Kitabı oku: «Erinnerungen», sayfa 3
Ich folgte ihm und verbrachte zwei köstliche Stunden. — „Stanislaus hat mir heut nicht Wort gehalten; ich bin wie alle alten Leute, ich hänge an meinen Gewohnheiten; gewöhnlich habe ich ihn bei meinen botanischen Spaziergängen bei mir; seine Abwesenheit hat Ihnen, ohne Kompliment, einen bessern Empfang verschafft, als er sonst ausgefallen wäre.“ — Ich bat ihn um die Erlaubnis, ihn wiedersehen zu dürfen. „Nein“, sagte er, „ich würde mich an Sie anschließen, und ich fühle, daß ich an dem Punkte, den ich auf meiner Reise erreicht habe, daran denken muß, mich von allem loszumachen, was ich noch liebe, und mir jede neue Neigung zu untersagen.“ Ich drang stärker in ihn und erhielt endlich die Erlaubnis, den nächsten Monat nach der Einsiedlei zurückkehren zu dürfen, um, wie er sagte, noch eine botanische Stunde zu nehmen.
Ich verließ ihn mit Tränen in den Augen und mit der Hoffnung auf die nächste Zusammenkunft; ach! Den Monat darauf war er nicht mehr; ich fand nur seine Asche wieder, die friedlich auf der Pappelinsel ruht. Der Besuch bei diesem Manne, dessen Genius mir vor allen der Bewunderung und der Ehrfurcht seiner Mitbürger würdig scheint, hat Erinnerungen in mir zurückgelassen, die noch nicht ermattet sind. Alle Einzelheiten sind meinem Geiste mit der Frische eines Eindruckes von gestern gegenwärtig, und der Klang seiner Stimme tönt noch in meinen Ohren wieder.
Jahre verflossen, meine Studien neigten sich zum Ende. Als ich Advokat wurde, begann Camille, der das Kollegium verließ, seinen Kursus. Ich sah ihn freudig wieder und knüpfte von neuem ein Verhältnis mit ihm an, welches seither durch nichts zerrissen worden ist.
DRITTES KAPITEL
Indessen war mein Rechtskursus beendet; ich hatte die Grade erlangt und konnte die Gönnerschaft eines ältern Juristen entbehren und mit eigenen Flügeln fliegen. Das einzige, worüber ich mich noch nicht entscheiden konnte, war der Ort, an dem ich das Amt ausüben sollte, dem sich schon mein Vater und Großvater gewidmet hatten. Ich schwankte zwischen Arras und Paris. Die Hauptstadt bot mir einen weitern Schauplatz, auf dem die handelnden Personen, unter den Augen eines unzähligen Publikums, auf einem sichern Wege zum Ruhme gelangen konnten; auf dem jedes beredte Wort in den Blättern, welche den gerichtlichen Verhandlungen geweiht waren, aufbewahrt wurde. Der Gedanke an Cochin, die Gegenwart Gerbiers spornten mich an. Aber wenn ich auf der andern Seite kälter überlegte, verschwanden die Täuschungen meiner Einbildungskraft. Was hatte ich, in Paris fast unbekannt, für Mittel, durch den Haufen junger Advokaten zu dringen, welche die Sitzungen von 10 Uhr versperrten und allesamt dem kleinsten Prozesse auflauerten? Durfte ich bei dieser Not an Beschäftigung meine ganze Zukunft dem Schicksale der ersten Sache preisgeben, die mir zuerkannt wurde? Doch war dies nicht der einzige Beweggrund, der auf meine Entscheidung einwirken mußte; ich war durchaus ohne Vermögen; meine Familie und die Personen, die Teil an mir nahmen, hatten bereits beträchtliche Opfer gebracht, um mir einen Beruf zu verschaffen; blieb ich in Paris, hatte ich noch lange keine Hoffnung, mir selbst genug zu sein; und der Gedanke widerstand mir, noch jemand, wer es auch sei, zur Last zu sein. Ich beschloß also, nach Arras zurückzukehren.
Im Schoße meiner Familie, von Freunden unterstützt, die Trümmer aus meines Vaters Praxis sammelnd, war ich durch den Ruf, den mir die Fortschritte meiner Kindheit gemacht, durch das Wohlwollen, das sich an meinen Namen heftete, sicher zu steigen und konnte vernünftigerweise hoffen, wenn auch kein Vermögen (ich habe niemals danach getrachtet), doch Auskommen und Achtung, den Lohn einer ehrenvollen Arbeit, mir zu gewinnen. Der Kreis, in dem ich mich bekannt machen wollte, war beschränkt, aber ich war, jede Eitelkeit beiseite gelegt, gewiß, mein Ziel zu erreichen, und besser war es für mich, der Erste in Arras zu sein, als der Zweite in Paris, überdies lag mir daran, vor allem unter meinen Mitbürgern bekannt zu werden; es kam mir zu, unter ihnen meinen ersten Kampf für die erhabenen Grundsätze der gesellschaftlichen Ordnung anzutreten: von ihnen allein erwartete ich damals meinen Lohn.
