Kitabı oku: «Kampf mit den Tloxi», sayfa 2
»Hätte, hätte, Panzerkette«, äffte Rogers. »Unsere Piloten haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Ich kann ihnen nicht zum Vorwurf machen, dass sie sich nicht in die telepathischen Felder dieser Wesen einschwingen können.« Er holte Luft. »Wenn die Scyther einen Gefechtskanal oder dergleichen gehabt hätten, hätte man von gleich zu gleich mit ihnen kommunizieren können. So müssen wir uns mit Mutmaßungen behelfen.«
»Zuckerstückchen.« Ich betrat die Brücke des Explorers, wo die übliche Besatzung aus zwei Piloten und einem WO bereits auf uns wartete.
»Das gibt uns nicht das Recht, sie nach Belieben zu verheizen«, sagte Jennifer noch. Dann besann sie sich, dass wir bereits mitten in der nächsten Schlacht steckten. Mit einer unwirschen Handbewegung wedelte sie den Ersten Piloten von seiner Konsole und nahm ihren angestammten Platz ein.
»Lasst uns darüber später reden«, meinte ich.
Rogers hatte einen der rückwärtigen Sitze eingenommen und die GraviGurte aktiviert. Auch der geschasste Pilot hatte sich rasch einen anderen Platz gesucht. Als er an mir vorbeischlich, tauschte er einen komischen Blick mit mir. Ich zuckte die Achseln. Mit Jennifer Ash machte eben jeder seine eigenen Erfahrungen.
Ich kannte die Leute nicht. Sie waren nur Namen, Dienstgrade und Nummern auf meinem Display. Seit ich das Kommando der Marquis de Laplace übernommen hatte, kam ich nur noch selten in den Genuss, einmal wieder mit einem Explorer zu fliegen. Umso mehr freute ich mich auf den kurzen Hopser in die Atmosphäre von Sin Pur.
Vom Tower kam die Freigabe. Vor uns glitten die riesigen Hangartore auseinander. Der WO und der Zweite Pilot warteten noch darauf, dass wir die routinemäßigen Vorstartsequenzen herunterleierten, da gab Jennifer schon Schub aus dem Hauptreaktor, riss das Schiff mit einer ruppigen Bewegung aus seiner gravimetrischen Vertäuung und jagte uns in den freien Raum hinaus.
»Was war das denn?«, entfuhr es dem Ersten Piloten, der, zur Passivität verdammt, neben Rogers auf einem der »Besucherplätze« saß.
»Willkommen auf der Enthymesis«, sagte ich. »So haben wir das gemacht, als Sie noch zur Schule gegangen sind.«
Streng genommen handelte es sich um die Enthymesis II, das Schwesterschiff unseres guten alten Arbeitspferdes. Die Enthymesis I, die einer ganzen Flotte von interstellaren Explorern den Namen gegeben hatte, ragte als ausgeglühtes Stahlskelett aus den zinkoxidfarbenen Wüsten des Planeten Zthronmia. Sie war abgestürzt, zerschmettert, ausgebrannt. Selbst wenn wir die Zeit gefunden hätten, sie zu bergen, wäre außer dem zerknickten und verkohlten Chassis wenig zu retten gewesen. Höchstwahrscheinlich würde sie für alle Zeiten als verrenkte Skulptur in den glühenden Himmel dieser Welt ragen, als Mahnmal gegen den Irrsinn des Krieges und zugleich Dokument der Tatsache, dass dieser immer weiterging.
»Bei allem gebotenen Respekt«, sagte der Pilot. »Aber es gibt gewisse Regeln, an die auch Sie …«
»Halten Sie das Maul, Bürschchen.« Es gab Dinge, bei denen verstand General Rogers einfach überhaupt keinen Spaß. »Überlegen Sie lieber, wen Sie vor sich haben.«
Der Mann schluckte.
»Wenn es hier etwas gibt, das Ihnen nicht passt, können wir es gerne zu Protokoll nehmen. Sie sollten sich jedoch vorher überlegen, ob das Ihrer weiteren Karriere als Enthymesis-Pilot förderlich sein wird.«
»Das Vorfeld ist frei«, sagte Jennifer.
