Kitabı oku: «Bischof Reinhold Stecher», sayfa 2

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Dennoch nahm Reinhold Stecher die Gefahr auf sich und beteiligte sich an der Organisation einer verbotenen Wallfahrt nach Maria Waldrast: „In Zusammenhang mit der Aufhebung des Klosters Maria Waldrast und der Sperre der beliebten Wallfahrtskirche schlägt auch unsere Stunde, meine und die meiner Freunde im Priesterseminar. Es findet eine Protestwallfahrt mit mehreren hundert Personen aus dem Wipp- und Stubaital statt, die demonstrativ vor der verschlossenen Kirche den Rosenkranz betet. Das war noch nie dagewesen. Am nächsten Tag schlägt die Gestapo zu: Etwa sechzig werden verhaftet, einen Kern behält man. … Wir sind wochenlang in Einzelhaft, die einzige Unterbrechung sind die stundenlangen Verhöre.“38 /39

Zuerst kam Reinhold Stecher nach Innsbruck in die Gestapozentrale in der Herrengasse 1, wo er als „politischer Gefangener“ wieder und wieder verhört wurde: „Wenn man hier hereingekommen ist, hat man jede Spur von Recht verloren. Es gab für dich keinen Rechtsanwalt, es gab für dich keine Vertretung, es gab für dich kein Beschwerderecht, es gab meistens nicht einmal eine Gerichtsverhandlung. Das heißt, du warst vollständig der Willkür ausgeliefert. Du stehst im Sträflingsgewand, halb verhungert, ungepflegt vor den Verhörern, von denen du weißt, dass sie vor keinem Mord zurückschrecken. Ich habe es selbst erlebt, dass man sich bei dieser Bearbeitung und diesen Methoden auf einmal wie ein Verbrecher fühlt. Erst in der Einsamkeit der Zelle kommt man wieder zu sich und sagt sich: Nein, die Verbrecher sind schon die anderen – du hast ja nichts Böses getan. Aber eines kann ich versichern, man hat keine heroischen Gefühle.“40

Diese Erfahrung der völligen Ausgeliefertheit und der persönlichen Grenzen in der Gefangenschaft lassen Reinhold Stecher in späteren Jahren wohl auch immer wieder Partei für die sogenannten „Mitläufer“ einnehmen und gegen die Vorwürfe der Nachgeborenen einschreiten, die unter anderem das Hinnehmen der Nazi-Gräuel durch große Teile der Zivilbevölkerung kritisieren: „Ich denke mir heute oft, wenn sie heute gescheit reden über die Nazizeit, man hätte damals mehr Widerstand leisten müssen: Die haben keine Ahnung, was es heißt, in einem solchen System Widerstand zu leisten. Das ist jedes Mal der Tod. Bei den Verhören wird einem gedroht: ‚Wenn Sie nicht sofort alles sagen, alle Namen, gehen Sie morgen ins KZ.‘ Einer von uns Verhafteten hat die Nerven verloren, als sie ihm die Uhr vorlegten und sagten, wenn er nicht in zwei Minuten alles sage, gehe es ab ins Lager. Ich habe ihm nie den leisesten Vorwurf gemacht. Wenn jemand meint, man habe da durchgehend heroische Gefühle – das ist nicht der Fall. Man hat Angst. Hie und da, in der Stille der Einzelzelle, kommt der Trost auf, dass man für die Sache Jesu steht und ein gutes Gewissen haben kann. Aber wenn man dann wieder Stiefel dröhnen hört und die Schlüssel rasseln zum nächsten Verhör, dann hat man Angst.“41

Und vielleicht hat in diesem Zusammenhang auch das Wissen darüber entscheidend mitgespielt, dass etwa drei Jahre zuvor Otto Neururer dieselben Stationen dieser Tortur mitgemacht hatte, bevor er in Buchenwald sein Leben lassen musste, dass Reinhold Stecher erkannte, dass nicht jeder dazu bestimmt war, ein „Held“ zu sein. Lange nach dem Krieg sollte er unter anderem einem ehemaligen SS-Mann wiederbegegnen, der ihn während seiner Gefangenschaft bewacht hatte, und mit ihm ein Gespräch über die Lebensumstände dieser gemeinsamen Vergangenheit beginnen: „Wenn man einen Menschen mehr kennt, werden die Urteile alle anders. Und da der liebe Gott von uns viel mehr weiß, hoffe ich auch, dass seine Urteile milder ausfallen.“42

