Kitabı oku: «Zuhören - Austauschen - Vorschlagen», sayfa 4
2.5 Akkomodation und Offenbarung
Dies ist die zweite Überraschung aus GS 44: Das Konzil bezieht das Gesetz der ‚praedicatio accomodata‘, der ‚angepassten Verkündigung‘, nicht etwa auf Nebenbereiche kirchlicher Betriebsamkeit, sondern auf das Herz der Theologie und der Pastoral. Es geht um die Verkündigung des ‚geoffenbarten Wortes‘. Mit Recht wird man also sagen können: Dem Abschnitt geht es ums Ganze, um das Wertvollste, um das Schützenswerteste der Kirche überhaupt. Es mag viel Acker geben: Hier ist die Perle. Kurz vor dem Ende des ‚lehrhaften Teils‘ I der Konstitution will das Lehramt noch einmal markieren, wie die Rollen zwischen Kirche und Welt verteilt sind, wenn es um diesen inneren Kern des Glaubens, die ‚Botschaft Christi‘ selbst geht. Wem gehört diese Botschaft?, lautet die Frage. Wem ist die Offenbarung anvertraut? Wem wurde was gesagt, und wer kann was auf welchem Weg verstehen?
Die Antworten auf diese Fragen sind in höchstem Maße erstaunlich. Während wir heute über Abgrenzungen diskutieren, über ‚Kerngeschäfte‘ der Pastoral, über das Profil des Katholischen und Erkennungsmerkmale der Konfessionen usw., zeigt GS 44 die Kirche als zuhöchst souveräne Institution. Denn souverän ist ja nicht der, der seine Existenz ängstlich behauptet und umklammert, sondern der, der sich seines Selbststandes so sicher ist, dass dialogische Veränderung durch Kulturkontakt diesen Selbststand nur erweitern, nicht aber bedrohen kann.
Das ist der ‚Geist des Konzils‘, wie man ihn genannt hat: In GS 44 bekennt die Kirche frei heraus, dass sie das Wissen um die göttliche Offenbarung eben nicht bereits vollständig und vollgültig besitzt; dass nicht sie die exklusive Empfängerin der Offenbarung ist; dass selbst sie den Glauben, die Botschaft Christi immer neu zu lernen hat. Von wem aber sollte die Gemeinschaft der Glaubenden lernen können, als wer, was und wo sich Gott heute offenbaren will? Hier ist der Text radikal, und dies in einem krachenden Crescendo: Er spricht davon, dass im Kontakt zur Kultur der Kirche ‚neue Wege zur Wahrheit‘ aufgetan werden. Die Kirche benötigt also die Hilfe derer, die ‚in der Welt stehen‘. Dabei sei es gleichgültig, ob es sich dabei um Gläubige oder Ungläubige handele. Ja: Sogar die Feindschaft der Kirchengegner und -verfolger sei für sie von großem Gewinn.
Man denkt, man habe sich verlesen. Und man versteht, dass Konzilspassagen Texte sein können, die einer großen geistlichen Intuition gehorchen, die in nachfolgenden Jahren Buchstabe für Buchstabe nachzubedenken und nachzubestätigen sind. GS 44 ist sicherlich eine dieser großen Intuitionen, die das ganze Volk Gottes, „vor allem (…) Seelsorger und Theologen“, wie es heißt, in die Pflicht nimmt. Die Aufgabe ist die der Kulturhermeneutik. Denn der Sinn der Methode der Akkomodation ist nichts Geringeres als die Schaffung von vitalen, kreativen, brisanten, präzisen, effektiven und aufregenden Kulturkontakten. Wozu? „Damit die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer erfaßt, besser verstanden und passender verkündet werden kann.“ Der Text verweist also auf die drei Dimensionen der Wahrnehmung, des Verstehens und der Artikulation, und er bezieht sie auf die Offenbarung. Die Pointe: Jenseits kultureller Akkomodationen können diese drei Vollzüge nur suboptimal gelingen.
