Kitabı oku: «Homeoffice»
Für Luise
Matthias Ehlert
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OFFICE
Ein pandemisches Experiment
2022
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
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Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
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Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
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Themenreihe »update gesellschaft«
hrsg. von Matthias Eckoldt
Umschlagentwurf: B. Charlotte Ulrich
Redaktion: Uli Wetz
Layout und Satz: Heinrich Eiermann
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Erste Auflage, 2022
ISBN 978-3-8497-0426-1 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8360-0 (ePUB)
© 2022 Carl-Auer-Systeme Verlag
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Carl-Auer Verlag GmbH
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Tel. +49 6221 6438-0 · Fax +49 6221 6438-22
Inhalt
Prolog
Kafkas Feierabend
Büro ist Krieg
Entgrenzung im Großraumbüro
Die Mobilmachung
Wir werden agil
Abschied vom Boss
Die »Zoomutung« und andere Schattenseiten
Ist das noch Arbeit oder schon Freizeit?
Epilog
Prolog
Noch zu Beginn der 2020er-Jahre haftete dem Begriff »Homeoffice« in der Firma, in der ich arbeite, etwas Bemitleidenswertes, wenn nicht gar Halbseidenes an. Mit »Viele Grüße aus dem Homeoffice« verabschiedete sich etwa eine unserer langjährigen Mitarbeiterinnen, die den Umzug in eine andere Stadt und neue Büroräume nicht mitgemacht hatte, stets in ihren E-Mails. Allen war bewusst, dass sie damit in erster Linie Anteilnahme erheischen wollte. Ich sitze hier zu Hause am Computer, war der Subtext ihrer Botschaft, und bin abgeschnitten von jeglicher Kommunikation. Bitte vergesst mich nicht, schanzt mir Aufgaben zu, haltet mich auf dem Laufenden!
Erhört wurden diese steten Hilferufe nach Aufmerksamkeit so gut wie nie. Dafür war einfach keine Zeit angesichts der beständig neuen Herausforderungen des Büroalltags. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, sie per Zoom in die wöchentlichen Redaktionssitzungen einzubinden oder für ihre Vorschläge und Ideen ein der Zusammenarbeit dienliches Slack-Tool einzurichten. Wenn sie Glück hatte, bekam sie später von jemand ihr Wohlgesinntem am Telefon eine Zusammenfassung des in der Konferenz Besprochenen präsentiert. An ihrer Situation des Außenvor-Seins änderte das wenig bis gar nichts. Es war ganz klar: Wer keinen Zugang zum Büro und seiner hermetischen Kommunikationswelt hat, der gehört im eigentlichen Sinne nicht mehr dazu. Der ist kein wirklicher Angestellter1 mehr, selbst wenn er noch vom Unternehmen bezahlt wird.
Etwas anders gelagert waren die Absichten, mit denen die angestellten Kollegen mit festem Büroarbeitsplatz den Begriff »Homeoffice« zu jener Zeit verwendeten. Wenn sie, meist etwas zu forsch, morgens per E-Mail oder am Telefon verkündeten: »Heute mache ich mal Homeoffice«, signalisierte das eine kurzfristige Abwesenheit, für die man nicht gewillt war, wertvolle Urlaubstage herzugeben. Die Gründe für solche spontanen Homeoffice-Tage konnten vielfältiger Natur sein und wurden meist nicht direkt angesprochen: Ein ungünstiger Handwerkertermin (»Wir kommen zwischen 8 und 12«), ein nicht rechtzeitig fertiggestellter Text, streikende Verkehrsbetriebe, eine durchzechte Nacht oder ein plötzlich durchbrechender Freiheitswille (»Nein, ich lasse mich heute nicht an der Kette ins Büro zerren«).
