Kitabı oku: «Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention»
Matthias Lodemann
Kirchliche Loyalitätspflichten und die
Europäische Menschenrechtskonvention
Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Jacob Joussen und
Prof. Dr. Gregor Thüsing
Band 2
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Zugl.: Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 2012
Alle Rechte vorbehalten © 2013 Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau www.lambertus.de Umschlaggestaltung: Nathalie Kupfermann, Bollschweil Druck: Franz X. Stückle, Druck und Verlag, Ettenheim ISBN 978-3-7841-2480-3 ebook ISBN 978-3-7841-3452-9
Inhalt
Vorwort
§ 1 Einleitung: Gang der Untersuchung und Kontextualisierung des Themas
§ 2 Grundlagen
A. Die Kirchen als Arbeitgeber
I. Allgemeines: Arbeitnehmer und Kirchenbeamte
II. Die kirchliche Dienstgemeinschaft
B. Die rechtliche Position der Kirchen in Deutschland
I. Verfassungsrechtliche Grundlagen
II. Vom Verfassungsrecht zum Arbeitsrecht
C. Loyalitätsanforderungen der Kirchen im Vergleich
I. Die kirchliche Dienstgemeinschaft als Anlass für Loyalitätsobliegenheiten
II. Rechtsnatur von Loyalitätsobliegenheiten
III. Abgrenzung der Loyalitätsobliegenheiten zum allgemeinen Tendenzschutz
1. Weltlich-säkularer Tendenzschutz
2. Strukturelle Unterschiede zur kirchlichen Dienstgemeinschaft
IV. Inhalt der Loyalitätsobliegenheiten
1. Katholische Kirche
a. Grundlagen
b. Fragerecht und Offenbarungspflicht
c. Loyalitätsanforderungen
d. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Loyalitätsanforderungen
2. Evangelische Kirche
a. Grundlagen
b. Fragerecht und Offenbarungspflicht
c. Loyalitätsanforderungen
d. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Loyalitätsobliegenheiten
3. Ergebnis
§ 3 Die Rechtsprechung bis 1985: Vom umfassenden Tendenzschutz zu gestuften Loyalitätsobliegenheiten
A. Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte
I. BAG AP Nr. 15 zu § 1 KSchG
II. LAG Saarbrücken NJW 1976, 645
III. BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG
IV. BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG; BAG NJW 1980, 2211
V. BAG AP Nr. 7 zu Art. 140 GG
VI. BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG
B. Zusammenfassung
C. Fallgruppen
D. Kritik: Die Rechtsprechung des BAG als Angriff auf die Identität der Kirchen
I. Die ekklesiologische Kompetenz
II. Die BAG-Rechtsprechung als Tendenzschutz in neuen Kleidern
§ 4 Reichweite der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie
A. Grundlagen: Die Weimarer Kirchenartikel
I. Religionsgesellschaften
II. Eigene Angelegenheiten nach dem religiösen Selbstverständnis
III. Ordnen und Verwalten
IV. Schrankenvorbehalt: Das für alle geltende Gesetz
1. Ursprüngliche Interpretation und Heckel’sche Formel
2. Jedermann-Formel des BVerfG
3. Abwägungslehre
a. Allgemeines
b. Umfang der Berücksichtigung des kirchlichen Selbstverständnisses
aa. Wechselwirkungslehre in Anlehnung an Art. 5 II GG
bb. Kollisionsrechtlicher Ansatz
cc. Verfassungsrecht als das für alle geltende Gesetz
4. Zwischenfazit
B. Konkrete Ausgestaltung im Arbeitsrecht
I. Regelung der Arbeitsverhältnisse als Ordnen und Verwalten eigener Angelegenheiten
II. Vertragliche Natur der Loyalitätsobliegenheiten: Grundrechtsverzicht durch kirchliche Arbeitnehmer
1. Grundsätzliche Möglichkeiten des Grundrechtsverzichts
2. Konkret: Grundrechtsverzicht durch kirchliche Arbeitnehmer?
a. Dispositionsbefugnis über einschlägige Grundrechte
b. Freiwilligkeit
3. Zwischenfazit
III. Grenze der Loyalitätsobliegenheiten
1. Grundprinzipien der Rechtsordnung
a. Willkürverbot
b. Sittenwidrigkeit
c. Ordre Public
d. Weitere
2. Konsequenzen für die konkrete Rechtsanwendung im Einzelfall
a. Reichweite der fachgerichtlichen Prüfungskompetenz
b. Insbesondere: Berücksichtigung kollidierender Arbeitnehmergrundrechte?