Meine Berechnung und meine Hoffnungen waren nicht irrig; von dem ersten Jahre meines Aufenthalts in Arras ab begann ich das Vertrauen meiner Mitbürger zu erhalten, die mir mehrere Prozesse übertrugen. Obgleich ich vom Parlamente zu Paris als Advokat aufgenommen worden war, mußte ich mich dennoch vom obern Gerichtshofe von Artois bestätigen lassen, was jedoch nur eine fiskalische Zeremonie und darum sehr nach dem Geschmacke der Herren Gerichtsschreiber war.
Der oberste Gerichtshof war eine Appellationsbehörde, deren Bezirk ziemlich ausgedehnt war. Der erste Präsident war zugleich Königlicher Kommissär bei den Pro- vinzialständen und vereinigte auf diese Art zwei Ämter, die bei einer verständigen Einrichtung der gesellschaftlichen Verwaltung hätten getrennt sein müssen, denn die Gerechtigkeit verlangt Unparteilichkeit, Unabhängigkeit als erste Eigenschaften ihrer Vertreter, und die ausübende Macht, jäh und eigensinnig ihrer Natur nach, duldet dieselbe Eigenschaft nicht in ihren Beamten.
Erster Präsident des Gerichtshofes war damals Herr Briois de Beaumetz18); er hat dieses Amt bis zu dem Augenblicke verwaltet, wo die Nationalversammlung die mannigfaltigen Rangordnungen der Gerichtsbarkeit unterdrückte, um diese letztere nach einem einfachern, gleichförmigen Plane umzuschaffen. Dieser Beamte bewies sich anfangs wohlwollend gegen mich; ohne Zweifel fand er einiges Verdienst in mir und hätte mich gern zu seinem Geschöpfe gemacht. Sein freundliches Benehmen dauerte jedoch nicht lange; mehr als einmal hatte ich Gelegenheit, mich über die Art des Verfahrens der Stände von Artois sowie über die seinige als Königlicher Kommissär auszusprechen. Ich tat es freimütig; ich beschwerte mich über die zahllosen Veruntreuungen dieser Provinzialveziere; ich klagte über ihre Gewalttätigkeiten, über die willkürlichen Bedrückungen, welche sie sich in der Verwaltung ihrer Ämter erlaubten. Es war von meiner Seite freilich nur Gerede. Aber es kam zu den Ohren des ersten Präsidenten, der mich von nun an kaltsinnig behandelte und sich keine Gelegenheit entgehen ließ, mir die Sitzungen peinlich zu machen. Ich frug nichts danach und tat mehr; ich machte, wie ich an seinem Orte berichten werde, im Jahre 1789 eine Denkschrift bekannt, die Herrn von Beaumetz aufs höchste entrüstete und ihn zu meinem erklärten Feinde machte. Ich habe seither mehr als einmal Gelegenheit gehabt, ihm auf meinem Wege zu begegnen, und ich weiß nicht, ob er sich innerlich über den kleinen Krieg freute, den er gegen mich zu führen suchte, als wir beide Mitglieder der konstituierenden Versammlung waren. Es ist eine wichtige Begebenheit in meinem Leben; ich werde darauf zurückkommen.
Zur Zeit, von der ich jetzt spreche, genoß ich noch seines ganzen Wohlwollens; er schien einen lebhaften Anteil an meinen ersten Versuchen zu nehmen und sich über meinen Erfolg zu freuen. Ich plädierte zu wiederholten Malen und empfing die Glückwünsche meiner Richter und, was seltener ist, die meiner Amtsbrüder. Doch war es das nicht, was ich wollte; ungeduldig wartete ich auf die Gelegenheit, welche die Augen des Publikums auf mich richten sollte. Ein sonderbarer Rechtshandel, der mir im Jahre 1783 übergeben wurde, verschaffte mir diese: hier der Tatbestand, der übrigens einige Erörterung verdient.
