Kitabı oku: «Die wilde Reise des unfreien Hans S.», sayfa 6

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7 Der Plan des Untoten

Es galt, seine Ungeduld zu zügeln. Yorick hatte recht. Es war gefährlich. Schon zwei Tage waren sie zurück in Konya, und Hans wurde völlig hibbelig, so nah und doch nicht nah seiner Geliebten zu sein. Die Einteilung zum Wachdienst konnte Hans nicht manipulieren. Und um einen bestimmten Dienst bitten, würde ihn vermutlich verdächtig machen. Also musste er abwarten, wer zum Dienst am Palast von Konya abgestellt wurde. Hans bekam ärgerlicherweise den Posten am östlichen Stadttor. Als er hörte, dass unter anderem Max eingeteilt worden war, die reguläre Palastwache zu unterstützen, verfluchte er sein Unglück. Hans hatte kurz daran gedacht, einen Kameraden zum Tausch zu überreden, aber mit welcher Begründung? Auch das hätte ihn verdächtig gemacht. Vertrauen wollte er nach dem Erlebnis mit Don Juan niemandem. Max hätte er vertrauen können, aber der war ja irgendwie tot. Wobei – Hans beschloss, es zu versuchen.

»Max, wenn du heute im Palast bist, präg dir bitte alles ein, was du siehst. Verstanden?« Keine Reaktion. »Vor allem, wie die Räume verteilt sind. Ganz wichtig wäre die genau Lage der Gemächer von Wesir Memduh und die seiner Konkubinen. Verstehst du?« Keine Reaktion. »Und zu keinem ein Sterbenswör…, ach, vergiss es einfach.« Keine Reaktion. Hans müsste sich etwas anderes einfallen lassen.

Auf seinem Posten am Stadttor langweilte sich Hans und ging immer wieder seinen verwegenen Plan durch. Es gab viele Risiken und vor allem noch keine Möglichkeit, an einen Grundriss des Palastinneren zu kommen. Wütend, weil der in der Nacht so genial erschienene Plan sich bloß als löchriges Flickwerk entpuppte, kontrollierte er die Bauern, die zum Markt kamen, besonders akribisch. Dass ein Posten mit extrem schlechter Laune Dienst tat, sprach sich schnell herum und wer in die Stadt wollte, wählte lieber den Umweg zu einem anderen Tor.

Ein reitender Bote, der das Siegel des Herrn von Amasya vorwies, ließ sich von Hans’ schlechter Laune nicht beeindrucken.

»Mir Ahmad von Amasya schickt mich zu deinem Herrn, Bayezid den Blitz.«

»Da hast du dich vergebens auf den Weg hierher gemacht«, antwortete Hans grummelig. »Der Sultan ist bereits auf dem Rückweg nach Bursa.«

»Lüg mich nicht an«, gab der Bote zurück. »Man hat mir gesagt …«

»Ich lüge nicht. Der Sultan ist unterwegs in die Hauptstadt. Wenn du ihm etwas Wichtiges zu sagen hast, dann musst du ihm nachreiten. Du wirst ihn sicher einholen können. Er ist erst zwei Tage fort.«

Der Bote seufzte »Mist«, ließ sich vom Pferd gleiten und hielt sich kurz die Seite, als hätte er Schmerzen. »Ich war schon in Karaman, da haben sie mich hierher geschickt. Und jetzt das. Mein Pferd braucht eine Pause und ich auch. Gibt es hier irgendwo eine Weinstube?«

»Gleich dort vorne.«

»Passt du kurz auf mein Pferd auf?«

»Hör mal!«

»Ich bring dir einen Becher Wein mit. Bei deiner Laune scheinst du ihn nötig zu haben.« Der Bote lachte fröhlich und ging davon. Hans streichelte versonnen den Hals des Tieres. Er sehnte sich auch nach einem Pferd. Er hatte so gerne geritten.

Als der Bote wiederkam, brachte er tatsächlich einen Becher Wein für Hans mit.

»Warum so schlecht gelaunt?«, fragte der Bote. Er erinnerte Hans in seiner derben Fröhlichkeit an Josef. »Weibergeschichten?« Er erinnerte eindeutig an Josef!

»Hmmm«, brummte Hans unbestimmt. »Und du? Warum musst du so dringend zum Sultan? Ein Wesir ist noch hier in der Stadt. Der zieht erst mit uns ab. Kannst du nicht zu dem?«

»Mein Herr hat mir strikt aufgetragen, die Botschaft zum Sultan zu bringen.«

»Worum gehts?« Hans fragte weniger aus wirklichem Interesse, sondern um den Boten am Plappern zu halten. Ein wenig Ablenkung tat gut.

