Kitabı oku: «Geldsack», sayfa 2

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03 »Was ist mit Ihrem Auge?«, fragte Max Pfeffer.

»Nichts.« Lenz Stockmair drehte den Kopf verlegen weg. »Kleiner Unfall mit einem Türrahmen. Ich trinke nicht.«

»Das habe ich auch gar nicht behauptet. Waren Sie beim Arzt?«

Der Gärtner schüttelte unmerklich den Kopf. »Passt schon.«

»Muss ein ganz schöner Schock für Sie gewesen sein, als Sie den Toten gefunden haben.«

Lenz nickte. »Das ist der Zumboldt aus dem zehnten Stock, nicht wahr?«

»Richtig. Erzählen Sie mir ein bisschen von ihm.«

Der Gärtner sah überrascht auf. »Ich? Also, ich kenne die Herrschaften aus dem Haus eigentlich gar nicht. Man hat sich gegrüßt. Mehr nicht. Ich bin ja nur der Gärtner.«

»Sind Sie hier fest angestellt?«, fragte Pfeffer und setzte sich neben Lenz auf das kleine Mäuerchen, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Mauer sauber war. Er hatte keine Lust, seinen hellgrauen italienischen Sommeranzug zu ruinieren. Er mochte den Anzug, den er sich in Mailand gekauft hatte. Er betonte seine sportliche Figur und war einfach federleicht.

»Nein«, antwortete der Gärtner. »So viel ist hier dann doch nicht zu tun. Ich komme zweimal die Woche und natürlich bei besonderen Gelegenheiten, wenn saisonale Pflanzungen anstehen und so. Es gibt hier ja die Gartenanlagen vor und hinter dem Haus und dann noch dort drüben«, er deutete zu den benachbarten niedrigen Neubauten, »da gibt es ›Secret Gardens‹, wie die das nennen. Ist schon immer was zu tun.«

»Da bekommt man dann doch ein bisschen was über die Bewohner mit, oder?«

»Sicher, ein bisschen. Meist nur Klatsch und Tratsch. Sie müssten Schorsch fragen. Den Chefhausmeister. Oder einen von den Conciergen. Die wissen alles. Oder denken das zumindest.«

»Na«, sagte Pfeffer aufmunternd und gab sich locker. »Dann erzählen Sie mir doch einfach ein bissl Klatsch und Tratsch aus dem Haus.«

Lenz Stockmair sah unsicher zum Kriminaler hinüber und lächelte schüchtern. »Ich weiß ja nicht. Ich will niemanden reinreiten …«

»Sie reiten niemanden rein«, beruhigte Pfeffer. »Es geht hier immerhin um einen Mord. Der Zumboldt ist ja schließlich kein Unbekannter«, fügte er im Plauderton hinzu.

»Ja«, lachte der Gärtner zustimmend. »Den kennt man aus der Presse, den Zumboldt. Schließlich will der ja ein Wiesnzelt.«

»Den Zumboldts gehört doch das Münchner-Kindl-Zelt, oder?«

»Richtig. Drum können sie sich das hier auch leisten.« Lenz deutete das Hochhaus hinauf. »So ein Wiesnzelt soll ja eine Gelddruckmaschine sein. Was man so hört. Meine Frau hat jedes Jahr als Bedienung auf der Wiesn gearbeitet. Da kommt was bei rum.« Er brach ab.

»Hört man immer wieder«, ermutigte Pfeffer den Mann zum Weiterreden. »Davon leisten Sie sich dann sicher einen schönen Urlaub?«

»Nein.« Lenz Stockmair schüttelte den Kopf. »Haus abzahlen. Wir haben ein kleines Reihenhaus in Sendling am Luise-Kiesselbach-Platz. Meine Frau ist Kellnerin. Hat lange Jahre für die Zumboldts gearbeitet. Jetzt haben sie sie vor einem halben Jahr rausgeschmissen.« Er schüttelte sich und wechselte gleichzeitig das Thema, als wolle er nicht über sein Zuhause sprechen. »Der Zumboldt senior soll angeblich gar nicht mehr gut auf seinen Sohn zu sprechen gewesen sein. Da war was im Busch, heißt es. Hat der Hausmeister, der Schorsch, erzählt. Er muss wohl mal zufällig einen großen Krach mitbekommen haben.«

»Hier im Haus?«, fragte Pfeffer erstaunt nach.

