Kitabı oku: «Aus, Äpfel, Amen! Mia, die Feder», sayfa 3

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MEINE GROSSELTERN UND ELTERN DIE RAUCHENDE GROSSMUTTER

Meine Oma (Mama) ist gegen die Raucherei. Aber sie selbst tut das. Sie raucht zwar nicht viel, aber trotzdem!

Wieso hat meine Mama aber geraucht?

1914 bricht der Erste Weltkrieg aus und zwei Brüder meiner Mama werden eingezogen. Gerade diese sind für das abendliche Anzünden und morgendliche Löschen der Gaslaternen zuständig, welche die Innenstadt und den finsteren Ring um Ingolstadt – das Glacies – erleuchten.

Außerdem wird das Geld für diese Arbeit in der Familie dringend gebraucht. Also muss nach einer Lösung gesucht werden. Eigentlich sind nur die zwei jüngsten Mädchen noch da. „Das können wir doch machen“, meinen sie. Ingolstadt ist eine Garnisonsstadt und für zwei so junge Dinger beim Anzünden von Gaslaternen gefährlich.

Die Mutter macht auf diese Gefahr aufmerksam. Dann kommt die Lösung: Beide sind sie groß gewachsen. Nun wollen sie die Männerkleidung ihrer Brüder anziehen, damit sie so diese Aufgabe übernehmen können.

Sie machen es; dabei haben sie auch viel Spaß.

Einer der Brüder ist Pfeifenraucher und hat diese auch bei jeder Arbeit im Mundwinkel hängen.

Das macht nun Theresia. Jeden Abend und jede Nacht hat sie die Pfeife im Mund. Mit der Zeit kommt sie auf den Geschmack.

Wider Willen wird sie Raucherin und bleibt es auch später.

DAS BRAUTPAAR

Nun, die Brüder sind beim Militär. Hier hat sich Xaver (mal wieder ein Rothaariger) mit einem Kameraden angefreundet. Er ist Franke, ist ein aufrechter, korrekter Mann, fünfundzwanzig Jahre alt. Aber er hat ein Faible – er schwärmt für rothaarige Frauen.

„Ich habe eine Schwester, die noch ledig ist und rote Haare hat“, meint Xaver.

Er weiß, dass seine Schwester für einen galanten, eleganten, gut aussehenden, mit mehreren Abzeichen dekoriertes „hohes Tier“ beim Militär schwärmt. Er weiß aber auch, dass Theres diesen Traum begraben muss, denn der Angeschwärmte schwärmt nicht zurück.

Also kommt der Georg mal mit zu Besuch zu Xavers Familie.

Trotz seiner Militärkleidung schaut er gepflegt aus. Sein dunkelbraunes, leicht lockiges Haar ist mit einem akkuraten Linksscheitel gebändigt, sein Schnurrbart frisch aufgezwirbelt, seine Uniform sitzt korrekt und seine Stiefel sind auf Hochglanz gewichst und poliert. Er kann sich benehmen und er spricht ruhig und gelassen.

Obwohl er etwas kleiner ist als Theresia, kann man sagen, eine passable Erscheinung.


Als er Theresia sieht, ist er sofort davon überzeugt, dass dies seine Traumfrau ist. Auch sie ist schön angezogen. Dies kommt nicht daher, dass sie viel Geld hat, aber sie kann einfach immer was aus sich machen. Sie achtet sehr auf ihr Äußeres. Da gibt es keine zerknitterte Kleidung, keine schmutzige Schürze, keine Farben, die nicht zueinander passen. Zu Hause in der Familie wird sie daher „die Feine“ genannt.

Georg ist von der fünf Jahre jüngeren Theres ganz angetan.

Auch ihr gefällt Georg. Es ist zwar nicht die große Schwärmerei, aber sie weiß, dass sie mit ihm einen zuverlässigen, treuen Ehemann haben wird. Jetzt in diesen unglücklichen Kriegsjahren muss man so etwas doppelt schätzen.

Es ist Krieg, man hält nicht so viel von langen Verlobungszeiten.

1917 wird geheiratet.

DAS EHEPAAR

Georg, als tüchtiger, fleißiger Schlosser bekannt, bekommt eine Anstellung bei der Reichsbahn und wird am Ingolstädter Nordbahnhof eingesetzt. Außerdem wird ihm dort auch noch eine große Dienstwohnung gestellt.

