Kitabı oku: «H. C. Artmann - Bohemien und Bürgerschreck», sayfa 2

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BONVIVANT UND BÜRGERSCHRECK AUS BREITENSEE

Begegnungen mit einem Menschen voller Tatendrang und Traurigkeit

Ich hatte das Glück, H.C. Artmann zu kennen. Wir arbeiteten gemeinsam an dem Buch „Menschenbilder“. Ich besuchte ihn immer wieder in seinem Haus in Salzburg, in der Wohnung in Wien, wir unternahmen gemeinsame Reisen. Manchmal auch nur spontane Ausflüge in schattige Wirtshausgärten. Oder Expeditionen in kleine Bars. Wir waren auch immer wieder außerhalb Österreichs, in Europa, unterwegs. Wo immer wir hinkamen, stellte mich H. C. als „mein Freund“ vor. Als ich ihn einmal fragte, ob er zur Präsentation meines Helmut-Qualtinger-Buches nach Hamburg mitkomme, fragte er nur: „Wann müss’ ma in Schwechat sein?“ – „Die Maschine geht morgen früh, um 7 Uhr“, „Ich freu’ mich schon …“ Pünktlich um 5.30 Uhr stand er vor seiner Haustür.

Er war ein Freund, der die Frage eines Magazins, was Glück für ihn bedeute, mit dem Satz beantwortete: „…wenn ich um einen Freund Angst gehabt habe und ich dann die Nachricht bekommen habe, dass alles wieder in Ordnung ist.“

H. C. hat sich immer wieder Zeit genommen, um mir aus seinem Leben zu erzählen. Es war zwischen uns vereinbart, dass ich „gegen Mittag, am besten um zwölf“ anrufe. Er würde mir dann sagen, ob wir uns sehen können. Wenn H. C. einen guten Tag hatte, arbeitete er bis zu seinem Ende mit seiner Frau Rosa, die drei Jahrzehnte verlässlich an seiner Seite war. In den letzten Monaten diktierte er ihr aus dem Gedächtnis. Frei, ohne irgendwelche Notizen. So entstanden noch vier Goldoni-Übersetzungen und ein Opernlibretto im Auftrag des Herbert-von-Karajan-Zentrums.

Rosa stammt aus der Südsteiermark. Sie ermöglichte H. C. viele gelebte Wünsche. Es freute ihn, dass sie selbst zu schreiben begann. Und schöne Gedichte veröffentlichte:

karten

was willst du mehr / als diese karten / mischen /

geben / austeilen / mit denen du spielst / mariage /

doppelkopf / solo / sechsundsechzig / oder tod und

leben / woraus du ersehen kannst / welches spiel

gespielt wird / deine dir gegebenen karten / deine

bedingungen / und der verlauf erst absehbar am ende.

Meist kam H. C. selbst ans Telefon und erzählte mir damals vor 20 Jahren, was er erlebt hatte. Nicht mehr allzu viel. Mit der schon dünnen, leisen Stimme sprach er von „seinem einzigen Fenster zur Welt“, dem Fernsehen. Er sei ein Zapper, könne zwischen mehr als 30 Programmen auswählen. Weil er nicht einschlafen könne, sehe er viel fern. Die Nachrichten. Immer. Am liebsten sei ihm Danielle Spera, „weil’s auch fesch ist“. Außerdem kenne er sie noch aus Paris. Und er liebe gute Fußball-Matches. Und deutsche Krimis. „Den ‚Tatort‘ nicht, die reden immer so gespreizt.“ So, jetzt hätte er „großen Gusto auf Gefrorenes oder eine Salami, am besten eine Mailänder …“ Ich solle halt in den nächsten Tagen wieder anrufen – „gegen Mittag, am besten um zwölf …“

Manchmal besuchte ich ihn dann in seiner Josefstädter Wohnung. Sie ist nicht sehr groß, hell und sonnig. Mit wenigen Möbeln und vielen Büchern, Parkettböden und Flügeltüren, fast großbürgerlich. Mit Blick durch die hohen Fenster auf die belebte Josefstädter Straße. Ich stellte ihm Fragen, aber vor allem hörte ich einfach zu, bei dem, was ihm gerade einfiel. Was er mir aus seinem Leben erzählte.