»Krieg. Worum sonst. Sagt dir Burhaneddin, Herrscher von Sebast etwas?«

»Nein. Sagtest du nicht, der Mir Ahmad von Amasya schickt dich?«

»Genau. Wegen Burhaneddin. Vertrackte Geschichte. Also, pass mal auf, ich erzähle es dir. «

Es gibt Völker, so begann der Bote, die haben keine festen Städte, sondern ziehen mit ihren Herden im Land umher. Verrückt, sicher, aber das sei nun mal so. Wenn sie gute Weidegründe finden, erwerben sie vom Herrscher das Weiderecht über das Land. Im Sommer des Vorjahres kam so eine große Nomadengruppe unter ihrem Anführer Qara Yoluk Uthman Beg in das Land von Amasya, genauer gesagt in die Gegend der Stadt Sebast. Uthman gehörte zum Stamm der Aq Qoyunlu, was Weiße Hammel bedeutet. Die Weißen Hammel, so erklärte der Bote, herrschten über ein riesiges Reich östlich der Osmanen. Burhaneddin, der Sultan von Sebast, gab den Nomaden das Weiderecht und kümmerte sich nicht weiter um die Angelegenheit. Wobei Burhaneddin eigentlich gar nicht der legale Herrscher war! Er war nur Wesir, hatte sich aber nach dem Tod des Sultans einfach den Thron unter den Nagel gerissen. Als der Winter nahte, brachen Uthmans Leute auf, um sich in ihrer Heimat ein geeignetes Winterlager zu suchen. Ihr Pech, dass sie sich für den Weiterzug nicht die Erlaubnis von Burhaneddin eingeholt hatten. Der Herrscher schickte viertausend Reiter los, den Nomadenfürsten Uthman mit Sack und Pack und allem Vieh lebend zurückzubringen. Als Uthman bemerkte, dass man ihm folgte, versteckte er sich im nahen Gebirge. Die Reiter verloren die Spur und beschlossen, die Nacht auf einer Hochebene zu verbringen. Den Nomadenclan würden sie schon noch fangen. Denn viele Tausend Menschen und mindestens genauso viel Vieh konnten nicht einfach so verschwinden. Weil sie ihrer Sache so sicher waren, verzichteten die Soldaten auf besondere Vorsichtsmaßnahmen. Uthman hätte es sich nicht besser wünschen können. Er stellte im frühen Morgengrauen eine Truppe seiner besten Reiter zusammen und überfiel die schlafenden Soldaten. Wer aufwachte, also noch am Leben war, floh in wilder Panik.

Hans gefiel, dass der Bote seine Geschichte mit kleinen humoristischen Einlagen würzte.

Burhaneddin wollte den ersten Berichten nicht glauben, dass der Nomade Uthman tatsächlich seine Reiterei niedergemetzelt hatte. Als dann die Flüchtlinge eintrafen, hielt Burhaneddin es immer noch für einen bösen Scherz. Also ritt er selbst mit einhundert Reitern los, um nach dem Rechten zu sehen. Uthman lachte über die kleine Armee und fiel über sie her. Burhaneddin blieb nur die Flucht in die Berge, verfolgt von einem Krieger Uthmans. Am Ende einer Schlucht merkte Burhaneddin, dass er in der Falle saß. Der Verfolger spannte schon den Bogen, um ihn zu erschießen, da gab sich Burhaneddin zu erkennen. Wenn er ihn laufen ließe, würde er den Krieger reich beschenken mit einem Schloss und Land. Er bot sogar einen kostbaren Ring, den er am Finger trug, als Pfand. Mit Schlössern und Gold konnte man Nomaden allerdings nicht locken. Der Krieger nahm den Herrscher von Sebast gefangen und brachte ihn zum Nomadenfürsten. Uthman zog nun mit seinem Gefolge und dem Gefangenen vor die Tore von Sebast. Er forderte, dass sich die Stadt ergebe, dafür bot er Frieden und Sicherheit. Die Bürger antworteten, dass ihnen der Burhaneddin ziemlich egal sei. Man habe hier noch seinen Sohn Zayn al-Abidin, der würde einfach sein Nachfolger werden.

»So eine ähnliche Geschichte kenne ich von der Belagerung von Karaman«, warf Hans hier ein.

Burhaneddin glaubte kaum, was er da hörte. Keiner wollte ihn? Diese erbärmlichen Schmeißfliegen! Uthman führte daher seinen Gefangenen direkt vor die Stadt und ließ ihn für sich selbst sprechen. Doch auch Burhaneddins Flehen konnte die Bürger nicht überzeugen. Den dahergelaufenen Nomaden Uthman lehnten sie sowieso ab, also müsse Zayn al-Abidin Herrscher werden. Burhaneddin versuchte nun, Uthman einzuwickeln. Er würde ihm die Stadt Kayseri schenken, wenn er freikäme, und Kayseri war bekanntlich eine wunderschöne Stadt! Der Nomade hatte kein Interesse an Kayseri und verlor selbiges nun an Burhaneddin. Er ließ den ehemaligen Herrscher, von der Stadt aus gut sichtbar, köpfen und vierteilen. Die vier Körperteile und den Kopf ließ er aufspießen und aufstellen.