Er und Theres führen eine glückliche Ehe. Georg erfüllt seiner Theres jeden Wunsch, dessen Verwirklichung in seiner Macht steht und was in den schlechten Zeiten möglich ist. Sie wünscht sich eine Nähmaschine. Sie darf sich eine bestellen. Eine schöne, zierliche „Singer“ soll es sein, die zu den Möbeln passt.

Endlich kommt der Tag und die Maschine wird geliefert. Theres ist entsetzt. Es ist nicht das gewünschte Modell, sondern eine robuste „Pfaff“. Sie will die Maschine nicht nehmen, aber es gibt keine andere.

Der Händler meint: „Glauben Sie mir, Sie werden sich noch dankbar an mich erinnern und froh sein, diese Maschine zu haben.“

Wirklich, im späteren Leben dankt sie Gott tausend Mal für diese Maschine.

Theres ist schwanger; sie freuen sich auf das Kind.

Sie merkt, dass Georg sie auf Händen trägt und ihre Launen in Kauf nimmt. Doch manchmal ist sie nicht zu bremsen. Es geht so weit, dass sie bei einer kleinen Auseinandersetzung auf Georg losgeht. Sie will ihm eine Watsche geben. Er fängt ihre Hand ab und drückt sie auf einen Stuhl. Sein Blick ist bitterböse.

„Theres, ich sag es dir im Guten! Erlaub dir so etwas nicht wieder. Glaub mir, ich schlag zurück!“ Dann wendet er sich ab und verlässt das Zimmer.

Theres merkt sich die Warnung, sie nimmt ihre Grenzen wahr.

DIE KINDER

Am 20. 08. 1918 wird sie von einer kleinen Tochter entbunden. Als ihr der Doktor das Kind zeigt, fährt sie zurück. Sie setzt es als selbstverständlich voraus, dass das Kind ihr gleich schaut. Das Kind tut dies aber nicht. Es hat eine dunklere Haut als sie und dunklen Haarflaum auf dem Kopf.

„Das ist nicht mein Kind!“, meint sie entrüstet.

„Doch, es ist Ihres. Freuen Sie sich darüber, denn es ist eine kleine orientalische Schönheit.“

Ja, und wie soll die kleine Tochter heißen?

Da bleibt nur wieder der Name „Theresia“.

Der Krieg ist endlich vorbei, aber die Zeiten sind noch sehr schlecht.

Die Mutter, schon einige Jahre verwitwet, wird krank. Theres, inzwischen wieder schwanger, holt sie zu sich und pflegt sie.

Doch das irdische Leben der Mutter neigt sich dem Ende zu. Im Oktober stirbt sie. Der Tod der geliebten Mutter schmerzt sie sehr, aber sie springt ihr nicht ins Grab nach, wie sie das als Kind tun wollte.

Das Leben geht weiter … weiter … weiter …

Am 12. April 1920 wird sie wieder von einer Tochter entbunden, die, wie soll es anders sein, „Maria“ getauft wird.

1927 DAS LEBEN GEHT WEITER

Das Leben geht seinen normalen Gang weiter.

Georg, Theres und die Mädchen führen ein angenehmes Familienleben.

Die Woche über hat jeder seinen Aufgabenbereich. Am Sonntag ist der Kirchgang der ganzen Familie obligatorisch. Elegant und wie aus dem Ei gepellt besuchen sie immer das Hochamt. Es ist eine christliche Familie, aber keine bigottische.

Georg, die Pflichterfüllung in Person, wird von seinen Chefs geschätzt. Dem Aufstieg in seiner beruflichen Laufbahn steht nichts im Wege. Bei seinen Arbeitskollegen ist er sehr beliebt, weil er immer hilfsbereit ist und nie Streit sucht.

DER DIEBSTAHL

Theres ist eine Superhausfrau, die alles kann und weiß, die äußerst sparsam mit dem Geld umgeht; somit mangelt es an nichts. Auch die Mädchen machen meist nur Freude.

Na ja, manchmal gibt es schon Dinge, die der sittenstrengen Mutter nicht passen. Dann gibt es von ihr schon was auf den Hintern.

