Kitabı oku: «Christ sein – was ist das?», sayfa 2
Die Frage nach dem Glück
Jeder Mensch muss täglich Entscheidungen treffen. Dazu braucht er Kriterien, äußere Normen und innere Haltungen. Den inneren Haltungen hat sich Aristoteles zugewendet. Er entwickelte seine „Nikomachische Ethik“ in einer Krisenzeit des Staates. Krise kommt vom Griechischen krinein und bedeutet „unterscheiden/entscheiden“. Der Mensch muss unterscheiden lernen, was zu tun ist.
Wenn Aristoteles – wie erwähnt – der Meinung war, dass Menschen glücklich werden wollen, und niemand will, dass sein Leben misslingt, stellt sich die Frage, wie der Weg dorthin zu finden ist. Glück kann man nicht machen, Glück stellt sich ein. Einen schwachen Stern kann man nur sehen, wenn man ihn nicht direkt fixiert. So kann man auch das Glück nicht direkt anzielen. Es stellt sich ein, wenn man „richtig“ lebt. Was aber ist das richtige Leben? Das griechische Wort für Glück heißt Eudaimonia. Eu heißt „gut“ und daimon ist der Geist. Also frei übersetzt: Das Glück findet der Mensch, wenn er dem guten Geist folgt. Was aber ist dieser gute Geist? Aristoteles gibt darauf eine erste Antwort: Glück kann sich einstellen, wenn der Mensch tugendhaft lebt. Tugenden sind tauglich zur Lebensbewältigung. Der Mensch auf dem Weg zum Glück soll vier Tugenden verwirklichen: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß.
Klugheit heißt zunächst, dass der Mensch all das, was er tut und entscheidet, im Blick auf das Ende bedenken soll: quidquid agis prudenter agas et respice finem8 (Was immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende). Selbst wenn man den Lauf der Dinge nicht voraussehen kann, gibt es doch Kriterien für kluge Entscheidungen. Gerade im Bereich der Politik und der Wirtschaft besteht die Gefahr, zu kurzfristig zu denken. Der Kluge denkt langfristig. Ein kleiner Gedankenfehler am Anfang kann zu einer Katastrophe am Ende führen, so hat es Thomas von Aquin (um 1225 – 1274) sinngemäß formuliert.
Ignatius von Loyola (1491 – 1556) hat dazu im ausgehenden Mittelalter eine wichtige Entscheidungsformel entwickelt. Wenn du heute eine wichtige Entscheidung zu treffen hast, dann versetze dich in die Stunde deines Todes und überlege, wie du aus der Perspektive des Lebensendes die heutige Entscheidung hättest treffen wollen. „Als wäre ich in der Todesstunde, bedenke ich die Form und das Maß, das ich dann hinsichtlich der jetzigen Wahl wünschte eingehalten zu haben; und danach richte ich mich und treffe im Ganzen meine Entscheidung.“9 Dahinter steht ein bestimmtes Menschenbild, dass jeder Mensch einmal Rechenschaft ablegen muss über sein Leben. Der Mensch weiß zwar nicht, was in den nächsten zehn Minuten geschieht, aber es gibt doch Anhaltspunkte, in welche Richtung sich das Leben entwickeln sollte. Dazu ein Beispiel: Wenn jemand immer nur viel Geld verdienen will, aber dabei seine menschlichen Beziehungen ruiniert, ist das langfristig nicht segensreich. Spätestens auf dem Sterbebett kommen all diese Fragen hoch und es fragt sich, was am Ende bleibt. Untersuchungen sagen: vor allem gute menschliche Beziehungen. Man könnte auch sagen: Am Ende bleibt nur die Liebe. So schaut der Kluge auf das Ganze.
Die Gerechtigkeit hat mehrere Aspekte: Es geht zum einen um eine Sachgerechtigkeit, die sich auf die angemessene Kenntnis dessen bezieht, was zu bearbeiten ist. Der Mensch muss mit seinen Entscheidungen dem Sachstand gerecht werden. Dann gibt es die Tauschgerechtigkeit, die darauf abzielt, faire Geschäfte zu tätigen und den anderen nicht zu übervorteilen. Hinzu kommt die Verteilungsgerechtigkeit, welche eine gerechte Verteilung endlicher Güter im Auge hat. Schließlich gibt es eine personenbezogene Gerechtigkeit, die darin besteht, dem einzelnen Menschen in seiner jeweiligen Situation gerecht zu werden. Man soll in dem Sinne „jedem das Seine“ geben, suum cuique. Dabei ist Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.