Den Homeoffice-Tagen lag also immer eine Art Ausnahmezustand zugrunde, die an der ansonsten gültigen Normalität und Notwendigkeit, der Präsenz im Büro, keinerlei Zweifel aufkommen ließ. Entsprechend akzeptierten die Vorgesetzten solche Ansagen in der Regel schulterzuckend, solange nicht an der stillen Vereinbarung gerüttelt wurde, diesen Joker des Zu-Hause-Bleibens nicht allzu oft zu ziehen. Niemals allerdings wäre es akzeptiert worden, hätte ein Kollege am Freitag verkündet: »Die nächste Woche mache ich Homeoffice.« Auch wenn er glaubwürdig versichert hätte, sein Arbeitspensum genauso gewissenhaft wie im Büro zu erledigen, ein Augenrollen und heftiges Kopfschütteln der Chefin wären ihm sicher gewesen. Um solch einen extravaganten Wunsch durchzusetzen, hätte er am Ende einen Kranken- oder Urlaubsschein gebraucht.
Wie grundverschieden ist hingegen meine Arbeitswirklichkeit heute! Seit die Corona-Pandemie die Welt im Würgegriff hält, habe ich viele meiner Kollegen nicht mehr leibhaftig gesehen. Von einem Tag auf den anderen verschwanden sie im Homeoffice und haben es bis heute nicht wieder verlassen. Wir begegnen uns nun nicht mehr auf dem Flur oder im Fahrstuhl, beim Mittagessen oder bei Meetings, sondern ausschließlich auf dem Bildschirm. Auf über Microsoft Teams eingestellten Videokonferenzen, ein- oder zweimal die Woche. Das Produkt, das wir herstellen, ein Magazin über Kunst und den Kunstmarkt, ist das Gleiche geblieben, aber die Bedingungen, unter denen es entsteht, haben sich radikal verändert.
Eine ganz ähnliche Erfahrung haben viele Angestellte in Deutschland und der westlichen Welt in jüngster Zeit gemacht. Man geht davon aus, dass seit dem ersten Lockdown etwa 30 Prozent der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik dauerhaft im Homeoffice arbeiten. Bei rund 45 Millionen Beschäftigten ist das eine stolze Zahl von rund 13,5 Millionen. Laut der Berufe-Studie 2020 der im deutschen Südwesten beheimateten HDI-Versicherung sind in dieser Zeit etwa 28 Prozent der berufstätigen Baden-Württemberger und 33 Prozent der berufstätigen Rheinland-Pfälzer ins Homeoffice gewechselt.
Studien vor Corona, wie sie etwa das ZEW, das Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, und das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung seit 2012 alle zwei Jahre durchgeführt hatten, stellten damals hingegen nur einen ausgesprochen langsam wachsenden Anteil des Homeoffice an der allgemeinen Beschäftigung fest. Das verwunderte etwas angesichts der im Umlauf befindlichen kühnen New-Work-Visionen, denen gern mit Bildern von entspannt an einem Karibikstrand ihren Laptop aufklappenden jungen Angestellten Nachdruck verliehen wurde. Nüchtern kalkulierende Unternehmer und Führungskräfte ließen sich von solchen Utopien jedoch nicht becircen (»Wo lädt der seinen Akku auf? Gibt es am Strand überhaupt WLAN?«). Sie behielten ihre grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Homeoffice bei. Zu groß war die Furcht, die Kontrolle über ihre Angestellten zu verlieren und das bewährte »Management by Zuruf« der in Deutschland so fest verankerten Präsenzkultur aufgeben zu müssen.
Etwas offener zeigte sich die Mehrheit der Angestellten, die sich zumindest ein zeitweises Arbeiten im Homeoffice vorstellen konnten. Sie hofften damit, Familie und Beruf noch besser vereinbaren zu können oder die Work-Life-Balance auf ein Optimum auszutarieren. Ein gänzliches Abtauchen im Homeoffice wäre aber auch ihnen nie in den Sinn gekommen. Berücksichtigt man diese Befunde, so lässt sich ermessen, welches gigantische Experiment in der Arbeitswelt mit der Corona-Pandemie begann. Der geradezu überstürzte, flächendeckende Rückzug ins Homeoffice markiert einen eruptiven gesellschaftlichen Wandel, dessen ökonomische, politische, soziale und mentale Auswirkungen erst langsam sichtbar werden.