‚Kultur‘ ist also nicht einfach die Bühne, die die Kirche zubereitet, damit sich die Offenbarung ereigne. Die ‚Leute‘ sind nicht einfach die Zielgruppe, auf die sich die Verkündigungsaktivität der Kirche richtet. Die ‚Welt‘ ist nicht einfach das Material, das sekundär durch Bibel und Sakramente vergeistigt würde. ‚Kirche‘ ist nicht das, was immer schon da wäre, jenseits konkreter Orte, Zeiten, Menschen und Strukturen. All diese Vorstellungen waren theologisch zwar immer schon falsch, bildeten pastoralpraktisch aber den geltenden Stil. Das Konzil hat zum Beispiel in GS 44 diesen latenten oder offenen Integralismus und die aus ihm erwachsende Spaltung dogmatisch erledigt. Es hat der Kirche einen Platz unter den Lernenden angewiesen, an dem das Verstehen der Offenbarung ebenso wenig kontrolliert werden kann und das Sich-Ereignen der Offenbarung ebenso intensiv erhofft werden muss wie bei allen Anderen. Es hat die Kirche in die Allianz derer eingeschmiedet, die ohne die stets unverhoffte Botschaft von der Liebe nicht mehr leben wollen.
Gaudium et spes mutet damit in Passagen wie der hier beobachteten Nummer 44 große systematisch-theologische Transformationen zu, die hier nur genannt, aber nicht durchgearbeitet werden können. Immerhin: Diese Umstellung des Spiels, diese Neuzuweisung einer nicht eingeübten Rolle kann für Theologie und Kirche „unheimlich“44 sein. Jedenfalls hat Rahner dieses Wort benutzt, als er analysierte, was sich hier eigentlich verändert. In einem bestimmten Sinn, so schreibt er, ist eben die Offenbarung mit dem Tod der Apostel gerade nicht abgeschlossen. Es zeigt sich, „dass die Kirche gar nicht aus der Offenbarung Gottes (…) alleine leben kann. Sie braucht, um handeln zu können, und zwar zu einem Handeln, ohne das sie gar nicht wäre, was sie sein muss, eine Erkenntnis der Situation, in der sie lebt.“45 Um sie selber sein zu können, um Liturgie, Diakonie und Verkündigung leisten zu können, um Gott verstehen zu können, bedarf die Kirche einer „nicht-geoffenbarten, nicht zum ‚depositum fidei‘ gehörenden Erkenntnis“. Diese Erkenntnisse müssen anders und in Koalition mit Anderen beigebracht werden. Andere entscheiden mit darüber, was Offenbarung Gottes heute bedeuten kann und soll. Nur noch charismatisch und in gemeinsamer kultureller Anstrengung kann die Gegenwartssituation unter dem Beistand des Geistes erfasst und in kirchliche Praxis und Weisung überführt werden. All dies ist neu und bedrängend: „Hier hat das Konzil der Kirche die übliche Theologie weit hinter sich gelassen.“46
Ähnlich bewertet es der französische Jesuit Christoph Theobald. Er bezeichnet den hier fälligen theologischen Sprachfortschritt sogar als Konversion; eine Konversion zu einer „Pastoralität des Dogmas selbst“.47 Es tritt, gerade als Dogma, in einen Prozess der radikalen Geschichtlichkeit und damit in eine Außenbestimmbarkeit durch Orte und Zeiten ein. Dass dies gerade nicht auf Kosten seines Wahrheitsanspruches geht, zeigt der Systematiker durch den Hinweis auf die Logik biblischer Narrativität, in der ja auch das Ganze immer am Konkreten, Situativen und Episodalen erkennbar wird. Allerdings verschiebt sich der legitimierbare Wahrheitsanspruch des Dogmas weg von der Idee, eine geschlossene Weltanschauung vorlegen zu können, in den Modus, Dogmen als regulative Interpretationsregeln zu verstehen. Dogmen sind dann Sprachregelungen darüber, was über Gott inhaltlich festgehalten werden muss. Wie diese Einsichten dann sprachlich ausgedrückt und weiter präzisiert werden können, das muss in pluralen und formulierungsoffenen Auslegungsprozessen gefunden werden, in denen die gegebenen Kontexte, Sachzwänge und Interessengruppen ihre Kontingenz voll einzubringen haben.48
Theobald kann zeigen, dass diese Spur der Pluralitätsakzeptanz bis in den Kern offenbarungstheologischer Selbstverständigung hinein erst zu den allerletzten Entscheidungen des Konzils gehört. Der Wechsel vom Instruktions- zum Kommunikationsparadigma im Offenbarungsverständnis in Dei Verbum Nr. 2 datiert vom Oktober 1965, die Abstimmung über GS 44 vom Dezember 1965. Das bedeutet, dass die Texte kaum noch insgesamt aufeinander abgestimmt werden konnten, so dass der Gesamtkorpus von Gaudium et spes nicht im Ganzen auf das reflektiert, was GS 44 so bahnbrechend einbringt. Weder die Frage der Autonomie der irdischen Wirklichkeiten und Wissenschaften (GS 36) noch das Problem, wie empirische Situationsanalyse und theologische Erkenntnis wechselseitig verschränkt werden können, sind mit dem Offenbarungsverständnis verbunden. Es fehlt eine fundamentaltheologisch befriedigende hermeneutische Verbindung zwischen den ekklesiologischen Konstitutionen ‚Lumen Gentium‘ und ‚Gaudium et spes‘ und der Offenbarungskonstitution.49 Erst in der nachkonziliaren Rezeption kann in Passagen wie DV 2, GS 44 oder ‚Ad gentes‘ 22 das entscheidende hermeneutische Grundgerüst erkannt werden, das den entscheidenden ‚Sprung des Konzils nach vorwärts‘ (Johannes XXIII.) ermöglicht. Jedenfalls werde es darauf ankommen, diese ‚Pastoralität‘ kirchlicher Wirklichkeit zu erproben, sich nicht über die gegebenen Kontexte zu erheben, sondern in sie hineinzutauchen und mit bewunderndem Respekt auf die Lebensbewältigungen der ‚Leute‘ um uns herum zu achten.
