Kitabı oku: «Erinnerungen», sayfa 4
Endlich wurde mir das Urteil der Akademie bekannt: ich bekam den Preis nicht! Doch hatte meine Abhandlung dem Areopage27) einer ganz besondern Auszeichnung würdig geschienen: man hatte mir eine Medaille von 400 Livres zuerkannt. Dies hieß meine Abhandlung durchaus auf eine Stufe mit dem Werke stellen, dem der Preis zugesprochen wurde, denn die Medaille war ganz dieselbe. Die beiden Denkschriften fanden also beinahe gleichen Beifall, mein Nebenbuhler hatte nichts vor mir voraus als den armsel’gen Gewinn der Ehre des Vortritts. Das war wenig; aber immer genug, meine Freude zu trüben.
Ich erfuhr, daß ich Lacretelle28), einen jungen Literaten aus Paris, der dort an verschiedenen Zeitschriften arbeitete, zum Mitbewerber hatte: wir haben gesehen, wie er sich später vergebens bemüht hat, sich auf der politischen Schaubühne, zu der er wenig Patriotismus und (trotz den Akademikern von Metz) wenig Talent mitbrachte, einen Namen zu erwerben. Er ist gegenwärtig Mitglied der Versammlung, in der er auf der rechten Seite sitzt29).
Die Abhandlung Lacretelles wurde mir von ihm selbst zugeschickt; ich dankte ihm für diese Höflichkeit, die ich dadurch erwiderte, daß ich ihm die meinige zusandte, welche ich soeben herausgegeben hatte. Ich konnte jetzt die beiden Werke miteinander vergleichen und wußte nun, was ich von dem Scharfsinn meiner Richter zu halten hatte. Man wird mir ohne Zweifel Glauben beimessen, wenn ich sage, daß ich das meinige besser fand; aber was auch für Vorurteile natürlicherweise auf mein Urteil einwirken mußten, so bleibe ich doch dabei, es für gegründet zu halten. Wenn man die beiden Abhandlungen miteinander jetzt besonders vergliche, wo Künstelei der Worte der Wissenschaft der Dinge gewichen ist, würde man vielleicht meiner Meinung sein.
Man suche in der umständlichen Ausführung Lacretelles einen gediegenen Gedanken, eine kräftig geschriebene Stelle; man suche einige Sätze, einige Ideen, die das Gepräge eines edlen, aus dem Herzen, nicht aus dem Kopfe hervorgehenden Unwillens tragen: man wird sie nicht finden. Es ist ein Mann von Geist, nicht ein Bürger, welcher denkt; ein Redner, nicht ein Philosoph, welcher schreibt. Man trifft gerundete Sätze, gesuchte Phrasen, einen künstlichen Stil bei ihm; man glaubt, er sei immer auf der Lauer nach Formen und kümmere sich nicht um den Grund; sein Werk ist eine reiche Stickerei, die auf dem gröbsten Gewebe nicht weniger glänzen würde wie auf dem zartesten Stoffe.
Ich beurteile ihn jetzt, da die Sache von keiner Bedeutung mehr ist; er hat nicht so lange gewartet, seine Meinung über meine Arbeit auszusprechen: der Merkur von Frankreich lieferte im Laufe des Jahres 1785 einen ausführlichen und höchst vorteilhaften Bericht über sein Werk; später rückte er einen Brief ein, den ihm Thomas, der Lobredner, geschrieben hatte. Es war ein Stückchen von seiner alten Kunst; ihm zufolge glich nichts der Beredsamkeit Lacretelles. Dieser schämte sich vermutlich, daß er so viel von sich sprechen ließ, während man kein Wort von einem Werke erwähnte, das dem seinigen gleich geschätzt worden war, wollte mir Gerechtigkeit widerfahren lassen und ließ sich beikommen, selbst von mir zu sprechen.
