Kitabı oku: «Provence forever»
Provence forever
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Geld, Erfolg, Macht – wer träumt nicht auch davon, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen, sich alle Wünsche erfüllen zu können und zur besseren Gesellschaft zugehören?
Doch diese Sonnenseite hat ihre Schatten, wie Massimo Ceresos Chronik bedrückend zeigt. Sein Leben zeichnet das Bild eines Menschen, welcher der Verführung von Geld und Erfolg immer wieder erliegt und dabei oft zerstört, was er zuvor mühsam aufgebaut hat.
Doch es reflektiert auch die Lebensdynamik eines Mannes, der endlich in der französischen Provence zur Ruhe gekommen ist.
Inhalt
Lubéron
1. Der Zustand des Leidens
2. Ankunft im Lubéron
Teil 1 Sturm und Drang
3. Grundstein
4. Sabrina
5. Anuschka
6. Die zweite Firma
7. Die Haftstrafe
8. Die Gefahren des Wachstums
9. Luxus
10. Das Unternehmen
11. Abstieg
12. Treue und Untreue
13. Neue Möglichkeiten
14. Claudia
Teil 2 Michéle
15. Michèle
16. Psychischer Terror
17. Michéles Geschichte
18. Trennung von Anuschka
19. Reise nach Südafrika
20. Claudias Rache
21. Das Schweben
22. Trennung von Michéle
Teil 3 Claudette
23. Claudette und der Lubéron
24. Kein Leben ohne Claudette mehr
25. Ein neues Leben
26. Ein neuer Alltag
27. Die neue Familie
28. Eifersucht
29. Aufregender Alltag
30. Der Geburtstag, eine Rückschau
31. Herbst
32. Weihnacht
33. Zweiundzwanzig Jahre Liebe und Partnerschaft
Anhang
Provence und Lubéron
Wir denken selten an das, was wir haben,
aber immer an das, was uns fehlt
Arthur Schopenhauer (1788–1860)
Lubéron
Viele Menschen, darunter auch viele Künstler und Maler wie Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Marc Chagall oder Pablo Picasso, haben alles hinter sich gelassen, um für immer in diesem Paradies des Lichtes und der intensiven Farben zu bleiben – denn wer einmal die Schönheit der Provence kennen gelernt hat, kann sich nur schwer wieder trennen.
Region Vaucluse Lubéron Provence
1
Der Zustand des Leidens
Nun bin ich wieder alleine in meinem Paradies, die Fenster meines Arbeitszimmers sind weit geöffnet, der beeindruckende Blick in diese einmalige und nicht mit Worte zu beschreibende Landschaft gibt mir Trost und Kraft, um mein Schicksal zu akzeptieren.
Ein heißer Sommertag geht zu Ende, das Konzert der Singzikaden mit Begleitung quakender Frösche beginnt, der Mond ist am Horizont des Lubéron aufgegangen und erleuchtet unter einem Sternenhimmel die kontrastreichen Hügel und die Hochebene der Vaucluse.
Eine unheimliche Unruhe, die meinen Schlaf in dieser Nacht begleitet, lässt mich die Augen öffnen. Das Licht und die Morgensonne der Provence bringen mich zurück in die Vergangenheit. Meine Gedanken kreisen um die letzten sieben Jahre mit Michéle.
Michèle ist nicht hier, das letzte Telefongespräch von vor zwei Tagen liegt unendlich lange zurück. Die Vorstellung, ohne Michèle diesen Tag zu leben, lähmt mich. Ein Blick aus dem Fenster unseres Schlafzimmers, hinter dem sich das Paradies der Provence erstreckt, bringt mir den Schlaf zurück; ich sehe, wie Michèle als eine weiße Möwe aus unserem Paradies entflieht und, getragen vom stürmischen Mistral, am Horizont des Lubéron entschwindet. Mit aller Kraft wehre ich mich gegen das Loslassen, doch Michèles Kräfte, unterstützt vom heftigen Mistral, lassen mir keine Möglichkeit, sie festzuhalten. Mein Arm wird weggerissen, mein Leben löst sich auf, ich zerfalle zu Asche.