aa. Berücksichtigung der kollidierenden Arbeitnehmergrundrechte
bb. Interessenabwägung nach den Vorgaben der Religionsgemeinschaften
cc. Stellungnahme
IV. Zwischenfazit
V. Prüfung der Loyalitätsobliegenheiten an den Grundprinzipien der Rechtsordnung, insbesondere zur Kodifizierung absoluter Kündigungsgründe
1. Allgemeines
2. Einzelprobleme
3. Speziell: Der Kirchenaustritt als absoluter Kündigungsgrund
a. Vorgaben der Religionsgemeinschaften
b. Bewertung der kircheneigenen Vorgaben an den Maßstäben der Schrankentrias
C. Ergebnis
§ 5 Exkurs: Die Kündigung im Wertewandel am Beispiel des LPartG
A. Die Bewertung der Homosexualität durch die Religionsgemeinschaften
B. Das LPartG als Ausdruck eines gesellschaftlich-moralischen Wertewandels
C. Schlussfolgerungen für die Schrankentrias
I. Wertewandel als Begrenzung des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts
II. Wertewandel ohne Einfluss auf die Glaubwürdigkeitsansprüche der Kirchen
III. Ergebnis
§ 6 Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz: ein Sachstandsbericht
A. Problemaufriss
I. Der Schutzgehalt des AGG
II. Rechtfertigungstatbestände
B. In Kürze: Regelungsgehalt der RL 2000/78/EG
C. Meinungsstand
I. Die Europarechtswidrigkeit des § 9 AGG, zugleich ein Angriff auf die Kirchenautonomie
II. AGG als Wandlung der Kirchenautonomie zum Tendenzschutz
III. AGG ohne Einfluss auf das kirchliche Arbeitsrecht
1. Kirchliches Arbeitsrecht europarechtsfest
2. AGG als Bestätigung und Festigung der Kirchenautonomie
IV. Stellungnahme
V. Das Urteil des BAG vom 08.09.2011
1. Die Wertung des BAG in Bezug auf § 9 AGG
2. Exkurs: Fehlerhafte Güterabwägung des BAG
D. Zusammenfassung und Ausblick
§ 7 Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
A. Die Entscheidungen zum kirchlichen Kündigungsrecht
I. Der Fall Obst
1. Gang des Verfahrens
2. Vortrag der beteiligten Parteien
3. Würdigung durch den Gerichtshof
II. Der Fall Schüth
1. Gang des Verfahrens
2. Vortrag der beteiligten Parteien
3. Würdigung durch den Gerichtshof
III. Der Fall Siebenhaar
1. Gang des Verfahrens
2. Vortrag der beteiligten Parteien
3. Würdigung durch den Gerichtshof
IV. Vergleichende Analyse: die Judikatur des EGMR zum kirchlichen Kündigungsrecht
1. Die EGMR-Judikatur als Bestätigung der deutschen Rechtsprechung
2. Die EGMR-Judikatur als Abkehr von der deutschen Rechtsprechung
a. Darlegungspflicht
b. Fachgerichtliche Prüfungskompetenz zur Annehmbarkeit der Loyalitätsobliegenheiten
c. Güterabwägung
3. Stellungnahme
V. Ergebnis
B. Die Rechtsprechung des EGMR im Gesamtkontext der EMRK – vollumfängliche Anerkennung des nationalen kirchlichen Arbeitsrechts?
