Kitabı oku: «666 Der Tod des Hexers», sayfa 6

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Jetzt knie ich hier, lausche in die Dunkelheit und warte auf ein Zeichen.


Nina betrachtete die beiden mondförmigen Backwerke in der Dose einen Moment, griff sie sich dann und steckte sie in einen der Plastikbeutel, in denen sie sonst die Beweismittel sicherten. Dann ging sie zu ihrem Schreibtisch, öffnete die einzige Schublade, die daran abschließbar war, und legte sie hinein. Einen Augenblick kam ihr in den Sinn, ob es nicht doch besser wäre, die Haschplätzchen sofort im Müll zu entsorgen, doch sie verwarf diesen Gedanken wieder. Man wusste nie, wozu man so etwas einmal brauchen konnte.

Wenn das alles nicht so ernst wäre, hätte Nina auch glatt darüber lachen können. Es handelte sich hier um illegale Drogen. Ein klarer Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Okay … so ganz ernst nahm sie die Sache nicht. Shit happens. Es war einfach blöd gelaufen. Wegen fünf dummer Kekse musste man jetzt auch kein Fass aufmachen. Außerdem gefiel ihr Kübler heute richtig gut. So entspannt und gechillt war der sonst eher selten. Sie hatte auch vor dem Telefonat, als sie nur ahnte, dass etwas mit den Dingern nicht in Ordnung war, keinen Moment geglaubt, dass Alexandra Thomas die Kekse absichtlich untergeschoben hatte oder dass er diese mit Absicht genommen hatte. Nein, so tickte der nicht.

Nina selbst hatte in ihrem Leben bisher noch nicht wirklich etwas probiert und würde es wohl auch nicht mehr tun. Mit achtzehn auf ihrer Abifete hatte sie mal gekifft. Zumindest glaubte sie das. Fakt war jedoch nur, dass sie damals schon so dermaßen betrunken gewesen war, dass es auf die Wirkung der Drogen im Endeffekt auch nicht mehr angekommen war, wenn da wirklich etwas in der Kippe drinnen gewesen wäre. An das meiste aus dieser Nacht konnte sie sich nicht mehr erinnern. Die Ansage ihres Papas am nächsten Morgen war ihr hingegen noch sehr gut in Erinnerung geblieben.

Gerade als Nina sich wieder ihrem Computer zuwenden wollte, öffnete sich die Bürotür und Thomas kam herein. Bereits an seinem Gang bemerkte sie, jetzt, wo sie es mit Sicherheit wusste, dass er leicht angesäuselt war. Zum Glück hatten sie heute keinen Außendienst mehr. Ob sie ihm die Dienstwaffe abnehmen sollte? Nein, am besten tat sie einfach, als ob nichts wäre. Aber was, wenn es den Kollegen auffiel, dass mit Kübler etwas nicht stimmte? Eigentlich gehörte der nach Hause ins Bett oder zumindest in dessen Nähe.

„Puh, das war jetzt das siebte dieser Hühner, das ich befragt habe“, stöhnte er, ließ sich auf seinen Bürostuhl sinken und griff nach der Brotdose, in der bis vor wenigen Augenblicken noch die beiden Kekse gewesen waren.

„Ohh … alle“, stellte er enttäuscht fest.

Nina überlegte, ob sie etwas sagen sollte, unterließ es dann aber. Thomas würde ausflippen, wenn er erfuhr, was er da gegessen hatte. Zum Glück hatte sie selbst nur von denen mit den bunten Streuseln probiert.

„Ja, die waren echt lecker. Hab’ ich deiner Frau auch gerade schon gesagt“, berichtete sie ihm.

„Du hast mit Alex gesprochen?“, war er verwundert.

„Ja, dein Handy hat geklingelt. Als ich gesehen habe, dass sie es ist, bin ich halt rangegangen“, erklärte sie sich. Er nickte und sah dann verträumt aus dem Fenster.