Der Artikel, welchen er im Dezemberhefte 1785 über mein Werk lieferte, ist eine wahre Merkwürdigkeit; zuerst fühlt man sich über eines betroffen, nämlich, daß zwei Drittel des Artikels von Zitaten aus seinem eigenen Werke eingenommen werden. Er hat auf das Geratewohl, und der Form wegen, einige Stellen aus meiner Abhandlung, und zwar nicht die besten, herausgehoben, um sie andern aus seiner Denkschrift gegenüberzustellen, die ihm am geeignetsten schienen, die gehörige Wirkung hervorzubringen. Darauf erteilte er mir mit einem gewissen Beschützeransehen, das mich nicht sehr entzückte, guten Rat und Aufmunterung.
Ich denke, daß viel Eigendünkel dazu gehört, wenn man sich dazu hergibt, einen Mitbewerber zu belehren, wo gewiß die Untergeordnetheit des Schülers neben dem Meister nicht zu erkennen war. Wenn Lacretelle die Einfachheit meines Stiles, und was er meine Alltagsideen nennt, tadelt, so bin ich durchaus nicht versucht, seinem Rat Glauben beizumessen noch ihn zu befolgen, wenn er recht hätte. Denn der belehrende, absprechende Ton, den er annimmt, ist in seinem Munde übel angebracht und keineswegs überzeugend; sein Tadel gibt mir eine geringe Idee von seinem Geistes umfange. Ich sah in ihm den Redner, nie den Philosophen. Alltagsideen! Aber, großer Gott, waren sie nicht in aller Herzen, waren sie nicht so aufgeschossen, daß sie die bürgerliche Gesellschaft beherrschten und der Regierung Achtung geboten? Und was kümmerte es mich, daß andere dieselben Ideen gehabt hatten, die ich aussprach, wenn jene sie fruchtlos ausgesprochen hatten? Hat man denn im Schreiben keinen andern Zweck, als zu schreiben?
Lacretelle hatte eine Phrase aufgefunden, die ihm passend schien, seinen Artikel damit zu beschließen; ich habe ihn nicht zur Hand, es tut mir leid, ich hätte sie gern wörtlich angeführt. Der Sinn war, daß meine Abhandlung um so bemerkenswerter wäre, da ich noch ein junger Mann, ein gewöhnlicher Advokat aus der Provinz wäre, der niemals die Hauptstadt gesehen habe. Er fügte hinzu, glaube ich, daß dieser Anfang zu großen Hoffnungen Grund gäbe, und ermahnte mich, fortzufahren.
Ich sah in diesen lobpreisenden Phrasen etwas ganz anderes, als was sie zu enthalten schienen; mir kam es vor, als ob jedes Wölkchen Weihrauch, das mir erteilt wurde, doch nur Lacretelles Kopf umzog. Überdies fühlte ich mich ein wenig gekränkt, daß man mir die Provinz vorwarf. Wenn man meinen Kunstrichter hörte, verdiente ich eher Aufmunterung als Lob; mein Werk müßte nicht an und für sich, sondern im Verhältnis zu den Umständen gewürdigt werden, unter denen es entstand, und die seinen Unvollkommenheiten zur Entschuldigung dienten. Alles dies war von Seiten meines Richters um so ungeschickter oder um so hinterlistiger, da das Falsche deutlich für jeden hervorspringen mußte, dem es bekannt war, daß ich in Paris erzogen worden und diese Stadt erst im 20. Jahre verlassen hatte.
Ich schrieb an Lacretelle, dankte ihm für seinen Artikel und benachrichtigte ihn bloß, ohne mich in einen unnützen Streit mit ihm einzulassen, daß ich die Hilfsquellen, welche die Hauptstadt den jungen Männern bietet, die sich den Wissenschaften ergeben, nicht so ganz entbehrt hätte, wie er es gedacht habe. Ich war höflich, nichts weiter. Unser Briefwechsel hörte damit auf.