Franklin19) war nach Paris gekommen, um bei der französischen Nation um Hilfe für die empörten Amerikaner zu bitten. Die Sache, welche er verteidigte, war so schön, der Geist des Volkes für diesen edlen Schwung der Neuen Welt so günstig gestimmt, daß alle Augen teilnehmend auf den Freund Washingtons gerichtet waren. Die öffentliche Meinung sprach sich mit einer solchen Kraft aus, daß die Minister, zum ersten Male vielleicht, ihr weichen mußten. Die Unterhandlungen Franklins waren von Erfolg: Französische Schiffe und Regimenter wurden ausgerüstet, um die Rechte des Volkes zu verteidigen; ein hochsinniger Enthusiasmus bemächtigte sich der Gemüter; Freiwillige boten sich in großer Zahl für diese ruhmvolle Sache an, und die Freiheit Nordamerikas ward errungen.
Unter der Hülle des Politikers wußten die Franzosen, trotz ihres sorglosen Leichtsinnes, den weisen, den uneigennützigen Freund der Menschheit herauszufinden. Franklin hatte uns für unsere großmütige Gastfreundschaft gelohnt, indem er die Erde unter unserm Freiheitsbaume auflockerte; indem er die Keime ausstreute, die später gereift sind; er lohnte uns noch, indem er Frankreich eine bewunderungswürdige Entdeckung, die Frucht seines beobachtenden Genius, vermachte. Durch die Erscheinungen der Elektrizität war er auf ein eben so einfaches als sinnreiches Verfahren geleitet worden, Gebäude und Schiffe vor dem Blitz zu bewahren. Die amerikanischen Freistaaten nahmen die Anwendungen dieser elektrischen Eisenstangen mit Enthusiasmus auf. Franklin sprach davon mit den Parisern, bezeigte sein Erstaunen, daß ihnen diese heilsame Erfindung noch fremd geblieben sei. Seine Ermahnungen blieben nicht fruchtlos; bald wurde der Eifer allgemein, die Dächer der Häuser, der Paläste wurden mit diesen leichten Blitzableitern versehen.
Die Provinz Artois nahm diese Entdeckung nicht zuletzt auf; aber hier, wie überall, setzte der Geist des Aberglaubens und der Unwissenheit alles in Bewegung, die Bestrebungen der Freunde der Menschheit scheitern zu lassen. Man stellte den leichtgläubigen Gemütern der Landbewohner vor, daß eine solche Erfindung das Werk des Teufels und daß es eine Beleidigung für die Gerechtigkeit des höchsten Wesens sei, Vorsichtsmaßregeln zur Abwendung des Blitzes zu ergreifen, der die erhabenste Offenbarung seiner Macht sei. Diesem religiösen Schrecken fügte man noch die Sprache des immer gern gehörten Privatinteresses hinzu; man behauptete mit einer seltenen Frechheit, daß der Blitz häufiger in die Häuser schlüge, die mit dem elektrischen Drahte versehen, als in die, welche ohne dergleichen wären; und daß, wenn er auch jene Häuser selbst nicht träfe, er dafür die in der Nähe gelegenen verheere. — Diese boshaften Urteile wurden von einigen ununterrichteten Leuten aufgefangen, die bald ihre Widersetzlichkeit deutlich zeigten. Bei folgender Gelegenheit nämlich: Herr von Vissery von Boisvallé, ein reicher Eigentümer von St. Omer, der aus Liebe zu den Naturwissenschaften einige Versuche angestellt hatte, um sich von dem Nutzen der Gewitterableiter zu überzeugen, beeilte sich nach den glücklichen Ergebnissen, einen solchen auf seinem Eigentum anzulegen. Die Nachbarn erschraken, beklagten sich; zuletzt kamen sie bei dem Schöffen von St. Omer um Abschaffung dieses Blitzableiters ein. Große Beratschlagung unter diesen ehrlichen Amtspersonen, die kein Wort von dieser Sache verstanden, sie schlichteten, wie es Richter des 15. Jahrhunderts getan hätten, und Herrn von Vissery verurteilten, die unglückliche Stange herunterzureißen. Herr von Vissery hielt sich nicht für geschlagen; er fragte mich um Rat, und ich forderte ihn auf, zu appellieren, um dieses lächerliche Urteil umstoßen zu lassen. Ich wurde beauftragt ihn vor dem Obergerichtshofe zu verteidigen. Da es sich um einen Gegenstand handelte, der damals alle Gemüter einnahm, so wollte ich die öffentliche Meinung für meine Sache in Anspruch nehmen, weil ich überzeugt war, daß meine Richter, welche Lust sie auch hatten, im alten Geleise zu bleiben, doch fürchten würden, gegen die Meinung zu verstoßen, die bereits zu einer Macht angewachsen war. Ich gab eine Denkschrift heraus, welche ich in Arras und Paris reichlich verbreiten ließ. Ich behandelte darin die gesetzliche Aufgabe, beschäftigte mich aber auch, was eine Neuerung in unserm Provinzialrechte war, zu gleicher Zeit mit der physischen, die ich von allen Seiten untersuchte. Meine Denkschrift fand Beifall und brachte mir schmeichelhafte Briefe von ausgezeichneten Gelehrten ein. Von da an war meine Sache gewonnen und der glückliche Erfolg vor Gericht erleichtert. Der Hof stieß durch seinen Spruch vom 31. Mai 1783 das Urteil der Schöffen von St. Omer um und erlaubte Herrn von Vissery, seinen Blitzableiter wieder aufzurichten.