Kapitel 6

Montag, 9. August 2021, 22:18 Uhr

Elkenroth/Höhenweg

Fabienne Luca war raus aus der Band. Heute am Abend, kurz nach der Zusage aus den USA, hatte sie es den anderen sofort mitgeteilt. Es brachte nichts, es auf die lange Bank zu schieben und auf einen vermeintlich besseren Zeitpunkt zu warten, um es ihnen zu sagen. In den Semesterferien im Herbst würde sie ihre Koffer packen und Deutschland für ein Jahr den Rücken kehren, um in Boston am dortigen College zu studieren. Zugegeben, sie hatte nicht damit gerechnet, so schnell einen Studienplatz in den Staaten zu finden, aber man musste auch mal Glück haben im Leben. Seit der Mail aus Boston schlugen ihre Gedanken und Gefühle wahre Kapriolen. Sie könnte die ganze Welt umarmen.

Die Mädels aus der Band sahen dies, wie befürchtet, nicht so entspannt. Klar hatten die Freundinnen ihr gratuliert. Doch die unausgesprochenen Worte zwischen den Zeilen der Glückwünsche waren nicht zu überhören.

Es hatte Fabienne gefallen, in den letzten Monaten ein Teil der Band zu sein. Doch mehr war da nie gewesen. Sie war weder eine so verbissene Musikerin wie Sarika noch so besessen, wie Fabrice es gewesen war. Fabienne hatte in Witchwar lediglich eine nette Runde von Freundinnen gesehen, die zusammen in ihrer Freizeit Musik machten. Sie hatte sich nie an den Fantastereien der anderen beteiligt. Hirngespinste von Auftritten in ausverkauften Stadien oder Plattenverträge, bei denen ihnen die Plattenfirmen Millionen zahlten. Die meisten Musiker, die sich in solche Träume verbissen, landeten früher oder später in der Gosse. Nur die wenigsten schafften es, reich und berühmt zu werden. Und auch die waren am Ende oft total kaputt, soffen oder hingen an der Nadel. Nein, das war nicht das, was sie sich für ihre Zukunft vorstellte. Es war schön und jetzt eben vorbei und an der Zeit, sich mehr um ihre Karriere zu kümmern. Heute Nacht würde sie vermutlich vor lauter Gedankenkarussell nicht schlafen können.

Obwohl es schon spät und draußen dunkel war, schlüpfte sie daher noch in ihre Laufschuhe, schnappte sich die Stirnlampe und verließ das Haus. Es war nicht das erste Mal, dass sie so spät abends joggen ging. Seit es tagsüber so heiß war, tat sie dies regelmäßig.

Der Vollmond am Himmel war heute seltsam groß und erhellte die Nacht ungewöhnlich stark. Trotz der späten Stunde konnte sie noch alles erkennen, was sich ringsherum auf den Wiesen tat.

Beschwingt von den guten Nachrichten, trabte sie über den Radweg am REWE-Markt vorbei in Richtung Elkenrother Weiher. Vor der Zufahrt zum Fischerhaus verharrte sie. Der Wind trieb Stimmen und Musik über den See. Johlen und Grölen. Sie nahm den Geruch von Rauch war. Über dem Wasser des kleinen Sees lag Dunst, dahinter erkannte sie gleich zwei Feuerstellen. Die Dorfjugend feierte wieder einmal unerlaubt an dem kleinen See. Nein, auf betrunkene Idioten, die sie am Ende auch noch doof anmachten, hatte sie jetzt echt keinen Bock. Sie entschied sich deshalb, weiter am Weiher entlang in Richtung Weitefeld zu laufen. Sie entdeckte zwei Angler, die im hellen Mondschein im Uferdickicht hockten, rauchten und sich leise zu unterhalten schienen. Was sie sagten, konnte sie nicht hören. Es war ihr auch nicht wichtig. Wichtig war nur das, was in den nächsten Monaten alles mit ihr und um sie herum geschehen würde. Amerika! Der absolute Wahnsinn.

