Kitabı oku: «Milly Darrell», sayfa 7
X. Kapitel.
Veränderungen zu Thornleigh.
Der Herbst und der erste Theil des Winters verflossen einförmig genug. Anfangs war ziemlich viel Gesellschaft zu Thornleigh Manor, denn Mrs. Darrell haßte die Einsamkeit; aber nach einiger Zeit wurde sie der Leute, die ihr Mann kannte, überdrüssig und die Diners und Gartenpartien wurden weniger häufig. Ich hatte nach ihrer Rückkehr bald entdeckt, daß sie sich nicht glücklich fühlte, daß dieses leichte angenehme Leben ihr gewisser Maßen eine Last war. Nur in Gegenwart ihres Gatten gab sie sich den Anschein, als ob sie vergnügt wäre und sich für die Dinge interessiere. Ihm gegenüber war sie stets dieselbe — stets voll Hingebung, Aufmerksamkeit und Liebenswürdigkeit, während er seinerseits der unterthänige Sklave aller ihrer Wünsche und Launen war.
Sie benahm sich nicht unfreundlich gegen Milly; aber beide mieden sich instinctmäßig.
Mit dem Winter kehrte Trauer in Thornleigh Manor ein. Es war gut für Milly, daß sie ihre Pflicht gegen ihren Vater erfüllt und sich geduldig seinem Willen unterworfen hatte. Etwa vierzehn Tage vor Weihnachten begab sich Mr. Darrell nach North Shields, um seine jährliche Untersuchung der Werften und Waarenhäuser vorzunehmen und einen Ueberblick über die Geschäftsergebnisse zu gewinnen. Er kehrte nicht mehr lebend von dort zurück. Er wurde im Bureau vom Schlage gerührt und, der Sprache beraubt, in sein Hotel gebracht. Durch den Telegraphen berufen, eilten seine Frau und Tochter mit dem ersten Zug nach Shields, sie kamen aber zu spät. Er war eine Stunde vor ihrer Ankunft gestorben.
Es wäre überflüssig, bei den Einzelheiten dieser traurigen Zeit zu verweilen. Milly fühlte den Schlag sehr schwer und es dauerte lange, bis ich sie nach jenem düsteren Dezembertag, wo die Botschaft anlangte, wieder lächeln sah. Sie hatte nach ihrer Enttäuschung in Bezug auf Angus Egerton viel von ihrer Heiterkeit und Lebhaftigkeit verloren, und dieser neue Kummer drückte sie gänzlich darnieder.
Mr. Darrells Ueberreste wurden nach Thornleigh gebracht und dort in der Familiengruft unter der Kirche, wo sein Vater und seine Mutter, seine erste Frau und ein als Kind verstorbener Sohn begraben lagen, beigesetzt. Er war in der Gegend sehr beliebt gewesen und wurde von Allen, die ihn gekannt hatten, aufrichtig betrauert.
Julian Stormont war der Hauptleidtragende bei dem einfachen Leichenbegängniß. Der Tod seines Onkels schien ihm sehr nahe zu gehen und sein Benehmen gegen seine Cousine war ungemein zart und rücksichtsvoll.
Ich war bei Verlesung des Testaments zugegen, die unmittelbar nach dem Leichenbegängniß im Speisezimmer stattfand. Mrs. Darrell, Milly, Mr. Stormont, ich und der Sachverwalter der Familie waren die einzigen Personen, welche dem Akte beiwohnten.
Das Testament stammte aus der Zeit kurz nach der zweiten Heirath von Mr. Darrell. Es war sehr einfach abgefaßt. Julian Stormont erhielt ein Legat von 5000 Pfund. Das ganze übrige Vermögen, das sehr bedeutend war, sollte zwischen Mrs. Darrell und Milly gleichmäßig getheilt werden. Thornleigh Manor sollte der Mrs. Darrell für ihre Lebenszeit verbleiben, nach ihrem Tode aber an Milly oder Millys Erben zurückfallen und Milly hatte das Recht, bis zu ihrer Verheirathung in ihren bisherigen Verhältnissen in Thornleigh zu verbleiben.
Im Falle Milly unverheirathet sterben würde, sollte das Grundeigenthum gleichmäßig zwischen Mrs. Darrell und Julian Stormont getheilt werden und Thornleigh nach dem Tode der Mrs. Darrell an Julian Stormont zurückfallen. Zum Testamentsvollstrecker war Mr. Foreman, der Sachwalter der Familie, ernannt.