Dieser Prozeß gründete vollends meinen Ruf und breitete ihn selbst über den Bezirk meiner Geburtsstadt aus; der Kardinal Rohan, der übrigens ein eifriger Anhänger alles Neuen war, ließ sich schriftlich bei mir für die Zusendung meiner Druckschrift bedanken; er war für die Entdeckung Franklins ebenso voller Enthusiasmus, wie er es für Mesmers20) wunderbaren magnetischen Kasten und für die Zaubereien Cagliostros21) gewesen war. Bei einer Geistesrichtung, wie die seinige, findet man spät oder früh notwendigerweise einen Betrüger, von dem man geprellt wird22).
Mein Geschäftszimmer bekam Zulauf; die Arbeiten nahmen überhand, ich hatte mich eines glücklichen Lebens zu freuen; meine Schwester wohnte bei mir und bewies mir, worin sie nie aufgehört hat, die zärtlichste Zuneigung. Ihr sanfter, hochherziger Sinn, ihre duldsame, aufgeklärte Frömmigkeit, die Reinheit ihrer Sitten hatten ihr Ansehen und Achtung bei allen ihren Bekannten verschafft und machten sie mir von Tag zu Tag teurer. Einige geistesverwandte Freunde bildeten unseren engeren Kreis. Ihrer unbedingten Vertrauenswürdigkeit durfte ich alle Ideen offenbaren, die in meinem Kopfe gärten; und bald bildete sich, sei es, daß ich ihrer Überzeugung folgte, sei es, daß dieselben Betrachtungen zu ähnlichen Schlüssen führten, eine völlige Gleichheit der Ansichten über politische Gegenstände unter uns.
Aus der Zahl derer, welche meine gewöhnliche Gesellschaft bildeten und am meisten mit mir übereinstimmten, muß ich die beiden Gebrüder Carnot hervorheben, welche vermöge der Vollmacht, die sie von den Wählern des Pas-de-Calais erhalten hatten, jetzt an der gesetzgebenden Versammlung teilnehmen. Beide zeichneten sich damals als treffliche Genieoffiziere durch eine Vaterlandsliebe aus, die sich niemals verleugnet hat. Der älteste, ein Mann von hervorragenden Verdiensten, hat über die Befestigungskunde eine bemerkenswerte Schrift herausgegeben. Seine gegenwärtigen Arbeiten beweisen, daß er in allen Zweigen der Kriegskunst gründlich erfahren ist, und daß man nicht General gewesen zu sein braucht, um eine Armee kommandieren zu können. Daß Carnot aber auch sehr hübsche Verse, selbst Liebes- und Trinklieder macht, wird das große Publikum, das ihn nur als den mit ernster Würde auftretenden Verwalter der öffentlichen Angelegenheiten kennt, vielleicht nie erfahren. Mein ehemaliger Professor der Rhetorik, Fosseux, befand sich zu dieser Zeit in Arras; im Kollegium hatte er sich für verpflichtet gehalten, seine patriotischen Meinungen, die dort nicht gang und gäbe waren, zu verbergen; als er aber wieder frei war, benutzte er auch sein Recht, wieder zu denken und in dem Kreise einiger Freunde seine nichts weniger als monarchischen Ideen zu propagieren. Er war ein hervorragender Schriftsteller, gleich begabt für Prosa wie für Verse, und die Akademie von Arras, der er angehörte, besaß kein glänzenderes Mitglied als ihn.