Nur eines steht bereits fest: Unsere kapitalistisch verfasste Wirtschaftsordnung, der eine gewisse Freude an schöpferischer Zerstörung eingeschrieben ist, hat sich wieder einmal als überaus anpassungsfähig erwiesen. Die Geschäfte, die gemeinhin vom Büro aus betrieben wurden, kamen nicht zum Stillstand, sondern liefen nach einer kurzen Irritation erstaunlich reibungslos weiter. Anscheinend bereitete in der Angestelltenwelt die Pandemie-Umstellung weit weniger Kopfzerbrechen als in Fabriken und Ladengeschäften, Hotels und Restaurants oder Theatern und Konzertsälen.
Warum waren wir Angestellte und unsere Arbeitgeber auf das Homeoffice so gut vorbereitet? Hatte es sich vielleicht schon an anderer Stelle angekündigt? Waren die Bande, die uns an unsere Büros fesselten, womöglich bereits zerfaserter, als es den Anschein hatte? Und was macht dieser Transformationsprozess mit uns? Wer werden wir Büroarbeiter am Ende sein? Digitale Monaden (oder Nomaden), die sich untereinander vernetzen im Reich der Unternehmensserver, die über Zugang und Nichtzugang, Update oder Absturz allmächtig entscheiden?
Um all diese Fragen zu beantworten, müssen wir zunächst an einen Ort zurückkehren, den wir gerade erst verlassen haben. Das immer noch vertraute, alte Büro. Was war das für ein Leben, das wir so geräuschlos und ohne Widerstand aufgegeben haben?
1Der besseren Lesbarkeit halber wird in diesem Buch im Allgemeinen die männliche grammatische Form verwendet. Es sind aber immer alle anderen Geschlechter gleichberechtigt mitgemeint.
Kafkas Feierabend
Franz Kafka ging nicht gern ins Büro. Von dem Schriftsteller und Beamten der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt (damals hießen die Angestellten noch in Analogie zum Staatsdienst »Beamte«) ist der Stoßseufzer überliefert: »Die Stunden außerhalb des Bureaus fresse ich wie ein wildes Tier.« Das heißt im Umkehrschluss: Im Büro ist der Mensch dressiert, abgerichtet, fremden Zwecken unterworfen, alles, nur nicht er selbst in freier Entfaltung. Kafka empfand das als besonders schmerzlich, da er sein Erwerbsleben im scharfen Gegensatz zu seiner eigentlichen Arbeit, dem Schreiben, sah. Er hatte das Gefühl, im Büro »unwiederbringliche Ressourcen zu verschwenden an Dinge, die ihn im Innersten nichts angingen«, wie sein Biograf Reiner Stach konstatiert.
Bei Kafka wollen wir diesen Befund ausnahmsweise gelten lassen. Schließlich konkurrierte bei ihm das Abfassen einer »Unfallverhütungsmaßregel bei Holzhobelmaschinen« mit den Manuskriptseiten von Die Verwandlung oder Der Process. Da er von fragiler Gesundheit war, ahnte er, dass sein nächtliches Schreiben irgendwann seinen Tribut fordern würde. Viel hätte er dafür gegeben, die täglichen Stunden in der Anstalt, von Viertel nach acht bis 14 Uhr, am heimischen Schreibtisch verbringen zu können. »Wie ich heute aus dem Bett steigen wollte bin ich einfach zusammengeklappt«, schreibt er am 19. Februar 1911 seinem Vorgesetzten als Entschuldigung für sein Fernbleiben. »Es hat das einen sehr einfachen Grund, ich bin vollkommen überarbeitet. Nicht durch das Bureau, aber durch meine sonstige Arbeit. Das Bureau hat nur dadurch einen unschuldigen Anteil daran, als ich, wenn ich nicht hinmüsste, ruhig für meine Arbeit leben könnte und nicht diese 6 Stunden dort täglich verbringen müsste …«
Für die allermeisten Angestellten ist die Realität hingegen eine andere. Für sie gibt es nur »eine Arbeit«, und das ist die im Büro. Deshalb gingen sie, zumindest bis vor Kurzem, wohl auch ganz gern dorthin. Selbst wenn sie das niemals so offen zugegeben hätten. Was sollten sie auch sonst den lieben, langen Tag tun? Netflix-Serien schauen, Patiencen legen, den Keller entrümpeln? Erst das ausgewogene Zusammenspiel von Arbeit und Freizeit (euphemistisch »Life« genannt) gibt dem Menschen eine gewisse Trittsicherheit und lässt ihn erwachsen erscheinen, als vollwertiges und ernst zu nehmendes Mitglied unserer Gesellschaft. Man könnte auch sagen: Die Büroarbeit verleiht dem Leben Gehalt – ein Wort, das gleich mehrere Aspekte des Angestelltendaseins in sich vereint: den Inhalt der Aufgaben und das befriedigende Gefühl, ihnen gewachsen zu sein, die monetäre Entlohnung und vor allem den Halt im Leben.
