Kitabı oku: «Steirische Lausbubengeschichten», sayfa 2
Die Rollfähre nach Jugoslawien
Wenn man aus unserem Haus hinaustrat und nach links hundert Meter über die Mühlgangbrücke ging, stand man vor einer Weggabelung. Man musste sich entscheiden, ob man nach links Richtung Mureck und zur alten Überfuhr oder rechts zur Überfuhr, also zur Rollfähre über die Mur, ging.
Geradeaus konnte man durch die Bäume das andere Murufer erkennen. Über den Bäumen sah man die Schlote der Papierfabrik in Sladkih Vrh. Wendete man sich nach links, so fuhr oder ging man auf einem Feldweg neben einem langen Feld, das Frau Počič gehörte, ehe man wieder eine Weggabelung erreichte. Ein Weg führte hinaus an die Mur zur „Alten Überfuhr“. Hier hatte bis Anfang der Sechzigerjahre die Rollfähre über die Mur den Übergang nach Slowenien für die Bevölkerung von Weitersfeld sichergestellt. Neben einer zweiten Rollfähre weiter westlich zwischen Lichendorf und Ceršak gab es Murbrücken in Spielfeld (ungefähr 7 Kilometer westlich) und in Mureck (ungefähr 5 Kilometer östlich).
Die Landestelle war direkt neben den Fabriksgebäuden gewesen, doch wegen der Ausdehnung des Fabriksgeländes wurde die Fähre versetzt und die Fährstation einen Kilometer weiter flussaufwärts verlegt.
Bog man nicht nach rechts zur Mur ab, sondern fuhr geradeaus in den Wald, so gelangte man vorbei an einem Altwassersee zu einem Wehr des Mühlgangs und einem darunterliegenden Staubecken (dem „Tumpf“), dem Herzstück unseres Abenteuerreiches.
Folgte man nach der Mühlgangbrücke der Schotterstraße nach rechts, so gelangte man entlang des Mühlgangs, vorbei an einem Betonmäuerl und nach der Abzweigung zur Riesel, dem besten Fischplatz an der Mur, zur „Überfuhr“, der neuen Anlegestelle der Rollfähre nach Jugoslawien.
Schon damals faszinierte mich der Gedanke, dass auf der anderen Seite der Mur Ausland war. Die Erzählungen der Dorfbevölkerung über Slowenien waren stets kritisch, hatten doch viele Familien und Vorfahren die ehemalige Untersteiermark unter Zwang verlassen müssen und fast alles verloren. Wenige Bauern aus dem Dorf besaßen noch landwirtschaftliche Güter in Jugoslawien. Die Rollfähre, die entweder ein Auto, einen Traktor mit Anhänger oder ein Pferdefuhrwerk über die Mur bringen konnte, machte es möglich, diese verbliebenen Gründstücke zu bewirtschaften. Das war auch der eigentliche Zweck der Fähre. Der Grenzübergang war nur für Einheimische geöffnet und konnte nur mit einem speziellen Grenzübertrittsschein benützt werden. Dieses kleine graue Büchlein, in dem jeder Übertritt penibel vermerkt und abgestempelt wurde, erhielt man nur nach zehnjähriger Ortsansässigkeit. Wie stolz waren mein Bruder und ich, als wir unseren eigenen Grenzübertrittsschein erhielten, da wir seit der Geburt in Weitersfeld als Zweitwohnsitz gemeldet waren.
Die Rollfähre bestand aus zwei Eisenpontons, die mit einer floßartigen Holzplattform überbaut waren. Auf der Plattform gab es für die kurze Zeit der Überfahrt Sitzbänke. Flussaufwärts war die Fähre mit einem Stahlseil und einer Laufrolle an einem mehrere Meter über der Mur gespannten Führungsseil befestigt. Flussabwärts war am Ende eines langen Holzstammes ein Ruderblatt befestigt, welches der Flößer hin und her bewegte, um die Fähre in die Strömung zu drehen und am anderen Ufer anzulegen.