»Freilich. Der Alte wohnt doch auch da. Dem gehört der ganze elfte Stock. Elfter Stock Alois Zumboldt, der Senior, und zehnter Stock Guido Zumboldt, der Junior. Der konnte sich allerdings nur einen halben Stock leisten. Nebenan wohnen diese von Noltings, die haben die andere Hälfte vom zehnten. Mit denen konnte er aber angeblich auch nicht gut. Ach, der junge Zumboldt soll es sich mit fast jedem hier im Haus schon verdorben haben. Sagt man.« Er warf die Hände in die Luft. »Mit seiner Frau läuft auch nichts mehr. Die will die Scheidung. Das sagen nun wirklich alle. Das ist schon kein Gerücht mehr. Na, wenn sie es richtig anstellt, hat sie für den Rest ihres Lebens ausgesorgt. Die lässt ihn bluten und genießt ihr Leben auf Mallorca oder so.« Er lachte. »Das haben uns die Frauen voraus, was? Frauen wissen immer, wie sie an Geld kommen …« Er deutete mit beiden Händen Brüste an und biss sich sofort danach auf die Lippen. »Tschuldigung.«

»Schon okay«, schmunzelte Max Pfeffer. »Sie sagten, der Ermordete hätte es sich mit praktisch allen im Haus schon verdorben?«

»Die Ewers aus dem neunten Stock sprechen nicht mehr mit ihm … äh, sprachen nicht mehr mit ihm.«

»Warum?«

»Das sind …« Lenz Stockmair sah sich vorsichtig um und beugte sich zu Pfeffer rüber. »Das sind zwei Männer, verstehen Sie?«, flüsterte er. »Das sind Homosexuelle. Da hat der Zumboldt wohl mal entsprechende Bemerkungen gemacht, schätze ich.« Er lehnte sich wieder zurück. »Im achten sind dann die Steinkohls. Er ist irgendwas Wichtiges in der Baubranche. Ich glaube, der hat das ganze Projekt hier hochgezogen. Und im siebten wohnt der Architekt Dollmann mit seiner Frau und dem Sohn. Timo heißt der. Der war heute früh mit einem Mädchen unterwegs, als ich angefangen habe, den Rasen zu trimmen. Hat wohl die Nacht durchgemacht. Die Frau vom Dollmann soll mal was mit dem Zumboldt gehabt haben, sagt man. Darum ist der Dollmann auch schlecht auf den Zumboldt zu sprechen gewesen. Mehr weiß ich wirklich nicht.«

»Das war doch schon eine Menge. Allerdings ganz schön wenig Namen für so ein großes Gebäude.«

»Viel mehr wohnen hier nicht. Ach, ganz oben, die beiden oberen Etagen hat so ein Ausländer gekauft. Den kenne ich nicht. So ein reicher Araber. Unten sind bis zur vierten Etage Büros. In der fünften sind der Pool und so Fitness- und Wellnesszeug für die Bewohner. Und einige Wohnungen stehen praktisch immer leer. Die Leute kommen ein- oder zweimal im Jahr zum Shoppen nach München.«

»Verstehe. Was glauben Sie?« Pfeffer stand auf und deutete auf den Kellereingang. Dort waren die Kameras nicht zu übersehen. »Werden wir auf dem Überwachungsvideo den Mörder sehen?«

Lenz Stockmair verzog seinen Mund zu einem schiefen Grinsen. »Vielleicht. Aber das müssen Sie mit der Security besprechen. Das hier ist mindestens so gut bewacht wie Fort Knox. Kann ich jetzt weiterarbeiten?«

»Tut mir leid, wir mussten den Rasentrimmer mitnehmen.«

»Macht nichts«, sagte der Gärtner. »Ich habe ein Ersatzgerät.«

04 »Das ist jetzt ein Scherz«, stöhnte Kommissar Erdal Yusufoglu.

»Leider nein. So leid es mir tut! Das ist uns äußerst peinlich. Äußerst!« Jürgen Hartwig riss die Augen weit auf, um die Dramatik der Situation mimisch zu unterstützen. »Und dann passiert ausgerechnet so etwas!« Er schlug die Hände zusammen. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, meine Herren …« Er schielte zu Hauptkommissarin Bella Hemberger hinüber und fügte schnell »… und meine Dame« hinzu. »Das muss selbstverständlich unter uns bleiben!«

»Wir ermitteln in einem Mordfall, Herr Hartwig«, sagte Max Pfeffer und sah dem hibbeligen Mann mit der auffälligen Designerbrille fest in die Augen. »Es bleibt erst einmal alles unter uns.«

»Natürlich. Natürlich.« Hartwig hüpfte von einem Bein auf das andere. Er trug einen tadellosen dunkelblauen Anzug mit passender dezenter Krawatte und schwarze Budapester Schuhe. Seine mittelblonden Haare waren streng gescheitelt. Er hatte sich den Kriminalbeamten als der zuständige Objektmanager für den »Einstein-Tower« vorgestellt. Pfeffer und seine Kollegen Hemberger und Yusufoglu standen im ersten Stock. Hier befanden sich die Gebäudeverwaltung und auch die Sicherheitszentrale.

