Kitabı oku: «Freiheit », sayfa 6
3.3. Der Römerbrief: Die Freiheit der Kinder Gottes
Im Römerbrief entfaltet Paulus das Evangelium umfangreicher, grundsätzlicher und mit Neuakzentuierungen gegenüber dem Galaterbrief. Auch wenn er sich im Brief an die ihm unbekannte |52|christliche Gemeinde in Rom weiter zurückreichenden Vorwürfen ausgesetzt sieht (vgl. Röm 3,8.31; 6,1.15; 7,7a), so fehlen doch die polemische Grundstruktur des Galaterbriefs und die in diesem Brief ausgearbeitete Zuspitzung der Freiheit als einer Freiheit vom Leben unter der Tora. Alle Freiheitsaussagen begegnen im Abschnitt Röm 6–8, und sie sind hier verwoben in tiefgreifende theologische Erörterungen (der Wortstamm ἐλευθερ- in Röm 6,18.20.22; 7,3; 8,2.21; vgl. daneben auch den Wortstamm δουλ- in Röm 6,6.16.17.18.19.20.22; 7,6.25 sowie αἰχμαλωτίζειν [»gefangen nehmen«] in Röm 7,23). Auffällig ist die präpositionale Zuordnung der Freiheitsaussagen vorwiegend als Freiheit oder befreien ἀπό (»von«) (vgl. Röm 6,18.22; 7,3; 8,2.21). Freiheit wird im Römerbrief überwiegend durch Bezugsgrößen angesprochen.
Nachdem Röm 6,1–11 die Taufe als ein der Sünde Gestorbensein beschrieben hat, da in der Taufe der Täufling, der alte Mensch, mit Christus gestorben, mitgekreuzigt, begraben ist, eröffnet sich in diesem Geschehen eine neue Lebensausrichtung. Welche Folgen ergeben sich aus der Befreiung von der Sünde und der Lebensgemeinschaft mit Christus? Bietet die Gnade nicht ein gefährliches Potential zur Sünde (vgl. Röm 6,1)? Bestand in vorchristlicher Zeit eine Versklavung an Unreinheit und Gesetzlosigkeit, so tritt jetzt eine Versklavung im Blick auf Gerechtigkeit zur Heiligung an deren Stelle. Befreit von der Sünde (vgl. Röm 6,18a. 22a) – Sklaven für die Gerechtigkeit (vgl. Röm 6,16b. 18b. 19d) bzw. im Rückblick: damals frei von der Gerechtigkeit (vgl. Röm 6,20b) – Sklaven der Sünde (vgl. Röm 6,17a. 20a). Paulus beschreibt menschliches Leben in einer Ausrichtung, die immer eine Bindung impliziert: entweder an die Sünde und damit an den Tod oder an Christus und damit an Gerechtigkeit. Diese neue Lebensausrichtung vollzieht sich praktisch in der Ethik der Christen und sie realisiert die übereignete Heiligkeit.