Der Betrieb der Fähre oblag den Jugoslawen. Der Fährmann war daher immer ein Jugoslawe, der aber natürlich Deutsch sprach. Er erhielt das Fährgeld und wahrscheinlich auch immer ein Trinkgeld.
Durch das wiederkehrende Hochwasser der Mur hat sich die Fähre oft losgerissen. Einmal trieb sie bis Bad Radkersburg, ein anderes Mal lief sie in Mureck auf Grund und die Eisenpontons mussten mit großer Mühe geborgen werden. Die Anlegestellen wurden mit einem mühselig zu bedienenden Kettensystem jeweils dem Wasserstand der Mur angepasst, damit man mit Fahrzeugen auf die Fähre fahren konnte.
All diese Mühe wurde aber von der lokalen Bevölkerung gerne in Kauf genommen, bildete doch die Fähre eine Lücke im Eisernen Vorhang, der zwischen dem sozialistischen Jugoslawien und dem neutralen Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg bestand. Die stark bewachte Grenze bedeutete für den Süden der Steiermark, dass man wirtschaftlich und handelsmäßig am Ende einer Sackgasse und somit in einer toten Zone lebte.
Oberhalb der Überfuhr, an der Grenze zur Gemeinde Lichendorf, gab es in der Mur, die hier 100 bis 120 Meter breit war, ein Wehr, bei dem auf jugoslawischer Seite ein Mühlgang für die Papierfabrik abgezweigt wurde. Dieses Wehr spielt im nächsten Kapitel eine große Rolle.
Das Hochwasser kommt!
Ein fernes Donnern kündigte es an. Unsere große Wiese vor dem Haus, die der Seppl-Bauer im Dorf alle paar Jahre in einen Maisacker oder ein Kürbisfeld verwandelte, öffnete sich nach Westen. Im Sommer war es unser „Wettereck“, das heißt, dass Schlechtwetter immer von dort kam. Verfinsterte sich der Himmel „beim General“ – seine großen Besitzungen lagen in Richtung Lichendorf, dem nächsten Ort –, so konnte man sicher sein, dass das Gewitter, manches Mal auch ein Unwetter mit Hagel, zu uns kam.
Das Donnergrollen rührte von der Mur her: Am anderen Ufer der Mur, fast genau gegenüber von unserem Haus, lag die Papierfabrik Paloma in Sladki Vrh, oder wie es früher einmal geheißen hatte: Süßenberg. Die Maschinen der Fabrik erzeugten stets ein gleich bleibendes Rauschen, das man aber nach wenigen Stunden des Aufenthaltes in Weitersfeld an der Mur nicht mehr hörte. Nachts erhellten hunderte Lichter der Fabrik den Himmel. Nur zum Nationalfeiertag und zum Jahreswechsel gab es Tage, an denen in der Fabrik die Maschinen still standen, ansonsten liefen sie rund um die Uhr und verbreiteten ihr ständiges Geräusch.
Zur Fabrik gehörte weit flussaufwärts, an der Grenze zu Lichendorf, ein Wehr. Sein Betrieb war sogar schon im Vertrag von St. Germain im Jahre 1919, der nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen des heutigen Österreich bestimmte, festgeschrieben worden. Es diente dazu, aus den Fluten der Mur einen kleinen, bedächtig fließenden Mühlgang abzuzweigen, der aber kräftig genug war, die Turbinen für die Fabrik anzutreiben und damit die Stromversorgung des Werkes sicherzustellen.
Über die Jahre waren die Schleusen des Wehrs eingerostet, die im Bedarfsfall ein Überlaufgerinne für ein Hochwasser freigeben sollten. Niemand war an einer Wartung interessiert. Wichtig war nur, anstürmenden Wassermassen den Zufluss zum Werk zu verweigern, um Schaden von den Maschinen abzuhalten.
