Kitabı oku: «Thor», sayfa 4

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Ragnarök entgegen

Im abschließenden Prosateil der ‚Lokasenna’ heißt es, dass Loki vor Thor flieht und sich, in Gestalt eines Lachses, in einem Wasserfall versteckt. Snorri hingegen berichtet, dass die Asen Loki bis zu einem Versteck am Ufer verfolgen, er aber in Lachsgestalt entkommt, kurz bevor sie ihn einholen. In der Asche an Lokis Feuerstelle finden die Götter die Reste eines geschickt geknüpften Fischernetzes, nach dessen Muster sie ein neues fertigen. Mit dem durch den Fluss gespannten Netz nähern sie sich Loki. Dieser bemerkt die Gefahr und versucht, über das Netz zu springen, wobei er von Thor gefangen wird. Danach wird Loki mit den Gedärmen eines seiner Söhne gefesselt, und eine Gift speiende Schlange wird über seinem Gesicht aufgehängt. Sigyn, Lokis Gattin, fängt das Gift in einer Schale auf, doch immer wenn sie ihren Platz verlassen muss, um die Schale zu leeren, windet sich Loki so sehr in Schmerzen, dass davon die Erde bebt. Lokis Betrug an den Göttern mag erschreckend genug gewesen sein, um seine Bestrafung zu rechtfertigen, doch das größte Verbrechen hatte er bereits begangen: seine Anstiftung zu Baldurs Tötung. Von einem Anteil Thors an den Bemühungen, die Auswirkungen dieser Katastrophe zu verringern, kann kaum die Rede sein; in der Tat ist sein gewöhnliches Repertoire an Drohungen und Gewalt der Situation derart unangemessen, dass er geradezu tölpelhaft erscheint, als er bei Baldurs Bestattung die Beherrschung verliert und beinahe die grauenvolle Riesin Hyrrokkin attackiert, die von den Göttern herbeigerufen worden war, um das Schiff mit Baldurs Leichnam ins Wasser zu stoßen. Schlimmer noch, tritt er verdrossen einen unglückseligen Zwerg in die Flammen, weil dieser vor ihm her gerannt ist, als er den Scheiterhaufen mit seinem Mjöllnir segnete. Nun, da Ragnarök unvermeidlich bevorsteht, erscheint es ausgeschlossen, dass Thor seiner Aufgabe als Hauptverteidiger der Grenzen von Asgard und Midgard nachzukommen vermag. Er kann – vielleicht sogar mehr zur Untätigkeit verdammt als die anderen Götter – nichts anderes tun, als warten, da sich nun die Horden der Riesen sammeln, und ebenso wie er nach seinen alten Feinden sucht, werden diese nach ihm suchen.

Die Vorstellung einer altnordischen Apokalypse ist weitgehend belegt in den Gedichten der Lieder-Edda und stand offenbar im Mittelpunkt der heidnischen Zeitauffassung. Etwa die Hälfte der ‚Völuspa’ ist dem Weg zur Ragnarök und den dann eintretenden Ereignissen gewidmet, und vieles davon findet sich auch in der ausführlichen Darstellung der ‚Gylfaginning’. Auf drei Jahre zerstörerischen Kampfes, in dem alle verwandtschaftlichen Verhältnisse verwirrt werden, folgt der Fimbulwinter (welcher, laut Snorri, drei Jahre lang unablässig Kälte und Frost mit sich bringt); der Wolf Fenrir wird die Sonne verschlingen, während seine Artgenossen den Mond einfangen und die Sterne auslöschen werden; der Riese Hrym wird mit seinen Heerscharen die Segel setzen, und die Midgardschlange wird den Himmel und das Meer vergiften. Dann wird Surt, von Flammen umlodert, die Brücke Bifröst überqueren, die Midgard und Asgard miteinander verbindet, und diese wird in sich zusammenstürzen. So wird es geschehen, dass die Götter mit all ihren Feinden zusammentreffen, Loki eingeschlossen, der die Mächte von Muspellheim anführt.