Später wurde Reinhold Stecher dann aus dem Landesgerichtlichen Gefangenenhaus in der Schmerlinggasse in das Polizeigefängnis – dem ehemaligen Hotel „Goldene Sonne“ – in der Adamgasse überstellt, nur wenige Hundert Meter von der Wohnung seiner Mutter Rosa entfernt. Von hier aus wurden an jedem Freitag die Transporte in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald organisiert, und auch dem „politischen Gefangenen“ Reinhold Stecher wurde alsbald mitgeteilt, dass er auf einer der Sammellisten stünde: „Wir haben gewusst, was ein KZ ist. Normalerweise eine Reise ohne Wiederkehr. Vor allem dann, wenn ein Häftling mit dem Vermerk ‚RU‘ dorthin eingeliefert wurde. ‚RU‘ heißt ‚Rückkehr unerwünscht‘.“43

Die Zeit bis zum drohenden Abtransport wurde offiziell vor allem beim bewachten Im-Kreis-Gehen verbracht, aber bedingt durch einen bürokratischen Fehler war tröstlicherweise auch das geheime Abhalten der Eucharistiefeier möglich: „Durch einen offensichtlichen Irrtum der Gestapo werde ich mit meinem priesterlichen Freund Georg Schuchter in eine Zelle gesperrt. Ein äußerst mutiger Polizeibeamter namens Huber, der alles für uns wagt, schmuggelt uns Hostien und Messwein in die Zelle. Wir trainieren lange, bis wir alles blitzschnell verräumen können. Als Altar dient der winzige Klapptisch, darüber ein Taschentuch, als Kelch der Verschluss des Rasierseifenbehälters. Ich muss mich mit dem Hinterkopf vors Guckloch stellen, damit wir von dort nicht überrascht werden können. Dann wird die heilige Messe gefeiert.“44

Es kann nicht eindeutig geklärt werden, was letztlich dazu geführt hat, dass Reinhold Stecher unerwartet von der Transportliste in eines der Konzentrationslager gestrichen und schlussendlich nach zweieinhalb Monaten Gefangenschaft freigelassen wurde. Als am wahrscheinlichsten anzunehmen ist eine geglückte Intervention durch den früheren Innsbrucker Bischof Paulus Rusch, der von Rosa Stecher sofort nach der Verhaftung über das Schicksal ihres Sohnes informiert worden war. Reinhold Stecher selbst sagte hingegen in etlichen Stellungnahmen darüber aus, dass er nicht wisse, was dieses „Wunder“ bewirkt habe, gab aber auch wiederholte Male unmissverständlich an, dass er fest daran glaubte, es sei ein Werk des Märtyrerpfarrers Otto Neururer, den er seinerseits – nach dessen Seligsprechung im Jahre 1996 – als Patron für die Familie ebenso anrief wie als Fürsprecher für die Priester.45

Um der Gestapo und ihren willkürlichen Zugriffen zwischenzeitlich zu entkommen, schickte Bischof Rusch die verbliebenen Seminaristen auf einen Choralkurs nach Beuron in Deutschland. „Es ist der Tausch mit einer wunderbaren, fast unwirklichen Welt.“ Allerdings muss Reinhold Stecher davor noch einen Revers unterschreiben, „dass ich bei der geringsten politischen Beanstandung mit dem KZ zu rechnen hätte“, und wird bald danach einberufen. „Nun kam ich nach einigen Wochen von dort nicht ins KZ, sondern an die Front. Ich war erst achtzehn, und da war ich als Kanonenfutter geeigneter.“46

Im Herbst 1941 rückte Reinhold Stecher nach Landeck zur Winterausbildung in die 7. Gebirgsdivision „Bergschuh“ ein, welche dazu bestimmt war, über Schweden abzuspringen – dieser Plan wurde jedoch fallengelassen, als in Schweden die Generalmobilisierung startete: „Als Theologe und ehemaliger Häftling werde ich nicht befördert. Es reicht nur bis zum Obergefreiten. Aber als Funker muss ich wenigstens nie schießen.“47