Während sie weiterlief, kramte sie die kleinen drahtlosen Knopfkopfhörer aus ihrer Hosentasche, steckte sie sich in die Ohren und startete auf ihrem Smartphone die Wiedergabe einer Zufallsplayliste aus dem Internet, die sich an dem orientierte, was sie auch sonst so hörte. Gerade spielte die App „Balls to the Wall“, einen alten Song von Accept. Leise summte sie, während sie weiterlief, die Melodie mit und musste dabei wieder an ihre Freundinnen Sarika, Selina und Lena denken. Ohne einen Sänger und mit ihrem Ausscheiden aus der Band war wohl jetzt Schluss mit Witchwar. Schlagzeugerin Lena würde in Kürze ihr Studium in Frankfurt beginnen. Da war es fraglich, wie lange die noch dabeibleiben würde. Sie hatte das schon bei einigen ihrer damaligen Mitschüler gesehen. Erst hieß es noch, sie seien ja nur die Woche über fort, um in der anderen Stadt zu studieren. Doch dann wurden die Wochenenden, an denen sie die alte Heimat besuchten, immer seltener, bis sie gar nicht mehr nach Hause kamen. Von einigen hatte Fabienne schon seit der Abifete nichts mehr gehört. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Und vielleicht … ja … wer wusste schon, was sie in Amerika erwarten würde? Was, wenn sie drüben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten die Liebe ihres Lebens traf? Was, wenn sie nach dem Jahr überhaupt keine Lust mehr hatte, nach Hause zu kommen, weil sie dort neue Freunde, einen tollen Job oder was auch immer gefunden hatte? So etwas sollte es ja geben.

Fabienne sah sich um. Die Landstraße, die hier parallel zum Rad- und Wanderweg lief, war leer. Kein Pkw weit und breit. Einzig in einiger Entfernung hinter ihr, da, wo vorhin noch die Angler gewesen waren, tanzte der Scheinwerferkegel eines Fahrrades über den Radweg. Etwa hundert Meter nach dem stillgelegten Bahnübergang bog sie nach links ab, dann quer über die Landstraße und den geschotterten Weg hinauf, in Richtung Hasselichskopf. Rechts auf der Wiese hinter den Salzschuppen der Straßenmeisterei erkannte sie die Silhouette von mehreren abgestellten Fahrzeugen, die hier in der Natur nichts verloren hatten. Nach weiteren einhundert Metern entdeckte sie schräg links vor sich, da, wo sie die alte Klebsandgrube vermutete, den Schein eines Lagerfeuers durch die üppige Botanik. Wie es aussah, stieg heute Abend tatsächlich an jedem Tümpel eine Party. Klar, warum auch nicht? Es waren immer noch Sommerferien und das Wetter ein Traum.

Neugierig zog sie die Ohrstöpsel heraus, um besser hören zu können, was da los war.

Doch das Einzige, was sie nun plötzlich vernahm, war das Knirschen des Basaltschotters unmittelbar hinter sich. Erschrocken fuhr sie herum. Als sie ihn sah, war es jedoch schon zu spät. Obwohl sie noch versuchte auszuweichen, erwischte der Radfahrer sie an der linken Seite. Sie strauchelte, versuchte sich noch zu fangen, schlug dann aber der Länge nach hin. Sie spürte, wie sich unzählige der kleinen, spitzen Steine in ihre Handflächen drückten. Ihr rechtes Knie schien vor Schmerz förmlich zu explodieren. Verdammt, wie hatte dieser Idiot sie denn übersehen können? Mit der Lampe auf ihrer Stirn hätte das doch überhaupt nicht passieren dürfen. Und warum hatte der selbst das Licht an seinem Rad nicht angeschaltet? Sie rollte zur Seite und blickte zu dem Radfahrer, der nun abgestiegen war, das Rad an einen Baum lehnte und langsam auf sie zukam. Na, dem würde sie nun aber mal Bescheid stoßen, dachte sie noch, als sie im Schein ihrer Stirnlampe das Messer in seiner Hand wahrnahm.


Landrat Doktor Peter Enders saß mit geschlossenen Augen auf dem Beifahrersitz seiner Dienstlimousine, lauschte mit einem Ohr der klassischen Musik aus dem Radio und ließ den Abend Revue passieren. Die Autorenlesung im Daadener Bürgerhaus mit der Siegerländer Autorin Melanie Lahmer hatte ihm gefallen. Die Stimme der Autorin war angenehm gewesen, und zumindest das, was sie vorgelesen hatte, versprach eine spannende Lektüre und eine Bereicherung seiner privaten Bibliothek, in der sich neben etlichen Fachbüchern auch über eintausend Krimis befanden. Wie viele Bücher er genau besaß, wusste er nicht, da er sie noch nie gezählt hatte. Gelesen hatte er sie jedoch alle.