I. Die Rechte der Arbeitnehmer
1. Art. 8 EMRK – Achtung der Privatsphäre
2. Art. 9 EMRK – Religionsfreiheit
3. Art. 10 EMRK - Meinungsfreiheit
4. Art. 12 EMRK - Recht der Eheschließung
5. Art. 14 EMRK - Diskriminierungsverbot
6. Zwischenfazit
II. Die Position der Kirche – nationales Staatskirchenrecht auf europäischer Ebene?
1. Art. 9 EMRK
2. Art. 9 i.V.m. 11 EMRK
3. Zwischenfazit
III. Praktische Konkordanz? Der Prüfungsmaßstab der EMRK für Fälle des kirchlichen Arbeitsrechts
1. Grundsätzliches: Rechtfertigung möglicher Eingriffe
a. Gesetzliche Grundlage
b. Notwendigkeit
aa. Legitimes Ziel
bb. Notwendigkeit
2. Prüfungsmaßstab in den vorliegenden Fallkonstellationen
a. General Margin of Appreciation
b. Besonderer Maßstab für Schutzpflichten
c. Absage an konkrete Handlungsanweisungen
IV. Zusammenfassung: das kirchliche Arbeitsrecht im Lichte des Art. 9 I EMRK: Institutsgarantie im grundrechtlichen Gewand – mehr als nur Tendenzschutz
V. Ergebnis
C. Bindungswirkung für die deutsche Gerichtsbarkeit
I. Bindungswirkungen: ein Konflikt mit Dilemma-Potential für die nationale Gerichtsbarkeit
1. Bindungswirkung der Rechtsprechung des BVerfG
2. Bindungswirkung der Rechtsprechung des EuGH
a. Die Rechtsprechung des EuGH
b. Kritik an der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere an der Mangold-Entscheidung
c. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
d. Zwischenfazit: Weitläufige Bindungswirkung des EuGH
e. Übertragung der Grundsätze auf die konkrete Fragestellung des kirchlichen Arbeitsrechts
3. Bindungswirkung der Rechtsprechung des EGMR
a. Die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag
b. Der Rang der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR
c. Die EMRK im nationalen Rechtsgefüge
aa. Differenzierungen
(1) Bindungswirkung im konkreten Einzelfall: Tenor
(2) Bindungswirkung gegen das identische Land: Gründe
(3) Bindungswirkung gegen übrige Konventionsstaaten: Gründe
bb. Problemstellungen
cc. Lösungsalternativen
(1) Überverfassungsrang
(i) Übertragung von Hoheitsrechten, Art. 24 GG
(ii) Grundrechtsverfassung, Art. 1 II GG i.V.m. 79 III GG
(iii) Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 III i.V.m. 79 III GG
(iv) Anwendungsvorrang durch Teilhabe am Unionsrecht: Der EMRK-Beitritt der EU
(2) Verfassungsrang
(i) Art. 2 I GG
(ii) Art. 3 I GG
(3) Übergesetzesrang, Art. 25 GG
(4) Berücksichtigungspflicht
(5) Nur völkerrechtliche Verpflichtung?
(6) Stellungnahme
(i) Kein Überverfassungsrang der EMRK
(ii) Kein Verfassungsrang der EMRK
(iii) EMRK nur teilweise von Art. 25 GG umfasst
(iv) Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes
(v) Die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit
aaa. Tragende Grundsätze der Verfassung
bbb. Differenzierte nationale Teilrechtssysteme
(7) Zwischenfazit: EMRK auf quasiverfassungsrechtlichem Rang
d. Beispielhaft: Verurteilungen der BRD durch den EGMR und ihre Rechtsfolgen
aa. Dolmetscherkosten
bb. Feuerwehrabgabe
cc. Radikalenerlass
dd. Ausweisung bei Foltergefahr
ee. Görgülü
ff. Caroline von Monaco
gg. Sicherungsverwahrung
e. Zwischenfazit
f. Anwendung auf die konkrete Fragestellung des kirchlichen Arbeitsrechts
II. Die Rechtsprechung des EGMR als Faktor in der europäischen Rechtsprechung – das Verhältnis von EuGH und EGMR
1. Vorabentscheidungsverfahren
2. Die Rechtsprechung des EGMR als Faktor in der Rechtsprechung des EuGH
a. Historische Grundrechtsdogmatik des EuGH sowie Art. 6 III EU
aa. Herleitung
bb. EMRK-Bezug in der Gestalt der Rechtsprechung des EGMR?
cc. Die relevanten Grundrechte
dd. Fortbestand der Grundrechtsquellen nach Inkrafttreten der Grundrechte-Charta?