Die Scans waren abgeschlossen, das DeepField blinkte Grün. Selbstverständlich waren sämtliche Systeme online mit dem allgemeinen Gefechtskanal. An der Peripherie lohten noch ein paar kleinere Gefechte. Die Scyther schossen im Verein mit unseren schnellen Jägern die letzten Nachhuten der Laya zusammen. Ansonsten lag der Orbit der idyllischen Wasserwelt rein und strahlend vor uns.
»Vom Verband lösen«, sagte ich. »Atmosphäreneintritt einleiten. Wir fliegen zunächst in den Bereitstellungsraum über der Hauptstadt und klären dort den Status.«
Jennifer aktivierte die entsprechenden Routinen und übergab dann an den Zweiten Piloten. Als wir stabil im Sinkflug lagen und in die Einflugschneise einbogen, stand sie auf.
»Wir haben alle mal ’n schlechten Tag«, sagte sie zum Ersten Piloten, der schmollend in seinem GraviSessel hockte. Wenn man sie gut kannte, konnte man eine Entschuldigung heraushören. Der Mann sah das offenbar nicht so. Er reagierte nicht.
»Sie können Sie haben!« Jennifer deutete mit der Hand auf den Hauptbedienplatz.
Der Mann seufzte, tauschte einen ergebenen Blick mit mir und ging dann wieder an seine Konsole.
Die Enthymesis fabrizierte einen überstürzten Sonnenuntergang, als sie den Terminator passierte und in den Schatten des Planeten eintauchte. Dann gingen wir über der Nachtseite weiter herunter.
Ich stand in der Mitte der Brücke, Jennifer lehnte an der konkav gekrümmten Panoramascheibe der Steuerbordseite. In der Miene des WOs, der den Atmosphäreneintritt von seinem rückwärtigen Pult aus überwachte, las ich Missbilligung. Zwar wurden sämtliche Kräfte durch die Feldgeneratoren an Bord kompensiert, dennoch war es offiziell Vorschrift, sich während des Landeanfluges auf einen atmosphäretragenden Planeten hinzusetzen und anzuschnallen. Ganz abgesehen davon, dass in nicht allzu großer Entfernung noch die letzten Zuckungen der Schlacht flackerten.
Ich lächelte ihm freundlich zu. »Kleine Fahrt.«
Die beiden Piloten verringerten den Vortrieb. Das Schiff wurde langsamer. Das Kissen aus Plasma, auf dem es kurzzeitig geschwebt hatte, löste sich auf. Für einen Beobachter am Boden würde es aussehen, als sei ein Meteor über den Nachthimmel geglitten und mitten auf seiner Bahn plötzlich erloschen. Aber es gab keinen Boden. Die Enthymesis hielt sich jetzt auf einer fixen Position zehntausend Meter über dem schweigenden Ozean.
»Peilung.«
Der Anflug auf einen solchen Meeresplaneten war irritierender, als wenn er nur aus Wüste, Geröll oder Grasland bestanden hätte. Zumal die Umstände es mit sich brachten, dass wir uns von der Nachtseite her näherten. Nur tintenschwarzes Wasser, das an allen Seiten bis zum flacher werdenden Horizont reichte. Und indem wir langsam tiefer in die Atmosphäre einsanken, erloschen sogar die Sterne über uns.
Dort unten war nichts: keine Stadt, kein Tower, kein Leuchtfeuer. Das rudimentäre Satellitennetz, über das die Laya verfügt hatten, war abgeschaltet oder während der Kämpfe im Orbit zusammengebrochen, unser eigenes, das die Pioniertruppen der Union in den nächsten Tagen installieren würden, noch nicht online. Es war wie der Landeanflug auf einen unbewohnten Planeten, der die Segnungen der Zivilisation noch nicht zu spüren bekommen hatte. Nichts Ungewöhnliches, schließlich waren die Enthymesis-Explorer einst zu diesem Zweck konstruiert worden. Dennoch durchzuckte mich in diesem Moment die Frage, ob unsere Brückencrew so etwas überhaupt schon einmal gemacht hatte. So beleidigt der Erste Pilot gewesen war, als Jennifer ihn vom Hauptbedienplatz vertrieben hatte, so zaghaft nahm er nun die entsprechenden Manöver vor. Auf jedes meiner Kommandos reagierte er wie mit einer einprogrammierten Verzögerung.