So war es auch in jenem denkwürdigen Jahr 1970, in dem unser Garten nicht weniger als sieben Mal überschwemmt wurde. Dabei trat die Mur beim Wehr auf der österreichischen Seite aus den Ufern und eine graubraune Brühe ergoß sich, immer schneller werdend, über die Äcker und durch die Auenwälder. Am Horizont sahen wir es kommen, das Verwüstung bringende Wasser, und bald erreichte es, geifernd, schäumend, kochend die große Wiese vor unserem Haus.
Für Vater brach jedes Mal fast eine Welt zusammen. Er hatte viel Geld und Mühe in einen kleinen, aber sehr gepflegten Garten investiert und eine schöne Sammlung von Rosenstöcken angelegt. Mit überschwänglicher Freude hatte er Besucher mit Rosensträußen der neuesten Zuchtsorten verwöhnt. Umso trauriger stimmte ihn, dass die Wasserwirbel nunmehr die schönen Blüten zerstörten.
Lehm, Gatsch oder Letten – wie die Einheimischen die Schlammablagerungen nannten – bedeckte in der Folge jedes Stückchen Boden, das unter Wasser gestanden war. Mühsam musste nach jedem Hochwasser Blatt für Blatt mit dem Gartenschlauch abgespritzt werden. Viele Kilo Schlamm mussten mit Scheibtruhen aus dem Garten gekarrt werden.
Für die Bauern in Weitersfeld war das Hochwasser eine Katastrophe. Die ganze Ernte war vernichtet und die Felder mussten erst vom Schlamm befreit werden, damit sie wieder bebaut werden konnten. Es war eine schlimme Zeit, die erst vorbei war, als eines schönen Sommers eine Uferregulierung der Mur errichtet wurde. In der Folge gab es nie mehr ein Hochwasser.
Doch zurück zum denkwürdigen größten aller Hochwasser. Es war dies das Jahr 1965 und nach allem menschlichen Ermessen sollte, ja dürfte ich mich als damals Vierjähriger nicht daran erinnern können. Aber einige Momente haben sich tief in mein kindliches Gedächtnis eingeprägt.
Mein Vater und mein Großvater hatten unser kleines Häuschen ohne Keller gebaut: sie waren sich der Gefahr des Hochwassers und des Grundwasserdrucks bewusst. Eine breite Betontreppe mit drei Stufen führte aus dem Garten in den Vorraum.
Auf der Höhe des obersten Stufenabsatzes endete der Sockel des Hauses. Bis hierhin war das Haus speziell gut isoliert, damit keine Feuchtigkeit in das Haus aufsteigen konnte. Auf dieser obersten Stufe hatte ich meinen Beobachtungsposten eingenommen, als das Wasser im Garten unaufhaltsam stieg. Bald war keine Wiese und kein Blumenbeet mehr zu sehen. Dann erreichte das Wasser die erste Stufe. Meine Begeisterung kannte keine Grenzen: nicht wegen des Wasser, sondern wegen der Fracht, die es trug. Eine Vielzahl kleiner Naturbewohner: Ameisen, Raupen, aber vor allem Käfer: große, bunte, kleine – alle strampelten im verzweifelten Todeskampf und appellierten an meine Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit. Ich rettete so viele wie ich nur konnte und bot ihnen in Schachteln vorübergehend Quartier an.
Dosen, Töpfe, Teller – meine Mutter und mein Vater hatten alle Hände voll zu tun, unser Hab und Gut aus dem Erdgeschoss in den ersten Stock zu schaffen. Das ging sehr langsam, denn wir hatten nur eine Patentstiege, die man in den ersten Stock schieben und mit einer Plafondklappe abschließen konnte, wenn man sie nicht benötigte. Denn im ersten Stock lagen nur die zwei Schlafzimmer. Ich mochte sie besonders wegen der Dachschräge, die den Zimmern vor allem in der Nacht und bei stürmischem Wetter und bei Gewitter eine besondere Gemütlichkeit verlieh.