Aber wie heißt es doch? „Nur nicht erwischen lassen!“

Im Frühjahr laufen die Kinder in das Clacies und pflücken Veilchen, die sie zu kleinen Sträußchen binden, im Sommer sind es Wiesenblumen. Mit diesen kehren sie an den Nordbahnhof zurück, halten nach der Mutter Ausschau und wenn die Luft rein ist, bieten sie ihre Blümchen den Reisenden zum Kauf an, ein Sträußchen kostet fünf Pfennig.

Das Geschäft läuft. Wenn die Blümchen weg sind, geht es ab zur Krämerin und der Erlös wird in Süßigkeiten umgesetzt, mit denen die Mutter immer recht geizt.

Doch mal im Winter, als es keine Blumen mehr gibt und die Lust auf etwas Süßes alle Regeln vergessen lässt, stehlen sie bei der Krämerin einen Kranz Feigen, der zwanzig Pfennig kosten würde.

Sie haben bisher noch nie etwas entwendet; sie stellen sich auch dementsprechend an. Die Krämerin merkt es, als sich die Schürze von Thea ausbeult. Die Mädchen betteln weinend, dass sie nichts ihrer Mutter sagen soll, denn die würde sie „erschlagen“. Doch die Krämerin kennt kein Pardon. Pritscherlbreit erzählt sie die Sache mit den Feigen der Mutter der Kinder.

Theres möchte vor Scham in den Boden versinken! Ihre Kinder stehlen?

Nein, solche Kinder will sie nicht!

Sie, die lebende Sittenwächterin, für die die 10 Gebote Grundlage des Christentums sind, kann diesen Verfall ihrer Kindererziehung nicht akzeptieren. Wie eine Furie verlässt sie den Kramerladen, rennt nach Hause.

Die Kinder spielen gerade am Küchentisch.

„Stehlen?“, schreit sie, „Das werde ich euch austreiben!“

Sie ist in Rage. Sie reißt die Mädchen an den Haaren von den Stühlen, schlägt wahllos auf die armen Dinger ein, schmeißt sie auf den Boden, tritt mit den Füßen nach ihnen.

Gott sei Dank ist gerade Thereses Schwester zu Besuch da. Sie hört das Schreien, stürzt in die Küche und reißt ihre Schwester von den Kindern zurück. „Bist du verrückt? Hör sofort auf!“

Da lässt die Rabiate von den Kindern ab, die mit blutenden Nasen am Boden liegen. Nun ist Ruhe und Theres verlässt die Küche. Die Tante nimmt sich der Mädchen an und versorgt sie.

Als Georg am Abend von der „Schlägerei“ erfährt, hat er mit seiner Frau unter vier Augen eine ernsthafte Auseinandersetzung. Er droht, bei Wiederholung die Mädchen zu seinen Eltern zu bringen. Damals ist es zwar noch gang und gäbe, dass Kinder von den Eltern geschlagen werden. Aber Georg ist einfach dagegen.

Theres verspricht hoch und heilig, die Kinder nicht mehr zu schlagen und hält sich auch daran.

UND WIEDER GEHT DAS LEBEN WEITER

Das Familienleben geht seinen normalen Gang weiter.

Na ja, Theres ist nicht mehr ganz so schlank, sondern ist schon ein wenig „füllig“ geworden. Sie trägt ihr Haar inzwischen kurz. Die schwere Haarpracht hat bei ihr immer wieder starke Kopfschmerzen verursacht. Nun liegen die Zöpfe abgeschnitten in einer Schublade. Theres findet ihren „Bubikopf“ sehr chic. Sie ist in ihrem Können durch nichts zu überbieten. Sie ist eine perfekte Köchin und kann aus einfachen Mitteln immer noch schmackhafte Mahlzeiten zaubern. Ihr Haushalt ist perfekt. Keine schmutzige Wäsche und auch keine Bügel- oder Flickwäsche liegt umher, das Geschirr ist immer abgespült, die Gläser, Töpfe, alles erstrahlt in Sauberkeit und Hochglanz. Sie kocht, backt, putzt, poliert, bügelt. Alte Wollsachen werden aufgetrennt und neu verstrickt. Sie schneidert und zwar alles! Jedes Stückchen Stoff findet Verwendung. Sie geht zu keinem Kaffeeklatsch oder zu Nachbarinnen. Sie lädt auch keine Freundin zum Kaffeetrinken ein. Nein, für so etwas hat sie keine Zeit.