FÜNFTES KAPITEL
Die Zeit, in der wir uns damals befanden, war reich an denkwürdigen Begebenheiten, die sich auf die Weltbühne drängten, um das unerhörte Schauspiel unserer Revolution vorzubereiten. Die größte, die wichtigste jener Begebenheiten ereignete sich auf der andern Halbkugel und war eben, dank der edelmütigen Mitwirkung Frankreichs, zu ihrem Ende gediehen. England hatte, müde des Krieges und immer erneuter Unfälle, seinen überseeischen Provinzen den Frieden bewilligt, und diese hatten, da sie endlich die Freiheit erhielten, ihre Regierung selbst zu führen, im Angesichte Europas die heiligen Rechte bekanntgemacht und in Kraft gesetzt, für welche sie seit fünf Jahren gekämpft und ihr bestes Blut vergossen hatten. Glückliches Land, wo eine kaum begonnene Zivilisation den Lastern unserer alten Reiche noch nicht gestattet hat, sich in den Herzen zu verwurzeln, die, jungfräulich und fruchtbar, sich dem segenbringenden Samen der Freiheit öffnen, in denen kein parasitisches oder giftiges Unkraut die keimenden Sprossen erstickt, deren Früchte dereinst die Mühen der Aussaat lohnen sollen!
Ein bewunderungswerter Mann, den der Zufall an die Spitze eines heldenmütigen Volkes geschleudert hatte, vollendete das große Werk. Washington30), ehrwürdiger Name, vor dem jeder Freund der Menschheit das Haupt beugen sollte! Ein Mann, der Huldigungen der Nachwelt tausendmal würdiger als die aufgereihten Namen der Könige und Eroberer. Ein einfacher Landmann, ein Mann, den das Alter schon niederdrückt, den die Täuschungen der Jugend nicht mehr reizen, umfaßt mit der Wärme eines jugendlichen Herzens die Sache der Freiheit; er opfert alles, seine Ruhe, sein Vermögen, sein Leben; mit dem Enthusiasmus der Krieger vereint er die Kaltblütigkeit des Feldherrn, mit dem glühenden Eifer des Patrioten, den Takt, die Tiefe, den Weitblick des bürgerlichen Gesetzgebers. Und als dies Gebäude in Jugend und Frische strahlend sich erhoben, nachdem ein ganzes Volk, welchem seine Bestrebungen die natürliche Würde zurückgegeben haben, seinen Namen zu den Dankgebeten fügt, die es an das höchste Wesen richtet, hat dieser Heros etwas sehr Schlichtes getan: Seinem Geiste waren große Taten so selbstverständlich, daß diese eine ihn nicht stolz machte; mit römischer Gelassenheit zog er sich in die Stille seiner Scholle zurück, größer als Cincinnatus31), der sein Vaterland nur verteidigt hatte.
Und doch ist dieser erhabene Bürger verleumdet worden. Man konnte sich nicht zur Überzeugung bringen, daß er, wenn er den Gipfel des Ruhmes erreicht hätte, sich entschließen würde, wieder herabzusteigen; man murmelte den Namen Cromwell32) um ihn her, als ob dieser heuchlerische Machträuber der Volksrechte ein Muster wäre, das Washington nachahmen könne! Es liegt etwas Niedriges, Gemeines in dem unseligen Gepräge, welches die Knechtschaft der neuern Gesellschaft aufgedrückt hat, daß wir unaufhörlich selbst das edelste Leben beschmutzen, indem wir ihm, nach dem Maß unserer Kleinheit, den Kreis, in dem es sich bewegen, das Ziel vorzeichnen, nach dem es streben soll.
Washington hat jene beleidigende Furcht zunichte gemacht; er hat im Schatten des Freiheitsbaumes, der ihm sein bestes grünendes Laub verdankt, fünf Jahre den Frieden, den seine schöne Seele verdiente, den Segen seiner Mitbürger genossen. Er ist jetzt zu den Staatsgeschäften zurückgerufen und wird, der erste unter seinesgleichen, sein Werk kräftigen und der Macht mit derselben Ruhe entsagen, mit der er sie wieder ergriffen hat. Ein lebendiges Beispiel für seine Zeitgenossen, die eine unerhörte Revolution in dieselbe Laufbahn schleudern kann!