ee. Zwischenfazit
b. Grundrechtecharta
aa. Allgemeines
bb. Die relevanten Grundrechte
(1) Konventionsentsprechende Rechte: Art. 52 III GRC
(2) Schranken: Art. 52 I GRC
(3) Konflikte im mehrpoligen Grundrechtsverhältnis: Art. 52, 53 GRC
cc. Zwischenfazit
c. EMRK-Beitritt der EU
aa. Rechtliche Voraussetzungen des Beitritts
bb. Ausgestaltung und Problemstellungen des Beitritts
cc. Zwischenfazit: Schlussfolgerungen für das Verhältnis von EGMR und EuGH
d. Beispiele
aa. Materielle Divergenzen
bb. Überprüfung von Unionsrecht
e. Ergebnis: Subordination des EuGH durch weite Präjudizwirkung des EGMR
3. Übertragung auf die Fragestellungen des kirchlichen Arbeitsrechts
§ 8 Zusammenfassung: Lösungsalternativen
A. Beibehaltung der bisherigen Rechtslage: Güterabwägung nach den Vorgaben der Kirchen
I. Konkreter Lösungsansatz
II. Möglichkeit des Fortbestands unter den neuen Einflüssen
1. Fortbestand nach Inkrafttreten des AGG
2. Fortbestand nach der Rechtsprechung des EGMR zum kirchlichen Arbeitsrecht
III. Ergebnis
B. Darlegungslast der kirchlichen Arbeitgeber
I. Konkrete Darlegungslast im Einzelfall
II. Abstrakt-generelle Darlegungslast
III. Obliegenheit der Kirchen zur präziseren Ausformulierung der Loyalitätspflichten
1. Regelungsauftrag als Obliegenheit der Kirchen
2. Kein Verstoß gegen negative Religionsfreiheit
3. Regelungsauftrag nicht nur über das „Ob“, sondern auch über das „Wie“
4. Keine Obliegenheit zur Stufung der Loyalitätsobliegenheiten
5. Ergebnis: Gestaltungsauftrag nur teilweise hinreichend ausgefüllt
C. Fachgerichtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung
I. Gleichbehandlung mit Tendenzbetrieben
II. Verhältnismäßigkeitsprüfung außerhalb des Regimes der Tendenzbetriebe
D. Fazit der Lösungsalternativen
E. Exkurs: § 9 KSchG
I. Hintergründe und Vergleichbares
II. Grundsätzliche Anwendbarkeit des § 9 KSchG
III. Ausgestaltung
F. Zusammenfassung
§ 9 Gesamtergebnis
Literaturverzeichnis
Materialien
Curriculum Vitae
VORWORT
Die vorliegende Dissertation wurde im Sommersemester 2013 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zur Promotion angenommen. Das Manuskript wurde im März 2012 fertiggestellt. Soweit möglich, nötig und sinnvoll sind Rechtsprechung und Literatur auch bis zum Zeitpunkt der Disputatio im April 2013 berücksichtigt worden.
Dank gebührt in erster Linie und von ganzem Herzen meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard), der mein Thema zur Betreuung annahm, der mich umsichtig und vorausschauend unterstützte, der mir meinen Freiraum ließ und meinen Denkprozess doch stets begleitete. Herrn Professor Dr. Stefan Greiner danke ich für die mehr als zügige Erstellung des Zweitgutachtens mit wertvollen Hinweisen.
Der Konrad-Adenauer-Stiftung danke ich für das mir von 2011 bis 2012 gewährte Promotionsstipendium und die damit verbundene Teilnahme im Programm der Graduiertenförderung. Die Seminare, noch mehr aber ihr Teilnehmerkreis, bleiben für immer in Erinnerung. Hier danke ich auch Herrn Professor Dr. Gerhard Igl für seine Unterstützung meiner Bewerbung.
Dank gebührt weiterhin Herrn Malte Weismüller für die Vorablektüre und die darauffolgenden Hinweise, sowie meiner Familie, insbesondere meinen Eltern Angelika Lodemann-Paterna und Thomas Paterna, für ihre Unterstützung; nicht zuletzt auch im Rahmen des Korrekturlesens.
Frau Fränze Wilhelm, der die umfangreichste Danksagung zusteht, übermittle ich diese persönlich.
Hamburg, im August 2013
So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist,
und Gott, was Gottes ist!