Unsere gewöhnlichen Zusammenkünfte mit den eben genannten Personen und einigen andern jungen Leuten, die die gleichen Ideen vertraten, wurden immer häufiger; um ihnen ein Siegel aufzudrücken und einen feierlichen, geheimnisvollen Charakter zu verleihen, der schwachen Geistern imponieren könne, hatte ich den Gedanken, aus unserer Gesellschaft eine Art Freimaurerloge zu bilden. Diese Art Vereine war damals geduldet, oder die Behörden druckten doch wenigstens ein Auge zu, um die Gefahr nicht zu sehen, die ihnen von dieser Seite drohte.
Schon der Name der Gesellschaft, die wir errichteten, war eine bittere Ironie. Man nannte sie die Gesellschaft der Rosati, als ob wir die aufgerufen hätten, welche mit rosenbekränzter Stirn in berauschendem Wohlgeruche schwelgen und nachlässig zum Feste gelagert, den Becher an die Lippen setzen und keine andere Sorge kennen als die, ihre Gelage zu verlängern und ein neues Bankett an das eben geendete anzuschließen! Aber nein, es war kein Aufruf an entnervte Schwelger — es war eine Verschwörung gegen sie.
Unsere Gesellschaft war nur zum Schein ausgelassenen Zusammenkünften gewidmet, man sang die unschuldigsten Lieder von der Welt, denn der Gott des Weines, die Göttin der Liebe, die Grazien, die Nymphen, Sylen, und was weiß ich, der ganze mythologische Troß mußte der Reihe nach herhalten; man hätte uns für die fröhlichen Schüler Collés halten können, und ich glaube wahrhaftig, wir hätten ihm Ehre gemacht. Der muntere Ton, der sich am wenigsten der Empörung nähert, ward ohne Schwierigkeit an unserer Tafel zugelassen. Ich erinnere mich in dieser Hinsicht eines Liedes von Carnot, es heißt, glaub’ ich, die Denn und die Aber, das in seiner Art ein kleines Meisterstück war; nur mußte er es nicht selbst singen; so sehr er sich anstrengte, er konnte aus seinem Ernste nicht herauskommen. Auch ich lieferte meinen Beitrag, zwar nur armselige Kleinigkeiten, aber ich erwähne ihrer, um denen, die ein wildes reißendes Tier aus mir gemacht haben, zu zeigen, daß ich niemals Feind einer unschuldigen Freude war, und daß auch ich mich aufheitern konnte. Aber dies war nur der scheinbare Zweck unserer Gesellschaft; wir hatten noch andere Sachen zu tun, als zu trinken, zu essen, zu singen. Die Eigenschaft eines Bürgers, deren Wert wir vollkommen fühlten, legte uns ganz andre Pflichten auf. An bestimmten Tagen kamen wir zusammen, um uns über die wichtigsten Gegenstände zu besprechen. Anfangs beschäftigten uns die Theorien; die Schriften der Philosophen, besonders die Rousseaus, boten uns deren eine große Anzahl, die zu großen Auseinandersetzungen führten. Darauf suchten wir die Mittel auf, welche den Bürgern zum Handeln freigelassen waren, um sich von einer nicht mehr zu ertragenden Lage loszumachen und der guten Sache und der Wahrheit den Sieg zu verschaffen. Als später für die Gewalt der Horizont sich verfinsterte, für das Volk aber aufklärte, brachten wir Streitsachen von dem regsten Interesse vor: über das Recht, Kopf für Kopf zu stimmen, die Verdoppelung des dritten Standes23) und die Befugnisse der Generalstaaten. Da wir wenig Zutrauen zu den Grundsätzen der Staatsbeamten hatten, so setzten wir unter der Hand die Angriffspläne fort, die den Volks- rechten den Triumph sichern sollten, und bestrebten uns, unsern Mitbürgern die kraftvolle Vaterlandsliebe einzuhauchen, die in uns glühte; der Erfolg krönte unsere Bemühungen, die Mehrheit der Abgeordneten von Artois verteidigte in der Nationalversammlung die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit.
Unter den zahlreichen Ursachen, denen man den einmütigen Trieb des französischen Volkes nach seiner Wiedergeburt zuschreiben darf, sind, glaube ich, auch die Gesellschaften von großer Wichtigkeit, welche sich, nach Art der unsrigen, durch das ganze Reich verbreitet, gleichzeitig die Massen aufgeregt und eine große Anzahl Menschen an die Staatsgeschäfte gewöhnt haben. Freilich war der Weg noch weit von da bis zu unserm Jakobinerklub24), seiner widerhallenden Rednerbühne und seinem überwiegenden Einflüsse auf unsre Versammlungen; aber es offenbarte und erhielt sich hier doch wenigstens das Bedürfnis der Tätigkeit, in welcher das Leben der freien Staaten besteht; hier bildete sich der Gemeingeist. Bei dem Charakter unserer Nation, die Widerstand anregt, Genuß ermüdet, mußten diese geheimnisvollen Gesellschaften bewundernswürdige Ergebnisse hervorbringen.