Millys Stellung war jetzt vollkommen unabhängig. Mr. Foreman sagte ihr, daß sie nach dem Verkauf der Eisenwerke ein jährliches Einkommen von beiläufig 4000 Pfund haben werde. Sie war seit mehr als sechs Monaten großjährig und Niemand konnte zwischen sie und ihre vollständige Unabhängigkeit treten.
Da ich dies wußte, so hielt ich es für mehr als wahrscheinlich, daß Mr. Egerton baldigst zurückkehren und seine Bewerbung erneuern würde und ich konnte kaum an ihrem Erfolg zweifeln. Ich wußte, wie sehr ihn Milly liebte und jetzt, wo ihr Vater todt war, konnte sie keinerlei Grund haben, ihn abzuweisen.
»Du wirst natürlich bei mir bleiben, nicht wahr, Mary?« sagte sie, als wir an diesem Abend in trauervollem Schweigen beim Feuer saßen. »Du bist jetzt mein einziger Trost, Liebe. Ich denke, ich werde wenigstens für einige Zeit noch hier bleiben. Augusta hat sehr gütig mit mir gesprochen und mich gebeten, ich möchte dieses Haus nach dem Willen meines Vaters zu meiner Heimstätte machen. Wir würden einander in keiner Weise im Wege stehen, sagte sie, und es sei in der That mehr als wahrscheinlich, daß sie im Frühjahre mit ihrer Kammerfrau nach dem Continent gehen und mich als alleinige Gebieterin von Thornleigh zurücklassen werde. Sie zweifle, ob sie es jetzt jemals hier aushalten könne. Sie ist nicht, wie ich, Mary. Ich werde stets eine trauervolle Anhänglichkeit für das Haus bewahren, in welchem ich so glücklich mit meinem Vater gelebt habe.«
So blieb ich bei meinem lieben Mädchen und das Leben in Thornleigh Manor glitt in stiller trauriger Weise dahin. Wenn Mrs. Darrell sich um ihren verstorbenen Gatten gräme, so war ihre Trauer jedenfalls von kalter thränenloser Art; aber sie blieb größtentheils in ihren Zimmern und wir bekamen nicht viel von ihr zu sehen. Die Collingwoods waren voll Theilnahme für Milly und ihre Freundschaft übte einen gewissen tröstenden Einfluß auf ihr Gemüth aus. Von ihnen hörte sie zuweilen von Mr. Egerton, der die wildesten Gegenden von Nordeuropa bereiste. Sie sprach jetzt sehr selten von ihm und einmal, als ich seinen Namen nannte, sagte sie vorwurfsvoll:
»Rede nicht von ihm, Mary; ich will nicht an ihn denken. Es kommt mir wie eine Art Verrath an Papa vor. Es gewinnt den Anschein, als ob ich von dem Tode meines theuren Vaters Vortheil ziehen wollte.«
»Würdest Du Dich weigern, ihn zu heirathen, wenn er zu Dir zurückkäme, jetzt, wo Du Deine eigene Gebieterin bist?«
»Ich weiß nicht, Mary. Ich glaube, ich liebe ihn zu sehr, um dies zu thun. Und doch würde es mir wie eine Sünde gegen meinen Vater vorkommen.«
Die Frühlingsmonate gingen vorüber und Millys Gemüth heiterte sich ein wenig auf. Sie brachte einen Theil ihrer Zeit unter den Armen zu und bin ich überzeugt, daß diese Beschäftigung mehr als alles Andere dazu beitrug, ihren Kummer zu erleichtern. Ich war stets in ihrer Gesellschaft und ich glaube nicht, daß sie einen Gedanken vor mir verhehlte.
Mrs. Darrell war noch nicht ins Ausland gegangen. Sie führte ein nutz- und sorgloses Leben, nichts thuend und sich um nichts bekümmernd, wie es schien. Mehr als einmal hatte sie Vorbereitungen für ihre Abreise getroffen und änderte dann im letzten Augenblicke ihren Sinn wieder.
Spät im Juni vernahmen wir, daß Mr. Egerton nach Cumber zurückgekehrt sei und wenige Tage darauf kam er nach Thornleigh. Mrs. Darrell befand sich in ihrem eigenen Zimmer, während Milly und ich, als er gemeldet wurde, im Wohnzimmer waren. Mein armes Mädchen wurde sehr blaß und die Thränen traten ihr in die Augen, als sie und Angus Egerton einander wiedersahen. Er sprach von ihrem Verlust mit äußerstem Zartgefühl und war voll von zärtlicher Theilnahme. Er hatte ihr Nachrichten von sich mitzutheilen. Ein entfernter Verwandter seiner Mutter sei gestorben und habe ihm ein jährliches Einkommen von 6000 Pfund hinterlassen. Er sei zurückgekehrt, um Cumber in seinem alten Glanze wieder herzustellen und seinen Platz in der Grafschaft einzunehmen.
