Kitabı oku: «Die wilde Reise des unfreien Hans S.», sayfa 9

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Keiner verweigerte den Schwur. Selbst der Lothringer Ludwig, der inzwischen durch eine Infektion auf dem linken Auge erblindet war, zwei weitere Burschen, die ihr Augenlicht komplett verloren hatten, und die fünf Bemitleidenswerten, denen man aus diversen Gründen Hände, Arme oder Beine amputieren musste, nicht.

Ein Lächeln huschte über Bayezids Gesicht. Zufrieden verkündete er, dass jeder in seine alte Einheit zurückkehren würde. Auf die Reiter würden neue Pferde warten, und weil er sich nun sicher sei, dass er auf sie zählen könnte, erhöhte er auch noch den Sold.

Was Hans nicht ahnte, war, dass seine Gefangenschaft in Bursa ihm, ebenso wie seinem Herrn Karabulut und den anderen Reitern seiner Einheit, das Leben gerettet hatte. Der Nomadenfürst Uthman von den Weißen Hammeln war nach seiner Vertreibung aus Sebast zwar in seine Heimat gezogen, hatte aber Boten zum Tatarenführer Tamerlan geschickt und sich bitter über Sultan Bayezid beschwert. Uthman und die Weißen Hammel hätten Sebast und das dazugehörende Land erobert, also stünde es ihnen zu. Bayezid sei ein Usurpator. Als Vasall Tamerlans forderte er, sein Herr möge ihn darin unterstützen, das Reich Sebast zurückzufordern. Also schickte Tamerlan Boten zu Bayezid, doch der Sultan lehnte alle Forderungen empört ab. Er selbst habe Sebast im Kampf erobert, also stünde es ihm zu und nicht diesem dahergelaufenen Weißen Hammel namens Uthman.

Tamerlan entschied sich zu einer kleinen Machtdemonstration. Er zog im Jahr 1400 mit einer gewaltigen Armee nach Sebast und belagerte es einundzwanzig Tage. Die fünfhundert Soldaten, die Bayezid zum Schutz der Stadt zurückgelassen hatte – und zu denen Karabulut mit seinen Mannen gehört hätten, wenn die Flucht von Hans sie nicht nach Bursa geführt hätte –, konnten dem riesigen Tatarenheer nicht standhalten. Tamerlan ließ an einigen Stellen die Stadtmauer untergraben. Seine Männer stürmten durch die Tunnel in die Stadt, und nach einem kurzen Gefecht gehörte Sebast den Tataren. Der Hauptmann von Bayezids Truppen flehte Tamerlan an, ihr Blut nicht zu vergießen. Tamerlan sicherte dies zu. Er befahl den Gefangenen, vor der Stadt eine enorme Grube auszuheben. Darin mussten sich die osmanischen Soldaten aufstellen. Dann ließ Tamerlan seine Männer die Grube zuschütten und alle darin lebendig begraben. Die schockierten Stadtoberen ließ er wissen, er verstünde ihr weibisches Geheule nicht, denn er habe sein Wort gehalten – es sei kein einziger Tropfen Blut vergossen worden. Anschließend plünderten und verwüsteten Tamerlans Leute die Stadt. Einen Großteil der Einwohner ließ Tamerlan bei seinem Abzug als Sklaven verschleppen. Zuletzt setzte er Qara Yoglu Uthman Beg wieder als Herren von Sebast ein.

12 Der Schlangenkampf

Schön, das Meer, hmmm?« Es war keine Frage, mehr eine Feststellung. Karabulut ließ sich neben Hans nieder, der am Strand saß und in die Ferne blickte. Neben ihm hockte Max.