Alle Menschen haben dieselbe Menschenwürde und sind von daher auch vor dem Gesetz gleich, und doch ist ein Kind anders zu behandeln als ein Erwachsener. Außerdem sind bei ähnlichen Biografien die Umstände einer konkreten Situation unterschiedlich. Deshalb gilt es oft um der größeren Gerechtigkeit willen besondere Einzelfallentscheidungen zu treffen. Dies nennt die Tradition von Aristoteles her Epikie. Außerdem hat Gerechtigkeit immer mit Barmherzigkeit und Vergebung zu tun. Barmherzigkeit ist eigentlich eine göttliche Eigenschaft, die dem Menschen vergebend entgegenkommt, aber der Mensch sollte diese göttliche Barmherzigkeit auch an den anderen weitergeben: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“, heißt es im großen christlichen Gebet, dem Vaterunser. Allerdings ist zwischen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit die rechte Mitte zu finden: „Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Grausamkeit; Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit ist die Mutter der Auflösung“10 – auch von Strukturen, so hat es Thomas von Aquin formuliert.
Die beiden letzten aristotelischen Tugenden von Tapferkeit und Maß können zusammen gesehen werden. Maß heißt nicht Mittelmaß, sondern Maß bedeutet, die rechte Mitte zwischen zwei Extremen zu finden. Aristoteles macht dies fest am Begriff der Tapferkeit. Tapferkeit ist die rechte Mitte zwischen dem Handeln des feigen Soldaten, der im Straßengraben liegen bleibt und sich nicht heraustraut, und dem Tollkühnen, der blind ins Feld rennt. Das rechte Maß der Mitte ist die Feigheit, etwas zu überwinden und doch nicht blind ins Feld zu rennen, sondern klug zu entscheiden. Diese Mitte ist nicht nur die Mitte zwischen zwei Extremen, sondern im Maße, in dem der Mensch diese Mitte lebt, findet er auch seine eigene.
Das Gegenteil dieser Tugenden sind die sogenannten Laster, die schon im vierten Jahrhundert von Evagrius Ponticus (345 – 399) zusammengefasst worden sind. Sie sind für viele Fehlentwicklungen verantwortlich. Es sind dies Hochmut (Eitelkeit, Stolz, Übermut), Geiz (Habgier), Wollust (Ausschweifung, Genusssucht), Zorn (Rachsucht, Vergeltung, Wut), Völlerei (Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht), Neid (Eifersucht, Missgunst) und Acedia (Faulheit, Feigheit, Ignoranz, Trägheit des Herzens). Dieser Lasterkatalog liefert den Hintergrund für die sieben Wurzelsünden (oft fälschlich als „sieben Todsünden“ bezeichnet), weil in ihnen die Abkoppelung des Menschen von Gott zum Ausdruck kommt und sie die Wurzel für viele andere Sünden in sich bergen. Ein Großteil des Fehlverhaltens von Menschen hat Maßlosigkeit zum Hintergrund. Vor allem aber stellen der Stolz, die Rachsucht und Vergeltung sowie der Verlust an geistiger Spannkraft und innere Erschlaffung (Acedia) eine große Gefahr für den Menschen dar.
Dies ist ein erster philosophischer Zugang zur Frage, was Menschen im Tiefsten suchen und wie innere Haltungen auf dem Weg zum Glück helfen können. Es wird zu zeigen sein, dass das Christentum über diese Tugenden hinausgeht. Thomas von Aquin knüpft im Mittelalter an der aristotelischen Tugendethik an und erweitert diese um die christlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe. Glauben heißt dabei Vertrauen finden in den tragenden Grund des Lebens. Hoffnung bedeutet, über die Endlichkeit des Lebens hinauszublicken und darauf zu vertrauen, dass das Leben nicht im Nichts endet. Liebe meint die Liebe zu sich selbst, zum Nächsten, zu Gott.