Das neue Vorgehen der Machthaber sah demnach vor, am Krieg gegen die Sowjetunion teilzunehmen, der sich jedoch nicht wie geplant entwickelte, weswegen sich die Gewaltspirale ab Mitte 1941 in Russland stetig nach oben schraubte: „Ich habe die heulenden Sirenen und herunterjagenden Bomben heute noch im Ohr – und die gewaltigen Explosionen im gefrorenen Boden. Ich habe dem Wahnsinn gedient. Die Kälte, das Elend und der tausendfache Tod rundherum hatten uns gleichsam in Trance erstarren lassen. Ich erinnere mich noch gut daran. Man konnte und durfte keine Gefühle aufkommen lassen. Das Leben war ein böser Traum geworden. Es war, als wollte man die Wirklichkeit nicht recht zur Kenntnis nehmen. Und doch war sie da, mit ihrer ganzen Sinnlosigkeit und Angst. Und ich gebe eines ganz offen zu: Wenn Gott es nicht selbst gesagt hätte, dass er die Liebe ist – aus dem täglichen Lauf der Welt allein würde ich es nicht glauben.“48

Reinhold Stecher nahm an einem der wahrscheinlich blutigsten Gefechte des Zweiten Weltkriegs, der Schlacht am Ilmensee im Kessel von Demjansk, teil, wo seit Anfang 1942 rund 100.000 deutsche Soldaten von der Roten Armee eingeschlossen um ihr Leben kämpften. Am Karfreitag desselben Jahres durchschlug die Kugel eines sibirischen Scharfschützen seinen linken Unterarm,49 und er wurde nach Kaunas in Litauen ins Lazarett eingeliefert, wo er sich mit dem Wolhynischen Fieber (Schützengrabenfieber), einer malariaartigen akuten Infektionskrankheit, ansteckte, was ihn wiederum für einige weitere Wochen von der Front fernhielt. „Zunächst ließ sich also Kaunas gut an. Die große, für damalige Begriffe sehr moderne Klinik barg eine vierstellige Zahl von Verwundeten. Man war gut betreut und genoss den Traum eines weißen Bettes und eines von keinen Stalinorgeln und Panzergranaten gestörten Schlafes.“50

Zwei Erlebnisse dieser Zeit hinterließen neben der körperlichen Verwundung und den viel schmerzlicheren seelischen Verletzungen ebenfalls Spuren, die Reinhold Stecher sein Lebtag nicht vergessen würde: Zum einen besuchte der Reichsleiter der besetzten Ostgebiete und Verfasser verschiedener rassenideologischer Schriften, wie des Buches „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“, Alfred Rosenberg, die Krankeneinrichtung. In ihm erkannte Reinhold Stecher nicht nur einen geistigen Wegbereiter der NS-Diktatur und ihrer maßlosen Verbrechen, sondern auch einen der Hauptverantwortlichen für dieses unsagbare Leid: „Ich kann nicht sagen, dass ich Rosenberg gleichgültig entgegengesehen habe. Da war nun einer von jenen, hinter denen die ganze Welt des Schreckens stand, all das, was Juden und bekennende Christen, rassistisch ‚Minderwertige‘ und ‚Lebensunwerte‘ bedrängte – der organisierte Hass, die Propagandalüge, die absolute Rechtlosigkeit, die Willkür in den Gefängnissen, die Konzentrationslager, die Verhaftungen, die Bespitzelung, die Verhöre, die langsam verrinnenden Stunden in der Isolationshaft, die immer näher kommenden Stiefel, die hart durch den Gang hallen, die knirschenden Schlüssel, der Ruf: ‚Raus zum Verhör!‘ Da ist er nun – Alfred Rosenberg, einer von denen, die dieses ganze Elend zu verantworten haben.“

Zum anderen war eine Begegnung mit einem jüdischen Häftling maßgeblich für viele Entscheidungen, die Reinhold Stecher in seinem weiteren Leben und vor allem als Bischof von Innsbruck treffen musste, und es lässt sich ebenfalls darin – neben dem gewachsenen Toleranzgedanken, den ihm bereits seine Mutter als Kleinkind eingepflanzt hatte – sein vehementes Eintreten für die brüderliche Aussöhnung des Christentums mit dem Judentum verstehen. „Wenige Tage später streifte ich im Schlafrock des Patienten durch das Haus und gerate ins Souterrain, wo die Versorgungseinrichtungen und Magazine untergebracht sind. Ich wandere durch schlecht beleuchtete Gänge und alle möglichen Gerüche. Und dann komme ich zu einer schweren Schwingtür. Ich reiße sie auf – und vor mir steht ein jüdischer Häftling, im Drillich mit dem Judenstern, abgehärmt, die Arme über der Brust verkrampft … er ist zu Tode erschrocken. Er muss natürlich trotz meines Schlafrocks annehmen, dass ich ein deutscher Soldat bin. So erschrocken er ist, so betroffen bin ich. Wie soll ich ihm sagen, dass er von mir keine Angst zu haben braucht? Und dass ich ein Jahr vorher die gleiche Sträflingskleidung getragen habe und weiß, was es heißt, der SS ausgeliefert zu sein. Wir sind beide stumm. Wahrscheinlich hat er als Angehöriger irgendeines Trupps für Schutzarbeiten etwas Essbares in den Kellern erbeutet und hat nun tödliche Angst, ertappt zu werden. Ich versuche ihm zuzulächeln und halte ihm die schwere Schwingtür auf, damit er seine armselige Beute rasch in Sicherheit bringen kann.“51

