Kitabı oku: «Schneesturm im Hochsommer», sayfa 2

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Nun suchte aber Ilse den Verborgenen und fand ihn. Sie kam im Wasser dem Ufersaum entlang, ein wenig schwankend, mit ausgebreiteten Armen, um sich auf dem steinigen Grund im Gleichgewichte zu halten, und stand mit einem leisen Laut der Überraschung plötzlich vor ihm.

«Störe ich?», fragte sie.

«Nein, nein!», entgegnete er, heftig errötend.

«Es ist furchtbar, auf den Steinen hier zu gehen … Ja, ich möchte nämlich nicht stören, es soll ja so günstiges Fischwetter sein …»

«Ja», sagte er, und ein Lächeln tiefster Verlegenheit zog über sein gutmütiges Gesicht.

«Noch nichts gefangen?»

«Nein!»

«Dann ist es vielleicht doch nicht so günstig … die andern haben auch noch nichts gefangen … Aber jetzt geh’ ich hier nicht weiter, es ist wirklich furchtbar …» Sie stieg aus dem Wasser und blickte, drei Schritte von Sebastian entfernt, ins Ufergestrüpp hinein. «Hier wird man wohl durchkommen … oder hat’s hier Dornen?»

«Ich glaube nicht, nein.»

Sie kletterte über zwei kleine Felsblöcke hinauf, verweilte einen Augenblick, schlüpfte ins Gebüsch und verschwand.

Offenen Mundes stand Sebastian da, hastig atmend, eine wechselnde Röte auf Stirn und Wangen, verwirrend beschämt und beglückt zugleich und in dieser Verwirrung ganz ohne Urteil über das eben Geschehene.

Ilse schlenderte zu ihrem Vetter hinüber, der wieder mit Würmern fischte und einen ansehnlichen Hasel gefangen hatte, den er eben von der Angel nahm.

«Ilse, halt mir den Hasel da!», rief er zum Scherz und streckte ihr den zappelnden schleimigen Fisch hin.

«Äh pfui!», rief sie, mit beiden Händen abwehrend.

Er lachte sie aus, ließ den Fisch in den Kessel gleiten und nahm einen neuen Wurm aus der Büchse. «Hast du den Baschi jetzt getroffen?», fragte er.

«Hach ja … du, das ist ein Blöder!»

«Du hast eine Ahnung!»

«Der Netteste hier ist noch Anselm, finde ich.»

«Außer mir, hoffentlich!»

«Uh, du Dreckfink!», rief sie mit einem Blick auf den Wurm, der sich in Xavers Fingern ringelte, wich zurück, schüttelte Kopf und Schultern, dass die Locken flogen, und lief weg.

Anselm stand an der Eglibucht und fischte auf Hechte. Er hielt mit beiden Händen die lange Rute und beobachtete den Schwimmer, aber manchmal vergaß er das auch und begann etwas anderem nachzusinnen, das mit dem Fischen nichts zu tun hatte. Er sann unbestimmt und müßig dem Mädchen Ilse nach, er sah ihr feingeformtes Gesicht, bedachte den freundlich offenen Blick, den sie bei der Vorstellung auf ihn gerichtet hatte, und fand sie sympathischer als alle ihm bekannten Mädchen. Er fand es fast wider seinen Willen und folgerte nichts daraus, denn im Grunde spürte er, wie sehr sie als Unberufene die Heimlichkeit des Inselfriedens bedrohte. Als er sich einmal umwandte, stand sie seitlich hinter ihm und blickte unbefangen auf den Korkschwimmer hinaus.

«Darf man ein wenig zusehen?», fragte sie.

«Ja gern!», erwiderte er und blickte auch seinerseits auf den Schwimmer. Nach einer Weile schaute er sie flüchtig an und sagte: «Kurzweilig ist es zwar nicht, einem Fischer zuzu­sehen.»

«Nein, nicht immer. Aber vielleicht fangen Sie etwas … Xaver hat vorhin etwas gefangen, einen Hasel, glaub ich.»

«So? Ja … damit kann man wenig anfangen.»

«Kann man Hasel nicht essen?» Sie trat einen Schritt vor und stand an seiner Seite.