In diesem Buch berichte ich von den Gesprächen, die wir bis kurz vor seinem Ableben geführt haben. Ich habe versucht, Sequenzen seines Lebens zu beschreiben, hauptsächlich aus seiner Wiener Zeit. Ein Leben, das H. C. Artmann voller Würde gelebt hat. Was sicher nicht immer leicht war, denn – wie Alois Brandstätter meint – „Schriftsteller in Österreich zu sein, das ist gerade so wie Strohhuterzeuger in Lappland“.

H. C. Artmann hat mir viel erzählt: Von prägenden Lebensabschnitten, von der Kindheit und Jugend in Breitensee über das Wien der Nachkriegszeit – zwischen Schleichhandel und „poetischen demonstrationen“ – bis zu den frühen Experimenten als literarischer Avantgardist und bis zur Gründung der „Wiener Gruppe“. Von seinem großen, unerwarteten Erfolg mit Dialektgedichten, von den Reisen eines Rastlosen quer durch Europa. Und schließlich von seiner späten Anerkennung.

Zuletzt durfte ich ihn am 1. November 2000, ein paar Wochen vor seinem Ende, besuchen. Er hatte wieder einen guten Tag. Er saß frisch rasiert, aufrecht und elegant im dunkelblauen Pullover und der grauen Flanellhose in seinem Lederfauteuil. Emily, seine Tochter, und seine Nichte Katharina drehten gerade einen Film über ihn.

Mehrere Stunden erzählte er mir später aus seinem Leben. Manchmal von heftigen Hustenanfällen gebremst. Aber der fast 80-jährige, körperlich schwache Schriftsteller ist weiterhin der Enthusiast, als der er auch immer wesentlich Jüngere mitgerissen hat. Ein Verführer, der die Nähe der Jugend suchte und dabei oft jünger als die Jungen war.

Voller Verve erzählte er von all den schrulligen Figuren aus Breitensee. Von all den prägenden Persönlichkeiten der Peripherie, die in seinen Erzählungen immer wieder liebevoll beschrieben wurden. Und er erwähnte wie beiläufig, dass er bei den Frauen ein „Spätstarter war und mit der ersten im zarten Alter von 26 Jahren geschlafen hatte“. Und gleich ein Kind zeugte. Sein erstes. Sohn Patrick. Später sollten noch vier Kinder folgen: Patricia, Manja, Carl Johan Casimir und Emily Griseldis.

„Eigentlich bin ich ein verhältnismäßig treuer Mensch, wenn ich einmal wo gelandet bin, bleib ich picken. Frauen lernt man nur langsam kennen. Richtig versteht man sie erst, wenn man schon wieder auseinander ist. Wenn’s aus ist, glaubt man, das halt ich nicht aus. Später lacht man darüber …“

Artmann erzählte mir von der abenteuerlichen Flucht aus der Kriegsgefangenschaft, dem allerersten Gedicht, das er für ein Bauernmädchen aus Hollabrunn geschrieben hat. Oder von seiner Erinnerung an das Nachkriegs-Wien, von Existenzen zwischen Bangen und Hoffen, von Euphorie und Enttäuschung. Er schlug sich ganz gut durch, arbeitete als Statist im „Etablissement Ronacher“ und als Übersetzer bei den Amerikanern.

Und H. C. Artmann erinnerte sich an das Exil in Berlin, Mitte der 1960er-Jahre. An das Untermietzimmer im dritten Stock in der Kleiststraße 35. In Berlin-Schöneberg, wo John F. Kennedy im Juni 1963 seine berühmte Rede mit dem Satz „Ich bin ein Berliner“ gehalten hat. Am Türtaferl der Wohnung des aus Wien geflohenen Dichters stand „hans carl artmann – 7x läuten“. Immer kamen Freunde auf Besuch. 24 Stunden Open House. Relikte der vielen Partys sind die Bier- und Whisky-Flaschen, überall am Boden verstreut. Und durchaus stolz erzählte er davon, dass er in der Diskothek „Eden-Saloon“ des Berliner Nachtclub-Königs Rolf Eden in der Damaschkestraße im einen Twist-Tanz-Wettbewerb gewann. Und Günter Grass nur Zweiter wurde.