Ebenfalls im Übergang vom vierten zum fünften Jahrhundert hat Augustinus (354 – 430) über den freien Willen und über die Herkunft des Bösen nachgedacht: Der Mensch ist frei, sonst wäre jedes Lob für einen Schüler sinnlos11 und das Böse kommt seiner Meinung nach aus dem Menschen selbst, lässt man den Engelsturz einmal beiseite. Pico della Mirandola (1463 – 1494) wiederum nimmt im ausgehenden Mittelalter den freien Willen des Menschen als Zugang zur Beschreibung der Menschenwürde. Schließlich ist es Immanuel Kant, der im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert den Begriff der Menschenwürde genauer entwickelt. Die Menschenwürde wird zum zentralen ethischen Argumentationspunkt für die Menschenrechte und vieler Rechtssysteme. Der Einzelne steht im Mittelpunkt, ganz im Unterschied zu der sich in England am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts unter der Federführung von Jeremy Bentham (1748 – 1832) und John Stuart Mill (1806 – 1873) entwickelnden Ethikrichtung, die als Utilitarismus bezeichnet wird. Sie fragt nach dem größten Nutzen für die größte Zahl. Das klingt verlockend, lässt aber den Einzelnen weitgehend außer Acht. Gegenwärtig wird über eine Diskursethik von Jürgen Habermas (geb. 1929) gesprochen, die für einen herrschaftsfreien Diskurs eintritt. Ein solch herrschaftsfreier Diskurs auf Augenhöhe sollte auch zwischen den Religionen möglich werden. Darüber hinaus haben sich Bereichsethiken wie Medizinethik, Wirtschaftsethik, Medienethik, politische Ethik herausgebildet.
Zum Begriff der Menschenwürde
Den Begriff der Menschenwürde kann man auf die Stoa und das jüdische Denken zurückführen, aber auch im Römischen Reich kommt er bei Cicero (106 – 43 v. Chr.) vor. Dort galt, dass der Mensch sich diese Würde durch ein bestimmtes Amt oder gutes Verhalten verdienen kann. Er konnte diese Würde erlangen, aber auch wieder verlieren, sie war abstufbar. Neben dieser römischen Tradition kommen aus der religiösen Dimension des Judentums Aussagen über den Menschen als Ebenbild Gottes, und bei Paulus heißt es, dass vor Gott alle Menschen gleich sind. „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Die hier beschriebene Gleichheit aller Menschen war für Römer und Griechen so nicht gegeben. „Im Mittelpunkt des antiken Denkens fanden wir die Annahme von der natürlichen Ungleichheit.“12
Wie erwähnt wird im ausgehenden Mittelalter die Würde des Menschen an seinem freien Willen festgemacht, und schließlich ist es Immanuel Kant, der den Begriff der Würde im Unterschied zum Wert herausarbeitet. Dinge haben ihren Wert und ihren Preis, sie werden Sachen genannt, Vernunftwesen aber, die Personen genannt werden, haben Würde. Sie fallen aus der Wertkategorie heraus. „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“13
Ein Glas, das einen Euro kostet und zu Boden fällt, kann durch ein anderes Glas ersetzt werden. Wenn aber ein Kind vom Wickeltisch fällt und stirbt, wäre es zynisch, den Eltern zu sagen: Ihr könnt ja ein neues Kind zeugen. Der Mensch hat keinen Preis und in diesem Sinn keinen Wert, er ist über jeden Preis erhaben, er hat Würde. Er ist einmalig und unersetzbar, er ist nicht ver-wert-bar und nicht be-wert-bar. Dinge und vernunftlose Wesen haben „nur einen relativen Wert, als Mittel, und heißen daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst“14 achtet. Personen sollen also um ihrer selbst willen geachtet werden. „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel gebrauchst.“15 Diese sogenannte „Selbstzwecklichkeitsformel“ Kants bedeutet, dass der Mensch nicht für andere Zwecke missbraucht werden darf, als um seiner selbst willen geachtet zu werden. Man spricht vom Verbot der Totalverzweckung. Diese vollständige Verzweckung wäre gegeben, wenn ein Mensch nur dafür gezeugt würde, um ihm später alle Organe zur Transplantation zu entnehmen. Das wäre eine Totalverzweckung und widerspräche der Würde des Menschen. Dem Begriff der Würde ist der Begriff der Person an die Seite gestellt. Der Personbegriff stammt auch aus dem Römischen Reich. Im Lateinischen von personare abgeleitet, meint er die Maske des Schauspielers, durch die die Stimme des Schauspielers hindurchtönt (per-sonare). In Bezug auf den Menschen könnte man sagen, dass durch ihn eine andere (göttliche) Stimme hindurchtönen soll.
