Kitabı oku: «Persephone», sayfa 5
»Würde dir das Spaß machen?«
»Nein.« Er streifte das Kettchen, an dem das Medaillon baumelte, über den Kopf und deponierte es auf dem Nachttisch. »Was soll ich den Leuten sagen? Dass ich nur abgehangen bin? Mich vor aller Welt verborgen habe? Mich in mein Selbstmitleid vergraben habe?«
»Ich denke, du bist in letzter Zeit gut vorangekommen«, erwiderte Madeleine. »Allein, dass du die Einladung deines Freundes angenommen hast, ist ein Fortschritt. Vor einem Jahr wäre das undenkbar gewesen.«
»Ja, du hast recht.«
»Und dann sitzt du bis morgens früh und plauderst! Großes Lob!«
»Du sollst mich nicht verspotten, Madeleine.«
»Ich verspotte dich nicht, Laertes.«
»Du hast Bewusstsein und eine Persönlichkeit. Vielleicht hast du inzwischen tatsächlich so etwas wie eine Seele. Aber manche Dinge wirst du trotzdem nie begreifen. Weil du sie nicht nachempfinden kannst.«
»Den Schmerz?«
»Das Bewusstsein, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Das Gefühl des Unwiederbringlichen.«
»Es tut mir leid. Ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Aber ich denke, du kehrst trotz allem langsam ins Leben zurück. Es mag trivial klingen, zumal von einem Computer, aber du solltest jetzt nach vorne schauen, Laertes.«
»Ich bin ja schon dabei.«
Er schlüpfte ins Bett und deckte sich zu. Die Decke war leicht und angenehm. Das Fenster stand einen Spalt weit offen. Der Nachtwind führte das Geräusch der Brandung und den Geruch des Meeres mit sich.
»Was gibt es Neues?«, fragte er. »Was machen unsere heldenhaften Freunde bei der Eroberung der Galaxis?!«
»Oh, es gibt tatsächlich Neuigkeiten«, sagte Madeleine.
»Offizielle?«
»Nein.« Die KI klang beinahe so, als habe sie gekichert. »Nichts was du in den Nachrichten der Medien findest!«
»Stabslog?«
»Nicht einmal das!«
»Jetzt spann mich aber nicht länger auf die Folter!«
Laertes wusste, dass Madeleine bisweilen eigenmächtig geheime, streng geheime und absolut geheime Kanäle anzapfte. Er hatte sie dazu nicht ausdrücklich aufgefordert, aber er unternahm auch nichts dagegen. Sie hatte ihren eigenen Kopf. Und als ehemalige Bordentität des größten Schiffes der Menschheit hatte sie sich den Anspruch bewahrt, über alle Vorgänge im Tätigkeitsbereich der Union auf dem laufenden zu sein.
»Rogers hat etwas ausgeheckt.«
»Erzähl!«
»Ein neues Modul.«
»Eine Waffe?«
»Eigentlich nicht. Offiziell ein System zur Erstellung von Planetenprofilen.«
»Seismische Sprengungen.«
»Etwas in der Art, aber mit einem ordentlichen Kaliber!«
»Atombomben?«
»Größer.«
Laertes pfiff durch die Zähne. »Ein offizielles Projekt der Union?«
»Offiziell schon!«
»Und inoffiziell?«
»Ein konfuses Netz aus Geldgebern, Stiftungen, obskuren Instituten und Scheinfirmen.«
»Die Mauretanier?«
»Nein. Oder doch nicht so, dass man sie identifizieren könnte.«
»Das sieht ihnen ähnlich.« Laertes gähnte. »Wie nah kommst du ran?«
»Alle Fäden laufen bei einer Organisation zusammen, deren Namen ich noch nie gehört habe.«
»Und das will etwas zu heißen haben.«
»Interessiert es dich?«
»Nur, wenn es nicht mehr lange dauert. Ich bin todmüde.«
»Sie nennen sich Unsichtbare Front!«
Kapitel 3. Alarm
Auf dem Asteroiden herrschte blanke Panik. Die Wissenschaftler stürzten von den Tloxi weg, wobei sie einander anrempelten, umstießen oder sich gegenseitig den Weg zu den Schleusen versperrten. Manche hatten Probleme, ihre Helme aufzusetzen und die Visiere zu schließen. Sie alle waren Spezialisten, Experten, Technokraten. Sie hatten weder besonders viele Außeneinsätze auf dem Buckel noch gar Kampferfahrung. Die letzte Notfallübung lag Jahre zurück. Das rächte sich jetzt, als sie in blindem Fluchtreflex aus der Quarantänestation zu kommen versuchten und dabei alles nur noch schlimmer machten.