Ragnarök von W.G. Collingwood, 1908

Die Götter ziehen mit den Heerscharen Walhallas ins Feld, angeführt von Odin und Thor. Freyr wird von Surt getötet, da er, wie eine andere Erzählung über seine Torheit berichtet, kein Schwert mit sich führt, und Surt wird eine alles verzehrende Feuersbrunst entfachen. Odin wird von Fenrir verschlungen, doch wird er von seinem Sohn Vidar gerächt; und Loki und Heimdall werden sich gegenseitig töten. Thor, der Odin nicht mehr zu Hilfe kommen kann, wird gegen die Midgardschlange anstürmen und sie töten, aber er wird ihrem Gift erliegen, nachdem er noch neun Schritte gegangen ist:

Der hehre Sproß der Hlodyn naht.

Der Lande Gürtel gähnt zum Himmel:

Gluten sprüht er, und Gift speit er;

entgegen geht der Gott dem Wurm.

Der Erde Schirmer schlägt ihn voll Zorn –

die Menschen müssen Midgard räumen;

weg geht wankend vom Wurm neun Schritt

der Gefecht nicht floh, der Fjörgin Sohn [Thor].36

Obwohl einige der Götter überleben, um eine Zeit der Erneuerung, ein neues Goldenes Zeitalter, heraufzuführen, an dessen Anbruch Baldur von Hel zurückkehren wird, fährt die ‚Völuspá’ fort zu prophezeien, dass ein Ungeheuer, diesmal in Gestalt von Hels Drachen Nidhögg, einst abermals Tod und Zerstörung bringen werde. Bevor dies aber eintritt, so weissagt die Seherin, wird der ‚gewaltige mächtige Eine, der über alles gebietet, […] kommen von oben zur Richtstätte der Götter.’37 Obwohl unter den Interpreten kein Konsens darüber besteht, was dies bedeuten könne, gehen viele davon aus, dass es sich um eine christliche Einschiebung handelt, die auf den Niedergang des heidnischen Glaubens hindeutet.

Die obigen Erzählungen machen nur einen Bruchteil der Mythen um Thor aus, die es einmal gegeben hat. Das kann zumindest aus den Quellen der Skaldendichtung geschlossen werden, welche die Namen vieler Riesen anführen, die von Thor getötet wurden und über die keine Mythen erhalten geblieben sind. Außerdem gibt es in den verschiedenen Versionen anderer Mythen Widersprüche, die Unklarheiten darüber aufkommen lassen, ob es Thor ist oder ein anderer Gott, der den jeweiligen Riesen erschlägt. Ein Beispiel ist die Tötung des Riesen Thjazi, der die Göttin Iduna entführt und mit ihr die Äpfel, die die Götter benötigen, um ihre ewige Jugend zu erhalten. Im ‚Hárbarðsljóð’ behauptet Thor, Rache an Thjazi genommen und dessen Augen in den Himmel geworfen zu haben, wo sie zu Sternen geworden seien, doch aus Snorris ‚Gylfaginning’ ergibt sich nicht eindeutig, wer den Riesen tötet; ausdrücklich wird hingegen angegeben, dass Odin Thjazis Tochter damit besänftigt, ihren Vater auf diese Weise unsterblich gemacht zu haben. Die starke Ähnlichkeit dieses speziellen Elements des Mythos mit Thors Geschichte von Aurvandills Zeh in Snorris Darstellung des Hrungnirmythos legt nahe, dass hier mythische Elemente miteinander verschmolzen wurden oder von einem Mythos zum anderen übergegangen sind – was wieder einmal die Verflechtungen und Ungewissheiten veranschaulicht, denen der Mythograph bei seinem Bestreben, die Eddas zu entwirren, begegnet.