Plötzlich ist Artmann damals im November 2000, wenige Wochen vor seinem Ableben, in seinen Gedanken wieder in Wien gelandet. Im Ottakringer Wirtshaus „Zur blauen Nosn“ in der Johann-Staud-Straße 17. Wir sollten in den nächsten Tagen rausfahren und nachschauen, was in der Vorstadt, vor allem in Breitensee, noch existiert: Die Tee- und Likörstube der Franciska Marous, der Sparverein „D’ Ameisbachler“, die Gaststätte Hapler, wo einmal jährlich hinten im Extrazimmer die Verkaufsausstellung „Das gute Bild für den Normalverbraucher“ mit Stillleben aller Art stattfand.

Und auch die Pawlatschen, wo früher das Ringelspiel, der Watschenmann und das Kasperltheater gestanden sind, sollten wir unbedingt suchen. Oder das kleine Tschocherl und die Greißlerei hinter der Kirche. Und wir sollten schauen, ob vom Chinesenviertel in der Kuefsteingasse noch irgendetwas zu erkennen ist, ob auf der Steinhoferwiese, einem „wahren Paradies der Beinbrüche, verstauchten Kreuze und ausgekegelten Handgelenke“, noch immer so viel los ist.

Und er wollte mir bei unserer Exkursion das Café Smejkal zeigen, wo man das Bummerl um zehn Groschen ausgespielt hat. Und das 1905 als Zeltkino gegründete „Breitenseer Lichtspieltheater“, in dem er zu Beginn der 1930er-Jahre einen der letzten Stummfilme gesehen hat: „Eine schamlose Frau“ mit Greta Garbo. Und, nach dem Einbau einer Tonanlage, die großen Revue- und Operettenfilme der Ufa wie „Die Drei von der Tankstelle“ mit dem Schlager „Ein Freund, ein guter Freund“.

Hauptdarstellerin des schwungvollen Films, der von der politischen Ohnmacht jener Zeit ablenken sollte, war Lilian Harvey. Der leidenschaftliche Kinogeher Artmann erinnerte sich, dass man damals in den „Illustrierten Blättern“ lesen konnte, dass die aus den Londoner Slums stammende Schauspielerin „ihre in Armut lebenden Angehörigen von der Tür ihrer palastartigen Villa vertreiben ließ, wo sie jeden Tag in deutschem Sekt badete und ihre Fingernägel mit geschmolzenen Perlen überziehen ließ“.

Einmal wartete H. C. am frühen Nachmittag schon unten vor der Haustüre auf mich, Ecke Josefstädter Straße/Schönborngasse. Elegant, im erbsengrünen Corduroy-Twill-Trenchcoat im Raglanschnitt. Der unvermeidbare Tschik – trotz ewiger Bronchitis – zwischen den Fingern. „Soll ich vielleicht mit 79 noch zum Rauchen aufhören?“ Nach der knappen, herzlichen Begrüßung fuhr er mit dem Aufzug wieder in die Wohnung hinauf.

Er war schon zu schwach für unseren Ausflug in seine Kindheit, nach Breitensee. Drei Jahre zuvor rutschte er in der Gardasee-Villa von André Heller am spiegelglatten Parkettboden aus und brach sich das Becken. Seit damals schmerzt jeder Schritt.

Müde von einem Leben aus Euphorie und Einsamkeit, Tatendrang und Traurigkeit hat er sich ein halbes Jahr vor seinem 80. Geburtstag verabschiedet. In „Grammatik der Rosen“ nimmt er 20 Jahre davor das Ende vorweg: „ich lege ein wenig ermüdet mein binokel auf die holzbraune fläche meines fensterbrettes und sage auch als freund adieu, wer weiß, ob ihr mich verstehen könnt, aber es wäre schön, ihr tätet es … adieu!“

REISEN IM WINDSCHATTEN DER POESIE

Späte Ehrungen und ein aschenleichter Tod

Anfang Dezember des Jahres 2000 war in Wien von Adventstimmung noch nichts zu spüren. Die blonde Wetterfee erklärte im Fernsehen, dass Gumpoldskirchen sensationell 19 Grad gemeldet hat und bei uns nördlich des Alpenhauptkamms auf der „Quecksilber-Säule“ momentan um fünf Grad mehr als in Casablanca, ja, und sogar um zwölf Grad mehr als in Damaskus gemessen wurden.

