Kitabı oku: «Kommunikation sichtbar machen (E-Book)», sayfa 2
Kapitel 2 Wissenskonstruktionen
Allgemein betrachte ich Kommunikation nun anders und frage mich ständig: Was will diese Person mir nun sagen? Interpretiere ich vielleicht zu viel in die Aussagen hinein?
2.1 Konstruktionen
Was sehen Sie?

Was denken Sie?
Interessant. Unser Gehirn fängt automatisch an, einen Zusammenhang zu suchen.9 Was hat ein Salzstreuer mit einem Klebstoff zu tun? Muss der Salzstreuer repariert werden, sitzt der Deckel nicht richtig? Kann aus Klebstoff und Salz ein noch besserer Klebstoff hergestellt werden? Ist Salz selbst eine Art Kleber, vielleicht ein schlechter, aber dennoch verwendbar für bestimmte Zwecke? Und so weiter.
Sie können nicht anders: Sie denken automatisch (lateinisch automatus: «freiwillig, aus eigenem Antrieb handelnd»; griechisch αUTόμαTOς automatos: «von selbst geschehend»), auch wenn es für die Vermittlung von Wissen äußerst geschickt wäre, wenn man als Geschäftsführer, Abteilungsleiterin, Redner oder Lehrerin bestimmen könnte, was der Empfänger denken sollte. Aber: Ich kann Ihnen nicht befehlen, was Sie denken sollen. Das entscheiden Sie beziehungsweise Ihr Bewusstseinssystem. Das Gehirn ist ein autonomer Datengenerator10 und keine Maschine, die Daten nach einem vorhersehbaren Schema bearbeitet.
Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass Ihre Gedanken im Augenblick etwas mit einem Salzstreuer, einem Klebstoff, diesem Text oder mit dessen Autor zu tun haben. Als Autor kann ich eine Richtung vorgeben, ich kann den Fokus auf bestimmte Dinge legen und Ihre Aufmerksamkeit lenken. Es braucht lediglich eine Bühne, um das Gehirn arbeiten oder etwas konstruieren zu lassen. Hier ist die Bühne diese Buchseite.
Übung 1: Verschiedene Konstruktionen
Zeigen Sie das Bild mit dem Salz Ihrem Partner, Ihrem Kind, Ihrer Nachbarin: Jedes Mal werden Sie eine andere Konstruktion erhalten. Als ich (als Sender) das Bild gemacht habe, suchte ich in meiner Wohnung zwei Gegenstände, die nichts miteinander zu tun haben sollten. Das war für Sie höchstwahrscheinlich nicht vorhersehbar.
Es gibt keine Schnittstelle zwischen Sender und Empfängerin
Es gibt keine direkte Schnittstelle zwischen Mensch und Mensch. Vielmehr muss der Empfänger aus dem vom Sender angebotenen Material (verbal und nonverbal) die eigene Wirklichkeit konstruieren. Es gilt die auf den ersten Blick paradoxe Aussage der Kommunikationspsychologie:
Der Empfänger entscheidet, was gesagt wurde.

Aber der Empfänger ist nur ein Teil der Kommunikation. Es kommt natürlich darauf an, was der Sender an Material anbietet, aus dem sich der Empfänger die persönliche subjektive Wirklichkeit aufbaut. Somit gilt auch:
Der Sender beeinflusst, worüber der Empfänger nachdenkt.
Aber diese «Beeinflussung» ist sehr individuell. Der Empfänger kann Dinge komplett übersehen, andere aber hinzufügen. In der kommunikativen Praxis werden Dinge vergrößert und verkleinert. Die Skizze oben ist demnach nicht ganz richtig, der Empfänger puzzelt dort «nur» die Bauteile des Senders zusammen. Es ist aber so, dass der Empfänger die ganze persönliche Vergangenheit für die Konstruktion nutzt und benutzt. Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen, er kann sich «erinnern». Diese Erinnerungen sind grundlegend für künftige Konstruktionen und das persönliche Kommunikationsverhalten.
2.2 Unterschiedliche Empfänger, unterschiedliche Deutungen
Obwohl es in der Theorie klar ist, dass «der Empfänger entscheidet», überrascht die Praxis häufig. Ich bin mir sicher, dass Vorträge, Vorlesungen und der ganze Unterricht anders verlaufen würden, wenn der Sender Einblick in die Gehirne des Publikums beziehungsweise in deren Konstruktionen hätte.11
Übung 2: Die Macht des Empfängers
Ein leerer Tisch (Bühne) wird an einen zentralen Ort geschoben, sodass alle Zuschauenden freie Sicht haben. Die Leiterin oder der Leiter legt einen Gegenstand, zum Beispiel ein Stück Papier, auf den Tisch. Automatisch beginnt das Gehirn zu konstruieren.
Es wird nicht gesprochen. Wer einen Gedanken hat, verschränkt die Arme. Wenn alle Arme verschränkt sind, dürfen die Teilnehmenden sich äußern.