Während sie in leisem vertraulichen Tone miteinander sprachen, ohne sich durch meine Gegenwart stören zu lassen, trat Mrs. Darrell ins Zimmer. Sie war bleicher als gewöhnlich; aber es lag eine Lebhaftigkeit in ihrem Gesicht, wie ich sie seit langer Zeit nicht gesehen hatte. Sie empfing Mr. Egerton sehr freundlich und bestand darauf, daß er zum Diner dableiben sollte.
Der Abend verging sehr vergnügt. Ich hatte Augusta Darrell noch nie so angenehm, so bezaubernd gesehen als heute. Sie setzte sich zum ersten mal seit dem Tode ihres Gatten wieder ans Klavier und spielte und sang wieder mit ihrem alten Feuer, indem sie die ganze Zeit über Angus Egerton an der Seite des Piano zurückzuhalten wußte. Ihre Musik konnte selbst von dem kältesten Ohre nicht mit Gleichgültigkeit angehört werden.
Er kam sehr bald wieder und kam öfters. Die baulichen Arbeiten von Cumber hatten begonnen und er drang in uns, hinüber zu fahren und zu sehen, was da vorging. Wir entsprachen diesem Wunsche und ich konnte bemerken, wie eifrig er Milly um ihre Meinung in Betreff der vorzunehmenden Veränderungen und der Aufstellung der verschiedenen Zimmer befragte.
Es dauerte nicht lange, so erneuerte Mr. Egerton seine Bewerbung, welche angenommen wurde. Wenn Mr. Darrell am Leben gewesen wäre, so würden die veränderten Umstände des Bewerbers wahrscheinlich eine Aenderung seiner Ansichten in dieser Beziehung , bewirkt haben. Er hätte wenigstens nicht länger annehmen können, daß Angus Egerton von eigennützigen Absichten geleitet werde.
Meine geliebte Milly war in ihrem Brautstand vollkommen glücklich und ich theilte ihr Glück. Sie sagte, ich müsse stets bei ihr bleiben, zu Cumber wie zu Thornleigh. Sie besprach sich mit Angus darüber und er stimmte mit Vergnügen bei. Ich dachte, sie bedürfe meiner nach ihrer Verheirathung nicht mehr und daß dieser Gedanke aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zur Ausführung kommen werde; aber ich wollte sie darin nicht stören, da ja immer noch Zeit genug dazu war, wenn ich sah, daß die Trennung nothwendig sei. Meine Jugend war durch ihre Liebe erheitert worden und ich mußte nunmehr den Muth haben, der Welt allein entgegenzutreten, wenn sie ihr neues Leben begann, überzeugt, daß ich in den Tagen des Mißgeschicks stets einen Hafen in Ihrer Liebe finden würde.
Ihre Vermählung sollte im kommenden Frühjahr stattfinden. Mr. Egerton hatte angelegentlich um eine frühere Frist gebeten, aber Milly wollte das Trauerjahr für ihren Vater nicht abkürzen und so mußte er sich ungern unterwerfen. Die bestimmte Zeit wurde indeß vom April bis zum Februar vorgerückt. Es war seine Absicht, seine junge Frau ins Ausland zu führen und ihr einen Theil der Scenen zu zeigen, auf denen er sein Wunderleben zugebracht hatte und dann sollten sie nach Cumber zurückkehren und Milly ihr Leben als Frau eines Landedelmannes beginnen.
Julian Stormont kaut nach Thornleigh und hörte durch — Mrs. Darrell von der Verlobung. Er hatte noch immer seine alte Stellung in dem Geschäfte zu North Shields, das ein großer Capitalist gekauft hatte, inne. Er nahm die Nachricht von Millys beabsichtigter Vermählung sehr ruhig auf, unterließ es aber, sie deshalb zu beglückwünschen. Eines Morgens während seines Aufenthalts befand ich mich allein auf der Terrasse, als er mit mir über diese Sache sprach.
»So,« sagte er, »meine Cousine ist also im Begriff, sich an diesen Menschen wegzuwerfen?«
»Sie dürfen es nicht Wegwerfen nennen, Mr. Stormont,« antwortete ich. »Mr. Egerton liebt Ihre Cousine und in Folge der Veränderung in seinen Umständen kann diese Heirath als sehr günstig für sie betrachtet werden.«
»Die Veränderung seiner Umstände hat den Menschen nicht umgeändert,« antwortete er in zornigem Tone. »Nichts Gutes kann von einer solchen Heirath kommen.«
»Sie haben kein Recht, das zu sagen, Mr. Stormont.«
»Ich habe das Recht, das mir meine Ueberzeugung verleiht. Eine glückliche Heirath! Nein es wird keine glückliche Heirath sein, Sie können sich davon überzeugt halten.«
Er sagte dies mit einem rachbegiertgen Blick, der mich überraschte, obschon ich wußte, daß er gegen Millys Bräutigam nicht besonders freundlich gesinnt sein konnte. Die Worte mochten wenig zu bedeuten haben; mir aber kamen sie wie eine Drohung vor.