«Doch, gebacken geht’s, aber es ist nichts Besonderes.»

Ilse schwieg darauf, sie wollte nicht den Eindruck erwecken, als ob sie hierhergekommen sei, um zu schwatzen. Die Hände mit den Daumen oberhalb der Brust in die schmalen Tragbänder des Badekleides eingehängt, stand sie gelassen da und schien es ganz in Ordnung zu finden, dass auch Anselm schwieg.

Er hätte nicht für möglich gehalten, dass man halb nackt so unbefangen nebeneinanderstehen könnte, und war froh, dass man es konnte. Es bewies ihm, dass sie ein natürliches, ernsthaftes Wesen war und keine liederliche Nixe, aber auch keine gezierte Unschuld, die sich schämen musste in ihrem enganliegenden Badekleid, mit ihren entblößten Schultern, Armen und Beinen; es bewies ferner, dass er erwachsen und reif genug war, um so etwas ohne Scheuklappen ertragen zu können und sich seiner eigenen Nacktheit nicht vor ihr schämen zu müssen.

«Essen Sie gern Fische?», fragte er.

«Ja, wenn sie nicht zu viel Gräten haben. Bei uns zu Hause gibt’s fast jeden Freitag Fische, aber Meerfische, glaub’ ich …»

«Süßwasserfische sind auch nicht zu verachten, Hechte oder Barsche zum Beispiel. Am besten sind ja allerdings Forellen …»

«Uh ja, die hab’ ich gern.»

«Aber Sie sollten auch einmal einen Hecht probieren …»

«Das möchte ich schon, ja …»

Sie plauderten so und blickten einander lächelnd an. Anselm errötete manchmal, wenn er ihren Augen begegnete, und verstummte auch wieder. Er spürte das Bedürfnis, die Unterhaltung auf einer etwas höheren Stufe fortzuführen, die seiner glücklichen Gehobenheit und diesem seltenen Augenblick angemessener wäre, doch zugleich fand er es schön, schweigend neben ihr zu stehen und zu fühlen, dass auch sie nicht ungern hier so still neben ihm stand.

Aber während eines solchen doch immerhin bedrängten Schweigens fuhr Ilse plötzlich mit der Hand an den Nacken, wandte sich um und drang erheitert auf Robert ein, der sie mit einem Schilfrohr gekitzelt hatte. Sie riss ihm das Rohr aus der Hand, schlug ihn damit und verfolgte ihn lachend ins Gehölz hinein.

Anselm fand das unverschämt von Robert und wartete mit gerunzelter Stirn, dass sie an seine Seite zurückkehre. Er wartete fünf Minuten lang bangen Herzens umsonst, dann bemerkte er zu seiner Entrüstung, dass Ilse und Robert dem Inselufer entlang schwammen und sich gegenseitig bespritzten. Das konnte nur Robert angestiftet haben, Ilse allein hätte es nie getan. Es war unkameradschaftlich und gegen die Regel, die bisher hier gegolten hatte, es machte jede weitere Fischerei unmöglich und verpfuschte diesen ganzen verheißungsvollen Spätnachmittag. Anselm blickte wütend auf seinen Freund hinaus und zog die Angelrute ein.

Karl ging auf der Insel herum, empört, mit einem verbissenen Gesicht, und streute giftige Bemerkungen aus. «Ist hier vielleicht ein Strandbad eröffnet worden?», rief er Anselm zu. «Das hat man davon! Ich meinerseits bin fertig mit ihr, sie braucht nicht mehr hierherzukommen, ich danke für diesen Besuch.»

Anselm blickte ihn befremdet an und schwieg.

Indessen hatte der Himmel sich da und dort verfinstert, und über den östlichen Bergen donnerte es ein wenig. Das war ungefährlich; solang es nicht schwarz und blitzend von Westen heraufquoll, durfte man ruhig auf der Insel bleiben. Ilse aber floh ans Ufer, sie erklärte, vor Gewittern Angst zu haben, und überredete ihren Vetter, mit ihr abzufahren. Niemand hielt sie zurück. Die Fischer setzten noch einmal ihre Hechtruten, aber das Glück war für heute verscherzt, und da hier sonst nichts mehr zum Bleiben lockte wie früher, fuhren sie, noch eh der Abend dämmerte, verstimmt und wortkarg heimwärts.

