Kitabı oku: «Affentheater, letzter Vorhang»

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Inhalt

Titel

Impressum

Einleitung

I - Nah am Affen gebaut

II -Periodensystem der anderen Art

III - Wie ungerecht die Welt doch ist

IV - Eineinhalb Erden bitte

V - Multiples Organversagen

VI - Abgesang auf den Kapitalismus

VII - Das Affentheater endet bald

VIII - Möglicher Ausweg

Literaturverzeichnis

Markus Tödter

Affentheater, letzter Vorhang

Markus Tödter

Affentheater, letzter Vorhang

Die nächsten Jahre entscheiden

über die Zukunft der Menschheit

Imprint

Affentheater, letzter Vorhang

Markus Tödter

Copyright: © 2013 Markus Tödter

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-7319-9

Coverlayout und -bild: Markus Tödter

Cover-Foto mit freundlicher Genehmigung

durch den Tierpark Hellabrunn in München

Für Susi

Einleitung

Die Menschheit ist dem Untergang geweiht! Es ist fünf vor zwölf! Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter!

Ich bin sicher nicht der Erste, der als Orakel des Weltuntergangs auftritt. In diesem Buch werde ich zeigen, weshalb die nächsten Jahre abseits aller Panikmache wirklich entscheidend für den weiteren Werdegang der Menschheit sind. Weshalb die unterschiedlichsten Entwicklungen auf einen Punkt zusteuern: einen „Point of no Return“. „Weltuntergang“ muss in diesem Zusammenhang nicht unbedingt heißen, dass die Menschheit komplett ausstirbt. Darunter subsumiere ich auch eine weitere negative Entwicklung in der Zukunft, die in einer Dystopie enden kann.

Die Herausforderungen, vor denen wir alle stehen, sind groß. Da wäre zunächst einmal die Klimaerwärmung mit ihren dramatischen Auswirkungen auf unser Leben. Damit zusammenhängend die Nutzung fossiler Brennstoffe, auf deren bezahlbare Verfügbarkeit das globale Wirtschaftssystem aufbaut und die gleichzeitig einer der Hauptgründe für die Erwärmung auf der Erde darstellt. Erdöl und Erdgas, Steinkohle und Braunkohle können auch als gute Beispiele für den menschlichen Umgang mit endlichen Ressourcen dienen. So werden diese zum einen ohne Rücksicht auf kommende Generationen ausgebeutet, zum anderen verschmutzen sie die Umwelt - ebenfalls zum Schaden unserer Kinder und Enkel.

Zudem darf die weit verbreitete Armut auf unserem Planeten nicht vergessen werden. Sowohl die relative Armut, wie vorwiegend bei uns in Deutschland ausgeprägt, als auch die lebensbedrohende in den Entwicklungsländern, die einen täglichen Kampf ums Überleben zur Folge hat.

Aber zwei andere Entwicklungen sind von noch größerer Tragweite. Erstens die durch ungezügelte Gier ausgelöste Finanzkrise von 2007 nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, welche in der Folge zu einer weltweiten Wirtschaftskrise anschwoll. Sie stellt nach dem Ende des Kommunismus in den 90ern nun auch den schon als glänzenden Sieger wirkenden Kapitalismus ernsthaft in Frage. Zweitens die Erkenntnis, dass Geheimdienste ein besonderes Interesse daran haben, die Kommunikation aller Menschen unter dem Deckmantel der Terrorismusabwehr zu überwachen. In den Medien wird in diesem Zusammenhang immer wieder der Name George Orwell genannt. In seinem Buch 1984 sagte er einen Überwachungsstaat voraus, der sich in einem ewigen Krieg mit zwei anderen Staaten befindet. „Welche Weitsicht!“, möchte man Orwell zurufen. Big Brother sitzt in jedem Handy, lauscht bei jedem Anruf mit und schaut dem Internetsurfer über die Schulter. Welche große Gefahr von dieser Totalüberwachung ausgeht, werde ich ausführlich darlegen. Ich habe mir zur Aufgabe gesetzt, in diesem Buch zu zeigen, dass die zunehmende Überwachung der Bürger einen Teil der Krise des Kapitalismus darstellt - dem schwerwiegendsten Problem für die gesamte Menschheit.