Die Tloxi standen äußerlich unverändert da, auch der, den Schleuner durch sein unvorsichtiges Handeln umgeworfen hatte. Obwohl sparsame Gesten, die sie hin und wieder ausgeführt hatten, bewiesen, dass sie sich bewegen konnten, reagierten sie jetzt nicht auf die kopflose Flucht ihrer Besucher. Lediglich ihre rot glimmenden Augen waren für einen Moment drohend aufgeleuchtet und dann zu schwarzen Elementen erloschen.
»Schleuner!« Das war die Stimme von Doina Gobaidin.
Die Lokale hallte von dem Ächzen und Stöhnen der Wissenschaftler wider, die sich gegenseitig durch die Schleusen schoben und zum Shuttle hinüberliefen. Aber jetzt hatte sich eindeutig die Brücke der MARQUIS DE LAPLACE direkt in die Kommunikation eingeschaltet.
»Bewegen Sie Ihren Arsch da weg!«
»Wir sind dabei«, keuchte der Chef der Planetarischen. Er stand im Vorraum eines der Ausgänge und war immer noch damit beschäftigt, Kristina Nursins Haar in ihren Helm zu stopfen, damit dieser sich hermetisch schließen ließ.
»Alle Mannschaften von der Quarantänestation abziehen«, sagte die Vizeadmiralin noch einmal streng und gebieterisch. »Begeben Sie sich zur Fähre, die wird Sie zum Mutterschiff zurückbringen.«
Endlich rastete Kristinas Helmkupplung ein. Die Anzeige der Schleuse, die online auf der Anzugsteuerung der Exo-Biologin war, ging auf Grün und gab den Einstieg frei. Solange der Helm nicht geschlossen war, wäre die Schleuse gar nicht erst in Aktion getreten, denn der Ausstieg auf den atmosphärelosen Asteroiden war ohne Schutz natürlich tödlich.
»Mein Gott!« Schleuner stieß seine Kollegin und die dritte Wissenschaftlerin, die ihnen geholfen hatte, in die Schleusenkammer. Die Luft wurde abgesaugt. Durch die transparente Folie, die ins Innere der Station wies, sahen sie die fünf Tloxi, die immer noch friedlich und unbeeindruckt beieinander standen. Sonderbarerweise war dieser Anblick unerträglicher und angsteinflößender, als es jede noch so aggressive Handlung der Winzlinge je hätte sein können.
Die äußere Tür ging auf. Sie stolperten in den weichen Staub hinaus.
»Langsam«, sagte Schleuner.
Keiner von ihnen war geübt, was derartige Einsätze anging. Sie mussten sich ganz auf die integrierte Steuerung der Anzüge und auf die Gravipander in den Stiefel verlassen. Unbeholfen und schwankend wie kleine Kinder, die glucksend ihre ersten Schritte absolvieren, arbeiteten sie sich auf das Shuttle zu. Der Rest der Crew war schon eingestiegen. Die Triebwerke waren warm. Sowie sie sich irgendwie hineingehievt und die Luke geschlossen hatte, würde der Pilot abheben und bei Höchstbeschleunigung hochziehen.
»Nicht hyperventilieren«, sagte die Gobaidin auf dem offenen Kanal. »Wir regulieren mal ein bisschen euer Gemisch.«
Aus dem Augenwinkel registrierte Schleuner, wie irgendwelche Anzeigen in seine Sicht projiziert wurden. In der nackten Panik, die in seinem Schädel wühlte, hatte er einen Tunnelblick. Er nahm zur Kenntnis, dass einige Parameter der Atemluft verändert wurden, aber er war nicht in der Lage, sie vernünftig zu kommentieren, geschweige dass er eine solche lebenswichtige Anpassung selbst hätte vornehmen können.
»Ganz ruhig, Leute.« Die Stimme der Vizeadmiralin klang barsch, aber gerade das tat gut in dieser Situation.
Allmählich bekam Schleuner wieder ein wenig Zuversicht. Sie kamen besser mit den Anzügen klar. Die Ohren, die einen Zeit lang fast taub gewesen waren, wurden wieder frei. Es waren nur noch wenige Schritte. Er wartete, bis die beiden Wissenschaftlerinnen eingestiegen waren, und stemmte sich dann in die Luke. Irgendwie fand er sich auf einem Sitzplatz wieder. Die Gravigurte schlossen sich um Brust und Hüfte. Die Schleuse war zu. Das Shuttle hob ab.