Die teuflischen Schreie meiner beiden geliebten Enkelkinder, die in Begleitung meiner Tochter seit einigen Tagen bei mir sind, beenden diesen Traum. Schweißgebadet und in totaler Erschöpfung beginne ich diesen Tag. Noch drei Tage muss ich sie erdulden, diese Schreihälse, die unser schönes und durch Michèle liebevoll eingerichtetes Haus strapazieren. Dieses Paradies erleidet furchtbare Qualen, alle Einrichtungsgegenstände sind bereits gekennzeichnet. Diese überdrehten Monsterkinder erschrecken Blumen, Wiesen, Felder, und stören die vollendete Ruhe der provenzalischen Natur. Ich habe erkannt, dass diese Menschen aus den nördlichen Industrieländern leider gezwungen sind, in einer Welt des Grauens zu leben, denn sie wohnen und hausen in Beton, müssen verpestete Luft einatmen und arbeiten wie die Ameisen, damit sie sich ihre Ameisenbehausungen und ihre so genannte Lebensqualität bezahlen können. Diese überdrehten, noch jungen Menschen besuchen in Begleitung ihrer Eltern jedes Jahr im Sommer für einige Wochen die Ruhe und den vollendeten Frieden der Provence, um hier die Ausgeglichenheit zu finden, die die Einheimischen infolge der landschaftlichen Schönheit das ganze Jahr über haben.
In unmittelbarer Nähe unseres Hauses befindet sich das kleine Schulhaus unseres Dorfes, dort habe ich festgestellt, dass die Kinder aus der Provence von der Schönheit dieses Landstriches geprägt und deshalb vollkommen ausgeglichen sind.
Trotz allem versuche ich, den heutigen Tag in Angriff zu nehmen. Meine Enkelkinder haben wegen einiger harmloser und friedlicher Bienen ihr geplantes Frühstück von dem Vorplatz, der unter unserem Schlafzimmer liegt und den Blick freigibt auf die Weite und die Schönheit der Provence, in das Innere unseres Hauses verlegt. Da meine Enkelkinder in der Zwischenzeit von dem provenzalischen Essen, das mit den allerfeinsten Provencekräutern unter Beimischung von Knoblauch und Olivenöl zubereitet ist, mit zusätzlichen Magenschmerzen belastet sind und einen Sonnenbrand auf ihren sterilen Schneehaut erleiden müssen, habe ich demnächst die Möglichkeit, mein Frühstück alleine, in aller Ruhe und auf meinem geliebten Vorplatz im Garten zu genießen.
Während ich meinen Gedanken nachhänge, ist eine weitere Stunde vergangen und meine Tochter hat es sich in der Zwischenzeit mit ihren beiden Kindern, die mir in meinem Leben trotzdem sehr viel bedeuten, am Swimmingpool gemütlich gemacht. Jetzt ist die Zeit für mich gekommen, mein Frühstück ungestört einzunehmen. Glücklicherweise bin ich durch Pflanzen, Bäume und Sträucher vor dem Geplapper und dem Geschrei geschützt. Dennoch würde es mich nicht wundern, wenn meine Blumen, Pflanzen und Büsche diesen Stress bis zur Abreise meines Besuches nicht überstehen würden. Nun sitze ich in unserem Garten, mit meinen Gedanken ganz alleine und still bei Michèle, die mir alles auf dieser Welt bedeutet. Nichts ist wichtiger als Michèle, ich bin infolge dieser Liebe in einer totalen Abhängigkeit, wie ein Drogensüchtiger in seinem allerletzten Lebensabschnitt, kurz vor dem Tod. Mein früheres Leben war nur Leben; nie habe ich an den Tod gedacht, habe mich für unsterblich gehalten. Niemals hätte ich mir vorstellen können, ein alter Mensch zu werden, niemals, keine Freunde mehr zu haben.