Es gibt die unterschiedlichsten Konstruktionen:
•Ich muss noch das Altpapier rausbringen.
•Ist das ein Brief?
•Wem gehört es?
•Jetzt wird etwas darauf geschrieben.
•Machen wir jetzt eine Faltübung?
•Das ist ein Rechteck.
•Das Papier liegt nicht in der Mitte des Tischs.
•Warum wird hier kein Umweltschutzpapier verwendet?
•Ein leeres Blatt.
•Ein unbeschriebenes Blatt.
•Steht auf der Rückseite etwas drauf?
•Das ist der Beginn einer Symmetrieübung. Mit einer Schere werden Formen hineingeschnitten und anschließend aufgefaltet.
•Weiße Farbe.
•Das ist ein DIN-A6-Postkartenformat.
Und so weiter.
Sehr interessant. Die (nonverbale) Äußerung bestand lediglich aus dem Hinlegen eines Stücks Papier. Der Sender hat sich vielleicht gar nichts dabei gedacht, und trotzdem wird alles Mögliche – je nach Vorerfahrung des Empfängers – konstruiert. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass der Sender bei vielen Antworten recht irritiert darüber ist, was man alles aus der Äußerung herauslesen kann. Man stelle sich eine Lehrperson vor, deren Klasse die Aussage interpretiert. Es wundert nicht, wenn diese mit den Worten «Das habe ich nicht gesagt!» oder «Ich habe doch ganz klar gesagt, dass …» reagiert. Tatsächlich ist eine Äußerung alles andere als klar. Auch wenn die Lehrperson sich klar ausdrücken kann: Kommunikation geschieht zwischen Lehrperson, und Lernenden und Letztere haben die Macht der Deutung.
Übung 3: Beziehungen zwischen den Dingen
Sie können einen Schritt weitergehen und ein bestimmtes Denken aufzwingen beziehungsweise diktieren: Etwa «schreiben», «schneiden» oder «anzünden»:



Didaktisch eine wunderbare Sache: Die meisten Zuschauenden denken jetzt ähnlich. Die Assoziation mit dem Papier ist vom Kontext, seiner Umgebung, abhängig. Und doch denken immer noch nicht alle das Gleiche. Es gibt zwei Gründe für die Unterschiedlichkeit der Konstruktionen.
Erster Grund: Uneindeutigkeit der Assoziation durch Vorerfahrung
Der Mensch ist keine triviale Maschine. Es kommt auf die Vorerfahrung der Person an. In den obigen Beispielen herrscht weitgehend Einigkeit, weil Sie als Leserin oder Leser in einem Kulturkreis aufgewachsen sind, in dem Sie unzählige Male gesehen haben, dass man mit einem Stift schreiben, mit einer Schere schneiden und mit Streichhölzern ein Papier anbrennen kann. Die Bilder docken unmittelbar an Ihre Erfahrung und Umwelt an. Wenn diese Übung mit Marsmenschen gemacht würde, kämen diese bei Papier und Bleistift wahrscheinlich auf ganz andere Gedanken. Was für Assoziationen oder Gedanken entstehen, hängt entscheidend vom Kulturkreis und der sozialen Prägung ab.
Legt die Leiterin oder der Leiter weitere Gegenstände hinzu, ist die Sache weniger eindeutig.

Die Gegenstände «er-innern»12 mich an den Modellbau mit meinem Sohn. Mit der Schere werden Hölzchen in einen Flugzeugrumpf an- und eingepasst und mit Papier anschließend verstärkt. Ich bin mir sicher, dass Sie nicht an das Einpassen eines Hölzchens in einen Flugzeugrumpf gedacht haben – das ist eine zu spezifische Erfahrung. Irgendetwas mit «Basteln» werden Sie vielleicht gedacht haben, und je nachdem, was Sie beim Basteln erlebt haben, ist Ihre Assoziation mit positiven oder negativen Gefühlen besetzt.
Das Gehirn konstruiert aus vorhandenem Wissen und persönlichen Erlebnissen zusammen mit dem vorgelegten Material eine Bedeutung.
Zweiter Grund: Unser Gehirn versucht zu vereinfachen.
Was sehen Sie hier? Was denken Sie?