Nach dem Abendessen war ich nach oben geklettert und hatte wohl schon einige Zeit geschlafen, als mich meine Mutter weckte: „Steh’ auf“, sagte sie. „Du musst dich anziehen. Das Bundesheer kommt uns abholen. Wir müssen fort.“ Ich war zu verschlafen, um zu verstehen, warum wir fort mussten. Dann fiel mir das Hochwasser wieder ein. Meine Mutter erzählte mir, dass vor ein paar Stunden der Sturmmayer-Seppl aus dem Dorf so weit wie möglich an unser Haus herangeradelt war. Er stand auf dem kleinen, etwas erhöhten Holzbrückerl über der Schwarza und schrie über den sich schwarz dahinschiebenden Hochwassersee zu unserem Haus, dass das Wasser weiter steigen werde und wir uns bereit machen sollten. Das Bundesheer würde bald da sein und uns evakuieren. Wir seien die einzigen, für die Gefahr bestünde.
Frau Počič hatte ihr Haus schon früher verlassen und war zu ihrem Sohn nach Mureck gefahren. Bei Frau Sirf stand der Keller wie so oft zuvor unter Wasser. Das Wohngeschoss war über eine Stiege zugänglich und ziemlich hoch über dem Keller gebaut. Frau Sirf hatte schon vor einiger Zeit erklärt, dass sie im Haus bleiben würde, was immer auch geschehen möge.
Für mich kleinen Knirps war die bevorstehende Rettungsaktion ein absoluter Höhepunkt des sommerlichen Abenteuers. Meine Eltern sahen das nicht so. Sie waren einerseits besorgt, wie die Evakuierung mit einer mehr als 70-jährigen Großmutter funktionieren würde. Andererseits verzweifelten sie bei dem Gedanken, welchen Schaden das weiter steigende und in das Haus eindringende Wasser anrichten würde.
In aller Eile packte meine Mutter unsere wichtigsten Sachen zusammen. Mein Bruder und ich hatten kleine Rucksäcke, in die wir unsere Spielsachen verstauten. Dann hieß es warten. Um 23 : 30 Uhr – so lange war ich noch nie aufgeblieben – hörten wir Stimmen. Vater hatte unser Licht am Haus eingeschaltet, um den Weg zu weisen.
Es war eine sehr finstere Nacht und wir waren umgeben von schwarzem Wasser. Aus dem Wald bei der Schwarzabrücke hörten wir Schreie, es waren laut geschrieene Kommandos. Lampen blitzten auf und dann schob sich ein großes dunkles Schlauchboot mit vielen Soldaten an Bord an unsere Eingangstüre heran. Der Kommandant des Bootes begrüßte meine Eltern, und in aller Eile begannen wir unsere Habseligkeiten ins Boot zu reichen. Ich saß mit meinem Bruder am Bootsende neben Oma und Mutter. Vater ließ das Licht brennen, versperrte die Eingangstüre und los ging’s. Auf Kommando des im Bug sitzenden Hauptmannes ruderten die acht Soldaten in Richtung Schwarzabrücke im Wald. Die Brücke war nicht mehr zu sehen. Sie war überflutet und – wie sich später herausstellte – sogar weggerissen. Die Flutwellen kamen aus dem Westen und schlugen links seitlich an unser Boot. Nach wenigen Metern auf Kurs West begann das Boot bedenklich nach Osten abzudriften. Die Kommandos wurden schärfer, die Soldaten ruderten aus Leibeskräften.
Wir hatten fast den Ort erreicht, an dem sich unsere kleine Holzbrücke befinden sollte, als eine mächtige Strömung unser Boot nach rechts in den Wald drückte. Man konnte das Schwitzen der Soldaten spüren und uns wurde angst und bang. Weiter ging es ins Gestrüpp. Der Hauptmann schrie wie ein Stier und versuchte die Schlagzahl der rudernden Soldaten zu erhöhen. Allein, das Boot hing mittlerweile zwischen den Bäumen und bewegte sich nicht. Durch die Zweige sah ich das Licht unseres Hauses und überlegte, ob der Dachboden nicht doch der sicherere Ort gewesen wäre.