„Meine Güte, der da vorne weiß wohl nicht, wo das Gaspedal ist“, knurrte sein Fahrer Jürgen Grosse.

„Na, dann lass ihn. Wir haben Zeit“, erwiderte Peter, obwohl er sich sicher war, dass Jürgens Worte gar nicht ihm gegolten hatten, sondern eher zu einem Selbstgespräch gehörten.

Ja, Peter hatte tatsächlich für heute alle Zeit der Welt. Die Lesung in Daaden war der letzte einer Reihe von Terminen des heutigen Tages gewesen, die er eisern abgearbeitet hatte. Na klar, auch er wollte nun gerne nach Hause, wo seine Frau schon auf ihn wartete. Doch nicht um jeden Preis. Rasen und Hektik, vor allem im Straßenverkehr, hatte noch niemandem geholfen. Er war ein Mann, der Dinge lieber ruhig und besonnen anging. Vielleicht brachte dies sein ehemaliger Beruf als Arzt mit sich. Peter hatte in den Jahren als Notarzt eine Menge Mist gesehen. Sei es bei Auslandseinsätzen mit der Bundeswehr in Afrika, sonst wo auf der Welt oder an Bord eines Rettungshubschraubers über Deutschland. Er wusste, wie Raserei enden konnte.

Dass er, ein Mediziner aus Überzeugung, irgendwann einmal der Landrat des kleinen Kreises Altenkirchen im Westerwald sein würde, hätte er bis vor einigen Jahren auch noch nicht für möglich gehalten.

Kurz nachdem sie das Ortsschild von Weitefeld hinter sich gelassen hatten, setzte sein Fahrer den Blinker, um den Kleinwagen vor ihnen in der lang gezogenen Kurve vor dem Bahnübergang zu überholen.

„Jürgen, lass es bitte. Wir haben Zeit“, ermahnte er seinen Fahrer nochmals, worauf dieser den Blinkhebel ausschaltete und den Fuß wieder vom Gas nahm. Peter sah aus dem Fenster und stutzte, als er rechts vor ihnen am Straßenrand einen kleinen Lichtkegel wahrnahm, der sich wild tanzend direkt auf die Straße zu bewegte. Was war das, ging es ihm noch durch den Kopf, als die Scheinwerfer des vor ihnen fahrenden Kleinwagens den Lichtpunkt erfassten. Für den Bruchteil einer Sekunde registrierte er noch die torkelnde Joggerin mit der Stirnlampe. Dann verschwand ihre Gestalt vor dem anderen Wagen. Bremsen quietschten. Etwas wurde nach rechts durch die Luft geschleudert. Erschrocken sah er die grellroten Heckleuchten des Kleinwagens auf sich zukommen, bevor er heftig nach vorne in den Gurt gepresst wurde. Instinktiv versuchte er, die Hände vor das Gesicht zu heben. Jeden Moment würde der Aufprall auf den vor ihnen fahrenden Wagen kommen. Doch der Schlag, mit dem er fest gerechnet hatte, blieb aus. Sein Chauffeur hatte es tatsächlich geschafft, die Limousine nur wenige Zentimeter hinter dem anderen Wagen zum Stehen zu bringen. Zitternd holte er mehrmals tief Luft, schnallte sich ab und stieg dann aus. Sein Herz schlug wie wild, als er sich suchend in der Dunkelheit umblickte. Zum Glück stand der Mond hell am Himmel. Er hatte keine Ahnung, ob er den leblosen Körper der jungen Frau ansonsten überhaupt auf dem Grünstreifen zwischen der Straße und dem Radweg entdeckt hätte. Er eilte zu ihr hin, sackte auf die Knie, tastete nach ihrem Hals und sprach sie dabei an.

„Hallo, können Sie mich hören?“

Keine Regung. Doch da war noch Leben in ihr. Deutlich spürte er ihren Herzschlag.

