Kitabı oku: «Torus der Tloxi»

Yazı tipi:

Matthias Falke

Torus der Tloxi

© 2013 Begedia Verlag

© 2008 Matthias Falke

Umschlagbild - Alexander Preuss

Covergestaltung und Satz - Begedia Verlag

Lektorat - André Piotrowski

ebook-Bearbeitung - Begedia Verlag

ISBN-13 - 978-3-95777-030-1 (epub)

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Das ENTHYMESIS-Universum

Eine Science-Fiction-Saga in sieben Trilogien

1. Laertes

2. Exploration

3. Gaugamela

4. Zthronmic

- Torus der Tloxi

- Der Zthronmische Krieg

- Palisaden von S'Déro

5. Tloxi

6. Jin-Xing

7. Rongphu

Der Autor

Matthias Falke wurde 1970 in Karlsruhe/Baden geboren. Nach Abitur und Grundwehrdienst studierte er Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Karlsruhe und Freiburg/Breisgau. Seit 1999 ist er freier Autor, Herausgeber und Übersetzer. Sein Stück »Kassandra-Szenen« wurde 2007 beim Ersten Autorenwettbewerb des Sandkorn-Theaters Karlsruhe mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Nach Ausflügen in nahezu alle literarischen Gattungen und Genres konzentriert sich Falke in den letzten Jahren zunehmend auf die Science Fiction. Seine Texte wurden mehrfach für den renommierten Kurd-Laßwitz-Preis nominiert.

Falkes Novelle »Boa Esperanca« wurde 2010 mit dem Deutschen-Science-Fiction-Preis als Beste Kurzgeschichte ausgezeichnet.

Matthias Falke ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen. Er lebt in Karlsruhe.

Kapitel 1 – Mr. und Mrs. Commodore

Clandestine Prophezeiung des Tloxi-Kontinuums vom 1. Runoff 13,12: »Und kommen wird das Hohe Paar und wird euch in die Freiheit führen. Aber hütet euch: Die Freiheit ist nicht die Freiheit, und auf den Krieg folgt immer der Krieg.«

Am 2. Takshin der Periode 10-293 erhob sich Pater Pu Rhea Bel von seinem Lager und striegelte sein peroxidfarbenes Haar. Er hatte im Stile jener Legenden geträumt, die ein Wiederanknüpfen an die Alte Zeit vorhersahen, und im Sich-Erheben hatte er begriffen, dass der Tag nicht mehr fern sein würde. Er streichelte seinen Meditationskaktus und sah dabei in die zinnoberrot erstrahlende Wüste hinaus. Hart und glanzlos, ein Kegel aus poliertem Platin, stieg die eisig brennende Sonne dieser lebensfernen Welt am Horizont herauf, dass die zinkroten Berge der östlichen Bruchzone Funken sprühten und die geborstenen Felsquader der Großen Ngév ihre violetten Schatten in den Grund schmolzen. Von seinem erhöhten Anwesen ging der Blick nach Süden, Tagesmärsche weit, wo die Stollen und Abraumhalden der Heiligen Minen unter dem Stahllicht lagen, das auch in der finstersten Mittagsglut nicht flimmern würde. Mit den Fingerspitzen zeichnete er langsam die filigranen und zerbrechlichen Glieder seines Kaktus nach und fuhr durch den weißen flaumigen Blütenschopf. Er begriff, dass Großes vor sich ging. Er begriff, dass sich vieles ankündigte. Er begriff, dass die Zeit der Stille vorüber war. Wieder einmal.

Auf der Raumstation Alpha Ceti Tau hatte sich die Katze Morgan schon seit achtundneunzig Umläufen unsichtbar gemacht. Kommandant Borissowitsch studierte missmutig die einkommenden Meldungen. Eher zufällig stieß dabei die Datumszeile in sein verschlafenes und übellauniges Bewusstsein vor. Dann horchte er auf. Drang nicht ein ausgesprochen klägliches Maunzen durch die leeren Stollen und Korridore der einhundertdreißig Teratonnen schweren Orbitalstation? Die Besatzung bestand nur aus zwölf Mann, die sich in dem Koloss aus Titanstahl verliefen wie ein Häuflein Versprengter auf einem eingefalteten und dunklen Kontinent. Ab und zu quälten sich Geräusche durch den ikosaedrischen Leib des Außenpostens, ein Winseln, als sei man in die Eingeweide einer leidenden Kreatur verschlossen. Aber das waren nur die Gezeitenkräfte, die das Artefakt auf seiner Bahn hielten und dabei sachte malträtierten. Und doch schienen sich animalische Laute unter das Stöhnen des Stahls zu mischen. Er stand seufzend auf, ließ die Konsole auf Automatik gehen und machte sich mürrisch auf die Suche.