Langsam und mit übermenschlicher Anstrengung der Soldaten löste sich das Boot aus der Umklammerung der Äste und schwankte der Freiheit entgegen. Alle Äste erschienen feindlich und von der Absicht getrieben, das Boot wieder in die Nacht des Waldes zurückzureißen.
„Und vor, und vor!“ Geradezu flehentlich brüllt der Kommandant den Soldaten Mut und Entschlossenheit zu. Träge bewegt sich das Schlauchboot gegen die Strömung. Zentimeter um Zentimeter kommt es voran, mehr von Hoffnung als Kraft getrieben. Wir müssen fünfzig Meter über die Stelle der Brücke hinausgerudert sein, ehe der Kommandant nach Steuerbord rudern lässt. Das Boot dreht sich rasch und schneidet schräg durch die Waldschlucht über die nicht mehr erkennbare Brücke auf das Kreuz zu. Mit einem Satz springt der Kommandant aus dem Boot und ergreift etwas im Wasser. Er hantiert am Bug des Bootes und plötzlich heult ein Windenmotor auf. Etwa fünfzig Meter vor uns steht ein Bundesheer-LKW, der sich plötzlich auf der Geraden in Richtung Dorf in Bewegung setzt und uns langsam aus dem Wasser zieht. Bei der Hälfte der Strecke ins Dorf läuft das Boot auf Grund. Es ist geschafft! Rasch wird das Boot im hinteren Teil des LKW verstaut und wir werden auf die Pritschenbänke gehoben. Wohin jetzt? Vater verhandelt mit dem Kommandanten und wir bleiben vor dem Wohnhaus des Sturmmayer-Seppl stehen. Ein großes Hallo bei der Begrüßung, Umarmungen. Am nächsten Morgen erwache ich im bäuerlichen Schlafzimmer. Der Bauer hatte die Nacht am Heuboden verbracht, damit die Städter in anständigen Betten schlafen konnten.
Ein paar Murfischer waren vom Hochwasser bei der Überfuhr eingekesselt worden. Sie saßen auf einer Halbinsel fest und um sie herum tosten die wilden Fluten. Am Morgen hörten Neugierige, die „Hochwasser schauen“ gingen, ein lautes Schreien von Bäumen an der Mur. Die Feuerwehr fuhr mit dem Feuerwehrauto weit in das Hochwasser hinein und sah die armen Fischer in den Bäumen sitzen. Sie hatten dort oben die ganze Nacht zugebracht. Mit Feuerwehrbooten konnten die völlig verstörten Fischer schließlich geborgen werden. Sie erzählten von den Minuten, in denen sie auf der Flucht vor den Wassermassen die großen Bäume am Murufer erklommen hatten. Alles Fischzeug mussten sie zurücklassen. Sie wagten in der Nacht nicht zu schlafen, weil sie Angst hatten, in die Fluten zu stürzen. Ein Fischer hatte die ganze Nacht Rosenkranz gebetet und war überzeugt, dass Gott selbst ihre Rettung ermöglicht hatte.
Groß war unsere Freude und Überraschung, als wir nach zwei Tagen ins Haus zurückkehrten: Das Wasser hatte die oberste Stufe nicht überschritten und selbst im Erdgeschoß war der Boden trocken. Selbst beim schlimmsten Hochwasser hatten wir kein Wasser im Haus!
Die Reparaturarbeiten im Garten hingegen dauerten lange. Schließlich musste Vater das Haus mit Hilfe von Arbeitern aus dem Dorf zur Gänze durchsägen, trocken legen und neu isolieren, da sich das Wasser aus den Fundamenten durch die Wände bis auf die Hälfte der Zimmerwände hochgezogen hatte. Wie gut, dass wir nicht auch noch einen Keller hatten!