Die Suche nach einer Struktur ist immer auch die Suche nach einer Vereinfachung. Einfachheit kommt vor Komplexität. Aus der scheinbar willkürlichen Anordnung vieler Dinge ist ein Chaos entstanden. Ab einer bestimmten Anzahl von Elementen beginnen wir abzuzählen. So erfassen wir eine Anzahl von vier Dingen mit einem Blick, ab fünf zählen wir nach. Auf diese Weise werden bei Strichlisten meist Fünferpäckchen zusammengefasst. Statt schreiben wir
. So beginnt die Vereinfachung des «Chaos» ungefähr ab fünf Objekten, das heisst, spätestens mit dem fünften Gegenstand verliert der einzelne an Bedeutung. Das bedeutet: Wenn Sie Wert auf die einzelnen Dinge legen, etwa bei der Gliederung eines Vortrags, dann sollten Sie sich auf vier beschränken.
2.3 Unterschiedliche Sender ergeben unterschiedliche Beobachtungen
Jede Äußerung stammt von einem Beobachter und ist somit subjektiv.13 Jeder Sender ist immer ein Beobachter.
Man könnte grundsätzlich den Eindruck erhalten, dass der Sender sich prinzipiell klar ausdrücken kann, dass eine Art objektive Beschreibung geäußert wird. Aber auch diese Äußerung, die auf der individuellen Wahrnehmung basiert, ist letzten Endes ein Konstrukt der persönlichen Erfahrung und der Umwelt, was die folgende Übung eindrucksvoll zeigt.
Übung 4: Sender erklärt blinder Person die Welt
1. Vorbereitung
Diese Übung lässt sich ab einer Gruppengröße von zirka acht Teilnehmenden durchführen. Es wird ein für die Teilnehmenden unbekannter Ort gewählt. Das kann ein Museum, eine Kirche, ein bestimmter Raum, eine Seitenstraße, eine Waldlichtung oder eine Kunstsammlung sein. Die Teilnehmenden gehen paarweise zusammen und einigen sich, wer Sender und wer Empfänger ist. Dem Empfänger werden vor der Begehung die Augen verbunden.

Das Ausschalten von Sinnesorganen bedeutet für den Empfänger immer auch einen Kontrollverlust. Die Person muss der anderen «blind» vertrauen. Da das Gehirn stets lernt, lernt es auch, dass man enttäuscht werden kann, wenn man vertraut. Daher ist es wichtig, dass sich die Sender ihrer Fürsorgepflicht bewusst sind. Wenn das Bewusstsein für Verantwortung in der Gruppe noch nicht ausgeprägt ist, ist diese Übung nicht zu empfehlen.
Anschließend wird die Gruppe zu einem für sie unbekannten Ort geführt.

Ergänzung
Wird der Weg schweigend zurückgelegt, ist die anschließende Übung wertvoller. Dabei reicht es, wenn die sehenden Sender nicht sprechen dürfen. Die Kommunikation «erstirbt» automatisch, wenn der Sender sich gegenüber der Blinden oder dem Blinden weder verbal noch nonverbal äußern kann.
Das Schweigen kann durch ein Spiel beziehungsweise ein Rätsel «erzwungen» werden: Auf ein Zeichen der Führungsperson suchen sich die sendenden Personen einen neuen Empfänger. Dieser wird dann zu dem unbekannten Ort geführt. Aufgabe des Empfängers ist es, auf dem Weg herauszufinden, von wem er geführt wird. Die führende Person «kann» jetzt nicht mehr sprechen, weil sie sich sonst verrät.
Beim Ankommen muss der Sender die Identität nicht preisgeben. Es ist interessanter, wenn die Person unerkannt bleibt. Es gibt noch einen weiteren Grund, die Sache zumindest nicht sofort aufzulösen: Die Konzentration beziehungsweise die Stille bleibt beim Ankommen erhalten.
2. Verschiedene Sender äußern sich
Ist das Ziel erreicht, bleiben die Blinden stehen. Die Sender wechseln ihre Plätze, sodass jeder ein neues Gegenüber erhält. Jetzt wird der unbekannte Ort begangen und beschrieben. Jeder Sender beschreibt der blinden Person den Ort so gut wie möglich. Nach zirka drei bis vier Minuten suchen sich die Sender einen neuen Empfänger. Der Wechsel kann – muss aber nicht – von der Gruppenleitung getaktet werden.
Insgesamt wird mindestens dreimal gewechselt, sodass jeder Empfänger am Schluss drei verschiedene Darstellungen derselben Realität erhalten hat. Die Beschreibungen sind häufig grundlegend verschieden. Was der einen Person sehr wichtig ist, lässt die andere komplett aus, manche versuchen, «alles» zu beschreiben beziehungsweise eine Übersicht zu geben, andere gehen exemplarisch vor und beschreiben «nur» ein Detail. Die einen beschreiben sachlich nüchtern (zirka zwölf Meter hoch, die Säule hat einen Durchmesser von zirka vierzig Zentimetern; Bänke sind aus hellbraunem Holz und so weiter), die anderen arbeiten mit emotionalen Bildern («es wirkt mystisch», «beängstigend», «es könnte eine Szene aus Herr der Ringe sein» …).