H.C. Artmann litt seit Wochen unter dieser „teuflischen Witterung, diesem furchtbaren Föhn, der drückt so, mein Kreislauf ist im Eimer …“. Schon immer habe ihm der Föhn zu schaffen gemacht und Schmerzen im Knie und im Rücken verursacht. Seit Tagen hat er seine Wohnung nicht mehr verlassen. Der „freund der fröhlichkeit“, der Freund der Frauen, einer, „dem es die Poetik zwar angetan hat, mehr aber noch ein fescher Hintern“, der liebenswerte Strawanzer – in dessen Leben es immer wieder Räusche und Raufereien gegeben hat.

Ein Mann, der früher mit Grandezza als „Artmann Quirin Kuhlmann“, „Metro Goldwyn Artmann“ oder „Artmann of Arabia“ auftrat. Seine Identität und Herkunft verschleierte er gerne spielerisch, sein autobiografisches Verwirrspiel ist auch Teil seines Werkes. H. C. hat viele verschiedene Existenzen und Gesichter, Bärte und Brillen – mit Fenstergläsern.

Er wollte nicht nur ein Leben leben, er pendelte ständig zwischen Dichtung und Wahrheit, nannte sich selbst einen „Schwindler aus Überschwang“. Das fiktive Waldviertler Bauernnest St. Achatz am Walde – die Heimat des „Lyrikers Casimir Achatzhäußer“ – wurde statt der realen Wiener Vorstadt, dem nicht allzu spektakulären 14. Hieb, als Geburtsort angegeben. Dort, wo nur vier Klassen Volks- und vier Klassen Hauptschule reichten, um einer der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhunderts zu werden.

Am liebsten präsentierte sich der Bonvivant aus Breitensee als direkter Nachfahre des Grafen Dracula, als Frankenstein, Sindbad oder Detektiv Tom Parker, als „H. C. artmann, den man auch john adderley bancroft alias lord lister alias david blennerhasset alias martimer grizzleymodld de vere &c. &c.“ nennen kann.

Ein Mensch, der sich und sein Leben nie zu ernst nahm. Einer, der „a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden“ war. Ein Schriftsteller, der die Sprache liebte – ein, wie er selbst sagte, „Kuppler und Zuhälter von Worten, der das Bett bietet“. Ein Einzelgänger, der zwischen Splendid Isolation und ausschweifendem, barockem Spiel pendelte. Er lebte in einer Mischung „aus hemmungsloser Euphorie und ganz stiller Traurigkeit“. Angetrieben von zügelloser Neugier und grenzenloser Fantasie ließ er die Realität oft hinter sich.

Ein rastlos Reisender, der „auf einem großen grünen Walfisch nach der Sandwich-Insel reiten will“. Im Windschatten der Poesie sieht er sich als „Husar mit Schnauzbart“, „surrealer Grenzgänger“, „vazierender Vorstadtpoet“, „chinesischer Hofdichter“ oder „empfindsamer Lauscher an Nachtigallenschnäbeln“.

Doch seit Monaten ist er körperlich geschwächt und zu müde für die Welt draußen. Diese „ganzen Wehwehchen“ seien ihm peinlich, er möchte „stolz abtreten. Mein Tod soll aschenleicht sein. Ich möchte, wenn’s soweit ist, meine Asche verstreuen lassen … auf dem Land. In Irland oder im Waldviertel“, stellte er schon drei Jahre vor seinem Tod fest.

Für Elfriede Jelinek war Artmann „unersetzlich, der auch immer dann seine Würde bewahrte, wenn er wegen seiner Mundartdichtungen oder Steuerangelegenheiten ‚angepinkelt‘ wurde.“ Für den Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler „geht eine Epoche der österreichischen Literatur zu Ende“. Zeitungen, Magazine und Fernsehsender nehmen Abschied. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist zu lesen: „Oft schon ist der Tod des großen Pan ausgerufen worden. Jetzt ist er wirklich gestorben, neunundsiebzigjährig, am späten Montagabend in Wien.“ Und der Lyriker Raoul Schrott formulierte knapp: „Der König ist tot!“

Jahrzehnte vor seinem Tod forderte H. C. Artmann:

Waun i amoi a bangl reis

Zu deidsch: de bodschn schdrek –

I hoff es dauad no a wäu

Bis zu den leztn schrek –

Waun i daun aoesdan schdeam soit

So bit ich eich nua r ans:

Jo nu aka r eangrob aum zenträu!

