Kitabı oku: «If the kids are united», sayfa 3
Na ja … Eine andere Variante ist die, daß Punk ›gender-phänomenologisch‹, wie sich Moritz R. ausdrückt, als erste Subkultur die Geschlechterfrage zumindest über Bord zu werfen versuchte. Punk grenzte sich ab gegen die naive Thematisierung von Liebe und Sex in den Siebzigern: vom billigen Dirndlfilm über Teenager-Serien wie Eis am Stiel bis zu den Musikstreifen mit John Travolta. Alles klappte dort wie am Schnürchen, Männer und Frauen waren allzeit geil und willig. Allesamt waren die Frauen schön, die Männer ein bißchen weniger. Pink Flag, die erste LP von WIRE, setzte dem eine komplette Demontage der ›falschen‹ Liebe entgegen, benannte die völlige Entfremdung.
»It’s true darling, I’ll walk home, I’ll be your date forever, I love you, girl, I love you, until they split the atom, so many times, there’s nothing left, there’s nothing left at all, I know I’m right, ’cos when you’re gone, there’s nothing left at all, left right, salute.« [Brazil]
Punk war zwar völlig vulgär sexualisiert – alleine die ganzen ›Fucks‹ in Songzeilen und Ansagen –, hatte aber keinen Gestus der Anmache, hatte keine Aura knisternder Erotik, weder die der süßen Stars (BAY CITY ROLLERS, Leif Garrett), noch die verwegener Lebemänner (Leonard Cohen) oder ›Kerls‹ (Mick Jagger). Alles an Punk schien darauf abzuzielen, in einem großen zynischen Rundumschlag zu zeigen, daß die in den Siebzigern postulierte ›freie Liebe‹ selbst Teil des Programms zur Verdummung und Einschläferung gewesen sei – Teil einer pornographisierten Warengesellschaft.
Weder Männer noch Frauen waren im Punk noch offenkundiges Lustobjekt (und haben gerade deshalb, wie ich bereits im vorigen Kapitel erwähnt habe, gewissermaßen besser ausgesehen). In diesem Sinne war Punk emanzipatorisch, wenn auch der Umgang mit dem eigenen Geschlecht am Einzelfall festgemacht werden muß. Die dümmste Begründung allerdings (und sie wurde oft genannt), weshalb Punk für Frauen attraktiv gewesen sei, spricht von der Einfachheit der Musik. Das kann wirklich nur aus Männerhirnen gekrochen sein.
Innerhalb der Hardcore-Szene, die sich während der Achtziger entwickelte, wurde Feminismus schließlich häufig diskutiert, war aber auch hier fast nie Inhalt der meist von Männern vorgetragenen Songtexte, geschweige denn, daß vermehrt Musikerinnen aufgetreten wären, um die Unterdrückung von Frauen zu thematisieren. Gruppen wie ARM aus Hamburg sind da eine absolute Ausnahme. In bestechend einfachen Texten (was womöglich an der fremden Sprache liegt) schildert Sängerin Danielle ihre Ängste vor den Männern (»Penetration«) sowie die entwürdigende Situation der Frau: auf ihr Geschlecht reduziert, nur noch in der Preisgabe als ›Subjekt‹ betrachtet und anerkannt zu sein.
»And tonight is wedding night
and his blood is hot
he’s gonna make her
somebody
he rips off her clothes
and makes her
somebody
She’s gonna be someone
cause he makes her
She’s gonna be someone
cause he fucks her«
[»She’s Gonna Be Someone«, auf It’s A Kind Of War, 1989]
Dieser Text wirkt in seiner Direktheit trivial und macht doch in wenigen Sätzen – gerade durch das geschickte Nebeneinander der Begriffe ›somebody‹ und ›someone‹ – klar, wie sehr die in unserer Gesellschaft zum Objekt geschrumpfte Frau über ihren Körper noch in der größten Erniedrigung zum Subjekt erklärt wird oder sich gar selbst nur noch über diesen Akt als Subjekt begreifen kann: ›someone‹ bleibt dabei immer ›some body‹.
Und doch stießen ARM durch ihre komplexe, von Breaks durchzogene, an Jazzcore-Bands wie VICTIMS FAMILY und GONE orientierte Musik innerhalb der Hardcore-Szene oft auf Ablehnung. Witte von den NOISE ANNOYS sagt 1990 in einem ZAP-Interview: »Musik muß aus dem Bauch kommen. Gerade viele deutsche Bands machen zuviel mit dem Kopf, ARM zum Beispiel« – ein Statement, mit dem er nicht alleine steht.