Aber der Kontakt zu Verwandten wird gepflegt. Das ist ja etwas anderes!

Beide freuen sich über jeden Besuch und fahren auch gerne ins „Fränkische“, zu Georgs Familie. Es gibt keine Streitereien. Wenn sie dann zusammen sind, ob in Ingolstadt oder in der Fränkischen, wird es immer sehr heiter. Da wird mit Besen, Löffeln, Kamm und Seidenpapier musiziert. Es wird auch viel gesungen. Aber was wird gesungen? Es heißt doch, wenn die Bayern lustig sind, singen sie traurige Lieder. Da kommt „Der Wildschütz Jennerwein“, „Des schönste Bleamerl auf der Welt“, „Der arme Waisenbub“, „Wenn der Auerhahn balzt“, „In Nußdorf draußen“ und noch viele andere. Aber nicht nur traurige Lieder, sondern auch bayerische Schnaderhüpferl tragen zur Unterhaltung bei. Natürlich wird auch gejodelt. Der „Erzherzog-Johann-Jodler“ und der „Andachtsjodler“ fehlen da nie.

DAS SCHUSTEREHEPAAR

Also Theres braucht keine Ratscherei in der Nachbarschaft. Sie hat alles, was sie liebt und braucht.

Nur ein Ehepaar ist für Theres interessant. In der Nachbarschaft hat ein Schuster seine kleine Werkstatt. Er lebt mit seiner Frau in sehr bescheidenen Verhältnissen. Dies sind die einzigen Menschen, zu denen sie einen lockeren Kontakt pflegt. Es sind auch wirklich nette Leute.

Leni, die Schustersfrau, kann Karten legen und davon ist Theres fasziniert. Leni erklärt ihr die Legungen. Zu ihrer Überraschung bekommt sie eins Tages von dieser ein Kartendeck geschenkt. Theres praktiziert zwar das Kartenschlagen nicht, aber sie freut sich über ihr Können.

Zu Hause verwahrt sie die Karten in einer Schublade, denn Georg hat für solche Dinge kein Verständnis. Auch nicht dafür, dass sich seine sonst so praktische und bodenständige Frau mit solchen Dingen befasst.

Auch der Schuster Josef übt eine Faszination auf Theres aus.

Sie will lernen, wie man Schuhe macht, zwar nicht aus Leder, aber aus Stoff. Bald beherrscht sie dieses Handwerk fast aus dem FF. Als ihr dann Josef eines Tages erklärt, dass er seine Tätigkeit aus Gesundheits- und Altergründen aufgeben will, erwirbt sie sein Werkzeug (Leisten, Nadeln, Scheren, Lederfeilen, Dechse (Nägel, und was eben so da ist) zu einem günstigen Preis.

Diese Sachen kommen in ihr Näh- und Arbeitszimmer, damit sie alles „beieinand“ hat.

Inzwischen schreibt man das Jahr 1927.

1927 DER GEBURTSTAG VON GEORG STEHT BEVOR, ABER …

Über zehn Jahre sind Georg und Theres nun glücklich verheiratet. Sie mögen sich immer noch sehr. Töchterchen Thea wird schon ihre Erstkommunion feiern. Das Leben läuft wie am Schnürchen. Es sind keine Wünsche offen!

Gerade heute denkt Theres über die schöne Zeit zurück. Ach ja, übermorgen hat Georg Geburtstag. Da ist es doch selbstverständlich, dass sie ihm seinen Lieblingskuchen backen wird.

Als Georg Feierabend hat, sagt sie ihm kurz Bescheid, dass sie noch kurz zur Krämerin geht, um die fehlenden Zutaten zu besorgen. Sie will den Kuchen gleich morgen machen, damit er zum Geburtstag am Frühstückstisch steht.

Georg ist aber heute mit seinen Gedanken irgendwie abwesend.

„Du brauchst doch nicht extra unter der Woche wegen dem Geburtstag einen Kuchen backen.“

Er freut sich aber doch, dass seine Ehefrau wie immer auch für ihn das „Verwöhnprogramm“ auflegt. Für Theres gibt es da sowieso kein Pardon. Das wäre ja noch schöner, keinen Geburtstagskuchen zu haben.