Hinter sich vernahm er Schritte und das Schnaufen seines Fahrers.

„Jürgen, bring mir schnell den Notfallkoffer aus dem Kofferraum und kümmer dich dann um die Insassen des anderen Autos“, gab er knappe Anweisungen.

Manch einer würde es als eine Marotte bezeichnen, dass er als Politiker immer noch einen voll ausgestatteten Notarztkoffer bei sich hatte. Doch nichts war für einen Arzt schlimmer, als in einem solchen Fall wie diesem ohne das nötigste Handwerkszeug dazustehen. Arzt blieb man sein Leben lang. Der hippokratische Eid endete nicht einfach, weil man in Rente ging oder wie er ein politisches Mandat annahm. Während Jürgen zum Wagen rannte, wählte Peter mit seiner linken Hand die 112 auf seinem Smartphone. Von der Verletzten ging ein Stöhnen aus. In ihren Augen spiegelte sich das Mondlicht.

„Bleiben Sie ganz ruhig liegen. Ich werde Ihnen gleich etwas gegen die Schmerzen geben“, flüsterte er ihr zu und schilderte anschließend dem Herrn in der Notdienstzentrale die Lage.


Nina war sich nicht sicher, ob sie überhaupt schon geschlafen hatte, als das Telefon auf ihrem Nachttisch damit begann, Billy Idol zu trällern.

„Ach nee, ist denn hier nie Ruhe?“, hörte sie Klaus stöhnen und merkte sogleich, wie er sich von ihr wegdrehte.

Sie tastete nach dem Gerät und nahm den Anruf entgegen.

„Hallo Nina, hier ist Jürgen. Sorry, dass ich so spät noch bei dir anrufe“, entschuldigte sich Polizeihauptmeister Jürgen Wacker erst einmal.

„Kein Problem, Jürgen. Was gibt es denn?“, war sie nun neugierig, da der Kollege sicherlich seine guten Gründe hatte, zu solch später Stunde anzurufen.

„Auf der Landstraße zwischen Elkenroth und Weitefeld, unweit des alten Bahnüberganges kurz hinter dem Weiher, gab es einen Verkehrsunfall. Eine Joggerin wurde von einem Wagen erfasst“, berichtete er.

„Ist sie tot?“, fragte Nina. Normale Verkehrsunfälle fielen eigentlich nicht in ihr Aufgabengebiet. Wenn sie dennoch informiert wurde, musste irgendetwas nicht stimmig sein.

„Nein … also … noch nicht. Sieht aber eher schlecht aus. Sie versorgen die junge Dame gerade im Rettungswagen“, erklärte er.

„Und?“, hakte Nina nach.

„Der Arzt vor Ort behauptet, dass sich unter den Verletzungen des Unfallopfers auch eine Wunde befindet, die auf einen Messerstich hindeutet. Der Zeuge will gesehen haben, dass die Joggerin auf die Fahrbahn getorkelt sei …“

„Du meinst, sie war schon schwer verletzt, als das Auto sie erfasst hat?“, hakte sie ein.

„Ja, so scheint es zumindest“, antwortete er.

„Okay, Jürgen. Keiner der Zeugen verlässt den Unfall­ort. Ich bin unterwegs“, sagte sie schnell und schlüpfte keine zehn Sekunden später in ihre Jeans. Auf dem Weg zu Maggiolino in den Carport wählte sie die Nummer von Kübler, der das Gespräch erst schlaftrunken entgegennahm, als sie bereits den Motor gestartet hatte und rückwärts aus dem Carport schoss.

„Sieh zu, dass du in Wallung kommst, ich hole dich in fünf Minuten ab“, sagte sie nur knapp und legte dann einfach auf.

Wirklich fit war Kübler nicht, als sie ihn wenige Minuten später auf der Straße vor seinem Haus auflas.

„Ich hoffe, es ist wichtig, dass du mich mitten in der Nacht aus der Kiste wirfst“, nörgelte er, als er neben ihr auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

Auf dem Weg zum Unfallort erklärte sie ihm die wenigen Details, die sie vorhin von Jürgen erfahren hatte.