Wie auch immer man die Musik von ARM bewertet: Über diesen viel strapazierten Kopf/Bauch-Konflikt hinaus muß man anerkennen, daß solche Texte auch im Hardcore eine absolute Seltenheit darstellen. Häufiger gab es Widerstand gegen Sexismus innerhalb der eigenen Szene (u. a. gegen den Bandnamen RAPEMAN, gegen ein Plattencover von NOFX und gegen den Song »So Sexist« von CHEMICAL PEOPLE) als diese Szene wiederum fähig war, ernsthaft antisexistische Inhalte zu vermitteln.
Am Ende bleibt allemal die Frage offen, ob ARM (Frau als Opfer) und Lydia Lunch (die offensiv fordernde Frau) nicht möglicherweise dasselbe wollen und es nur durch eine andere Herangehensweise einfordern. Oder aber, ob der Text von ARM sich vielleicht doch einer sehr eindimensionalen Unterdrückungstheorie bedient, die darauf hinausläuft, Sexualität zwischen den Geschlechtern per se abzulehnen. Ebensowenig läßt sich endgültig klären, ob die Namensgebung von RAPEMAN pubertäre Dummheit gewesen ist, widerspenstiges Punk-Gehabe oder trotzige Reaktion auf einen sich antisexistisch nennenden Puritanismus.
Punk war in erster Linie daran interessiert, jegliche Tabus zu brechen. Unter diesem Aspekt gesehen, wäre RAPEMAN als Namensgebung eine typische Punk-Geste. Aus sich selbst heraus klaffen Ästhetik und Attitude oft auseinander, können nicht miteinander gleichgesetzt werden, sondern müssen häufig sogar spiegelbildlich gelesen werden (Totenschädel auf einem Plattencover meinen ja z. B. nicht in jedem Fall ›Hach, Totsein ist schön‹): Punk und Hardcore sind im wesentlichen gegen Sexismus ausgerichtet, als Reaktion auf die liebestrunkene Love & Peace-Bewegung stellenweise sogar tendenziell gegen Sex. Zugleich will Punk aber auch Lust, eine andere, nicht von Werbung vorgegebene Form des intensiven Erlebens.
Um diese Ablehnung kenntlich zu machen, benötigt Punk aus seiner eigenen Ästhetik heraus die krasse, negativ überzeichnete Darstellung von veräußerlichter Sexualität. Demnach steht Lydia Lunch also eher in Punk-Tradition als ARM und ist gerade deshalb so kontrovers, weil sie sich traditionellen Unterdrückungstheorien nicht beugt, sondern im Einfordern von Lust einer Selbstverwirklichung näher ist als aller weinerliche Rückzug.
Punk/Hardcore ist größtenteils Männerdomäne gewesen, aber im Gegensatz zu anderen Formen der Rockmusik (z. B. Heavy Metal) zumindest weniger anfällig gegenüber machohaften Männerphantasien.
Dasselbe läßt sich in Sachen Rassismus sagen: Es ist weiße, aber antirassistische Musik. Dennoch: HipHop und Hardcore, also schwarze und weiße Protestmusik, standen sich ursprünglich möglicherweise mit Sympathie, aber auch großer Distanz gegenüber. Abgesehen von den BAD BRAINS, jener einzigartigen Fusion aus Core und Reggae, hat es weder eine ausschließlich schwarze Punk/Hardcore-Band gegeben noch ein Interesse von Seiten der Afroamerikaner, an dieser milieuverhafteten Gegenkultur des weißen Mittelstands teilzunehmen. (Zu Jean Beauvoir mit seinem Irokesenschnitt in der Retortenband PLASMATICS will ich hier lieber schweigen).
Obwohl Punk, wie Diedrich Diederichsen schreibt, »immer deutlich ›links‹ codiert« war, sprechen seiner Ansicht nach bereits ästhetische Kriterien dafür, daß er »für Rechtsradikale co-optierbar war«:
»Der ästhetische Grund ist tatsächlich der Verzicht auf afro-amerikanische Elemente in der Musik. Man konnte zu Bands der zweiten Generation wie Sham 69 grölen wie ein gewalttätiger Mob, man konnte den unfunky Körper intakt lassen und ganz Gesinnung werden, man konnte martialisch sein, denn keine Synkope untergrub den tumben, ewigen Vierviertel-Takt des Ressentiments. Das bloße Gefühl der Kollektivität in Massensituationen, die auf Bestätigung und Konformität aufbauen, ist tatsächlich das Gegenteil der aktiven, auf Austausch aufbauenden Kollektivität jeder afro-amerikanischen Musik.« [konkret 6/93]3
Diederichsens Analyse – die sich nicht auf den frühen Punk beziehen läßt, der auch starke Reggae-Wurzeln hatte – trifft ebenso auf die erste Hardcore-Generation zu, auf die frühen BLACK FLAG, CIRCLE JERKS, MINOR THREAT, AGNOSTIC FRONT, SUICIDAL TENDENCIES und DRI. Hardcore war damit eine in der Regel antirassistische Musik, die doch nur schwer zum Groove finden konnte.