»Verdammt nochmal.« Schleuner ließ sich in die Polsterungen fallen. »Was war das denn bitte?!«
Keiner antwortete. Das Shuttle stieg einige hundert Meter auf, schaltete dann auf Vortrieb und nahm Kurs auf die MARQUIS DE LAPLACE, die als kleiner silbriger Stift vor ihnen im Raum hing.
»Haben wir irgendetwas registriert? Eine Aktivität? Haben sie das untereinander abgesprochen?«
Auch jetzt reagierte niemand. Schleuner atmete einige Male tief durch. Dann hatte er sich soweit wieder im Griff, dass er die Statusmeldungen seines Anzugs studieren konnte. Puls, Blutdruck und Atmung waren stark erhöht, beruhigten sich aber langsam wieder. Dass ihm das Adrenalin zu den Ohren herauskam, spürte er auch ohne die dezenten Graphen auf seinem Unterarmdisplay. Ohne die Absenkung des Sauerstoffgehalt in ihrem Gemisch, die zentral von der Brücke des Mutterschiffs aus vorgenommen worden war, hätten sie alle hyperventiliert und lägen jetzt ohnmächtig irgendwo im Vorraum der Schleusenkammern herum.
Er nestelte an seinem Hals, um die Verriegelung des Helms zu lösen. Die Anzeige war zwar noch rot, aber das konnte ja hier an Bord des Shuttles eigentlich nicht sein!
»Negativ!« Die Art, wie die Vizeadmiralin jeden einzelnen Handgriff kommentierte, konnte einen paranoid werden lassen. »Sie werden Anzüge und Helme anlassen. Wir bringen Sie auf die Quarantänestation im Kleinen Drohnendeck, wo Sie die volle Dekontaminierungsprozedur durchlaufen werden.« Ihre Stimme war ohne Triumph, als sie noch hinzufügte: »Tut mir leid, Schleuner. Aber das haben Sie sich jetzt selber zuzuschreiben.«
»Aye«, sagte er nur. »Sie haben natürlich recht.« Er seufzte. Das Prozedere war ekelhaft. Er war selbst in der Kommission gesessen, die es ausgearbeitet hatte. Am eigenen Leib hatte er es noch nie durchgemacht. Aber er stellte es sich einigermaßen – entwürdigend vor.
»Sie hatten Recht, Vizeadmiralin«, wiederholte er ergeben. »Bitte entschuldigen Sie!«
»Kein Problem.« Jetzt schlich sich doch ein Gran Genugtuung in die Antwort der stellvertretenden Kommandantin. »Das müssen Sie jetzt selber ausbaden. Sie und Ihre allzu ungestüme Mannschaft.«
Schleuner fragte sich, wo Wiszewsky eigentlich steckte. Er hatte natürlich die Verantwortung für das ganze Schiff, nicht nur für das Sonderkommando von einer Handvoll Wissenschaftler. Auf der Brücke und auch auf der Planetarischen waren sie jetzt hoffentlich dabei, den seltsamen Vorgang zu analysieren und ihre Schlüsse daraus zu ziehen. War die Sicherheit des Mutterschiffs selbst in irgendeiner Weise davon betroffen? Schleuner konnte es kaum erwarten, in seine Abteilung zu kommen und sich die Protokolle dessen, was vor Ort einfach nur unbegreiflich gewesen war, in Ruhe zu durchzusehen. Aber vorher musste er schreckliche Dinge über sich ergehen lassen. Und was das Schlimmste war: Bis sie wirklich sicher waren und er selbst es vertreten konnte, dass sie sich wieder frei auf der MARQUIS DE LAPLACE bewegten, würden mehrere Stunden vergangen sein!
Immer wieder sah er den Tloxi vor sich. Die wenigen Sekunden, in denen die toten Augen des Roboters aufglühten und dann erloschen, liefen in Endlosschleife in seinem Gehirn ab. Unwillkürlich hatte er erwartet, dass die fünf Wesen sie attackierten oder unerträglich fremdartige Geräusche ausstießen, und seltsamerweise erwartete er das auch jetzt noch, jedesmal wenn die Sequenz wieder vor seinem geistigen Auge ablief, obwohl er ja schon wusste, dass nichts dergleichen geschehen war und dass sie in Sicherheit waren.