Beide Begriffe der Würde und der Person zusammengenommen sagen etwas über die Hochschätzung des Individuums aus, das nicht verzweckt und nicht aufgrund seiner Herkunft, Geschlecht, Alter diskriminiert werden darf. Diese Auffassung von der Menschenwürde, die jedem Menschen aus sich heraus zukommt und ihm nicht von außen zugeschrieben oder aberkannt werden kann, liegt vielen Gesetzen moderner Staaten zugrunde.
So lautet zum Beispiel Artikel 1 des Deutschen Grundgesetzes (und etwas anders in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union): „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art. 1 GG), und der zweite Artikel, der daraus folgt, lautet: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich“ (Art. 2 GG). Der erste Artikel des Deutschen Grundgesetzes beinhaltet eine Selbstbeschränkung des Staates. Er hat sich selbst auferlegt, niemals mehr so tief und vernichtend in die menschliche Intimsphäre einzugreifen, wie es zum Beispiel im Nationalsozialismus geschehen ist. Folgerichtig ist im Artikel 2 das Recht auf Leben und körperliche sowie in der Grundrechte-Charta auf geistige Unversehrtheit festgehalten. Ging es bei den Tugenden des Aristoteles um die innere Haltung des Menschen, geht es bei Kant und der Menschenwürde darum, etwas „Absolutes“ im Menschen festzumachen, das ihm niemals genommen werden kann. Daher kann auch der Artikel über die Menschenwürde im Deutschen Grundgesetz selbst mit hundertprozentiger Mehrheit des Deutschen Bundestages nicht aufgehoben werden. Er hat „Ewigkeitscharakter“. Daher wird der Artikel 79, Abs. 3, des Deutschen Grundgesetzes auch als „Ewigkeitsklausel“ bezeichnet. Eine Änderung dieses Artikels 1 ist unzulässig.16
4. Judentum und Christentum
Bis hierher wurde die Herleitung des Begriffes der Menschenwürde vornehmlich philosophisch dargestellt. Dabei zeigte sich aber, dass im Hintergrund auch die Vorstellungen des Judentums von der Gottebenbildlichkeit des Menschen sowie der christlichen Auffassung von der Gleichheit aller Menschen eine Rolle spielten. Auch das christliche Gebot von der Nächsten- und Feindesliebe kommt im Kant’schen Begriff von der Achtung des Menschen um seiner selbst willen zum Ausdruck.
Im Folgenden soll nun dieser Hintergrund des Judentums noch einmal aus einer anderen Perspektive betrachtet werden, um dann überzuleiten zu den zentralen Aussagen des Christentums. Denn das Christentum ist ohne das Judentum nicht verstehbar. Etwa 1500 Jahre vor Christi Geburt findet ein interessanter Umbruch in der Weltgeschichte statt. Aus einem Vielgötterglauben, der auch in Israel herrschte, entwickelt sich langsam ein Ein-Gott-Glauben. Schon im Hinduismus und später in der griechischen Philosophie gab es einen solchen Vielgötterhimmel, von dem Feuerbach vermutlich sagen würde, dass diese Götter Projektionen des Menschen seien. So zeigt es sich auch in der Erfahrung des Volkes Israel. Sie spüren, dass die vielen Götter, die es auch in ihrer damaligen Glaubenswelt gab, eigentlich keine Kraft und Macht haben. Jetzt aber erfahren sie etwas ganz anderes, nämlich das machtvolle Wirken des einen Gottes, den sie Jahwe nennen. Sein Name darf nicht ausgesprochen werden und sie dürfen sich kein Bild von ihm machen. Aber er erweist sich als ein wirkmächtiger Gott. Er kann etwas. Er befreit das Volk Israel aus der Knechtschaft Ägyptens. Mit starker Hand führt er das Volk aus der Unterdrückung Ägyptens heraus in die Freiheit.
