläubigen illustrieren, sondern u. U. Rekonstruktionen historischer Umstände bzw. Abläufe ermöglichen. Auch Münzen spielen schließlich eine wichtige Rolle.

1.3 Historische Re-Konstruktion

(Methodik)

Zunächst und vor allem wird Geschichte historisch-kritisch erarbeitet, genauerhin durch die Sichtung der Quellen, die Qualifizierung ihrer historischen Zuverlässigkeit und die Einordnung der einzelnen Ereignisse in einen chronologischen Rahmen. Dabei wird jeweils das Interesse der antiken Autoren zu berücksichtigen sein, deren narrative Strategie und soziale wie religiöse Verankerung.

(Re-Konstruktion)

Wie jede Geschichtsforschung basiert auch die Rekonstruktion der Geschichte des frühen Christentums also auf der Interpretation von Quellen. Sie re-konstruiert eine Ereignisfolge, die sich nicht von selbst aus den Quellen erschließt, sondern erschlossen werden muss. Geschichtsschreibung erzählt so aus einer bestimmten Perspektive, die sich aus den Fragestellungen ergibt, aus der Position des Beobachters/der Beobachterin und dem Ziel seiner oder ihrer Erzählung. Wir interpretieren also die oben genannten Quellen und ordnen die Ergebnisse in einen Zusammenhang ein, den wir dann „Geschichte“ nennen. Diese Interpretationen und Zusammenhänge sollen nicht nur plausibel, also möglich sein, sondern im Rahmen der Methoden der Geschichtsforschung auch wahrscheinlich. Es muss nur stets bewusst bleiben, dass es sich um Konstruktionen handelt, nicht um Abbildung historischer Wirklichkeit oder die Wiedergabe von Fakten. Im Diskurs jener, die sich mit der Geschichte befassen, muss sich eine historische Rekonstruktion dann bewähren.