Was Uthman nicht wusste, war, dass Zayn al-Abidin währenddessen einen Boten zu seinem Schwager Schadi Beg, einem Prinzen der Weißen Horde, geschickt hatte. Auch der ein Nomade, ein Tatar.

»Von den Tataren hast du sicher schon gehört«, vergewisserte sich der Bote.

Hans nickte. »Ja, wer nicht? Tamerlan und seine Tataren bedrohen ständig die Grenzen.« Es war ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass man die Mongolen ausgerechnet Tataren nannte. Die echten Tataren waren nämlich das erste Volk, das dem gewaltigen Eroberungszug der Mongolen unter Dschingis Khan Richtung Westen zum Opfer fiel und ausgelöscht wurde.

Tatarenprinz Schadi zog mit einem großen Heer schnell in Richtung Sebast. Als er die Stadt erreichte, fand er keinen Uthman vor. Der hatte sich in den Bergen versteckt und begann mit Guerillataktik den neuen Feind zu zermürben, womit er schnell Erfolg hatte. Schadi gab entnervt auf und zog sich in die Stadt zurück, was seine Soldaten gar nicht gut fanden. Wenn der Herr sie im Stich ließ, dann konnten sie ihn auch im Stich lassen. Sie beschlossen, zurück in die Heimat zu gehen. Der Prinz, vor seinem Schwager bis auf die Knochen blamiert, ritt ihnen nach und versuchte sie zur Umkehr zu bewegen. Daran hatten die Männer aber überhaupt kein Interesse. Sie wollten heim zu ihren Familien und Viehherden. Solle der Prinz doch selbst schauen, wie er seinen Schwager aus dem Schlamassel herausbekam. Also ließ auch Schadi Beg den Schwager Schwager sein und folgte seinen Männern in die Weiten der Steppe.

»Und weiter?«, fragte Hans gespannt. »Wie geht die Sache aus?«

»Das hängt ganz von deinem Herrn ab!«, sagte der Bote und leerte den letzten Tropfen Wein. »Momentan sieht es so aus: Die Weißen Hammel unter Uthman belagern wieder die Stadt Sebast. Die Stadt will sich nicht ergeben. Mir Ahmad von Amasya wünscht sich, dass Sultan Bayezid eingreift. Und darum reite ich hier kreuz und quer durch Anatolien und lass mich wie ein Depp von einem Ort zum anderen schicken. Wenn ich den Sultan eingeholt habe, mein Lieber, dann kannst du dich schon mal darauf einstellen, dass ihr Bursa nicht so schnell wiedersehen werdet. Dann sehen wir uns vor Sebast wieder. So, ich muss dann weiter. Ich möchte aber kurz noch mein Pferd abkühlen.«

»Außerhalb der Stadt ist ein Bach«, erklärte Hans und führte ihn vor das Tor. »Richtung Westen kommst du bald an eine kleine Baumgruppe. Kastanien. Da noch ein Stückchen weiter nordwärts hat der Bach eine Furt. Die haben auch unsere Reiter als Rossschwemme genutzt.«

»Ach, Mann«, stöhnte Yorick abends. »Schon wieder irgendwo irgendwen verjagen, damit irgendwer anderes auf den Thron kann.«

»Soldatenschicksal«, antwortete Hans.

»Ich will zurück nach Bursa, verdammt noch mal. Hoffentlich kommen wir nach Sebast zurück nach Bursa! Hörst du, Gott? Tu mal was. Bursa ist wenigstens kein solches Nest wie das da hier.«

Sie hocken auf der Erde vor ihrem Zelt und tranken Minztee. Max kehrte eben von seinem Wachdienst im Palast zurück. Wortlos hockte er sich zu seinen Freunden. Hans reicht ihm einen Tee. Max schlürfte Tee und starrte vor sich hin. Dann streckte er unvermittelt den Zeigefinger der rechten Hand aus und begann, in den Sand am Boden Linien zu ziehen.

»Was macht unser Untoter denn jetzt?«, fragte Yorick und holte sich einen Ellenbogenhieb von Hans dafür ein.

Max zeichnete Rechtecke, die miteinander verbunden waren. Daneben setzte er noch einmal eine fast identische Zeichnung. Schließlich beendete er sein Werk, indem er ein Rechteck mit einem Kreuz in der Mitte füllte. Er wischte sich den Finger an der Hose ab und schlürfte Tee. Yorick und Hans studierten die Zeichnung.