Die Hochsommerschwüle hielt an, die Mücken tanzten, die Fische sprangen, und abends pflügte schon manchmal ein Gewitterwind schäumende Furchen auf. Kurz nach Mittag aber lag der See noch glatt und friedlich da, die Jünglinge standen zerstreut auf der Insel und blickten schweigend der blau leuchtenden, bräunlich schimmernden schmalen Mädchengestalt entgegen, die im Ruderboot dahergefahren kam. Am Hechtekap stand Anselm, und als Ilse nahe genug war, gab er sich so dem Fischen hin, als ob er sie nicht gewahrte. Er sah aber, dass Robert weglief, um sie an der Schifflände zu empfangen, ein wehes, bitteres Gefühl stieg in ihm auf, dergleichen er noch nie erlebt, und sein Herz bebte vor Spannung, was nun geschehen werde. Es geschah, was er inbrünstig gehofft, aber kaum zu erwarten gewagt hatte, Ilse kam von der Schifflände zu ihm, ohne sich viel um die andern zu kümmern, und trat mit einem freundlichen Gruß an seine Seite. Er blickte sie begeistert an, obwohl er sich beherrschen und die Entscheidung von ihrem weiteren Benehmen abhängig machen wollte; denn es ging ihm wirklich um eine Entscheidung, er glaubte, keine süße Halbheit und bloße Spielerei anzetteln zu dürfen, seine Neigung hatte heimlicher­weise zugenommen und ihn so um alle Ruhe gebracht, dass er in seiner herben und ehrlichen Art sie nur noch ernst nehmen konnte.

Ilse stand nun wieder neben ihm, als ob das schon selbstverständlich wäre, aber sie hatte ein kleines Anliegen und brachte es alsbald vor. «Ich muss mich bei Ihnen noch entschuldigen», sagte sie und blickte ihm sanft in die fragenden Augen. «Ich habe mich ja letztes Mal leider zum Baden verleiten lassen … mir war so schwül … und vielleicht sind dann die Fische doch gestört worden. Es war mir nachher gar nicht recht … darum wollte ich mich bei Ihnen entschuldigen …»

«O, also deshalb, Fräulein Ilse», entgegnete er, tief und ernst gerührt, «deshalb brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen, nein …»

«So haben Sie es mir also nicht übelgenommen?»

«Nein, gar nicht … ich kann Ihnen nichts übelnehmen, gar nichts kann ich Ihnen übelnehmen, im Gegenteil … ich freue mich so, dass Sie wiedergekommen sind, Fräulein Ilse, und … und dass Sie da bei mir sind … und …» Er legte die Angelrute unbedacht hin, sodass sie mit der Spitze ins Wasser schlug, eine unverzeihliche Sünde für jeden ernsthaften ­Fischer, er wurde rot und stammelte, ihm war unsäglich zumut.

Ilse senkte ein wenig den Kopf, dann sah sie ihm mit einem scheuen Kinderblick in die Augen und sagte: «Ich bin ja gern da.»

«Ja, und ich möchte … man kann es nicht sagen …»

«Nein … man kann nicht alles sagen … und es ist auch nicht notwendig … Aber vertreiben Sie jetzt nicht die Fische, wenn Sie die Rute so ins Wasser legen?»

«Doch, selbstverständlich … aber das macht nichts … wenn ein Hecht da gewesen wäre, hätte er schon vorher gebissen …» Er nahm nun immerhin die Rute auf und schwang das Köderfischchen wieder hinaus, Ilse fragte, wie lange denn ein solches Fischchen an der Angel leben könne und ob man nicht auch künstliche Fische dafür brauche, er gab eine sachkundige Antwort, und der unsägliche Augenblick war überwunden.

Sie stellte ein paar weitere Fragen, er antwortete und blickte, noch immer erregt, bald voll inniger Wärme auf sie, bald flüchtig auf den Schwimmer. Nachdem sie plaudernd oder schweigend eine Weile nebeneinandergestanden und ihre Fassung wiedergefunden hatten, sagte Ilse: «Ich gehe jetzt ein wenig auf der Insel herum, und nachher komme ich wieder hierher.» Sie entfernte sich zögernd, und er nickte ihr zu.