3. Rollenwechsel
Anschließend führt die Gruppenleitung alle zu einem neuen Besichtigungsort. Auf halbem Weg werden die Rollen von Sender und Empfänger getauscht, und die Übung findet an einem neuen Ort ein zweites Mal mit vertauschten Rollen statt.
4. Die Fantasie retten?
Die Blinden können im Anschluss den jeweiligen Ort sehend aufsuchen. Die Gruppenleitung achtet darauf, dass die erste sehende Begegnung nicht zu lange diskutiert wird. Eine schweigende Begehung besitzt eine magische Wirkung. Auch leises Flüstern drängt den Teilnehmenden Gedanken auf, egal wie leise gesprochen wird. Sobald es gehört wird, ist es beim Empfänger im Kopf. Nach ein bis zwei Minuten kann das Schweigen gebrochen werden.
Wohlgemerkt, die Teilnehmenden «können» den Ort sehend aufsuchen, sie «müssen» aber nicht. Für die, die nicht hingehen, bleibt das Geheimnis bestehen. Viele erleben die «Auflösung» als Enttäuschung, da sie blind ein viel «wertvolleres Bild» in sich hatten. Man wird ein bisschen an den kleinen Prinzen erinnert: «[…] das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.»
Systeme sind nicht additiv
Das sehende Begehen ist ein bisschen so, wie wenn man ein Buch liest und hinterher den Film dazu schaut. Der Film nimmt einem die Fantasie. Dass jedes Hinzufügen auch gleichzeitig etwas nimmt, bleibt häufig unerkannt. Man kann nicht einfach etwas hinzufügen und gleichzeitig mehr haben.
Ein Beispiel: Seit der Entwicklung der digitalen Kamera braucht es keine Entwicklung der Filme mehr. Man hat die Aufnahme auf dem Bildschirm unmittelbar vor sich. Früher brauchte es einige Tage, bis man die Urlaubsfotos betrachten konnte. Es wurde viel weniger fotografiert, das einzelne Bild ging nicht in der Masse unter. So wird der Gewinn mit der Vorfreude und der Entwertung des einzelnen Bilds bezahlt. Den Ort sehend zu begehen, wird mit der eigenen Fantasie und dem Geheimnis bezahlt.
Die technische Entwicklung soll hier nicht negativ erscheinen. Es soll lediglich gezeigt werden, dass man nicht einfach eine Sache durch eine «bessere» ersetzen kann. Es ist nicht möglich, etwas hinzufügen, ohne etwas fortzunehmen. Es gibt prinzipiell (!) keinen Fortschritt, ohne dass auch etwas verloren geht. Alles hat seinen Preis: Der Internethandel geht auf Kosten des Einzelhandels. Man kann nicht erwachsen werden und dabei Kind bleiben, sonst wird kindlich zu kindisch.14 Fortschritt ist keine «Besserung», Fortschritt bedeutet nur, dass etwas weitergeht, nicht dass etwas besser wird. Einem System kann man nicht additiv etwas hinzufügen, ohne dass sich das ganze System ändert. Die Erfindung der modernen Kommunikationssysteme beziehungsweise deren Geschwindigkeit (mobiles Telefon, E-Mail) mag auf den ersten Blick eine Bereicherung sein. Gleichzeitig haben sich damit aber auch Werte verändert: «Zuverlässigkeit» ist häufig durch «Erreichbarkeit» ersetzt worden. Auch wenn moderne Bildtelefone und Konferenzschaltungen einen raschen Austausch ermöglichen: Nicht alles passt durch die Schnittstellen der technischen Apparate. Viel Unsichtbares bleibt auf der «Strecke». Ein Beispiel: Es ist nicht möglich, dass ein Orchester über solche Schnittstellen gemeinsam musiziert. Wenn jeder vom anderen isoliert in einem Raum sitzt, kommt es schwerlich zu Resonanz. Es scheint so, aber die stillschweigende Annahme, dass alles durch das «Kabel» passt, ist ein technischer Irrglaube.15
Erweiterungen und konstruktivistischer Hintergrund
Höhlengleichnis (Erweiterung von Übung 4 nach Schritt 3)
Die Blinden setzen sich zusammen und tauschen sich darüber aus, wie der Ort «wirklich» ausgesehen hat – ohne ihn zuvor gesehen zu haben. Sie können sich die Vorstellungen mit verschiedenen Methoden gegenseitig veranschaulichen (ein Modell des Orts nachbauen, Bilder zeichnen und so weiter). Die Sehenden sitzen schweigend außerhalb und hören sich die Konstruktionen an.