XI. Kapitel.
Gefahr.
Der Sommer in diesem Jahre war herrlich und wir brachten den größten Theil unserer Zeit im Freien zu, indem wir zu Fuß und zu Wagen Ausflüge machten, oder im Garten saßen, oft bis spät in die Nacht. Es war ein Wetter, in dem es eine Art Verrath gegen die Natur gewesen, sich länger als nöthig, im Zimmer aufzuhalten.
Wir unternehmen oft lange Spaziergänge im Cumber-Holz, die damit endigten, daß wir in dem kleinen Studierzimmer der Priorei unsern Thee einnehmen — eine schlichte, einfache Bewirthung, welche Milly ungemein liebte. Sie kam mir bei diesen Anlässen wie ein glückliches Kind vor, das sich darin gefällt, die Hausfrau zu spielen.
Augusta Darrell war fast immer in unserer Gesellschaft. Ihr Benehmen zu dieser Zeit setzte mich vielfach in Erstaunen und Verwirrung. Es schien jetzt ganz so zu sein, wie man es von einer guten Stiefmutter erwarten kann. Ihre frühere gleichgültige Miene war ganz verschwunden; sie war herzlicher und nahm einen größeren Antheil an Millys Wohlergehen, als ich dies früher für möglich gehalten hatte. Das Mädchen war ganz gerührt von dieser Veränderung in ihrem Benehmen und erwiederte dieses ungewohnte warme Entgegenkommen mit arglosem Vertrauen.
Ich meines Theils erinnerte mich an Alles, was ich gesehen und geargwöhnt hatte und ich konnte mich deshalb nicht dazu verstehen, in Millys Stiefmutter mein volles Vertrauen zu setzen. Eine dunkle unbestimmte Besorgniß, der ich mich nicht zu enthalten vermochte, beunruhigte mich.
Wie ich bereits gesagt, war sie immer in unserer Gesellschaft, alle unsere einfachen Vergnügungen mit einem Anschein von mädchenhafter Fröhlichkeit mit uns theilend. Ich bemerkte, daß ihre Toilette bei solchen Anlässen stets von ausgesuchter Eleganz war und daß sie keine jener Künste vernachlässigte, die ihre Reize erhöhen konnten; aber sie versuchte niemals Mr. Egertons Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch zu nehmen und sie ließ niemals seine Stellung als Millys Verlobter außer Acht.
Lange Zeit wurde ich durch ihr Benehmen getäuscht — fast überzeugt, daß wenn sie jemals Angus Egerton geliebt hätte, diese Leidenschaft in ihrem Herzen erstorben sein müßte. Aber es kam ein Tag, wo ein Blick von ihr den wahren Stand der Sache verrieth und mir deutlich genug zeigte, daß diese ganze neuerwachte Zuneigung für Milly sowohl als die liebenswürdige Theilnahme für ihr Glück nichts weiter als eine gut einstudierte Rolle sei. Es war nur ein Blick — ein ernster, verzweifelnder, leidenschaftlicher Blick — der mir dies sagte, aber es war ein Blick, der das Geheimniß eines Lebens verrieth. Von diesem Augenblicke an traute ich Augusta Darrell nicht mehr.
Mit dem Eintritt des Herbsts änderte sich das Wetter und es begann die unangenehme regnerische Jahreszeit. Die Aenderung der Witterung brachte uns Sorgen und Mißgeschick. In der Umgegend von Thornleigh herrschten fieberhafte Krankheiten und Milly wurde ebenfalls davon befallen. Sie hatte ihre Besuche bei den Armen selbst während ihres Brautstands nicht eingestellt und es ist kein Zweifel, daß sie bei einer dieser Gelegenheiten vom Fieber angesteckt wurde.
Ihre Krankheit erweckte indeß keine Besorgniß; auch hielt man sie nur unter gewissen Umständen für ansteckend. Mr. Hale, der Arzt von Thornleigh, nahm die Sache sehr leicht und versicherte uns, daß Milly in einer Woche wieder vollkommen gesund sein werde. Mittlerweile aber hütete mein liebes Mädchen das Zimmer und ich pflegte sie mit Beihilfe ihrer ergebenen kleinen Zofe.