Eine Erklärung für diese Probleme besteht darin, dass jene, die die Mythen in den ersten zwei Jahrhunderten nach der Bekehrung abgefasst haben, bemüht waren – wie auch Snorri –, den frühen Eddas etwas von ihrer Unverständlichkeit zu nehmen, indem sie zufrieden stellende Lösungen ersannen; doch hat dies die Schwierigkeiten mit der Zeit noch verstärkt. Wenn dem aber so ist, sollte eingeräumt werden, dass es gerade in der Natur der altnordischen Mythen liegt, keine vollkommene erzählerische Einheit zu bilden. Anders als in der jüdisch-christlichen Mythologie gibt es keine Lehrautorität und damit keine Orthodoxie, so dass reichlich Unterschiede in den Erzählungen auftreten, die zum Beispiel davon abhängen, welcher Gott von seinem jeweiligen Anhänger für besonders heilsam gehalten wird. Ebenso unbestreitbar ist, dass ein Mythos sich entwickelt, im Laufe der Zeit überarbeitet und zunehmend systematisiert wird. Nach dem Einzug des Christentums in den alten Norden wurde dieser Prozess abrupt beendet. Was wir von den altnordischen Mythen geerbt haben, ist ein Palimpsest, durch dessen Schichten ältere Versionen der Mythen stellenweise verblasst, an anderen Stellen jedoch so markant wie inkongruent, sichtbar werden. Während die mythologischen Himmel zu weiten Teilen mit Wolken verhangen sind, erlaubt das von Snorris rückblickendem Bestreben, den Mythen eine Ordnung aufzuerlegen, Erhellte nichtsdestotrotz eine Menge verhältnismäßig sicherer Erläuterungen und Analysen dessen, was den Gott Thor ausgezeichnet, und was er seinen Anhängern bedeutet hat.

Kapitel 2

Theorien über Thor

Das altnordische Heidentum als Glaubenssystem mag sich von bestimmten monotheistischen Religionen, wie z. B. dem Christentum oder dem Islam, dadurch unterscheiden, dass es keine evangelikale Mission kannte und daher nicht auf die Gewinnung von Konvertiten ausgerichtet war. Doch trotz dieser offensichtlichen Aufgeschlossenheit war der altnordische Mythos ideologisch nicht minder allumfassend und konservativ in seiner Weltanschauung. Ähnlich wie auch in anderen mythologischen Systemen brachte die Verbindung der Edda-Mythen mit den Sitten der altnordischen Gesellschaft eine Einheit von Tugenden hervor, die in den Eddas in abstrahierter Form vorlag: Überall gab es die gleichen Werte und damit auch die gleichen Ängste, die ihnen zugrunde lagen. Untrennbar waren damit existenzielle Gedanken verbunden, etwa die uralten philosophischen Fragen: Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Wie sollen wir leben? – Während die Antworten auf die ersten beiden Fragen in der eschatologischen Entwicklung von der Erschaffung der Welt bis zur Ragnarök gegeben werden, war die Antwort auf die letzte Frage teilweise von sozialen Hierarchien und den daraus folgenden Erwartungen bestimmt, die an den Einzelnen gerichtet waren. Es wird niemanden überraschen, dass die altnordische Mythologie nicht dazu tendierte, Frauen den Männern vorzuziehen, noch dass diesbezüglichen Vorurteilen erst seit dem späten zwanzigsten Jahrhundert umfängliche kritische Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

THOR UND DIE RIESEN

Man würde Thors Verhältnis zu den Riesen zu sehr vereinfachen, betrachtete man ihn ausschließlich als deren unerbittlichen und tödlichen Feind. Gewiss haftet ihm das Etikett des Riesentöters mehr an als jedem anderen Gott, doch angesichts seiner Mutter, die sowohl als Göttin wie auch als Riesin bezeichnet wird, so dass er daher sogar als Halbriese betrachtet werden kann, und aufgrund der Tatsache, dass er mindestens ein Kind mit einer Riesin zeugt und auch Hilfe von Riesen annimmt (wie von der Riesin Grid in der Erzählung von Geirröd sowie von den Riesinnen in Hymirs Halle), ist erkennbar, dass Thors Haltung gegenüber den Riesen unterschiedlich ausfällt. Eine Erklärung dafür liefert die UnterscheIdunag zwischen männlichen und weiblichen Riesen. Wie aus den Eddas ersichtlich, ist die Paarung männlicher Götter mit verlockenden Riesinnen kein Tabu, wenngleich solche Verbindungen nicht in jedem Fall erwünscht sind; bedrängen männliche Riesen hingegen Göttinnen (man denke etwa an das Begehren Thryms und des Baumeisters nach Freyja oder an die Entführung der Göttin Iduna, welche die Äpfel der ewigen Jugend bewachte, durch den Riesen Thjazi), erscheint dies den Göttern als ernste Bedrohung ihrer Existenz.1