Ich glaubte, immer ein Leben nach meinen Vorstellungen leben zu können, ohne Rücksicht auf meine Mitmenschen. Ich fühlte mich stark, Tränen oder andere Gefühle, die mein Inneres bewegten, waren mir vollkommen fremd. Ich war ich, nur ich selbst bestimmte mein Leben, eine andere Umwelt interessierte mich nicht. Geld, Macht, Erfolg und eine krankhafte Geltungssucht bestimmten meine Gefühle.
Dreißig Jahre lang habe ich nicht erkannt, wie wertvoll das Leben mit meiner früheren Familie war. Heute ist mein Leben eine unerträgliche Qual, die ich gerne beenden würde; am besten wäre, mich würde auf der Stelle der erlösende Schlag treffen, denn das morgendliche Erwachen, jeden Tag aufs Neue, ist eine echte Hölle und die ganze Welt ist ein Jammertal. Wenn ich nicht so feige wäre, würde ich einen Suizid vollziehen, damit ich endlich von diesem Leben am Abgrund erlöst wäre.
Michèle ist schon fast einen Monat abwesend; für mich sind das Jahre. Noch vier Tage muss ich mich gedulden, dann wird Michèle wieder hier sein. Sie ist derzeit für einen Monat bei einer sogenannten Freundin aus der feinen Gesellschaft, die in Portugal ein Anwesen besitzt und von vielen Angestellten, Dienern und Hausmädchen bedient wird. Diese alte, hinterlistige und berechnende Hexe, die aus sehr bescheidenen Verhältnissen stammt und erst durch die Heirat mit einem Großindustriellen zu einem großen Vermögen gekommen ist, weidet sich daran, ihre Angestellten täglich auf die brutalste Art und Weise zu schikanieren.
Ihre finanzielle Macht ermöglicht es ihr, ihre Mitmenschen zu tyrannisieren, zu erniedrigen und zu beleidigen. Außerdem versucht diese Person, Michèle zu veranlassen, unsere Beziehung zu beenden. Ich werde niemals verstehen können, dass Michèle einen Monat ihres Lebens verschleudert, um mit diesem Satansweib dreißig Tage und Nächte zu verbringen. Bestimmt steckt eine gewisse Berechnung dahinter, nämlich die, dass die geizige Alte meine Michèle in ihrem Testament berücksichtigt und ihr nach ihrem Ableben etwas von ihrem Millionenvermögen hinterlässt.
Nichts liebt Michèle auf dieser Welt mehr als Geld; Geld und finanzielle Sicherheit bedeuten für sie vollständige Freiheit und Unabhängigkeit. Für diese Liebe habe ich mein früheres Leben nach dreißig Ehejahren aufgegeben und meine Firma, die mir ein überdurchschnittliches Einkommen garantierte, für einige hunderttausend Franken verschleudert. Dieses Geld habe ich in den vergangenen Jahren aufgewendet, diese Liebe aufrechtzuerhalten. Heute habe ich nichts mehr und bin gezwungen, eine neue Existenz aufzubauen, denn außer meiner großen Liebe kann ich Michèle nicht mehr viel bieten. Ich suche nach Möglichkeiten, noch irgendetwas zu veräußern; ja, ich wäre auch sofort bereit, einen Teil meiner Leber, meine Niere oder was sonst auch immer für wenig Geld anzubieten. Vierzehn schöne Tage, die ich mit Michèle verbringen kann, sind für mich das Leben. Ich denke dann auch nicht daran, dass in vierzehn Tagen alles vorbei ist.
Am fünfzehnten Tag beginnt jedoch die Hölle von neuem; es wird immer schlimmer und ich weiß nicht mehr, wie alles weitergehen soll. Ich kaufe mir keine Lebensmittel mehr, sondern spiele mit meinem letzten Geld Lotto und hoffe jedes Mal auf einen Gewinn, der jedoch – wie könnte es anders sein – immer ausbleibt. Doch der Gedanke an und die Hoffnung auf ein schönes Leben mit Michèle sind mein letztes Geld wert. Ich gehe in die Kirche und bete zu Gott, dass er mich mit Michèle glücklich und in Frieden leben lässt. Sonst will ich für mich nichts mehr; das Einzige, was ich will, ist Michèle.