Jennifer deaktivierte den oszillierenden Warp und ging auf konventionellen Antrieb. Die ENTHYMESIS verließ den Korridor und schwenkte in den Neptunraum ein. Als wären sie schockgefroren, rasteten die Sterne auf ihrer Drift ein und verwandelten sich wieder in den fixen Hintergrund, in die kalt glühende Signatur des Raumes, dessen unstoffliches samtiges Schwarz uns nach allen Richtungen und Dimensionen hin umgab.

»Rendezvous einleiten«, sagte ich.

Jennifer sah nicht von der Konsole des Hauptbedienplatzes auf. Ihr Pferdeschwanz pendelte leicht, als sie eine Anzeige zu ihrer Rechten ablas. Dabei wurde ihr Profil sichtbar, während ich in der Spiegelung der polarisierten Frontscheibe ihr kaum merkliches Lächeln sehen konnte, das wie ein Zahnstocher in ihrem linken Mundwinkel steckte.

»Routine aktiviert«, gab sie zurück.

Es war eine Formalie, dass ich ihr Kommandos gab, die sie längst ausgeführt hatte. Aber auch das gehörte zu den eingefahrenen Spielchen, die wir nach Jahrzehnten der interstellaren Exploration zelebrierten: dass ich Befehle erteilte, die sie um einige Sekunden antizipierte, und dass sie Meldung machte, obwohl das ebenso wenig nötig gewesen wäre.

Vor uns drehte sich die samaragdgrüne Sichel des Neptun, dessen Backbordseite fahl von der fernen Sonne angeschienen wurde. Links unten wanderte die ebenso feine Sichel des Triton langsam in den Planetenschatten hinein. Es war ein Bild von majestätischer Schönheit, das erhabene und lautlose Ballett zweier Körper, die hier seit Jahrmilliarden ihre Pirouetten drehten und die seit wenigen Dekaden die Zeugen menschlicher Aktivitäten geworden waren. Dieser Anblick: Die große heliumblaue und die kleine steinerne Kugel waren uns einmal das letzte Bild gewesen, das ein Verstoßener mit sich nimmt, der über die Schulter hinweg zu dem verschlossenen Stadttor seiner Heimat zurückschaut. Neptun und Triton waren uns wie Cherubim gewesen, die vor dem unbetretbaren Paradies des inneren Sonnensystems wachten, aus dem wir uns selbst nach dem sinesischen Annihilatorangriff vertrieben hatten. Für Jahre war der erdnahe Raum für uns tabu gewesen. Wir hatten in die Diaspora der extragalaktischen Weiten fliehen müssen, um dort den Gegenschlag vorzubereiten, der uns endlich wieder in unsere angestammten Rechte einsetzte.

»Keine weiteren Befehle«, sagte ich halblaut.

Obwohl ich hinter Jennifer saß, nickte ich bekräftigend. Sie konnte mich nicht sehen, aber auch diese Geste kannte sie.

»Leitstrahl aufgeschaltet«, erläuterte sie. »Übergebe an Tloxi-Kontinuum.«

Ich nickte noch einmal. Dann lehnte ich mich zurück. Das konnte jetzt noch einige Minuten dauern. Länger als der Flug von der Erde zur Neptunbahn. Es wurde ganz still auf der Brücke der ENTHYMESIS. Die Automatik blinkte und tirilierte. Rubinrote und strontiumgrüne Lichter flammten auf und erloschen wieder. Die Korrekturdüsen sprachen selbsttätig an und steuerten den Explorer in Feinarbeit auf seinen Annäherungskurs.

Ich warf einen Blick auf die Backbordseite der Brücke, wo einige Tloxi in lautlosem Stand-by verharrten. Sie rührten sich nicht. Nur ihre grün glühenden Augen verrieten, dass sie am Leben, besser gesagt: in Funktion, waren. Im Gegensatz zu Jennifer und mir, die wir von Gravigurten in unseren Sitzen gehalten wurden, standen sie frei und ungesichert da. Sie hatten einfach ihre persönlichen Feldgeneratoren online auf die Schiffsautomatik geschaltet und sie mit ihr synchronisiert. So wirkten stets die gleichen Kräfte auf sie wie auf die ENTHYMESIS. Solange wir nicht an einem Hindernis zerschellten, würden sie an Ort und Stelle bleiben, so als befänden wir uns auf einem festen Himmelskörper und nicht auf einem bulligen Schiff, das mit Mach dreihundert in die Scherkräfte am äußeren Rand des Gravitationstrichters eines Gasriesen eintauchte und schräg zu den Feldlinien in dessen hohen Orbit einschwenkte.