Lukas 20:25
§ 1 EINLEITUNG: GANG DER UNTERSUCHUNG UND KONTEXTUALISIERUNG DES THEMAS
„Kündigung wegen Ehebruchs verstößt gegen Menschenrechte“, so titelten die Medien am 23.09.2010 gleichermaßen plakativ wie inhaltlich unvollständig.1 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte an jenem Tag über zwei Beschwerden zu entscheiden, die Kündigungen seitens kirchlicher Arbeitgeber in Deutschland zum Inhalt hatten.2 Am 03.02.2011 folgte der bisherige Schlusspunkt mit dem Urteil des EGMR zu einer weiteren Beschwerde bezüglich des kirchlichen Kündigungsrechts.3
Das Recht der Kirchen in Deutschland, kündigungswesentliche Loyalitätsobliegenheiten selbst ausformulieren zu dürfen, folgt aus der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 137 III 1 WRV, der über Art. 140 GG Eingang in die Verfassung gefunden hat. „Innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ darf eine Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig regeln. Hierzu zählt nach ständiger Rechtsprechung des BAG und des BVerfG auch das Recht, spezifische Anforderungen an ihre Arbeitnehmer zu umschreiben und verbindlich zu machen.4 Dies prägt insoweit auch die Privatautonomie, derer sich die Kirchen bedienen, um Dienstverhältnisse einzugehen, und damit auch das – anwendbare – staatliche Arbeitsrecht.5
Der kirchliche Arbeitnehmer kann demzufolge nicht vom Sendungsauftrag der Kirche differenziert werden; vielmehr gilt ein einheitliches Leitbild der kirchlichen Dienstgemeinschaft.6
Wiewohl es also nicht zu einer „Klerikalisierung“ der Rechtsstellung des kirchlichen Arbeitnehmers kommen darf,7 kann als gesichert festgehalten werden, dass die Kirchen zur Wahrung ihrer Glaubwürdigkeit rechtswirksam entsprechende Loyalitätsrichtlinien für ihre Arbeitnehmer erlassen können. Entsprechend dieser Richtlinien, die die Grundsätze der Kirchen niederschreiben, kam es demzufolge zu Arbeitgeberkündigungen aufgrund privaten Fehlverhaltens der kirchlichen Arbeitnehmer wie etwa Kirchenaustritt,8 Wiederverheiratung Geschiedener,9 homosexuelle Beziehungen10 und außereheliche Affären.11 Zu beachten bleibt, dass selbstverständlich nur die privaten Fehltritte relevant sind, die dem kirchlich-religiösen Inhalt der Lehre zuwiderlaufen. Die Fachgerichte sind insoweit an die Vorgaben der Kirchen gebunden.
Umstritten war – und ist – aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben in der Vergangenheit nie die grundsätzliche Rechtmäßigkeit dieser Vorgaben, sondern lediglich ihre Reichweite. Die einzige Konstante bei der Suche nach der Antwort zu dieser Fragestellung ist jedoch ihre Unbeständigkeit. Wurden also bis etwa 1980 kündigungswesentliche Loyalitätsobliegenheiten noch unproblematisch bejaht,12 differenzierte das BAG in der Folge nach der Nähe des Arbeitnehmers zum Verkündigungsauftrag und verneinte bei fehlender Nähe die Rechtmäßigkeit der Kündigung, da die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht in Gefahr gewesen sei.13 Mit seiner Grundsatzentscheidung im 70. Band machte das BVerfG dem ein Ende und rückte die kirchliche Deutungshoheit in den Mittelpunkt.14 Die Fachgerichte seien demnach an die Vorgaben der Kirchen gebunden; Ausnahmen bilden lediglich Verstöße gegen die Grundprinzipien der Rechtsordnung, namentlich die guten Sitten, das Willkürverbot sowie den ordre public.15 Das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen wurde also deutlich gestärkt.
Nachdem diese Fragestellung also zumindest grundsätzlich eine Antwort erhalten hatte, erhielt sie jedoch im Folgenden durch Einflüsse des internationalen Rechts neue Nahrung. Aufbauend – unter anderem – auf EU-Richtlinie 2000/78/EG trat am 18.08.2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Dieses verbietet Diskriminierungen aufgrund der Religion, sieht aber für die Religionsgemeinschaften in § 9 AGG eine Ausnahme vor.16 Eine eindeutige Klärung durch das BAG oder den EuGH steht weiterhin aus.17
Zuletzt, und gleichzeitig im Mittelpunkt dieser Arbeit, ist die oben bereits zitierte Rechtsprechung des EGMR zu nennen, der die behauptete Konventionswidrigkeit des kirchlichen Kündigungsrechts an Art. 8, 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu messen hatte. Der Gerichtshof fand dabei einzig im Fall Schüth eine Verletzung.18 Inwieweit diese Rechtsprechung Einfluss auf die innerdeutsche Rechtslage und im Übrigen auch auf das korrekte Verständnis des AGG nehmen wird, gilt es hier zu beleuchten.