Doch auch hier gab es Ausnahmen, die für die Zukunft wegweisend sein sollten. Bereits zu Beginn der Achtziger integrierte das Trio MINUTEMEN Funk- und Latin-Strukturen in seine Musik, die kanadischen NOMEANSNO und FUGAZI aus Washington DC knüpften an den funkigen Groove von GANG OF FOUR an, und schwarze Bands aus dem HipHop- und Dancefloor-Bereich veröffentlichten ihre Platten in der zweiten Hälfte der Achtziger erstmals auch auf Hardcore-Labels (z. B. BEATNIGS auf Alternative Tentacles) bzw. fütterten ihren HipHop mit Hardcore- und Metal-Riffs (URBAN DANCE SQUAD, ICE T). Das, was mit dem Duett von RUN DMC und AEROSMITH erstmals auch das große Heer der Charts-Konsumenten erreichte, brachte bald eine Lawine ins Rollen: ›Crossover‹ war nun nicht mehr nur Stilbezeichnung für die Vermischung von Hardcore und Metal, sondern insbesondere für das Nebeneinander schwarzer und weißer Elemente in ein und demselben Song – bald in Sachen Virtuosität ohne Rücksicht auf Verluste, teilweise auch des Verlustes von Groove.
Was war geschehen? MINOR THREAT hätten, erklärt Ian McKaye, der später FUGAZI gründete, »am Punk angeknüpft, weil tanzbare schwarze Musik von uns nicht mehr als Underground empfunden wurde, sondern von den Hitparaden aufgesaugt war. Später erst bemerkten wir, daß Groove ein sehr starkes Mittel sein kann, gegen die vorherrschende Seichtheit anzugehen, weil hier Inhalte über den ganzen Körper transportiert werden.«
Dogmatiker der ›old school‹ sahen daher nicht ganz zu Unrecht schon in Bands wie FUGAZI und NOMEANSNO den Zusammenbruch von Hardcore voraus. Kurz opponierte dagegen noch einmal die ›Hatecore‹-Front, Bands wie SLAPSHOT, YUPPICIDE und SFA, die SHAM 69, DISCHARGE, SEVEN SECONDS, YOUTH OF TODAY und andere Veteranen aufleben ließen, doch der neue Kurs war schon bestimmt, Hardcore als ›white trash‹ ließ sich nicht mehr reanimieren.
Indem immer mehr Hardcore-Musiker sich ihrer Rolle als Konservatoren eines weißen Viervierteltaktes bewußt wurden und gleichzeitig auch darüber nachzudenken begannen, inwieweit Internationalismus durch ein strenges stilistisches Abgrenzen gegenüber schwarzen Elementen überhaupt realisierbar ist, begann Hardcore sich zu öffnen, setzte sich als Stil selbst ein Ende.
Gewisse Formen des sogenannten Crossover, die mir in sich stimmig erscheinen, weil sie nicht überladen, nicht konstruiert klingen, weil die Homogenität der Stücke nicht unterm Kreuzen leidet, mag ich bis heute. Hochachtung zum Beispiel vor UNIVERSAL CONGRESS OF, DOCTOR NERVE und BLIND IDIOT GOD. Zu jenen, die mit dieser Musik Lorbeeren geerntet haben und die zu den Bands der Neunziger gehören – etwa RED HOT CHILI PEPPERS, LIVING COLOUR, BIOHAZARD – fehlt mir nach wie vor der Bezug. Eine Band unter den ›Großen‹, die schwarze Formation FISHBONE, die in FUNKADELIC-Tradition eine sehr groovige Mischung aus Rap, Ska, Reggae, Jazz und Hardrock lieferte, spare ich in meiner distanzierten Haltung aus, da sie zumindest live zeigten, daß da jemand auf dem richtigen Weg war. Die Erklärung, weshalb Crossover eine quasi naturgegebene Notwendigkeit ist, lieferte deren Wortführer ›Dr. Badd Vibes‹:
»Alles, was sich im Rock entwickelt hat, stammt von einem Baum – es ist eine Familie. Ganz unten, an den Wurzeln, hast du den Blues. Von dort geht alles aus. Dann hast du die erste Abzweigung, die vom Blues ausging, den Jazz. Danach kam die zweite Abzweigung, nämlich Rock’n’Roll. Und alles von Heavy Metal bis Punk ging aus diesem zweiten Ast hervor. Doch alles hängt fest zusammen, gehört zusammen. Es wurde von Ignoranten künstlich getrennt.«
Trotz der im Inhalt bestehenden Notwendigkeit zum Internationalismus kann man dieses Zitat nicht unkritisch hinnehmen: Der hier vom Blues her konstruierte Baum der Rockgeschichte konnte in ästhetischer Hinsicht ja gerade erst dadurch entstehen, daß Zusammenhänge ›von Ignoranten künstlich getrennt‹ wurden, daß Abgrenzungen stattfanden. Alles andere liefe darauf hinaus, nur noch Fusion als Stil akzeptieren zu können (wobei Fusion wiederum erst als Reaktion auf Abspaltungen entstehen konnte).