Die Analysen Rahners wie auch Theobalds rütteln auf. Sie bedeuten nicht nur eine präzise Aufgabenbestimmung für eine sich neu entwerfende theologische Disziplin namens Pastoraltheologie. Sie markieren auch die Anerkenntnis des kulturellen Pluralismus innerhalb der Dogmatik. Sie sehen am Horizont das Ende der unhinterfragten Sicherheiten und damit den Eintritt in die geistesgeschichtliche Situation des modernen und postmodernen Menschen. Es ist eben nicht so, dies wird hier dogmatisch geahnt, dass die Kirche in ihren Offenbarungserkenntnissen aus Schrift, Tradition und Lehramt eine Quelle besäße, die zureichend Auskunft darüber gibt, was man heute wissen kann, hoffen darf und tun soll. Wie für alle anderen kulturellen Akteure gilt es auch für die Kirche, die Antworten auf diese Fragen durch das komplexe Gewebe empirischer, kontextueller, situativ und machtförmig verengter sowie bestenfalls mittelfristig gültiger Erkenntnisse zu finden. Welche Erschütterung diese ernüchternde Selbstbegrenzung der theologischen Erkenntnisreichweite für die Theologie im Ganzen, aber auch für kirchliche Strukturen und geistliche Berufungswege bedeuten, lässt sich derzeit aus den Reflexen der kirchenpolitischen Polarisierungen herauslesen, sei es auf welt-, sei es auf ortskirchlicher Ebene. Der neue Platz an der Seite derer, die ebenfalls mit allen Kräften gemäß ihrer religiösen oder politischen Weltanschauung nach dem Gelingen menschlichen Lebens suchen, muss erst gefunden werden.
2.6 Akkomodation als pastoraltheologischer Dreischritt
Schaut man genauer hin, wie sich GS 44 den Prozess der Akkomodation vorstellt, erkennt man eine Dreigliedrigkeit des Vorgehens. Der Text bietet erstens Verben des Wahrnehmens wie ‚hören‘, ‚erfassen‘ oder ‚erkennen‘. Zweitens dominiert das ganze Wortfeld der reflektierenden In-Beziehung-Setzung: ‚empfangen‘, ‚erschließen‘, ‚erhellen‘, ‚Austausch‘, ‚unterscheiden‘, ‚deuten‘, ‚beurteilen‘. Drittens finden sich Verben der Artikulation: ‚anpassen‘, ‚ausdrücken‘, ‚Fähigkeiten wecken‘, ‚verkünden‘, ‚fördern‘. Nimmt man einen Schlüsselsatz heraus, können alle drei Vollzüge komprimiert als der eine Prozess der Akkomodation erkannt werden: „Es ist jedoch Aufgabe des ganzen Gottesvolkes, vor allem auch der Seelsorger und Theologen, unter dem Beistand des Heiligen Geistes auf die verschiedenen Sprachen unserer Zeit zu hören, sie zu unterscheiden, zu deuten und im Licht des Gotteswortes zu beurteilen, damit die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer erfaßt, besser verstanden und passender verkündet werden kann.“
Natürlich wird man an die bekannte Trias ‚sehen – urteilen – handeln‘ erinnert. Und da die ganze Konstitution Gaudium et spes gemäß diesem Schema aufgebaut ist, kann der Befund wenig verwundern. Trotzdem liegen in GS 44 Wort-Akzente, die eine höhere Auflösung des Gemeinten versprechen und die außerdem der Gefahr der doch sehr eingeschliffenen Assoziationskette des ‚sehen-urteilen-handeln‘ entgehen.50 Der im Folgenden unterbreitete Vorschlag, im Anschluss an GS 44 von ‚zuhören‘, ‚austauschen‘ und ‚vorschlagen‘ zu sprechen, hat daher nicht den Anspruch, das bekanntere Schema ersetzen zu wollen. Wohl aber ist er stärker als ‚sehen-urteilen-handeln‘ verkündigungsorientiert; und er ist erkennbarer von größerer Vorsicht getragen, der im vorhergehenden Abschnitt skizzierten modernen Pluralitätssituation zu entsprechen. Dies wird vor allem deutlich, wenn wir uns der Kraft des lateinischen Originaltextes zuwenden, die nur eher behelfsmäßig im Deutschen aufscheinen kann.
