Kitabı oku: «Finding home: Zuhause ist ...», sayfa 3
Kapitel 3
Jaden war sich ziemlich sicher, dass man Daisy’s Diner direkt aus den Achtzigerjahren hierher versetzt hatte. Das Lokal war in grellen Farben eingerichtet und die Bilder, die an den Wänden hingen, hatten alle etwas gemeinsam: Sie wirkten, als wären sie der Serie Ein Duke kommt selten allein entsprungen. Sie zeigten Autos oder Mädchen in überaus knappen Jeansshorts, manchmal auch beides zusammen. Die Sitznischen waren klassischen Autos nachempfunden, nur dass kleine Tische in der Mitte standen. Eine Kreuzung zwischen Südstaaten-Stil und Pulp Fiction. Es war unglaublich kitschig. Countrymusik schallte aus einer leibhaftigen Jukebox in der Ecke. Ein Mann mit krächzender Stimme sang etwas darüber, dass eine Frau ihm das Herz gebrochen hatte. Es ging auch um Bier, und um Trucks. Dies hätte wirklich eine Parodie sein können, um sich über Florida lustig zu machen.
Jaden blieb direkt hinter der Eingangstür stehen und starrte auf sein Handy. War das wirklich der Ort, an dem Elliot sich mit ihm zum Frühstück treffen wollte? Ja. Tatsächlich.
Die Tür in seinem Rücken wurde geöffnet, Jaden sprang hastig zur Seite und entschuldigte sich bei der Frau, die soeben hereinkam. »Sorry«, sagte sie im selben Moment und schenkte ihm einen langen, fragenden Blick. Dann ging sie an ihm vorbei und setzte sich gegenüber an einen Tisch in der Ecke.
Es war ganz anders als in New York. Die Leute starrten. Jaden konnte ihre Blicke regelrecht auf seiner Haut spüren wie ein unangenehmes Kribbeln. Als er sich nach Elliots Gesicht umsah, versuchten sie, seinen Blick zu erhaschen. Sie tuschelten miteinander. Über ihn? Jaden war die schnelllebige Umgebung von New York gewohnt. Dort kümmerte sich niemand um die Leute in seiner Umgebung. Doch hier redeten die Menschen tatsächlich miteinander, niemand starrte auf sein Handy. Er gehörte nicht hierher. Das war mehr als deutlich. Ihm war selbst nicht klar, was er hier eigentlich wollte.
Gerade, als er wieder gehen wollte, kam Elliot herein, flankiert von zwei anderen Männern. Der zu seiner Linken hatte leuchtend blaues, langes Haar, das sein Gesicht umrahmte. Seine Nase war gepierct. Er trug Skinny Jeans und ein weites, schwarzes T-Shirt mit zerrissenem Kragen. Seine Kleidung war mit Tierhaaren übersät. Der Mann neben ihm trug eine kurze Sporthose und ein Tanktop, auf dem stand: I woke up like this. Er hatte dunkles, schwarzbraunes Haar, das vorne länger war als im Nacken. Beide hatten die gleichen dunkelblauen Augen. War es nun zu spät, um zu entscheiden, dass er das nicht schaffte? Jaden hatte fünfunddreißig Jahre als Einzelkind verbracht. Er hatte nur seine Mom und ihre Familie. Wieso sollte er das ändern wollen?
Elliot und der blauhaarige Halbbruder lächelten, als sie ihn sahen. Der dritte verzog keine Miene.
Ja. Es war nun definitiv zu spät, um sich anders zu entscheiden. Er versuchte, das Lächeln zu erwidern. Nun, es war wohl mehr eine Grimasse, aber er hatte es zumindest versucht.
»Hi«, sagte Elliot. Er trug heute ein legeres Sportoutfit. Seine Nikes waren neonblau. Jaden konnte nicht anders, als sie anzustarren. Die Farbe war sogar noch greller als die Einrichtung um ihn herum. »Hast du gut geschlafen? Konntest du etwas zu Essen auftreiben? Ich weiß nicht mehr, ob noch Vorräte im Haus waren. Wenn nichts mehr da war, hast du hoffentlich die Kataloge vom Lieferservice entdeckt.«
Anscheinend war Jaden nicht der Einzige, der nervös war. Er war sich nicht sicher, ob er erzählen sollte, dass Chase ihm Essen vorbeigebracht hatte. Das war eine süße Geste gewesen. Zuerst waren zwar Schmetterlinge in Jadens Bauch erwacht, aber dann hatte sich etwas verändert. Ein warmes, angenehmes Gefühl hatte sich in Jadens gesamtem Körper ausgebreitet. Sie hatten stundenlang geredet und Serien geguckt, bis Jaden anscheinend eingeschlafen war. Nun hatte Jaden eine Menge Essensreste, und er war ein bisschen in Chase verknallt. Auch, wenn das natürlich hoffnungslos war.