Mr. Egerton kam täglich, gewöhnlich zweimal des Tags, um sich nach dem Befinden der Kranken zu erkundigen. Er blieb gewöhnlich eine halbe Stunde oder länger da, um sich mit Mrs. Darrell oder mir zu besprechen. Diese Krankheit ging ihm sehr nahe und er konnte die Wiederherstellung seiner Verlobten kaum erwarten. Es war ihm nicht gestattet, sie zu besuchen, da vollkommene Ruhe die Haupterforderniß für ihre Genesung war.
Die Woche war fast vorüber und Milly bedeutend besser, Sie konnte jetzt täglich einige Stunden das Bett verlassen und der Arzt versprach Mr. Egerton, daß sie zu Anfang der nächsten Woche in das Wohnzimmer hinuntergehen dürfe. Das Wetter war diese ganze Zeit über ohne Unterbrechung regnerisch gewesen. Endlich aber kam ein schöner Abend und ich ging hinunter auf die Terrasse, um mir nach der langen Gefangenschaft einige Bewegung zu machen. Es war zwischen sechs und sieben Uhr; Milly schlief und es war nicht wahrscheinlich, daß man meiner in der nächsten halben Stunde bedürfen werde.
Es herrschte bereits Dämmerung, als ich ins Freie trat und Alles war ungewöhnlich ruhig, kein Blättchen regte sich in der stillen Luft. Trotz der späten Stunde war der Abend mild und warm. Ich schritt etwa zehn Minuten lang auf der Terrasse an der westlichen Seite auf und ab und ging dann nach der andern Seite, wo sich die Fenster des Besuchs und Wohnzimmers befanden. Ehe ich das erste dieser Fenster ganz erreichte, traf ein so eigenthümlicher Ton mein Ohr, daß ich unwillkürlich stehen blieb, um zu horchen. Während des ganzen Vorgangs, der jetzt folgte, hatte ich keine Zeit zu erwägen, ob ich Recht oder Unrecht thue, wenn ich, was ich vernahm, anhörte; aber ich glaube, daß ich, wenn ich auch hinlängliche Muße zum Nachdenken gehabt hätte, zu dem- selben Entschluß gekommen wäre — ich würde gehorcht haben. Was ich hörte war von solcher Wichtigkeit für das Mädchen, das ich liebte, daß die Freundschaft für sie jede andere Rücksicht überwog.
Der eigenthümliche Ton, der mich in der Nähe des offenen Fensters zum Stehenbleiben veranlaßte, war das heftige Schluchzen eines Weibes — ein solches stürmisches Weinen, wie man es nicht leicht im Leben hört. Ich wenigstens hatte früher nie etwas Aehnliches vernommen.
Angus Egertons wohltönende Stimme unterbrach fast ärgerlich dieses leidenschaftliche Schluchzen.
»Augusta, dies ist die äußerste Thorheit.«
Das Schluchzen dauerte noch einige Secunden fort, dann hörte ich sie sagen:
»O Angus, ist es so leicht für Dich, die Vergangenheit zu vergessen?«
»Sie war längst vergessen,« antwortete er, »von uns Beiden sollte ich glauben. Als meine Mutter Dich bestach, Ilfracomba zu verlassen, hast Du meine Liebe und mein Glück für den elenden Preis verkauft, den sie zu bezahlen vermochte. Ich war ein schwacher Thor in jenen Tagen und nahm mir die Sache, Gott weiß es, bitter genug zu Herzen; aber die Lection war nützlich und sie erfüllte ihren Zweck. Ich habe mir seit jenem Tage niemals getraut, wieder ein Weib zu lieben, bis ich das reine junge Wesen fand, das meine Frau werden soll. Ihre Treue steht über allem Zweifel. Sie wird ihre Erstgeburt nicht für ein Linsengericht verkaufen.«
»Das Linsengericht war nicht für mich, Angus. Es war der Handel meines Vaters, nicht der meinige. Man hatte mir gesagt, daß Du nichts mehr von mir wissen wolltest, daß Du niemals daran gedacht habest, mich zu heirathen. Ja, Angus, Deine Mutter hat mir das mit ihren eigenen Lippen gesagt — hat mir gesagt, daß sie sich ins Mittel lege, um euch vor Elend und Schande zu retten. Und dann brachte man mich eiligst in ein wohlfeiles französisches Erziehungsinstitut, um dort zu lernen, für mich selbst zu sorgen. Ein paar Jahre Unterricht war der Preis, den ich für mein gebrochenes Herz erhielt. Das nannte Deine Mutter eine Dame aus mir machen. Ich glaube, ich würde in diesen beiden Jahren wahnsinnig geworden sein, wenn meine leidenschaftliche Liebe zur Musik nicht gewesen wäre. Dieser gab ich mich mit ganzer Seele hin, und man sagte mir, ich habe in zwei Jahren mehr gelernt, als andere Mädchen in sechs. Ich hatte nichts Anderes, um dafür zu leben.«
»Ausgenommen die Hoffnung auf einen reichen Gatten,« sagte Mr. Egerton mit spöttischem Lachen.