»Was will er uns damit sagen?« Yorick neigte den Kopf zu Seite.

Hans begriff. »Das ist ein Plan, ein Grundriss. Zwei Stockwerke. Die Zitadelle hat Erdgeschoss und darauf ein weiteres Geschoss.« Er strahlte Max an und gab ihm spontan einen Kuss auf die Wange. »Danke, Max, du bist der Beste! Begreifst du nicht, Yorick? Das ist der Palast. Die Anordnung der Räume – und wo das Kreuz ist, befinden sich die Konkubinen.«

»Meinst du? Na, vielleicht. Palast! Pfhhh«, Yorick blies die Wangen auf. »Ist doch grad mal eine kleine Zitadelle. Siehst ja, so viele Räume gibt es gar nicht.«

»Umso einfacher für mich«, sagte Hans strahlend. Er holte sein Heft und zeichnete die Grundrisse nach. »Falls ihr mich heute Nacht vermissen solltet, dann wisst ihr, wo ich sein werde.«

»Na gut«, meinte Yorick. »Ich komme mit.«

»Dazu brauche ich dich nun wirklich nicht.«

»Keine Angst. Ich komme dir bei deinen plumpen Annäherungsversuchen an das arme Mädchen sicher nicht in die Quere. Aber es kann ja sein, dass du Unterstützung brauchst, wenn die Eunuchen wach werden. Oder der Wesir. Oder die Janitscharen. Oder die Sklavinnen. Oder, oder, oder. Vor allem aber ist es immer gut, wenn jemand nicht völlig Beklopptes bei so einer Sache dabei ist. Einer muss klar denken können.«

»Hilf mir mal mit dem Felsen«, stöhnte Hans und versuchte, den schweren Stein zu bewegen.

»Da drüben liegt einer«, antwortete Yorick und deutete in die Nacht hinein.

»Was? Wo?« Sie verließen den Kastanienhain. Tatsächlich lag in einiger Entfernung am Bach ein regungsloser Mann. Sie sprachen den Mann an, nichts. Sie traten vorsichtig in seine Seite, nichts.

»Scheiße«, entfuhr es Hans, als sie ihn umgedreht hatten und er ihn im fahlen Licht erkannte. »Das ist der Bote, von dem ich dir erzählt habe.«

»Siehst du irgendwo einen Pfeil oder sonst eine Wunde?«

Sie untersuchten die Leiche und fanden zunächst nichts. Erst als sie sein Hemd öffneten, entdeckten sie eine Verletzung im Bauchbereich.

»Offenbar eine ältere Wunde, die aufgeplatzt ist«, vermutete Yorick. »Der arme Kerl ist hier zusammengebrochen und gestorben.«

Hans richtete sich auf und sah sich um. »Kein Pferd weit und breit.«

»Bestimmt abgehauen. Oder es hat einen neuen Besitzer gefunden.«

»Und jetzt?«, fragte Hans.

»Wie und jetzt? Wir haben was vor, oder?«

»Sollen wir ihn so liegen lassen?«

»Wir können ihn ja morgen früh finden, nicht wahr?« Yorick dachte wieder sehr praktisch. Hans nickte überzeugt.

»Moment noch.« Hans durchsuchte den Toten und fand das Siegel des Mir Ahmad von Amasya sowie einen Beutel voller Dinare. Das Geld ließ er liegen. Das Siegel nahm er mit.

Zu zweit schafften sie es schnell, den Felsen vom Einstiegsloch des Tunnels zu bewegen. Sie stiegen hinab und schoben den Felsen zurück. Sie standen in völliger Finsternis. Über ihnen der Fels und die Kastanien. Der Geheimtunnel, aus dem die Stadtdelegation bei der Belagerung von Konya gestiegen war, sollte Hans direkt in den Palast bringen. Hoffte er zumindest. Er tastete nach Schwefelholz und Zunder und entzündete damit die mitgebrachten Öllampen.

»Wahnsinn«, sagte Yorick, der in dem Tunnel kaum aufrecht stehen konnte. »Hoffentlich gibt es keine Fledermäuse hier. Und jetzt?«

»Jetzt gehen wir den Tunnel entlang zum Palast. Ich habe es dir doch erklärt.«

»Und wieso denkst du, dass der Tunnel in den Palast führt?«

»Weil das ein Geheimtunnel ist. Wer den angelegt hat, wollte nicht, dass alle ihn kennen. Und wer legt einen solchen Tunnel an? Sicher nicht der Abfallgrubenreiniger! Menschen, die heimlich rein und raus wollen. Wichtige Menschen. Herrscher, Stadtbeauftragte und so. Also wird der Tunnel zu einem wichtigen Gebäude in der Stadt führen. Und das wichtigste Gebäude in der Stadt ist der Herrschersitz. Logisch, oder? Der alte Ölmez hat mir gesagt, dass kaum jemand von dem Tunnel weiß und dass es dabei bleiben soll.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, seufzte Yorick. »Und wenn der Ausstieg im Palast bewacht ist?«