Der blauhaarige Mann schob Elliot kurzerhand beiseite und streckte Jaden die Hand entgegen. »Ich bin Phoenix.« Er deutete mit dem Kopf auf den dritten Mann. »Und das ist Zane. Es ist schön, dich kennenzulernen.« Sein Lächeln wirkte entspannt und ehrlich. Phoenix hatte einen festen Händedruck, seine Handfläche fühlte sich kühl an. Jaden wünschte, er hätte seine eigenen Hände noch an seiner Jeans abgewischt. Sie wurden immer schwitzig, wenn er nervös war.
»Freut mich auch«, sagte er. Es war ein Wunder, dass seine Stimme nicht brach.
Phoenix deutete auf einen freien Tisch, der wie ein roter Cadillac aussah. »Wir wäre es, wenn wir uns setzen? Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich brauche meinen Morgenkaffee.«
Jaden folgte ihnen zum Tisch. Zanes Schweigen machte ihn fertig. Warum sagte er nichts? Würde er derjenige sein, der Jaden nicht mochte und ihn als einen Eindringling betrachtete? Natürlich erwischte er den Platz neben Zane. Ihre Ellbogen berührten sich und er trat unabsichtlich unter dem Tisch gegen Zanes Knöchel. Er entschied sich dafür, so zu tun, als wäre nichts, und starrte mit brennenden Wangen auf seine Speisekarte. Eigentlich hatte er keinen Hunger. Es fühlte sich an, als würde ein schweres Bleigewicht in seinem Magen liegen. Schon allein beim Gedanken an Essen wurde ihm schlecht. Aufregung schlug ihm immer auf den Magen. Vor einiger Zeit hatte er vermutet, dass er ein Magengeschwür hatte. Sein Arzt hatte einige Tests gemacht und ihm dann empfohlen, zum Seelenklempner zu gehen. Laut ihm bestand keine Gefahr, dass er ein Magengeschwür entwickelte, sondern eher, dass sich eine Panikattacke anbahnte. Rein körperlich sind Sie gesund wie ein Pferd, hatte er gesagt. Jaden hatte diese Redewendung noch nie verstanden, aber die Nachricht war angekommen. Er war physisch in bester Form, mental war er ein Wrack. Eigentlich brauchte er keinen Arzt, um zu wissen, dass er ein neurotischer Mensch war. Das war eben einfach so.
»Wenn du Waffeln magst, empfehle ich die mit Zimt und Äpfeln. Aber der gefüllte French Toast ist auch gut. Und Gloria macht die fluffigsten Pfannkuchen der Welt. Also, ich meine, die sind auch lecker.«
Phoenix stieß Elliot mit dem Ellbogen an, nickte Jaden zu und verdrehte die Augen. »Ich muss mich für Elliot entschuldigen. Er kommt nicht viel raus und seine sozialen Kompetenzen sind verbesserungswürdig.«
Zane neben ihm schnaubte. Er zog den Kopf ein, versteckte sein Grinsen hinter seiner Faust und tat so, als würde er husten.
Jaden war sich ziemlich sicher, dass Elliot nicht auf sein Schienbein gezielt hatte, sondern auf Zanes. Doch er kickte Jaden. Fest. Jaden sog scharf die Luft ein.
Elliot wurde schlagartig rot. »Oh Fuck«, sagte er. »Sorry.«
Nun begann Zane wirklich zu lachen. Seine Schultern zuckten.
Phoenix biss sich auf die Unterlippe und gab sich sichtlich Mühe, seinen Lachanfall zu unterdrücken.
Genau in diesem Moment erschien die Kellnerin. Sie war groß, kurvig, rothaarig und wirkte kein bisschen überrascht, sie zu sehen. Ihre weiße Bluse hatte sie in ihre kurze Jeansshorts gesteckt, sodass man ihre langen, blassen Beine bewundern konnte. Sie sah Zane an und hob fragend eine Augenbraue. »Was ist denn so lustig?«, wollte sie wissen. »Ich kann um diese Uhrzeit auch eine Aufmunterung gebrauchen.«
Zane grinste zum ersten Mal und unterdrückte immer noch sein Kichern. »Oh, ich muntere dich immer gerne auf«, sagte er und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen.