Meine Flugzeuge von früher, Jaguars und Porsches und die edelsten Motorboote sind nicht mehr wichtig. Ich kann mich erinnern, dass ich auch das letzte meiner Luxusgüter, meine goldene Rolex-Uhr, für diese Liebe verhökert habe. Ich entwickle übermenschliche Kräfte, um diese Liebe am Leben zu erhalten; es gibt nichts, das ich nicht unternehme, um erneut Geld zu verdienen. Ich verkaufe diverse Industriegüter und möchte meine Produkte, die ich in der Zwischenzeit entwickelt habe, ebenfalls erfolgreich verkaufen. Meine finanziellen Mittel sind zur Zeit erschöpft, deshalb bitte ich jeden Freund oder Bekannten um ein Darlehen, diesen sogenannten Freunden habe ich in früheren Zeiten ohne großes, »Wenn und Aber« in Ihrer Not geholfen und entsprechend Darlehen erteilt, jedoch selbst bekomme ich von diesen fragwürdigen »Freunden« keine Darlehen. Trotzdem muss dieses Vorhaben gelingen. Wenn es heute keinen Weg gibt, wird bestimmt morgen ein Weg kommen, oder übermorgen, es muss einfach so sein, eine andere Möglichkeit ist ausgeschlossen.
Ich stelle mir immer die Frage, aus welchem Grunde ich ein solches Leben erdulden muss, warum es mir nicht möglich ist, ein Leben zu führen wie das vieler meiner Freunde, ohne große Aufregungen, bescheiden und mit einer harmonischen Familie, die mir in meinem täglichen Dasein viel bedeutet.
Michèle ist nicht da, doch dieses Haus ist da.
Michèle, ihr menschliches Wesen ist nicht sichtbar und trotzdem ist sie hier, ihre Augen sind das Licht der Provence, ihre Seele, ihr Geruch, ihr Atem werden immer in diesem Haus bleiben.
Wo immer ich im Lubéron auf meinen langen Wanderungen unterwegs bin, niemals bin ich alleine, Michèle, die Sonnenblume der Provence, ist in meinem Herzen. Und sollte mein Wunsch nicht in Erfüllung gehen, meine letzten Jahre im Lubéron verbringen zu können, dann bleibt mir zumindest die Gewissheit, dass nach meinem Tode meine letzte Ruhestätte hier sein wird; niemals werde ich gezwungen sein, das Land im Garten Eden der Provence, das mir ewige Ruhe vermittelt, wieder zu verlassen, und der Mistral wird meine Asche in meine geliebten Dörfer, Täler, Felder und Wälder tragen.
2
Ankunft im Lubéron
Ich habe wieder eine geschäftlichen Tätigkeit aufgenommen. Ich verkaufe spezielle Produkte, Olivenöle, Lavendelhonig, Gewürz und Kräutermischungen, Lavendelprodkte, und kosmetische Produkte jeder Art aus der Provence an einen früheren Freund und Eigentümer einer großen Drogeriekette in der Schweiz. Meine Lieferanten sind kleinere Familienbetriebe und Produzenten aus dem Lubéron. Diese Menschen, die ich nun schon seit längerer Zeit in den Dörfern und Märkten besucht habe sind inzwischen Freunde geworden. Der Einkauf Ihrer Erzeugnisse ist immer ein neues Erlebnis und dauert Stunden, mit privaten Familienessen im Zuhause des Produzenten. Die provenzalische Küche im Lubéron besteht aus einfachen Speisen mit buntem Gemüse, Fleisch, Olivenöl und vielen Kräutern.
Parc Naturel: Vaucluse, Lubéron, Provence
Sie sind jedesmal ein Erlebnis, auch die Eintopfgerichte sind Götterspeisen. Mein größter Lieferant ist ein Lavendelbauer in Sault, alljährlich kaufe ich die getrockneten Lavendelblüten bester Qualität von seinen Lavendelfeldern. Die anschließenden Festlichkeiten dauern zwei Tage und sind ein spezielles Ereignis, nach diesem Erntedankfest brauche ich eine mehrtägige Erholung.