VIERTES KAPITEL
Wir hatten in Arras eine Akademie, wie es deren in jeder bedeutenden Stadt Frankreichs gab. Die unsrige war nicht besser, aber auch nicht schlechter als die übrigen in der Nachbarschaft, das heißt, sie bestand aus sehr wackern Leuten, als Kanonikern, Ärzten, Advokaten, Richtern, hohen Beamten, welche einmal wöchentlich zusammenkamen, um sich gelinden Beifall zu geben und sich untereinander bei verschlossenen Türen eine kleine Berühmtheit zu verleihen; übrigens war kein einziger Gelehrter dabei, und zwar aus dem einfachen Grunde, daß ein ausgezeichneter Gelehrter, der sich einzig und allein dieser Aufgabe gewidmet hätte, nicht in Arras geblieben wäre, sondern in Paris Ruhm und Vermögen gesucht haben würde. Dieser Mangel an hervorragenden Köpfen war nicht unserer Akademie bloß eigentümlich, sie hatte denselben mit allen Provinzialakademien gemein.
Ich weiß nicht, ob diese Art von Gesellschaften, gegründet worden ist, um bedeutende Gelehrte zu bilden; wenn es aber der Fall ist, so haben sie ihren Beruf gar sehr verfehlt. Welchen Akademiker von Dijon, Chalons, Rouen, Amiens, Caen, Lyon, Metz, Nancy hat denn jemals die Unsterblichkeit überlebt, die seine Amtsbrüder ihm bei seinen Lebzeiten verehrt hatten?
Wir dürfen uns nicht täuschen, sie hatten einen andern Zweck, den sie erfüllt haben; den, den Geschmack an den Wissenschaften in der Provinz zu verbreiten, die Literatur daselbst zu Ehren zu bringen, Ackerbau und Künste blühend zu machen. In dieser Beziehung sind sie frei von aller Lächerlichkeit und verdienen unsere Anerkennung. Nehmt diesen arbeitsamen, überdies aufgeklärten Männern die törichten Anforderungen ihrer Eigenliebe; betrachtet sie nur als das Echo alles Herrlichen, was die französische Literatur darbietet, als das Echo, welches sich über ganz Frankreich ausdehnt und in das Ohr des Volkes übertönt; dann habt ihr den rechten Maßstab für ihre Dienste.
Die Provinzialakademien waren also eine gute Einrichtung. Sie haben vielleicht mehr Nutzen gestiftet, als man auf den ersten Blick glauben sollte. Denn es ist in erster Linie ihnen zu danken, daß die öffentliche Meinung sich mit der Literatur beschäftigte. Und von da bis zu einer öffentlichen Meinung über Politik ist nur ein Schritt. Die Männer, die den Kampf, um Fragen rein literarischer Natur entfesselten, haben es sich sicher nicht träumen lassen, daß sie damit auch den Streit um weit schwerer wiegende Gegenstände förderten. Aber es ist ja das Schicksal unserer Pläne, daß wir nur selten das ersehnte Ziel erreichen, ohne daneben auch Ereignisse zu zeitigen, an die wir nie gedacht hatten
Jetzt wären diese Provinzialakademien eine Überfülle von Segen, wenn sie nicht zugleich gefährlich wären. Ich sehe nicht, wozu selbst die Académie fransaise, diese aristokratische Spitze unserer Literatur dienen soll. Im allgemeinen erkenne ich nur das für gut an, was der Mehrheit der Bürger nützt; eine weise, im Sinne der Wohlfahrt aller eingerichtete Regierung darf nur solche Körperschaften anerkennen, fördern oder gar belohnen, die sich das Wohl der Allgemeinheit und den Nutzen des Individuums zum Grundsatz gemacht haben. Dürfen wir das aber jetzt von den Akademien erwarten?