»Ich darf aber doch meine Verwunderung darüber ausdrücken, dass in diesem Anwesen, das angeblich besser bewacht wird als Fort Knox, dass ausgerechnet hier die Videoüberwachung ausgefallen ist und Sie keine Erklärung dafür haben.« Pfeffer deutete auf fünf Monitore an der Wand, die alle schwarz waren. Auf dem sechsten konnte man die Eingangshalle sehen. Dort saß der Concierge hinter seinem Desk und tippte etwas in einen Computer. Fünf weitere Monitore zeigten leere Flure.

»Wir suchen fieberhaft den Fehler.« Hartwig rang die Hände. »Nicht wahr, Bodo? Bodo Kiesekamp ist unser IT-Spezialist.«

Bodo Kiesekamp sah missmutig drein. Er war übernächtigt und blass, wie man sich das bei einem Computernerd vorstellte, ansonsten war er wie ein Metal-Fan gekleidet. Schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt mit einem wüsten, blutigen Totenkopfmotiv. Er roch ungeduscht. Seit Tagen ungeduscht. Seine ungepflegten langen Haare waren achtlos zu einem dünnen Pferdeschwanz zusammengebunden. »Jemand muss das System gehackt haben.«

»Das ist praktisch unmöglich«, warf Hartwig ein. »Wir haben alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen.«

»Pfhhh«, gab Bodo Kiesekamp von sich.

»Mäßigen Sie sich bitte«, wies Hartwig ihn zurecht.

»Sie wollten etwas sagen, Herr Kiesekamp«, sagte Pfeffer.

Der IT-Spezialist warf einen verächtlichen Blick auf Jürgen Hartwig. »Allerdings. Zum einen, und das wollen die hier einfach nicht kapieren, gibt es keine totale Sicherheit. Alles kann gehackt werden. Alles! Außerdem bin ich hier ganz allein mit dem ganzen Scheiß. Für alles ist Geld da, nur für das, was wirklich wichtig ist, nicht. Ich kann nicht Tag und Nacht durcharbeiten. Das habe ich Ihnen schon zigmal gesagt. Ich tu, was ich kann. Aber für einen allein …«

»Sie haben einen Assistenten!«, wandte Hartwig ein.

»Das ist ein Praktikant!«, antwortete Kiesekamp trotzig. »Der hat keine Ahnung! Es ist ja auch nicht das erste Mal.«

»Nun«, gab sich Hartwig wieder ganz jovial. »Anfangsschwierigkeiten, meine Herrschaften. So lange ist das hier ja noch nicht in Betrieb. Das ganze Ensemble hier ist ein Multimilloneneuroprojekt, das gerade erst richtig zu laufen beginnt. Das spielt sich peu à peu ein.«

Kiesekamp machte wieder »pfhhh«, verdrehte die Augen und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen einen Schreibtisch.

»Langsam«, sagte Pfeffer. »Noch einmal zum Mitschreiben: Das Videoüberwachungssystem funktioniert automatisch durch Bewegungsmelder. Die Kameras zeichnen nur auf, wenn eine Bewegung registriert wird …«

»Ja. Rings ums Haus, in den Fluren und in den Gemeinschaftsräumen wie Eingangsbereich, Tiefgarage et cetera. Die einzigen Ausnahmen sind das Foyer sowie die Flure in den Büroetagen, die werden ständig videoüberwacht. Ansonsten gilt: Erst sobald jemand sich bewegt, gehen die Kameras los und zeichnen auf. Alle zwei Sekunden ein Bild. Dazu noch dreißig Sekunden Nachschlag, also wenn die Person schon längst weg ist.«

»Kann man das leicht überlisten?«, fragte Bella Hemberger.

»Na, so einfach nicht.« Kiesekamp kratze sich am Kinn. »Man kann natürlich ganz einfach einen Klebestreifen über einen Bewegungsmelder pappen, dann löst er nicht aus. Das ist aber ein Schuss ins Knie, weil man sich ja erst mal dem Ding nähern muss und schon zeichnet die Kamera auf, wer da manipuliert.«

»Und ist das schon mal vorgekommen?«, fragte Pfeffer. »Wenn ich Ihre Worte richtig interpretiert habe, war das nicht das erste Mal.«

Kiesekamp und Hartwig wechselten einen schnellen Blick. »Ja, neulich Abend«, sagte der IT-Spezialist. »Das war ein kleiner Bub, der hat da einen Sticker draufgeklebt. Konnte man auf dem Video sehen.