Zwischen ihnen knisterte das telepathische Fluidum, über das sie sich verständigten, wenn sie nicht gerade über Schallwellen mit uns tumben Erdlingen kommunizieren mussten. In gewisser Weise war es so ähnlich wie das wortlose Einverständnis, das zwischen Jennifer und mir herrschte, wenn auch die Informationen, die ihre kollektive Intelligenz dabei verarbeiten konnte, ungleich komplexer waren. Sie konnten sich auch unserer Bordautomatik aufschalten, von der ihre Anweisungen dann wie ein ferner Hall wahrgenommen und transkribiert wurden.

»Rendezvous in drei Minuten«, sagte Jennifer.

Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Frontscheibe zu. Und dann rückte das Ziel dieses Fluges allmählich nahe genug heran, dass wir es mit bloßem Auge wahrnehmen konnten. Anfangs waren es winzige, silbrig perlende Lichtpunkte, die sich vor den gewaltigen blaugrünen Gaswirbeln des Neptun abzuheben begannen. Dann schoben sie sich auseinander, wurden zu Perlenschnüren. Schließlich schuppten sich, wie bei einer Zellteilung, die sich im Zeitraffer vollzog, zwei längliche Strukturen auseinander. Es war, als wenn sich zwei DNS-Stränge voneinander lösten und langsam weiter auseinander schwebten. Gewebe, so zerbrechlich und filigran, dass sie am unteren Ende der Sichtbarkeit angesiedelt waren, aber zugleich so komplex und robust, dass sie den Eindruck unwiderleglicher Macht verströmten.

»Sieh doch …«, sagte Jennifer, und der warme Glanz ihrer Stimme reichte hin, mir die Begeisterung zu vergegenwärtigen, die in ihren Augen loderte. Ich richtete mich in meinem Gravisessel auf, um über ihre Schulter hinweg nach vorne sehen zu können. Selbst in die Gruppe der Tloxi kam Bewegung.

Und dann sahen wir die gewaltigen, kilometerlangen Gerüste, in denen das Skelett der MARQUIS DE LAPLACE II montiert wurde, des Schwesterschiffs unserer treuen MARQUIS DE LAPLACE, deren Jungfernflug zum Sirius geführt hatte und die nun flottgemacht wurde, einige Tausend Galaxien in der Großen Mauer zu erkunden.

Das neue Schiff würde etwas kleiner und bedeutend leichter sein. Die weiterentwickelte Warptechnologie machte es möglich, auf 60 Prozent der Masse des Reaktorblocks zu verzichten. Dennoch war das Titanstahlskelett beeindruckend genug: Über zwölf Kilometer lang hing es in den gravimetrischen Gerüsten, die auf einem hohen Orbit über den blauen Methanwolken des Neptun schwebten. Zehntausende von Tloxi wuselten darauf herum. Sie hatte ihre kollektive Intelligenz mit unseren KI-gestützten Automaten verschaltet und arbeiteten Hand in Hand mit unseren Schweißrobotern, Lastenträgern und Drohnen zusammen. Menschliche Arbeiter waren auf der Baustelle kaum anwesend. Einzig einige Bauingenieure, deren einsitzige Scooter an den gelben Blinklichtern erkennbar waren, schnellten zwischen den Bauabschnitten hin und her und koordinierten die Fortschritte der Arbeiten mit ihren Masterboards. Über Engstrahl kommunizierten sie mit der kollektiven Intelligenz der Tloxi.

Einige Kilometer entfernt, im schwachen Licht des Neptunraums als fernes Glitzern erkennbar, entstand die MARQUIS DE LAPLACE III. Die Arbeiten erfolgten synchron, die Schiffe wuchsen simultan aus ihren stählernen Kokons hervor wie der rechte und der linke Arm eines Embryos, der im Fruchtwasser seiner Geburt entgegenreift.