So erlebt das Volk das mächtige Wirken Jahwes. Diese Erfahrungen werden aufgeschrieben in den Texten der fünf Bücher Mose und anderer Schriften. Diese Schriften, die über einen Zeitraum von achthundert Jahren entstanden sind, nennen die Christen das „Alte Testament“. Für viele Juden ist diese Bezeichnung nicht zutreffend, da es für sie kein „Neues Testament“ gibt. Sie warten bis heute auf das Kommen des Messias. Wenn er noch nicht da war, gibt es auch kein „Neues Testament“. Denn dort sind die Berichte über Jesus Christus, von dem die Christen glauben, dass er der Messias sei, aufgeschrieben.
Das Volk Israel erfährt also seinen Gott als jemanden, der zum Volk spricht und an ihm handelt. Er zeigt sich dem Moses in der Wüste. Moses sieht einen Dornbusch brennen, der nicht verbrennt. Er weiß nicht, was das bedeutet. Dann hört er eine Stimme, die spricht: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ (Ex 3,6), und dann später: „Ich habe die Klage meines Volkes gehört, ich will sie der Hand der Ägypter entreißen“ (Ex 3,8). Auf die Frage des Mose, wie er denn heiße, sagt er: „Ich bin der Ich-bin-da“ (Ex 3,14). Hier beginnt die sogenannte Selbstoffenbarung Gottes. Gott sagt etwas über sich selbst aus, frei interpretiert: Ja, es gibt mich. Ich bin da, ich bin für euch da (Ex 3,14). Er bestätigt, dass die Suche des Menschen nach dem letzten Grund allen Seins nicht sinnlos ist. Die Selbstoffenbarung Jahwes beginnt mit einer philosophischen Antwort auf die Frage des Menschen nach seiner Existenz. Er ist da, er tritt aus seiner Verborgenheit ans Licht, er spricht und handelt befreiend am Volk. So beginnt die Befreiungsgeschichte des Volkes Israel.
Für den Menschen bedeutet das, dass seine Suche nach dem ganz Anderen und Absoluten nicht ins Leere läuft. Anders gesagt: Das Absolute erweist sich als ein personales Gegenüber, dem der Mensch vertrauen kann. Allerdings „gibt“ es diesen Gott nicht so, wie es Menschen und Dinge gibt. Jahwe ist der „ganz Andere“ und der ferne Gott, von dem der Mensch sich kein Bild machen soll und dessen Name niemand aussprechen darf. „Einen Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht“,17 hat Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) formuliert. Gott ist anders, er erscheint indirekt in dieser Welt, niemand hat Gott je gesehen, seine Macht ist groß. Wer Gott sieht, stirbt, heißt es im Alten Testament. „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“ (Ex 33,20).
Möglicherweise war der Mensch erst in dieser weltgeschichtlichen Zeit in der Lage, überhaupt mit diesem mächtigen Gott in eine personale Beziehung zu treten. Er musste sich erst auf diese Begegnung hin entwickeln. Aber sehen durfte er ihn nicht. Offensichtlich ist die Macht Gottes, der diesen riesigen Kosmos geschaffen hat, zu groß, als dass der Mensch seine Nähe aushalten könnte. Hier spürt man, welche kosmischen Dimensionen im Spiel sind. Der griechische Begriff Ho Antropos für „Mensch“ deutet in eine ähnliche Richtung. Frei übersetzt bedeutet er: Der Mensch ist das Wesen, das schaut und staunt. Er steht aufrecht, schaut in den Himmel, sieht die Sterne und staunt über die Größe des Kosmos. Immanuel Kant hat es in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“ sinngemäß so ausgedrückt: Was mich am meisten mit Ehrfurcht erfüllt, ist der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Diese gewaltige und zugleich stille Kraft des Kosmos deutet auf den Gott hin, der sich dem Menschen zuwendet. Dies geschieht zunächst aus der Ferne. Niemand hat Gott je gesehen, der Mensch soll sich kein Bild von ihm machen und nicht in seine kleine menschliche Vorstellungswelt pressen. Gott ist anders und größer. Das gilt bis heute.