Die Befreiung vom Gesetz (vgl. Röm 7,3) wird in Röm 7 in einem Kontext thematisiert, der weit über missionsstrategische Überlegungen oder Ablösungsprozesse vom Judentum hinausführt, vielmehr auf einen Sachzusammenhang bezogen wird, der sich aus Gesetz – Gebot – Begehren – Sünde – Tod zusammensetzt.|53| Der einzelne Mensch ist in geradezu verhängnisvoller Weise in diesem Zusammenhang gefangen und kann ihm aus eigener Kraft nicht entfliehen, ja er kann es nicht einmal realisieren, das zu tun, was er in freier Entscheidung tun möchte (vgl. Vollenweider 1989: 361). Die Sünde, gedacht als eine überindividuelle Macht, bedient sich des Gebotes, um die Begierde anzuregen, erwirkt damit aber – gegen den Willen und die Freiheit des Einzelnen – die Gebotsübertretung, die zur Verurteilung, ja zum Tod führt. Das Gesetz an sich ist heilig und würde wohl auch zur Freiheit führen, es befindet sich aber in einem unheilvollen Missbrauch durch die Sünde. Diese vielfache Verstrickung macht es unmöglich, sich in die eigene Seele zurückzuziehen, um Freiheit zu gewinnen. Ein solcher Rückzug würde nur die Gefangenschaft offenbar machen (vgl. Betz 1994: 117). Aus diesem Zusammenhang von Gesetz, Sünde und Tod hat Christus befreit (vgl. Röm 8,2). Paulus wählt eine dialektische Formulierung für diesen Befreiungsvorgang, indem er in einem Wortspiel »das Gesetz des Geistes des Lebens hat dich in Christus Jesus befreit« dem »Gesetz der Sünde und des Todes« gegenüberstellt, wobei deutlich bleibt, dass diese Befreiung nicht durch das Gesetz, sondern ausschließlich durch Christus bewirkt wurde (vgl. Vollenweider 1997: 505). Um dieses Ende des Gewiesenseins an das Gesetz zu belegen, wählt Paulus in Röm 7,1–6 eine Illustration aus dem Eherecht. Der Tod des männlichen Ehepartners ordnet die rechtlichen Verhältnisse völlig neu. Ebenso führt das Mitsterben der Christen mit Christus in eine Freiheit vom Gesetz, faktisch aber in eine neue Bindung. Denn auch diese Argumentation kann nicht ohne die eigentlich paradoxe, wiederum der Ethik zuzuordnende Vorstellung auskommen, dass die Freiheit vom Gesetz mit einer neuen Knechtschaft im Geist, einem Fruchtbringen für Gott verbunden ist (vgl. Röm 7,4.6).
Der Ausblick auf die Befreiung der Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes in Röm 8,21 spricht ein zukünftiges Vollendungsgeschehen an, in dem die Freiheit kosmische Dimensionen annimmt. Paulus macht deutlich, dass Knechtschaft nicht nur auf dem Einzelnen lastet, sondern strukturell die vergehende Schöpfung bestimmt. Auch wenn die Christen im Geist geradezu ein Pfand auf die Zukunft |54|haben, was sie von der Schöpfung und deren Erwartung der vollkommenen Freiheit der Gotteskindschaft trennt, ist es gegenwärtig die Signatur des Seufzens, auch ein Ausdruck des Leidens unter den Bedingungen der vorletzten Zeit, die sie und die Schöpfung verbindet.
3.4. Paulus – Theologe der Freiheit
Paulus begreift Kreuz und Auferstehung Christi als ein Befreiungsgeschehen, das sich zwar auch auf versklavende Mächte bezieht (Tod, Sünde, Gesetz), aber nicht in vollem Umfang in solchen Zuordnungen erkannt werden kann. Das Werk Christi und die Berufung befreien aus Abhängigkeiten und vermitteln innere Freiheit. Diese kann dann auch auf sehr unterschiedliche Felder angewandt werden: Das Apostolat und die Verkündigung sind von Freiheit gezeichnet, ebenso die Lebenswirklichkeit der Gemeinden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Verkündigung des Paulus im Blick auf soziale Gegebenheiten (Sklaven, Frauen) und überkommene Normen (Speisegebote, Sexualethik) mit einem aufklärenden Potential einherging und emanzipatorisch wahrgenommen wurde. Demgegenüber grenzt Paulus, möglicherweise seine eigenen Ansätze einschränkend, die Freiheit durch Verweis auf die soziale Verantwortung gegenüber individueller Willkür ab. Darüber hinaus zeichnet er in den christlichen Freiheitsbegriff die grundlegende Paradoxie ein, dass der von Christus Befreite gleichzeitig Sklave Christi ist. Dies exemplifiziert er mehrfach im Blick auf seine Person (vgl. etwa die Selbstbezeichnung δοῦλος Χριστοῦ [»Sklave Christi«] in den Präskripten seiner Briefe), aber auch im Blick auf die christlichen Sklaven oder auf die Gesamtgemeinde. Die Freiheit bewährt sich demnach in einer Bindung an Christus. Der Ausblick auf ein noch ausstehendes Befreiungsgeschehen der gesamten Schöpfung steht zwar nur am Rand der paulinischen Eschatologie, bezeugt aber eindrücklich deren überindividuelle Ausrichtung.