Schon ist sie aus dem Haus, erledigt schnell ihre Einkäufe und kehrt bald nach Hause zurück.

Georg sitzt ganz in Gedanken versunken am Küchentisch und hat eine Mappe vor sich liegen.

„Was machst du denn da?“, ist ihre Frage.

Georg meint: „Ich habe heute erfahren, dass ich zum Beamten ernannt werde. In der Mappe sind alle unsere Papiere, falls mal etwas mit mir sein soll, dann weißt du, wo die Dokumente sind.“

„Jetzt hör aber auf. Übermorgen wirst du sechsunddreißig Jahre alt. Du sollst dich auf den guten Geburtstagskuchen freuen! Komm, freuen wir uns über deine Beförderung. Wir haben doch ein schönes, glückliches Leben.“

„Hast Recht, Theres, aber ich habe in der letzten Nacht schlecht geschlafen und geträumt.“ Er steht auf, küsst sie auf die Wange und drückt sie an sich. Sie verbringen gemeinsam mit den Kindern noch einen schönen Abend.

Mit der Beförderung haben sie doch wieder einen Aufstieg im Leben erreicht.

Der nächste Tag beginnt wie immer. Die Welt ist total in Ordnung. Theres backt für Georgs morgigen Geburtstag einen wunderbaren Kuchen. Der Duft zieht verführerisch durch die ganze Wohnung.

Die Mädchen halten sich am Nachmittag in dem Glacis auf. Von dort aus wollen sie gleich in die Maiandacht gehen. Theres besucht die Maiandacht nicht, aber sie hat für sich einen eigenen kleinen Maialtar, den sie jedes Jahr aufstellt.

Der Nachmittag schreitet schnell voran. Georg will noch einige Waggons überprüfen. Er freut sich schon auf den nahenden Feierabend.

Gerade beugt er sich zu einem Waggon herunter und schaut, was da repariert werden muss. Dabei sieht er nicht, dass sich in seinem Rücken ein Waggon selbstständig gemacht hat und auf ihn zurollt. Er hört noch ein leises Quietschen. Ein Kollege schreit noch: „Georg Vorsicht!“

Er erhebt sich; will schauen. Aber es ist alles zu spät!!

Der Waggon ist schon unmittelbar hinter ihm. Georg befindet sich gerade zwischen den Puffern, schon wird sein Brustkorb eingequetscht. Es wird ihm schwarz vor den Augen, er verliert das Bewusstsein. Schnell kommen die Kollegen gelaufen und lösen die Bremse von einem Waggon, damit dieser ein wenig weiter rollt. Nur so können sie Georg frei bekommen.

Der Doktor wird schnell verständigt. Auch zu Theres in die Wohnung läuft einer. „Theres, schnell, schnell, komm ganz schnell. Dein Mann ist verunglückt.“

Theres springt auf und läuft, rennt, sprintet über die Gleise.

Sie sinkt neben ihren Mann nieder. Blut läuft aus seinem Mund. Sie bettet ihn in ihre Arme.

Der Doktor ist schon eingetroffen und eine Bahre wird auch gebracht. Der Arzt schaut den Verunglückten und dann Theres an. Er schüttelt nur leicht den Kopf. Georgs Atem rasselt, das Blut sickert weiter aus seinem Mund. Er öffnet kurz die Augen, schaut Theres mit einem dankbaren Blick an, fällt zurück.

Es ist vorbei!

Man legt Georg auf die Bahre und fährt ihn in die Bahnhofshalle. Inzwischen ist auch Thereses Schwester Rosa, die in Ingolstadt wohnt, herbeigeholt worden.

Theres ist wie von Sinnen. Ihr Geist ist wie betäubt; ihr Körper reagiert wie eine aufgezogene Puppe.

Inzwischen ist die Maiandacht aus und die Mädchen befinden sich auf dem Heimweg. Da laufen ihnen Kinder entgegen. „Euer Papa ist tot!“, rufen sie. Ja, dann, als die Mädchen zu Hause sind, erfassen sie die Katastrophe, soweit es ihrem kindlichen Geist möglich ist.