Bald nach seiner Genesung kehrte Reinhold Stecher zu seiner Einheit zurück, die sich zu dieser Zeit in der Nähe des Weißen Meeres aufhielt. Von hier aus begann ein 3600 Kilometer langer Marsch über Finnland, Lappland und Norwegen, währenddessen noch diverse Abwehrkämpfe gegen die sowjetische Armee geführt wurden, bevor Deutschland und alle seine Streitmächte am 9. Mai 1945 endgültig kapitulierten: „Pausenlos [marschieren wir] durch die Nächte, von Karelien über Finnland und Lappland bis zur Küste Norwegens, und die Nächte wurden immer länger, wir nur noch durch die Polarnacht zogen, durch Nordlicht und Schneestürme, und nie eine andere Rast als das lausige Zelt ohne Boden, auf dem blanken Schnee, und manchmal bei 40 Grad unter Null. Dazwischen waren Einsätze, und danach waren wir weniger, und die weißen Birkenkreuze blieben zurück. Plötzlich tauchte hinter den höher werdenden Hügeln Lapplands das norwegische Hochgebirge auf. Und wir standen in einer klaren Sternennacht endlich auf dem Pass, von dem aus dann die Straße hinunterführte zum Nordmeer. Da ich das Funkgerät hatte, wusste ich, wie wichtig dieser Pass war. Auf der anderen Seite drohte nicht mehr die russische Gefangenschaft. Wir waren im westlichen Sektor der Alliierten. Am Trondheim-Fjord kommen wir in englische Kriegsgefangenschaft. Die Engländer, die kaum sichtbar sind, behandeln uns mit größter Zuvorkommenheit. Ich bin ein Gefangener und habe mich seit Jahren nicht so frei gefühlt wie jetzt. Mit der Kapitulation Deutschlands hat mein Leben begonnen, und ich lasse mich von diesem Gefühl des Davongekommenseins und des Neuanfangendürfens überwältigen.“52

Dabei fand dieser für Reinhold Stecher unvergessliche Aufbruch in eine neue Welt im an sich bedrückenden Milieu der Nachkriegszeit statt, das gezeichnet war von Bombenschutt und dem gravierenden Mangel an allem Lebensnotwendigen. Seine Heimatstadt Innsbruck, in die er nach der Kriegsgefangenschaft 1945 zurückgekehrt war, hatte eine Welle von Luftangriffen zu verschmerzen gehabt, die über die Hälfte aller Gebäude und nahezu zwei Drittel der Wohnungen in Mitleidenschaft gezogen hatte.53 Dennoch war der Wille zum Neuanfang weitgehend vorhanden und stark genug, dass das Leben letztlich in seine geordneten Bahnen zurückfinden konnte und ein Anknüpfen an Früheres ebenfalls wieder möglich wurde: „Ich hatte meinen Berufswunsch [Priester zu werden] durch die ganze Zeit hindurch getragen – ich weiß nicht, warum das ganze Chaos rundherum diese Absicht nie in Frage stellen konnte. Das entscheidendste Gewicht hatte wohl eine gewisse Ergriffenheit vom Heiligen und das Bedürfnis, dem Menschen zu dienen – und das alles auf dem Hintergrund eines unmenschlichen Staates und der Schrecken des Krieges.“54

KAPITEL 3 ___
„Die Botschaft Jesu Christi ist unüberholbar“ 55 Lernen und lehren – Reinhold Stecher als Seelsorger und Religionspädagoge