Das Alte Testament ist ein Erfahrungsbericht von Menschen, die das Wirken Gottes im konkreten Leben erlebt haben. Es ist auch ein Bericht über die Vorstellung des Menschen von der Erschaffung der Welt, von der Entstehung des Menschen und seinem Abfall von Gott. Menschen berichten, inspiriert vom göttlichen Geist, wie sie glauben, dass Gott die Welt aus dem Nichts geschaffen hat und aus dem Chaos Ordnung werden ließ. Tohuwabohu ist das hebräische Wort für Chaos. Aus dem Chaos wird Kosmos.
Der göttliche Geist schafft die Welt so, dass Ordnung herrscht im gesamten Weltall, in der Natur, im Menschen. Der Mensch kann diese Ordnung schrittweise entziffern lernen. Er findet Naturgesetze und kann mithilfe der Kosmologie, der Naturwissenschaften und vielen anderen Zugängen immer besser verstehen, wie der Kosmos, die Natur, die Lebewesen, die Menschen „funktionieren“. Naturwissenschaftlich gesprochen meint diese Ordnung keine starre Ordnung einer mechanischen Maschine, sondern die dynamische Ordnung des Lebendigen, das auch das Chaos und den Zufall kennt. Es braucht die Ordnung der Planetenbahnen und jene des Organismus, aber auch die Flexibilität des Zufalls. Ohne Ordnung gäbe es keinen Zufall. Wenn alles Zufall wäre, gäbe es den Zufall nicht und die Welt würde kollabieren. Ordnung und Zufall gehören zusammen, sie ermöglichen „Freiheitsgrade“.
Auf der Seite der Theologie geht es um die Reflexion der Selbstoffenbarung des Schöpfergottes, der die Welt – womöglich mit dem Urknall – ins Sein gebracht hat. Es geht um die Beschreibung seines befreienden Handelns und um die Übergabe der Zehn Gebote. Sie sind dazu da, dem Menschen zu helfen, seine erlangte Freiheit nicht wieder zu verlieren. Der Normenkatalog der Zehn Gebote dient der Freiheit. In der Präambel zu den Zehn Geboten heißt es: „Ich bin Jahwe, Dein Gott, der Dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus“ (Ex 20,2). Schon im Volk Israel wird klar, dass das Volk Gefahr läuft, aus der Freiheit wieder in die alte Knechtschaft und Unfreiheit zurückzufallen. Diese Unfreiheit des Menschen hatte in der Paradiesgeschichte mit der Abwendung des Menschen von Gott begonnen. Vertreibung aus dem Paradies, Brudermord, Gewalt, Sintflut waren die Folgen dieser Abkoppelung. Jetzt wird von Gott her ein neuer Anfang gemacht zur äußeren Befreiung des Volkes. Dieses befreiende Handeln Gottes wird fortgesetzt und vertieft im Neuen Testament mit der inneren Befreiung jedes einzelnen Menschen.
Die Normen der Zehn Gebote dienen der Freiheit, so wie die Tugenden des Aristoteles dem Glück dienten. Beide Zugänge werden im Neuen Testament vertieft: die aristotelischen Tugenden hin zu den christlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe und die äußere Freiheit hin zur Befreiung des inneren Menschen, der zu sich selbst befreit werden soll. Die Normen des Gesetzes werden zur „Norm“ der Liebe, in der alles zusammengefasst ist.
Im Fortgang des Buches wird nicht einfach erklärt, was die Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe bedeuten, sondern es werden in einem ersten Schritt die allgemeinen Glaubensinhalte in ihren wesentlichen Punkten dargestellt, um von dort aus zum persönlichen Glaubensvollzug überzugehen. Der inhaltlich bestimmbare und persönlich zu lebende Glauben führt als Hoffnung über den Tod hinaus und offenbart in allem die göttliche und menschliche Liebe. Es geht um die gegenseitige Durchdringung der drei Tugenden.
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