Sie ging dem nördlichen Ufer entlang und kam auf ein schmales, kiesiges Strandstück, das fast flach ans Wasser grenzte und ihr als geeigneter Badeplatz erschien. Es war aber der Fangplatz Karls, und während sie noch mit dem Gedanken spielte, hier ganz in der Ufernähe heimlich zu baden, kam der stämmige kleine Fischer von der Schifflände her, wo er den Köder ausgewechselt hatte, durch das Gehölz zurück. Er entdeckte Ilse an seinem Platz und ließ sich keinen Augenblick aufhalten, er kam, die Angelrute wie einen langen Spieß vor sich hinstreckend, grimmig unter den Bäumen hervor, berührte das Mädchen mit einem Schlag der Rutenspitze und drängte es, vorrückend, mit der Rute heftig beiseite.

Ilse wandte sich mit einem verblüfften Laut nach ihm um, noch ungewiss, ob es Scherz oder Ernst sei, dann wich sie aus und sah, wie er mit verbissener, ja böser Miene ans Wasser trat, ohne sie auch nur mit einem Blick zu beachten. Erschrocken über so viel Feindseligkeit, zog sie sich eilig zurück und erwog empört, ob sie nicht sogleich wegfahren sollte. Sie ging aber vorerst zu Anselm und erzählte es ihm.

Anselm runzelte die Stirne und nannte Karls Betragen ­rüpelhaft anmaßend, aber er beruhigte Ilse und versprach ihr, dafür sorgen zu wollen, dass sich so etwas nicht wiederhole. «Ich werde das gleich in Ordnung bringen», erklärte er finster. «Bitte bleiben Sie nur ruhig hier!»

Er ging zu Karl und stellte ihn zur Rede. Ein lauter Wortwechsel entstand zwischen ihnen, der rasch ihre Kameraden herbeilockte. Anselm war dicht am Wasser vor Karl hingetreten und verlangte, dass er sich bei Ilse entschuldige. Xaver suchte den Streit zu schlichten, Robert und Sebastian, die etwas höher oben im Buschrand stehen geblieben waren, mahnten auch zur Vernunft.

Karl aber sprühte vor Entrüstung über das Mädchen, das hier Unfrieden stifte, und vor Hohn auf jene, die es nicht mer­ken wollten. «Ihr habt ja kein Urteil», rief er, «ihr seid alle auf diesen Stadtfratz hereingefallen und merkt als naive Landknaben gar nicht, dass sie euch am Gängelband herumführt. Sie gehört nicht hierher, ich verlange, dass sie abfährt, un­sere Insel ist viel zu schade für sie. Haben wir jemals auch nur den leisesten Krach gehabt, bevor diese schöne Gans darauf verfallen ist, uns ausgerechnet hier mit ihrem blöden Geschnatter zu beglücken?»

In diesem Augenblick, während Xaver und Robert dem Erzürnten schon dreinredeten, geschah etwas, das alle verstummen ließ. Anselm gab Karl eine Ohrfeige.

Karl blickte seinen Kameraden, den er gernhatte, fassungslos an und sagte kein Wort mehr. Er stand wie gelähmt da, entwaffnet vor Trauer und Verwunderung, dann wandte er sich langsam ab und begann die Angelrute einzuziehen.

Xaver trat zu Anselm, der aufgeregt war, doch über seine Tat auch selber ein wenig erschrocken schien, und sagte leise: «Das wäre nicht nötig gewesen.»

«Xaver, ich muss mit dir reden», entgegnete Anselm und zog ihn am Arm beiseite, ins Gebüsch hinein. «Ich kann nicht mehr dulden, dass Ilse beleidigt wird, von jetzt an nicht mehr, verstehst du?»

«Ach was! Ilse ist ein harmloser Backfisch, und den Karl kennen wir ja; wenn er sie nicht mag und darüber rhetorisch wird, so ist das noch kein Grund für dich, den Ritter zu spielen und ihn zu ohrfeigen.»