Sie schlug ihm mit ihrem Notizblock auf den Hinterkopf. »Nicht in einer Million Jahren.« Ihr Blick aus grünen Augen wanderte zu Jaden. Interessiert musterte sie ihn. »Und wen haben wir hier? Dich habe ich noch nie gesehen.«
»Das ist Jaden. Unser Bruder«, sagte Phoenix.
Jaden erstarrte. Ihm hatte es die Sprache verschlagen. Phoenix sagte das so einfach, als wäre es überhaupt nicht merkwürdig, dass ein Verwandter, ein Bruder auch noch, einfach so auftauchte. Er kannte Jaden gar nicht und trotzdem akzeptierte er einfach, dass sie Brüder waren.
»Noch ein Bannister? Wachst ihr auf Bäumen?« Die Kellnerin musterte Jaden erneut, diesmal von Kopf bis Fuß.
Jaden rutsche unruhig auf seiner Bank hin und her und sah angestrengt in die andere Richtung. Er stand nun mal nicht auf Frauen. Aber das hier war nicht New York, sondern eine Kleinstadt in Florida. Er würde seine sexuelle Orientierung nicht jedem auf die Nase binden.
»Was kann ich dir zu trinken bringen?«, fragte sie.
Er räusperte sich. »Kaffee, bitte.«
»Klar doch.« Ihr Blick verweilte noch einen Moment auf ihm, dann nahm sie die Bestellungen der anderen auf. »Kommt sofort.« Mit schwingenden Hüften ging sie davon.
Die Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf ihn. Jaden war versucht, die Kellnerin zurückzurufen. Zane hatte wieder seine neutrale Miene aufgesetzt.
Elliot kratzte sich am Kinn und lächelte verlegen. »Sorry wegen all der Fragen. Aber im Ernst: Hast du gut geschlafen?«
Es war seltsam, in Augen zu blicken, die seinen so ähnlich sahen. Jadens Mutter hatte braune Augen. Er hatte zwar gewusst, dass er das Blau von seinem Vater geerbt hatte, aber nun wurde ihm erst wirklich bewusst, was es bedeutete. Jaden hatte eine Seite, die er selbst gar nicht kannte. »Ich habe okay geschlafen«, antwortete er. Er erwähnte nicht, dass er auf der Couch übernachtet hatte statt in einem der Gästezimmer. Es war eigentlich keine Absicht gewesen, aber er würde wahrscheinlich auch heute nicht in einem der Betten schlafen. Es fühlte sich irgendwie zu persönlich an. Wahrscheinlich ergab das nur für ihn selbst Sinn. Aber es war einfach merkwürdig, sich im Haus seiner toten Großmutter einzurichten. Es war nicht sein Zuhause. Die Nachrichten heute Morgen hatten ihm nur bestätigt, wie weit er von zu Hause entfernt war. Er hatte den Fernseher eingeschaltet, komplett groggy ohne seinen üblichen morgendlichen Kaffee, und einen Bericht über einen Alligator gesehen, der sich auf einem Golfplatz herumtrieb. Es war ganz eindeutig: Er war nicht mehr in New York.
Phoenix gähnte. Sein Kiefer knackte. »Ich kann heute mit dir Einkaufen fahren, wenn du willst. Und ich kann dir die Stadt zeigen, damit du dich auskennst.«
»Ich …« Jaden wollte nicht bleiben. Er bekam aber langsam den Eindruck, dass sie das glaubten. Er musste das klarstellen. Also öffnete er den Mund, um genau das zu tun. »Das wäre nett«, sagte er.
Was zur Hölle?
Wer hatte seinem Mund erlaubt, das zu sagen? Ganz sicher nicht er.
»Cool.« Phoenix grinste und entblößte seine Zähne, die so aussahen, als würden sie aus einer Zahnpastawerbung stammen. »Wir haben uns gedacht, dass jeder von uns einen Tag mit dir verbringt. Um dich kennenzulernen.«
Jaden blinzelte. »Wollt ihr nicht über das Geschäftliche reden?« Offensichtlich hatte er keine Kontrolle mehr darüber, was er sagte. Am liebsten hätte er sich die Hand vor den Mund geschlagen, um nicht mehr mit allem ungefiltert herauszuplatzen.