Jennifer stieß ein charakteristisches Schnaufen aus, das ihre Ungeduld verriet. Sie hätte meine Anweisungen erst gar nicht abgewartet, sondern das Schiff in einer durchgehenden Parabel heruntergebracht und auf den Landeplatz geschmissen. Selbst Rogers, der auf seinem Kommunikator die einkommenden Meldungen seiner Geschwaderkommandanten verfolgte, sah jetzt zu mir auf und runzelte verständnislos die Stirn.
»Ein bisschen mehr Gas können Sie ruhig geben«, sagte ich zum Pilotenteam. »Und machen Sie Meldung, wenn Sie eine Peilung haben.«
Die Enthymesis beschleunigte wieder. Sie bog auf den Äquator ein und folgte ihm in westlicher Richtung, wobei sie langsam weiter an Höhe verlor. Im Augenblick waren wir noch achttausend Meter über dem tiefschwarzen Ozean.
»Pura City auf zwölf Uhr«, meldete der Erste Pilot nach einer Weile.
Das hatte man jetzt sogar mit bloßem Auge sehen können. Die Stadt, die einzige größere Agglomeration des Planeten, kam über den Horizont. Es fiel auf, dass die Randbezirke hell erleuchtet waren, das Zentrum jedoch nicht. Die Metropole lag wie ein riesiger schwarzer Krater in der Nacht. Offenbar hatte es in den inneren Bezirken einen Blackout gegeben, was wiederum darauf hindeutete, dass dort noch gekämpft wurde.
»Kein Leitstrahl«, meinte der Pilot noch. »Soll ich einen anfordern?«
Jennifer prustete durch die Nase. Rogers ließ ein ungläubiges Grunzen hören.
»Dort unten wird gekämpft«, entgegnete ich. »Man wird Ihnen schwerlich den roten Teppich ausrollen.«
Von ihrem Standort an der Backbordscheibe senkte Jennifer einen Blick in mich.
Bei dem Wort »gekämpft« war der Pilot blass geworden. Was waren das nur für Greenhorns? Seit ich Kommandant der Marquis de Laplace war, hatte ich die Enthymesis-Flotte vernachlässigt. Etwas zu sehr, wie sich jetzt herausstellte. Bei Gelegenheit würde man sich die Rekrutierungsmaßnahmen der Ausbildungsgeschwader und die Zuteilung der Schichten etwas genauer ansehen müssen. Aber es war jetzt nicht der geeignete Augenblick dafür. Auch dafür nicht! Für wie viele Dinge war nicht der passende Moment, und das schon seit vielen Jahren!
»Da ist noch etwas«, sagte der Mann.
Ohne dazu aufgefordert zu sein, hatte er wieder Vortrieb weggenommen. Wir schlichen uns bei Kleiner Fahrt an die Stadt heran, die wie eine Schüssel aus Licht, in deren Mitte das Dunkel schwappte, vor uns in der Nacht lag. Dahinter kam ein weiteres Phänomen über den Horizont und augenblicklich ging im Orchester unserer Instrumente eine ganze Kakofonie los.
»Meldung!«, rief ich. »Was zur Hölle ist da los?«
Rogers hatte sich in seinem Sessel aufgerichtet und lugte neugierig nach vorne. Selbst Jennifer hatte ihre lässige Haltung gegen eine etwas interessiertere eingetauscht.
»Ein elektromagnetischer Impuls«, rasselte der Pilot herunter. »Starke Entladungen in allen Spektren. Konzentrische Wellen von bis zu zwanzig Metern.« Der Mann stockte.
»Oh!«, machte der Zweite Pilot.
Vor uns stand ein Atompilz in der Nacht.
»Verdammte Scheiße!«, entfuhr es mir.