auscultare: abhorchen, zuhören
Die Verbfamilie des ‚Wahrnehmens‘ in GS 44 wird durch das Wort des ‚Hörens‘ gut repräsentiert. Die Aufforderung lautet, auf die verschiedenen Sprachen der gegebenen Zeit und der gegebenen Leute zu hören. Der Originaltext verwendet hier das Verb ‚auscultari‘. Es steht für ein sehr intensives Zuhören, ein angestrengtes, eifriges Hinhören, ja: ein Ab- und Aushorchen. Jeder, der mit seinem Kind schon einmal bei der Ärztin war, kennt die ‚Auskultation‘: Das ist medizinisch der Vorgang, in dem sie das Stethoskop an Brust oder Rücken legt, um die Herz- oder Lungenaktivitäten abzuhören. Der Sinn ist ein diagnostischer: Die Ärztin will Störgeräusche von Normalgeräuschen unterscheiden können.
Ein faszinierendes Bild: Das Volk Gottes, besonders die Seelsorger und Theologen, legen ihr Stethoskop an Herz und Lunge ihrer Zeit und strengen sich an, jedes noch so kleine Geräusch auszukultieren. Wie eine intensiv abhorchende Hausärztin sollen auch sie ihre Zeit, ihre Kultur, ihre Umgebung ‚aushorchen‘ – dies aber nicht in spionierendem, entlarvendem, überführendem Interesse, sondern diagnostisch. Es geht um ein ‚gehorchen‘ auf das, was im sonoren Rauschen des Alltages auffällt, stört, zur Reaktion ruft. Die pastoralen Fragen lauten: Was ist hier gerade der Fall? Was klingt normal, wo sind Störgeräusche? Wer signalisiert was und zu welchem Zweck? Übrigens kennt Gaudium et spes noch eine zweite Metapher, die an medizinische Diagnostik erinnert. In der bekannten Nummer 1 geht es um die Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen, die immer auch die der Jünger Christi sind. Denn: „Es findet sich nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihrem Herzen widerhallte [resonat].“ Hier steht das lateinische Wort: resonare und dieses kann unschwer in der medizinischen Sonografie (populär: Ultraschall) wiedererkannt werden. Ein Schallimpuls wird ausgesendet, damit er abstrahlt, ein Echo findet und somit eine Antwort, die auf ihn wieder zurückkommt. Auch wenn dies passiver ist als das aktive auscultare in GS 44, so ist auch GS 1 von dieser typisch kontextsensiblen Haltung der Jünger Christi geprägt. Und wiederum gibt es einen Konnex dieser Haltung auf die Offenbarungskonstitution ‚Dei Verbum‘. In deren Nummer 8 ist vom Heiligen Geist die Rede, „durch den die lebendige Stimme des Evangeliums in der Kirche und durch sie in der Welt widerhallt [resonat].“ Die Kirche soll sozusagen das Echo des Geistes in der Welt sein, sein Widerhall, sein Schallraum, seine akustische Sonde.51 Es gibt eine „Resonanzpflicht“ der Kirche, schreibt der Pastoraltheologe Erich Garhammer.52 ‚Auscultare‘ und ‚resonare‘ – zwei Umschreibungen derselben Haltung, die das bekannte Begehren des jungen Salomo – „Verleih Deinem Knecht ein hörendes Herz“ (1 Kön 3,9) – von der vertikalen in die horizontale Ebene wendet. Nach GS 44 hat eine Kirche, die wieder jung werden will, ein hörendes Herz für den Kontext, dessen Teil sie selber bildet.53
‚vive commercium‘: austauschen, deuten, empfangen, unterscheiden
Auch die Benennung des zweiten Vollzuges der Akkomodation überrascht: Zweimal ist im Text vom commercium die Rede, dem Austausch. Gerade durch die Kontextanpassung wird der lebendige Austausch zwischen Kirche und Kulturen gefördert. Und zur Steigerung des Austausches bedarf die Kirche der Hilfe jener Welt-Experten, die die Verhältnisse, Fachgebiete und Mentalitäten ihrer Kultur gut kennen, seien sie gläubig oder ungläubig.