Zane lehnte sich nach vorn, stützte sich auf den Ellbogen ab und verschränkte die Hände ineinander. Seine Haltung wirkte so ernst wie sein Gesichtsausdruck. »Willst du denn über das Geschäftliche reden?«
Jaden entschied sich für die Wahrheit. »Deshalb bin ich hier«, sagte er. »Ich dachte, ihr wollt mir meinen Anteil des Erbes abkaufen.«
Phoenix lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme. »Was, wenn wir das nicht wollen?«
Jaden öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. Er schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht.«
»Das Fitnessstudio ist ein Familienunternehmen und Lily-Anne hat dir einen Teil davon hinterlassen. Sie wollte, dass du dabei bist. Wir werden dir deinen Teil nicht abkaufen, außer, du willst das unbedingt.« Phoenix hob die Hand, bevor Jaden antworten konnte, dass er genau das wollte. »Aber wir würden dich gerne kennenlernen. Wir hätten gerne, dass du uns eine Chance gibst.«
Elliot übernahm. »Uns ist klar, dass du vermutlich nicht ewig bleiben kannst. Aber auch, wenn es nur eine Woche ist, oder es drei Tage sind oder was auch immer, es würde uns viel bedeuten, wenn wir diese Zeit gemeinsam verbringen könnten. Du hast wahrscheinlich ein Leben, in das du zurückkehren willst. Aber auch, wenn Serenity in deinem Leben keine Rolle spielt, wir sind miteinander verwandt und das bedeutet uns etwas. Also. Bitte.«
Jaden betrachtete ihre ernsten Mienen, die drei dunkelblauen Augenpaare, die einander so ähnelten. Er sah sich im Café um. Die Menschen, die Auto-Tische, das allgegenwärtige Südstaatenflair … Nein, das hier war nicht New York. Vielleicht war ein Tapetenwechsel wirklich das, was er brauchte. Eine Pause von dem Leben, das in letzter Zeit ein wenig aus der Bahn geraten war. Es würde ja nur ein Monat sein. Das hier würde für ihn wie ein Urlaub werden. Und nach einem Monat würde er ihnen seinen Anteil des Unternehmens verkaufen und nach New York zurückkehren. Zurück in die Realität. Aber … »Sie kannte mich doch gar nicht«, sagte er. »Warum wollte sie, dass ich einen Teil ihres Unternehmens erbe?«
Zane schob den Salzstreuer auf dem Tisch herum. »Sie kannte dich nicht, aber du bist trotzdem ein Teil unserer Familie. Sie hat immer gehofft, dass du eines Tages zurückkehrst.« Der Salzstreuer fiel um. »Sie wollte, dass wir das hier tun.«
Jaden bezweifelte das. Und er bezweifelte auch, dass er diese unbekannten Erwartungen erfüllen konnte. Doch eigentlich war es egal, die Situation blieb die gleiche. »Also gut«, sagte er und versuchte, sich nicht berühren zu lassen. Weder von Elliots und Phoenix‘ begeistertem Grinsen noch von Zanes forschendem Blick.
Kleinstädte waren seltsam. Jaden, ganz der Stadtmensch, hatte das schon immer gedacht, obwohl er Kleinstädte nur aus Büchern oder aus dem Fernsehen kannte. Serenity war nicht rückständig, wie er es sich vorgestellt hatte. Es gab Einkaufszentren und asphaltierte Straßen, und Phoenix wollte ihn zu einem Supermarkt fahren, aber trotzdem war das nicht das, woran er gewöhnt war. Es gab so viel Platz. Und alles war flach, die Gebäude zogen sich in die Breite, nicht in die Höhe. Nur eine Handvoll Leute war auf den Bürgersteigen zu sehen. Wenn es überhaupt Bürgersteige gab. Viele Straßenabschnitte wurden nur von Wiesen und Bäumen gesäumt, es gab keinen Platz für Fahrradfahrer und Fußgänger. Phoenix musste mehr als einmal einem Jogger ausweichen. Und es gab Kühe. So viele Kühe. Ganze Felder voller Kühe, ab und zu auch ein paar Pferde. Jaden entdeckte sogar Ziegen, als sie an einem Haus vorbeifuhren. Winzige Ziegen, wie die, die er aus dem Streichelzoo kannte. Er hatte sich immer gefragt, was Leute mit diesen winzigen Ziegen anstellten, und nun wusste er es: Anscheinend waren es Haustiere. Die ländliche Alternative zu Hunden.