Pausenlos öffneten sich Warpkorridore, und riesige Schiffe materialisierten aus dem Hyperraum. Es waren Frachter, Transportschiffe, die Millionen und Abermillionen Tonnen Titan und anderer Rohstoffe von unseren Kolonien in allen Teilen der Galaxis herbeischafften. Von Lambdatriebwerken der neuesten Generation gesteuert, durchtunnelten die megatonnenschweren Schiffe in Augenblicken Tausende von Lichtjahren und versorgten die titanischen Schmieden, in denen unsere neuen Schiffe wuchsen, mit Nachschub. Er wurde von den zahlreichen Völkern und Welten bereitgestellt, die wir aus der Diktatur der Sineser befreit hatten und die nun mit uns Handel trieben, oder auch von unseren eigenen Asteroidenminen im Eschata-Nebel, noch jenseits des Kleinen Korridors, weit außerhalb der Milchstraße.

Die Ressourcen mehrerer Galaxien standen zu unserer Verfügung, ausgebeutet vom Ingenium unserer Techniker und dem Fleiß der Tloxi, vertraglich vereinbart mit Dutzenden von Zivilisationen, die wir noch kaum dem Namen nach kannten. Wir wussten bislang nicht viel mehr von ihnen als eben das, dass sie von Sina unterdrückt und versklavt gewesen waren. Wir hatten ihnen die Freiheit geschenkt und sie durch faire Verträge an uns gebunden. Dennoch sahen wir uns unüberschaubarer Fremdheit gegenüber.

Fasziniert ließ ich die Blicke über den kosmischen Bauplatz schweifen. Wenige Tausend Meter neben uns blähte sich der plasmablaue Rüssel eines Warpkorridors auf und spie eine tropfenförmige Cargodrohne aus. Sie materialisierte wie ein Holobild, das sich mit einigen leichten Störungen und Verzerrungen über einem Masterboard aufbaut, und glitt dann an uns vorbei. Es war ein gewaltiges Schiff von mehreren Millionen Bruttoregistertonnen. Seine Form glich der eines Kugelfisches, der sich drohend aufgeblasen hatte. Kurze Stummelflügel trugen die Steuerraketen, die pausenlos feuerten, um die ungeheure Masse auf ihren Rendezvouskurs auszurichten. Hinter dem Dorn des Haupttriebwerkes köchelten die Rückstände der Fusionsprozesse, die es in Augenblicken von einer der Verladestationen bei Eschata I, einige Hunderttausend Lichtjahre entfernt, hierher katapultiert hatten. Es ging vor uns herunter und schwenkte auf die Längsachse der im Entstehen begriffenen MARQUIS DE LAPLACE II ein, die es für die nächsten Tage mit frischem Rohstahl versorgen würde. Das vollautomatische und unbemannte Schiff hatte gewaltig gewirkt, als es lautlos an uns vorbeigezogen war. Jetzt wurde es winzig, als es sich dem unvollendeten Torso der MARQUIS DE LAPLACE näherte. Schließlich war es nur noch ein Tropfen vor der lang gestreckten Konstruktion.

»Das war knapp«, sagte ich.

Jennifer hob vor mir die Schultern.

»Die Warptunnel münden in feste Korridore«, erklärte sie. »Der Leitstrahl hat uns auf Sicherheitsabstand gehalten.«

Ich kratzte mich am Kinn und sah der Cargodrohne nach, die tief unter uns mit dem arbeitsamen Gewusel verschmolz.

»Sicherheitsabstand«, brummte ich. »Zu meiner Zeit …«

Jetzt wandte sie sich doch in ihrem gravimetrischen Pilotensitz zu mir herum und zwinkerte mich fröhlich an.

»Bei unseren ersten Manövern dieser Art war der Mindestabstand zu festen Körpern auf zehn Millionen Kilometer definiert. Heute«, sie nickte zu unseren Passagieren, die mit glühenden Augen in der Backbordabsperrung der Brücke standen, »heute ist man der Meinung, fünftausend Meter seien ausreichend.«

Damit ließ sie ihren Sessel in die Ausgangsposition zurückschnellen. Die Tloxi zwei Armlängen zu meiner Linken verzogen nicht die Miene.