Gute Pastoral ist also kommerziell, könnte man sagen. Dies gilt ganz sicher nicht im Sinne der Produktion benachteiligter Opfer in einem ungebändigten Kapitalismus. Wohl aber gilt es in der Tauschgesinnung, die echten Kommerz auszeichnet. Immerhin kommt das Wort ja von diesem Sinn her. Es lohnt sich, hierüber kurz zu reflektieren. Denn wiederum, wie schon beim auscultare, wird beim commercium, dem Austausch, eine pluralitätskompatible Sprache erreicht – entschieden stärker übrigens als bei dem Begriff ‚urteilen‘ der bekannten Trias. Austauschen hat ja als Vorgang zur Voraussetzung, dass sich erstens Partner auf Augenhöhe treffen und beide zweitens Waren anzubieten haben, die zueinander wertparitätisch sind. Drittens kommt hinzu, dass niemand zum Tausch gezwungen ist, sondern entweder auf das Geschäft verzichtet oder andere Tauschpartner aufsucht. Der Austausch ist damit – natürlich hier idealtypisch gesehen – ein Akt und ein Ort der Freiheit.
Diese Einsichten wandeln die latent einseitige Assoziation des ‚Urteilens‘ in ein neues, nämlich wechselseitiges Verständnis: Man kann sagen, dass im Austausch gerade die Interaktion eine neue Qualität erst schafft, die jenseits des Tausches gar nicht existent war. Der Tausch aktualisiert nicht nur die Werthaftigkeit der einzelnen zu tauschenden Dinge, er aktualisiert auch die Werthaftigkeit der tauschenden Subjekte. Jeder, der schon einmal in einem Land wie Kamerun dachte, er sollte als Europäer aus Höflichkeit, Gerechtigkeit oder einfach Eile auf zeitaufwändige Bazarverhandlungen verzichten und einfach in den vom Verkäufer erstgenannten Preis einwilligen, weiß, wovon hier die Rede ist. Man beschämt den Anderen, weil man ihn offenbar der Verkaufsinteraktion für unwürdig befindet. Verhandelt wird der Subjektstatus der Tauschpartner und als Symbol dafür dient die Ware.
Was bedeutet dies im Übertrag für die Pastoral einer akkomodierenden Kirche? Wieder sind die Konsequenzen beträchtlich. Denn auch in der Begegnung von Kirche und Kontext soll Wertparität herrschen – und zwar real, nicht simuliert. Im Klartext: Die umgebende Kultur hat der kirchlichen Selbstverständigung Inhalte und Stile anzubieten, die diese erstens real benötigt und zweitens nicht aus sich heraus erbringen kann. Natürlich hat die Kirche eine große Botschaft, in deren Dienst sie steht. Dass Liebe möglich sein soll, dass man gewaltfrei leben kann, dass da ein Gott ist, dessen Verehrung friedlich und kreativ macht – all das ist äußerst sagenswert. Aber auch die Anderen haben Themen, Weisheiten, Botschaften. Auch sie haben Ideen über gelingendes Leben, Glück und Heil. Pastorales commercium heißt: Tauschen wir uns aus über das, was wir dem ‚Leben‘ an Sinn, Logik, Rationalität oder Rätselhaftigkeit abringen können. Trauen wir dem post-, nicht- oder anonymchristlichen Gesprächspartner zu, dass er nicht nur irgendeine, sondern eine wichtige Botschaft für uns hat. Suchen wir weniger zu verändern, als selbst verändert zu werden. Wechseln wir aus dem Pädagogik- oder Didaktikmodus in den der realen Wechselseitigkeit der einander bedürftigen Existenz.