Besonders möchte ich hervorheben, weshalb die Jahrmilliarden Evolution, die das irdische Leben auf dem Buckel hat, auch in uns noch ihre tiefen, unauslöschlichen Spuren hinterlassen haben und welche Konsequenzen sich daraus für die Bewältigung der genannten Herausforderungen ergeben.

Der Mensch ist ein gespaltenes Wesen. Zum einen zerrt an ihm die Verantwortung gegenüber der Gruppe, in der er lebt. Zum anderen verlangt sein Ich nach einem möglichst angenehmen Leben. Auf diesem Lebensweg wird die Richtung von den Gegensätzen aus Trieben und Emotionen sowie der Vernunft bestimmt. Menschliches Leben zeigt aus diesen Gründen zahlreiche unterschiedliche Facetten. Für welche davon die Gene verantwortlich sind, und wobei Umwelt und Sozialisation ihre Finger im Spiel hatten, ist auch unter Experten heftig umstritten. Besonders in den Wirtschaftswissenschaften gewinnt im Moment eine neue Richtung an Bedeutung, die den auf Eigennutz ausgerichteten „Homo oeconomicus“ zur aussterbenden Art verurteilen könnte.

Aus den genannten Gründen gehe ich zu Beginn des Buches auf die Nähe des Menschen zu den anderen Tieren ein. Schon allein diese Unterscheidung zwischen Mensch und Tier jedoch ist mehr intellektueller als biologischer Natur. Um es mit den Worten von Max Moor zusammenzufassen: „Der Mensch ist ein problematisches Tier.“ Die Grundstruktur des Homo sapiens sapiens unterscheidet sich nicht besonders von anderen hoch entwickelten Säugetieren. Vermutlich haben Sie auch schon einmal gelesen oder gehört, dass die menschliche DNA nur zu 1,5 Prozent von der eines Schimpansen differiert. Zwar befinden sich diese Unterschiede in den entscheidenden Bereichen des Genoms, dennoch ist die Ähnlichkeit frappierend.

Vor fünfeinhalb Millionen Jahren trennte sich der evolutionäre Weg von Mensch und Menschenaffen. In dieser Zeit entwickelten wir uns zur weltbeherrschenden Spezies, deren Verhalten über die Zukunft des Lebens auf dem Planeten Erde entscheidet. Der Stammbaum spaltete sich vor zweieinhalb Millionen Jahren noch einmal in Schimpansen und Bonobos, die somit unsere biologischen Nichten und Neffen darstellen.1

Wie bei einem Computer lässt sich in unserem Gehirn unterscheiden zwischen dem Betriebssystem an sich, das beim Menschen viel höher entwickelt ist als bei allen anderen Tieren, und dem Kernel, dem Kern des Betriebssystems, das nur marginale Unterschiede aufweist und für die grundlegende Steuerung verantwortlich zeichnet. Klar zu erkennen ist dies vor allem dann, wenn eine Entscheidung „aus dem Bauch heraus“ getroffen wurde. Zwar verfügt auch dieser über eine immense Anzahl Nervenzellen – über 100 Millionen, um genau zu sein –, und damit mehr als das Rückenmark, aber diese von uns als „Bauchentscheidungen“ empfundenen Festlegungen laufen dennoch im menschlichen Gehirn ab. Wieso dessen Funktionsweise dafür verantwortlich ist, dass Millionen Menschen hungern müssen, riesige „Plastikinseln“ im Pazifischen Ozean treiben und die reichsten 300 Menschen so viel besitzen wie die ärmsten 3 Milliarden Menschen, erfahren Sie auf den nächsten 228 Seiten.

Es gibt auf dem Büchermarkt, besonders seit Ausbruch der Wirtschaftskrise, eine Vielzahl an Neuerscheinungen, die sich mit den systemimmanenten Nachteilen des kapitalistischen Wirtschaftssystems auseinandersetzen. Zudem wurde schon vor mehreren Jahrzehnten der geringe Unterschied zwischen Mensch und Tier eindrucksvoll herausgestellt. Mein Ziel ist es, diese beiden Themenkomplexe zu vereinen und als das darzustellen, was sie sind: Ursache und Wirkung.