Die Explosion musste sich ereignet haben, als wir unter dem Horizont waren. Sie konnte nicht länger als dreißig oder vierzig Sekunden her sein. Jetzt entfaltete sich die charakteristische Pilzwolke, die noch intensiv von innen heraus leuchtete. Eine glühende Blume, die langsam weiter aufstieg. Der Kopf wurde allmählich dunkel und unsichtbar. Er verschmolz mit dem Nachthimmel. Der hohe Blütenschaft, der immer höher und dünner geworden war, wurde von den Passatwinden verweht.
Die beiden Piloten hatten das Schiff gestoppt. Noch ein paar Kilometer von Pura City entfernt, keine dreitausend Meter hoch, starrten wir zu der blau glosenden Ikone der Moderne hinaus, die ganz langsam in das ozeanische Finster dieser Nacht einsickerte. Der Fußpunkt der Pilzwolke befand sich nordwestlich, wenige Kilometer jenseits der Hauptstadt. Um deren Kais brandete gerade der künstliche Tsunami, der durch die Detonation ausgelöst worden war.
»Wer hat das angeordnet?«, fragte ich.
Mir war aufgefallen, dass Rogers sich beim Anblick der Wolke entspannt hatte. Genüsslich vor sich hin grinsend, hatte er sich wieder in seine Polster aus modifizierter Gravitation sinken lassen.
Die Frage war rhetorisch.
»Der alles hier anordnet«, brummte er, ohne aufzusehen.
»Was soll das?« Ich musste mich ernstlich zusammenreißen. »Der Einsatz von atomaren Waffen unter atmosphärischen Bedingungen ist nur in akuten Notfallsituationen …«
»Langweile mich nicht mit den Gefechtsvorschriften, Frank.« Der General gähnte, ohne von seinem Display aufzusehen. »Ich habe sie selbst erlassen.«
»Aber du hältst dich nicht daran«, rief ich. »Wir sind im Landeanflug und du lässt uns einen Gefechtskopf vor die Nase setzen?«
»Es war ein kleines taktisches Kaliber«, dozierte er, »eine Kilotonne oder so.« Immerhin ließ er jetzt für einen Moment den Kommunikator und gönnte mir einen Blick. »Selbst ein Volltreffer würde diesem Schiff nichts anhaben.«
»Dort unten kämpfen unsere Bodentruppen! In der Stadt sind Zivilisten!«
Ich ging nach vorne und ließ mir das Radarbild auf die Frontscheibe projizieren. Der Atomschlag war auf eine kleine Insel, wenige Kilometer vor der Küste, niedergegangen, aber er hatte einen tiefen Krater in die Wassermassen geschlagen, die sie umgaben. Die Wellen breiteten sich konzentrisch aus und wurden dabei langsam niedriger. Immerhin war der äußere Kranz mehr als zwanzig Meter hoch. Und als er die auf der Nordseite gelegenen Hafenanlagen Pura Citys erreichte, bäumte er sich zu einer Wasserwand der doppelten Höhe auf. Das gesamte Viertel wurde überflutet, Industrieanlagen und Containerterminals wurden ins Meer gerissen. Unersetzliche Werte wurden vernichtet. Ob Menschen zu Schaden kamen, war aus dieser Perspektive nicht auszumachen.
»Auf der Insel befand sich die Feuerleitzentrale«, sagte Rogers. »Radar. Luftabwehr. Auch weitreichende Raketenstellungen, mit denen sie sogar den Orbit bestreichen konnten.«
»Und da schmeißt man vorsorglich eine Atombombe drauf?«
»Ein Landungsunternehmen hätte mindestens zweihundert unserer Soldaten das Leben gekostet.« Wie immer, wenn er besonders eindringlich wirken wollte, senkte er den Kopf und sah mich über den Rand einer imaginären Brille hinweg an. »Es gibt Berechnungen für so etwas. Und Erfahrungswerte. Der Krieg ist eine Wissenschaft wie jede andere auch. Manche behaupten sogar: eine Kunst!«
»Das ist Stümperei.« Ich holte tief Luft. »Einfach mal mit dem größtmöglichen Kaliber draufhalten.«
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Jennifer mich mit diesem schmerzlichen Lächeln musterte, das mich immer ganz besonders in Rage brachte.