»Zeigen Sie uns das bitte mal.«

»Geht nicht.« Kiesekamp zuckte mit den Schultern. »Die Aufzeichnungen werden nach vierundzwanzig Stunden überspielt. Es war ein Junge. So um die neun, zehn, dunkle Locken. Keine Ahnung, kenne mich bei Kindern nicht so aus. Der hat dann auch noch mal gestern früh einen Aufkleber hingepappt. Mit irgendwelchen Mangas drauf. Findet das wohl total lustig.«

»Und wie lange hat es gedauert, bis das jemandem aufgefallen ist?«, fragte Pfeffer.

»Das von neulich Abend ist mir erst am nächsten Tag aufgefallen, als ich mich gewundert habe, dass gar niemand durch die Hintertüre ein oder ausgeht. Da bin ich runter und habs entdeckt. Ich hab dann Schorsch, den Chefhausmeister, darauf aufmerksam gemacht, dass er immer mal wieder die Bewegungsmelder im Außenbereich kontrollieren soll, ob was abgeklebt ist. Drum hat er gestern früh auch den neuen Sticker entdeckt.«

»Hat heute schon jemand nachgesehen?«, fragte Pfeffer ungehalten.

Wieder tauschten Kiesekamp und Hartwig einen Blick, diesmal einen schuldbewussten.

Hartwig zückte sofort sein Mobiltelefon, rief den Hausmeister an und gab ihm die entsprechenden Instruktionen. Hartwig blieb am Apparat, während der Hausmeister nachsah. Plötzlich flimmerte ein bislang toter Monitor auf, man sah den Bereich des hinteren Ausgangs, der Hausmeister kam ins Bild, bückte sich seitlich und richtete sich dann wieder auf. Er fuchtelte herum und sagte etwas in sein Handy.

»Nichts«, übermittelte Hartwig und legte auf. »Der Bewegungsmelder ist frei und funktioniert.«

»Es gibt also keinerlei Videoaufzeichnungen von der mutmaßlichen Tatzeit«, fasste Erdal Yusufoglu zusammen. Die Enttäuschung darüber, dass der Fall schnell aufgeklärt werden könnte, stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Anfangsschwierigkeiten, wie ich schon sagte«, gab Jürgen Hartwig von sich. »Das ist hochkomplizierte und hochsensible Technik. Für diesen höchst unwahrscheinlichen Fall, dass mal tatsächlich die Kameraüberwachung ausfällt, hat die Security die Anweisung, mit erhöhter Frequenz Kontrollgänge durchzuführen.«

»Wenn es aber niemandem auffällt?«, warf Kiesekamp sarkastisch ein. »Machen wir uns doch nichts vor. Das hier ist vor allem Kosmetik. Soll halt abschrecken und die Bewohner in einer gewissen Sicherheit wiegen. Wirklich was bringen tun die Kameras hier nicht.«

»Zeigen Sie uns bitte die Sequenzen, die heute nach dem Kameraausfall aufgenommen wurden. Die Kameras vom Kellerausgang und vom Durchgang zur Straße«, sagte Pfeffer. »Auch die von gestern Abend vor dem Ausfall.«

Bodo Kiesekamp setzte sich an seinen Computer und tippte etwas ein. »Hier.« Er deutete auf den letzten Bildschirm links unten. Alle starrten angestrengt auf die zuckenden Bilder. Die Kameras nahmen keine Filme auf, sondern machten alle zwei Sekunden ein Foto. Im rechten oberen Eck lief eine Zeitangabe mit. Die Aufnahmen der Lobbykameras zeigten, dass um 06:37:33 der Gärtner hereinkam, den Nachtportier grüßte, kurz mit ihm schwatzte und schließlich hinter einer Tür am Ende des Saals verschwand. Bald danach betrat Schorsch, der Chefhausmeister, das Haus, machte einen kurzen Smalltalk mit dem Portier und verschwand dann auch hinter der Tür, die der Gärtner genommen hatte.

»Externes Personal wie der Gärtner hat eine Zeitsperre in den Chips«, erklärte Hartwig ungefragt. »Die können zwischen zweiundzwanzig und sieben Uhr nur durch die Lobby reinkommen, nicht durch andere Türen.«

»Der Hausmeister ist extern?«, fragte Erdal Yusufoglu ungläubig.