Nach der endgültigen Trennung von meiner großen Liebe Michelé und dem Alleinsein über zwei Jahre, habe ich endlich ein Weg gefunden, meine Gedanken zu ordnen und habe mir in der Zwischenzeit wieder eine Existenz erarbeitet. Mit meiner heutigen Geschäftstätigkeit verdiene ich nicht mehr Millionenbeträge, ich kann jedoch mit dem Verkauf und Export meiner Provenceprodukte meinen inzwischen wieder etwas angehobenen Lebensaufwand finanzieren.
Infolge meiner endgültigen Übersiedlung nach Frankreich habe ich von meiner Pensionskasse per Saldo aller Ansprüche, mehrere hunderttausend Schweizerfranken erhalten, deshalb hatte ich genügend Eigenkapital, damit ich mein Geschäft nun ohne Bankkredite erfolgreich tätigen kann. Das Volumen der eingehenden Aufträge ist recht beträchtlich, ich habe deshalb wieder eine Firma gegründet, meine Geschäftsräume Büro und Lager in Avignon sind äußerst bescheiden, zudem habe ich einen zusätzlichen Mitarbeiter eingestellt, der die täglichen Aufträge erledigt und an meine Exportkunden versendet. Niemals möchte ich wieder selbst vollen Arbeitseinsatz leisten, meine zusätzliche administrative Büroarbeit in Avignon beansprucht höchstens fünfzigprozentige Aktivität, die restliche Zeit möchte ich sinnvoll in der Provence und vor allem im Naturpark Lubéron verbringen.
Meine Asche ist innerhalb der letzten zwei Jahre, die ich inzwischen in der Provence verbracht habe, noch immer nicht vom Mistral in meine geliebten Dörfer verweht worden. Ich lebe noch. Diese Dörfer und die faszinierende Landschaft im Lubéron haben mein menschliches Wesen infolge meiner langen Wanderungen und Begegnungen mit den provenzalischen Menschen verändert. Mein früheres Leben mit meiner Vorstellung vom Erfolg als Macht, finanziellem Reichtum und von Luxusbesitz aller Art sowie gesellschaftlicher Bewunderung bedeuten mir nichts mehr. Mein kleines provenzalisches Haus in Lacoste ist das Paradies im Naturpark im Herzen der Provence. Es gibt nichts mehr auf dieser Welt, das ich zusätzlich wünschen würde, hier habe ich mein Glück und die vollkommene Zufriedenheit gefunden. Ich habe gelernt mit der Natur zu leben, hier leben zu dürfen ist die vollkommene Erfüllung, jeder Tag ist von einem neuen Erlebnis geprägt, die entsprechend Jahreszeiten sind immer wieder faszinierend. Die Freiheit, Pinienduft, Rotwein unter Platanen, und lange Sommernächte sind wie das Märchen aus tausendundeiner Nacht. Der Frühling beginnt oft schon früh im Jahr und bringt überall im Lubéron zahlreiche Blüten hervor, es blühen die Obst- und Mandelbäume sowie viele Wildblumen.
Der Sommer ist auch die Zeit der Lavendelblüte. Die Blütezeit des Lavendels in der Provence beginnt je nach Region ab Mitte bis Ende Juni, in einigen Lagen aber auch erst im Juli. Sie reicht dann bis in den August, bzw. manchmal findet man ein paar Blüten noch bis Anfang September. Im Herbst färben sich die Weinstöcke nach der Weinlese farbenfroh. Im Winter kommt der Mistral, ein kalte Wind aus Norden bläst teilweise tagelang mit hohen Geschwindigkeiten von bis zu 120 km/h, sorgt dann allerdings auch für strahlend blauen Himmel.
Frühjahrsblüte im Lubéron, Mandelbaum, Ginster
In dieser Zeit erledige ich die erforderlichen Renovierungsarbeiten an meinem Haus und geniesse am Abend das Kaminfeuer und der Geruch meiner frisch gespalteten Weinstöcke und freue mich auf das Nachtessen in Begleitung provenzalischer Weine. Dort, wo die Sonne die Landschaft verwöhnt, gedeihen auch Spitzenweine. Der Fokus des Weinbaus im Lubéron sind leichte Roséweine, gefolgt von Rot- und Weissweinen. Mit dieser Faszination der Pinienduft, Rotwein unter Platanen, lange Sommernächte und immer wiederkehrenden Jahreszeiten habe ich noch nie einen Tag in der Einsamkeit verbracht.