»Mag sein«, sagte ich unbehaglich. Dass wir, zumindest technologisch, zu Juniorpartnern dieser drahthaarigen Knirpse wurden, wollte mir nicht recht behagen. Aber mir war noch etwas anderes aufgefallen. »Zoom!«, sagte ich mit jenem unpersönlichen Tonfall, der auf die Automatik abgestimmt war. »Folge der Cargodrohne über dem Baugerüst!«

Die polarisierende Scheibe vor uns verwandelte sich in einen holografischen Monitor, der jetzt auf den linken unteren Bildausschnitt fokussierte und ihn in einem abrupten Satz heranholte. Wir sahen die tropfenförmige Drohne über den filigranen Auslegern der Elastalstahlträger dahingleiten. Es sah aus wie ein Kugelfisch, der über einen Korallengarten schwimmt. Sein Schatten folgte ihm, immer wieder perspektivisch zerbrochen und zerknickt, über den Rumpf des unfertigen Schiffes. In dieser Vergrößerung sah man einzelne Tloxi und Menschen, die Schweißroboter dirigierten oder automatische Lastenträger anwiesen. Silberne Reflexe blinkten an den metallenen Flächen und Kanten. Die charakteristischen harten Schlagschatten des atmosphärelosen Raumes stanzten schwarze Löcher auf die Planken aus Titan.

»Wo steht die Sonne?«, fragte ich.

Die Automatik unserer braven ENTHYMESIS benötigte für die Antwort keine Sekunde. Tatsächlich hatte sie diese in einer Nanosekunde parat, stellte sie aber lange genug zurück, um sich der trägen menschlichen Aufmerksamkeit versichert zu wissen.

»9:42 Uhr, Azimut: -3,76°.«

Was so viel hieß wie: halblinks unter uns. Wie konnte sie dann auf den Bauplatz, der ebenfalls links unter uns war, Schatten werfen, noch dazu derartig harte Schlagschatten? Wir waren sieben Milliarden Kilometer von unserem Zentralgestirn entfernt.

Ich schüttelte irritiert den Kopf.

»Jetzt weiß ich, was du hast«, schmunzelte Jennifer. Sie schaltete die Steuerbordaußenkamera auf den kleinen Monitor, der in meine Armlehne eingelassen war. Er zeigte einen einzelnen magnesiumweißen Lichtpunkt inmitten der unendlichen schwarzen Finsternis des Raumes.

»Unsere Freunde haben einen kleinen Scheinwerfer aufgestellt«, fügte sie süffisant hinzu.

Ich betrachtete blöde den kleinen weißen Stern und versuchte, Entfernung, Lichtstärke und Energieverbrauch zu überschlagen.

»Sie selbst brauchen das natürlich nicht«, führte Jennifer weiter aus. Es schien ihr wieder einmal Spaß zu machen, mich zu belehren. »Sie orientieren sich mittels Röntgensonar und kommunizieren über Engstrahl. Aber als kleine Aufmerksamkeit gegenüber ihren menschlichen Mitarbeitern haben sie die Baustelle ein wenig ausgeleuchtet.«

Die ENTHYMESIS nahm einen letzten Schwenk vor, der von den Feldgeneratoren abgefedert wurde, sich uns aber dennoch auf unterschwellige Weise mitteilte. Kein Erdenmensch wäre in der Lage, die hauchfeinen Beschleunigungskräfte zu registrieren, mit denen ein Offizier der fliegenden Crew nach einigen Jahrzehnten der interstellaren Exploration auf die leisesten Bewegungen und Manöver seines Schiffes reagierte. Erst einige Sekundenbruchteile später, als das Sichtfeld umherzutaumeln begann, nahmen wir bewusst wahr, was sich uns zuvor schon auf subtileren Kanälen mitgeteilt hatte. Die gewaltige, frei schwebende Baustelle der MARQUIS DE LAPLACE II glitt nach steuerbord davon. Ein im Vergleich dazu winziges Modul schob sich in unser Blickfeld. Es war eine Orbitalstation der neuesten Generation. Die schwerelose Bauhütte dieses Platzes, an dem gerade das ambitionierteste Projekt der unierten Menschheit verwirklicht wurde.

Wir hörten, wie die Bremsraketen zündeten, um die Annäherungsgeschwindigkeit der ENTHYMESIS der Eigengeschwindigkeit der Station anzupassen. Irgendwo zischten pneumatische und hydraulische Vorgänge. Landestutzen wurden ausgefahren, um das Ankoppeln vorzubereiten. Schleusen wurden mit Druckluft geflutet. Schotte geschlossen. Gewaltige Kräfte wurden umgelagert oder absorbiert. Von all dem nahmen wir nichts wahr, was über ein fernes Grummeln und Rumpeln hinausgegangen wäre.