»Wo fahren wir hin?«, fragte er schließlich. Phoenix fuhr eine kurvenreiche Straße entlang, die von schattigen, moosbedeckten Eichen gesäumt war. Es schien, als würden sie sich immer weiter vom Stadtzentrum mit den Läden entfernen, um direkt in die Wildnis zu fahren.
»Wenn wir da sind, wirst du verstehen, warum Leute hier wohnen«, sagte Phoenix. Es klang ziemlich kryptisch, wie Jaden fand.
Er trommelte mit den Fingern auf der Sitzlehne herum und sah hinunter zu seinem iPhone, das auf seinem Schoß lag. Nun wäre ein guter Zeitpunkt, um eine Nachricht zu bekommen. Aber natürlich schrieb ihm niemand.
Die Bäume vor dem Autofenster verschwammen ineinander. Wenn Jaden dachte, die Straße nach Serenity würde mitten im Nirgendwo liegen, dann führte diese Straße im Vergleich dazu wohl direkt in die Everglades. Oder durch die Everglades hindurch.
Phoenix wurde langsamer, um eine unglaublich kurze Holzbrücke zu überqueren, die über einen kleinen Bach führte Jaden erblickte gerade noch den schwarz-gelben Panzer einer Schildkröte, die sich auf einem Ast sonnte. »Bist du das erste Mal in Florida?«, fragte Phoenix.
Jaden riss sich von der Betrachtung der Tierwelt los. »Das erste Mal, an das ich mich erinnere«, antwortete er. »Die anderen Male war ich noch zu klein. Meine Mom ist aus Serenity. Na ja, das heißt, sie hat eine Weile hier gelebt. Ursprünglich kommt sie aus Los Angeles.« Sie hatte ihm nie etwas über Serenity erzählt. Nichts außer: Ich versuche, so zu tun, als sei diese Zeit meines Lebens nie passiert. Ich bin eben kein Kleinstadtmädchen. Dann, ein paar Minuten später, als ihr klar geworden war, wie das geklungen hatte, hatte sie jedes Mal hinzugefügt: Von dir natürlich abgesehen. Du bist passiert und das war gut. Sie war nicht sonderlich gut darin, über Gefühle zu reden.
»Ah, cool.« Die Bäume wurden spärlicher, man konnte den strahlend blauen Himmel besser erkennen. »Zane und ich sind aus Montana. Unsere Mom wohnt immer noch dort.«
»Zane und du, ihr seid also …?«
»Ja, wir sind zu hundert Prozent Brüder. Mom hatte so eine Art wilde Phase. Sie hat unseren Vater kennengelernt, als sie auf einer Pferderanch in Wyoming gearbeitet hat. Zane und ich sind nur ein Jahr auseinander. Ein paar Monate, nachdem Zane geboren wurde, haben sie sich getrennt. Sie hat uns zurück nach Montana gebracht. Sie ist Cheyenne, also haben wir im Reservat gelebt. Sie haben es recht gut aufgenommen, wenn man die Umstände bedenkt.«
Jaden wusste nicht, was das hieß. »Was gut aufgenommen?«
»Unsere käseweißen Hintern«, sagte Phoenix, lachte und deutete auf sich selbst. »Mom ist ganz dunkel. Aber Zane und ich wurden mit schwarzem Haar geboren, das war’s. Wir waren das Zeichen ihrer Rebellion. Anders als die anderen. Es hat ein bisschen gebraucht, bis die Gemeinschaft uns akzeptiert hat.«
Phoenix und Zane hatten beide sonnengebräunte Haut, und auch, wenn sie nicht unbedingt dunkel waren, waren sie sicherlich nicht käseweiß. Diese Ehre fiel Jaden zu. Nur sein Gesicht und seine Unterarme sahen ab und zu die Sonne. »Oh«, sagte er, nicht sicher, was man darauf antworten sollte.