Unsere Burg
Die Bauernhäuser der Südsteiermark waren gerade Giebelhäuser, keine Vierkanthöfe. Im Keller, der über eine Stiege neben dem Eingang zu erreichen war, lagerten Kartoffel, Rüben und Salat. Oft war der Wein- und Mostkeller getrennt unter einem anderen Gebäude des Hofes angelegt. Die Häuser hatten nur ein Stockwerk, der Dachboden wurde nur als Abstell- und Rumpelkammer genutzt. Der Stall war ein eigenes Gebäude, oft mit einem Anbau für den Traktor, Anhänger und Heuwagen.
Der Hof von Frau Sirf hatte drei Gebäude, jener von Frau Počič zwei. Beide Bäuerinnen bauten in einem kleinen Garten alles an, was sie zum täglichen Leben brauchten: Salat, Karotten, Bohnen, rote Rüben, Kräuter, Paradeiser. Obstbäume gab es auch hinter dem Haus. Kirschen- und Apfelbäume standen neben ihren Feldern. Damit war auch für den Most gesorgt.
Über den Ställen (Frau Sirf hatte einen Kuh- und einen Schweinestall) gab es einen großen Heuboden. Wagenfuhr um Wagenfuhr an gut riechendem Heu wurde im Spätsommer mit Heugabeln durch eine Dachluke in den ersten Stock der Ställe hinaufgeworfen und sicherte das Futter für die Tiere während des Winters. Bis zum nächsten Sommer waren die Heuböden wieder geleert, ehe sie mit viel Mühe und in vielen Stunden harter Feldarbeit wieder gefüllt wurden. Jahraus, jahrein, der Kreislauf des bäuerlichen Lebens. Für uns war der Heuboden ein grandioser Spielplatz. Wir gruben Höhlen in das Heu und verbrachten auf Decken und mit mitgebrachtem Essen und Getränken ganze Tage am Heuboden. Die Dachluken, aber auch Ritzen und Spalten im Holzboden und zwischen den Ziegeln gaben den Blick auf den Hof hinter dem Bauernhaus frei. Wir spielten, dass wir unseren Heuboden, unsere Burg gegen die angreifende Bäuerin verteidigen mussten. Frau Sirf spielte prächtig mit. Jedes Mal wenn sie uns sah, schrie sie: „I kriag’ eng! (Ich krieg’ euch!)“ und Lina, die Magd, feuerte sie an: „Nur nacha, nur nacha!“ (Nur hinterher, nur hinterher!). Aber auch wenn sie – durchaus schnell – hinter uns herstürmte, oft auch unterstützt von Lina: Sie konnten uns nicht erwischen.
Wir hatten ein ausgeklügeltes System, wie wir von jedem Ort des Bauernhofes in Minutenschnelle auf den Heuboden gelangen konnten. Kletterte Frau Sirf über die Leiter auf den Heuboden, waren wir schon wieder auf der anderen Seite herunter und um die nächste Hofecke verschwunden.
Dabei ging es nicht immer ohne Risiko zu: Es gab Teile des Heubodens, die nicht benützt wurden und wo seit Jahren niemand hingekommen war. Hier waren Bodenbretter morsch und lose. Tauben hatten viel Dreck hinterlassen. Im Dach hingen Wespennester, von denen man nie wusste, ob sie gerade bewohnt waren. Über manche Stellen turnten wir auf schmalen Brettern und blicken durch Löcher im Boden fünf, sechs Meter nach unten. Es waren echte Mutbeweise, über manche unserer „geheimen“ Passagen zu klettern.
Wir hatten einen Plan unserer Burg gezeichnet. Auf ihm waren die Verstecke unserer Sachen, wie Decken, U-Hakerl-Lager etc. eingezeichnet, aber vor allem auch alle Aufstiege auf den Heuboden und alle „Notabstiege“, falls jemand nachsehen kam und wir „flüchten“ mussten. Diese Auf- und Abstiege waren große Abenteuer.