»O Gott, wie grausam kann ein Mann gegen eine Frau sein, die er einst geliebt hat!« rief Mrs. Darrell leidenschaftlich aus. »Ja, ich heirathete einen reichen Mann,« aber ich habe nicht das Geringste gethan, um ihn anzulocken oder zu gewinnen. Die Gelegenheit bot sich mir ohne eine Hoffnung oder einen Gedanken von meiner Seite. Es war die Gelegenheit der Erlösung von dem traurigsten Leben eines armen abhängigen Wesens, wie es nur jemals ein solches gab, und ich ergriff sie. Aber ich habe Dich niemals vergessen, Angus, keine Stunde meines Lebens.«
»Es thut mir leid, daß Du Dir die Mühe genommen hast, Dich meiner zu erinnern,« antwortete er kalt. »Mehrere Jahre meines Lebens habe ich es zu meinem Hanptgeschäft gemacht, Dich und all den Schmerz, der mit Deiner Bekanntschaft verknüpft war, zu vergessen, und da mir dies auch gelungen ist, kann ich es nicht für angemessen halten, die stehenden Gewässer jenes todten Sees, den die Menschen Vergangenheit nennen, wieder aufzuregen.«
»Wollte Gott, daß wir uns nie mehr wieder getroffen hätten,« sagte sie.
»Ich kann diesen Wunsch nur theilen, besonders wenn wir vielleicht mehrere solche Szenen haben sollten.«
»Grausam — grausam!« murmelte sie. »O Angus, ich war so geduldig gewesen! Ich habe mich selbst angesichts der Verzweiflung immer noch an die Hoffnung angeklammert. Als mein Gatte starb, glaubte ich, unsere alte Liebe würde wieder erwachen. Wie können solche Dinge sterben? Ich glaubte, Du würdest zu mir zurückkommen — zu mir, die Du einst so sehr geliebt — nicht zu diesem Mädchen. Du kamst zu ihr zurück und noch immer war ich geduldig. Ich glaubte noch immer, Deine Liebe zurückgewinnen zu können. Ja, Augus, ich hoffte noch bis ganz zuletzt. Erst denn begann ich einzusehen, daß Alles nutzlos sei. Sie ist jünger und schöner als ich.«
»Sie ist besser als Du, Augusta. Es war nicht ihre Schönheit, die mich bestochen hat, sondern etwas Edleres und Selteneres als Schönheit: es war ihr trefflicher Charakter. Je fehlerhafter wir selbst sind, desto höher verehren wir ein wahrhaft edles Weib. Aber ich will Dir nichts Hartes sagen, Augusta. Laß uns lieber diese Thorheit jetzt und für immer bei Seite setzen. Du bist Deinen Weg gegangen und hast, was weltliche Güter anlangt, Dein Ziel erreicht; laß mich jetzt auch den meinigen gehen und uns, wenn möglich, Freunde sein.«
»Du weißt sehr wohl« daß Dies nicht möglich ist. Wir müssen uns entweder Alles, oder die bittersten Feinde sein.«
»Ich werde nie Ihr Feind sein, Mrs. Darrell.«
»Aber ich werde von diesem Abend an Ihre Feindin und auch die Feindin jenes Mädchens sein. Sie glauben, ich könne ruhig zusehen, wie Sie ihr Ihre Huldigungen darbringen? Ich habe bisher nur eine Rolle gespielt. Ich glaubte, daß es in meiner Macht liege, Sie wieder zu gewinnen.«
Alles dies wurde mit einer Art leidenschaftlicher Offenheit gesprochen, als ob die Sprecherin, nachdem sie einmal die Maske abgeworfen, sich kaum darum kümmerte, wie sehr sie sich erniedrigte.