|55|4. Das Johannesevangelium: Die Wahrheit wird euch frei machen
In einem Disput zwischen Jesus und an ihn glaubenden Juden (Joh 8,30–36) wird die Frage der Beziehung zum Erzvater Abraham Haftpunkt für die Klärung des Begriffs Freiheit. Der Bezug auf Abraham ermöglicht den jüdischen Gesprächspartnern, für sich den Stand der Freiheit zu reklamieren (vgl. Joh 8,33). Diese ist abgeleitet von Isaak, dem Sohn der Freien, in dessen Nachfolge man sich begreift (vgl. Joh 8,35). Das Johannesevangelium reflektiert in diesem Dialog wohl Auseinandersetzungen zwischen dem Judentum und den sich von ihm absetzenden christlichen Gemeinden. Die Logik der Argumentation bindet Jüngerschaft an ein Bleiben im Wort Jesu, das wie ein Lebensraum erscheint. Die sich in ihm vollziehende Erkenntnis der Wahrheit ist die Erkenntnis Jesu Christi, der die Wahrheit zu sein beansprucht (vgl. Joh 14,6). Daher gehen im Text auch das »frei machen durch die Wahrheit« (Joh 8,33) und das »frei machen durch den Sohn« (Joh 8,36) parallel, um sich gegenseitig zu interpretieren. Der Anspruch der jüdischen Gesprächspartner, als Abrahamskinder frei zu sein, wird nicht weiter verfolgt. Vielmehr wird ein zusätzliches Argument angeführt: die Unfreiheit besteht in der Bindung an die Sünde. Die durch die Wahrheit oder durch Christus vermittelte Befreiung hebt die Knechtschaft der Sünde gegenüber auf und schenkt ὄντως (»wirklich«) Freiheit (vgl. Joh 8,36). Auch das Johannesevangelium begreift folglich Freiheit in einem Gegenüber zur Knechtschaft, hier der Knechtschaft der Sünde. Sünde wiederum wird nicht gesetzlich oder moralisch gewertet, sondern als Unglaube verstanden. Das Befreiungsgeschehen vollzieht sich daher im Glauben und im Anschluss an Jesus Christus.
5. Der Jakobusbrief: Das Gesetz der Freiheit
Der pseudepigraphe Jakobusbrief spricht in Jak 1,25 von dem vollkommenen Gesetz der Freiheit, in Jak 2,12 von dem Gesetz der Freiheit, ohne hierbei genauer zu verdeutlichen, was er mit diesem fast gleichlautenden Ausdruck meint. In Jak 2,8 wird das Liebesgebot |56|nach Lev 19,18 als das königliche Gesetz angeführt, und Jak 2,10f. spricht mit Blick auf den Dekalog vom ganzen Gesetz. Daher liegt es nahe, das Gesetz der Freiheit mit dem königlichen Gesetz zu identifizieren und es auf das Liebesgebot zu beziehen. Aber in dem von Jakobus gewählten Ausdruck liegt ein theologischer Anspruch: Der Genitiv Freiheit qualifiziert nicht das Gesetz, sondern Freiheit ist sozusagen die Folge des Handelns des Christen, wenn er das Gesetz befolgt. Jakobus steht hier wohl in einem jüdisch-hellenistischen Umfeld, dem zufolge die Orientierung an dem Gesetz den bösen Trieb besiegt und die Begierden zügelt und darin erst Freiheit eröffnet. Gleichzeitig unterscheidet er sich fundamental von Paulus, der dem Gesetz wegen seiner Bindung an die Sünde die Möglichkeit abspricht, zur Freiheit zu führen. Im Gericht wird nach Jak 1,25; 2,13 überprüft, ob ein Christ diese durch das Gesetz ermöglichte Freiheit bewahrt oder sie durch Gesetzesübertretung verloren hat (vgl. Konradt 1998: 92–100).