Niemand hat sich der moralischen Vollkommenheit, welche den tugendhaften Menschen ausmacht, so genähert als Washington: wir suchen nach einem Fleckchen seines Lebens, um uns über unsre eigene Schwäche zu trösten, und das, welches wir finden, ist so leicht, daß es in einem andern Charakter nicht bemerkt werden würde. Ich meine den Cincinnatus-Orden33), auf dessen Schöpfung er verfallen war. Einem so erhabenen Geiste wie dem seinigen, konnte es nicht unbekannt sein, wie unvereinbar diese aristokratischen Abzeichen, dieser monarchische Flitterkram mit der republikanischen Einfachheit ist; er wußte, daß es wertvollere Belohnungen gibt als Bänder und Kreuze. Aber er hatte einen Haufen Franzosen, leichtfertige, flatterhafte Hofmänner, wie sie damals waren, um sich; Männer, die gewohnt waren, für ein Ludwigskreuz sich den Kopf zerschmettern zu lassen, und sich unglücklich gedünkt hätten, wenn sie ohne ein rotes oder blaues Band in Versailles eingezogen wären. Er warf ihnen deshalb diesen Orden hin, wie man den jungen Mädchen ein Kleid gibt, und gewann sie durch ihre Eitelkeit.
Washington gab der Klagen wegen, welche strenge Republikaner sich erlaubten, selbst diese Erklärung; aber da er einsah, daß er zu weit gegangen sei, beschränkte er sein eignes Institut und erteilte den Rittern kein Erbanrecht mehr. Ich bekenne, daß ich ihn nicht ohne Verdruß in einem neugebornen Staate diese Schattenbilder des Adels schaffen sah. An seiner Stelle hätte keine Rücksicht mich vermocht, etwas so Widersinniges zuzugeben, und ich hätte den französischen Edelleuten auch diese Lehre nicht erspart.
Die Mündigsprechung der Neuen Welt war das gewöhnliche Thema unserer vertraulichen Gespräche; Washington war unser Held; mehrere meiner Freunde haben ihn in Gedichten gefeiert, welche die Vergessenheit, der wir sie bestimmt hatten, wohl verdient haben mögen.
Andre Gegenstände, die, wenn auch nicht die Bewunderung, doch die Neugierde in Anspruch nahmen, brachten damals alle Geister in Anregung. Ein Papierfabrikant von Annonay, Herr Montgolfier34), hatte damals das Mittel entdeckt, einen Ballon in die Luft steigen zu lassen und ihn oben zu erhalten; nach diesem ersten Schritte kam er auf den Gedanken, einen Kahn daran zu befestigen, der einen Menschen aufnehmen könne; auch dieser Versuch glückte. Die Entdeckung diente zuerst zu einem königlichen Spiele, bald nachher riß sich das Volk darum, und ganz Frankreich wollte Luftschiffer haben; die öffentlichen Blätter sprachen von nichts als von aufsteigenden Ballons und herabgelassenen Fallschirmen. Die Namen der Herren Blanchard35), Pilastre- Durosier36) nahmen mehr Platz darin ein als die Katharinas und Josephs; bald jedoch legte sich auch diese Wut wieder. Einige Unglücksfälle, wie der, welcher den armen Pilastre-Durosier traf, entzauberten das Publikum; die sichere Überzeugung, daß es unmöglich sei, die Ballons zu lenken, stellte diese Entdeckung unter die glänzenden und gefährlichen Überflüssigkeiten. Man gab sie auf, und mit Recht.