I schdee ned auf so danzz …

Die Angst vor dem Ende, vor dem Tod, ist aber immer da. Der „älteste traum von der angst, die man nicht haben will, die aber dennoch durch eine hintertür in den mund steigt, sich darinnen breit macht … die angst, die man vor dem tod oder vor dem erbrechen reichlich genossenen alkohols hat.“ Genau eine Woche nach seinem Tod, am 11. Dezember, hätte H. C. Artmann während eines Mittagessens im Stammlokal der letzten Jahre, der „Frommen Helene“, gleich gegenüber seiner Wohnung, die letzte große Ehrung, das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, erhalten sollen.

Im Tagebuch „das suchen nach dem gestrigen tag oder schnee auf einem heißen brotwecken. eintragungen eines bizarren liebhabers“, einem Diarium mit Erinnerungen, Reflexionen und Überlegungen, die von einer „schillernden, unverwechselbaren Sprachhaut überzogen sind“, beschreibt sich der junge H. C. selbst. Er will beweisen, dass man Poesie auch leben kann. Es ist eine Gratwanderung zwischen Literatur, Ehrlichkeit und Fantasien.

Es sind sprachlich pointierte Bekenntnisse eines Reisenden, der erst spät Ruhe findet: „Meine heimat ist österreich, mein vaterland europa, mein wohnort malmoe, meine hautfarbe weiss, meine augen blau, mein mut verschieden, meine laune launisch, meine raeusche richtig, meine ausdauer stark, meine anliegen sprunghaft, meine sehnsuechte wie die windrose … im grunde traurig, den maedchen gewogen, ein grosser kinogeher, ein liebhaber des twist, ein uebler schwimmer … im kriege zerschossen, im frieden zerhaut, ein hasser der polizei, ein veraechter der obrigkeit … schuechtern am anfang, schneidig gen morgen, abends stets durstig … mit lissabonerinnen ueber stiegen gekrochen … mit glasgowerinnen explodiert und durchs dach geflogen … bernerinnen vergoettert, an pragerinnen herangetreten … masken verfertigt, katakomben gemietet, feste erfunden, wohnungen verloren, blumen geliebt, schallplatten verwüstet … nasen gebrochen, parapluies stehengelassen … mickey spillane gelesen, goethe verworfen, gedichte geschrieben, scheiße gesagt … alles was man sich vornimmt, wird anders als man sichs erhofft …“

Als H. C. Artmann, der inzwischen hochgeschätzte ewige Grenzgänger zwischen Realität und Fantasie, im November 1974 den Großen österreichischen Staatspreis für Literatur überreicht bekommt, stellt Minister Sinowatz den „Poeten der Gesellschaft, der immer verdächtig bleiben muss“ in eine Reihe mit Heimito von Doderer, Fritz Hochwälder und Alexander Lernet-Holenia. Der festliche Staatsakt findet im barock-prunkvollen Rahmen der Hofburg statt. Eigentlich hatte sich der Geehrte das Palmenhaus, draußen in Schönbrunn, als Ort der Verleihung gewünscht: „Aber wenigstens war meine Mutter dabei. Sie hat sich nicht neben mich in die erste, sondern in die dritte Reihe gesetzt. Und sie hat viel gelacht.“

Nachher, im Wirtshaus, meinte der Preisträger: „Morgen früh fahr ma alle raus nach Dornbach. Und besuchen den Konrad Bayer. Den Preis soll er bekommen, nicht ich. Mit dem Fiaker fahr ma raus auf ’n Friedhof und weiße Orchideen um zehntausend Schilling streu ma ihm aufs Grab. Und dann schrei ma: Konrad, kräul ausse, du Arschloch …“

AN DER BREITENSEER BASSENA

Bauchfleisch, Bösendorfer-Flügel und der Bomber der Nation

Im Jahr 1921 erreicht die Inflation mit 573 Prozent Geldentwertung einen neuen, dramatischen Höhepunkt. Banknoten im Wert von 200 Milliarden Kronen kursieren. Doch kaufen kann man sich um das viele Geld nur wenig: Ein Kilo Schweinefleisch kostet 1000, ein Kilo Speck 1700 Kronen. Wegen der uferlosen Teuerungen kommt es in Wien zu Plünderungen. Spekulanten und „Hamsterer“ beherrschen das Straßenbild.