Mit dieser Übung steigt man in Platons Höhle hinab.16 Man kann die Parallelität zum Gleichnis noch weiter steigern, indem sich eine Sehende oder ein Sehender nach einiger Zeit an der Diskussionsrunde beteiligt. Auch bei dieser Übung muss anschließend keine Auflösung stattfinden. Alle in der Gruppe mögen für sich entscheiden, ob sie den Ort sehen möchten. Die Entscheidung bleibt beim Einzelnen.
Mitunter kommt es bei den Blinden zu einer höchst ungewöhnlichen «Sichtweise»: Wenn Sie den Ort jetzt sehen würden, dann würden sie ja auch nicht alles wahrnehmen, sondern den Ort lediglich mit einem weiteren Sinnesorgan erkunden. Es handelt sich somit nur um eine scheinbare Auflösung – eine Begegnung mit dem platonischen Denken.
Kunstaustellung der Blinden (Erweiterung von Übung 4 nach Schritt 3)
Alle Blinden zeichnen oder malen ein Bild von dem Ort, den sie besucht haben. Hinterher werden die Werke in einem Raum ausgestellt. Diese Übung kann mit dem Höhlengleichnis verbunden werden.
Kostenpflichtiger Eintritt
Der Besuch des unbekannten Orts darf gerne auch Eintritt kosten. Sobald es etwas kostet, kommen interessante Fragen auf: «Warum soll ich etwas zahlen, wenn ich von den Kunstobjekten gar nichts sehe?» Um Fragen dieser Art zu provozieren, reichen schon wenige Cent: Der Museumsbesuch scheint durch den Gebrauch des Sehsinns wertvoller als ohne zu sein, oder doch nicht? Plötzlich geht es um Werte. Viele Teilnehmende empfinden die unbekannten Orte in der Rolle des blinden Empfängers interessanter als in der Rolle des Senders.
Beachtenswert ist der Aspekt, dass man «mehr sieht, wenn man mehr weiß». Wenn wir in eine Ausstellung gehen und bereits thematische Vorkenntnisse haben, haben wir meist das Gefühl, mehr davon zu haben.
Konstruktivistischer Hintergrund
Die Welt ist unendlich komplex. Der Sender beziehungsweise der Sehende beobachtet, das heißt, er trifft Unterscheidungen und erschafft daraus Informationen. Natürlich hat die Welt etwas mit den Gedanken des Beobachters zu tun, allerdings «sieht», «hört», «fühlt», «schmeckt» und «riecht» jede und jeder etwas anderes: Jede einzelne Person erschafft sich aus dem unendlichen Potenzial der Welt ihre eigene private Wirklichkeit.17

Information existiert demnach gar nicht in der Welt, sondern nur in einem Bewusstseinssystem. Ein Beobachter kann nur einen Teil der Information mitteilen. Mit allem, was er sagt, wird etwas auch nicht gesagt. Er entscheidet, was in die Mitteilung (in die Kommunikation) kommt und was nicht. Es ist also nicht nur so, dass jeder Sehende etwas anderes wahrgenommen hat, sondern auch derselbe Beobachter kann unterschiedlichen Blinden etwas anderes erzählen.