Wenn auch natürlich die Gefährlichkeit der männlichen Riesen die Sicherheit aller Götter bedroht, so wird sie oft als eine besondere Gefahr für die Göttinnen betrachtet. In diesem Sinne sind die männlichen Riesen abscheuliche sexuelle Konkurrenten, eine „primitive, minderwertige Rasse“, die, sollte sie sich durchsetzen, das Blut der Götter auslöschen, ihre Fruchtbarkeit vermindern und dadurch schließlich ihre Autorität schwächen würde. Die Tatsache, dass dieses Tabu nicht auch umgekehrt gilt, ist charakteristisch für die männlichen Vorrechte und Rechtsansprüche, die ein Patriarchat definieren. Thor ist, mit all seiner Kraft, in vielerlei Hinsicht die Quintessenz dieser doppelten Moral. Ein zwingendes Beispiel für das, was man als Thors Frauenfeindlichkeit bezeichnen kann, zeigt sich, als der Gott den Versuch der Riesin Gjalp, ihn beim Durchschreiten des Flusses auf dem Weg zu Geirröds Halle in ihrem Urin und Menstruationsblut zu ertränken, vereitelt, indem er ihr einen großen Stein entgegenschleudert. Gemäß Thors Äußerung ‚Am Ausfluss soll der Strom sich stauen’2, zielte er mit dem Stein vermutlich auf ihre Fortpflanzungsorgane. Obwohl man dies auch als Thors notwendige Durchsetzung seiner Männlichkeit angesichts einer ‚ungezügelten weiblichen Sexualität’3 interpretieren kann, erweckt die Beschreibung weiblicher Macht, die von einem penetrierenden männlichen Akt überwältigt wird, den Eindruck von tief verwurzelten männlichen Ängsten gegenüber Frauen und von groben sexualisierten Reflexen, die diese Ängste häufig hervorrufen.4 Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht auch Thors Furcht vor allem, was seine Männlichkeit in Frage stellen könnte, wie etwa in der humoristischen ‚Þrymskviða’ (Thrymlied), in der er Frauenkleider anziehen muss und deshalb befürchtet, ‚die Asen werden mich einen Perversen nennen’; Perversität wird mit dem starken Begriff argr umschrieben, der auch Unmännlichkeit, Verweichlichung und Feigheit bedeutet.5

Trollfrauen und das Weibliche in altnordischen Mythen

Einige Riesen sind deutlich schlimmer als andere. Wiederholt ist davon die Rede, dass Thor unterwegs sei, um Trolle zu verprügeln oder zu töten – offenbar eine zentrale Rolle, die er zu spielen hat. Während die Riesin Hyrrokkin, die bei Baldurs Bestattung beinahe von Thor angegriffen wird, in mancherlei Weise an die Beschreibungen von Trollen in anderen Mythen und Legenden ähnelt, gibt es keine Mythen, die einzelne Begegnungen von Thor mit Trollen behandeln. Gleichwohl stellt sich – ungeachtet der Tatsache, dass die UnterscheIdunag zwischen den Begriffen ‚Troll’ und ‚Riese’ nicht immer ganz eindeutig ist – dort, wo in Lieder- und Prosa-Edda explizit von Trollen die Rede ist, heraus, dass diese stets weiblich sind.6 Was den Ursprung weiblicher Unholde im Allgemeinen betrifft, führt das ‚Hyndluljóð’ (Hyndlalied) an einer Stelle aus: ‚Schwanger ward Lopt [Loki] vom schlimmen Weib: auf die Erde kamen die Unholde so.’7 Lokis Mutterschaft wäre also für die Böswilligkeit der Trollfrauen ebenso verantwortlich wie Lokis Verbindung mit der Riesin Angrboda für das Unwesen der Midgardschlange, des Wolfes Fenrir und Hels. Eine Einsicht in die mythologische Aufgabe der Trollfrauen gewährt die ‚Völuspá (Der Seherin Gesicht), wo es heißt:

Eine Alte östlich im Erzwald saß;

Die Brut Fenrirs gebar sie dort.