»Gute Nacht, Mrs. Darrell. Sie werden morgen über diese Dinge ruhiger nachdenken. Lassen Sie uns wenigstens höflich gegen einander sein, wenn uns die Umstände zusammenführen und, um Gottes willen, seien Sie freundlich gegen Ihre Stieftochter. Sehen Sie dieselbe nicht als Ihre Nebenbuhlerin an; meine Liebe für Sie war längst erloschen, ehe ich sie erblickte Sie brauchen ihr deshalb nicht zu grollen. Guten Abend.«
»Guten Abend.«
Ich hörte die Thüre des Zimmers öffnen und schließen und wußte, daß er fort war. Ich ging au den offenen Fenstern vorüber, da es mir gleichgültig war, ob mich Mrs. Darrell wahrnähme. Ich dachte, es möchte vielleicht besser für Milly sein, wenn ihre Stiefmutter wüßte, daß ich ihr Geheimniß kannte und gegen sie gewarnt war. Aber ich glaube nicht, daß sie mich gesehen hatte.
Ein Viertelstunde darauf kehrte ich ins Haus zurück. Es war jetzt vollkommen dunkel. In der Vorhalle begegnete ich Mrs. Darrell, zum Ausgehen angekleidet.
»Ich will einen Gang durch den Garten machen, Miß Crofton,« sagte sie. »Es ist unerträglich schwül diesen Abend. Wir« werden Alle das Fieber bekommen, wenn dieses Wetter länger andauert.«
Sie wartete nicht auf meine Antwort, sondern entfernte sich rasch. Ich ging in Milly’s Zimmer zurück und fand sie ruhig schlafend. Zehn Minuten darauf hörte ich den Regen an die Fenster anschlagen und wußte, daß eine stürmische Nacht bevorstand.
»Mrs. Darrell wird nicht im Stande sein, weit zu gehen,« dachte ich.
Ich saß eine Zeit lang am Bette, darüber nachdenkend, was ich gehört hatte. Es lag etwas Tröstliches darin, daß ich einen so entschiedenen Beweis von der Aufrichtigkeit Angus Egertons gegen mein theures Mädchen besaß, und von dieser überzeugt, glaubte ich die Bosheit der Mrs. Darrell nicht fürchten zu dürfen. Indeß hätte ich doch gewünscht, daß die Heirath auf einen früheren Zeitpunkt angesetzt und daß die Zeit, welche Stiefmutter und Tochter miteinander zubringen mußten, kürzer wäre.
Milly erwachte und stand eine halbe Stunde auf, um eine Tasse Thee zu nehmen, während ich ein wenig über die angenehmsten Dinge, die ich erdenken kannte, plauderte. Sie fragte, ob Mr. Egerton diesen Abend in Thornleigh gewesen sei.«
»Ja, Liebe, er war da.«
»Hast Du ihn gesprochen, Mary?«
»Nein, ich habe ihn nicht gesprochen.«
Sie stieß einen leichten Seufzer aus. Es war ihr Vergnügen, auch seine Botschaften Wort für Wort wiederholen zu hören.
»So hast Du mir also nichts von ihm zu sagen« Liebe?«
»Nichts, ausgenommen, daß ich weiß, daß er Dich liebt.«
»Ah, Mary, es war eine Zeit, wo Du an ihm zweifeltest.«
»Diese Zeit ist ganz vorüber.«
Sie küßte mich, als sie mir die Tasse zurückgab und versprach mir, wieder zu schlafen, während ich in mein Zimmer ging, um einen langen Brief nach Hause zu schreiben.
Ich wer in dieser Weise länger als eine Stunde beschäftigt und dann ging ich hinunter in die Halle, um meinen Brief in den dazu bestimmten Kasten zu legen, damit ihn der Postbote am andern Morgen mitnehmen könnte.
Es war jetzt nahe an zehn Uhr und ich wurde durch das Geräusch an der Hausthüre überrascht, welche von Außen leise geöffnet wurde. Ich drehte mich rasch um und sah Mrs. Darrell mit triefenden Kleidern eintreten.
»Gütiger Himmel!« rief ich unwillkürlich, »waren Sie die ganze Zeit über im Regen draußen, Mrs. Darrell?«
»Ja« ich bin draußen gewesen,« antwortete sie in verlegenem ungeduldigen Tone. »Komm das Ihren nüchternen Ideen von Anstand so schrecklich vor? Ich vermochte es diesen Abend im Hause nicht mehr auszuhalten. Man hat zuweilen fieberhafte Phantasien, — wenigstens habe ich sie — und ich zog es vor, lieber im Regen, als gar nicht draußen zu sein. Gute Nacht.«
Sie eilte mit leichten Schritten die Treppe hinauf und ich kehrte in mein Zimmer zurück, mich wundernd, was Mrs. Darrell so lange draußen aufgehalten habe — ob sie irgend einen speziellen Gang gehabt, oder ob sie nur ohne Zweck in den Gärten und Anlagen herumgewandert sei.