In ganz Österreich gibt es „Hungerdemonstrationen“ – in Leoben sterben dabei fünf Menschen. In Graz demonstrieren schon im Jahr zuvor Tausende Hausfrauen gegen die horrenden Obst- und Gemüsepreise. Bei diesem „Kirschen-Rummel“ sterben 15 Menschen. Drastische Lebensmittel-Einschränkungen machen die Menschen wütend und aktiv: Anlässlich einer „fleischlosen Woche“ wird von den Behörden statt Fleisch „einmalig ein achtel Kilo Haferreis pro Person“ zugeteilt. Als dann das Gerücht kursiert, dass man wieder Fleisch bekomme, sammeln sich ab vier Uhr früh an die 10.000 Menschen vor den Toren der Großmarkthalle. Die Notvorräte – 2700 Kilogramm gefrorenes Rindfleisch, 800 Kilogramm Würste und 280 Kilogramm Köpfe und Füße vom Schwein sind innerhalb weniger Minuten verkauft. Der Zorn der Masse eskaliert: „Mehr als hundert Personen“, wird im Polizei-Protokoll vermerkt, „liefen in die Kühlanlagen, sprengten mehrere Kühlkammern und plünderten die eingelagerten Fleisch- und Fettvorräte.“

Im täglichen Kampf gegen den Hunger versucht auch das Wiener Bürgertum, irgendwie zu überleben: Mit prall gefülltem Rucksack fährt man hinaus aufs Land. Bei den Bauern im Waldviertel oder in der Buckligen Welt werden Familienschmuck gegen Eier, Perserteppiche gegen Butter und Antiquitäten gegen Bauchfleisch eingetauscht. Und so mancher Bösendorfer-Flügel aus einem Cottage-Haushalt landet als Tauschobjekt für eine Sau in Tulln.

Im Roman „Die Welt von Gestern“ beschreibt Stefan Zweig die Folgen der Rückkehr zum Tauschhandel: „Erst waren die Bauern glücklich über das viele Papiergeld, das ihnen für ihre Eier und ihre Butter ins Haus regnete. Sobald sie aber mit ihren vollgestopften Brieftaschen in die Stadt kamen, um dort Waren zu kaufen, entdeckten sie, dass die Sense, der Hammer, der Kessel, den sie kaufen wollten, unterdessen das Zwanzigfache oder Fünfzigfache im Preis gestiegen war.“

In Wien herrschen Hunger und Not, pure Verzweiflung, die Angst, ob man die nächsten Tage überleben werde. Die medizinische Versorgung ist elend, die Kindersterblichkeit extrem hoch. In der Scheinwelt von Operetten-Verfilmungen mit „süßen, schwärmerischen, duftenden Melodien“ und Dreigroschen-Romanen im Ärzte- und Aristokraten-Ambiente versucht man, kurzfristig den Sorgen zu entfliehen, das Elend des Alltags zu verdrängen.

Man versucht, das Beste aus dem Leben zu machen. Die Frauen verabschieden sich vom engen Korsett der Rollenbilder des 19. Jahrhunderts. Man betreibt Sport, entwickelt eine offenere Einstellung zur Sexualität, legt sich einen flotten Bubikopf zu und studiert die Modeseiten mit den simplen Schnittbögen zum Selberschneidern: Als „Herbstkleidchen für unsere Backfische“ wird ein „schlichtes Jumperkleid mit angesetztem Faltenrock“ empfohlen. Und „die moderne lange Jacke arbeitet man passend zum Kleid und erhält so ein hübsches Complet für die kommenden, kühlen Tage …“

Manch mutige Frau nimmt an einer Wahl zur Schönheitskönigin teil. Man braucht nur sein Foto an die Zeitung zu schicken: Beim Gewinnspiel der „Illustrierten Kronen-Zeitung“ werden anlässlich der Wahl zur „schönsten Frau des Landes“ insgesamt vier Millionen Kronen verlost.