Tatsächlich zeigte das Leben seine wunderbaren Erneuerungskräfte, erinnerte sich Bischof Paulus Rusch in seinem Anfang der 1980er-Jahre verfassten Erfahrungsbericht über diese frühe Nachkriegszeit: „Die jungen Männer, in deren Augen sich immer noch der tausendmal gesehene Tod spiegelte, waren ernst, strebsam. Sie verlangten nach echtem Neuanfang. Alle eingerückten Theologen, soweit sie zurückkamen, meldeten sich wieder im Priesterseminar. Ein großer Hunger nach Orientierung zeigte sich. Die große Erfahrung war vielmehr die, dass mitten in der Zerstörung, Dunkelheit und Nacht gesundes Leben geheimnisvoll neu aufbricht. So wie es in der Natur immer wieder Frühling wird, so bricht auch im seelisch-geistigen Leben immer wieder ein Frühling auf.“56

Auch Reinhold Stecher kehrte ans Canisianum in Innsbruck zurück und nahm alsbald sein Studium der Theologie wieder auf: „Hier hatten Theologiestudenten aus aller Herren Länder gehaust und die alte Bude mit mehr oder weniger intensivem Studium und einem dosierten Heiligkeitsstreben erfüllt.“57 Wie viele seiner Kommilitonen spürte er allerdings die durch den Krieg verlorengegangenen sechs Jahre, in denen alles Denken einzig und allein auf das Überleben und Durchkommen ausgerichtet war, und die daraus entstandenen Defizite: „Dennoch wollten wir studieren. Und das größte Geschenk der Vorsehung waren zweifellos unsere Lehrer an der Fakultät. Es gab unter ihnen überzeugende und prägende Persönlichkeiten. Nicht nur das wissenschaftliche Format war so beeindruckend – es war die Übereinstimmung von Leben und Lehre, die sie repräsentierten. Auch Träger weltberühmter Namen führten ein höchst bescheidenes Leben. Man hatte immer das Gefühl, dass Theologie nie auf Kosten der Spiritualität betrieben wurde. So ging uns bei den Gebrüdern Rahner, bei Dander und Mitzka, Lakner und Gaechter die reine Welt auf.“58

Neben dem Jesuiten Andreas Jungmann, den Reinhold Stecher des Öfteren in seinen Büchern erwähnte, war eine dieser „überzeugenden und prägenden Persönlichkeiten“ der Theologischen Fakultät in Innsbruck ganz ohne Zweifel der damals schon sehr bekannte und später noch durch seinen unverzichtbaren Beitrag als Peritus beim Zweiten Vatikanum berühmt gewordene Karl Rahner. „In seinem Ringen um das Wort lag so viel Redlichkeit des Denkens und der Tiefe der Visionen, dass er die Hörer einfach in den Bann schlug. Man spürte, dass da ein lebendiger Geist immer wieder aus den viel befahrenen Bahnen der scholastischen Theologie ausbrach – hinein in das Abenteuer des Hinterfragens und des Aufspürens ungewohnter Zusammenhänge. Bei ihm waren die modernen Wissenschaften eingebaut, er bewegte sich in der Welt der Ökumene, der Gegenwart und der Vergangenheit. Ich will nicht behaupten, dass ich ihn in allem verstanden hätte. Aber er war so etwas wie ein Fluglehrer der Theologie, es ging ihm im letzten immer um die große Zusammenschau des Heils. Das war ja bei ihm so beeindruckend, dass er geistig aus einer so komplizierten, problemüberfrachteten Welt voller Fragen und Auseinandersetzungen kam und doch zu dieser letzten persönlichen Schlichtheit des Glaubens fand. Ihm war zutiefst bewusst, dass heute viele Menschen auf dem Weg sind, manche näher, manche weitab. Aber er war auch zutiefst davon überzeugt: So vielfältig sich heute die Seitenarme des religiösen Tastens und Suchens verzweigen und verwirren mögen, es gibt doch eine geheimnisvolle Strömung in ihnen, die zum ewigen Meer drängt, eine Strömung, die wir Gnade nennen und die von jedem Ursprung ausgeht, der gleichzeitig das Ziel aller Dinge ist. Die ganze überbordende Gelehrsamkeit kreiste um eine im Hintergrund glühende Mitte, Christusmysterium.“59 /60