»Geheimtunnel haben die Eigenschaft, geheim zu sein. Wie oft soll ich dir das noch sagen. Die alten Herrscher sind nicht mehr hier. Die neuen wissen davon nichts.«

»Du vergisst die Stadtabgeordneten.«

»Die leben nicht im Palast.«

»Hans, ich finde das hier immer noch Wahnsinn, aber lass uns gehen, bevor ich es mir anders überlege.«

Im schwachen Schein der Öllampen liefen sie schweigend den langen Gang entlang. Es ging leicht bergauf, das merkten sie. Langsam wurde es wärmer. Es gab keine Fledermäuse, nur ein paar Ratten, die erschrocken zur Seite sprangen. Schließlich kamen sie an eine Treppe, die steil hinaufführte. Die Wände waren nun gemauert. Offenbar bewegten sie sich innerhalb der Zitadelle. Dass die Stufen aufwärts führten, wertete Hans als gutes Zeichen. Die Räume der Konkubinen befanden sich laut Max’ Plan im Obergeschoss. Die Treppen endeten abrupt an einer schwarz gestrichenen Wand.

»Und jetzt?«, flüsterte Yorick. »Wie geht das hier auf?«

Hans untersuchte die Wand mit den Fingerspitzen und leuchtete in alle Ritzen.

»Gibt es da einen Mechanismus?«, fragte Yorick. »Oder ein Schloss?«

»Ich finde nichts«, antwortete Hans. Er drückte vorsichtig an verschiedenen Stellen. Nichts tat sich. Er fingerte in einem kleinen Spalt herum, ob sich da ein Hebel oder Ähnliches verbarg. Nichts.

»Scheiße«, fluchte er leise und drückte mit der Schulter gegen die Wand so fest er konnte. Nichts bewegte sich.

»Lass mich mal.« Yorick drängte sich vorbei, doch auch er konnte die Wand nicht bewegen. Er fummelte in dem kleinen Spalt herum und rüttelte. Immer noch nichts. Schließlich hakte er die Finger ein und zog. Geräuschlos glitt die Wand nach innen.

»Ziehen statt drücken«, murmelte Yorick zufrieden. »Moment«, zischte er Hans zu, der gleich losgehen wollte. »Erst mal das.« Er holte ein kleines Fläschchen aus seinem Mantel, entstöpselte es und schüttete sich eine Flüssigkeit auf die Handfläche. Damit rieb er Hans hinter den Ohren und am Hals ein. Es duftete verführerisch. »Rosenöl. Wir wollen doch nicht, dass du bei deinem ersten Schäferstündchen wie ein Iltis stinkst. Und jetzt machen wir besser die Lampen aus.«

Sie tasteten sich im Dunkeln durch den Türspalt in einen Raum, dessen Fenster zwar von leichten Tüchern verhangen waren, durch die aber etwas Mondlicht schimmerte. Die Tür schlossen sie leise. Sie war so geschickt in die hölzerne Wandvertäfelung eingebaut, dass man sie nur sah, wenn man wusste, dass es sie gab. Der Raum war prächtig ausgestattet mit üppigen Sitzkissen und einem Schreibpult. Sie schlichen weiter, Hans entdeckte die Zimmertür. Da ließ sie ein Knurren zu Salzsäulen erstarren. Das Knurren schwoll an und verebbte, dann schwoll es wieder an und verebbte. Das wiederholte sich einige Male, bis die beiden Burschen begriffen, dass da jemand gewaltig schnarchte. Sie waren im Gemach des Wesirs Memduh gelandet. Der dicke Mann schlief tief und fest in einem Berg von Kissen.

Hans und Yorick öffneten vorsichtig die Tür, keine Wachen in Sicht. Hans hatte sich den Plan von Max genau eingeprägt, erst links den Flur hinunter, dann rechts und noch einmal links. Dort war das Gemach der Konkubinen. Immer noch keine Wachen in Sicht. Und wenn, dann würde der Lichtschein der Fackeln, die die nächtlichen Patrouillen mit sich führten, ihr Kommen ankündigen.

»Gut«, sagte Yorick so leise, dass Hans ihn kaum verstand. »Du gehst jetzt rein und suchst deine Aynur. Ich warte hier. Wenn jemand kommt, gebe ich dir ein Zeichen.«

»Was für ein Zeichen?«

»Äh.« Yorick grübelte. »Ich miaue wie ein rolliger Kater.« Er kicherte.