Ich freue ich mich immer wieder auf den Besuch meiner Familienangehörigen und Enkelkinder, die Ihre Ferien bei mir in der Provence verbringen. Trotzdem wir diese Tage mit viel Freude, Lachen und Zufriedenheit sowie Besuche in kleine Dörfer und zusätzlich Avignon, Arles, Nimes, Aix en Provence und Wochenmärkte besuchen, ist der jeweilige Abschied wiederum eine Entlastung, die Aperitive sowie die Boule Spiele mit den provenzalischen Freunden in meinem Dorf Café sind nun ohne Zeitlimiten möglich.
Meine Wanderungen durch die Zedern und Eichenwälder des Lubéron in Verbindung mit dem Besuch der wunderschönen Bergdörfer in der eindrucksvollen Natur in einer abwechslungsreichen Kulturlandschaft sind nun die vollkommene Erfüllung in meinem Leben.
Die Gedanken an meine große Liebe, an Michelé sind noch immer vorhanden, niemals kann ich, auch nach dieser langen Zeit unserer endgültigen Trennung, dieses Liebesglück aus meinem Gedankengut entfernen, die Zeit heilt Wunden und andere Perspektiven bestimmen das weitere Leben, trotzdem gibt es noch immer Tage in tiefer Trauer die ich mit einem unheimlichen Schmerz und Verlagen nach Michele verbringen muss.
Blumengeschmückte Hauseingänge in der Provence
Teil 1 Sturm und Drang
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Grundstein
Den Grundstein für mein heutiges, chaotisches Leben haben bestimmt meine Eltern in vollkommener Unwissenheit gelegt. Als einziger Sohn (geboren 1935) bin ich mit zwei Schwestern in einer höchst angesehenen Fabrikantenfamilie aufgewachsen.
Meine Jugend war das Paradies auf Erden; alles, was ich mir jemals gewünscht habe, ist eingetroffen, alle Probleme und kleinere Schwierigkeiten wurden unverzüglich aus dem Wege geräumt. Niemals wurde ich für ein Versagen zur Verantwortung gezogen. Mein Vater war – im Gegensatz zu mir – grundehrlich; seine obersten Gesetze waren moralische und ethische Grundsätze. Trotz einer großen Villa auf einem ansehnlichen Grundstück mit Park und einem kleinen Wald, wo meine Schwestern und ich unsere schöne Jugendzeit verbringen durften, blieb mein Vater immer äußerst bescheiden, obwohl er andererseits auch eine Respektsperson war, die sich außerdem bei allen Freunden, Bekannten und Nachbarn großer Beliebtheit erfreute. Leider hat mein Vater immer versucht, mich zu schützen, um das Ansehen seiner Familie nicht in Gefahr zu bringen. Für keinen meiner Jugendstreiche habe ich jemals Prügel bezogen oder sonstige Bestrafungen erhalten, bis auf ein einziges Mal, als ich aus Bequemlichkeit meine Jugendfreundin beauftragt hatte, für meinen Vater, der leidenschaftlicher Fischer war, in unserem Garten Würmer zu suchen; die dafür erhaltene Ohrfeige schmerzt mich noch heute.
Außerdem durfte ich auf unserem Privatgrund keine Autos mehr bewegen, obwohl ich im Alter von zehn Jahren in Begleitung meines Vaters auf den Feldwegen entlang seines dreißig Kilometer langen Forellenbaches das Autofahren gelernt hatte. Dieser Unterricht hatte nämlich auch dazu geführt, dass ich bei entsprechenden Gelegenheiten und in Abwesenheit meiner Eltern eines der Autos, die in unserer Fabrik jederzeit fahrbereit herumstanden, benutzte, um in atemberaubender Geschwindigkeit Ausflüge durch unsere Wohngegend und in die nähere Umgebung zu unternehmen. Dabei bin ich mehrmals dem Dorfpolizisten begegnet, der auf seinem Motorrad von einer Lokalität zur nächsten unterwegs war, um seinen enormen Durst zu löschen.