Sie hatten sich Stiefel und Mäntel ausgezogen und die Waffen abgelegt. Sie hatten das erste Mal in ihrem Leben im Meer gebadet. Dass Wasser so salzig sein konnte, faszinierte Hans. Weil sie wussten, dass es sich hier auch für Männer nicht gehörte, sich zu entblößen, waren sie in Hose und Hemd im Wasser gewesen und ließen nun sich in der Sonne trocknen. Zuvor waren die beiden mit ihren Pferden ein ganzes Stück am Strand entlanggeritten. Möglichst weit weg von den anderen Soldaten, die sich ebenfalls am Meer tummelten, soffen und sich prügelten. Hans hatte ein wenig seine Reitfähigkeiten trainiert. Der Sultan hatte sein Versprechen gehalten und allen Reitern neue Pferde gegeben. Dieses war bunt gescheckt, kleiner, wendiger und frecher als sein Fluchtpferd München. Der Einfachheit halber hatte Hans auch dieses Tier München getauft. Er schaffte es schon passabel, wie Karabulut links und rechts vom Pferd zu springen und sich wieder am Sattel hochzuziehen, wenn das Tier stand oder langsam schritt. Bald würde er es im Trab oder Galopp schaffen. Den Nebeneffekt, deutlich kräftigere Arm- und Schultermuskulatur, genoss Hans außerdem.

»Ja, Herr«, antwortete Hans. »Wunderschön. Ich war noch nie am Meer.«

»Deinen untoten Freund brauche ich ja wohl nicht zu fragen, wie er es findet.« Karabulut schielte schmunzelnd zu Max hinüber.

Karabulut zog eine kleine Tonpfeife aus seiner Tasche und füllte sie mit getrockneten Kräutersamen. Dann zündete er die Samen mit einem Schwefelholz an und atmete den Rauch ein. Hans hatte schon seit vielen Jahren niemanden rauchen sehen. Seine Großmutter hatte manchmal hinter dem Haus gesessen und mit einer ähnlichen Pfeife Kräuter inhaliert. Huflattich meist, manchmal gemischt mit etwas Hanfsamen oder einer Prise getrocknetem Fliegenpilz. Was sie machte, war verpönt, auch wenn es auf dem Land durchaus üblich war, Kräuter zu rauchen. Aber in der Stadt machte man so etwas nicht. Wenn der Vater sie erwischte, gab es jedes Mal Ärger und Geschrei.

Karabulut hielt Hans die Pfeife hin. »Na los, probier mal.«

Hans zog am Mundstück. Heißer Rauch löste einen Hustenanfall aus. Karabulut lachte. »Wird schon. Noch Mal.«

Der Rauch schmeckte würzig und harzig. Mit jedem Zug fühlte sich Hans gelöster. »Was ist das, Herr?« Sein Hirn begann zu fliegen.

»Hanfsamen. Sie lösen dumme Verknotungen im Kopf.« Der Hauptmann nahm die Pfeife zurück und paffte. »Dumm, dümmer, Hans«, sagte er. »Du warst dumm, Hans. Das mit der Flucht. Tststs.«

Sie hatten seit der Freilassung kein persönliches Gespräch geführt. Überhaupt hatten sie noch nie ein persönliches Gespräch geführt. Bis jetzt am Strand von Samsun am Schwarzen Meer. Links von ihnen lag die Stadt, dahinter versank die Sonne langsam abendrot am Horizont. Eigentlich handelte es sich um zwei Städte, das uralte Amisos, in dem immer noch vor allem Griechen und Armenier lebten und die Italiener wichtige Handelsniederlassungen unterhielten, sowie die moslemische Neustadt Samsun. Die beiden Stadtmauern standen nur einen Bogenschuss voneinander entfernt. Im Hafen lagen internationale Handelsschiffe vertäut und warteten auf das Ende der Besatzung. Sultan Bayezid hatte verfügt, dass vorerst keine Schiffe anlegen oder auslaufen durften. Die Fischer fluchten. Die Kaufleute fluchten. Alle fluchten. Denn die Schiffe und damit die Waren wichen nach Sinop oder Trapezunt aus.

Keine zwei Wochen, nachdem man Hans und die anderen Flüchtlinge aus dem Kerker entlassen hatte, war Bayezid zu einem Kriegszug gegen das Land Kastamonu mit der Hauptstadt Samsun aufgebrochen. In den zwei Wochen hatte man die halb verhungerten und verwahrlosten Freigelassenen nach allen Regeln der Kunst aufgepäppelt und wieder diensttauglich gemacht.