Kapitel 3 Quadratur von Nachrichten
Man glaubt, dass man die Kommunikationsmodelle kennt, bis man sie erlebt hat und an der eigenen Wirklichkeit rütteln muss.
Mit den Schülern habe ich die Übung mit dem Stehen im Quadrat gemacht, sie haben das Modell auch in der Pädagogik/Psychologie behandelt, hatten es aber nicht verstanden. Ich habe es gebraucht zur Analyse eines Gesprächsverhaltens im Drama – ohne es selbst zu verstehen und zu erleben, ergaben diese Inhalte gar keinen Sinn.
3.1 Äußerung und «Innerung»
Es gibt keine direkte Schnittstelle zwischen Mensch und Mensch (vgl. Kapitel 1, S. 22). Wir können unsere Gedanken unserem Gegenüber nicht direkt überspielen.

Unser Bewusstsein liegt nicht frei, sondern ist von «Wänden» umgeben. Gäbe es diese Wände nicht, so wäre Kommunikation (so wie wir sie kennen) überflüssig. Ein Austausch untereinander wäre nicht nötig, weil bereits alles ausgetauscht wäre. Aufgrund der Trennung zu unseren Mitmenschen gibt es ein Innen und ein Außen.

Es ist eine im Grund sehr banale Sache. Und trotzdem wird die Wand häufig nicht wahrgenommen, vielleicht, weil sie unsichtbar ist. Einige Beispiele:
•Wir «vergessen» häufig, dass wir der einzige Mensch sind, den wir nicht direkt sehen können. Trotzdem haben wir das Gefühl, die Situationen in Gesprächen objektiv einschätzen zu können, obwohl wir nur unser Gegenüber sehen, nicht uns selbst und auch nicht die Interaktion an sich.
•Jede Äußerung findet in einem Kontext (in der Umwelt) statt. Wir «vergessen» die Umgebung oft beziehungsweise lassen sie aus ökonomischen Gründen weg. Wir gehen häufig stillschweigend davon aus, dass unsere Gesprächspartnerinnen und -partner dieselbe Umweltvorstellung besitzen. «Ich würde gerne mit dir spazieren gehen!» hängt in der Wirkung, die beim Gegenüber ausgelöst wird, sehr stark von der Umwelt ab: Ist es mitten in der Nacht, regnet es in Strömen, befinden wir uns in einer Großstadt, am Bahnhof? Werde ich von der Liebe meines Lebens gefragt oder von einem Unbekannten (vgl. auch Kapitel 7.2, S. 120)?
•Jede Äußerung stammt selbst von einem Beobachter: «Mache dir stets bewusst, dass alles, was gesagt wird, von einem Beobachter gesagt wird!»18 Das bedeutet insbesondere, dass jede Äußerung subjektiv ist.
Da jede Äußerung erst einmal durch zwischenmenschliche «Wände» gelangen muss, um anzukommen, liegt es nahe, diese «Wände» genauer zu untersuchen. Friedemann Schulz von Thun hat die einzelnen «Wände» in seinem Nachrichtenquadrat voneinander unterschieden: Es gibt eine Sach-, Beziehungs-, Appell- und Selbstkundgabeebene.


Schnäbel und Ohren
Jede nach außen gerichtete Nachricht (Äußerung) wird durch diese zwischenmenschlichen «Wände» eingefärbt. Nach Schulz von Thun19 sprechen wir mit vier Schnäbeln.
Dringt etwas von außen nach innen zu uns durch, geht diese Nachricht ebenfalls durch die zwischenmenschlichen Wände und wird quasi eingefärbt. Entsprechend können wir auf vier verschiedenen Ohren «hören». In den folgenden Übungen werden die zwischenmenschlichen «Trennwände» mit Kreppband sichtbar gemacht.
3.2 Sach-, Beziehungs-, Selbstkundgabe- und Appellebene
Ziel der Übung ist es, mit den vier Seiten des Quadrats vertraut zu werden. In zwei Schritten werden jeweils die gegenüberliegenden beziehungsweise komplementären Seiten eingeführt.
Sach- und Beziehungsebene
Auf dem Boden wird mit dickem Kreppband (fünf Zentimeter) ein Quadrat mit einer Seitenlänge von zirka achtzig Zentimetern markiert.
Die Sachebene einer Nachricht entspricht dem Kopf, die Beziehungsebene liegt tiefer, in der Herz- oder Bauchgegend. So wird die obere Seite und die untere Seite des Quadrats in entsprechender Farbe20 beschriftet. Der Abstand zwischen Kopf und Bauch entspricht etwa der Seitenlänge des Quadrats.