»Ja, nein, nicht wirklich. Der ist noch in der Probezeit. Darum.«

»Hier gehts los«, unterbrach Bodo Kiesekamp und deutete auf einen Monitor. 07:07:25 zeigte die Zeitangabe. Aus verschiedenen Kameraperspektiven sah man zwischen Hecke und Hauswand die Leiche, auf dem Rasen daneben lag der Rasentrimmer, sonst war niemand zu sehen. Das Bild wurde wieder dunkel. Um 07:08:51 kam der Gärtner Lenz Stockmair aus der Kellertür und wischte sich mit einem Taschentuch über das Gesicht. Dann holte er sein Mobiltelefon heraus und telefonierte.

»Jetzt ruft er die Polizei, oder«, sagte Yusufoglu. »Warum war er erst noch drinnen?«

»So derangiert, wie der vorhin ausgesehen hat, vermute ich mal, dass er sich übergeben musste«, meinte Bella Hemberger.

»Wer hat kurz vor sieben Uhr sieben und fünfundzwanzig Sekunden die Kamera ausgelöst? Jemand, der hineingegangen ist? Warum ist er dann nicht auf dem Bild?«, sinnierte Pfeffer. »Es lag also nicht am Bewegungsmelder.«

»Sondern?«, fragte Hartwig unbedarft.

»An der Kamera«, schnaufte Bobo Kiesekamp ungehalten über die Begriffsstutzigkeit seines Vorgesetzten.

»Jemand muss das also manipuliert haben«, sagte Hauptkommissarin Hemberger.

»Unmöglich«, brummte Hartwig.

»Möglich«, brummte Kiesekamp wie ein Echo, »aber sehr unwahrscheinlich. Das muss dann ein echter Profi gewesen sein.«

»So schauts aus«, sagte Max Pfeffer.

»Ich habe vorhin die Logfiles gecheckt«, sagte Bodo Kiesekamp. »Da gab es noch eine Bewegung in den Büroetagen.« Er tippte etwas in seine Tastatur ein. Dann sah man auf einem Monitor, wie ein Mann um 05:48:19 den Büroflur im vierten Stock betrat und in einem Raum verschwand. »Das ist Guido Zumboldt«, erklärte Jürgen Hartwig. »Er hat sein Büro im vierten Stock.« Um 05:53:02 verließ der Mann wieder das Büro, ging den Flur entlang auf die Kamera zu, drückte den Liftknopf und bestieg dann den Fahrstuhl.

»Warum war er so kurz im Büro? Er scheint nichts mitgenommen zu haben. Vermutlich fährt er jetzt runter und geht hinten raus«, sagte Pfeffer. »Damit wäre unsere Tatzeit so gegen sechs Uhr. Sagen Sie, Bodo, wer hat denn das Überwachungssystem hier installiert?«

»Na, im Wesentlichen ich. Also mit meinen Kollegen. Ich habe früher bei SecuCheck gearbeitet. Die haben den Auftrag für den Turm hier bekommen. Dann haben sie mich abgeworben, weil ich mich mit dem ganzen Scheiß eben gut auskenne. Die mich. Um das deutlich zu machen. Also, hier bin ich und verdiene deutlich mehr. Ist nie verkehrt.« Er grinste zufrieden.

»Gut.« Pfeffer machte Anstalten zu gehen. »Geben Sie meinen Kollegen bitte noch die Kontaktdaten der Securitymänner, die heute Nacht Dienst hatten. Und ich erwarte selbstverständlich, dass alle Aufnahmen der letzten Nacht und des heutigen Vormittags nicht wieder überspielt werden. Lassen Sie uns eine DVD von allem erhaltenen Filmmaterial zukommen. Ich werde dann mal nach oben gehen und den Angehörigen die traurige Mitteilung machen.«

»Ich begleite Sie«, sagte Hartwig etwas zu devot und beeilte sich, mit Max Pfeffer Schritt zu halten, als der durch den Büroflur Richtung Ausgang schritt.

»Danke, aber das schaffe ich schon alleine.«

»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.« Hartwig lächelte entschuldigend. Sie hatten die Fahrstühle erreicht. Hartwig zog eine kleine runde Plastikscheibe, die über eine dünne Kette an seinem Gürtel befestigt war, aus der Hosentasche. Er hielt die Plastikscheibe gegen einen Sensor. »Ohne den Chip können Sie den Fahrstuhl nicht bedienen.«

»Verstehe«, sagte Pfeffer.