Von ihnen allen wird einer dann

Des Taglichts Töter, trollgestaltet.8

Eine Erweiterung dessen liefert Snorri in der ‚Gylfaginning’:

Eine Riesin haust im Osten von Midgard in dem Wald, der Jarnwid genannt wird. Dort leben die Trollweiber mit dem Namen Jarnwidjur. Die alte Riesin gebiert viele Riesen als Söhne und alle in Wolfsgestalt. Von dort stammen diese Wölfe.9

Auch wenn die vollständige Bedeutung dieser Stelle nicht entschlüsselbar ist, scheint es so, dass von den Trollweibern jene Wolfsriesen abstammen, von denen einer die Sonne verschlingen wird (der Wolf Fenrir in der Ragnarök), und dass sie Geschöpfe der Wildnis sind. Falls, wie es nahe liegt, mit dem altnordischen Wort gífr, das sowohl den ‚Menschenfresser’ als auch die ‚Hexe’ bezeichnet, ebenso auch die ‚Trollfrau’ gemeint sein kann, folgt daraus offensichtlich, dass auch die Trollfrauen ihren Anteil an der Ragnarök haben – entsprechend der ‚Völuspá’, in der es heißt, dass ‚Riesinnen fallen, Felsen brechen’,10 wenn der Riese Surt, von apokalyptischen Feuern umlodert, auf Asgard vorrückt.

Aus der Anzahl der Riesen, die Snorri auflistet, kann man schließen, dass sie den Göttern zahlenmäßig überlegen sind und dass es mehr männliche Riesen als Riesinnen gibt. In Anbetracht dessen ist Thors Bestimmung, die Population der Riesen niedrig zu halten, erklärlich; und dies mag teilweise auch die Rivalität der Götter mit den männlichen Riesen bezüglich der Frauen beider Arten erklären. Gleichwohl kann – trotz des offenkundigen zahlenmäßigen Ungleichgewichts zwischen Göttern und Riesen – das Riesenland als eine geordnete und insgesamt im Gleichgewicht befindliche Gegenwelt zu Asgard begriffen werden, wobei die Feindseligkeiten jene zwischen zwei Stämmen spiegeln, die in permanentem Konkurrenzkampf um Land und Besitz zueinander stehen. Die Feindseligkeit der Trollfrauen hingegen folgt keiner so klar erkennbaren Motivation. Nie ist von materiellen Begehrlichkeiten ihrerseits die Rede, noch wird irgendein Grund für ihre Rachsucht angeführt, wie etwa in der Klage der Riesen gegen die Götter in der Erzählung vom Baumeister. In Anbetracht der dem Mythos zugrunde liegenden moralischen Werte ist die Feindschaft der Trollfrauen nichts weniger als reine Bosheit. Thor zögert natürlich nicht, Riesinnen zu tötet, die ihn bedrohen, wie es bei Geirröds Töchtern oder Thryms Schwester der Fall ist, doch was Trollfrauen betrifft, braucht er keine Rechtfertigung.

Diese, einem Völkermord gleichende Haltung einem kämpferischen weiblichen Stamm gegenüber weist auch hier auf ein tief sitzendes männliches Unbehagen hin, das in einem Gefühl bedrohter Autorität wurzelt. Einige Wissenschaftler haben sogar behauptet, der männliche Chauvinismus, der den Mythen innewohnt, sei zurückzuverfolgen zu einem früher existierenden Matriarchat, das an einem gewissen Punkt der Vorgeschichte von Männern usurpiert wurde. Im Nachhinein wurden dann Frauen, die Widerstand leisteten oder außerhalb männlicher Kontrolle standen, als Mannweiber mythologisiert. Frauen unterstanden grundsätzlich der patriarchalen Kontrolle, und es waren ihnen Beschränkungen auferlegt, insbesondere im Hinblick auf ihre Sexualität. Der oftmals geradezu dämonische Charakter von Seherinnen, deren geheimes Wissen und beunruhigende Vorausschau selbst die Weisheit Odins übertrifft, und die Herrschaft über das Schicksal, die den drei Nornen zugeschrieben wird, können eher als eine Unterstützung denn als eine Unterminierung dieser Behauptung betrachtet werden. Doch ist dies nicht viel mehr als Spekulation, da das Finden von Nachweisen für ein Prä-Patriarchat durch die Tatsache beschränkt wird, dass die Mythen, wie wir sie kennen, von Haus aus männliche Konstrukte sind.11