«Aber du, es ist mir ernst mit Ilse, es ist keine Spielerei, das muss ich dir sagen …»

«Hör auf! Sie ist fünfzehn, und du bist sechzehn … was heißt da ernst?»

«Das Alter spielt keine Rolle, man kann warten …»

Xaver blickte seinen ergriffenen Freund belustigt an und schüttelte den Kopf, dann fragte er mit nachdenklich heiterer Miene: «Und wenn nun ich gewisse Ansprüche auf sie hätte?»

«Dann», sagte Anselm rasch, mit einer edelmütigen Aufwallung, «dann trete ich zurück.»

«Alle Achtung!», erwiderte Xaver lachend. «Aber ich bin nicht sicher … und sie vermutlich auch nicht. Geh du jetzt nur wieder zu ihr und schau, dass sie dich ein bisschen für die Ohrfeige belohnt. Ich überlasse sie dir, sie ist ein Schatz.» Er nickte freundlich und ging.

Anselm kehrte ziemlich verwirrt und unsicher zu Ilse ­zurück, die ihm mit großen, bang fragenden Augen ein paar Schritte entgegenkam. «Es ist in Ordnung», sagte er, «dieser Bursche wird Sie nicht mehr beleidigen.»

Da streckte sie ihm zaghaft ihre Hand hin und sagte mit einem vertrauensseligen Lächeln: «Ich danke Ihnen!»

Er nickte gerührt, hielt ihre schmale kleine Hand einen Augenblick mit sanftem Druck in seiner Rechten, von neuer Wärme durchströmt, und begann dann entschlossen wieder zu fischen.

Ilse setzte sich an den Uferhang und sah ihm abermals zu, bald schweigend, bald harmlos plaudernd, als ob sie nun wieder beruhigt wäre, aber sie merkte, dass seine Haltung um einen Hauch kühler geworden war, und sann darüber nach, ob sie sich vielleicht nicht ganz richtig benommen habe. Anselm sah bald Karl vor sich, der sich stumm und trau­rig von ihm abwandte, bald rätselte er an Xavers Andeutungen herum, die ihn beunruhigten, doch war er entschlossen, nichts davon merken zu lassen.

Nachdem so eine Stunde still vergangen war, fühlte sich Ilse wieder am Nacken gekitzelt, sie warf sich herum, sprang auf und stand vor Robert, der mit seinen warmen Händen wie zur Abwehr ihre Oberarme erfasste, doch vorsichtigerweise gleich wieder losließ. Heiter, blühend und unternehmungslustig stand er in seiner brennend roten dürftigen Hose vor ihr und überrumpelte sie mit dem Vorschlag: «Kommen Sie mit mir, Fräulein Ilse, ich rudere Sie zum Waldufer hinüber, dort können Sie doch endlich baden, in einer Viertelstunde sind wir dort.»

«O ja, fein!», rief Ilse lebhaft, wie es ihr eben einfiel, und erst dann stutzte sie und blickte Anselm an.

«Du erlaubst doch, Anselm!», sagte Robert, als ob es wirklich schon ausgemacht wäre, dass Anselm so etwas zu erlauben hätte.

«Bitte!», antwortete Anselm. Da Ilse sich so rasch und lebhaft entschieden hatte, blieb ihm nichts übrig als kühle Großmut, auch wenn sie noch so bitter schmeckte.

«Ich bleibe nicht lange, ich komme bald zurück», rief Ilse noch tröstlich, dann ließ sie den Fischer stehen und ging mit Robert.

Anselm spürte eine heiße Röte im Gesicht. Jedem anderen Kameraden hätte er Ilse ohne Bedenken anvertraut, nur diesem nicht. Ihm fiel ein, wie Robert über sie gesprochen, mit welchen Augen er sie angesehen hatte, und er erschrak beim Gedanken, dass die beiden nun da drüben am einsamen Waldufer … Er dachte es gar nicht zu Ende, er warf die Angelrute hin und lief zur Schifflände.

Ilse wollte eben ins Boot steigen, und Robert half ihr angeregt dabei.