Hierzu werden vom zweiten bis zum vierten Kapitel umfangreich die nötigen Grundlagen dargestellt. Zunächst wird dabei die Position der Kirchen im tatsächlichen wie im rechtlichen Gefüge herausgearbeitet. Folgend ist auf die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und letztlich auf die – die vorgenannte korrigierende – Reichweite der verfassungsrechtlichen Garantie einzugehen. Im fünften Kapitel wird dann untersucht, ob nicht der innergesellschaftliche Wertewandel, etwa bezüglich der Homosexualität, bereits eine Änderung der Rechtslage nach den vom BVerfG vorgegebenen Grenzen bewirkt. Dann wendet sich die Arbeit dem internationalen Recht zu und stellt im Rahmen eines kurzen Sachstandsberichtes die aktuellen Probleme rund um das AGG und die diesem zugrunde liegende Richtlinie 2000/78/EG dar, um schließlich im siebten Kapitel den Schwerpunkt aufzugreifen. Dieser liegt in der Rechtsprechung des EGMR, die zuerst materiell auf ihre Kernaussagen analysiert wird. Fraglich ist dabei, ob sich inhaltliche Unterschiede zur gefestigten deutschen Judikatur ergeben. Sollte dies der Fall sein, ist sodann zu untersuchen, ob, inwieweit, und, falls ja, auf welche Weise diese Rechtsprechung in Deutschland umgesetzt werden muss, umgesetzt werden kann und umgesetzt werden wird. Diese Fragestellung beantwortet sich aus dem Verhältnis der EMRK zum nationalen Recht, was insbesondere aufgrund der teilweise kongruenten Regelungsmaterie in Grund- bzw. Menschenrechtsfragen bei möglichen Differenzen die Frage einer Rangordnung in Konfliktfällen mit sich bringt, die es aufzulösen gilt. Nur so kann der Praxis eine Empfehlung ausgesprochen werden, welche der unterschiedlichen Wertungen es zu befolgen gilt.
Die Frage der Bindungswirkung stellt sich zudem auch noch in einem gänzlich anderen Zusammenhang, der Ebene der Europäischen Union. Hier ist zu untersuchen, inwieweit die EMRK sowie die auf Basis dieser ergangene Rechtsprechung des EGMR das Unionsrecht als dessen Grundrechtsquelle beeinflusst. Wiederum stellen sich im Gemengelage von herkömmlicher Grundrechtsdogmatik, der kürzlich verbindlich gewordenen Charta der Grundrechte (GRC) und dem bevorstehenden EMRK-Beitritt der Union bei teilweise identischem Regelungsinhalt Spannungsfragen. Auch diese müssen aufgelöst werden, um eine verbindliche Aussage treffen zu können, inwieweit die vorgenannte Rechtsprechung des EGMR das kirchliche Arbeitsrecht über den europäischen Umweg über RL 2000/78/EG und § 9 AGG auch mittelbar national beeinflussen wird. Nach abschließender Analyse aller Lösungsalternativen werden schließlich eine Prognose erstellt und ein Vorschlag für die Praxis herausgearbeitet.
1 Urteil: Kündigung wegen Ehebruchs verstößt gegen Menschenrechte, Spiegel Online vom 23.09.2010, erreichbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,719111,00.html.
2 EGMR, Urteil vom 23.09.2010 - 425/03 – Obst ./. Deutschland; EGMR, Urteil vom 23.09.2010 - 1620/03 – Schüth ./. Deutschland.
3 EGMR, Urteil vom 03.02.2011 – 18136/02 – Siebenhaar ./. Deutschland.
4 BVerfGE 70, 138, 165 ff.
5 BVerfGE 70, 138, 165.
6 Zur Dienstgemeinschaft vgl. unten § 2 A. II. Die kirchliche Dienstgemeinschaft.
7 BVerfGE 70, 138, 166.
8 So z.B. BAG NZA 1984, 287; BAG NJW 1985, 2781.
9 Dies bedeutet eine kirchenrechtlich unzulässige Heirat, vgl. BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG = NJW 1978, 2116.
10 BAG NJW 1984, 1917.
11 BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Kirchlicher Dienst.
12 Vgl. etwa BAGE 2, 279 = AP Nr. 15 zu § 1 KSchG = NJW 1956, 646.
13 Vgl. BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG.
14 BVerfGE 70, 138, 165 ff.
15 BVerfGE 70, 138, 168.
16 Zu den Auswirkungen des AGG auf die kirchliche Dienstgemeinschaft im Allgemeinen sowie das kirchliche Kündigungsrecht im Speziellen vgl. Groh, Einstellungs- und Kündigungskriterien, sowie insbesondere Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht.
17 Offen gelassen in BAG, Urteil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10 = NZA 2012, 443.
18 EGMR, Urteil vom 23.09.2010 - 1620/03 – Schüth ./. Deutschland, Rn. 71.