Eine noch sonderbarere Neuigkeit, die durch die unendlichen Folgen, welche davon zu erwarten waren, bei weitem größere Wichtigkeit hatte, stürzte Paris in eine Art von Taumel, den auch die Provinzen teilten. Ein deutscher Arzt war zu uns gekommen und hatte sich als den Besitzer eines wunderbaren Geheimnisses angegeben, welches alle Wißbegierigen in Erstaunen setzte: Mesmer nämlich, der Entdecker des tierischen Magnetismus37), welcher, für einige ein Mann Gottes, für andere ein abgefeimter Betrüger, vermittels seines magnetischen Kastens die Krüppel gehen lehrte, dem Tauben das Gehör, dem Blinden das Gesicht wiedergab. Der künstliche Zustand, in welchen er seine Kranken versetzte, bewirkte in ihnen eine vollkommene Verjüngung, brachte den Urstoff des Übels zum Vorschein, zerstörte ihn und verließ sie nicht vor der gründlichen Heilung. So sprach in ganz Frankreich der Ruf über Mesmers Kuren.
Obgleich ich diesem Wunder nicht völlig Glauben beimaß, konnte ich mich doch einer gewissen Hinreißung nicht erwehren, welche weder Zeit noch Erfahrung zerstört haben. Ich sah sogleich ein, daß die Fakultät es sich würde angelegen sein lassen, ein System zu verwerfen, welches das ganze Gerüst der medizinischen Wissenschaft über den Haufen stößt. Übereinstimmung und Vorurteil bewogen mich also, es günstig aufzunehmen.
Man brauchte durchaus nicht Arzt zu sein, um sich mit der großen Tagesentdeckung zu beschäftigen; jedermann mischte sich darein und auch unsre kleine Gesellschaft folgte der Mode und widmete ihr einige Abende. Einer unsrer Freunde, der Advokat B ..., der soeben aus Paris zurückgekehrt war und dort Mesmer hatte operieren sehen, weihte uns in die Geheimnisse seiner Künste ein. Carnot, Rusé, Fosseux und andre Mitglieder der Gesellschaft machten Versuche, die ohne Erfolg blieben. Ich wollte es meinerseits auch prüfen; aber da ich es zuerst nach einer Probe an mir selbst beurteilen wollte, so nahm ich mir keine Zeugen dazu. Ich kam damals häufig mit einem jungen Mädchen, namens Susanna F...., zusammen; es hatte sich zwischen uns — ich hielt es wenigstens dafür, und was mich betrifft, so täuschte ich mich auch nicht — eine jugendliche Freundschaft gebildet. Die unschuldige Vertraulichkeit, welche unter uns herrschte und die ihre Mutter durchaus nicht zu stören suchte, gestattete mir oft, mit ihr allein zu sein; sie war lebhaft und geistreich. Wir hatten uns oft vom Magnetismus unterhalten; der Gedanke eines Heilmittels, das eine allgemeine Kur werden sollte, sprach ihre kühne, reiche Phantasie an. Ich benutzte ihren Enthusiasmus und schlug ihr eines Tages vor, mich die Probe an ihr machen zu lassen; sie schien über meinen Wunsch zu erstaunen, sah mich fest an, errötete, blickte um sich und machte mir dann ein Zeichen, daß sie einwillige. Ich machte mich sogleich an das Werk, nahm die Miene eines Doktors an, strich mit den Händen vor ihren Armen und ihrem Gesichte vorbei, ohne es jedoch zu berühren; meine Augen waren auf ihre schönen blauen Augen gerichtet; nach und nach wurde sie beklommen, sie zog die Arme an wie jemand, der dem Schlafe erliegt, ihr Kopf sank herab, sie schlummerte ein.
Nun folgte eine wunderbare Szene. Niemals haben meine Freunde ein Wort davon erfahren. Ich werde sie nicht erzählen, es ist Robespierres Geheimnis, es soll mit ihm sterben. Jemand öffnete die Türe, sie stieß einen Schrei aus, erwachte und fiel unter den heftigsten Zuckungen in Ohnmacht. Ich fragte sie aus, als sie sich erholt hatte; sie erinnerte sich keines einzigen Wortes, das sie im Schlafe gesprochen hatte. Der einzige Eindruck, der ihr geblieben, war ein unbeschreibliches Unbehagen, das sie empfunden hatte, als sie wieder zu sich kam. Alles übrige war ihr entflohen wie ein Traum, keine Spur davon hatte sich erhalten.