Diese fachliche wie menschliche Bewunderung für Karl Rahner war jedoch nicht nur eine Episode in Reinhold Stechers Studentenzeit, sondern wandelte sich nach und nach in eine lebenslange Verbundenheit mit dem Jesuitenpater, die auch über dessen Tod hinaus reichte und sich mitunter darin zeigte, dass der ehemalige Schüler seinen verehrten Lehrer gegenüber seinen Kritikern immer wieder in Schutz nahm, welche der streitbar Gelehrte damals wie heute hat. Auffallend deutlich wird dieser Umstand in einer Stellungnahme, die Reinhold Stecher bereits als Bischof von Innsbruck traf, nachdem er Karl Rahner, während dessen letzter Stunden, im Krankenhaus besucht hatte, und am 4. April 1984, unter Anwesenheit von Kardinal Hermann Volk, Erzbischof Friedrich Wetter sowie der Bischöfe Paulus Rusch, Karl Lehmann, Egon Kapellari und Ernst Tewes dessen Requiem zelebrierte: „Es war, wie wenn ein Menschenleben nach langer Reise einem Ziel zustrebte, so wie ein großer, breiter Strom zur Mündung kommt, der alle Windungen, Katarakte und Staudämme hinter sich gelassen und viele Schiffe und die Last der tausend Fragen getragen hat und der sich nun dem großen Meer nähert, wo alles einfach wird. Man saß am Krankenbett, konnte mit einem sehr gelösten, ja fast heiteren Menschen reden – und dabei musste man an die Bücherstellagen zu Hause mit der langen Reihe der Rahner-Bände denken, an das gewaltige Wissen und das vielfache Ringen mit den vielfältigen Problemen, die nun einmal diese Epoche dem wachen Glaubenden aufgegeben hatte. Und doch hatte man keinen müden Menschen vor sich, keinen problemzerriebenen, sondern einen sehr gefassten, mit einer fast fröhlichen Distanz zu sich und seinem Werk (eine Haltung, die einigen seiner harten Kritiker abzugehen scheint). Vielleicht war es das, was diesen großen Theologen so menschlich und sympathisch machte: Dass er zutiefst um die Schwierigkeit, die Mühsal, die Unsicherheit und die Gefährdung des Glaubens an Christus in unserer Zeit wusste, und zwar mit einem Wissen, das nicht nur aus einer professoralen Betätigung, sondern aus eigenem Erleiden und Erleben stammte, und dass er andererseits doch das Glück eines Menschen ausstrahlte, der mit seinem Glauben immer wieder nach Hause kommt.“61


Primiz von Helmut Stecher, als sein Konzelebrant Reinhold Stecher (links im Bild)

Reinhold Stecher machte nie ein großes Geheimnis daraus, dass seine Berufswahl während des Studiums auch von Zweifel und Unsicherheiten überschattet gewesen war und keineswegs in jener souveränen Klarheit erfolgte, die sich junge Menschen für diesen Schritt manchmal wünschen. Dennoch ging er 1947 aus ganzer Überzeugung, mit wachem Geist und übervollem Herzen für den Glauben an Jesus Christus zur Priesterweihe, die er zusammen mit seinem älteren Bruder Helmut durch Bischof Paulus Rusch in der Franziskanerkirche in Schwaz empfing. „Warum ich Priester geworden bin? Ich finde es sinnvoll, ein wenig mitzuhelfen, dass Menschen in einer Zeit der Verunsicherung und Entwurzelung im unendlichen Gott und seiner Güte eine Heimat finden. Ich finde es sinnvoll, auf dem bewegten Meer der Zeit immer wieder nach den gütigen Wahrheiten Ausschau zu halten, die weiterzusagen und hie und da vielleicht einen Weg zu weisen – so etwas wie eine Signalboje, die auch von den Wellen geschüttelt wird und doch eine verborgene Ankerkette zum Grund hat, der Christus ist. Ich finde es sinnvoll, Kindern mit den Erzählungen der Bibel ein Urvertrauen ins Herz zu säen, mit jungen Menschen zu diskutieren oder in das Schweigen der Meditation zu gehen, Neuvermählten die Wohnungen zu segnen, Kranke zu besuchen, Vorlesungen vorzubereiten oder den letzten Segen über ein Grab zu senden. Ich finde es sinnvoll, das Brevier aufzuschlagen und in das Gebet der Jahrtausende einzutreten, und ich werde es immer für sinnvoll halten, mich über Kelch und Hostie zu beugen und das Geheimnis der Geheimnisse zu feiern.“62


Erinnerungskärtchen zur Priesterweihe der Brüder Stecher

Sein erstes Messopfer feierte Reinhold Stecher am Christtag 1947 in der Pfarrkirche Wilten, einen Tag nach seinem Bruder, der wiederum seine Primiz als Christmette in der Hofkirche von Innsbruck zelebrierte – der eine dem anderen jeweils als Konzelebrant beigestellt.