»Nur Bewohner bekommen so einen Chip. Anders kommt man nicht in den Einstein-Tower.«

»Tiefgarage und Hintertür eingeschlossen?«

»Tiefgarage und Hintertüren eingeschlossen. Ohne Chip kommt niemand rein. Die Bewohner haben zusätzlich die Möglichkeit, neben dem Chip eine App auf dem Smartphone zu nutzen.«

»Und wer keinen Chip hat, muss am Haupteingang am Pförtner vorbei?«

»Richtig. Wobei wir den Begriff Concierge bevorzugen. Er kann dann den Lift für Lieferanten oder Besucher freigeben, nachdem er sie bei den Herrschaften angemeldet hat.«

Die Lifttür öffnete sich geräuschlos. Im Aufzug hielt Hartwig seinen Chip wieder gegen einen Sensor und drückte dann die Taste zum elften Stock. »Mit dem anderen Lift nebenan könnten wir gar nicht fahren«, erklärte er dabei. »Den können nur die Bewohner nutzen. Der führt direkt in die Wohnungen.«

»Verstehe«, sagte Pfeffer. »Daher gibt es auch keine Aufzeichnung von dem Zeitpunkt, an dem Zumboldt seine Wohnung verlassen hat. Er musste ja gar nicht in den Flur.«

05 »Hedy, hast du das Habsburg-Gilet gesehen?«, rief Alois Zumboldt quer durch die Wohnung. Er fischte sich noch ein Champagnertrüffel aus der Schachtel und schob ihn sich unter die Zunge. Er liebte es, die feine Schokolade langsam im Mund schmelzen zu lassen.

»Das rote oder das blaue?«, kam es aus dem Badezimmer zurück.

»Blau!«

»Wenn es nicht in deinem … ach, Moment, da hast du doch neulich ein Triangel reingerissen.« Hedwig Zumboldt kam zu ihrem Mann in dessen Ankleidezimmer. Ihre Absätze klackten auf dem geölten Eichenparkett. Sie trug ein knöchellanges nachtblaues Dirndl mit hellblauer Schürze und zupfte sich Lockenwickler aus den zu dunkel gefärbten Haaren. Das Mieder mit den Goldknöpfen gab ihrem umfangreichen Körper den Hauch einer Taille und hielt den üppigen Busen hoch. Ihr Blick fiel auf die offene Pralinenschachtel.

»Ach, Alois«, schimpfte sie. »Was soll denn das? Du weißt doch, was die kosten! Die sind außerdem für die Gäste!« Sie begann sofort, die Gästegeschenke zu kontrollieren.

»Hab dich nicht so.« Er schob sich noch einen Trüffel nach. »Die Packung ist eh angebrochen. Da kann ich sie gleich aufessen. Wir kaufen bei Elly Seidl einfach ein paar neue. Liegt quasi auf dem Weg. Was ist nun mit meinem Gilet«, sagte er ungeduldig. »Nicht das mit dem eingerissenen Triangel. Das ist aus grünem Samt. Ich mein das blaue von Habsburg.«

»Zieh halt das schwarze mit den kleinen gestickten Hirschen an. Das passt auch zu deiner Hose und dem Hemd. Ziehst halt den dunklen Janker dazu an, nicht den grünen.« Sie beendete die Geschenkekontrolle. »Jeweils zehn Wiesntische für die fünf. Also mal fünf sind fünfzig. Stimmt. Aber du kannst die Gutscheine doch nicht in dem sterilen Aktenkoffer mitnehmen!«

»Wie denn dann?«

»Das muss passen, Loisl. Wie oft hab ich dir das gesagt. Die Optik zählt. Hier.« Sie zog eine alte abgewetzte Ledertasche hervor. »Die hat Patina. Die schreit: Welcome to Bavaria. Mia san griabig und gmiatli.«

»Als ob da Kines boarisch kenna dad!«

»Ach, Loisl! So, des hamma. Dann: Zwei Kisten Pommery Champagner Cuvée Louise 1999. Wunderbar. Die alte Schnepfe säuft ja nix anderes. Halt, wieso zwei Kisten?«

»Die eine ist für die alte Schnepfe und die andere für Doktor Meinhardt.«

»Hat der uns nicht schon genug abgezockt? Ach, was solls. Wo sind die Pralinen für die anderen Damen und die Chinesen? Ah, hier. Sehr gut. Eine Packung nachkaufen. Passt. Hast du beim Escortservice die fünf Damen bestellt?«

»Drei«, brummte Alois Zumboldt. »Die anderen beiden wollen in den Puff. Alles schon reserviert und bezahlt.«

»Und einen Kerl für die alte Schnepfe?«

»Einen Neger, so wie sie es mag.«

»Gut so, Loisl. So, und jetzt beeil dich, sonst kommen wir noch zu spät.

»Das sagt die Richtige. Du bist ja noch nicht mal mit dem Bad fertig. Außerdem brauch ich erst noch einen Kaffee.« Er schlüpfte in die Weste, die seine Frau vorgeschlagen hatte. Er musste tief einatmen und den Bauch einziehen, um sie zuknöpfen zu können. Dann legte er sein goldenes Armkettchen und den Siegelring an. Zuletzt sorgte er mit geübten Handbewegungen dafür, dass sein schulterlanges graues Haar hinten über den Hemdkragen wellte.