Waren sie das?
Seine Magennerven behaupteten etwas anderes. Und denen stand die eigentliche Prüfung noch bevor! Immer wieder zwang er sich, den Trost der weißen Schulterpolster aufzusuchen und sich dem sanften Schub des Shuttles zu überlassen. Es wollte ihm nicht gelingen, sich zu entspannen und die Episode als erledigt zu betrachten.
Plötzlich warf ein harter Schlag sie in die Gurte, während jeder Zoll des Fahrzeugs empört krachte und knirschte. Das Shuttle macht einen Satz, als wäre es mitten im leeren Raum gegen eine unsichtbare Wand geknallt. Das Mutterschiff, das direkt vor ihnen gelegen hatte und in seinem filigranen Bau schon gut zu überblicken gewesen war, verschwand. Dann befand es sich auf einmal halblinks, auf einer Zehn-Uhr-Position! Alle Systeme des Shuttles schrien gequält auf und brachen zusammen. Es wurde dunkel. Das flache Hecheln von Menschen, die kurz davor waren, hysterisch zu werden, erfüllte die Lokale Kommunikation. Dann fiel auch dieser Rest technischer Zivilisation dem Chaos anheim.
Auf der ERIS kehrte allmählich Ruhe ein. Rogers und der Rest seiner Crew hatten noch ein wenig gefeiert. Dann verabschiedeten die jungen Physiker und Planetologen, die der Veteran des Erstfluges auf dieser Mission um sich zusammengeschart hatte, sich einer nach dem anderen. Anthony Grainer hatte sich bereiterklärt, die Nachtschicht zu übernehmen. Regulär wäre Dr. Brini an der Reihe gewesen, der jetzt aber bereits viele Lichtjahre entfernt zum Erdsystem unterwegs war, um die sensiblen Daten des Versuchs unter Protest an eine anonyme Stelle zu überspielen.
Man hätte den abgelegenen Außenposten auch für ein paar Stunden in der Obhut der Automatik lassen können. Außerdem hatte Dr. Rogers erklärt, er werde sich die Testergebnisse noch einmal in Ruhe anschauen und jedenfalls nicht so schnell ins Bett gehen an einem solchen Tag. Dennoch hatte Tony darauf bestanden, auf seinem Posten zu bleiben. Vermutlich ging es ihm auch nicht anders als seinem Vorgesetzten. Am Ende dieser historischen Schicht würde er sowieso keinen Schlaf finden. Da konnte er sich auch noch ein paar Stunden hinter seine Konsole klemmen und die Protokolle des Systems durchsehen, das er in Ermangelung eines offiziellen Codes bei sich »Thors Hammer« nannte.
Die anderen hatten sich auf ihre spartanischen Kabinen zurückgezogen. Grainer holte sich einen Kaffee aus der kleinen Kombüse auf der Arbeitsebene der ERIS und kehrte dann in den Kontrollraum zurück. Das Deck, das auf drei Seiten aus großen Panoramafronten bestand, lag im versöhnlichen Licht des späten Nachmittags. Die Sand- und Geröllwüsten unter ihnen, aus denen sich kaum höhere Gebirge abhoben und in denen es auch keine ozeanischen Becken gab, leuchteten still und im warmen Ton von uraltem verwittertem Gestein. Eben überflogen sie wieder den stadtgroßen Einschlagskrater, der auch mit bloßem Auge gut zu erkennen war. Ein flacher Trichter, der tatsächlich aussah, als habe ein Gott mit einem riesigen Hammer auf den Planeten eingeschlagen und ihn wie einen mächtigen Gong zum Schwingen gebracht. Dr. Rogers stand vorne am Hauptbedienplatz und war in die Datenkolonnen seiner Konsole vertieft.
Grainer fragte ihn schuldbewusst, ob er ihm auch einen Kaffee machen solle, aber der Stationsleiter erklärte, er werde beim Whisky bleiben, schließlich liege das offizielle Schichtende bereits hinter ihnen. Grainer ließ das auf sich beruhen. Ihm war schon früher bei vergleichbaren Anlässen aufgefallen, dass auch starker Alkohol keine erkennbaren Auswirkungen auf seinen Vorgesetzten hatte. Zwar bekam Rogers relativ schnell einen roten Kopf und die ohnehin hohe Wahrscheinlichkeit, in einen seiner gefürchteten cholerischen Anfälle zu geraten, nahm deutlich zu. Aber seine Denkfähigkeit schien von seinem Lieblingsgetränk nicht eingeschränkt zu werden. Im Gegenteil. Rogers wirkte hellwach und konzentriert. Er schaltete ununterbrochen zwischen den verschiedenen Darstellungsformen hin und her, rief pausenlos neue Protokolle auf, wechselte blitzschnell die Maßstäbe und grafischen Aufbereitungen und machte bei alldem den Eindruck eines Mannes, der vollkommen in seiner Arbeit aufging.