Theres weiß nicht, wie sie die nächsten Stunden, Tage, Wochen, Monate überlebt. Nur in dieser kurzen Zeit ist ihr Haar ergraut.

Oft sperrt sich Theres stundenlang in die Toilette ein. Sie will nicht mehr raus, sie will nicht mehr leben. Der starke Schmerz umklammert ihr Herz wie eine Eisenzange.

Doch sie hat zwei Kinder, die brauchen sie. Für diese muss sie weiter da sein.

AB 1927 DIE WITWE

Langsam löst sich in den nächsten Monaten die Starre. Theres nimmt wieder mit einigermaßen wachen Sinnen am Leben teil. Sie bezieht eine bescheidene Witwenpension. Außerdem hat ihr die Bahnleitung die Stelle als Wiegmeisterin angeboten. Sie übt diese Position pflichtbewusst und gewissenhaft aus. So geht das Leben wieder seinen normalen Gang.

Nach den schwarzen Billionenjahren führt Theres mit den heranwachsenden Töchtern ein verhältnismäßig gutes Leben. Thea und Maria gehen zur Erstkommunion und werden gefirmt.

Natürlich hat Theres Verehrer, aber sie lässt alle abblitzen. Für sie gibt es keinen neuen Mann. Als ein Verehrer mal das Waaghäuschen betritt und zudringlich wird, schnauzt sie: „Verschwinden Sie, oder es passiert etwas!“

Doch der Verehrer gibt sich noch nicht geschlagen. „Komm, eine Frau in den besten Jahren braucht doch auch mal etwas anderes.“

Da brennen bei ihr die Sicherungen durch. Das „Rabiate“ kommt mal wieder durch. Auf dem Tisch liegt eine große Schneiderschere. Nach der greift sie und stößt diese mit aller Wucht dem aufdringlichen Verehrer in den Hintern. Mit einem Aufschrei fasst sich der an seinen blutenden Po und verlässt den Tatort.



Nur gut, dass sein Hemd, seine Hose und Unterhose den Stich etwas gemildert haben, aber die Verehrung dieses Mannes ist sie los. Er hat sie nie mehr belästigt. Dieses Geschehen macht natürlich seine Runde. Theres wird mit noch mehr Ehrerbietung und Respekt behandelt. Doch ganz im hintersten Herzensstübchen hat die kühle, beherrschte Theres auch romantische Gedanken.

In ihrer kargen Freizeit liest sie gerne Liebesromane. Besonders Hedwig Courths-Mahler und Ludwig Ganghofer haben es ihr angetan. Aber auch der Heimatdichter Hermann Löns gefällt ihr. Manchmal schreibt Theres in ihrer schönen Handschrift auch Gedichte nieder. Von einem kenn ich nur noch den Schluss:

„Deckt mich einst die kühle Erde,

Schlägt mein Herz nicht mehr für dich,

Pflanz auf meinen Grabeshügel

Das Blümelein Vergissmeinnicht.“

Theres ist ehrgeizig. In der Familie haben alle eine schöne Singstimme und ein gutes Musikgehör. Sie will, dass ihre Kinder ein Instrument spielen lernen. Sie selbst legt sich eine Gitarre zu und spielt diese ohne Kenntnisse der Noten recht passabel. Thea soll Geige lernen.

Die Mutter sucht und findet einen Lehrer, der in Ingolstadt einen guten Ruf hat. Die ersten Stunden laufen gut, doch dann weigert sich Thea, den Unterricht weiter zu besuchen. Der Lehrer hat einen schnarchenden Atem. Das kann Thea einfach nicht hören. Selbst Schläge können sie nicht dazu bewegen, die Geige nochmals in die Hand zu nehmen. Da gibt die Mutter auf. Sie denkt an ihren verstorbenen Mann, der hätte auch nachgegeben.

Maria, die jüngere Tochter, soll das besonders in Bayern so beliebte Zitherspiel lernen. Sie ist begabt, hat ein gutes Musikgehör und sie lernt mit Begeisterung. Nicht mal die Blasen an den Fingern können sie davon abhalten, fleißig zu üben und auch zu singen.

Dieser Liebe zur Musik bleibt sie ihr Leben lang treu.

(Später gibt sie diese Liebe an ihre Tochter Beate weiter.)

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22 aralık 2023
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9783960081784
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