Phoenix grinste. »Alles gut. Unsere Familie … Es ist ihnen sehr wichtig, wo man herkommt. Also sind wir neugierig geworden. Mom wusste genug, um uns nach Serenity zu schicken. Also sind wir hierhergekommen. Um uns selbst zu finden, schätze ich. So irgendwie.« Er zuckte mit den Schultern. Es schien ihm nichts auszumachen, seine Vergangenheit mit jemandem zu teilen, der, technisch gesehen, ein Wildfremder war. »Wir haben unseren Samenspender aber noch immer nicht getroffen. Er ist noch nicht aufgekreuzt, seit wir hier sind. Ab und zu hat er Lily-Anne angerufen, aber das war es auch schon. Beim Begräbnis war er auch nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt von ihrem Tod weiß.« Er schilderte es völlig sachlich. Es schien ihn nicht mehr zu kümmern, dass der Mann, wegen dem er hergekommen war, nicht da war.
Das Auto wurde langsamer und Jaden sah auf, immer noch überfordert von all den neuen Informationen. Vier Kraniche stolzierten über die Straße, seelenruhig und ungerührt. Sie ignorierten das Auto einfach. Einer blieb stehen, um nach irgendetwas auf der Straße zu picken. »Ist das normal?«, fragte Jaden. Der New Yorker in ihm wurde bereits ungeduldig.
»Oh, ja«, sagte Phoenix und lachte. »Wenn es keine Kraniche sind, dann ist es ein Alligator, eine Schildkröte, eine Hirschfamilie … Die Liste geht endlos weiter. Wenn Touristen nach den Tieren hier fragen, sagen wir immer: ›Egal, welches Tier dir einfällt, das gibt es hier sicher‹.« Endlich hatten die Kraniche die Mitte der Straße erreicht und der Weg war frei. Phoenix fuhr vorsichtig an ihnen vorbei. »Das macht meinen Job recht interessant.«
Jaden versuchte, sich das Gespräch mit Chase ins Gedächtnis zu rufen. Er hatte erwähnt, was Phoenix beruflich machte. Aber er erinnerte sich nur vage an die Fahrt. Alles verschwamm ineinander. Nur die Erinnerung an Chase war noch glasklar. Die hervorstehenden Adern an seinen Unterarmen, die Länge seiner Finger, die Art, wie er mit der Zungenspitze über die Zähne fuhr, wenn er nach Worten suchte … Hitze flammte in seinem Bauch auf und Jaden räusperte sich. Für das hier war jetzt wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt. »Was machst du denn beruflich?«, fragte er.
»Ich leite ein Rehabilitationszentrum für Wildtiere. Aber wir nehmen auch andere Tiere. Im Prinzip sammle ich Streuner auf. Die Leute bezahlen Eintritt, um mehr über Tiere zu erfahren. Mein Tierheim ist nur klein, aber in Miami gibt es ein großes Schutzzentrum, die machen großartige Arbeit. Wenn du mal die Gelegenheit hast, sieh es dir an, das wird dein Herz zum Schmelzen bringen. Ich nehme hauptsächlich die Tiere, die sonst keinen Platz bekommen, dringende Fälle und so weiter. Angefangen habe ich mit Hunden.«
Richtig. Nun erinnerte er sich wieder an Chases Worte. »Also, du rettest Waschbären und so?«
»Und so«, sagte Phoenix und grinste breit. »Ah, wir sind da.«
Jaden sah aus dem Fenster und erwartete … Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Jedenfalls nicht einen klaren Himmel und blaues Wasser, so weit das Auge reichte. Sie fuhren aus dem Wald heraus und bogen in eine Straße ein, die sicher viele Kilometer weit am Strand entlang führte. Das Gelände fiel schräg ab, wackelige hölzerne Fußwege führten über wildes Gebüsch hinweg zum goldenen Sandstrand.
Phoenix parkte das Auto neben der Straße am Waldrand. »Ich empfehle dir, deine Schuhe im Auto zu lassen«, sagte er und begann schon damit, seine eigenen Schnürsenkel zu entknoten. »Wenn du sie anlässt, kriegst du den Sand nie wieder raus.«
Jaden war noch nie am Strand gewesen. Aber er hatte Dokumentationen über Haie gesehen. Vielleicht waren diese auch der Grund dafür, warum er nie an einem Strand gewesen war. Aber solange sie vom Wasser wegblieben, dürfte wohl nichts passieren. Er folgte Phoenix die Straße entlang und zuckte zusammen, als der Asphalt seine bloßen Fußsohlen verbrannte und Kieselsteine sich in seine Haut bohrten. Phoenix schien die Hitze gar nicht zu bemerken, denn er tat so, als würde er nicht gerade über glühende Lava gehen.