Gerade der letzte Aspekt ist dabei nicht hoch genug einzuschätzen. Halt (oder: Sicherheit) ist eine knappe Ressource geworden in unseren nur vordergründig stabilen Zeiten. In denen – mit dem Maßstab der Jahrhunderte – sich alles permanent ändert, auf nichts mehr Verlass ist, weder auf die Familie noch die Liebe, weder auf das erworbene Wissen noch die früheren Tröstungen der Religion oder politischen Überzeugung, markierte das Büro einen Ort der Stabilität. Eine »Stelle«, von der aus sich das Leben mit seinen inneren und äußeren Herausforderungen deutlich weniger beunruhigend anfühlte. Ein Geländer, an dem man sich Tag für Tag sicher fortbewegen konnte, bis man irgendwann einmal, hoffentlich, die Pensionsgrenze erreicht hatte.
»Ich will arbeiten. Ich will mich betätigen. Ich will endlich ein Ziel vor Augen haben«, klagt Fabian, ein arbeitslos gewordener Werbetexter in Erich Kästners gleichnamigen Roman aus dem Jahre 1931. Eigentlich ist Fabian ein Seelenverwandter Kafkas, auch er träumt vom Schreiben als Daseinszweck. Zum Verhängnis wird ihm, dass sein Chef diesen Wunsch durchschaut und mit seinem ständigen Unpünktlichsein verrechnet. In Zeiten der Weltwirtschaftskrise kann Fabian damit auf weniger Nachsicht hoffen als Franz Kafka in der vergleichsweise gemütlichen Donaumonarchie. Das Klima ist rauer geworden, das Tempo hat sich beschleunigt. Fabian wird aus der Bahn geworfen, verliert den Boden unter den Füßen. Die Bedeutung einer Stelle, eines Büros, als Zufluchtsort erkennt er zu spät.
Auch mir wurde diese Bedeutung recht spät bewusst, mit Anfang 30, als ich meine erste Festanstellung antrat. Vorher hatte ich meine Adoleszenz unnötig verlängert, mich Tagträumen von einer Existenz als künftigem Bestsellerautor, Filmproduzenten oder Unternehmensgründer hingegeben, die nur in vollkommener Freiheit umsetzbar gewesen wären. Einer Freiheit, die mir immer bedrohlicher erschien, je schneller die Jahre vergingen und die ominöse 30 näher rückte. Hatte ich überhaupt genug Talent und Antrieb für meine hochfliegenden Pläne? Und was, wenn sie sich als Trugbilder erwiesen?