Als man die Menschen zur Aufklärung treiben und ihnen dazu das Lockmittel einer leichtfertigen Literatur vorhalten mußte, waren sie nützlich, sie hatten einen Beruf, den sie erfüllt haben. Aber darf man jetzt noch jenen alten Götzenbildern der alten Verfassung Altäre errichten, Lieder und Witzworte widmen, kurz das zu Ehren bringen, was die Sittlichkeit, die Würde einer großen Nation verwirft? Wie? wenn die Rednerbühne des Volkes von den wichtigsten Gegenständen widerhallt, während man über Krieg und Frieden verhandelt und Weltenschicksale erörtert, sollen vierzig Personen eine lächerliche Versammlung halten, um den Gehalt einer Phrase abzuwiegen, einen Satz zu runden, schmeichlerische Verse zu messen? Nein! der Franzose soll lesen können; seine Einsicht sei frühzeitig durch die Bekanntschaft mit den großen Schriftstellern ausgebildet, die sich mit den Rechten und dem Glücke des Menschengeschlechts beschäftigt haben; er gewöhne sich an die ernsten Verhandlungen unserer beratenden Versammlungen; er verachte als eine geistige Erholung die Erbärmlichkeiten der Dichtkunst, die knechtischen Formen der akademischen Schreibart; er verbanne die Dichter, die ihre Muse nicht dem Vaterlande widmen, und die Lobredner des Hofes unter Gaukler und Histrionen, an denen man sich manchmal ergötzt, aber die man immer verachtet.
Ich will nicht behaupten, daß die Ansicht, welche ich hier aufstelle, genau dieselbe ist, welche ich 1783 hatte, aber ich weiß, daß ich schon damals keine besondere Achtung für die Akademien fühlte. Als Herr von Fosseux, der damals Präsident in der Akademie von Arras war, mich fragte, ob ich mich nicht wollte vorschlagen lassen, scherzte ich anfangs über diesen Antrag, da wir uns bereits in unsern heimlichen Zusammenkünften oft auf Kosten der würdigen Versammlung lustig gemacht hatten. Mein Entschluß war jedoch bald gefaßt, ich sagte zu.
Ich darf, ohne mich zu schämen, die Beweggründe eingestehen, die mich dazu bestimmt haben: es war eine Berechnung von meiner Seite, aber diese Berechnung entsprang aus einem edlen Ehrgeize aus einer glühenden Liebe zum Vaterlande. In der Akademie zu erscheinen, um dort als Schriftsteller zu glänzen; für den Intendanten, den Bischof, den Minister, den König ein zeitgemäßes Kompliment auszuarbeiten und dies besser oder weniger schlecht zu machen als meine ehrwürdigen Kollegen: das war freilich die Rolle nicht, zu der ich mich berufen fühlte. Ich strebte nach einer ruhmvollern Bestimmung; mein Name sollte unter meinen Mitbürgern so volkstümlich werden, daß zur Zeit der Wiedergeburt aller Augen sich gerade auf mich wenden mußten. Alles, was mich zu diesem Ziele führen konnte, schien mir wünschenswert. Die Akademie war schon eine Erhöhung, und ich war überzeugt, daß eine gute Zahl wackerer Leute mich höher achten würde, wenn ich zu ihr Zutritt gefunden hatte.
Ich wurde demnach von Herrn von Fosseux vorgeschlagen, und am 15. November 1783 nahm mich die Versammlung in ihren Schoß auf. Kein Haß war bis jetzt gegen mich aufgeregt; viele, welche die Geradheit meines politischen Lebens seither zu meinen Feinden gemacht hat, beeiferten sich, mir ihre Stimme zu geben und bezeigten mir ihre Freude, mich als Kollegen zu haben.
Der Gebrauch verlangte, daß der neugewählte Akademiker in einer öffentlichen Sitzung aufgenommen werde und eine Rede hielt. Seit der Neuerung, die Voltaire bei der Académie fransaise eingeführt, hatten sich auch einige Kandidaten in der Provinz erlaubt, das eingetretene Geleise zu verlassen und in ihren Antrittsreden, statt sich in pomphafte Lobeserhebungen eines abgeschiedenen Mitgliedes, des Stifters, der Verwalter zu versenken, interessante Gegenstände zu behandeln; dieser Gebrauch sprach meinen Geist zu sehr an, als daß ich ihn nicht angenommen hätte. Meine Rede drehte sich durchaus um das Vorurteil, welches die Schmach die auf der Todesstrafe ruht, auch auf die Verwandten des Verbrechers überträgt. Trotz der Kühnheit und Neuheit meiner Ansichten fand ich Beifall.
Diese Arbeit war nur der Auszug einer viel ausführlicheren, die ich soeben, und zwar bei folgender Gelegenheit, vollendet hatte.