Daß Punk zumindest zeitweise keine afro-amerikanischen Elemente aufwies, machte seine unmittelbare stilistische Radikalität aus (machte ihn erst zum Stil), ist aber noch kein Zeichen für einen sich ankündigenden Rassismus. Hier greift Diedrich Diederichsens These zu kurz: Es mag wohl stimmen, daß eine Naziband wie STÖRKRAFT schwerlich wie FUNKADELIC klingen könnte (alleine schon, weil ihnen die Fähigkeit dazu abgeht) und es auch gar nicht wollte, trotzdem ist auch Groove kein politisch per se geschütztes Terrain – Nazi-Rap ist durchaus vorstellbar.
Entgegen der Annahme, alle irgendwie rechten Jugendlichen würden auch ausschließlich die gängigen Rechtsrock-Bands rezipieren, erwähnte auch Diederichsen irritiert die Malcolm-X-Kappen vorm brennenden ›Asylantenheim‹ in Rostock-Lichtenhagen. Spätestens hier wird klar, daß man bei Unkenntnis der Texte oder in Gleichgültigkeit ihnen gegenüber sehr wohl gleichzeitig PUBLIC ENEMY hören kann und Menschen mit schwarzer Hautfarbe verbrennen, denn gerade PUBLIC ENEMY sind ein gutes Beispiel dafür, wie wenig Diederichsens Begriff von der ›aktiven, auf Austausch aufbauenden Kollektivität jeder afro-amerikanischen Musik‹ aufgeht. Es ist (zum Glück) nicht jede afro-amerikanische Musik bloß kommunikativ – die explizite Bedeutung von PUBLIC ENEMY besteht ja gerade in militanter Konfrontation.
Nein, die Grenze muß anders gezogen werden. Sie kann auch nicht darauf zielen, Musik ab einer gewissen Aggressivität für potentiell faschistoid zu erklären: Man zeige mir den, der durch eine Gruppe wie WIRE zum Neonazi werden könnte!
Vielmehr spricht alles dafür, daß zur Formulierung radikaler Nonkonformität ein Stil notwendig ist, der sich bewußt abgrenzt und sich gleichzeitig doch nicht aus einer Ideologie heraus definiert. Das unterscheidet beispielsweise die SEX PISTOLS von STÖRKRAFT, macht aber einen Unterschied aus, der sich nicht dadurch ausbügeln läßt, in beiden Fällen das Fehlen afro-amerikanischer Strukturen zu bemängeln.
Als Gegenargument bleibt dazu nämlich auch jederzeit bestehen, daß Crossover zwar seiner Form nach kaum für Faschismen anfällig ist, andererseits in seiner hypertoleranten Planierungsfreude ästhetisch rein gar nichts Nonkonformes mehr aufzuweisen hat: Mit dem Ende der Abgrenzung kommt es auch leicht zum Ende von Gehalt und zu einer bloßen Aneinanderreihung von Posen.
Es bleibt festzuhalten: Als einheitlicher Stil konnte Hardcore nur im Ghetto weißer Mittelklasse bestehen (Jay/BAD RELIGION: »Wir waren keine Ausgestoßenen, keine Opfer der Gesellschaft, sondern wir alle waren, wenn ich ehrlich bin, richtige Streber.«). Mögen nun also die gemeinsamen Projekte schwarzer und weißer Musiker oder die gegenseitige Adaption auf kreativen Mißverständnissen beruhen, so gibt es dem Hardcore zumindest die Möglichkeit, das eigene gesellschaftliche Privileg zu überdenken. Ein Privileg, das sich niemals auf alle Musiker übertragen läßt (man denke nur daran, daß Bands wie die BIG BOYS oder FLIPPER beinahe unter ihrem Krach verhungert wären), und außerdem ein Privileg, das sich nicht dadurch aus der Welt schaffen läßt, mit anderen Stilen zu jonglieren, als habe man sie selbst aus dem Ei gepellt. BAD RELIGION blieben auch dann weiße Reihenhauskinder, wenn sie zu rappen anfingen. An der Situation läßt sich nichts ändern, alleine am Bewußtsein. Doch dies bedarf nicht notwendig einer Funk-Struktur, um vernehmbar zu sein.