Grainer suchte sich einen freien Platz und wählte sich ins System ein. Inzwischen war der Ort des Geschehens schon wieder verschwunden. Die niedrige Bahn der ERIS und die damit verbundene Hohe Orbitalgeschwindigkeit brachten es mit sich, dass die Station den kleinen Planeten in kaum mehr als einer Stunde umrundete. Da der Umlauf um mehr als dreißig Grad gegen den Äquator geneigt war und da Orkus sich natürlich weiterdrehte, kam man nicht bei jeder Runde an der selben Stelle vorbei. Die Vektoren der Mission überstrichen die unter ihr liegende Welt in sinusförmigen Kurven, die jedesmal wieder um ein paar Längenkreise versetzt waren. Im Zeitraffer sah es aus, als würde ein Künstler mit hoher Eleganz Scheiben von einer Apfelsine schneiden.
Inzwischen verfügten sie auch über das Röntgenbild des Planeten. Sie konnten eine holographische Totale erzeugen, deren Auflösung auch größere Felsbrocken von zehn Metern Kantenlänge umfasste, und in allen denkbaren Richtungen hin und her drehen. Ein bisschen wie wenn man eine Apfel in der Hand drehte, der transparent war und sich bis zur Größe eines Zweipersonenzeltes aufblasen ließ. Der Tiefenscan hatte die geologischen Strukturen im Inneren der Welt sichtbar gemacht. Ein heißer, schwach eisenhaltiger Kern, um den sich die Zwiebelschalen des Mantels mit seinen verschiedenen glutflüssigen Schichten lagerten. Schließlich die Kruste, die unspektakulär war. Der Planet war schon stark ausgekühlt. Die Magma wies kaum noch Konvektionsströme auf. Dementsprechend waren auch plattentektonische Vorgänge und Vulkanismus weitgehend zum Erliegen gekommen. Es war ein weitgehend ausgehärteter Klumpen aus Fels, dessen landschaftliche Oberfläche nur noch ein Prinzip kannte: Erosion. Und diese musste, da das Wasser schon vor Jahrmillionen von der Welt verschwunden war, im wesentlichen vom Wind bewerkstelligt werden. In der Kruste gab es Lagerstätten, die eine Erschließung unter Umständen interessant machten. Es war nicht ihre Aufgabe, darüber zu befinden. Die Entscheidung darüber, ob der Planet zur Ausbeutung seiner Zink-, Bauxit- und Uranvorkommen freigegeben würde, lag in anderen Händen, die sie von den ökonomischen Rahmenbedingungen abhängig machen würden. Ein Terraforming war nicht ausgeschlossen, aber vermutlich aufwendig. Im Augenblick war Orkus kein besonders wohnlicher Ort. Eventuell würde man sich mit einem Kompromiss behelfen und automatische Schürfstationen absetzen, die den Teil der Rohstoffe abbauten, der einigermaßen zugänglich war.
Aber das war nicht ihr Problem. Sie hatten nur das Röntgenbild geliefert. Diagnose und Therapie fielen in andere Zuständigkeit. Zumal es hier und heute nur darum gegangen war, den Beweis zu erbringen, dass das Röntgengerät funktionierte. Es funktionierte, und zwar in einer überwältigenden Weise, die das Herz jedes Geologen und Planetologen höher schlagen lassen musste.
»Faszinierend, nicht!«
Grainer schrak zusammen. Er war so in den Anblick des ungeheuer detailscharfen Hologramms vertieft gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wie Rogers zu ihm herübergekommen war.
»Allerdings«, stammelte er, als er sich wieder gefangen hatte.
»Viele Jahre Arbeit«, sagte Rogers. »Aber trotzdem hätten wir uns nie träumen lassen, dass das Resultat einmal so großartig vor uns stehen würde.« Er zwinkerte seinem Mitarbeiter mit seinen kleinen Äuglein zu. »Mit Hände zu greifen, sozusagen.« Als er den Arm ausstreckte, um das Hologramm zu berühren, erlosch es, wie es der Programmierung der Projektoren entsprach.