Wie geerdet, wie angekommen fühlte ich mich dann an meinem ersten Tag im Büro! Zugegeben, die Umstände waren perfekt: Ich hatte das Glück, bei einer vornehmen Zeitung zu landen, die mir ein Einzelbüro in einem prachtvoll sanierten Gebäude in der Mitte Berlins zur Verfügung stellte. Auf meinem Schreibtisch lagen frisch gedruckte Visitenkarten, ich war jetzt Teil von einem größeren Ganzen, dessen Glanz auf mich abfärbte. Meine gesellschaftliche Stellung hatte sich von einem Tag auf den anderen bedeutend verbessert. Wenn ich nun auf die obligatorische Kennenlernfrage »Und, was machen Sie beruflich?« antwortete: »Redakteur bei der FAZ«, konnte ich mir allgemeiner Wertschätzung sicher sein. Ich war auf einmal ein interessanter, allseits geachteter Mensch, dessen Ausführungen man gern ein Ohr lieh. Einladungen, kleine Aufmerksamkeiten und Schmeicheleien unterstützten diesen Eindruck noch. Manchmal beschlich mich das Gefühl, dass nicht ich, sondern meine Funktion damit gemeint sein könnte, aber das störte mich nicht weiter.
Mindestens ebenso wichtig wie der neu erworbene Status war mir jedoch die Struktur, die das Büro meinem Leben verlieh. Ich hatte nun jeden Morgen, im Unterschied zum entlassenen Fabian, ein Ziel vor Augen, das ich entschlossenen Schrittes ansteuern konnte. Kaum hatte ich die schwere Tür des Bürogebäudes gegen 10 Uhr aufgedrückt, begrüßte mich der Pförtner mit einem »Guten Morgen, Herr Ehlert«. Waren andere Kollegen zeitgleich eingetroffen und benutzten denselben Fahrstuhl, nickten wir uns ernsthaft und gemessen zu, voller Konzentration auf die vor uns liegenden Tagesaufgaben. Angekommen am Schreibtisch, galt der erste Handgriff dem Einschalten des Computers – nun war man im wahrsten Sinne des Wortes »angestellt«. Der restliche Arbeitstag verlief dann mal mehr, mal weniger anstrengend. Sein stetes Zentrum bildete die 12-Uhr-Konferenz, auf der man sich der gegenseitigen Anwesenheit versicherte und allgemeine Themen besprach. Gegen 18 Uhr setzte eine gewisse Unruhe ein, der Blick zur Uhr verriet, dass die Arbeitszeit sich ihrem Ende näherte. Ich zog Jackett oder Mantel über, fuhr den Computer parallel herunter und löschte das Licht. Erschöpft war ich nicht, aber etwas müde, vom vielen Sitzen und Auf-den-Bildschirm-Starren. Auch wenn mich das Gefühl, »heute richtig etwas geschafft zu haben«, nur selten überkam, war ich dennoch nicht unzufrieden und hatte keineswegs ein schlechtes Gewissen. Schließlich hatte ich dem Unternehmen wertvolle Stunden meiner Lebenszeit geopfert.
Dass diese Stunden schon damals vor allem für Kommunikation, interne wie externe, draufgehen würden, hätte ich vor dem Eintritt in die Büroexistenz nicht vermutet. Aber so war es nun einmal, und daran war offensichtlich nicht zu rütteln. Überraschend schnell gewöhnte man sich als Büroangestellter daran, die pure, vom Inhalt abstrahierte Tätigkeit als das schlechthin Reale zu empfinden. Als die von außen diktierte Notwendigkeit, die dem labilen Ich festen Boden unter die Füße und einen Gehaltszettel in die Hand gibt.
So wie der Bauer mit seiner Scholle in der agrarischen Welt verwachsen war, war es der Angestellte mit seinem Büro in der nun an ihr Ende kommenden prädigitalen Dienstleistungsgesellschaft. Es bediente sein essenzielles Bedürfnis nach einem festen Platz im Leben, wie es der Ausdruck »Festanstellung« so präzise auf den Punkt bringt. Deshalb identifizierte er sich so widerstandslos mit dem Schreibtisch, an den er gekettet war. Während kein Arbeiter jemals sagen würde: »In der Fabrik dauert es heute noch etwas länger, Liebling«, hörte sich so ein Satz für einen Angestellten durchaus plausibel an: »Schatz, ich muss gleich noch mal ins Büro.«
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