«Ich hab’ es mir anders überlegt», rief Anselm und trat entschlossen hinzu. «Ich fahre selber mit Fräulein Ilse hinüber.»

Robert vertrat ihm den Weg, gespannt, aber heiter noch, und entgegnete unnachgiebig: «Nichts da! Fräulein Ilse fährt mit mir, das haben wir so ausgemacht.»

Anselm ging nicht darauf ein. «Sei so gut!», sagte er und wollte Robert beiseiteschieben, um ans Boot zu gelangen, aber Robert ließ sich nicht verdrängen, er wurde auf einmal zornig, und beim nächsten Atemzug standen sich die zwei Freunde gegenüber, als ob sie einander wütend anfallen wollten.

«Ach, bitte, streiten Sie doch nicht!», rief Ilse. «Ich bleibe da, ich bleibe ganz bestimmt da, ich will nicht hinüberfahren.»

Hinter ihnen im Gebüsch ging Xaver vorbei. «Ja, es ist vielleicht am besten, wenn du dableibst, Ilse», rief er und hielt einen Augenblick an. «Es sieht ein bisschen gewitterhaft aus, und du mit deiner Gewitterangst … Wenn du etwa plötzlich heimfahren möchtest und bist noch da drüben, dann geht das nicht so rasch.» Damit schlenderte er gelassen weiter.

Ilse drehte den hitzig entzweiten Freunden den Rücken und lief ihrem Vetter nach. «Du, wenn du wirklich meinst, dass ein Gewitter kommt, dann wollen wir doch gleich wegfahren», sagte sie ängstlich.

«Vorläufig ist keine Gefahr», erwiderte er. «Wir bleiben noch.»

«Ja, nur … mir ist etwas unbehaglich, ich möchte doch eigentlich heimfahren …»

«Das wäre aber schade, du! Bei dieser Hitze ist es doch hier am allerschönsten. Warte ruhig ab, zuletzt baden wir vielleicht alle. Ich will noch ein wenig fischen … Das könntest du übrigens auch einmal versuchen, es ist sehr amüsant. Anselm zeigt dir das gern, komm! He, Anselm!»

Ilse senkte den Kopf und blickte dem Nahenden schuldbewusst von unten her in die treuen Augen. Xavers Vorschlag aber kam nun ihnen beiden gelegen, er gab ihnen das Mittel in die Hand, sich zwanglos wiederzufinden, ohne den zarten Kern des neuen peinlichen Vorfalls berühren zu müssen. Sie gingen eilig ans Werk. Anselm machte ein Haselrütchen zum Fischen bereit, Ilse nahm es lernbegierig in Empfang und ließ den Wurm an einer untiefen Stelle auf den Grund des Wassers gleiten. Sie hatte Glück, ein Barsch verschluckte den Wurm vor ihren Augen, sie zog und hob ihn verblüfft heraus, einen dunkel gestreiften kleinen Räuber, der die stachlige Rückenflosse stellte. Anselm nahm ihn ihr ab, erneuerte den Köder und zeigte ihr einen noch günstigeren Fangplatz, einen Uferstreifen, der mit Steinblöcken und Gestrüpp sich zwischen Hechtekap und Eglibucht hinzog. Dort begann Ilse wieder zu fischen.

Dort aber lag, zwischen warmen Steinen halb verborgen, die Schlange, die alte Natter, die von den Jünglingen dank An­­selms Fürsprache und Sebastians Andeutungen geschont worden war, die geheimnisvolle Urbewohnerin, die ihnen das Unsagbare bedeutete. Ilse, die noch nie eine freilebende Schlange gesehen hatte, aber das Grauen davor mit allen Stadtkindern teilte, musste ihr hier wohl früher oder später begegnen. Die Haselrute in der Rechten, den schlanken Leib mühelos vorgebeugt, sodass ihr die Locken über die Schläfen hinaushingen, den Blick suchend auf dem Grund des Wassers, wo die Angel mit dem Wurme lag, stand sie eine Weile geduldig da, dann trat sie leise auf den nächsten Stein hin­über und versuchte es hier von neuem.