Co, Sänger der BOXHAMSTERS [»Wir hatten nie ›No future‹«], Punkband aus Gießen: »Unser Bandname stammt ja aus einem Monty-Python-Film, war der Name von diesem Typen, der ›Die Wahl zum Trottel der feinen Gesellschaft‹ gewann. Der Name paßt, da wir selbst Trottel dieser feinen Gesellschaft sind. Es ist zwar Kult, von sich zu behaupten, man sei noch echter Arbeiterklassen-Punk, aber auf wen trifft das denn heute noch zu? Deswegen kann ich Sprüche wie ›Zerschlagt das Kapital‹ einfach nicht bringen, denn ich bin selbst ein Teil davon und eigentlich froh darüber, daß in meiner Wohnung zwei Fernseher stehen.«
Weniger selbstzufrieden, sich aber des eigenen Privilegs ebenfalls bewußt, äußerten sich SLIME 1994. Ihr Song »Goldene Türme« geht gegenüber üblichen Solidaritätsbekundungen mit den ausgebeuteten BewohnerInnen des Trikont ein Stück weiter, indem er zur Aufhebung der sozialen Differenz selbst den eigenen Tod – wie heroisch stilisiert auch immer – in Kauf nimmt:
»manchmal denk ich, es wäre auch o.k.
selbst wenn ich in dem fall auch drauf geh
daß man nicht mehr anklopft, ›dürfen wir?‹
sondern in waffen reinstürzt durch die offene tür
mit wilden augen sie von überall kommen
und sich zurückholen was wir ihnen genommen
es ist folgerichtig, es wird so sein
goldene türme wachsen nicht endlos
sie stürzen ein.«
Dirk /SLIME: »Dieser Text soll klarmachen, daß du selbst als Linker in diesem Land noch Unterdrücker bist. Selbst mit geringstem Einkommen, sozial relativ niedrig gestellt, geht es dir um vieles besser als den Menschen in der sogenannten Dritten Welt. Jeder in diesem Land lebt auf deren Kosten und hätte damit seinen eigenen Untergang eigentlich verdient. Auch wir müssen uns also in unserem relativen Wohlstand nicht wundern, wenn einmal die Armen von uns Unterdrückern ihr Recht einfordern. Es wäre dann, radikal gesehen, nur billig, freiwillig abzutreten.«
Hardcore und Metal
Obwohl Hardcore- und Metal-Publikum in der Regel aus einem verschiedenen sozialen Umfeld kommen, eine völlig andere Erwartungshaltung an Musik haben, sich also scheinbar fremd gegenüberstehen, lassen sich musikalische Überschneidungen nicht leugnen. Überschneidungen, die schließlich auch zu einer Vermischung des Publikums führten.
Metal ist eine stark hedonistische Musik, in der Aggressivität lediglich dem Austoben dient, dem ›have a good time‹ – die politischen Inhalte gehen, sofern vorhanden, kaum über eine institutionalisierte, an Symptomen herumdoktorende Kritik hinaus: Von übermäßigem Fernsehkonsum, Umweltverschmutzung bis zu Atomkraft und Krieg werden da selbst bei musikalisch dem Hardcore nahestehenden Bands Erscheinungen auf eine Art kritisiert, die gerade mal an der Oberfläche kratzt.
Der durchschnittliche männliche Metalhörer mag Kriegsdienstverweigerer und GRÜNEN-Wähler sein, eine Affinität zur autonomen Linken oder eine grundsätzliche anarchische Antihaltung sind bei ihm dagegen absolute Ausnahme. Alles bleibt Show, so sehr diese auch ins Privateste dringt und sein Extrem in den Metallern findet, die nie ohne Kutte und Gitarren-Schlumpf ins Bett gehen. ›Metal ist eine Lebenseinstellung‹, hört man es raunen. Na ja, aber für und gegen was? Mit welchem Inhalt?