Hedwig Zumboldt hatte mit schnellen Griffen die letzten Lockenwickler herausgezogen. »Ich muss nur noch mal schnell durchkämmen, dann bin ich schon fertig.«

»Sollen wir das wirklich durchziehen?«, fragte Alois Zumboldt und zog seine Frau so nah an sich heran, wie es ihrer beider Leibesfülle gestattete.

»Was, den Empfang im Tourismusamt?«

»Schmarrn, Hedy, stell dich nicht so blöd. Ich meine das mit dem Buben.«

»Ist das jetzt dein Ernst?« Sie sah ihn verwundert an.

»Na ja. Er ist schließlich unser einziger Bub.«

»Was ist denn los mit dir? Wir tun das Richtige, Loiserl.« Sie tätschelte ihrem Mann die mächtige Wampe.

»Ich weiß. Aber der Herr Pfarrer hat doch auch gesagt …« Alois Zumboldt sah seiner Frau traurig in die Augen. Dann bebten seine Lippen, und er konnte den Blick nicht mehr ernsthaft halten. Seine Wangen begannen zu glühen, und er kicherte albern.

»Ach, du! Fast wäre ich drauf reingefallen. Kindskopf.« Hedwig Zumboldt gab ihrem Mann einen spielerischen Klaps. Alois löste sich von ihr und verließ das Ankleidezimmer in Richtung Küche. Er schenkte sich einen Becher Kaffee ein, keine Milch, kein Zucker, und trank ihn hastig. »Gut, Weib. Dann schauen wir auf dem Weg nach unten schnell bei der Fiona vorbei.«

»Von mir aus.« Sie verdrehte die Augen. »Dann versauen wir uns eben den Tag gleich von Anfang an und machen dem Flitscherl noch unsere Aufwartung.«

»Reiß dich zamm, Weib!«

»Wissen Sie, warum dieses Anwesen hier den schönen Namen Einstein-Tower trägt?«, plauderte Hartwig während sich die Lifttür geräuschlos schloss. Er hielt seinen Transponder an eine Metallplatte und tippte dann »11« ein.

»Ich dachte, wir fahren in den zehnten Stock«, fragte Pfeffer verwundert.

»Das tun wir auch«, antwortete Hartwig lächelnd. »Das ist etwas verwirrend. Aber die Bauherren hatten Angst, dass dreizehn Stockwerke mögliche Käufer abschrecken könnten. Sie wissen schon, Unglückszahl. Darum machen wir es wie die Amerikaner. Das Erdgeschoss zählt als eins, so haben wir vierzehn Etagen.«

Der Lift schoss nach oben.

»Und warum heißt es nun Einstein-Tower?«, fragte Pfeffer.

»Hier stand früher mal das Gymnasium, auf das Albert Einstein gegangen ist. Das königliche Luitpold-Gymnasium. Ist das nicht faszinierend? Da zu leben, wo der Geist des größten Genies aller Zeiten geformt wurde? Das ist historischer Boden!«

»Sie brauchen sich keine Mühe geben«, sagte Pfeffer lakonisch. »Ich möchte hier nichts kaufen.«

»Ich …«, Hartwig begriff die Ironie verzögert. »Ach so.« Er lachte künstlich. »Da müsste ich Sie ohnehin enttäuschen. Längst alles verkauft. Ich kann Ihnen das ganze Anwesen zeigen, wenn Sie möchten.«

»Darauf komme ich gerne zurück.«

Die Lifttür öffnete sich. Pfeffer und Hartwig betraten den Flur, der mit zartgrauen italienischen Marmorplatten gekachelt war. Pfeffer sah nur zwei Türen, eine war offenbar die Wohnungstür, über der anderen leuchtete ein grünes Notausgangsschild, sie führte also zum Treppenhaus.

»Lassen Sie bitte mich das regeln«, sagte der Objektmanager und trat vor die Gegensprechanlage links von der Wohnungstür. Er läutete und wartete. Er sah dabei ernst und direkt in die kleine Kamera oberhalb der Klingel, in der Erwartung, dass sich gleich jemand melden würde.