»Und dann?«

»Dann? Keine Ahnung. Es ist dein Plan. Dann bist du auf dich allein gestellt.«

»Und du?«

»Um mich mach dir mal keine Sorgen. Ich komme schon irgendwie zurecht, falls jemand auftaucht. Mit Eunuchen werde ich leicht fertig. Los, beeil dich!«

Hans betrat vorsichtig das Zimmer und wurde sich einer weiteren Schwäche seines Plans bewusst. Wie sollte er seine Aynur zwischen all den schlafenden Frauen finden? Er wartete, bis sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten. An der Wand gegenüber gab es noch eine Tür. Hans sah sich um. Die Ausstattung des Zimmers war einfach, keine kostbaren Stoffe und aufwendig bestickte Kissen. Er zählte sieben schlafende Frauen und Mädchen. Offenbar war dies das Zimmer der Sklavinnen. Er pirschte zur Tür an der Wand gegenüber, öffnete sie einen Spalt und schlüpfte hinein. Hier war er richtig. Es roch nach teuren Ölen, und Gold schimmerte von allen Ecken. Es schimmerte, weil im Raum noch ein Öllicht brannte. Hans Herz setzte aus. Dort im Licht saß eine der Konkubinen und sah ihn an. Als sein Herz wieder schlug und kurz, bevor er in wilder Panik davonrennen wollte, bemerkte er, dass die Konkubine ihn nur mit abschätzigem Blick ansah und keinen Lärm machte. Auf ihrem Schoß lag eine Stickarbeit. Sie lächelte nun verführerisch. Dann huschte ein Erkennen über ihr Gesicht und sie lachte leise. Sie verdrehte die Augen und wies mit dem Kopf nach links. Hans begriff nicht. Sie stöhnte und verdrehte die Augen so weit, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Ihr Kopf zuckte nach links. Dort wehten zarte Tücher leicht im Wind. Ein Balkon. Hans verstand endlich. Er ging vorsichtig durch den Raum und betrat den Balkon. Dort saß im Mondlicht Aynur auf der Brüstung, die Arme um die angewinkelten Beine geschlungen, und blickte verträumt in die Ferne. Sie zuckte nicht zusammen, als sie Hans wahrnahm. Sie blieb starr in ihrer Position und riss die Augen weit auf. Hans traute sich nicht, sich zu bewegen.

»Ich bin Hans«, flüsterte er schließlich heiser, weil ihm nichts Besseres einfiel.

»Bist du wahnsinnig?«, raunte Aynur zurück und stieg von der Brüstung. Sie sprach Deutsch.

»Vielleicht«, antwortete er auf Deutsch. »Ich wollte dich sehen.«

»Aber das geht nicht. Wenn der Wesir das erfährt, sind wir beide tot.«

»Das wäre es mir wert.«

Sie lachte. »Du bist also wahnsinnig.«

Er deutete zurück in den Raum. »Die andere Frau … wird sie uns nicht verraten?«

»Gülsüm? Sie hat dich vom Garten wiedererkannt. Ich denke nicht, dass sie dich verrät. Sie hat selbst einen Galan.«

»Bin ich dein Galan?«

»Das wird sich noch zeigen«, sagte Aynur kokett. »Wo kommst du her, Hans?«

»Aus München, das ist in Bayern …«

»Ich weiß, wo München ist. Ich komme aus Straubing. Damals hieß ich noch Els. Lange her.«

Sie sahen sich schweigend an. Es war nicht der Augenblick, sich jetzt gegenseitig die Lebensgeschichten zu erzählen. Hans wollte sie so gerne berühren, ganz zart, nur mit den Fingerspitzen, nur am Arm oder an der Schulter, mehr nicht, aber er traute sich nicht. Sie nahm seine Hand in ihre, ein Schauer jagte durch seinen Körper. Dann begann eine rollige Katze zu schreien. Kurze Zeit später drangen aufgeregte Stimmen von irgendwoher, ein hohes Kreischen und Zetern. Hans erkannte, dass das Eunuchen sein mussten. Sie waren aufgeflogen. Wohin jetzt? Aynur fluchte leise. Hans sah panisch den Balkon hinunter. Er war zu hoch, um einfach springen zu können. Aber was blieb ihm anderes übrig.

»Nein«, sagte Aynur und deutete zum Dach hinauf. »Schnell, du kannst hier an der Seite hochklettern.« Sie deutete auf eine Rankpflanze, die bis zum Dachfirst wuchs. »Komm morgen wieder um die Zeit. Schnell.«

Sie streichelte seinen Handrücken und ging langsam in das Zimmer zurück. »Weißt du, was da wieder los ist, Gülsüm?«, fragte sie betont unbefangen.