»Faszinierend«, echote Grainer mechanisch. Ein Moment der Befangenheit wandelte ihn an, als ihm bewusst wurde, dass noch nie mit seinem Vorgesetzen unter vier Augen zusammengewesen war. Die eine oder andere kurze Besprechung in Rogers’ Arbeitszimmer, natürlich. Aber das hier war etwas anderes. Sie hatten beide Feierabend, die Situation war sozusagen privat. Aus einem Grund, den er nicht namhaft hätte machen können, genierte ihn das ein wenig.
»Es geht Ihnen genau wie mir«, sagte Rogers gerade. »Sie können nicht schlafen. Aber immerhin. So vertreiben Sie mir die Einsamkeit und die düsteren Gedanken!«
Anthony Grainer musterte seinen Chef, der nur wenige Jahre älter war als er. Aus seiner offiziellen Vita wusste er, dass Randolph Rogers schon auf dem Rückflug der ersten MARQUIS DE LAPLACE und dann nach deren Heimkehr ein äußerst ehrgeiziges Programm absolviert hatte. Er hatte die wissenschaftliche Laufbahn der Union eingeschlagen, nebenher diverse Offizierslehrgänge und Manöver absolviert und irgendwie auch noch seinen Doktor gemacht. Es gab Gerüchte, dass Letzteres nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen war. Grainer war nicht der Typ, der sich viel daraus machte. Wenn einer aufstieg, musste er mit Neidern rechnen, und der Aufstieg des Randolph Valerian Rogers in den wissenschaftlichen Rängen der Union war das gewesen, was man als »kometenhaft« zu bezeichnen pflegte. Das war nicht ganz spurlos an dem Mann vorbeigegangen. Physisch war er knapp sechsunddreißig. Aber nach einem langen Tag wie heute, müde, überarbeitet, angetrunken und verschwitzt, wäre Rogers auch gut für Mitte vierzig durchgegangen. Sein farbloses Haar wich bereits weit zurück. An den Schläfen traten rote und blaue Äderchen hervor. Und seine Hände hatte die ledrige Haut alter Männer. Eine Alkoholfahne hing um ihn. Er bemerkte, dass Grainer sich unwillkürlich abwandte, um Luft zu schöpfen, und ging daraufhin zum Wasserspender, um sich sein Glas mit Sprudel zu füllen.
»Mir ist klar«, sagte er nach einem großen Schluck, »dass ich Sie alle vorhin vor den Kopf gestoßen habe.«
Grainer deutete ein Kopfschütteln an. Er hatte Brinis Bestürzung nachempfinden können. Andererseits fand er sie auch etwas naiv. Der Krater in der Felskruste des Planeten unter ihnen sprach für sich. Natürlich war es ein wissenschaftliches, ein ziviles System. Aber es war klar, dass man es auch zu ganz anderen Dingen nutzen konnte. Ohne Vorwarnung auf besiedeltes Gebiet gefeuert, konnte ein solches Projektil eine Millionenstadt auslöschen. Obwohl die physikalische Funktionsweise eine andere war, war es letztlich nichts anderes als eine sehr große Bombe!
»Mir ist klar«, sagte der junge Wissenschaftler zögernd, »dass ein solches System außerordentlich sensibel ist. Selbstverständlich sind die Beschreibung und das darin verborgene Know How vertraulich zu behandeln.«
»Das haben Sie jetzt schön gesagt.«
»Und wenn es nur sei, damit es nicht in die falschen Hände fällt«, schloss Grainer, ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen. »So heißt es doch, bei solchen Sachen.«
»Ja, so sagt man.« Rogers musterte ihn schmunzelnd. Der ironische Verweis auf offizielle Sprachregelungen, an die im Ernst kein Beteiligter glaubte, schien ihm ungeheuer Spaß zu machen. »Sie gefallen mir.«
»Sir.« Grainer griff aus Reflex nach seinem Kaffeebecher, um irgendetwas zu tun, um etwas in der Hand zu haben. Aber er war leer. Und er konnte jetzt schlecht zum Synthetisator gehen und sich einen neuen holen. Der Chef nahm sich Zeit und Muße für ein vertrauliches Gespräch, das galt es auf alle Fälle abzuwarten, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, worauf Rogers hinauswollte. Im übrigen konnte er das Thema Schlaf für diese Nacht endgültig knicken, wenn er sich jetzt noch einen Kaffee machte!