Vor der Unfallstelle, die nur wenige Hundert Meter hinter dem Weiher lag, hatte sich trotz des zu dieser Zeit wenigen Verkehrs ein Stau gebildet. Immer wieder scherten Wagen aus der Reihe der Wartenden aus, drehten und fuhren zurück. Der Einfachheit halber wies sie Kübler an, das Blaulicht mit dem Magnetfuß durch die geöffnete Seitenscheibe auf das Dach zu pappen und es anzuschalten. Dann überholte sie den Stau und parkte den Wagen schließlich links der Landstraße direkt neben dem Streifenwagen und gleich zwei Rettungswagen. Jürgen kam ihr bereits entgegen.

„Gibt es noch mehr Verletzte?“, erkundigte sie sich und deutete auf die beiden Krankenwagen. In beiden herrschte bei geöffneten Türen reges Treiben.

„Ja, die Fahrerin des Unfallwagens hat einen Nervenzusammenbruch erlitten“, erwiderte er.

„Und die andere?“, hakte Nina nach.

„Keine Ahnung. Bei ihr sieht es wohl nicht so gut aus“, meinte er und ging dann zu einem der Rettungswagen, in dem zwei Sanis und ein Mann in Zivil sich um einen leblosen Körper auf der Liege kümmerten. Nina folgte ihm und stutzte einen Moment, als sie den Herrn mit der Anzugshose und dem blutverschmierten Hemd erkannte, der da im Rettungswagen gerade eine Spritze setzte.

„Sag mal, das ist doch Landrat Enders“, flüsterte sie Kübler irritiert zu, der wie ein verschlafener Zombie neben ihr herwatschelte. Vielleicht hätte sie ihn doch besser zu Hause lassen sollen. So verpeilt nützte der hier eh niemandem.

„Ja, stimmt“, antwortete Kübler nur.

„Herr Doktor Enders war als Erster am Unfallort“, raunte Wacker ihr zu.

Nina bemerkte, wie ein Notarzt aus dem anderen Rettungswagen stieg und sich anschickte, in diesen einzusteigen. Ein Nina ebenfalls bekanntes Gesicht. Was natürlich nicht verwunderlich war, da man sich hier auf dem Land kannte.

„Ach, Bernd, hast du eine Sekunde?“, sprach sie ihn deshalb an und erkundigte sich, nachdem er die Frage bejaht hatte, nach dem Gesundheitszustand der beiden Patienten.

„Der Dame aus dem Unfallfahrzeug geht es körperlich so weit ganz gut. Wir haben ihr etwas zur Beruhigung gegeben. Die Kollegen fahren sie zur Sicherheit aber nach Kirchen ins Klinikum.“

„Kann ich sie befragen?“, wollte Nina wissen.

„Warte mal besser bis morgen. Die ist vollkommen durch“, erwiderte er.

„Und was ist mit ihr?“

Nina deutete auf den leblosen Körper in einigen Metern Entfernung.

„Weiß ich noch nicht. Um die hat sich Peter die ganze Zeit gekümmert. Ich sag dir Bescheid, wenn ich Näheres weiß“, meinte er, ließ sie dann stehen, stieg in den Rettungswagen und unterhielt sich dort mit den anderen.

Nina beobachtete das Ganze einen Moment und wandte sich dann ab. Nein, sie hatte kein Problem damit, Blut zu sehen. Das war im Grunde nichts anderes als eine rote Flüssigkeit. Dennoch nahm sie der Anblick der reglosen Gestalt auf der Pritsche doch sehr mit.

„Was wissen wir denn über die Joggerin? Hat die auch einen Namen?“, fragte Nina den uniformierten Kollegen Jürgen Wacker, der ebenfalls ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter schnitt.

„Bisher noch nichts. Sie hatte, wie es schien, keine Papiere dabei. Wir haben zumindest keine gefunden. Das Einzige, was wir haben, ist ihr Mobiltelefon“, meinte er, zog einen kleinen durchsichtigen Plastikbeutel mit einem Smartphone darin aus seiner Jacke und reichte es Nina. Sie nahm das Gerät aus der Verpackung und betrachtete es im Schein der Lampe. Auf den ersten Blick schien das Gerät bis auf ein paar kleine Risse im Display noch in Ordnung.