»Keine Ahnung, Süße. Die Eunuchen wieder.«

Hans kletterte die Pflanze hoch und schwang sich über den First aufs Dach. Er krabbelte die Steigung hinauf, innerlich betend, dass die Ziegel nicht losrutschten. Das Ziegeldach endete an einer kleinen, zinnenbewehrten Mauer, dahinter war das Flachdach der Zitadelle. Hans sprang über die Mauer und rannte gebückt zu einem Kamin, in dessen Schatten er sich hockte. Niemand schien ihm zu folgen. Er beschloss abzuwarten und setzte sich. Sein Atem normalisierte sich langsam. Alles in allem war die Aktion recht erfolgreich verlaufen. Er hatte Aynur gesehen und gesprochen. Mehr noch, sie hatte ihn berührt! Er … Moment, atmete da nicht noch jemand? Er lauschte angestrengt. Tatsächlich. Da war jemand neben ihm im Schatten des Kamins. Hans entfuhr ein kleiner Schrei, als sich eine Hand auf seinen Arm legte. Er hörte ein »pssssst«, dann tauchte ein schwarzer Kopf auf. Ein Eunuch.

»Halt die Klappe«, raunte der Schwarze. »Oder willst du unbedingt entdeckt und geköpft werden?«

Hans blieb starr sitzen. Der Schwarze machte es sich neben ihm bequem.

»Siehst du. Geht doch«, meinte er nach einer Weile. Nach einigen weiteren Minuten brach der Eunuch das Schweigen und fragte im der Situation nicht ganz angemessenen beiläufigen Plauderton: »Und du? Wo kommst du her?«

Hans überlegte kurz, wie das gemeint war. Sollte er sagen, aus dem Harem? Doch so dumm würde der Schwarze in dieser Situation wohl kaum fragen. »Aus Bayern. Das ist in Europa. Und du?«

»Aus Darfur. Das ist ein Land südlich von Ägypten. Ich heiße übrigens Rafik.«

»Und ich Hans.«

»Hans? Was für ein komi…«

»Ja, ich weiß!«, unterbrach Hans genervt. »Sind dort alle Menschen so wie du? Ich meine Eunuchen?«

Der Eunuch lachte leise. »Was? Wie kommst du denn darauf? Wenn wir alle Eunuchen wären, wären wir längst ausgestorben.«

»Hä?«

»Sag mal, weißt du gar nicht, was ein Eunuch ist?«

»Na, so schwarze, verbrannte Menschen, denke ich.«

»Du bist ja ein Komiker.« Rafik lachte. »Verbrannt! Lustig. Pass auf, da wo ich herkomme, sind alle so schwarz wie ich. Das ist dort normal. Für mich war es auch ein Schock, als ich das erste Mal einen Weißen gesehen habe. Da dachte ich, das wäre ein Geist. Wie kann man nur so weiß sein? Das ist doch krank. Eunuchen sind kein Volk oder Stamm. Wir werden gemacht. Man schneidet uns alles ab, womit ein Mann Spaß haben kann. Eier und Schwanz. Alles weg. Die machen das, wenn wir Kinder sind. Viele überleben das nicht, weil es einfach brutal ist. Mit viel Blut und so. Alles kommt weg, damit wir keinen Trieb haben. Wir Eunuchen werden dann an die hohen Herren verkauft, die uns zum Schutz ihrer Frauen einsetzen. Wir sind ja keine Männer und können denen nicht gefährlich werden.«

»Das ist ja hart«, sagte Hans betroffen. »Du hast also … gar nichts?«

»Ja, fühl mal.« Er nahm Hans’ Hand und führte sie in seinen Schritt. Nichts. »Scheiße ist das. Wobei … ach, ich weiß ja nicht, wie es wäre, einen zu haben und damit rumzuvögeln. Scheint Spaß zu machen, oder?«

»Hmmm, ich weiß auch nicht.«

»Hast du noch nie?«

»Nein.«

»Oha, und dann machst du dich gleich an eine der Konkubinen ran?«

»Gar nichts mache ich«, empörte sich Hans.

»Ja, klar. Darum sitzt du auch nachts mit mir auf dem Dach über dem Harem.«

»Und warum sitzt du hier nachts mit mir auf dem Dach über dem Harem, wenn du gar nicht kannst, Rafik?«

»Gute Frage. Das willst du nicht wissen. Kleines Eifersuchtsdrama. Es ist auf jeden Fall besser, wenn ich abwarte, bis die sich da unten beruhigt haben.« Er schielte zu Hans hinüber.

»Eifersuchtsdrama? Wo ihr doch angeblich gar nicht könnt?«

»Es gibt auch andere Wege, sich zu amüsieren. Und daran sind meist junge Janitscharen beteiligt … oder alte Lustgreise.«

Hans schwieg und starrte den Schwarzen an.