Denn der Clou dessen, was Christen zu verkünden haben, ist die riskante Beziehung mit dem Anderen, in die man vom Inhalt der Christusbotschaft her getrieben wird. Man kann das Wesentliche des Christentums sozusagen gar nicht lexikalisch korrekt oder rein inhaltlich vermitteln: Christsein erschließt sich über das Risiko des ‚innovatorischen Selbsteinsatzes‘, wie Thomas Pröpper das nennt.54 Das Evangelium als wirksame Botschaft ist kein Bestand von Sätzen oder eine Ethik oder eine Anleitung zum richtigen Kirchesein, sondern ein heutiges, mehrstufiges, biografisches und intersubjektives Ereignis: Ich lese einen Teil des Evangeliums oder höre einen Teil der Jesusgeschichte. Die Geschichten und Motive drängen mich dazu, in die Welt des Anderen hineinzugehen und seine Fragen, Freuden und Rätsel so weitestmöglich in mich aufzunehmen. Vielleicht gelingt es mir, und der Andere erwidert diesen Schritt auf mich hin. Dann kann es geschehen, dass eine dritte Kraft – der durch das Evangelium für solche Aktionen versprochene Geist Gottes – in die Mitte unserer Begegnung tritt. Er kann uns paradoxerweise gerade deswegen (und vielleicht sogar: nur deswegen) beide erreichen, weil wir beide von uns weggegangen sind. Und er bringt uns in einen gemeinsamen Verstehensraum, der drei Qualitäten hat: Er ist für uns beide faszinierend neu; er verändert uns beide; und er verschmelzt uns nicht, sondern arbeitet unser beider Unterschiedenheit sogar noch stärker heraus. Diese Logik, die theologisch als Pascha-Logik oder als trinitarische Lebensdynamik oder wie auch immer angesprochen und hier nur als Skizze aufs Blatt geworfen werden kann,55 ist das Schöne am Christsein: das Innovative, das Politische, das Erlösende, aber auch das Brisante, weil Riskante an ihm. So ‚funktioniert‘ das, was christlich Ehe heißt oder Gemeinde, Ordensleben, Priestersein, Liturgie, interreligiöser Dialog, theologische Erkenntnisfindung. Der kenotische Weg zum Anderen ist der Weg sowohl zum unverfügbar bleibenden Gott wie zu mir selbst, und dies seltsamerweise dann, wenn er gerade nicht wegen dieser Effekte, sondern real um des Anderen willen eingeschlagen wird.
Einen solchen Lebensstil kann man nicht predigen, man muss ihn ausprobieren. Wer schwimmen will, der schwimme – und bleibe nicht am Rand stehen. GS 44 will eine ganze Kirche dazu motivieren, in dieser Weise kontextsensibel zu werden und ‚commercium‘ im obigen Sinne zu betreiben. Hierfür braucht man Beispiele und Modelle. Ich erinnere mich, dass wir einmal den so früh verstorbenen Aachener Bischof Klaus Hemmerle fragten, wie er als sehr belesener Philosoph und Fundamentaltheologe in Diskurse mit Nicht- und Andersglaubenden hineingeht. „Mein Tipp und meine Erfahrung lautet“, so Hemmerle: „Geh davon aus, dass sie recht haben.“ Das ist die Haltung des commercium. Sie hat nichts mit softer Gesprächsführung, fehlender Identifikation oder nur schwach ausgeprägtem Wahrheitssinn zu tun, aber viel mit risikofreudigem Glauben und Lust auf Dialoge. Je fremder die Kontexte sind, aus denen heraus die Kirche die Offenbarung tiefer erfassen möchte, desto authentischer erschließt sich die paradoxe Logik der Christus-Botschaft: Als Jünger nimmt man keine Vorratstasche mit. Der wird gewinnen, der verliert. Der Letzte ist der Erste. Der Menschensohn ist in dem, den wir gerade nicht als den Menschensohn wiedererkennen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott (Bonhoeffer). GS 44 legt uns die paradoxe Logik nah, die wir jedes Jahr zu Weihnachten als den ‚wunderbaren Tausch‘ [admirabile commercium] im Dritten Hochgebet bestaunen: „Denn einen wunderbaren Tausch hast du vollzogen: dein göttliches Wort wurde ein sterblicher Mensch, und wir sterbliche Menschen empfangen in Christus dein göttliches Leben. Darum preisen wir dich mit allen Chören der Engel und singen vereint mit ihnen das Lob deiner Herrlichkeit. Heilig, heilig, heilig.“