Bald darauf fing der „theologisch ausgebildete, spirituell bemühte, von Eifer erfüllte und sendungsbewusste Neupriester“ Stecher an, in der Kinder- und Jugendseelsorge zu arbeiten, wobei eine der ersten Lektionen, die er selbst währenddessen zu lernen hatte und welche ihm eine tiefe und vor allem bleibende Einsicht für sein weiteres Tun verschaffen sollte, jene war, dass die Verkündigung immer eine Sprache mit Herz braucht, die nicht versucht, das Gegenüber mit rhetorischer Finesse zu überreden, sondern durch die Bereitschaft, zuzuhören und das Gehörte auch in seinem Wesenskern aufzunehmen und zu berücksichtigen, ein starkes Gefühl des Miteinanders schafft: „Eines ist mir damals für immer beigebracht worden: In Zeiten wie diesen muss sich die Kirche den Fragen stellen, die ihre Gläubigen haben. Wenn ich den jungen Menschen gegenüber diese Fragen mit irgendwelchen Sprüchen abgewimmelt hätte, dann wäre ich bei ihnen als Lehrer moralisch ‚ausgestiegen‘. So gut man kann, muss man mit dem Blick auf das Evangelium und die fundamentalen Glaubenswahrheiten die Fragen redlich beantworten. Das haben mir die kritischen jungen Menschen beigebracht: den Grundstil einer dialogischen Kirche. Eine dialogverweigernde Kirche kann ihrer Aufgabe in dieser Welt nicht gerecht werden.“63/64

Im Besonderen prägend für diese Geisteshaltung waren anfänglich die „Lehrjahre“ im Paulinum, wo Reinhold Stecher von 1949 bis 1956 als Präfekt seine erste Anstellung hatte. Hier erprobte er unter anderem den schwierigen Balanceakt zwischen „dem Noten gebenden Prüfer und dem um das Heil besorgten Priester, zwischen der Forderung in Richtung eines Wissensstandes und der viel bedeutsameren Vermittlung von Werten und Grundüberzeugungen“. Mit anderen Worten erkannte Reinhold Stecher im Bemühen um die Schüler des Paulinums den Grundsatz, der für ihn und seine künftige Arbeit so bedeutsam werden sollte, „dass eine lehrende Kirche gleichzeitig eine lernende sein sollte“.65

Auch seine Schüler bemerkten diesen „Stilwechsel“ und waren ihm dankbar dafür: „[Als wir] ins Obergymnasium kamen, hatten wir das besondere Glück, in der siebten und achten Klasse Reinhold Stecher als Präfekten zu bekommen. Die Heimordnung war für uns in diesem Alter eher eng; jedoch war der Präfekt Stecher nicht nur ein Ausgleich, sondern für die Maturajahrgänge ein großer Segen. Sein Weitblick und seine Lebenssicht, seine Lebenserfahrung durch die Nazizeit und die Gestapohaft, seine harten Kriegsdienstjahre und das Theologiestudium formten ihn zu einer Persönlichkeit, die uns beeindruckte und auf dem Lebensweg bereicherte. Der weite Horizont von Reinhold Stecher, sein reiches Wissen, seine vielen Fähigkeiten, die in ihm schlummerten, und seine freie, unverkrampfte, menschliche Umgangsart, seine Bescheidenheit, sein Witz und Humor, seine schelmischen, pointierten Phantasieausbrüche in gelöster Runde waren für die junge Generation in den Maturaklassen prägend und von größtem Gewinn. Am meisten formte Reinhold Stecher unsere christliche Einstellung durch seine persönliche Lebens- und Glaubenseinstellung, durch seinen Umgang mit der heiligen Schrift, durch seine Ansprachen und Lebensgespräche und durch das gute christliche Klima, das er als Person ausstrahlte. Berge und Bergerlebnisse mit Reinhold Stecher blieben für viele unvergesslich. Viele erinnern sich an die Lectio, die am Beginn des Nachmittagsstudiums um fünf Uhr im Studiersaal auf dem Programm stand. Auf diese Viertelstunde hatten wir uns immer gefreut. Reinhold Stecher berichtete vom Tagesgeschehen in der Politik, er griff ‚heiße Eisen‘ als Themen auf, berichtete von gesellschaftlichen Ereignissen. Manchmal kamen auch militärische Erlebnisse aus seiner über vier Jahre [andauernden] harten Kriegszeit im hohen Norden zum Durchbruch. Er half uns, die Hitlerjahre zu verarbeiten. Reinhold Stecher war kein belehrender Mensch, kein Typ des erhobenen Zeigefingers. Er war kein Erzieher, der auf dem Podest stand. Irgendwelche Druckmittel auf die Jugendlichen waren ihm total fremd. Er begleitete uns ein Stück in unseren jungen Jahren. Er hat mitgeholfen, die Weichen in jungen Jahren sinnvoll zu stellen.“66