Auch mein Vater, der ein geselliger Mensch war und deshalb mehrmals in der Woche in unserem Dorf seinem geliebten Kartenspiel frönte, begegnete bei diesen Gelegenheiten dem Polizisten. Zwar hatte ihm dieser jedes Mal über meine verbotenen Ausflüge berichtet, doch er hatte nie den Mut, Strafanzeige gegen mich oder meine Familie zu stellen; schon allein deshalb nicht, weil mein Vater seine nicht unerheblichen Weinzechen bei seinem Besuch im Gasthaus meistens bezahlte. So hatte der Polizist allen Grund, sich mit der Situation abzufinden.
Dieses sorglose Leben ohne Verantwortung und Konsequenzen hat meinen Charakter entsprechend geprägt. Ich bin an und für sich ein intelligentes und schlaues Wesen, das immer auf seinen Vorteil bedacht ist. Umgekehrt habe ich aber nicht gelernt, für begangene Fehler selbst die Verantwortung zu übernehmen, denn die Konsequenzen meiner Fehler haben immer meine Eltern getragen. Als damals mein Schullehrer, der übrigens ein Freund der Familie war, wollte, dass ich die dritte Grundschulklasse wiederholte, hatte meine Familie für dieses Anliegen meines Lehrers kein Verständnis; selbstverständlich besuchte ich daraufhin die vierte Klasse der Grundschule. Daraus sind allerdings große schulische Probleme erwachsen. Doch da meine Familie nicht akzeptieren konnte, dass ihr Sohn eine Grundschulklasse wiederholte, wurde ich in einem Privatinternat, das viel von einem Vier-Sterne-Hotel hatte, untergebracht. In dieser Schule absolvierte ich zwei Schuljahre ohne Wiederholung einer Klasse und trat anschließend wieder in die sechste Klasse der Grundschule meiner Heimatgemeinde ein. Natürlich stellte sich bereits nach kurzer Zeit heraus, dass meine Qualifikation für die Oberschule nicht ausreichte, also wurde ich erneut in einem privaten Internat untergebracht. Auf diese Weise konnte ich zur großen Freude meiner Eltern sowohl die Grund- als auch die Oberschule ohne Schande und ohne Wiederholung einer Klasse hinter mich bringen.
Nach der Schule musste ich, obwohl ich mein ausschließliches Interesse für Automobil- und Flugzeugtechnik bekundet hatte, im Lebensmittelunternehmen meines Vaters eine praktische Lehre mit einer zusätzlichen kaufmännischen Ausbildung absolvieren. In jenen Jahren meiner Ausbildung verbrachte ich aber jede freie Minute in der Autogarage eines Freundes meiner Eltern oder, infolge meiner Begeisterung für die Fliegerei, auf diversen Flugplätzen.
Obgleich ich jeden Bestandteil eines Autos kannte und umfangreiche Kenntnisse der Flugzeugtechnik besaß, schloss ich zur großen Freude meiner Eltern meine Ausbildung mit Erfolg ab und erhielt auch sofort danach das mir versprochene MG Sportauto. Da ich nun nicht mehr täglich in unserem Fabrikationsbetrieb arbeiten musste, durfte ich, nach einer längeren Einführungszeit durch unsere Verkaufsabteilung, selbstständig unsere Kunden besuchen. Trotz meiner großen Verkaufserfolge wurden mir die mir in Aussicht gestellten Kommissionen nicht ausbezahlt, mit der Begründung, dass unsere Fabrik in einigen Jahren an mich übertragen werde. Obwohl ich genügend Taschengeld für ein gutes Leben hatte und auch alles andere bezahlt wurde, schwand danach mein Ehrgeiz, ein erfolgreicher Verkäufer zu sein, spürbar.