Gerade weil es innerhalb der Metal-Szene keine tiefer verwurzelte Systemkritik gibt, kein nennenswertes oder gar gemeinschaftliches politisches Bewußtsein, verwischen die Grenzen von rechts und links je nach musikalischen Vorlieben: Monatlich featured die Metal-Zeitschrift Rock Hard in einer Kolumne Punk/Hardcore-Neuerscheinungen und erdreistet sich dennoch nicht, sich voller Sympathie für Bands am rechten Rand einzusetzen – so geschehen mit den BÖHSEN ONKELZ und den US-Patrioten TYPE-O-NEGATIVE. Den ONKELZ wurde einstimmig im Metal-Lager mit der mageren Begründung Absolution erteilt, sie hätten sich von der rechten Vergangenheit glaubwürdig (?) distanziert; dabei wurde meistens willentlich übersehen, daß der Haß, den die Band nach wie vor Linken entgegenbringt, sie bestenfalls ins rechte Lager der CDU einreiht, wo man sich ja auch fleißig von rassistischen Brandmördern distanziert, zugleich aber mit »Das Boot ist voll«-Kampagnen genau deren Gesinnung verbreitet.
Welche Blüten seinerzeit die Verteidigung der ›gereinigten‹ BÖHSEN ONKELZ trieb, zeigt stellvertretend ein Beitrag im Metal-Fanzine Animalize (Selbsteinschätzung: »eine reine Musik-Zeitung und nicht ein politisches Magazin – und das soll auch so bleiben«) von 1993:
»Erwähnen möchte ich allerdings noch, daß bei mir auch Links-Extremisten auf Ablehnung stoßen, da mir z. B. die vergangenen Taten der RAF mehr als zuwider sind. Mit meiner Unterstützung kann auf jeden Fall jeder rechnen, der gewaltfrei versucht, der rechtsextremen Szene entgegenzuwirken. Jetzt aber zu den BÖHSEN ONKELZ: Wer sich die letzten ONKELZ-Scheiben anhört, wird darauf keine faschistischen Äußerungen finden! Was man dort zu hören bekommt, ist meiner Meinung nach einfach gut gemachter Heavy Metal mit deutschen Texten. […]
In Deutschland bekommen Leute, die einmal straffällig geworden sind, eine zweite Chance, nachdem sie ihre Strafe abgesessen haben. Gerade Anhänger der linken Szene setzen sich mit Umfragen wie z. B. ›Haben Sie Vorurteile gegen Ex-Häftlinge‹ dafür ein. Das, was die BÖHSEN ONKELZ vor Jahren getan haben, war zwar keine Straftat im eigentlichen Sinne – ihnen wird allerdings nicht verziehen. Das verstehe ich nicht …«
Solch diffuse Unüberlegtheit bzw. offene Affirmation, mit der eine der gefährlichsten Verdrängungsbands hierzulande dafür verteidigt wird, daß sie inzwischen »gut gemachten Heavy Metal mit deutschen Texten« spielt, zeigt augenfällig, weshalb sich politisch orientierte (oder auch nur in irgendeiner Form kritische) Hardcore-Fans mit Metal nicht einlassen wollten, während Metal in seiner schwammigen Oberflächlichkeit mit Punk und Hardcore keine Probleme hatte. Deshalb auch die hohe Anzahl von Metallern bei Konzerten linksautonomer Punkbands wie RAZZIA und SLIME: Inhalte sind da zweitrangig und austauschbar, solange die Musik ›gut kommt‹.
Punk als Rebellion gegen das Rock-Dinosauriertum der Siebziger schließt die Absage an Heavy Metal ein: Von jaulenden Gitarrensoli-Bands wie JUDAS PRIEST und IRON MAIDEN bis zu ›progressiven‹ Technikern wie MEKONG DELTA war und ist Metal eine Fortführung des virtuosen Stargehabes mit härteren Mitteln. Metal als männlich geprägte, sexistische, in Leder gequetschte Ausdrucksform des ›Wir da oben, ihr da unten‹ widerspricht der Gleichberechtigung von Band und Publikum. Das Gitarrensolo sucht nicht Dialog, sondern Bewunderung und Verehrung. Kommunikation beschränkt sich auf den ›blowjob‹ der Groupies. Metal ist nur dem Schein nach Anti-Ästhetik.
Die mit Elvis massiv im Rock einsetzende Idolisierung der Stars, wird durch Metal nicht gebrochen, sondern findet im Posing, den wallenden Haaren, hautengen Jeans bis hin zum phallischen Gebrauch der Gitarre seine Fortsetzung in aggressivster Variante. Obwohl – oder gerade weil – Sexualität im Metal nur selten thematisiert wird, schwingt in Musik und Auftreten ein ständiges ›Fick mich!‹ mit, das die Erotik herkömmlicher Popsongs selbst noch im Nichtbenennen der Sache auf ihre brutal patriarchalische Spitze treibt. Gegen solche Tendenzen war Punk – wie bereits erwähnt – betont unerotisch und schmuddelig.