Das Stallgebäude war rechtwinkelig. In einem Teil waren die Schweine und Kühe untergebracht. Aus den beiden Ställen führten Türen auf den Misthaufen, an dessen Rande auch das Klohütterl stand. Eine weitere Türe führte in einen Raum, der nach oben bis zum Dach offen war. In diesen Raum konnte man vom Heuboden aus das Heu hinuterwerfen, das dann zu den Tieren gebracht wurde. An den Wänden des Raumes standen Maisstauden, die ebenfalls den Tieren untergestreut wurden. An diesen Trakt war im rechten Winkel ein großer Geräteschuppen angebaut, der zum Hof hin offen war und an den sich die Holzlag anschloss. Im Geräteschuppen stand ein uralter amerikanischer Mähdrescher, sicher einmal ein ganz großer Stolz des Sirfschen Bauernhofs, auf dem jetzt wir begeistert herumkletterten. Er war kein Selbstfahrer, das heißt, er musste von Pferden oder Ochsen aufs Feld gezogen werden. Der riesige Kasten rostete still vor sich hin und eine ganze Reihe von Auf- und Abstiegen auf den Heuboden, in den man durch fehlende Bodenbretter des Heubodens hinaufsteigen konnte, führte über ihn.
Daneben stand ein alter Anhänger, der neben Fahrwerk und Deichsel nur aus einigen langen Brettern als Boden und einigen Brettern seitlich als Ladewand bestand.
Der Rest des Geräteschuppens, der nach vorne offen und nach hinten nur mit einer Bretterwand abgeschlossen war, war der Holzplatz. Hier stand die Kreissäge, die mir immer große Angst einflößte. Vater durfte mit ihr unser Holz für den Winter schneiden. Der große Motor, der mit Starkstrom betrieben werden musste, übertrug seine Kraft mit einem breiten Lederriemen auf die Sägeachse. Ich war in ständiger Angst, dass mein Vater sich in die Hand schneiden würde, weil meine Mutter einmal davon erzählt hatte, dass sich ein Bauer im Dorf den ganzen Arm durchgesägt hatte.
Hier lernte ich Holzhacken. Frau Sirf und der alte Herr Zwinski, der regelmäßig Frau Sirf besuchte und ihr am Hof half, zeigte mir, dass das wichtigste war, dass man immer die Beine beim Holzhacken grätschte, damit man sich beim Durchschlagen des Holzstückes nicht in den Oberschenkel hackte. Als Hackstock diente ein sehr großer Baumstrunk. Oft hackten wir Holz für Frau Sirf und brachten es ihr auch ins Haus. Dafür bekamen wir immer etwas: drei Eier oder eine geräucherte Wurst mit Verhackertem mit herrlichem selbstgebackenen Brot.
In der anschließenden Holzlag wurde Kleinholz für den Ofen gelagert. Das waren Zweige und Holzabfall vom Holzhacken, sehr praktisch zum Feuermachen und von Frau Sirf immer in der Holzlade unter ihrem Küchenherd gelagert.
Zwischen Geräteschuppen und Stall führte ein Weg zu einer kleinen Türe in der Bretterwand, durch die man den Bauernhof in westlicher Richtung verlassen konnte. Hier gab es noch eine Streuhütte, die an die Stallungen angebaut war. Mit der Scheibtruhe wurden im Herbst die auf dem Bauernhof zusammengerechten Blätter in diese Streuhütte gebracht, wo sie für das Einstreuen in die Ställe gelagert wurden. Kein Naturprodukt wurde verschwendet, alles hatte seine wichtige Funktion.
Einer der Abstiege von unserer Burg führte durch ein Loch im Bretterboden in diese Streuhütte. Es war ein lustiger Abstieg, denn sobald man durch das Loch gekrochen war, konnte man sich fallen lassen und fiel aus drei Meter Höhe direkt in die weichen Blätterhaufen.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.