Anselm, der sie nicht aus den Augen verlieren wollte, folgte ihr mit der Hechtrute in einigem Abstand, er sah sie wie eine hochgestielte Blume zierlich über das Wasser gebeugt und wartete auf einen Blick, ein Lächeln oder einen Anruf. Ilse aber war nun, angeregt durch den ersten Erfolg, so in ihr Tun versunken, dass sie ihren Beschützer zu vergessen schien, ja unter der noch unverhüllt brennenden Sonne nicht einmal das im Westen finster aufsteigende Gewölk beachtete; sie zog den Wurm aus dem Wasser, ging leise ein paar Schritte weiter und trat auf die Schlange. Mit einem hohen, heiseren Aufschrei warf sie sich herum, glitt aus, stürzte und schlug grauenhaft kreischend mit der Haselrute um sich.

Anselm sprang ihr sofort bei, sie umfasste ihn, auffahrend, mit beiden Armen und schrie, den entsetzten Blick auf die Natter gerichtet, zitternd und flehentlich: «Eine Schlange! Eine Schlange! Schlagen Sie sie tot, um Gottes willen, schlagen Sie sie doch tot!»

Anselm, von der bebend an ihn Geschmiegten nun endlich ganz aus seinem inneren Gleichgewichte geworfen, bestürzt von ihrer unsäglichen Angst und um der Schutzflehenden willen ritterlich zu allem fähig, packte in dieser Verwirrung die Natter, hieb ihr die Haselrute in den Nacken und erschlug sie.

Auf einem Steinblock, zehn Schritte vor ihm, tauchte Sebastian auf. «Anselm!», rief er erschrocken, hob beschwörend die Rechte und ließ sie langsam wieder sinken.

Ilse aber zog sich, in ein krampfhaftes Weinen ausbrechend, unter bitteren Anklagen zurück: «Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass es hier Schlangen gibt? Ich wäre niemals hierhergekommen, und ich will sogleich fort, Xaver, ich will fort. Keiner von euch allen hat mir ein Wort gesagt, es ist abscheulich, ich will euch nicht mehr sehen, ich werde nie mehr hierherkommen …»

Anselm hörte es. Er stand noch da, die leblos hängende Schlange in der Hand, blickte betroffen dem erzürnt weglaufenden Mädchen nach, schaute noch tiefer betroffen die tote Natter an und kam erschüttert zu sich. Der aufsteigende Schmerz, den er knabenhaft trotzig zu verhalten suchte, zuckte in seinem ganzen Gesicht und drang ihm tränenfeucht aus den Augen.

«Anselm!», rief Sebastian noch einmal und kam herbei und blickte ihn an.

«Ich habe sie erschlagen», klagte Anselm dumpf. Langsam wandte er sich ab und trug die Schlange ins Gehölz hinein. Die Kameraden scheu vermeidend, schlich er auf die düstere Kuppe und verbarg sich mit der erschlagenen Natter im Dickicht.

Die Insel lebte verlassen ihr eigenes einsames Leben. Ein ­Gewittersturm peitschte den Regen schräg in die Kronen ihrer Bäume und warf die Wellen klatschend an ihre steinigen Ufer, nachts darauf wandelten wieder Sterne über sie hin, und die Bäume tropften leise weiter. Ein Hecht stieg aus der Tiefe und verweilte lauernd zwischen den langen Blattstengeln der längst verblühten Seerosen, ein weißer Falter, der gaukelnd den See überquerte, ruhte hier aus, und eines Morgens stand ein grauer Reiher am Ufer hinter dem dünnen Schilfgürtel. Viele Tage und Nächte lang regnete es eintönig rauschend ins Laub, der See schien leise zu sieden, das Wasser stieg. In diesen Tagen aber bewegte sich von einem überschwemmten flachen Seeufer her ein sonderbares dunkles Köpfchen gegen die Insel, landete züngelnd am Hechtekap und zog einen langen geschmeidigen Leib hinter sich her; eine Schlange war hier angekommen, eine Natter. Sie rastete am Ginsterhang und verschwand wieder, aber nach der Regenzeit lag sie manchmal auf einem Uferstein in der warmen Spätsommersonne.