Mehrere Tage lang ließ mir der Gedanke an diesen Abend keine Ruhe. Ich ging zu Susannen und fragte sie nur immer: „Wie, erinnern Sie sich denn nicht?“ „Nein“, antwortete sie, errötete und sah mich an. Ich hätte meine Versuche gern erneuert, aber sie schlug es beharrlich ab. Ich merkte, daß ihr Schamgefühl aufgeschreckt sei, und daß sie ein zu zärtliches Gefühl für ihren Magnetiseur zu fassen fürchtete. Ich drang nicht mehr in sie, suchte auch keine Gelegenheit mehr, meine Kunst auszuüben, und verschloß Susannens Worte in meine Brust. Hätte ich sie damals gering schätzen können, mein ganzes Leben hätte mich gezwungen, ihnen Glauben beizumessen.
Meine literarischen Arbeiten füllten währenddessen die Muße, welche das Gericht mir ließ. Die Akademie von Amiens hatte für das Jahr 1785 als Thema zu einer Preisbewerbung eine Lobrede auf Gresset38) aufgegeben; der Gegenstand war unbedeutend, und doch erlaubte ich mir, ihn zu behandeln; es betraf einen Mann, der durch gefällige Gedichte, durch seine geschmackvollen Scherze mich in meiner Jugend bezaubert hatte. Ich trat daher in die Zahl der Mitbewerber; allein dieser zweite Versuch lief nicht so glücklich ab als der erste. Will man den Gründen nachforschen, welche die Akademiker bewogen haben, mein Werk mit dem Banne zu belegen: jeder der sich die Mühe nähme, es zu lesen, würde sie, glaube ich, leicht herausfinden.
Zwei Männer mußte ich ins Auge fassen, als ich mich mit Gresset beschäftigte, denn Voltaire sagte von ihm:
Dem Gresset ward das Doppelrecht, daß man
In jeder Schul’ als Mann von Welt und Geist,
Als Schulmann in der Welt ihn preist.
Sonst macht’ er Spaß, stimmt jetzt Gebete an,
Durch seinen Widerruf heilig gesprochen.
Zerknirschten Herzens gesteht er ein,
Daß er Theaterstücke hat verbrochen,
Und fleht zur Jungfrau, ihm zu verzeih’n.
Ich möchte beinahe fortfahren und eine große Unziemlichkeit gegen meinen Helden begehen und, was noch schlimmer ist, mich als Mitschuldigen einer mutwilligen Unwahrheit bloßstellen. Wie wunderbar ist doch oft die Verführung des Geistes, die uns, trotz der Vernunft, hinreißt. Ich weiß diese Verse Voltaires auswendig, ich führe sie an, als ob ich sie mir zur Studie gewählt hätte, als ob sie eine unwiderrufliche Erkenntnis aussprächen, und doch verhüllen sie unter ihrem dreifachen Spottbesatze nur ein durchaus unrichtiges, falsches Urteil. Voltaire, Voltaire, wie geschickt bringst du Verachtung und Verspottung zuwege, wie leicht wird man von dir getäuscht!