„Scheint noch zu funktionieren“, stellte sie fest, nachdem der Bildschirm hell wurde.

„Ja, aber es ist PIN-geschützt. Da kommen wir nicht ran“, stellte Wacker fest.

„Gib mal her das Ding“, sagte jetzt Kübler auch einmal etwas. Nina reichte ihm das Telefon.

„Das haben wir gleich“, meinte er nach einem kurzen Blick darauf und ging mit dem Gerät zu Maggiolino, auf dessen Dach noch immer das Blaulicht blinkte. Sie wusste, dass Kübler so seine Methoden hatte, was verschlüsselte Daten, passwortgeschützte Rechner und gesperrte Mobiltelefone betraf. Sie selbst hatte keine Ahnung, wie er das immer wieder anstellte. Doch in der digitalen Welt blieb Kübler nichts verborgen.

„Wer ist der Typ da?“, erkundigte sie sich bei Wacker und deutete auf einen Herrn Mitte vierzig im hellblauen Hemd, der rauchend am Straßenrand stand und das Geschehen beobachtete.

„Das ist der Fahrer des Herrn Landrates“, bestätigte Wacker, was Nina bereits vermutet hatte. Entschlossen ging sie zu dem Mann hin, hielt ihm ihren Dienstausweis vor die Nase und stellte sich mit Namen und Dienstrang vor.

„Jürgen Grosse“, erwiderte der.

„Der Kollege meint, Sie seien Zeuge des Unfalls gewesen“, kam Nina ohne Umschweife zur Sache.

Der Mann warf die Zigarette auf den Boden und trat sie aus.

„Ja, ich hatte den Herrn Landrat heute zu einer Veranstaltung in Daaden begleitet. Wir waren direkt hinter der Dame mit dem kleinen Peugeot, als es passierte.“

„Fahren Sie den Herrn Landrat überallhin oder war das eine Ausnahme heute?“, erkundigte sich Nina, da sie glaubte, dies zwischen den Zeilen vernommen zu haben.

„Ähm … ja … nee. Also, normal schon. Wobei der Herr Doktor Enders gelegentlich auch schon mal selbst fährt“, gestand er.

Nina nickte wissend.

„Was haben Sie denn genau beobachtet?“, fragte sie weiter.

Der Mann hob die Arme und zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung … ich hab’ eigentlich erst gerafft, was passiert ist, als alles schon vorbei war. Ich weiß nur, dass der Wagen vor mir plötzlich gebremst hat. Ich dann auch … Vollbremsung. Als wir standen, ist der Chef dann raus aus dem Wagen. Da hab’ ich noch gedacht … wo will der hin? Die Verletzte hab’ ich erst gesehen, als er sich zu ihr hingekniet und mit ihr gesprochen hat“, stammelte er und zündete sich eine weitere Zigarette an, die er zitternd in der Hand hielt und erst einige Male daran zog.

„Dass der Wagen vor Ihnen die Joggerin erfasst hat, haben Sie also gar nicht gesehen?“, fragte Nina noch einmal zur Sicherheit nach. Der Fahrer schüttelte den Kopf.

„Nee, hab’ ich nicht. Aber der Chef muss was mitbekommen haben, weil … sonst hätte er ja nicht gewusst, dass da jemand am Straßenrand liegt.“

„Ist Ihnen sonst noch irgendetwas aufgefallen? Vielleicht an der Fahrweise des Wagens vor Ihnen? Ist der vielleicht Schlangenlinien gefahren oder waren da noch andere Fahrzeuge? Vielleicht Gegenverkehr?“, hakte Nina weiter nach.

Jürgen Grosse blies den Rauch in den nächtlichen Himmel, schüttelte den Kopf, hielt dann inne und biss sich auf die Unterlippe. Nina war gespannt, was jetzt kommen würde.

„Doch … da war noch einer. Da drüben, auf dem Schotterweg“, meinte er und deutete auf den Weg, der hinauf in den Wald führte.