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
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Seneca: Ad Lucilium Epistulae Morales/Briefe über Ethik an Lucilius: ders.: Philosophische Schriften. Lateinisch und Deutsch, Bde. III/IV, hg. von Manfred Rosenbach, Darmstadt 1995.
Xenophon: Memorabilia/Memorabilien: ders.: Memorabilien. Erinnerungen an Sokrates, übers. von Paul M. Laskowsky, München 1960.
2. Sekundärliteratur
Bartsch 1983: Bartsch, Hans-Werner: Art. Freiheit IV. Freiheit und Befreiung im Neuen Testament, TRE 11, Berlin/New York 1983, 506–511.
Betz 1994: Betz, Hans Dieter: Paul’s Concept of Freedom in the Context of Hellenistic Discussions about Possibilities of Human Freedom, in: ders.: Paulinische Studien. Gesammelte Aufsätze III, Tübingen 1994, 110–125.
Bultmann 1968: Bultmann, Rudolf: Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 19686.
|57|Coppins 2009: Coppins, Wayne: The Interpretation of Freedom in the Letters of Paul, With Special Reference to the ›German‹ Tradition (WUNT II 261), Tübingen 2009.
Dautzenberg 2001: Dautzenberg, Gerhard: Freiheit im hellenistischen Kontext, in: Beutler, Johannes (Hg.): Der neue Mensch in Christus (QD 190), Freiburg i.Br. 2001, 57–81.
Jones 1987: Jones, F. Stanley: ›Freiheit‹ in den Briefen des Apostels Paulus. Eine historische, exegetische und religionsgeschichtliche Studie (GTA 34), Göttingen 1987.
Jones 1991: Jones, F. Stanley: Art. Freiheit II. NT, NBL 1, Zürich 1991, 699–701.
Jones 1992: Jones, F. Stanley: Art. Freedom, ABD 2, New York 1992, 855–859.
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Longenecker 1964: Longenecker, Richard N.: Paul. Apostle of Liberty, New York 1964.
Mußner 1976: Mußner, Franz: Theologie der Freiheit nach Paulus (QD 75), Freiburg i.Br. 1976.
Niederwimmer 1992: Niederwimmer, Kurt: Art. ἐλευθερία, EWNT 1, Stuttgart 19922, 1052–1058.
Schlier 1935: Schlier, Heinrich: Art. ἐλεύθερος/ἐλευθερόω/ἐλευθερία/ἀπἐλεύθερος, ThWNT 2, Stuttgart 1935, 484–500.
Schnelle 2003: Schnelle, Udo: Paulus. Leben und Denken, Berlin/New York 2003.
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Vollenweider 1989: Vollenweider, Samuel: Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147), Göttingen 1989.
Vollenweider 2000: Vollenweider, Samuel: Art. Freiheit II. Neues Testament, RGG4 3, Tübingen 2000, 306–308.
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Weiß 1902: Weiß, Johannes: Die christliche Freiheit nach der Verkündigung des Apostels Paulus. Ein Vortrag, Göttingen 1902.
|58|3. Literaturhinweise zum vertiefenden Studium
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Dautzenberg, Gerhard: Die Freiheit bei Paulus und in der Stoa, ThQ 176 (1996), 65–76.
Dautzenberg, Gerhard: Freiheit im hellenistischen Kontext, in: Beutler, Johannes (Hg.): Der neue Mensch in Christus (QD 190), Freiburg i.Br. 2001, 57–81.
Horn, Friedrich Wilhelm: Kyrios und Pneuma bei Paulus, in: Schnelle, Udo/Söding, Thomas (Hgg.): Paulinische Christologie. FS Hans Hübner, Göttingen 2000, 59–75.