Selbst dort noch, wo Hardcore bewußt martialisch auftrat, mit Militärhosen und kurzen Haaren, ist dies ursprünglich Reaktion gegen die Verkäuflichkeit ›schöner‹ Rockstars gewesen. Einige besonders grimmige Hardcore-Musiker, die das Outfit von Vietnamheimkehrern aufgelegt haben, verweigern sich mit ihrer ›Faß mich nicht an‹-Haltung jener Verstrickung von Pop und Begierde, wie das auf subtilere Art schon die RESIDENTS taten, indem sie ihre Gesichter vor der Öffentlichkeit verbargen.
GUNS N’ ROSES, eine der beliebtesten Metalbands der Neunziger, vereint in sich sämtliche im Metal latent vorhandenen Vorstellungen von der männlich-weißen ›Herrenrasse‹.
Das Antifa Jugendinfo BRD schreibt dazu:
»Axl Rose rechtfertigt seine rassistische Einstellung damit, daß Menschen ›aus Iran, Pakistan, China und Japan etc. die Arbeit in bequemen Lagern und Tankstellen bekommen. Dann bedrohen sie dich, als würdest du nicht hierhin gehören.‹ […] Er hat auch ›schlechte Erfahrungen mit Homosexuellen‹, daher die ›Schwulenlinie‹. Trotz der Anti-Gay-Texte protestiert Rose, er sei ja lediglich ›pro-heterosexuell‹. ›Ich kann nun mal von Frauen nicht genug kriegen‹, ist seine Erklärung dafür.« [Antifa Jugendinfo BRD, Nr.5 / 1993]
Und doch: Den Pakt mit Heavy Metal gingen Hardcore-Bands sehr früh ein. Auch wenn es sich dabei um den Versuch gehandelt hat, wie Peter von EROSION aus Hamburg sagt, »Metal von seinem ideologischen Gerüst zu befreien«, ist nicht nur der musikalische Unterschied zwischen vielen Hardcore- und Metalbands längst graduell geworden, für Außenstehende kaum hörbar, sondern auch ein inhaltlicher Gehaltverlust zu bemerken. In Amerika waren es z. B. GANG GREEN und ACCUSED, die Schritt für Schritt vom Hardcore ins Speedmetal-Umfeld wechselten; CRO MAGS, SICK OFF IT ALL und BIOHAZARD haben ihren Crossover so weit getrieben, daß sie heute zugunsten von Metal ein komplett neues Publikum ansprechen; in Deutschland versuchten SUCKSPEED, ROSTOK VAMPIRES, EROSION, JINGO DE LUNCH, NONOYESNO und die EMILS, sich gegenüber Metal-Strukturen zu öffnen und doch gleichzeitig ihrem alten Hardcore-Publikum treu zu bleiben.
Ganze Labels wie z. B. Earache Records profitierten davon, gleich zwei Kundenkreise erfolgreich abzudecken. Auch wenn all die hier genannten Bands sich in der Tat davor hüteten, das Negativ-Image von Metal zu übernehmen, geriet ihre Fusion außer Kontrolle: Crossover (ursprünglich als Begriff für die Vermischung von Metal und Hardcore oder HipHop entstanden) steht heute für ein ›weder Fisch noch Fleisch‹, für eine inhaltliche Entschärfung, für einen Verlust von Spontaneität: einen Verlust übrigens, den man im voraus hätte erkennen können. Crossover ist immer schon Musik vom Reißbrett gewesen, zusammengeschustert mit dem Ziel, das Publikum durch ungewöhnliche Taschenspielertricks zu verblüffen.
Gegenüber den Punk-Riffs ist das Metal-Spiel ›verzögert‹ (wie schnell auch der Beat sein mag). Es kommt nicht zur Pogo-Entladung, die den ganzen Körper packt, sondern bleibt im drögen Headbanging stecken. Daran läßt sich das Artifizielle, rein Showhafte am Metal leicht ablesen – alle Aggression ist veräußerlichter Gestus, eine Maskerade, die gerade deshalb so unangenehm aufstößt, weil sie sich als authentisch ausgibt.
Kaum eine Rocksparte nämlich hat so viele Echtheits-Ideologen hervorgebracht wie Hardrock und Heavy Metal. Und kaum eine Rocksparte konnte gleichzeitig Kategorien wie Authentizität und Präsenz so wenig einlösen wie diese. Erst in seiner Extremform, die das Tumbe zur Zeitlupe gedehnt hat, wurde Metal einerseits als Farce entlarvt, andererseits erstmals höchst intensiv: eine Übertreibung, die wir den MELVINS zu verdanken haben, deren ›Entdeckung der Langsamkeit‹ weder mit der Metal- noch mit der Hardcore-Etikette beschreibbar ist. Ab einem gewissen Grad von Verzögerung und gleichzeitiger Monotonie (spätestens mit dem Auftakter ihrer Lysol-LP) degenerierten die dem Metal entlehnten Riffs – etwas war entstanden, was man je nach Laune Krach oder Avantgarde nennen kann.