Lasse der Nordmann gehörte nun zu Hans’ neuen Kameraden, und sie hatten festgestellt, dass sie ganz gut miteinander auskamen. Er war bei Weitem kein Ersatz für Yorick, aber dennoch … Dass Lasse allgemein wegen seiner Geschichten als verrückt galt, störte Hans nicht. Im Gegenteil. Der Nordmann mit seinen rotblonden Haaren und großen Zähnen war genauso neugierig auf die Welt wie er. Seine spleenigen Geschichten konnte Hans immer wieder hören. Besonders die, in der Lasse behauptete, sein Volk, das einst eine große Seefahrernation gewesen sei, hätte ein völlig neues Land entdeckt. Weit, weit entfernt im Westen, sie nannten es Weinland, weil es dort so fruchtbar sei. Eine Urgroßmutter der Urgroßmutter seiner Urgroßmutter namens Freydis Eriksdottir sei dabei gewesen und darum sei alles wahr. In diesem Land würden seltsame Menschen ohne jeglichen Bartwuchs leben, denen Adlerfedern aus dem Kopf wachsen würden. Lustig war auch die Geschichten von einem Volk, das an einem Ort namens Grünland leben würde, und dessen Angehörige, Männer wie Frauen, komplett mit Fell bewachsen seien und nur rohen Fisch essen würden. Das klang genauso verrückt, wie die Geschichten von Menschen mit Hundeköpfen oder Einhörnern oder Drachen. Hans mochte das.

Hans’ neues Pferd München hatte ihm beim Ritt nach Kastamonu und bei der Eroberung Samsuns treue Dienste geleistet. Wobei Eroberung das falsche Wort war, es handelte sich eher um eine vorsorgliche Invasion, eine Machtdemonstration, um Isfendiyar, König von Kastamonu, an seinen Vasallenstatus zu erinnern. Natürlich war die Geschichte dahinter ein klein wenig länger. Sie hatte mit Isfendiyars Vater, Bayezid dem Lahmen, und dem Vater von Bayezid dem Blitz, Murad I., zu tun, mit der Eroberung von Bulgarien, mit Verrat in der Familie, dem Putsch von Isfendiyars Bruder Süleyman II. gegen Vater Bayezid den Lahmen, dem Auftragsmord an Süleyman II. durch Bayezid den Blitz und so weiter zu tun. Das übliche an Hass und Brudermord. Was momentan jedoch zählte, war Bayezids Sieg über Burhaneddin, die osmanische Eroberung von Sebast und die Rückeroberung durch die Tataren – das hatte die ganze Region in Aufruhr versetzt. König Isfendiyar von Kastamonu sollte an die Kandare genommen werden.

»Eine Frau?«, fragte Karabulut. Hans sah in verwirrt an.

»Hinter deiner Flucht steckt bestimmt eine Frau. Eine Liebesgeschichte, oder?«

Hans nickte traurig. Die harten Monate der Gefangenschaft hatten ihn den Liebeskummer nicht ganz vergessen lassen.

»Oh weh.« Der Hauptmann lachte mitleidig. »Eine tragische Liebesgeschichte. Dumm, Hans, sehr dumm. Dabei bist du nicht dumm. Du hast großes Potenzial.«