Der Gehweg und der darauf folgende Sand waren nicht weniger heiß. Jaden sog schmerzerfüllt die Luft ein und trat unruhig von einem Bein auf das andere. Er war kein Fan davon, barfuß umherzulaufen. Er hatte es immer unhygienisch gefunden, und nun wusste er, dass es auch schmerzhaft war. Erst, als sie nur mehr wenige Schritte vom Wasser entfernt waren, wurde der Sand merklich kühler. Er seufzte erleichtert auf, krümmte die Zehen und blickte aus dem Augenwinkel aufs Wasser. Die Wellen schlugen unablässig gegen die Brandung und brausten ohrenbetäubend laut. Das Wasser war klar und dunkelblau, der Schaum weiß, stellenweise durchsetzt von dem Grün des Seegrases. Sobald die Wellen den Strand erreichten, wurde der weiße Schaum trüb, vermischte sich mit Sand und kleinen Muscheln. Der Ozean traf am Horizont auf den Himmel und es sah aus, als würde beides ineinander verschwimmen. Jaden entdeckte ein paar Boote, kaum mehr als winzige Punkte in der Ferne. Ja, er fand die endlosen Tiefen des Ozeans furchterregend, aber dennoch musste er zugeben, dass es ein wunderschöner Anblick war.
Phoenix blieb stehen und krempelte seine Hosenbeine hoch, so weit es nur ging. Dann watete er ins Wasser. Es umfloss seine Waden, die Spritzer der Wellen durchnässten seine Jeans und färbten sie dunkel. Er reckte seinen Kopf der Sonne entgegen, sein blaues Haar wehte ihm Wind und umflatterte sein Gesicht. Unwillkürlich tauchte ein Bild in Jadens Kopf auf: Phoenix, der in einem Bikini für Victorias Secret modelte. Er war sich nicht ganz sicher, ob er den Gedanken lustig oder grauenhaft finden sollte. Wahrscheinlich eher grauenhaft.
Jaden steckte die Hände in die Hosentaschen. Zögerlich streckte er einen Fuß aus, bis er eine Zehe ins Wasser tauchen konnte.
Fuck!
Eilig trat er wieder einen Schritt zurück. Viel zu kalt.
Sie gingen nebeneinander den Strand entlang; Phoenix im Wasser und Jaden mit Sicherheitsabstand auf dem Sand. Die Sonne brannte auf sie herab und durch seine Kleidung hindurch, bis der Stoff schweißnass war. Kräftiger Wind wehte. Das war wahrscheinlich das Einzige, was verhinderte, dass er in dieser Hitze einfach zusammenklappte. Das Gefühl von Sand zwischen seinen Zehen war neu und er war sich noch nicht sicher, ob er es mochte. Er war es gewohnt, immer Schuhe zu tragen. Schon jetzt dachte er darüber nach, dass er sich die Füße waschen würde waschen müssen, bevor er ins Haus ging.
Phoenix stieß ihm leicht gegen die Schulter. »Hör auf, zu denken und genieß es einfach.«
Das war auch neu für ihn. Noch nie hatte jemand ihm gesagt, dass er aufhören sollte, zu denken. Im Gegenteil, er konnte sich noch genau daran erinnern, dass seine Lehrer immer gesagt hatten, er sollte weniger vor sich hin träumen und mehr denken.
»Du denkst immer noch«, sagte Phoenix und unterbrach damit seine Grübeleien. »Atme tief durch und entspann dich. Konzentriere dich auf das Geräusch der Wellen.«
Jaden versuchte es. Doch sein Kopf arbeitete weiter. In den letzten vierundzwanzig Stunden war so viel passiert, auf das er nicht vorbereitet gewesen war. Es gab so viel, das er verarbeiten musste. Ihm war klar, dass Phoenix wahrscheinlich die Stille genoss, die friedliche Stimmung am Strand, doch wenn er nicht augenblicklich etwas sagte, würde er durchdrehen. Jaden wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Also, das hier ist ein Teil von Serenity?«, fragte er. Durch die Sonne konnte er Phoenix‘ Gesicht kaum erkennen. Halb blind verengte er die Augen.
»Nein«, antwortete Phoenix und bückte sich, um eine Muschelschale aus dem Wasser zu fischen. »Das ist die Definition von Serenity.«