In den ersten beiden Kapiteln konzentriere ich mich hauptsächlich auf die inneren Vorgänge, die uns zum Menschen machen, und welche davon problematisch für den weiteren positiven Verlauf der Menschheitsgeschichte sind. Welche Auswirkungen sich aus dem menschlichen Bauplan ergeben, wird Bestandteil meiner Überlegungen in den Kapiteln drei bis sechs sein. Anschließend gehe ich in Kapitel sieben auf die wahrscheinliche Zukunft näher ein. Wie man diese zu erwartende dramatische Verschlechterung der derzeitigen Situation verhindern könnte, beleuchte ich im abschließenden achten Kapitel.

1 Waal, Frans de: Der Affe in uns, S. 26

I – Nah am Affen gebaut

„Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach hat er auf weitere Experimente verzichtet.“

(Mark Twain)

Triebgesteuert

Dieses Buch über die Zukunft der Menschheit beginnt, wie der Mensch selbst: mit Sex. Natürlich durch eine neutrale Brille betrachtet, die wir uns von einem beobachtenden Wissenschaftler ausgeliehen haben.

Einige Leser werden sich fragen: „Was hat der Geschlechtsakt mit den Auswüchsen des Kapitalismus zu tun?“ Diesen antworte ich: „Mehr als Sie denken“ und „Warten Sie es ab“.

In diesem Kapitel möchte ich in einem kleinen Exkurs verdeutlichen, wie wichtig das Gehirn für unser Leben ist. Der bekannte Gehirnforscher Dick Swaab behauptet in seinem gleichnamigen Buch sogar, dass „wir unser Gehirn sind“. Das Handeln wird zu 100 Prozent vom Gehirn gesteuert. Da unser Rechenzentrum das Ergebnis einer mehr als drei Milliarden Jahre dauernden Evolution darstellt, darf es nicht verwundern, wenn biologische Restbestände unbewusst tief in uns schlummern und dafür sorgen, nicht immer erklärbare Entscheidungen zu fällen.

Der Sexualtrieb stellt einen wichtigen Bestandteil der menschlichen Persönlichkeit dar. Auch deshalb eignet er sich gut, um zu zeigen, dass der Mensch vielen Tieren entwicklungsgeschichtlich näher steht als gemeinhin bekannt ist. Bereits Charles Darwin stellte 1871 fest, „dass es keinen grundlegenden Unterschied zwischen dem Menschen und den höheren Säugetieren hinsichtlich ihrer geistigen Fähigkeiten gibt.“

Ohne Fortpflanzung gäbe es weder den Menschen, noch seine nächsten Verwandten, Schimpansen und Bonobos, nicht einmal Mäuse oder Fliegen. Unsere Spezies ist auf Sex angewiesen, um sich selbst zu erhalten. „Reproduktion ist zu wichtig, um sie dem Zufall zu überlassen.“1 An sich eine triviale Erkenntnis, dennoch sind Menschen immer wieder verwundert, weshalb dieser Trieb über rationale Entscheidungen gestellt wird. Viele Scheidungsanwälte können davon gut leben.

Die Sexualität ist überall auf der Welt durch Rituale und Strafen reguliert, da sie wegen der damit verbundenen Fortpflanzung nicht nur eine biologische Komponente besitzt, sondern auch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einflüssen unterliegt. Dennoch ist folgendes festzustellen: „Ein funktionsfähiges Moralsystem löst seine Regeln selten völlig ab von den biologischen Imperativen des Überlebens und der Reproduktion.“2 Dies zeigt sich in unseren Tagen etwa in einem nach wie vor größeren „Verständnis“ für Seitensprünge von Männern und der Bevorzugung der Mutter bei einer Sorgerechtsentscheidung.

In zahlreichen Umfrageuntersuchungen behaupten Wissenschaftler, dass Männer über einen stärkeren Sexualtrieb als Frauen verfügen. Aber diese Umfragen können als Beleg dafür dienen, dass sowohl Männer als auch Frauen in Bezug auf Sexualität nicht die volle Wahrheit sagen. Bei einer Umfrage mit Collegestudenten gaben die weiblichen Testpersonen der ersten Gruppe an, dass sie durchschnittlich 2,6 Sexualpartner in ihrem Leben hatten. Die Teilnehmer der zweiten Testgruppe dachten, dass sie von einem Lügendetektor überwacht werden. Diese Frauen gaben einen Durchschnittswert von 4,4 Sexualpartnern an – 1,8 Partner mehr als die „ungeprüften“ Teilnehmer. Bei den Männern zeigte sich ein entgegengesetztes Bild – allerdings nicht so extrem. Ohne Lügendetektor gaben sie 4,0 Sexualpartner an, mit angeblicher Überprüfung des Wahrheitsgehalts ihrer Aussage 3,7 Sexualpartner.3 Die Forscher halten die sozialen Erwartungen an das sexuelle Verhalten verantwortlich für dieses „Flunkern“ – besonders bei Frauen. Dieses Experiment verdeutlichte, dass die „Paarung“ auch für Frauen wichtiger ist als gemeinhin angenommen wird.