»Da sind Sie ja«, sagte die Frau, die mit Schwung die Tür aufriss. Sie schob einen großen Koffer durch die Tür. Sie war eine attraktive Blondine in den Dreißigern, doch ihr Gesicht wirkte einen kleinen Hauch zu maskenhaft. »Den können Sie gleich schon mal mit runternehmen. Dann kommen Sie wieder rauf und holen den Rest. Bin gleich fertig.«

»Äh, nein, Frau Zumboldt«, stotterte Hartwig. »Das ist nicht der Chauffeur …«

»Pfeffer, Kripo München.« Max Pfeffer hielt seine Dienstmarke hoch. Die Frau stoppte irritiert in ihrer Betriebsamkeit, kniff die Augen zusammen und kam ganz nah. Offenkundig war sie zu eitel für eine Brille und hatte keine Kontaktlinsen drin.

»Kripo?«, fragte sie abschätzig. Dann lächelte sie und musterte Pfeffer. Dass ihr gefiel, was sie sah, verbarg sie nicht. »Ich fürchte, Sie kommen nicht wegen mir, oder?« Sie warf ihren Kopf kokett nach hinten. Ihr streng nach hinten gebundener Pferdeschwanz wippte frech.

»Sollte ich denn Ihretwegen kommen?«, fragte Pfeffer.

Statt darauf zu antworten, machte sie eine einladende Geste und gab den Weg in die Wohnung frei. Pfeffer trat ein, und als Hartwig ihm folgen wollte, schenkte er ihm einen scharfen Blick. Hartwig stockte. Dann sagte Fiona Zumboldt: »Danke, Hartwig, wir kommen sicher alleine zurecht.«

»Ich … ich verabschiede mich dann mal. Frau Zumboldt. Herr Pfeffer.« Objektmanager Jürgen Hartwig verbeugte sich leicht und zog sich zurück.

»Was für eine schleimige Schwuchtel«, sagte Fiona Zumboldt und verlor damit sofort alle Sympathiepunkte bei Pfeffer, obwohl er sie auf den ersten Blick für durchaus sympathisch und trotz des zu heftigen Botoxeinsatzes für sehr attraktiv gehalten hatte. Dann schob sie ein »Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise« hinterher, und Pfeffer war halbwegs versöhnt. Sie führte Pfeffer in den großzügigen Eingangsbereich des Lofts. Die bodentiefe Fensterfront genehmigte einen atemberaubenden Blick über Münchens Süden hinweg in die Weite. Wenn Föhn geherrscht hätte, hätte man die Alpen sehen können. So konnte man sie nur im blauen Dunst erahnen. Das Entree war spärlich, aber höchst erlesen möbliert.

»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Herr Pfeffer? Und bitte nehmen Sie doch Platz.« Sie deutete auf eine kleine, massive Eichenholzbank, die so schlicht aussah, dass sie ein Vermögen gekostet haben musste.

»Danke.«

»Danke ja oder danke nein.«

»Danke nein. Ich bleibe auch lieber stehen. Sie verreisen?«, fragte Pfeffer und deutete auf die gepackten Koffer.

»Ich? Nein. Bestimmt nicht. Mein Mann verreist. Auch wenn er das noch nicht weiß. Irgendwann reicht es.«

»Ich verstehe«, sagte Pfeffer langsam.

»Nein, das glaube ich nicht. Keiner versteht meinen Mann. Ich schon mal gleich gar nicht.« Sie lehnte sich mit verschränkten Armen gegen eine Kommode, die ebenso schlicht und streng gestaltet war wie die Holzbank. Über dem Möbel hing eine alte afrikanische Maske. »Sie wollten mit mir über meinen Mann sprechen, Herr Pfeffer?«

»Richtig.« Max Pfeffer kam nicht weiter. Es läutete an der Tür.

»Herrschaftszeiten«, stöhnte Fiona Zumboldt und ging mit großen Schritten zum Eingang. Sie riss die Tür mit einem unfreundlichen »Ist der Chauffeur endlich da?« auf und prallte mit einem Seufzer zurück. Vor der Tür stand ein dralles Trachtlerpaar. Sie im nachtblauen Dirndl mit hellblauer Schürze, er in einem dunklen Lodenanzug mit besticktem Gilet und Filzhut mit prächtigem Gamsbart. Er trug eine alte Aktentasche in der linken Hand. Beide lächelten ebenso zuckersüß wie falsch. Jeder, der auch nur gelegentlich einen Blick in eine Münchner Zeitung warf, erkannte das prominente Wirtspaar Hedwig und Alois Zumboldt sofort – Großgastronomen, Wiesnwirte, Münchner Institutionen.

»Mei, Fiona.« Die dicke Trachtlerin rauschte herein und drückte die Hausherrin kurz an ihren mächtigen Busen. »Gut schaust du aus. Bisschen blass, na, das liegt wahrscheinlich nur an dem grünen Dings, das du da trägst. Grün ist einfach nicht deine Farbe, Schatz.«

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