»Rendezvous in 15 Sekunden«, zählte Jennifer. »14 … 13 …«

Man sah jetzt die Landeplattform der Station. Einige Tloxi-Techniker standen bereit. Immer noch war es ein irritierender Anblick, sie ohne Schutzanzüge im freien Raum operieren zu sehen. Aber sie benötigten weder Sauerstoff noch atmosphärischen Druck. Ihre körpereigenen Feldgeneratoren schützten sie vor der kosmischen Strahlung. Sie arbeiteten mit der gleichen Effizienz im Inneren eines Schiffes wie außerhalb. Und über die umständlichen Vorkehrungen unserer Extra Vehicular Activities hätten sie sich nur lustig gemacht, wenn dieses fleißige und genügsame Volk so etwas wie Humor besessen hätte.

Wir setzten auf. Sofort begann es unten zu wuseln. Tank- und andere Versorgungsschläuche wurden an der ENTHYMESIS befestigt. Wir wurden unaufgefordert mit Plasma, Wasser, Sauerstoff und anderem befüllt, das für uns lebensnotwendig war. Eine transparente Gangway aus Elastal wurde herangefahren und an die große Schleuse unseres Explorers angekoppelt. Mit leisem Zischen wurde der Druckausgleich hergestellt.

Einige Augenblicke später marschierten wir den mit Gravinoppen ausgelegten Verbindungstunnel hinunter. Im Vorraum der Schleuse wartete General a. D. Dr. Rogers. Er kam mit stampfenden Schritten auf uns zu und verzog das Gesicht zu einer weit ausholenden Grimasse. Zuerst schloss er Jennifer in die Arme. Seit er auf der Akademie unser Chefausbilder gewesen war, hatten wir ein enges Verhältnis zueinander. Und Jennifer war in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Art von Tochter für den alten Haudegen geworden.

»Schön, dass ihr da seid!«, knurrte er.

Dann begrüßt er auch mich mit einem kantigen Händedruck.

Eine Weile standen wir in enger Umarmung beieinander. Es war kühl in diesem Zwischendeck, das an die Wartehalle eines Provinzflughafens erinnerte. Rogers verströmte einen leichten Whiskeygeruch, und mir schien, dass seine Wangen noch röter, seine stahlblauen Augen noch eine Spur wässriger geworden waren. Für Sentimentalitäten hatte er nie viel übrig gehabt. Deshalb wunderte mich dieses Innehalten bei der Begrüßung, bei der die Sekunden sich zu dehnen begannen.

Die Tloxi, die mit uns gereist waren, kamen die Rampe herunter und gingen wortlos an ihr Tagewerk. Sie gliederten sich in das Arbeitskollektiv ein, das hier draußen gewaltige Schiffe aus dem Nichts erstehen ließ, und wurden von diesem an die Stellen geführt, an denen sie in den kommenden Monaten mit anpacken würden.

Rogers ließ uns los und wandte sich um. Gemeinsam gingen wir ein paar Schritte. Vor der großen Panoramascheibe blieb er stehen.

»Seht euch das an!«, sagte er und breitete die Arme aus.

Wir versanken erneut in den Anblick der MARQUIS DE LAPLACE II, deren unfertiger Titanstahlleib von Myriaden winziger Lichtpunkte umschwärmt wurde. Wie ein Wal in der Korona seiner Symbionten, dünte das Schiff in einer irisierenden Aura helfender Geister, die aus Optochips und Elastalstahlplatten, Schleusenringen und Quantenrechnern, Warpspulen und Feldgeneratoren, Zerokupplungen und Gravipandern einen eigenständigen und autarken Kosmos schufen, der in Kürze zehntausend Mitarbeitern beider Stäbe zur dauerhaften Heimat werden und Milliarden Lichtjahre zurücklegen würde.

»Dass meine alten Augen das noch sehen …«, sagte Rogers, wobei schon ein Gran Ironie in die Ergriffenheit einsickerte. Dann schüttelte er die besinnliche Stimmung endgültig ab. »Aber kommt! Wir sind nicht hier, um uns auf alten Lorbeeren auszuruhen. Es gibt viel zu tun!«

Er klopfte mir auf die Schulter und führte dann Jennifer am Arm den Gang hinunter, wo sich sein kleines Büro befand.

»Kaffee?«, fragte er jovial, als wir in sein neues Reich eintraten.