Jones, F. Stanley: ›Freiheit‹ in den Briefen des Apostels Paulus. Eine historische, exegetische und religionsgeschichtliche Studie (GTA 34), Göttingen 1987.
Nestle, Dieter: Eleutheria. Studien zum Wesen der Freiheit bei den Griechen und im Neuen Testament, Bd. 1: Die Griechen (HUTh 6), Tübingen 1967.
Nestle, Dieter: Art. Freiheit, RAC 8, Stuttgart 1972, 269–306.
Niederwimmer, Kurt: Der Begriff der Freiheit im Neuen Testament (TBT 11), Berlin 1966.
Theobald, Michael: ›Zur Freiheit berufen‹ (Gal 5,13). Die paulinische Ethik und das mosaische Gesetz, in: ders.: Studien zum Römerbrief (WUNT 136), Tübingen 2001, 456–480.
Vollenweider, Samuel: Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt (FRLANT 147), Göttingen 1989.
|59|Kirchengeschichte
Martin Ohst
Freiheit zum Glauben oder Freiheit des Glaubens –
Freiheit der Kirche oder Freiheit des Christen.
Historische Perspektiven
»Aber Freiheit ist ja ein anderes Wort für Subjektivität,
und eines Tages hält die es nicht mehr mit sich aus,
irgendwann verzweifelt sie an der Möglichkeit, von sich aus schöpferisch zu sein,
und sucht Schutz und Sicherheit beim Objektiven.
Sie erkennt sich selbst sehr bald in der Gebundenheit,
erfüllt sich in der Unterordnung unter Gesetz, Regel, Zwang, System
– erfüllt sich darin, das will sagen: sie hört darum nicht auf, Freiheit zu sein.«
(Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXII)
1. Antike Grundlagen
Der Freiheitsbegriff hatte in der hellenistisch-römischen Welt drei Bezugsfelder. Einmal wurde derjenige Mensch als frei bezeichnet, der sich kraft seiner Stellung im Vollbesitz der Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten befand, welche das Gemeinwesen, dem er angehörte, seinem vollberechtigten Glied zu vergeben hatte. Freiheit und Gesetz bzw. gesetzliche Ordnung sind somit als Wechselbegriffe verstanden, gemeinsam haben sie ihren Gegenbegriff in der tyrannischen Willkür auf Seiten des Einzelnen, der die gegebenen Ordnungen missachtet, bzw. auf Seiten des Gemeinwesens in einer Willkürherrschaft, welche die ihr durch die Gesetze gezogenen Grenzen missachtet. Das Gemeinwesen selbst wiederum ist Subjekt seiner eigenen Freiheit, weil und sofern ihm im geordneten Miteinander|60| einer Mehrzahl von Gemeinwesen seine Selbstbestimmungsmöglichkeiten zukommen.
Von diesem rechtlich-sozialen Begriff der Ordnung unterscheidet sich zum anderen der von der stoischen Philosophie entwickelte Begriff der Freiheit des Subjekts. Er ist seinem sozialphilosophischen Pendant jedoch darin zutiefst verwandt, dass er Freiheit und Gesetz als Korrelatbegriffe fasst. Die persönliche Freiheit besteht in der Erkenntnis, der Anerkennung und der Achtung des umfassenden, gesetzhaft verfassten, natürlich-sozialen Weltzusammenhanges, als dessen Teil sich der Einzelne versteht; lebenspraktisch realisiert sich die Freiheit, indem der Einzelne die Pflichten und Möglichkeiten akzeptiert und realisiert, welche ihm seine rational verstandene Lebenswirklichkeit vorgibt: Er wird auf diese Weise frei von Ängsten und Illusionen.