Übung 5: Sach- und Beziehungsebene
Zwei Teilnehmende bilden ein Team, eine Person hört nur mit dem Sachohr, die andere nur mit dem Beziehungsohr. Wer welchen Schnabel benutzt, braucht nicht vereinbart zu werden. Der Empfänger hat die Macht. Dieser entscheidet, auf welchem Ohr er die Aussage wahrnimmt. Ergo: Die Konzentration liegt nicht auf den Schnäbeln, sondern auf den Ohren.
Die Verteilung der Rollen (Sachohr, Beziehungsohr) kann vorab vereinbart werden, meistens ist sie allerdings bereits nach dem ersten Satz klar:
«Ich hätte spontan Lust auf eine Tasse Kaffee!»
(Sachohr hört, dass die Partnerin oder der Partner Kaffee trinken möchte.) «Um diese Uhrzeit? Es ist schon nach fünf.»
(Beziehungsohr hört eine Ablehnung.) «Wir können ja auch noch etwas anderes machen…»
(Sachohr versteht nicht.) «Was denn anderes?»
(Beziehungsohr hört Interesse.) «Na zum Beispiel noch etwas die Abendstimmung genießen. Auch wenn es schon ein bisschen frisch geworden ist.»
(Sachohr stellt fest, dass die Temperatur niedrig ist.) «Ist dir kalt? Ich habe noch eine Jacke im Auto.»
«…»
Nach wenigen Sätzen hat man das Gefühl, dass hier eine Mann-Frau-Beziehung karikiert wird. Die Frau hört auf der Beziehungs-, der Mann auf der Sachebene. Es hilft, wenn die Seminarleitung in der Einführung eine Unterhaltung mit einer freiwilligen Person vorspielt und dann erst die eigentliche Übung beginnt. Nach zirka zwei Minuten werden die Rollen gewechselt, Schnäbel und Ohren wechseln die Ebene, der Sachschnabel wird zum Beziehungsschnabel und umgekehrt. Die Unterhaltung wird mit vertauschten Rollen zirka zwei Minuten weitergeführt.
Anschließend sucht sich jede und jeder eine neue Partnerin oder einen neuen Partner, und das Spiel geht von Neuem los. Man darf gerne dasselbe Gesprächsthema noch einmal anwenden. Dies wird jedoch eher schwierig, da Kommunikation immer eine Interaktion darstellt, und diese existiert nicht mehr beziehungsweise wird mit einer neuen Partnerin oder einem neuen Partner auch neu geschaffen. Was hier im Text banal klingt, ist in der Praxis häufig ein Aha-Erlebnis.
Nach zwei oder drei Runden trifft sich die Gruppe im Kreis um das Quadrat zum kurzen Austausch über die Erfahrungen.
Beziehungsebene
Bei genauerer Betrachtung der Beziehungsebene lässt sich diese in eine «Du-» und eine «Wir-Seite» unterteilen, sodass die eigentlich gerade Seitenkante einen Knick erfährt.