Von einer solchen Ausnahme-Band einmal abgesehen, hatte sich durch die Metal-Aneignung all das, wogegen Punk einmal angetreten war, durch die Hintertür wieder eingeschlichen und Hardcore so morbide gemacht, daß dessen Idealismus seit den Neunzigern in sich zusammenfällt. Eine Unzahl von Kompromissen und unkritischen Eingeständnissen gegenüber einstigen Gegnern (Metal, Progressive-Rock, Musikindustrie) hat Hardcore ›at the top‹ gebracht, zu hoch, um als Gegenkultur noch funktionieren zu können.
Aus dieser seit Ende der Achtziger entstandenen Planlosigkeit heraus läßt sich begreifen, daß Hardcore-Definition willkürlich geworden ist, daß die Bewegung ins Beliebige, politisch wie ästhetisch nicht mehr Faßbare zersplittert ist. Und nur so läßt sich folgende seltsame Bemerkung des Bassisten von PRONG erklären, einer sowohl vom Hardcorewie Metal-Publikum gefeierten Band, die inzwischen ebenfalls zur Industrie (Sony Music) gewechselt ist:
»Ich glaube, Hardcore unterscheidet sich gerade dadurch vom Punk, daß die Musiker alle verdammt gut spielen können. Wo sitzen denn heute die wirklichen Könner? Im Hardcore! Nur weil Hardcore von Anfang an so viele technisch einwandfreie Musiker hatte, ist er so vielseitig geblieben.«
Einerseits widerspricht diese Äußerung von 1990 ganz der ursprünglichen Hardcore-Idee, den musikalischen Wert an Intensität und nicht an Könnertum festzumachen, andererseits ist Hardcore 1990 bereits so wenig faßbar, so sehr als Begriff aufgeschwemmt, daß PRONG ihre nachhaltig von METALLICA beeinflußte Musik ohne größere Widerrede als Hardcore bezeichnen können.
Das Spiel vom ›We’re still Punk‹ als ständige Selbstvergewisserung, noch immer dem Underground anzugehören, wird seit dieser Zeit zum gebetsmühlenartig abgespulten Wahlspruch all jener, die es doch eigentlich besser wissen müßten. Noch 1994 erzählen TAD, die schon immer musikalisch dem Hardrock/Metal näherstanden als Punk und Hardcore:
»Punk ist eine Haltung, eine Einstellung zu den Dingen, kein Stil. Wenn also so ein Weißbrot daherkommt und behauptet, TAD wären nicht Punk, weil TAD keinen typischen Punkrock spielen, dann lache ich mal laut. Wir wissen, wo wir stehen.«
Es wundert nicht, daß die ›attitude‹ und der Zusammenhalt einer Bewegung gerade dann besonders betont werden, wenn von all dem kaum noch etwas vorhanden ist. Daß sich derzeit gerade jene Bands auf ihre wilden ›roots‹ besinnen, welche diese längst abgelegt haben und dank einer konsumfreudigen Metalszene heute trotz hohen Eintrittspreisen in kommerziell orientierten Clubs vor mehreren Tausend spielen, mag Publicity sein oder aber ein Versuch, mit schlechtem Gewissen die eigene Entwicklung zu kaschieren.
Kaum mehr eine Band, die noch 1988 als Hardcore-Act durch die autonomen Jugendzentren tingelte, würdigt diese Zentren heute auch nur eines Blickes (von Ausnahmen natürlich immer abgesehen); die älter gewordenen Hardcore-Bands, mögen sie in ihren Texten auch noch immer auf die nötige ›correctness‹ achten, haben nicht nur ihren Stil, sondern auch ihre ökonomische Verweigerung an den oberflächlichen Metalmarkt verkauft. Eine Vielzahl von neu dazugekommenen jungen, unkommerziell arbeitenden Hardcore-Bands kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es innerhalb einer sich dem feindlichen Draußen, den Strukturen des Kapitalismus verschließenden Subkultur zu einem Bruch gekommen ist. Ein Bruch, der das Weiterleben von Hardcore als Stil fragwürdig gemacht hat, nicht aber das Ende von oppositionellem Denken und autonomen Jugendzentren bedeuten wird. Zum Glück.
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