Außerdem beweisen die traditionellen Umfragen zur Sexualität, dass viele als gesichert angesehene wissenschaftliche Fakten ein Ablaufdatum besitzen, oftmals dadurch zustande gekommen, dass die Forscher zu viel Vertrauen in die Wahrheit der Aussagen der befragten Personen hatten. Was heute noch als richtig gilt, kann morgen schon widerlegt sein.

Vorurteile bergen oftmals einen wahren Kern in sich. Aber manchmal ist auch genau das Gegenteil der Fall. Wohin schauen Männer bei Frauen zuerst? Viele Leser und vor allem Leserinnen werden jetzt mit Überzeugung behaupten, auf Brust oder Po. Weit gefehlt. Wie Tests ergaben, richtet das (heterosexuelle) männliche Geschlecht beim Anblick einer Frau in einer pornographischen Szene die Augen zuerst auf das Gesicht, um dann in südlichere Gefilde vorzudringen. Also sind Männer doch nicht so viel anders als Frauen, werden Sie jetzt denken. Doch. Frauen schauen nämlich bei Pornos zuerst auf das Glied und sehen anschließend auf das Gesicht. Glauben Sie nicht? Dann fragen Sie die Wissenschaftler vom Center for Behavioral Neuroscience in Atlanta.4 Hier kann man zwei Punkte feststellen: Manches stellt sich anders dar als man denkt und die rudimentäre Steuerung des Sexualtriebs betrifft sowohl Männer als auch Frauen.

Wie sehr dies zutrifft, lässt sich gut an einem Thema verdeutlichen, über das nach dem Zweiten Weltkrieg der Mantel des Schweigens ausgebreitet wurde. Während sich die deutschen Männer an der Front befanden, blieben die Ehefrauen zurück und mussten oftmals die schwere Arbeit, etwa auf dem Bauernhof, alleine weiterführen. Um sie zu unterstützen, wurden Kriegsgefangene zur Hilfeleistung abgestellt. Nachdem der biologische Kern eines Menschen sich niemals ganz abstellen lässt, begannen einige dieser Frauen eine Liebesbeziehung mit einem Kriegsgefangenen, obwohl den Frauen bekannt war oder bekannt gewesen sein sollte, dass eine derartige Liaison gesetzlich untersagt war. So wurden viele Frauen zu Gefängnisstrafen verurteilt und die Kriegsgefangenen erhängt. Objektiv betrachtet ist es schon verwunderlich, wieso eine Frau unter diesen Umständen eine Beziehung beginnt. Einzige Erklärung: Ab einem gewissen Punkt übernimmt der Trieb die Steuerung und führt auch zu für sich selbst und andere gefährlichem Verhalten. Für die Natur ist dieses jedoch absolut sinnvoll. Wird so die eigene Art doch unter allen Umständen erhalten.

Ein Kampf im Inneren

Was die primitivsten Wünsche des Menschen sind, ist uns in der von Konsum bestimmten Welt oft nicht einmal mehr bewusst. Haben Sie schon einmal bei den Handygesprächen anderer Menschen zugehört? Natürlich nicht absichtlich, was soll man auch machen, wenn der Sitznachbar in der U-Bahn inbrünstig telefoniert. Ist Ihnen dabei aufgefallen, wie banal die meisten Gespräche sind? Es geht um den Freund/die Freundin, ums Essen, was man am Wochenende gemacht hat – hin und wieder sogar mit wem – und sonstige alltägliche Dinge. Hieran erkennt man gut, was für die meisten Menschen zählt. Nur selten bekommt man ein Gespräch mit über politische Themen oder wissenschaftlichen Austausch. Sicher, diese Interessenbereiche werden vermutlich eher persönlich oder im Internet behandelt. Dennoch lässt sich feststellen, dass zwischenmenschliche Interaktion sich wie bei unseren haarigen Vorfahren vor allem um zwei Dinge dreht: Wer wen gelaust hat und dass man den Bauch vollbekommt.