Reinhold Stecher selbst beschrieb die Jahre des Präfektseins als „sieben schöne Jahre“,67 und man möchte ihm glauben, dass es in der sonst engen Hausordnung durchaus Platz für die eine oder andere Mußestunde und eine gewisse Ausgelassenheit gab – ein Zeugnis dafür mag folgendes Gedicht sein, das Reinhold Stecher für den „Pauliner Fasching 1951“ verfasst hat und das sich im Nachlass seines Bruders Helmut wiederfand:

1. Und an Hofrat miass mr a no haben

A Direkter oder Regens war ins zschlecht

Wegen was is er verschriern?

Ja – des ständige Spaziern!

Aber sunst war ja der Hofrat alleh recht.

2. Und an Eislaufplatz wöllns a no haben

Wofür man die langen Gummischläuche nimmt.

Lieber Subi, tua net reahrn

Denn des Platzl werd scho wearn

Bis zum Sommer friert der Dreck ja ganz bestimmt.

3. Konferenzen miass’ns a no haben

Jeden Freitag von Halb Zwölfe bis um oans

Ja da huckn unsre Mannder

Redn alle durcheinander

Eppes Sichers woass am Ende nacher koans.

4. An Verwalter miaß mr a no haben

Warum schaut denn der heut gar so finster drein?

Ja, die ganze Unterhaltung

Geht auf Kosten der Verwaltung

Und drum spart ers dann beim Plentn wieder ein!

5. Die Schwester Hedwig miass mr a no haben

Denn wer führte sonst in unsrem Hause Buch?

Heute ist ihr nicht geheuer

Denn der Fasching kommt zu teuer

Und ich glaube fast, sie weint ins Taschentuch.

6. Und a Schiwochn wollns a no haben

Denn die andern Mittelschulen habns a

Alles sucht nach Gegengründ’n

Also wird sich oaner find’n

Und so bleib mr auf dr Gampnwies’n da.

7. Und a Kuahschell miaß mr a no haben

Im Gymnasium drübn in der Direktion.

Liaber Rex-i tat sch bitt’n

Mir sein decht koa Almhütt’n

So was ist ja für die Wissenschaft ein Hohn.68

In demselben Jahr, 1951, promovierte Reinhold Stecher mit der Arbeit „Darstellung und Begriff der persönlichen Weisheit in den Proverbien“ zum Doktor der Theologie.69

Die Dissertation sollte streng genommen seine einzige wissenschaftliche Publikation bleiben – Teile daraus erschienen zwei Jahre später in der Zeitschrift für Katholische Theologie (S. 410 – 451) –, sie ist jedoch durch ihre Quintessenz ebenso entscheidend für das weitere Verständnis von Werk und Person Reinhold Stechers wie der oben beschriebene Erfahrungsschatz aus dem Kontakt mit Schülern im Unterricht und dem Zusammenleben im Paulinum: „Als mir mein Professor diesen Forschungsauftrag zuwies, habe ich nicht geahnt, was für Einsichten, Zusammenhänge und Tiefblicke sich für mich auftun würden.

Der Begriff der ‚persönlichen Weisheit‘ ist schon von rein literarischem Interesse, er beschäftigt aber auch den Religionshistoriker und Religionspsychologen, der ähnliche Erscheinungen in anderen Kulturkreisen vor Augen hat. Vor allem aber wendet der Theologe den betreffenden Stellen seine Aufmerksamkeit zu, weil sie im Lichte des Neuen Bundes auf den Logos hinweisen.

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