»Haltet mich für naiv, wenn ihr wollt«, grollte ich, »aber aus der Nummer bin ich raus.«
Ich sah zu, wie sich die Wolke hoch über unseren Köpfen abflachte, als sie die eisigen dünnen Luftschichten der Stratosphäre berührte. Es wetterleuchtete darin wie in einem Gewitteramboss. Die Wasserwelle hatte Pura City umlaufen und verlor sich nach allen Seiten im Ozean.
»Wenigstens hättest du mich informieren müssen.«
Mehr fiel mir nicht mehr ein.
»Du weißt genau so gut wie ich, dass das nicht annähernd unsere größtmöglichen Kaliber sind«, sagte Rogers noch. Dann war auch für ihn die Sache erledigt.
»Landeanflug fortsetzen!«, sagte ich zu den beiden Piloten. Sie hatten der Auseinandersetzung mit der Bestürzung beigewohnt, mit der Kinder einem Streit ihrer Eltern lauschen. Jetzt waren sie froh, sich wieder ihren Instrumenten widmen zu können.
»Der Raumhafen ist noch nicht gesichert«, sagte Rogers, als wir langsam auf die Stadt zuschwebten.
»Wie lange dauert es?«, fragte ich.
»Zu lange.«
»Dann gehen wir hier runter!« Ich markierte die Position auf dem Stadtplan, den ich mir auf mein Handkom gelegt hatte, und gab die Koordinaten an die Piloten weiter.
»Die Innenstadt ist in unserer Hand.« Rogers nickte meine Entscheidung ab. »Der Platz und die City sind gesichert. In den Außenbezirken wird noch gekämpft. Aber das ficht uns ja nicht an.«
»Sie haben es gehört«, sagte ich zu den Piloten. »Setzen Sie dort auf.«
Die Enthymesis schwenkte ein und richtete sich auf den neuen Kurs aus.
Der Chronist
Die Geschichte ist die Geschichte der Imperien und der ihnen notwendig korrelierenden Politik. Das Vorgehen eines Imperiums unterscheidet sich von dem einer bloßen Großmacht dadurch, dass es nach und nach sämtliche Willkür einbüßt. Indem sie Imperium wird, überschreitet eine Macht eine Schwelle, sie erreicht eine kritische Masse, die ihr von nun an die Gesetze ihres Handelns diktiert. Die Entscheidungen eines Imperiums sind von physikalischem Charakter. Deshalb ist es jenseits der Schwelle belanglos, wer auf dem Thron des Kaisers sitzt. Ein Apfel fällt vom Baum, ob nun ein Trottel oder ein Genie darunter sitzt, und das Imperium kann nichts anderes tun, als sich der Gravitation namens Macht zu überlassen. Macht ist Machterhalt und Machterwerb, wie Massen andere Massen anziehen. Der Umgang Roms mit aufständischen Provinzen gibt für alle Zeiten das Muster, etwa im Jüdischen Krieg. Man schätzt, dass die Niederwerfung der Erhebung in Judäa eine Million Zivilisten das Leben kostete. Am Ende stand in Jerusalem kein Stein mehr auf dem anderen, der Tempel war geschleift. Im Lauf seiner Geschichte hat Rom Dutzende solcher Strafaktionen durchgeführt und jede war immer auch ein Exempel, adressiert an die zahllosen anderen Völkerschaften des Riesenreiches und ihren unauslöschlichen Drang, die gute fremde durch eine schlechte eigene Regierung zu ersetzen. Wenn einer von ihnen nachgegeben worden wäre, wäre das Imperium in wenigen Jahren zu einem Diadochen-Wirrwarr zerfallen wie das Alexanderreich nach dem Tode seines Gründers, der schon zu Lebzeiten nur erobern, aber nicht befrieden konnte. Die römische Haltung war die der Rücksichtslosigkeit, die ein Problem erst dann als gelöst ansah, wenn es gelöst war – unabhängig von den Mitteln, die dazu nötig waren. Karthago wurde ausgelöscht. Aber schon nach Zama spürten Häscher in Kleinasien den flüchtigen Hannibal auf und brachten ihn um, dessen bloße Existenz noch immer eine Beunruhigung war. Man braucht sich nur einmal vorzustellen versuchen, wie sie mit späteren Konflikten umgegangen wären. Senat und Volk von Rom, mit einem Vorfall wie dem »Elften September« konfrontiert, würden in der Heimat der Attentäter gewiss nicht Brunnen gegraben und Schulen gebaut, sondern das Land auf den Kopf gestellt haben, bis die Drahtzieher am Kreuz gehangen hätten.