Treffend hat eines der „menschlichen Urbedürfnisse“ Diogenes von Sinope benannt, als ihm Alexander der Große seine Aufwartung machte. „Geh mir nur ein wenig aus der Sonne!“ – mit diesen Worten hat Diogenes auf den Punkt gebracht, was zu den wichtigsten Dingen zählt: Sonnenlicht. So banal es klingen mag. Die Krone der Schöpfung sehnt sich nach den Strahlen der Sonne. Genau wie ein Insekt an der Hausmauer oder die Kuh auf der Weide. Und wenn diese wärmenden Strahlen fehlen, wie etwa im Winter, kommt es bei vielen Menschen zu wetterbedingten Depressionen.

Um zu erkennen, welche Gründe hinter den großen drängenden Problemen der Menschheit stehen, muss man dem Menschen selbst auf den Grund gehen. 100 Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn bilden ein Geflecht der Intelligenz, die jeden Supercomputer immer noch wie einen Röhrenrechner wirken lassen. Dabei verbrauchen sie nur so viel Energie wie eine 15-Watt-Glühbirne. Die Gehirnzellen des Menschen sind so hoch entwickelt, dass Mäuse schlauer werden, wenn man ihnen solche einpflanzt. Dies hat eine Arbeitsgruppe um Steven Goldman und Maiken Nedergaard vom University of Rochester Medical Center festgestellt. Die „gepimpten“ Tiere lernten schneller, dass auf einen harmlosen Ton ein Elektroschock an den Füßen folgte und verfügten über einen besseren Orientierungssinn.

„Selbst wenn wir üblicherweise unsere Rationalität überschätzen, lässt sich nicht leugnen, dass menschliches Verhalten eine Kombination von Trieb und Intelligenz ist. Den uralten Drang nach Macht, Sex, Sicherheit und Nahrung können wir nur schlecht kontrollieren, aber gewöhnlich wägen wir das Für und Wider unseres Handelns ab, bevor wir ans Werk gehen.“5 Das limbische System sitzt an den Schalthebeln der Macht. Davon ist auch der Neurobiologe Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth überzeugt. Sind wir also überhaupt dazu fähig, rationale Entscheidungen zu fällen? Die klare Antwort darauf ist Jein. Denn unser Verstand kann zwar eine Handlungsalternative vorschlagen, entschieden wird jedoch immer emotional. Prof. Roth: „Das limbische System hat … gegenüber dem rationalen corticalen System das erste und das letzte Wort. Das erste beim Entstehen unserer Wünsche und Zielvorstellungen, das letzte bei der Entscheidung darüber, ob das, was sich Vernunft und Verstand ausgedacht haben, auch wirklich getan werden soll.“6

Es ist schwierig, den freien Willen zu determinieren. Drei Punkte werden häufig genannt: Es muss Alternativen, einen Grund und einen eigenen Antrieb für eine Handlung geben. „Nach dem derzeitigen Stand der Neurobiologie kann von einer völligen Freiheit nicht die Rede sein. Viele erbliche Faktoren und Umwelteinflüsse haben durch ihr Einwirken auf die Gehirnbildung in der Frühphase unserer Entwicklung die Struktur und die Funktion unseres Gehirns für den Rest unseres Lebens geprägt. Unser Verhalten ist von Geburt an schon zu einem wesentlichen Teil festgelegt.“7

Gefühle liegen in drei verschiedenen Arten vor: Als körperliche Bedürfnisse wie Durst, Hunger, Müdigkeit, Geschlechtstrieb und dem Wunsch nach sozialem Kontakt. Zudem als Affekte wie Zorn, Aggressivität, Wut und Hass. Und schließlich in der Form von Emotionen oder Gefühlen im engeren Sinn: Freude, Glück, Hoffnung, Enttäuschung, Furcht, Angst. „Körperliche Bedürfnisse und Affekte werden vom Hypothalamus erzeugt und reguliert, während für die Emotionen und die emotionale Konditionierung der Mandelkern, die Amygdala, zuständig ist.“8

„Auch auf unsere moralischen Entscheidungen haben wir wenig Einfluss. Wir billigen oder missbilligen Dinge, nicht weil wir intensiv darüber nachgedacht haben, sondern weil wir nicht anders können. Die Ethik ist eine Ausgeburt unserer uralten sozialen Instinkte, die, wie schon Darwin sagte, auf ein Handeln ausgerichtet sind, das der Gruppe nicht schadet.“9