»Faszinierend«, sagte Rogers noch einmal. Er hatte das Holo wieder eingeschaltet und dirigierte den leuchtenden Ball genießerisch hin und her, ließ ihn rotieren, zoomte Details heran und ging wieder auf die Totale, fokussierte auf Elemente tief im Inneren des transparenten, medizinballgroßen Planeten und studierte die Ziffern und Symbole, die dabei am Rand der Darstellung eingeblendet wurden. Für eine ganze Weile wirkte er vollkommen selbstvergessen. Er schien seinen Gesprächspartner nicht mehr wahrzunehmen. Wie ein spielendes Kind ging er ganz in seiner Tätigkeit auf.
»Wunderbar, nicht wahr«, sagte er irgendwann. »Es ist nicht so, dass ich mich nicht stundenlang in so etwas vertiefen könnte.« Das Bild wurde intransparent. Die Ansicht zeigte die physische Oberfläche des Planeten. Rogers drehte es langsam und wanderte dabei mit den Augen durch die endlosen Ebenen der Welt. Dann zwinkerte er Grainer in seiner verschwörerischen Art zu. »Als Jugendlicher« – er seufzte – »vor der MARQU...«, Rogers stutzte und fuhr dann unbeirrt fort, »vor der ersten Sternenmission der THE OLD MARQUIS, habe ich meine Abende mit so etwas verbringen können. Ich habe Landkarten gesammelt, Atlanten, Stadtpläne, historische Karten, alles in der Art. Diese Zeichnungen, diese Namen. Darin konnte ich mich völlig verlieren.«
Er runzelte die Stirn über sein früheres Selbst.
»Was ich sagen will: Es ist nicht so, dass ich nicht von der reinen Ästhetik einer solchen Darstellung begeistert wäre. Es wäre schön, sich dem ganz hinzugeben. Nicht an Rohstoffe und Abbaumöglichkeiten zu denken. Auch nicht an militärische Abwägungen oder Nutzanwendungen.«
Grainer spürte, wie er einen Kloß im Hals bekam. Er hatte nicht erwartet, dass Rogers sich so weit öffnen würde. Das war ja beinahe schon ein Bekenntnis.
»Leider leben wir nicht in einer solchen Welt«, sagte Rogers, als habe er denselben Gedanken gehabt. »Alles hat zwei Seiten. Bei allem muss man immer auch das andere im Blick behalten!«
Grainer nickte.
»Kennen Sie sich in Geschichte aus?«, fragte Rogers unvermittelt.
»Ich bin Geologe«, stammelte Grainer überrumpelt. »Planetologe.«
»Das ist mir klar.« Rogers senkte einen Blick in ihn. »Aber man darf nicht zum Fachidioten werden. Man sollte immer auch den Rest im Auge haben.«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Aus der Geschichte kann man eines lernen«, sagte Rogers nachdenklich. »Der Krieg ist die Realität. Der Rest, die Friedenszeiten, sind nur Unterbrechungen, Atempausen, Ausrutscher, die aufs Große, Ganze gesehen keine Rolle spielen.«
Grainer schüttelte den Kopf, um anzudeuten, dass er seinem Vorgesetzten nicht mehr folgen konnte. Worauf wollte der Chef hinaus? Allmählich beschlich den jungen Wissenschaftler der Verdacht, dass Rogers gar nicht mit ihm oder gar zu ihm sprach. Er brauchte einfach nur ein Publikum, eine Bande, an die er seine Bälle spielen konnte.
»Ich habe Ihnen von den Landkarten erzählt«, sagte er jetzt zum Beispiel gerade. »Es gibt auch historische Karten. Vorderasien zur Zeit des Alexanderzugs, das Mittelmeer unter Rom.«
»Natürlich, Dr. Rogers. Ich weiß nur nicht ...«
»Bringen Sie diese beiden Dinge zusammen: Geographie und Geschichte. Und Sie haben ein ziemlich vollständiges Bild der Welt.«
Anthony Grainer nickte ergeben.
»Was hier draußen los ist, wissen wir noch nicht«, sagte Rogers in einer abrupten Wendung. Er schaltete das Holo abermals aus und ließ den Blick über die Nachtseite des Planeten in die sterndunkle Ferne gehen. »Jetzt hat man diese Tloxi gefunden.«
Rogers Blick auf seinem jungen Mitarbeiter wurde brennender.