Ich nickte. Jennifer wünschte sich eine Holunder-Hühner-Milch. Ein junger Kadett, der in einer Regungslosigkeit, die jedem Tloxi Ehre gemacht hätte, bereit gestanden war, klappte zusammen und eilte davon.

Einige weitere Adjutanten waren anwesend, die Rogers uns jetzt mit knappen Gesten vorstellte. Sie verbeugten sich tief und schüttelten uns ehrfürchtig die Hand. Der General nannte uns mit dürren Worten ihre Aufgabenfelder. Er war nicht bei der Sache. Ich sah ihm an, dass er das steife Prozedere so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte.

Mich interessierte der Vorgang umso mehr. Die jungen, glatten Gesichter dieser Ordonnanzen und Offiziersanwärter bestürzten mich. Gerade wenn sie vor Bewunderung leuchteten, las ich darin weniger den Stolz, solch hochdekorierten Helden, wie wir nun einmal waren, persönlich die Hand drücken zu dürfen, als vielmehr das peinlich berührte Staunen darüber, Personen, die sie aus den Geschichtsholos der Akademie kannten, lebendig anzutreffen.

Eine neue Generation von Piloten und Offiziersanwärtern war in der Zwischenzeit herangewachsen, ausgebildet nach dem Sinesischen Krieg, aufgewachsen in einer Union, die mit der Galaxis identisch geworden war, und gewöhnt an den Umgang mit einer Technik, die uns Älteren wie Zauberei vorkommen musste. Wie jede Generation, die einen großen Krieg und eine Epochenschwelle mitgemacht hatte, waren wir viel älter als unsere Jahre, wir erschienen uns manchmal selbst als unsere Ururahnen, die sich unbegreiflicherweise bis in die Gegenwart erhalten hatten, als lebende Fossilien, die durch ihr bloßes Sein von vorsintflutlichen Äonen und unbegreiflich archaischen Landstrichen berichteten. Den Jungen war es eine Selbstverständlichkeit, dass wir mit den Schiffen der III. Generation jeden beliebigen Punkt des Universums erreichen konnten; dabei ahnten sie kaum mehr, dass der bekannte Raum sich noch zu unseren Lebzeiten vervielfacht hatte und dass das Universum unserer Jugend verglichen mit dem heutigen unfassbar eng gewesen war; es würde ihnen im Rückblick klaustrophobisch erscheinen. Heute war jede Welt dieser Abermilliarden Galaxien in den Speichern verzeichnet, und selbst die abgelegensten davon waren im oszillierenden Warp innerhalb weniger Tage zu erreichen. Und das in Schiffen wie den MARQUIS DE LAPLACEs II und III, die gegenüber dem ersten Raumer dieses Namens, dem langjährigen Flaggschiff der Union, um nahezu 60 Prozent ihrer Masse hatten verkleinert werden können. Der Jungfernflug jener MARQUIS DE LAPLACE I, den Dr. Rogers noch persönlich mitgemacht hatte, hatte zum Sirius geführt und war ein mehrjähriges Unternehmen gewesen. Das war den Absolventen eines heutigen Jahrgangs gar nicht mehr begreiflich zu machen.

»In Ordnung«, sagte Rogers barsch. »Kommen wir zur Sache!«

Er wedelte die Stabsangestellten aus dem Raum und wartete, bis die gravimetrische Tür hinter ihnen zurückgeglitten war. Dann hob er seinen Whiskey, und wir prosteten einander mit unseren drei Getränken, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, über seinen Besprechungstisch hinweg zu.

»Wir haben einiges vor uns«, brummte er. »Und es wird kein Zuckerschlecken!«

Er kippte seinen Whiskey herunter, sog scharf die Luft ein, wartete bis das Brennen des Alkohols in seinem Rachen nachgelassen hatte, und fixierte uns dann forschend.

»Wie geht es euch?«, fragte er. »Dich, Jennifer, brauche ich nicht zu fragen. Aber du, mein lieber Frank, wirkst etwas – wie soll ich sagen? – derangiert.«

Er grunzte in sich hinein. Dieses Grunzen hatte ich auf dem Ausbildungsplatz zum ersten Mal gehört, vor … vor sehr vielen Jahren.