Wir führen einen großen Teil der Zeit ein Leben auf Autopilot, in der wir „aus dem Bauch heraus“ entscheiden. Wenn hinter dem Busch ein Säbelzahntiger lauerte, hieß es erst handeln, und dann denken. Wer sich mit der Keule in der Hand dem Tiger stellte, hatte zumindest eine winzige Chance, den Jäger so zu überraschen, dass dieser von seiner zweibeinigen Beute abließ. Wer davon rannte, hatte zumindest die Hoffnung, dass er schneller rannte als einer seiner Gruppenmitglieder. Nur wer stehen blieb und überlegte, was er machen sollte, endete als Katzenfutter. An diesem Grundkonzept hat sich nicht viel geändert. Nur dass keine Säbelzahntiger hinter irgendwelchen Büschen lauern und dieses Verhalten in der modernen Zeit kontraproduktiv ist.

„Der Wissenschaftsjournalist Malcolm Gladwell schildert in seinem Buch Blink. Die Macht des Moments eindrucksvoll, welche wichtigen und komplexen Entscheidungen unser unbewusstes Gehirn innerhalb weniger Sekunden trifft. Und doch geschieht das erst, nachdem unser unbewusster Computer eine gigantische Anzahl von Analysen erstellt hat.“10

Das logische Denken und intuitives Entscheiden finden in verschiedenen Bereichen des Gehirns statt. „Nur bei intuitiven Entscheidungen werden der insulare Cortex und der vordere cinguläre Cortex aktiviert. Unser Gehirn muss zu einem wesentlichen Teil automatisch und unbewusst funktionieren, denn wir werden mit einer Unmenge von Informationen bombardiert. Mit Hilfe selektiver Wahrnehmung greifen wir unbewusst heraus, was für uns wichtig ist.“11 Täten wir das nicht, müssten wir riesige Köpfe mit riesigen Gehirnen auf unseren Schultern sitzen haben, die unser Körper nicht tragen könnte. Oder die Entscheidungen würden zu lange dauern.

Bei unbewussten Entscheidungen spielen sowohl kulturelle und gesellschaftliche Faktoren eine große Rolle als auch Emotionen, an denen „das vegetative Nervensystem umfassend beteiligt ist. Bei moralischen Urteilen spielen Emotionen sogar eine ausschlaggebende Rolle. […] All diese Entscheidungen unbewusst zu treffen hat natürlich auch seine Nachteile. Denn oft gewinnen unsere unbewussten rassistischen und sexistischen Einstellungen, zum Beispiel in Bewerbungsgesprächen an Relevanz.“12

Aufgrund der ständigen unbewussten Entscheidungen unseres überlasteten Gehirns spricht der in Harvard arbeitende amerikanische Psychologe Dan Wegner nicht von einem „freien Willen“, sondern von einem „unbewussten Willen“. „Der unbewusste Wille trifft anhand der Dinge, die sich in der Umgebung abspielen, rasend schnell Entscheidungen, für die Art und Weise unserer Hirnentwicklung und das bisher Erlernte ausschlaggebend sind. Da wir in einem komplizierten, sich stets wandelnden Umfeld leben, kann nicht davon die Rede sein, dass unser Leben auf vorhersehbare Weise determiniert ist, ebenso wenig ist aufgrund der Art und Weise, in der sich unser Gehirn entwickelt hat, ein völlig freier Wille möglich.“13

Neurowissenschaftler weisen immer wieder darauf hin, dass sie bei der Erforschung des Zusammenspiels von Verstand, Vernunft und Gefühlen erst noch am Start einer langen Forschungsreise stehen. „Benjamin Libet wies in seinem berühmten Experiment nach, dass das Bewusstsein bei sensorischen Reizen, die nahe am Schwellenwert liegen, und bei Handlungen, die von der Hirnrinde initiiert werden, etwa eine halbe Sekunde hinterherhinkt. Seine Schlussfolgerung, dass der ‚bewussten‘ Erfahrung eine unbewusste Hirnaktivität (Bereitschaftspotential) von etwa einer halben Sekunde vorangehe, die die Handlung in Gang setze, hat erhebliche Zweifel an der Möglichkeit gesät, aus freiem Willen zu handeln.“14 Allerdings werden Libets Beobachtungen zurzeit noch heftig diskutiert.