Hans wartete schweigend. Da musste nun noch mehr kommen. Ein Vorwurf, ein Angebot. Stattdessen fuhr Karabulut im Plauderton fort: »Hast du von dem großen Wunder hier gehört? Von den Schlangen und Nattern? Nein? Davon spricht doch ganz Samsun. Hier in den Wäldern rings um die Stadt gibt es viele Schlangen. Vor Kurzem sind sie zu Hunderten herausgekrochen und haben sich vor der Stadt gesammelt. Gleichzeitig sind die Meerschlangen aus dem Wasser gekommen. Neun Tage lang haben sie sich gesammelt. Überall Gewürm! Keiner traute sich mehr aus der Stadt, obwohl sie das Vieh verschonten und auch keine Menschen angriffen. Isfendiyar gab den Befehl, dass man den Schlangen nichts antun solle. Er hielt das für ein Zeichen Gottes. Am zehnten Tag dann begannen die Schlangen miteinander zu kämpfen, von Sonnenaufgang bis zur Abenddämmerung. Der Himmel sah bestimmt so feurig rot aus wie jetzt. Isfendiyar ritt hinaus und beobachtete die Schlacht aus nächster Nähe. Die Waldschlangen siegten, sie vertrieben die anderen zurück ins Meer oder töteten sie. Am folgenden Tag ritt der Herr zum Schlachtfeld und fand nur noch tote Schlangen vor. Er ließ sie zählen. Achttausend! Kannst du dir das vorstellen, Hans? Achttausend tote Schlangen. Isfendiyar ließ eine Grube ausheben und alle vergraben. Unmittelbar danach kamen wir hierher. Unser Vater Bayezid sah das als großen Glücksfall. Er freute sich, dass die Seeschlangen unterlegen waren. Für ihn war das ein Zeichen Gottes, dass er fortan nicht nur ein mächtiger Herrscher eines Landes am Meer, sondern bald auch ein mächtiger Herrscher des Meeres werden würde.«

»Und?«, fragte Hans irritiert.

»Ich dachte, die Geschichte interessiert dich.«

»Es ist eine Geschichte, nicht wahr? Kämpfen Schlangen miteinander? Davon habe ich noch nie gehört.«

»Nur weil du von etwas noch nie gehört hast, kann es trotzdem passiert sein.«

»Das stimmt«, sagte Hans nachdenklich. »Die Bibel ist voll von solchen Geschichten. Zeichen und Wunder geschehen immer wieder. Auch wenn ich selbst noch nie eins erlebt habe. Vielleicht sind es auch nur Geschichten. Meine Großmutter glaubte an Wunder. Ich nicht.«

»Siehst du, Hans, du bist nicht dumm.« Karabulut lachte und reichte ihm noch einmal die Kräuterpfeife. »Das ist dir aufgefallen. Es sind nur Geschichten.«

»Glaubt Ihr an göttliche Zeichen und Wunder? Seid Ihr Grieche oder Armenier? Ich dachte, Ihr seid Moslem, Herr.«

»Wieso sollte ich Grieche sein? Und was hat das mit göttlichen Zeichen zu tun?«

»Weil … keine Ahnung. Ich bin etwas verwirrt, verzeiht, Herr.«

»Ich bin Moslem, Hans. Ich bin aus Syrien, wie du weißt. Es gibt im Islam verschiedene Glaubensrichtungen.«

Hans sah seinen Herrn skeptisch an. »Mehrere Glaubensrichtungen? Wie soll denn das gehen?«

»So wie bei euch Christen.«

»Es gibt bei uns nur einen Glauben.«

»Ach, du folgst dem Papst aus Rom, oder? Und was ist mit dem Papst in Avignon? Und dem Oberpriester von Konstantinopel? Und den Griechen, Armeniern, Georgiern, Kopten, Abessiniern und Russen?«