„Und wer war da?“

„Keine Ahnung … Irgend so ein Kerl … kann auch eine Frau gewesen sein … aber er oder sie hatte ein Fahrrad, so ein Mountainbike dabei, aber es war ja auch ziemlich dunkel. Das einzige Licht stammte ja von den Scheinwerfern der Wagen … und der … die Person stand ja ziemlich abseits“, wusste er.

„Und was hat diese Person gemacht?“, fragte Nina.

„Nichts. Der hat da nur gestanden und geguckt. Ich bin ja dann zum Auto und hab’ dem Chef seinen Arztkoffer geholt. Anschließend habe ich mich um die Dame in dem Peugeot gekümmert. Als ich irgendwann wieder hingesehen habe, war da auch keiner mehr.“

„Nina, kommst du mal bitte?“, hörte sie Thomas nun rufen.

Sie ging zu ihm hin. Kübler saß auf dem Beifahrersitz von Maggiolino und hantierte mit seinem Tabletcomputer herum, den er mit einem Kabel an das Mobiltelefon angeschlossen hatte.

„Hast du was?“, erkundigte sie sich.

Kübler nickte.

„Ja, also wenn das hier tatsächlich das Mobiltelefon von dem Unfallopfer ist, dann handelt es sich um Fabienne Luca. Eine der jungen Frauen, die ich heute Mittag verhört habe“, sagte er und musste schlucken. Auch Nina spürte, wie sich ihr Hals zuzog. Fabienne, die hübsche Blonde, die in Sarikas Band die Rhythmus-Gitarre spielte. Nina drehte sich um, hastete zu dem Krankenwagen und stieg in den eh schon ziemlich überfüllten Kastenaufbau. Ein einziger Blick auf das Opfer genügte ihr, um den Verdacht zu bestätigen. Es handelte sich tatsächlich um Fabienne, die da ohne Bewusstsein lag und notärztlich versorgt wurde.


Im Schein der Kerzen kniete er mit gefalteten Händen vor dem Altar der roten Kapelle und flüsterte ein Gebet. Er hatte versagt. Die Hexe hatte ihn überrumpelt, war geflohen und wie ein Schwein quiekend und angestochen direkt vor ein Auto gelaufen. Er war sich sicher, dass sie überleben würde. So einfach war der Dämon in ihr nicht zu bezwingen. Das Einzige, was eine Hexe töten konnte, war das Feuer. Oder täuschte er sich doch in ihr? War sie am Ende gar keine von ihnen gewesen? Der Hexer hatte Fabienne beschuldigt. Doch was, wenn er ihn belogen hatte? Alle Hexen, die in den letzten Jahrhunderten hier an der Kapelle mit Schwert und Feuer gerichtet worden waren, hatten ihre Taten unter Schmerzen gestanden. Auch Fabrice. Genau so wie es in den alten Gerichtsprotokollen geschrieben stand. Fabrice hatte, nachdem er ihm die Daumenschrauben angelegt hatte, alles zugegeben und die Namen derer genannt, mit denen er auf den Tanzplätzen bei den Hexenfeuern gebuhlt hatte. Wenn Fabienne Luca eine von ihnen war, würde sie den Unfall überleben. Wenn sie starb, war sie unschuldig. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten. Fatal war, dass Fabienne ihn in dem Moment, als er zustach, erkannt hatte. Wenn sie überlebte, würde sie die anderen warnen. Dann wüssten die Hexen von ihm und würden ihn jagen.

„Herr, hilf mir doch … Bitte!“, flüsterte er und begann, als er keine Antwort bekam, bitterlich zu weinen. Warum nur sprach Gott nicht mit ihm? War ER etwa zornig, weil er schon wieder versagt hatte? Die erste Hexe, die er bereits vor Wochen der peinlichen Befragung unterzogen hatte hatte er nicht töten können. Sie wartete eingesperrt noch immer auf die Vollstreckung des Urteils. Erst bei Fabrice war es ihm gelungen zu tun, was er tun musste. Und nun dieser erneute Fehlschlag. Kein Wunder, dass Gott ihm zürnte. Schluchzend lauschte er in die Dunkelheit. Von draußen, aus der mächtigen Linde, hörte er den Ruf einer Eule. Aber wo war die Stimme des Herrn in seinem Kopf, wenn er sie brauchte?

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