Aber in Gressets Leben war wirklich etwas von dem Doppelgesichte, welches Voltaire in jenen Versen scherzhaft berührt hat; Gresset war bald Weltmann, bald Frömmler und hatte seinen Büchern und seiner Lebensart etwas von beiden entgegengesetzten Charakteren eingeprägt. In dieser Beziehung bot diese Lobrede wahrhafte Schwierigkeiten. Die Gelehrten der damaligen Zeit, welche sämtlich von der Ungläubigkeit angesteckt waren, betrachteten die Bekehrung Gressets nur als eine Schwäche, als eine Zaghaftigkeit der Seele; höchstens ließen sie zu, daß man in einer Lobrede den zweiten Abschnitt aus Gressets Leben mit Stillschweigen übergehen oder leichthin entschuldigen könne: aber niemals hätten sie gewagt, eben diesen zu erheben, ihn über sein literarisches Schaffen zu setzen, ihn in dieser Beziehung wie einen Mann hinzustellen, der dem Gewissen sein Talent und sein Glück opfert; ebensowenig konnten sie sehen, daß ein anderer sich dazu hergebe, ohne über Heuchelei zu schreien. Aber doch hatte ich dies getan.
Es schien mir nicht allein in literarischer Hinsicht effektvoll, sondern auch wahrhaft moralisch, Achtung für jeden Glauben zu verkündigen, für den sowohl, der glaubt, als den, der leugnet; für den, der schwindet, wie für den, der sich wieder erkräftigt; also gerade der damaligen Philosophie entgegengesetzt, welche eine Unduldsamkeit, die kaum im Katholizismus ein Muster finden dürfte, in die Untersuchung der Religionslehren legte. Denn wenn es irgend etwas Ehrwürdiges, Heiliges gegeben hat, so ist es der Glaube des rechtlichen Mannes, der mit voller Gewissensfreiheit sich das Religionsbekenntnis auswählt, zu dem ihn seine Überzeugung hinführt. Die Bekehrung Gressets, die frei von jedem heuchlerischen Vorbehalt war, verdient also, mit Nachsicht betrachtet und als eine kräftige Betätigung der Überzeugung, die er trotz aller Schwierigkeiten von Seiten der Welt und seiner Eigenliebe ins Werk setzte, selbst gerühmt zu werden.
Die Verwegenheit, die ich hatte, herrschende Ansichten so keck anzugreifen, hatte das Schicksal, auf das ich gefaßt sein mußte; mein Werk wurde von den Philosophen, denn es gab solcher Herren selbst in der Akademie von Amiens, ausgepfiffen und verhöhnt. Wenn sie sich wirklich an das Geheimnis der versiegelten Namenzettel gehalten haben, so müssen sie lange in ihren Vermutungen über den Verfasser der von mir überreichten Denkschrift geschwankt haben. Denn wenn einige Stellen deutlich eine religiöse Färbung, einen unverstellten Haß gegen die Lehren jener Männer verrieten und ihnen den Glauben einflößen konnten, daß sie es mit einem jungen Abbé zu tun hatten, in dem noch der theologische Unterricht des Seminars glühe, so offenbarte ihnen auf der anderen Seite die Kühnheit einiger wissenschaftlichen Theorien und einiger politischen Begriffe, die sich ganz natürlich an meinen Gegenstand angeschlossen hatten, einen Geist, der frei von jeder Kette und bereit war, seine Unabhängigkeit zu zeigen.
So hatte ich mich bei Gelegenheit der Beurteilung des Dramas Sydney39) bewogen gefunden, mich über eine Gattung auszusprechen, die man, trotz der Meisterstücke des Lachaussée, eine mißgestaltete Abart nannte, und nicht angestanden, meine Ansicht aufzudecken, die man leicht für eine Lästerung unserer großen Dichter halten könnte, die aber dennoch um nichts weniger wahr ist. So nahm ich auch Veranlassung, als die lebenslängliche Präsidentschaft der Akademie von Amiens Gresset angetragen und von ihm abgelehnt wurde, über die Diktatur im Staate auf eine Art zu sprechen, die gewiß nicht das Seminar verriet.
Wie dem auch sei, meine Frömmigkeit mag nun dem Philosophen oder meine Philosophie dem Frommen mißfallen haben, mein Werk erhielt den Preis nicht, und ich beschloß, von nun an nicht mehr in den Schranken der literarischen Preisbewerbungen zu erscheinen.