THEORIEN ÜBER DIE RIESEN

Thor zu verstehen, erfordert jedoch eine genauere Analyse dessen, was die Riesen dargestellt haben mögen; und diese weist über eine reaktionäre männliche Sexualität hinaus auf Fragen hinsichtlich der Sterblichkeit und der widersprüchlichen Weltbilder, die in der menschlichen Psyche angelegt sind. Eine Herangehensweise der strukturellen anthropologischen Theorie, besonders im Werk von Claude Lévi-Strauss (1908 - 2009), besteht darin, die Riesen als Abstraktionen von Naturgewalten zu betrachten, die im Gegensatz zu den Kräften der Kultur stehen, die durch die Götter repräsentiert werden.12 Diese Zweiteilung ist in vielerlei Hinsicht überzeugend. Die Riesen leben draußen an der Peripherie, in der freien, ungebändigten Wildnis, wo zwangsläufig Gefahren lauern. Abgesehen von Utgardlokis Hof, leben alle Riesen, denen Thor begegnet, an einsamen Orten, während die Götter, ähnlich den Menschen, Gemeinschaften bilden. Um in die Anderswelt der Riesen zu gelangen, muss Thor Grenzflüsse überqueren, d. h. einen Übergangsritus an der Schwelle von einer Ebene der Existenz zur nächsten vollziehen: von der nährenden Sicherheit der Mitwelt zu den isolierenden Gefahren wilder, friedloser Orte. In stark vereinfachter Form ist dies ein Gegensatz zwischen Leben und Tod. Doch Menschen sind sowohl Natur- als auch Kulturwesen, und darin besteht eine der Paradoxien unserer Existenz. Auf der einen Seite sind Menschen auch voll wilder Triebe und schäumen vor antisozialen Antrieben, die einer Zügelung bedürfen, über; auf der anderen Seite hängt das menschliche Überleben vom Zusammenwirken und dem gemeinschaftlichen Nutzen ab. Und letztlich muss natürlich jedes menschliche Wesen seiner persönlichen Ragnarök begegnen – dem Punkt, an dem Natur und Kultur einander gleichsam aufheben. Wie die Götter haben auch menschliche Wesen Riesenblut in ihren Adern, weshalb ihre Endlichkeit vorherbestimmt ist.

Dieses Paradoxon trifft besonders auf Thor zu, der, wie oben schon angeführt, zum einen Teil ein Gott und, aufgrund unmittelbarer Abstammung, zum anderen auch ein Riese ist. Abgesehen von der Tatsache, dass die mütterliche Linie nicht als gleichermaßen bedeutsam angesehen wurde wie die väterliche Linie, und dass Thor bei weitem nicht der einzige unter den Göttern von gemischter Abkunft ist, kann sein Kampf gegen einen Teil seiner eigenen Herkunft als Kampf gegen die Sterblichkeit betrachtet werden, sowohl gegen die eigene als auch gegen die all jener, die er zu beschützen sucht, mit anderen Worten: der Menschen und deren mythologischer Hypostasierung in Gestalt der Götter. Die Auslöschung der gegen das Leben gerichteten Gewalten ist Thors Lebenssinn; als seine Erzfeindin, die Midgardschlange, sich schließlich auf dem Schlachtfeld von Ragnarök gegen ihn erhebt, ist dies in mancherlei Hinsicht sein eigener Tod, den er bekämpft. Es ist ein Kampf, den er nicht gewinnen kann, ebenso wenig, wie er den Kampf gegen das Alter an Utgardlokis Hof gewinnen konnte. Wenn denn die Riesen und ihre monströsen Verbündeten all das repräsentieren, was dem Leben schadet – gesellschaftlich, politisch und physisch – so verkörpert Thor das Wesen sozialer Sicherheit, politischer Stabilität und physischer Gesundheit. Thor und die Riesen mögen in einer Hinsicht Gegensätze sein, doch in einer anderen sind sie verwandte Aspekte der conditio humana wie auch des menschlichen Strebens, dem Ungeordneten eine Ordnung aufzuerlegen – letztlich also des Überlebenskampfes.

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