»Roboter, soweit man das schon sagen kann. Soweit ich weiß, hat sich noch kein Roboter selbst gebaut. Es muss eine biologische Zivilisation dahinterstehen. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, sind die Tloxi noch funktionsfähig. Sie interagieren. Sie sprechen sogar unsere Sprache!« Er lachte trocken. »Das heißt, dass sie nicht allzu alt sein dürften. Nach kosmischen Maßstäben. Das heißt, dass die hinter ihnen lauernde Zivilisation vermutlich noch intakt ist.«
»Das ist alles richtig.« Grainer konnte nicht verhindern, dass sich ein mulmiges Gefühl seiner bemächtigte.
»Zählen wir eins und eins zusammen.« Rogers fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Für einen Augenblick sah er wirklich aus wie ein alter Mann.
»Sie meinen, wir werden Krieg bekommen? Hier?«
»Es wäre schön, wenn das nicht der Fall wäre«, sagte Rogers. »Aber es wäre naiv, davon auszugehen.« Er zuckte die rundlichen Schultern. Auch sie trugen dazu bei, dass er müde und verbraucht wirkte.
Grainer schluckte.
»Sehen Sie: Unsere Flotten greifen täglich weiter in den Raum aus. Die der unabhängigen Mächte und Organisationen noch ehrgeiziger als jene der Union, die insgesamt noch vergleichsweise bescheiden und behutsam vorgeht. Aber denken Sie beispielsweise an die Amish, die sich rühmen, alle paar Monate einen neuen Planeten in Besitz zu nehmen, und die erklärtermaßen daran arbeiten, die Galaxis zu erschließen. Was, wenn ihnen dabei jemand in die Quere kommt, weil sie vielleicht jemandem in die Quere kommen.«
»Bis jetzt haben wir keinerlei Hinweise darauf.«
»Wir haben die Tloxi«, gab Rogers zu bedenken. »Noch wissen wir nicht, was wirklich an High Tech in ihnen steckt, aber ich vermute mal, dass sie nicht auf diesem Asteroiden gewachsen sind!«
Grainer dachte nach. Er versuchte, in ein eigenständiges Verhältnis zu dem Problem zu kommen, mit dem er sich bis jetzt noch nicht auseinandergesetzt hatte. Rogers sah vielleicht ein wenig sehr schwarz. Er war das Inbild eines körperlich kleinen und unansehnlichen Mannes, der rein äußerlich nicht viel darstellte und sich daher umso martialischer gebärdete. Einer, der in einem Faustkampf keine Chance hatte und den die Frauen gar nicht erst anschauten. Aber wahrscheinlich würde er in ein paar Jahren General sein!
Andererseits war Grainer intelligent genug, um diese Einschätzung nicht reflexhaft gegen Rogers’ Argumente einzusetzen. Der Mann konnte ja trotzdem recht haben.
»Jedenfalls« – Rogers konnte das Gähnen nicht mehr unterdrücken – »jedenfalls bin ich froh, das wir jetzt diesen Rums hier haben. Man kann nie wissen, wofür es gut ist.«
Er ging an Grainer vorbei und legte ihm dabei schwer die Pranke auf die Schulter.
»Steht dein Angebot noch, die Nachtschicht zu übernehmen?« Und ohne ein Antwort abzuwarten, schlurfte er in Richtung des Elevators, der zu den spartanischen Unterkünften der Station führte. »Dann würde ich mich nämlich jetzt empfehlen.«
Das Shuttle war tot, die Lokale war tot, ihre Anzüge waren tot.
Sie selbst waren noch nicht tot, sonst hätten sie nicht diese Scheißangst empfinden können, die in ihren Bauchhöhlen wühlte.
Das Mutterschiff war ohne erkennbaren Grund um fünfzig, sechzig Bogengrad nach Backbord gesprungen. Einfach so!
»Was zur Hölle ist hier eigentlich los«, brüllte Schleuner. Aber ihm dröhnten nur die Ohren, als seine Stimme sich in seinem Helm brach und nicht hinausfand.
Er war schwerelos, aber die Gurte hielten ihn. Es waren kombinierte Systeme aus physischen Halterungen und Kraftfeldern. Letztere, die dazu da waren, die Beschleunigungskräfte während des Fluges zu kompensieren, waren weg. Offline. Tot! Aber die Hüft- und Schultergurte aus unzerreißbarem Elastil waren noch an Ort und Stelle und verhinderten, dass sie im Passagierraum des Shuttles herumschwebten.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.