Für die Psychologin Susan Blackmore ist das Bewusstsein eine Geschichte, die im Nachhinein erzählt wird. Es ist noch nicht geklärt, ob man ein Veto gegen eine beabsichtigte Handlung einlegen kann. „Doch selbst wenn das Bewusstsein der Realität ein wenig hinterherhinkt, ist es nach wie vor nützlich. Denn wenn wir uns der Schmerz einer Wunde oder einer Entzündung nicht bewusst würde, wäre unsere Chance, darauf zu reagieren, und damit unsere Überlebenschance gering. Darüber hinaus werden wir eine solche Situation das nächste Mal tunlichst vermeiden. Die Tatsache, dass sich wesentliche Bereiche unseres Handelns unbewusst vollziehen, schließt nicht die Möglichkeit aus, unsere Aufmerksamkeit auf etwas zu konzentrieren, und damit bewusst zu handeln.“15

Dennoch sollte niemals die Macht der „rudimentären Entscheidungsstrukturen“ im menschlichen Gehirn unterschätzt werden. „Menschen können, haben Neurowissenschaftler herausgefunden, nachdenken und grübeln, so viel sie wollen, wenn die diversen sich ihnen bietenden Optionen nicht auch emotional gewichtet werden, können sie niemals zu einer Entscheidung oder Überzeugung kommen … Das ist bei der moralischen Willensbildung entscheidend, denn wenn überhaupt etwas, dann hat moralisches Verhalten etwas mit festen Überzeugungen zu tun. Zu solchen Überzeugungen kommt man nicht – oder besser: kann man nicht kommen – durch kühle Rationalität; sie erfordern die Sorge um andere und mächtige ‚Bauchgefühle‘, was richtig und falsch ist.“16

Im Rahmen des „Kampfes“ zwischen den verschiedenen Entscheidungssystemen des Gehirns kann es zu einer kognitiven Dissonanz kommen. Diese entsteht, wenn ein Spannungszustand zwischen freiwillig getroffener Entscheidung und vorhandenen Überzeugungen besteht. Um diesen als negativ empfundenen Gefühlszustand zu beenden, wird versucht, eine Begründung für das Verhalten zu finden. Gelingt dies nicht, wird die Wahrnehmung im Nachhinein an die getroffene Entscheidung angepasst, etwa durch Herunterspielen. Hintergrund dieses nachträglichen Rechtfertigens: Die betroffene Person möchte den Schein von der bewussten Kontrolle über das eigene Tun weiterhin aufrechterhalten. Desmond Morris, britischer Zoologe und Verhaltensforscher, beschrieb uns in seinem Werk Der nackte Affe so: „Dieser ebenso ungewöhnliche wie äußerst erfolgreiche Affe verbringt einen Großteil seiner Zeit damit, sich über seine hohen Zielsetzungen den Kopf zu zerbrechen, und eine gleiche Menge Zeit damit, dass er geflissentlich über seine elementaren Antriebe hinwegsieht.“17

Zu bestaunen ist eine Abweichung von dieser Kontrolle immer wieder bei dem Thema, ohne das die Hälfte der Lieder ungeschrieben geblieben wäre: die Liebe. Man kann es volkstümlich zusammenfassen: „Die Liebe ist ein Wort mit fünf Buchstaben, drei Vokalen und zwei Idioten.“ Oder wissenschaftlich wie Ambrose Bierce: „Liebe ist eine vorübergehende Geisteskrankheit, die durch Heirat heilbar ist.“

„Niemand der sich an das leidenschaftliche, blitzartige Erlebnis intensiver Verliebtheit erinnern kann, wird die Wahl seines Partners als ‚einen freien und wohldurchdachten Entschluss‘ charakterisieren können.“18 Der Gefühlszustand der Liebe ist ein Sinnbild für die teilweise „Unzurechnungsfähigkeit“, die unser Gehirn in bestimmten Situationen befällt. Denn die Hirnrinde, Sitz von Gedächtnis und Bewusstsein, spielt bei der Wahl unseres Partners nur eine geringe Rolle. Die tief in uns liegenden Strukturen übernehmen das Kommando. Erst nachdem die heftige Verliebtheit abgeflaut ist, übernimmt die Hirnrinde wieder das Zepter.