Endlich erschien eines Nachmittags auch wieder ein Mensch in einem alten Stehruderboot. Er ruderte sehr leise und zögernd, als ob er eine Scheu empfände, sich der Insel zu nähern, und landete ebenso leise zwischen zwei Uferklippen. Behutsam machte er das Boot fest und ging ins Gehölz hinein, ein Jüngling in einer verwaschenen roten Badehose, Sebastian. Gespannt und neugierig wie ein glücklicher Entdecker, der zum ersten Mal ein märchenhaftes Eiland betritt, streifte er still herum. Eine schöne junge Halbgöttin hatte ihn hier mit ihrem Zauber fast den Wundern der Insel entfremdet; aber er hatte sie nur angeschaut, nie berührt, nur geliebt, nicht begehrt und daher auch nicht verloren. Sie lebte als reines, süßes Bild beglückend in ihm weiter, und ihm allein war die Insel um dies Geheimnis reicher; während die tatkräftigen andern hier alles verloren hatten, war seiner tiefgründigen Schüchternheit dieser Preis von selber zugefallen.

An einem der nächsten Tage schon aber kamen mit Sebastian auch Karl und Robert auf die Insel zurück. Karl hatte recht bekommen mit seinem Hass auf Ilse, das Unheil war eingetroffen und mit der Flucht des Mädchens am Ende nach seinem Wunsche verlaufen. Außerdem hatte sich Anselm bei ihm entschuldigt, und so war auch dieser Schatten verschwunden. Er verriet mit keinem Worte, ja sich selber gegen­über mit keinem Gedanken mehr, dass er noch eine tiefere Wunde empfangen hatte und sich jetzt die Insel zurückeroberte wie ein erstes verlorenes Stück seines Knabenparadieses. Eifrig ging er mit der Hechtrute ans Werk. Robert trat sehr unbekümmert auf, aber ihn erinnerte hier fast jeder Schritt und Tritt an die holde Beute, die seinen lebenskräftig erwachenden Sinnen entgangen war. Er empfand darüber ein dumpfes Missvergnügen, und so verweigerte auch ihm das Eiland die lautere Beglückung noch, die er früher hingenommen hatte wie eine beliebig erreichbare Lust. Anselm, der am wenigsten hoffen durfte, sein Paradies hier unverändert wiederzufinden, mied die Insel am längsten. Xaver aber, der alle Schuld auf sich nehmen wollte, bat ihn inständig um seine Rückkehr, und eines Nachmittags brachte er ihn mit. Anselm betrat den Schauplatz seiner Verstrickung, seiner Schuld und ritterlichen Niederlage reifer, denn er allein hatte sich hier ganz eingesetzt. Es war ein Lohn, den er nicht berechnen, ja noch nicht einmal erkennen konnte.

So verbrachten die Jünglinge wieder manchen freien Nach­mittag auf der Insel, als ob hier nichts den heiteren Frieden unterbrochen hätte. Aber ein Sturm hatte ihn unterbrochen, eine geheimnisvolle Macht hatte sie alle berührt, zaubernd und Verwirrung stiftend mit ihrer Süße und Gefahr, eine Lebensmacht, von der sie wohl gelesen und reden gehört, aber vordem nichts gespürt hatten. Sie verschwiegen es voreinander, sie stellten sich noch einmal unter das stillere Gesetz der Insel und fischten ruhig weiter; mit dem Haselrütchen kletterte hier einer im Ufergestein herum und blickte auf den Grund des Wassers nach kleinen Barschen aus, ein anderer stand am Hechtekap, auf dem rechten Beine ruhend, die Hüften ein wenig verdreht, mit dem Unterarm den Schaft der langen Hechtrute stützend, und sah geduldig dem Korkschwimmer zu, ein Dritter setzte die Rute und schlenderte lautlos im Gehölz herum oder schaute durch eine Buschlücke versunken auf den See hinaus. Kein Lüftchen kräuselte die Fläche. Die wolkenlose Bläue wölbte sich in das lautere Wasser hinab, und auf diesem Spiegelbild des Himmels ruhte die Insel mit ihren bräunlich schimmernden Fischern und farbig glühenden Laubkronen wundervoll im klaren Herbsttag.

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