Einige Tage lang ging es mit Milly sehr gut, dann trat eine leichte Verschlimmerung ein und die Symptome waren nicht sehr günstig. Mr. Hale versicherte uns, es sei keine Ursache zur Besorgniß vorhanden; die Genesung sei nur ein wenig verzögert.
Mr. Egerton war indeß sehr beunruhigt und bestand darauf, daß ein berühmter Arzt von Manchester berufen werde.
Der große Mann kam und seine Absicht stimmte ganz mit Dr. Hale überein. Es sei nicht die geringste Ursache zur Besorgniß vorhanden. Sorgsame Pflege und Ruhe seien die wesentlichsten Erfordernisse. Er rieth, eine gelernte Wärterin anzunehmen. Aber ich bat so ernstlich, man möge mir und ihrer Dienerin wie bisher die Pflege Milly’s überlassen, und setzte meine Befähigung dazu so eindringlich auseinander, daß er endlich einwilligte.
Mrs. Darrell war bei dieser Unterredung zugegen und ich war sehr überrascht, daß sie in der Frage über die Pflege der Kranken meine Partie nahm, da es doch sonst ihre Gewohnheit war, mir in allen Dingen entgegenzutreten. Heute zeigte sie sich ganz besonders zuvorkommend gegen mich.
Eine weitere Woche verging und es war keine Aenderung zum Bessern, aber auch keine wahrnehmbare Verschlechterung eingetreten. Die Kranke war nur ein wenig schwächer und litt an Gemüthsverstimmung, gegen die alle meine Bemühungen vergebens blieben.
Angus Egerton kam während dieser Woche täglich zweimal, aber er sah Mrs. Darrell nur sehr selten. Ich glaube, daß er sie nach der oben beschriebenen peinlichen Szene sorgfältig vermied. Er fragte stets nach mir, um die gewünschten Aufschlüsse über das Befinden seiner Verlobten zu erhalten.
So gingen die Tage in jener langsamen traurigen Weise hin, in der die Zeit vergeht, wenn Diejenigen, die wir lieben, krank sind, und es schien in der Todtenstille des Krankenzimmers, als ob alle Dinge des Lebens zum Stillstand gekommen wären.
Ich sah während dieses Zeitraums nicht viel von Mrs. Darrell. Sie kam zwei- oder dreimal des Tags an Milly’s Thüre, um sich mit allen Zeichen der Liebe und Theilnahme nach ihrem Befinden zu erkundigen; aber während des übrigen Theils des Tags blieb sie in ihren eigenen Zimmern. Ich bemerkte, daß sie um diese Zeit ein bleiches verstörtes Aussehen hatte, wie eine Person, die lange Zeit ohne Schlaf gewesen; doch dies konnte mich nach jener Szene mit Mr. Egerton nicht überraschen.
Indeß dehnte sich die Dauer der Krankheit über alle Erwartung aus und im Verlaufe der Zeit fühlte ich, daß meine Kräfte nachließen und daß wir schließlich doch genöthigt sein dürften, eine gelernte Wärterin anzunehmen. Ich hatte, seit dem ersten Beginn von Milly’s Krankheit, sehr wenig geschlafen und die Wirkungen dieser verlängerten Schlaflosigkeit begannen sich jetzt geltend zu machen; aber ich kämpfte entschlossen gegen die Ermüdung und mit Hilfe unzähliger Tassen starken Thees gelang mir das auch.
Mit dem Beistand von Milly’s Kammerjungfer, Susan Dodd, die ihrer Gebieterin sehr zugethan war, versah ich alle Dienste des Krankenzimmers.
Die Arzneien, der Wein, die Suppen, die Gelees und alle Dinge, die für die Kranke nothwendig waren, wurden in dem Ankleidezimmer aufbewahrt, das durch eine Thür mit dem Schlafzimmer und durch eine zweite mit dem Gang in Verbindung stand.
Das Krankenzimmer, das sehr groß und lustig war, wurde dadurch von allen fremden Gegenständen frei gehalten und Susan und ich waren immer darauf bedacht, ihm ein frisches heiteres Aussehen zu geben. Zu diesem Zweck pflegte ich auch jeden Morgen aus dem Garten ein kleines Bouquet für das Tischchen am Bett zu holen. Schon seit geraumer Zeit hatte ich Peter, den Enkel der Mrs. Thatcher vermißt. Ich fragte einen der Leute, was aus ihm geworden sei, und erhielt zur Antwort, daß er das Fieber bekommen habe und im Hause seiner Großmutter krank darniederliege. Ich erwähnte dies gegen Mrs. Darrell und bat sie um die Erlaubniß, ihm einige passende Speisen und etwas Wein senden zu dürfen, was sie auch zugestand.
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