»Du sitzt ja da wie ein Greenhorn«, grinste er, »das zum ersten Mal im Orbit ist und nicht genau weiß, ob es lachen oder heulen soll!«

»Lass gut sein!«, lachte ich und boxte ihn über seinen Direktorentisch hinweg gegen die Schulter. »Das alles ist nur ganz einfach – unglaublich …«

»Das ist es in der Tat!«, donnerte er. »Aber wir haben keine Sekunde Zeit, uns darüber zu wundern, wie weit wir es gebracht haben.«

Ich rührte in meinem Kaffee. Jennifer legte mir die Hand auf den Unterarm und ließ einen warmen Blick über mich gleiten.

»Frank braucht immer etwas länger«, sagte sie, »bis er eine neue Realität akzeptiert. Und seit er unfreiwillig zum Oberkommandierenden in einem galaktischen Krieg wurde, hat sich sein kontemplativer Zug noch verstärkt.«

Ich feixte und hielt vorläufig die Klappe. Rogers dagegen nickte ernst.

»Es hätte mich nicht gewundert, wenn du dich zur Ruhe gesetzt hättest nach dem großen Tanz. Ein Häuschen in Pensacola, die vielen Sonderprämien verzehren und allmählich an die Memoiren denken. Verdient hättest du es dir. Ihr euch beide!«

Ich hob die Schultern. Die Frage hatte ich mir selber oft genug gestellt. Sie hatte mich manche Nacht gekostet. Wir hatten den schwersten Krieg gefochten und die gewaltigste Schlacht geschlagen, die in den Geschichtsbüchern der Menschheit verzeichnet war. Da durfte man wohl ein paar Tage Urlaub machen.

»Aber jetzt sind wir hier«, brachte ich den Gedanken laut zu Ende.

Rogers klatschte donnernd in die Hände.

»Und daran sehe ich, dass ihr die Alten seid. Selbst meine morschen Knochen hätte es nicht in einem Pflegeheim gelitten.« Wieder breitete er die Arme aus und beschrieb einen raumgreifenden Schwenk über die Panoramascheiben aus polarisierendem Elastalglas. »Das ist unsere Zeit!«

Er kam mir plötzlich wie ein russischer Erdölingenieur vor, irgendwo auf Spitzbergen oder Nowaja Semlja. Die Alkoholfahne, die aufgekrempelten Ärmel, das zerzauste, ungekämmte graue Haar, die aufgedunsenen roten Wangen mit den geplatzten Äderchen unter den wasserblauen Augen: Ich sah ihn vor mir, wie er auf einer Arktisstation vor seinem Blockhaus saß und nach der Polarnacht das erste Sonnenlicht begrüßte. Selbst das Licht hier draußen, das so seltsam hart und fahl war, glich einem Märzenmorgen in den hohen Breiten unseres geschundenen Heimatplaneten. Ach ja, das Licht!

»Was ist das eigentlich …«, fragte ich und verrenkte mir den Hals, um über die gläserne Dachkonstruktion nach jenem beeindruckenden Strahler Ausschau zu halten.

Rogers stand auf und ging zu einem Instrumentenschrank, an dem er eine Skala regulierte. Die Polarisation der Scheiben nahm stark ab. Das Licht, das von oben hereinstand, wurde schmerzhaft.

»Wir nennen es die Tloxi-Sonne«, sagte er leichthin. Er dimmte die Polarisation wieder ab und kehrte an seinen Platz zurück. »Ein selbstregulierender Plasmabrenner. Einige Milliarden Exowatt oder so. Irgendwas mit schrecklich vielen Nullen.«

Er grinste hilflos.

»Direktor Reynolds könnte euch das vermutlich besser erklären. Aber, um ehrlich zu sein: Wir verstehen es noch nicht ganz …«

Eine künstliche Sonne …, stammelte ich innerlich. Und ein Dr. Rogers, der mehrere Jahrzehnte lang die Planetarische Abteilung geleitet und im Zuge der interstellaren Exploration einige Dutzend Welten für die unierte Menschheit in Besitz genommen hatte, dieser Dr. Rogers hob die Achseln und räumte ein, es nicht zu verstehen.

Jennifer schien denselben Gedankengang absolviert zu haben.

»Eine synthetische Sonne?«, fragte sie. »Und die haben sie hier so einfach angeknipst?«

Rogers strahlte jetzt wie ein Vater, der zugeben muss, dass er von seinem Jüngsten im Schach geschlagen wurde.

»Hat sie keine drei Tage gekostet«, kicherte er. »Sie steht exakt über Lagrange 4 bezogen auf Triton und leuchtet uns die ganze Werft hier aus.«

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