Das Dilemma der modernen Imperien seit Pearl Harbor ist es, imperiale Politik unter demokratischen Prämissen und mit humanitären Verbrämungen durchführen zu müssen. Hellsichtige Geister haben das schon früh gesehen. In den Worten des älteren Ash, formuliert unter dem Eindruck der Schlacht von Persephone: »Wir müssen die Freiheit beiseitestellen und uns in bittere Herrschaft fügen!« Über die fünftausend Toten, die der War against Terror einst die USA gekostet hat, würde ein römischer Senator gelacht haben, umso verächtlicher, als ihnen bis zuletzt keine vorzeigbaren Ergebnisse entsprachen. Mit den Ressourcen der USA würde ein Vespasian den Nahen und Mittleren Osten in Schutt und Asche gelegt und der Hydra al-Qaida die Stümpfe gerodet haben. Das ist bei der Allgegenwart der Medienwelt und der Empfindsamkeit des Publikums im 21. Jahrhundert nicht möglich gewesen. Man möchte den Wohlstand genießen und seine Feinde hinter Gittern wissen, aber Blut darf es keines kosten, nicht einmal das der erklärten Gegner der eigenen Weltordnung.
Nach Actium trat das Römische Imperium in die Augusteische Phase seiner Geschichte. Die Gegner im Äußeren waren niedergerungen. In ihnen hatte man es mit Großmächten zu tun gehabt, denen man militärisch auf gleicher Augenhöhe, kulturell mit dem Minderwertigkeitsgefühl des Emporkömmlings entgegengetreten war: Karthago, Griechenland, Ägypten. Zur Zeitenwende war das Imperium machtpolitisch saturiert und geografisch arrondiert. Die Phase der Aufstände und kleinen Grenzkonflikte schloss sich an. Das Errungene wollte auch behauptet sein. Im ersten und zweiten Jahrhundert kämpften die Legionen in Schottland und am Schatt al-Arab. Das Imperium erstreckte sich von den Bernsteinküsten zur Libyschen Wüste, von den Säulen des Herkules bis zum Kaukasus. Im Äußeren gab es keine Feinde mehr. Die vorherrschende Bedrohung war der schwelende, mal hier, mal dort virulente Separatismus der Völker, die zur Pax Romana zusammengezwungen worden waren und die, wie es der Natur des Menschen entspricht, die kleinen Nachteile höher bewerteten als die großen Vorteile, die ihnen das brachte. Die Römer waren, wie später die Briten, milde Herren, die in religiösen und kulturellen Dingen fünfe gerade sein ließen, solange Caesar gegeben wurde, was des Caesars war. Dafür boten sie Sicherheit und Stabilität sowie all die Errungenschaften einer Hochzivilisation, der in der Weltgeschichte wenig an die Seite zu stellen ist. In der Regel haben sich die Völker dareingefunden.
Auf die Phase der asymmetrischen Bedrohung durch Aufstände im Inneren und an den Rändern folgte endlich die dritte, die des Zerfalls, in der das Imperium dem erstarkenden Ansturm von Germanen, Parthern und Hunnen nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Seine Größe hatte es sicher, und seine Sicherheit hatte es leichtsinnig werden lassen. Geschichtslose Völkerschaften, Reiterhorden, Steppenstämme, die unfähig waren, eine Wasserleitung in Rom instand zu halten, fegten das Reich in den Rinnstein der Geschichte.