»Die Griechen sind … seltsam«, sagte Hans unsicher. »Die glauben falsch. Na ja, irgendwie schon richtig. Also an den richtigen Gott und unseren Herrn Jesus und die Jungfrau Maria. Ich weiß nicht viel über die Griechen, aber was ich gesehen und gehört habe, ist das Drumherum bei denen komplett falsch.« Hans hatte in Samsun und Sebast griechische Gottesdienste besucht und sich schwer gewundert. Sie glaubten nicht an den Heiligen Stuhl und behaupteten, ihr Patriarch sei mindestens so mächtig wie der Papst. Sie hielten auch zu viele Messen für überflüssig. Nur am Sonntag gab es eine Messe, und die war dann auf Griechisch und nicht auf Latein. Für Hans machte das keinen Unterschied, er verstand beides nicht. Aber neugierig, wie er war, hatte er alles genau beobachtet und gelegentlich Griechen nach Details gefragt. Weihwasserbecken kannten sie zum Beispiel nicht. Wenn der Priester das Brot in Gottes Leib wandelte, warfen sich alle auf den Boden, denn sie meinten, kein Mensch sei würdig, Gottes Wandlung zu sehen. Danach verteilten der Priester und seine Schüler Brotstückchen an die vor ihnen sitzenden Gläubigen – sogar an Kinder! Das Brot nannten sie Prosphora, es durfte nur von Jungfrauen gebacken werden. So etwas wie die Letzte Ölung kannten die Griechen nicht, sie meinten, der Mensch käme erst am Jüngsten Tag in den Himmel oder die Hölle. Wenn jemand starb, wurde er noch einmal getauft und vor der Bestattung gewaschen. Bizarr fand Hans auch, dass die Priester heiraten und sich fortpflanzen durften. Angeblich sei es bei vornehmen und reichen Töchtern sehr beliebt, einen Priester zu heiraten. Wer Priester werden wollte, musste erst heiraten und ein Kind zeugen. Wer nicht zeugungsfähig war, dem wurde die Priesterweihe verweigert. Wenn dem Priester die Ehefrau starb, musste er allerdings den Rest des Lebens als Witwer verbringen, durfte weder neu heiraten noch eine Geliebte haben. Sollte er mit einer Frau erwischt werden, so nahm ihm der Bischof alle priesterlichen Ämter. Und das, obwohl sie keine Sünde darin sahen, etwas mit einer ledigen Frau zu haben. Was Hans kaum glauben wollte, und er war sich fast sicher, dass man ihn auf den Arm genommen hatte, war, dass die Kirchen Privateigentum waren. Kirchen konnten von ihren Erbauern vererbt oder verkauft werden. Außerdem aßen sie am Mittwoch kein Fleisch und hielten seltsame Fastenzeiten, feierten keine Lichtmess und Ostern an einem anderen Tag. Kurz: »Das sind also gar keine richtigen Christen«, schloss Hans.

»Sagt dein Papst.«

»Ja, sagt mein Papst.«

»Und das hinterfragst du nicht?«

»Nein, das ist der Papst! Wie käme ich dazu!«

»Hier oben.« Karabulut tippte Hans gegen die Stirn. »Hier oben kommst du zum Hinterfragen.«

»Eins habe ich in der Schule gelernt, Herr: Hinterfragen bringt nur Schläge. Alles ist gottgewollt und vorgegeben. Da muss man nichts hinterfragen. Ich bin kein Ketzer.« Hans bekreuzigte sich, hielt kurz inne und sah sich seine rechte Hand an. »Noch so was: Die bekreuzigen sich mit der linken Hand!«

»Und die Griechen sagen, dass sie die wahren Christen sind und alles richtig machen, oder?«

»Ja.«

»Siehst du.«

Hans wäre wohl ins Grübeln gekommen, aber sein Hirn war zu sehr mit dem Hanfrauch beschäftigt. »Und was glaubt Ihr dann, Herr?«

»Ich bin Ismailit, genauer gesagt Assassine. Hast du jemals von den Assassinen gehört? Nein? Den Begriff hört man heute nicht mehr so oft. Wir hatten, nun, wie soll ich es ausdrücken, einen seltsamen Ruf in der Vergangenheit. Wir nennen uns jetzt Nizari-Ismailiten. Beizeiten erzähle ich dir mehr davon. Für uns gibt es nur einen einzigen vollkommenen allumfassenden Gott. Und es ist ganz egal, ob du ihn Allah, Jehova oder Buddha oder Krischna nennst.«

»Wer ist denn bitte schön Buddha? Und dieser Krischna?«, gackerte Hans.