Die transzendentale Grundlage dieser Freiheit, welche sich realisiert, indem der Mensch seinen Willen seiner verständigen Einsicht angleicht, markiert einen dritten Bezugshorizont des Freiheitsbegriffs: Dass der Mensch dies überhaupt kann, dass er sich selbst als von Lust und Angst getriebenes Wesen derart in die Zucht verständigen und vernünftigen Denkens zu nehmen vermag, ist das mit seinem Menschsein selbst gegebene Urdatum aller Freiheit, welches allen seinen Realisationsgestalten zugrunde und vorausliegt. Diese letzte und höchste Freiheit, sich seinem eigenen Wesen und seiner eigentlichen Bestimmung zuzuwenden, also die Freiheit zur Freiheit, ist dem Menschen als Menschen unverlierbar eigen. Weder kann sie ihm von außen genommen werden, noch vermag er sie sich selbst durch fortgesetzten Missbrauch zu verscherzen.
Diese drei Varianten des Freiheitsbegriffs – Freiheit als Chiffre für die geordneten Entfaltungsmöglichkeiten von Individuen und Institutionen, Freiheit als gestaltetes Verhältnis des Einzelnen zu sich selbst, zum Mitmenschen und zur Welt, Freiheit als Fähigkeit, sich selbst zu einer solchen Haltung zu bestimmen – walten auch in den einschlägigen Diskursen in der Kirchengeschichte.
|61|2. Frühes Christentum
2.1. Paulus: Glaube als Freiheit
Die eben skizzierten Gehalte des Freiheitsbegriffs haben weder im Alten Testament und im Frühjudentum noch auch in der Verkündigung Jesu oder im Denken der ersten Christen begrifflich fixierte Entsprechungen.
Es war Paulus, der den Freiheitsbegriff in die Reflexionsformen des Glaubens an Jesus Christus einbezog – primär als Deutebegriff für die im Geiste geglaubte und erfahrene Selbstvergegenwärtigung des zum Herrn erhöhten Gekreuzigten: 2Kor 3,6!
Die solchermaßen im Glauben an Jesus Christus gegründete Freiheit findet in ihrem Grund zugleich ihr Maß und Ziel: Die Freiheit ist Befreiung von der statutarischen Norm des Tora-Gehorsams sowie von den knechtenden Mächten der Sünde und der Welt, und als solche ist sie Bindung an Jesus Christus als den geisthaft-personalen Ursprung eines neuartigen Gesamtkonzepts der Lebensdeutung und -führung: Gal 6,3. Freiheit ist nicht solipsistische Bindungslosigkeit, sondern sie entsteht im Übertritt aus einem System zerstörerischer Bindungen in eine wahrhaft das Leben gewährende neue Bindung: Deshalb kann Paulus die Christen in und wegen der ihnen eröffneten Freiheit paradox als »Knechte/Sklaven der Gerechtigkeit« (Röm 6,18) bezeichnen, die dem »Gesetz Christi« (Gal 6,2) verpflichtet sind. Es gibt also eine offenkundige Strukturanalogie zwischen den beiden erstgenannten Varianten des antiken Freiheitsdenkens, dem politisch-sozialen und dem stoisch-individuellen einerseits, und dem des Paulus andererseits: Alle denken mit der Freiheit gleichursprünglich einen dieser vor- und aufgegebenen verbindlichen normativen Bezugsrahmen.
Der augenfällige Unterschied liegt im transzendentalanthropologischen Bereich: Nach stoischem Verständnis trägt jeder Mensch unverlierbar die Freiheit zum Freiwerden in sich, während nach Paulus die Freiheit ein göttliches Gnadengeschenk (vgl. Gal 5,1) ist, welches als Implikat der rein geschenkhaften Erlösung ausschließlich den von Gott in seinem souveränen Ratschluss Erwählten zuteil wird (vgl. Röm 8,29f.; 9,14–23) – ein Gedanke, der an Abgründe |62|führt (vgl. Röm 11,33–36), deren religiöse und intellektuelle Anziehungskraft die wichtigsten christlichen Denker bezeugen und die dann auch immer wieder Kontroversen auslösten, weil sie auf irritierende Weise die Grenze alles kirchlichen Missions- und Erziehungswillens aufzeigten.
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