»Du kapierst es nicht, oder?« Der Eunuch Rafik kicherte. »Lass es mich mal so sagen, hat dir schon mal jemand gesagt, was für sinnliche Lippen du hast, oder hat sich für deinen Hinterausgang interessiert?«

»Oh.« Hans verstand das mit den Lippen zwar nicht, aber das mit dem Hinterausgang. Seine Janitscharen-Orta hatte gut ein Jahr lang in mönchischer Abgeschiedenheit verbracht. Rund einhundert junge Burschen zwischen vierzehn und zwanzig Jahren, die keine Chance hatten, Mädchen kennenzulernen oder zu den Huren zu gehen. Nach knapp drei Monaten wurde das erste Mal einer der Jüngsten vergewaltigt. Die Jüngeren oder Schwächeren suchten sich daraufhin Schutz und zahlten dafür mit der Exklusivität ihrer Körperöffnungen. Für einige war das nicht neu, denn sie hatten bereits ihren Rittern gelegentlich in langen und einsamen Nächten in absolut jeglicher Hinsicht dienen müssen. Was ablief, durfte natürlich nie auch nur erwähnt werden, denn auf Sodomie standen schwerste Strafen, aber es war gängige Praxis. Was in den Waschräumen und Latrinen passierte, wenn keine Vorgesetzten in der Nähe waren, blieb die Sache zwischen zwei Burschen. Hans hatte mehrfach entsprechende Angebote bekommen, da er kräftig war und jeder wusste, wie heldenhaft er sich bei Nikopolis im wahrsten Sinne des Wortes geschlagen hatte. Aber Hans lehnte ab. Er interessierte sich wirklich absolut nicht für Jungs und blieb bei seiner rechten Hand. Manche hielten auch ihn und Yorick für ein Paar, weil sie fast immer zusammen herumhingen. Doch auch für Yorick war Hans nicht mehr und nicht weniger als der beste aller Freunde. Yorick selbst hatte zwei Schützlinge, doch er verhielt sich den Möglichkeiten nach so dezent wie möglich. Dass Hans seinen Freund mehr als einmal beim Sex überraschte – wobei die Tatsache an sich Hans weniger überraschte, als vielmehr Yoricks Vorliebe, sich mit seinen beiden Schützlingen gleichzeitig zu amüsieren –, war der räumlichen Enge in Bursa geschuldet gewesen. Seit sie nun im Feld standen, waren die Verhältnisse von Bursa, abgesehen von zwei bis drei Paaren, die einfach nicht voneinander lassen konnten, weitestgehend beendet.

Sollte Hans nun dem Eunuchen über seine Erfahrungen berichten? Er entschied sich dagegen. »Aber das ist doch Sünde.«

»Sünde, Sünde, blablabla.« Der Schwarze warf die Hände in die Luft. »Ihr Christen immer mit eurer Sünde. Und trotzdem sündigt ihr ununterbrochen. Konkubinen nachsteigen ist auch Sünde.«

»Mir egal«, antwortete Hans entspannt. Er konnte sich absolut sicher sein, dass er für alle Zeiten von Sünden reingewaschen war. Denn als er gerade zwölf Jahr alt war, hatte Papst Bonifaz IX. das erste Gnadenjahr außerhalb Roms ausgerechnet München zugesprochen. Hans hatte alles eingehalten, was nötig war. Die Grundvoraussetzung – nach München pilgern und dort sieben Tage verweilen – fiel in seinem Fall flach. Er besuchte je dreimal die Frauenkirche, die Peterskirche, die Jakobskirche am Anger und die Spitalskapelle, verehrte brav einmal die ausgestellten Reliquien, beichtete und dann kam das Entscheidende: Er spendete ein Almosen, genauer gesagt hatte sein Vater für alle Familienmitglieder das Geld gegeben. Mit dem Gnadenjahr hatten sich Hans und die Münchner von der Strafe des Fegefeuers freigekauft. »Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt«, hatten Hans und seine Kumpels ein beliebtes Spottlied gesungen. Zugegeben, der Ablass galt für alle Sünden außer für vorsätzliche Tötungen. Und vorsätzliche Tötungen hatte Hans inzwischen einige begangen. Doch das beunruhigte ihn nicht, denn das Töten im Krieg fand im Namen und zu Ehren Gottes statt. Er hatte nur Heiden getötet, und selbst jetzt im osmanischen Heer waren seine Opfer weiterhin allesamt Heiden. Seine Seele war blütenrein. Das viele Geld, das München damals im Jahr 1392 eingenommen hatte, sollte ursprünglich je zur Hälfte an die genannten Kirchen und den Papst gehen. Doch Herzog Stephan zweigte sich flugs ein Viertel ab, und auch die Stadt München behielt einfach jene Summe ein, die dem Papst zugestanden hätte. Der Papst verhängte daraufhin Bann und Interdikt gegen diese »ruchlose« Stadt, was die Münchner in ihrer Gewissheit, nun aller Sünden frei zu sein, wenig scherte.