Nach der leidenschaftlichen Anfangsphase kommen emotionale Intimität und Vertrautheit hinzu – das Stadium der romantischen Liebe ist erreicht. Folgt auch noch eine kognitive Bindung, ist der Zustand der vollendeten Liebe erreicht. Eine präzise Definition für Liebe können Wissenschaftler immer noch nicht abgeben. Sie wissen jedoch, dass das Hormon Oxytocin eine wichtige Rolle spielt, sorgt es doch nach Ansicht der Forscher für Intimität und Bindung der Paare.

Oben und unten

Im menschlichen Zusammenleben spielt die Rangordnung eine große Rolle. Überall im Tierreich findet man diese wieder. Es scheint sich dabei um eine effektive Art der natürlichen Auslese zu handeln. Auch der Mensch neigt dazu, seinen Status in der Gruppe abzustecken. Besonders offensichtlich wird dies im Berufsleben. Verbunden mit einem hohen Status oder Rang ist die sich daraus ergebende Macht. Im Tierreich werden die Männchen an der Spitze mit Frauen belohnt, während sich die ranghohen Weibchen mehr und besseres Futter sichern, was für das Überleben des eigenen Nachwuchses aufgrund des erhöhten Kalorienbedarfs während Schwangerschaft und Stillzeit hilfreich ist. Im Menschenreich stellt sich die Sachlage ähnlich dar. So haben mächtige Männchen Zugriff auf viele Weibchen. Dafür haben Anthropologen zahlreiche Beweise vorgelegt, darunter auch diesen: 16 Millionen Männer in Asien stammen von einem männlichen Vorfahren ab, der vor rund 1000 Jahren lebte. Die Experten tippen dabei auf Dschingis Khan.

Bei Frauen stellt sich der Drang nach Macht nicht so direkt dar, was auch den geringeren Anteil an Frauen in Spitzenpositionen erklären mag.19 Von den 1226 Milliardären, die 2012 weltweit von Forbes gezählt wurden, waren nur 8,5 Prozent weiblich. Beim schwachen Geschlecht steht hingegen oftmals die Wahl des richtigen Partners im Vordergrund, jahrzehntelanger Emanzipation zum Trotz. Und mit richtig sind nicht körperliche Vorzüge, gutes Aussehen, ein liebenswerter Charakter oder Humor gemeint. Man muss sich nur einmal in einschlägigen Anzeigenblättern oder Internetforen die Menge an Millionärs-Anglerinnen ansehen. Salopp ausgedrückt lässt sich diese Erkenntnis dahingehend weiterspinnen, dass die wahre Belohnung für die beruflichen Anstrengungen eines Mannes nicht auf seinem Konto liegt, sondern in seinem Bett – oder manchmal auch auf seinem Schreibtisch.

Schon Friedrich Nietzsche attestierte dem Menschen einen „Willen zur Macht“. In der Psychologie und Politik hingegen wird dieser Umstand jedoch nur selten thematisiert. So stellen sich Politiker gerne als Diener des Volkes dar. Dass ihr Antrieb in den meisten Fällen eben besagter Wille zur Macht ist, lassen sie außen vor. Wie tief im menschlichen Wesen die Rangordnung verankert ist, mag die Forschungsarbeit von Stanford Gregory, Soziologieprofessor an der Kent State University in Ohio, verdeutlichen. Seit den frühen 1980er Jahren erforscht Gregory die Rolle der Stimme in der Kommunikation. Er ging davon aus, dass das Frequenzband unterhalb von 500 Hertz Informationen über den sozialen Status von Gesprächspartnern transportiert. „Am Beispiel von 25 Gästen der US-Talkshow ‚Larry King Live‘ hatte der Soziologe schon Mitte der 1990er Jahre nachgewiesen, dass sich rangniedere Personen in ihrer Stimmführung an ranghöhere anpassen. Sie verändern ihre Intonation – also den Tonhöhenverlauf – derart, dass sie sich dem des Statushöheren angleicht. […]

Gregory und sein Kollege Stephen Webster überprüften die Rolle der Stimmgewalt 2002 am Beispiel von 19 TV-Duellen der Präsidentschaftskandidaten. Es stellte sich heraus: Derjenige, der seine Stimme weniger an seinen Widerpart anglich, gewann schließlich auch die meisten Wählerstimmen.“20