Da ich mich niemals für das Unternehmen meines Vaters begeistern konnte, hatte ich mich entschlossen, ohne das Wissen meiner Eltern das Fliegen zu lernen. Wie ich dieses Vorhaben jemals finanzieren sollte, war mir dabei vollkommen gleichgültig. Tatsächlich hat mein Vater später die entsprechenden Rechnungen, die ich natürlich nicht bezahlen konnte, mit einer unvorstellbaren Wut beglichen. In kurzer Zeit konnte ich die erste Stufe meiner Pilotenausbildung mit Erfolg erlangen. Als mein Vater mir dann auch noch in aller Deutlichkeit mitteilte, dass mein zukünftiger Arbeitsplatz in seinem Unternehmen zu sein habe und dass er nicht mehr gewillt sei, für meine Fliegerei auch nur einen Franken zu bezahlen, entschloss ich mich, niemals in seinem Unternehmen zu arbeiten.
Heute muss ich gestehen, während ich meine Biografie schreibe, dass dies die größte Sinnwidrigkeit in meinem noch jungen Leben war. Hätte ich vor vierzig Jahren dem innigsten Wunsch meiner Eltern entsprochen, wäre mein Leben nicht in diesen chaotischen Zustand verlaufen. Mein Entscheid, dem Unternehmen meines Vaters für alle Zeiten den Rücken zu kehren ist der Irrtum meines bisherigen Lebens, denn es ist unmöglich, in einem einzigen Leben wieder ein gleichwertiges Unternehmen aufzubauen. Wenn ich damals die Geduld aufgebracht, noch einige Jahre zu arbeiten, wären bestimmt alle meine Wünsche auf andere Weise erfüllt worden und meine damaligen Vorhaben hätten sich zu einem späteren Zeitpunkt realisieren lassen. So lebte ich nach diesen Vorkommnissen nach wie vor in meinem schönen und vertrauten Zuhause. Und obwohl damals die Unkosten für mein Auto und weitere Auslagen von meinen Eltern bezahlt wurden und unsere langjährige Hausangestellte Berta gelegentlich kleinere Geldbeträge aus unserer Haushaltskasse für mich abzweigte, wollte ich in der kurzen Zeit bis zum Beginn der langen Militärzeit außerhalb des Unternehmens meines Vaters noch etwas Geld dazuverdienen. In meiner Heimatgemeinde hatte ich eine kurzfristige Anstellung in einer Auto-Werkstatt mit einem Stundenlohn von zwei Franken erhalten. Diese Arbeit habe ich sechs Wochen lang zur vollen Zufriedenheit meines Arbeitgebers ausgeführt und anschließend einen längeren Militärdienst absolviert.
Infolge meiner Pilotenlizenz habe ich nach Beendigung meiner Militärzeit zu meiner großen Überraschung eine Anstellung im Verkauf einer amerikanischen Firma, die Sportflugzeuge, Flugzeugbestandteile und Elektronik vertrieb erhalten. Die nächsten zwei Jahre waren für mich die vollkommene Erfüllung. Da jedoch die Marktchancen zu gering waren und der angestrebte Verkaufserfolg hinter den Erwartungen zurückblieb, wurde diese Niederlassung aufgelöst. Mein Vater hatte in der Zwischenzeit eingesehen, dass sein Sohn niemals zurückkommen würde, um das elterliche Unternehmen mit Erfolg weiterzuführen. Dann ergab sich die Möglichkeit, sein Aktienpaket an seinen Bruder und Geschäftspartner zu verkaufen. Zu jener Zeit war ich einfach nur glücklich, dass das Thema meiner Nachfolge in seiner Firma für alle Zeiten erledigt war. Hätte er jedoch damals gewusst, dass sein Sohn in den folgenden zwanzig Jahren sein komplettes Vermögen vernichten würde – die daraus resultierenden Sorgen trugen auch zu seinem frühzeitigen Tod bei – hätte er sein Unternehmen bestimmt niemals verkauft. Meine Mutter, die nach seinem Tod unvermögend weiterleben musste und durch dieses Schicksal schwer gezeichnet war, wurde bis an ihr Lebensende durch meine beiden Schwestern, die glücklich und erfolgreich verheiratet waren, in jeder Hinsicht unterstützt.