»Hast du noch nie einen Inder oder Chinesen getroffen?«

»Wen?«

»Chinesen. Die leben am Ende der Welt.« Da wurde Hans hellhörig. Karabulut fuhr fort: »Unwichtig. Das wirst du schon noch lernen, was Inder und Chinesen sind. Wobei … « Er grübelte kurz. »… wenn ich mich nicht irre, ist Buddha gar kein Gott … Nein, Buddha nicht, aber Krischna … Oder umgekehrt? Siehst du, ich weiß auch zu wenig.« Er lachte wieder. »Für uns zählt vor allem, dass es keine allgemeingültige, dogmatische Wahrheit oder Meinung gibt. Jeder muss den Koran für sich selbst lesen, verstehen und interpretieren. Alles ist eine Allegorie, ein Gleichnis und nicht wörtlich zu nehmen.«

»Das klingt mir aber doch nach Teufelszeug.« Hans wurde es mulmig. Die wohlige Stimmung des Hanfrauchs verflog langsam.

»Du darfst die Bibel nicht auslegen, wie du es möchtest?«

»Gott bewahre!«, rief Hans und hielt sich die Wangen, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. »Dafür bekam ich als Kind Watschen vom Pfarrer. Für jede unbotmäßige Frage!«

»Und? Hast du das gut gefunden?«

»Nein.«

»Siehst du. Das ist wie bei den Sunniten. Das ist auch eine Glaubensrichtung des Islam. Für Sunniten sind wir keine richtigen Moslems. Die kleben am Text wie … fast hätte ich Fliegen an der Scheiße gesagt. Aber das habe ich nicht gesagt.« Karabulut lachte herzlich. »Möchtest du noch was?« Er holte einen kleinen Beutel mit Hanfsamen heraus und stopfte sich eine neue Pfeife.

»Ja, danke, Herr.« Sein Hirn wieder fliegen lassen, kam Hans sehr passend vor. Dann durchzuckte ihn ein Gedanke. Warum war der Hauptmann so freundlich zu ihm? Das konnte nur eins bedeuten. Wobei … Gülsüm … Aber am Ende orientierte sich der Hauptmann in verschiedene Richtungen. »Herr, ich bitte Euch«, sagte er ernst, sein Herz klopfte panisch bis zur Gurgel. »Ich bin nicht wie Lala Nedim Pascha! Ich weiß, Ihr verfügt über mich, und ich muss Euch im Zweifel in allem dienen. Aber ich möchte nicht Euer Favorit werden! Bitte! Verschont mich, Herr, ich bitte Euch.«

Karabulut kippte um vor Lachen. »Na, das passt. Ich bin auch nicht wie Lala«, prustete er.

Hans atmete erleichtert aus. »Ich hätte mich schon gewundert«, platzte er unbedacht heraus. »Wegen Gülsüm …«

Karabulut schob überrascht den Unterkiefer vor, und Hans fürchtete, zu weit gegangen zu sein. Aber der Hauptmann verzog nur den linken Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen und hob spielerisch drohend den Zeigefinger. »Ich weiß«, sagte der Hauptmann, »ich bin schlimm, was die Frauen angeht. Aber eine Frau und Kinder und Familie – das ist nichts für mich. Du wunderst dich bestimmt, warum ich nicht wie andere Sipahis regelmäßig zu meinen Ländereien zurückkehre. Ich könnte mich unter einen alten Olivenbaum setzen und das Leben genießen. Aber das bin ich nicht. Ich habe es mal ein Jahr ausprobiert. Gott, war das langweilig. Ich bin kein Gutsherr, ich bin Reiter, Soldat, Kämpfer. Das ist mein Leben. Mein Gutshof ist in guten Händen und das Geld macht mich unabhängig. Mehr brauche ich nicht.«

Als sie die zweite Pfeife rauchten, nahm der Hauptmann den Faden zum Schlangenkampf wieder auf. »Ich wollte dir vorhin mit der Schlangengeschichte nur klarmachen, dass es verschiedene Wahrheiten gibt. Auch ich habe noch nie von kämpfenden Schlangenarmeen gehört. Und ich glaube es auch nicht. Aber andere glauben es und nehmen es ernst. Was hältst du von folgender Variante der Geschichte: Es gibt Schlangen, die den Winter schlafend unter der Erde verbringen, in Höhlen, so wie die Bären es tun, und dann im Frühjahr kommen sie alle hervor, um sich zu paaren. Dann tummeln sich Tausende von Schlangen im Liebesrausch auf einer Stelle.«