Seit der bekannten Abhandlung Rousseaus, welche von der Akademie zu Dijon gekrönt wurde, hielten die Provinzialakademien es für eine Ehrensache und suchten dadurch mit der Hauptstadt selbst zu wetteifern, daß sie Probleme zur Diskussion stellten, welche die Aufmerksamkeit erwecken und die geschicktesten Ringer auf den Kampfplatz rufen sollten. Auf diese Art haben La Harpe, Chamfort und viele verdienstvolle Schriftsteller es nicht verschmäht, bei unbedeutenden Akademien sich um einen Preis zu bewerben und Kronen zu gewinnen. Die Mode mischte sich darein: man stritt sich um die Rose des Blumenspiels von Toulouse25), um eine Medaille von La Rochelle. Der Merkur26) zeichnete die Namen der Sieger auf, und für die Jugend war das schon ein Weg zum Ruhme.
Die Wahl der Gegenstände war nicht immer glücklich; aber da die Richtung zu dem Studium der Philosophie und der Staatswissenschaften in Frankreich damals vorherrschend war, da die wichtigsten Fragen täglich in Gesellschaften und Versammlungen in Anregung gebracht wurden, mußte die Literatur notwendigerweise den Charakter der Gesellschaft selbst annehmen und würdevoll, ernst werden.
Die Königliche Gesellschaft der Künste und Wissenschaften zu Metz hatte die Blicke auch auf ihre Arbeiten lenken wollen. Sie hatte zur Preisbewerbung folgende Fragen aufgestellt, über die im Jahre 1784 entschieden werden sollte: 1. Woher entspringt die Meinung, welche über alle Glieder einer Familie einen Teil der Schande verbreitet, die an den entehrenden Strafen eines Verbrechens klebt? 2. Ist diese Meinung mehr schädlich als nützlich? 3. Welcher Mittel bedarf es, die Bejahung dieser Frage vorausgesetzt, um den daraus hervorgehenden Übelständen vorzubeugen?
Dieser Gegenstand sprach mich außerordentlich an: ich beschloß, ihn zu bearbeiten, und fragte deshalb den kleinen Kreis der Freunde um Rat, die meine engere Gesellschaft bildeten; sie billigten mein Vorhaben und versprachen mir, es geheim zu halten, da ich über alles den Schimpf einer Schlappe fürchtete. Vor allem ermutigte mich Carnot: „Schreibe“, sagte er, „mit aller Glut deiner patriotischen Seele; mit blutiger Schrift grabe die Wahrheiten ein, welche du deinen Mitbürgern sagen wirst; entreiße diesem gräßlichen Vorurteil wenigstens ein Opfer, und du bist reich belohnt.
Ich schrieb meine Abhandlung fast in einem Zuge nieder. So stark war ich im Banne meiner Ideen, daß ich vor der Versammlung viel lieber gegen die entehrenden Strafen gesprochen hätte, als für eine Abgrenzungslinie. Ich hätte als Seitenstück zu, ich weiß nicht welchem Charakter im „Advokat Pateli“ gelten können, der bunt durcheinander von Kleiderstoffen und Hammeln spricht. Während der ganzen Dauer meiner Arbeit mied ich deshalb die Sitzungen.
Endlich wurde mein Werk, überlesen, gefeilt, durchgearbeitet. seiner Bestimmung übergeben. Ich will die Unruhe nicht verhehlen, die mich in der Zwischenzeit von der Übersendung bis zu dem Augenblicke, wo ich mein Schicksal erfuhr, zu bestehen hatte. Nicht immer jedoch war sie peinlich; oft mischten sich süße Träume hinein; man ist nicht ungestraft 25 Jahre alt. Jetzt kann ich mir kaltblütig Rechenschaft davon ablegen. Ich dachte keinen Augenblick an den Geldgewinn; die Liebe zum Golde ist ein unsittlicher Durst, den ich nie empfunden habe; der süße Kitzel, den ein Triumph der Eigenliebe gewährt, war nicht ganz aus meinen Gedanken verbannt: dies war eine Schwäche, ich gebe es zu; aber wo ist der Mann, der in ähnlicher Lage sagen könnte, er sei mehr Philosoph als ich? Doch die Idee, welche mich am meisten beherrschte, war die, daß ich meinen Namen an ein nützliches Werk knüpfte, außer dem Kreise bekannt wurde, in welchen das Geschick mich verpflanzt hatte, und ein Anrecht mehr an die Achtung meines Vaterlandes erhielt. Ich wiederhole es, diese Ansicht greift der Zukunft, späterer Nachrechnung vor; ich will mich nicht verteidigen, nicht bereuen. Mein Weg ist seit langer Zeit vorgezeichnet: ich wollte Staatsmann werden, die Interessen des Volkes aufrechterhalten; dieser Gedanke hat bis zu dem Augenblicke seiner Verwirklichung mich keinen Augenblick verlassen.