Ein Beispiel (nach Schulz von Thun21): Die Frau sitzt am Steuer, die Ampel schaltet auf Grün, und der Mann auf dem Beifahrersitz sagt: «Du, da vorne ist grün!»
Auf der Du-Seite erklärt der Mann in einer Du-Botschaft, was er vom Fahrstil seiner Frau hält beziehungsweise darüber denkt («Du kannst nicht richtig Auto fahren»). Aber es steckt noch mehr Information auf der Beziehungsebene, nämlich, wie der Mann die Rollenverteilung (Wir-Botschaft) sieht («Ich bin der Profi, du die Fahrschülerin!»). Falls die Frau auf dem Beziehungsohr hört, wäre es nicht verwunderlich, wenn sie sich gegen die innenliegende Beziehungsdefinition zur Wehr setzt und ihre Sichtweise der Rollenverteilung einbringt («Fährst du oder fahre ich!?»).
Ob man die kommunikationspsychologische Lupe entsprechend modifiziert (Unterteilung der Beziehungsebene in «Du»- und «Wir»-Botschaft), hängt von der jeweiligen Situation ab und davon, wie vertraut die Teilnehmenden mit dem Quadrat bereits sind. Die Wahrnehmung wird durch die Unterteilung schärfer und klarer, das Modell wird gleichzeitig komplexer und verliert etwas vom Charme der Einfachheit.
Selbstkundgabe- und Appellebene
Die linke und die rechte Seite des Quadrats werden mit «Selbst» und «Appell» beschriftet. Die Selbstkundgabe kennt zwei Aspekte: Der eine ist eine freiwillige Selbstdarstellung («Schau, wie toll ich bin!»), der andere ist die unfreiwillige, automatisch in der Äußerung enthaltene Selbstkundgabe. Ob ich will oder nicht: Mit jeder Äußerung gebe ich etwas von mir preis. Die Selbstkundgabe entspricht in der theatralen Betrachtung der Bühne. Nicht immer möchte man im Rampenlicht stehen, vor allem dann nicht, wenn einem etwas peinlich ist. Aber es gibt sehr wohl Momente, in denen man gerne gesehen werden möchte.
Mit der Selbstkundgabe- und der Appellseite ist die kommunikationspsychologische Lupe nun vollständig.
Beispiele
•Man trägt ein neues Hemd, das man soeben gekauft hat (freiwillige Selbstkundgabe): «Gefällt dir mein neues Hemd?»
•In einer Diskussionsrunde wird man aufgefordert, Stellung zu beziehen (unfreiwillige Selbstkundgabe): «Sie haben sich noch gar nicht geäußert.»
Die meisten Menschen hören solche Äußerungen auf dem Appellohr und reagieren entsprechend. Typische Antworten könnten etwa so lauten:
«Gefällt dir mein neues Hemd?»
(Appellohr der Empfängerin hört: «Schau mich bitte richtig an! Bemerke, dass ich etwas Neues trage.»)
«Du hast doch hundert verschiedene Hemden, woher soll ich denn wissen, dass das neu ist?»
«Sie haben sich noch gar nicht geäußert.»
(Appellohr des Empfängers hört: «Sagen Sie etwas!»)
«Sie haben mich doch noch gar nicht gefragt!»
Hört die Empfängerin mit dem Selbstkundgabeohr, ergibt sich meist eine völlig andere Reaktion, und das Gespräch verläuft in eine andere «Richtung».
«Gefällt dir mein neues Hemd?»
(Selbstkundgabeohr hört: «Ich bin unsicher und weiß nicht so recht, ob das ein guter Kauf war …»)
«Es macht dich noch schöner! Steht dir gut, das Blau.»
«Sie haben sich noch gar nicht geäußert.»
(Selbstkundgabeohr hört: «Ich hoffe, ich habe jetzt nicht zu viel geredet und Sie dadurch gar nicht zu Wort kommen lassen.»)
«Danke, dass Sie nachfragen. Aber Sie können gerne noch mehr erzählen, ich finde es interessant.»
Appellseitiges Hören im pädagogischen Bereich
Lehrpersonen reagieren sehr häufig appellseitig. Lernende fragen etwas, die Lehrperson hört den Appell (heraus) und gibt eine Antwort. Vielleicht möchte sie helfen, vielleicht auch ihre Lernenden nicht enttäuschen. Aber sie nimmt ihren Lernenden das Erlebnis, die Lösung selbst zu finden. Durch das Hören auf der Seite der Selbstkundgabe erhält der Unterricht eine völlig andere Richtung. Ein Beispiel: Ein Schüler fragt im Mathematikunterricht: «Muss ich da jetzt plus oder mal rechnen?»

Das Appellohr hört: «Erkläre mir, wie das geht!» Und die appellseitige Reaktion der Lehrperson könnte sich etwa so anhören: «Da musst du multiplizieren, ansonsten berechnest du ja keine Fläche, sondern eine Strecke.»
Es ergibt sich ein anderer Gesprächsverlauf, wenn das Selbstkundgabeohr hört: «Ich möchte wissen, wie das geht.»
Entsprechend könnte die Reaktion der Lehrperson in eine andere Richtung gehen (im Quadrat steht sie auf der anderen Seite): «Das ist eine interessante Frage, die möchte ich an alle in der Klasse stellen». (An die Klasse gewandt): «Hier gibt es die Frage, ob man bei dieser Aufgabe plus oder mal rechnen muss. Wer kann hier weiterhelfen?» Daraufhin gibt die Lehrperson die Bühne zur Diskussion frei.
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