»Ich habe verstanden.« Hans nickte. »Aber … halt, warum gibt es dann so viele tote Schlangen hinterher, also, wenn die doch nur Liebe machen?«

»Gute Frage, Hans, aber wenn du mitdenken würdest, könntest du sie selbst beantworten, oder? Überleg mal, was Tiere machen, wenn der Trieb sie überkommt.«

»Die Männchen«, sagte Hans. »Sie kämpfen miteinander um die Gunst der Weibchen und die schwächeren Männchen werden getötet.«

»Gut, Hans.« Karabulut wuschelte Hans durch das Haar. Nach einigen Minuten des schweigenden Nebeneinandersitzens, sagte der Hauptmann: »Ihr habt euch bei eurer Flucht eingeredet, dass ihr es für euren christlichen Glauben macht, nicht wahr?«

Hans nickte.

»Gut, wenn es dir so wichtig ist, dann nur zu.« Karabulut deutete Richtung Osten. »So nah an Trapezunt warst du noch nie, oder? Und diesmal sind keine Berge und Schluchten im Weg. Reite einfach ein paar Tage an der Küste entlang, und du kommst auf christlichen Boden. Oder noch besser, geh in den Hafen von Samsun, und such dir einen italienischen Frachter, der dich nach Europa bringt.«

Hans kaute auf der Unterlippe, bevor er sagte: »Die Schiffe dürfen nicht auslaufen.«

»Dann warte eben, bis sie wieder auslaufen dürfen!«

»Spielt bitte nicht mit …«, begann Hans, doch Karabulut unterbrach ihn: »Ich spiele nicht mit deinen Gefühlen, dummer Junge. Was glaubst du denn, passiert, wenn ihr in Trapezunt seid? Ich kann es dir sagen. Der Kaiser würde euch sofort wieder den Türken ausliefern, denn er würde es nie wegen ein paar entflohenen Sklaven riskieren, den Sultan zu verärgern. Christ hin oder her. Der Glaube spielt überhaupt keine Rolle. Auch bei euch. Den Glauben haben die meisten von euch doch nur vorgeschoben. Jeder hatte andere Beweggründe für diese dumme Flucht. Bei dir war es in Wahrheit die Liebe zu einem Mädchen … und vielleicht auch Heimweh. Dein Antrieb zu allem, was du machst, ist nicht der Glaube. Glaubs mir.« Karabulut musste über seinen unbeabsichtigten Kalauer lachen, und Hans stimmte mit ein.

»Was ist dein Antrieb, Hans?«

»Ihr habt es doch schon gesagt. Es war Liebe.«

»Nein, die Flucht meine ich nicht«, sagte Karabulut. »Vergiss die Kindereien. Dein Antrieb im Leben.«

»Die Wunder der Welt sehen.«

»Das ist großartig. Bleib dabei, Hans. Frauen gibt es viele. Wunder nur wenige. Wofür würdest du töten, Hans?«

Die Frage überraschte Hans nicht, weil Karabulut sie so unvermittelt beiläufig und mit launigem Unterton gestellt hatte.

»Für die Liebe«, sagte Hans. »Und für die Wunder der Welt. Mal ganz abgesehen davon, dass ich schon häufig getötet habe. Im Krieg.«

»Ja, ich weiß«, Karabulut lächelte. »Der Türkenfresser. Aber da sind wir uns einig, dass das nicht zählt. Das ist gottgewollt.« Er zuckte mit den Schultern. »Es ist übrigens besser für uns alle, wenn du nicht jedem erzählst, dass ich Ismailit bin. Wir haben hier nicht so viele Freunde bei den Osmanen.« Karabulut sah kurz unsicher zu Max hinüber, der nicht mit dem Oberkörper wippte, sondern mit seinen Zehen, dann kicherte er. »Und pass auf, dass die Plaudertasche neben dir zur Abwechslung mal ihren Mund hält.«

Hans gackerte lauthals los. Und er bekam tierischen Hunger.

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