Die Männer finden beim Fußball Zerstreuung: bei den Heimspielen von „Wacker“, „Rapid“, „Slovan“, dem „Hütteldorfer AC“ oder beim Ländermatch: Auf der Simmeringer Had schlägt Österreich vor mehr als 40.000 Zuschauern den Erzrivalen Ungarn mit 4:1 Toren. Allerdings ohne ein Tor von Josef Uridil. Jenes Rapid-Stürmers, der im Meisterschaftsspiel gegen den WAC sieben (!) Tore geschossen hat. Abends tritt der Bomber der Nation regelmäßig in einem Schwank der „Roland Bühne“ auf. Während der Pause wirbt er für Limonade und Likör, Seifen und Zuckerln. Hermann Leopoldi würdigt den geschäftstüchtigen Sportler in einem Schlager, der zum Gassenhauer wird: „Heute spielt der Uridil …“

Am 12. Juni 1921 kommt Hans Carl Artmann in der Wiener Vorstadt, im 14. Hieb, in Penzing, in Breitensee, zur Welt. In der Kienmayergasse 43. Auf Tür Nummer 8 im ersten Stock. Er wächst in einem schmalen Kabinett mit Fenster auf die Gasse auf: „meine kinderstube war zwar bescheiden ich bin bei erdäpfelsuppe und zwetschkenknödel aufgewachsen allein ich habe immer danach getrachtet ein mensch zu bleiben der nirgends aneckt …“

Der Vater ist weder „Handlungsreisender“ noch „Seemann“ – wie sich das der Sohn wünscht. Jahrzehnte später beschreibt er in den Gedichten „von der wollust des dichtens in worte gefasst“ immer wieder die Sehnsucht nach Abenteuern in weit entfernten, exotischen Ländern. Mit dem Vater gibt es schon früh außergewöhnliche Erlebnisse. Vor der Haustür in Breitensee: „vis-à-vis vom hubenyschuster, wo zu fronleichnam der erste altar steht.“ Oder „beim Österreicher oben“, wo sich in dem alten Haus ein „gefährlicher geheimgang“ befindet. Mit einem Loch, „das geht hundert meter in die erde hinunter und wasser ist auch drin. der letzte rest vom breiten see, sagt mein papa …“

1946, im Alter von 49 Jahren, stirbt Vater Johann Artmann. Im Ersten Weltkrieg granatverschüttet, sind seine Hände erfroren. Trotzdem stellt der Schuster Johann Artmann sogar Schischuhe her. Mutter Marie glaubt schon während der Schwangerschaft zu wissen, dass „mein Kind ein Dichter wird“. Und Artmann sagt später, dass er vieles von ihr habe, „… alle Wehwehchen, alles Witzige, das Treuherzige, auch das Nicht-Warten-Können, die Angst, dass etwas passiert, und das Poetische.“

Die enge Beziehung zur Mutter und geliebten Großmutter bleibt erhalten. Trotz der Schwierigkeiten mit der Welt der Erwachsenen – zwischen Breitenseer Bassena-Tratsch und tristem, aber stets sauberem Alltag. Mama Marie kocht sehr gut. „Linsen mit Knödln und am Sonntag Schweinsbraten … das hat sein müssen. Wie der Guglhupf zum Geburtstag.“

Oder es gibt Erdäpfelgulasch. Das „einzige original spezialerdäpfelgulasch der Familie Artmann. Es besteht aus drei grundelementen, zwei gewürzen und reinem wasser. Ich berechne die nötigen mengen für zwei mittlere esser:

1 kg speckige erdäpfel

30 dkg zwiebel

10 dkg würfelig geschnittenen bauchfilz

1 gehäuften eßlöffel paprika

(edelsüß und scharf zu gleichen teilen gemischt)

1 gehäuften teelöffel salz

heißes wasser

Man stelle nun zu beginn keinerlei yogaübungen an, allerdings sei man tadellos rasiert, der schnurrbart sei dem anlaß entsprechend gepflegt, man gehe noch einige minuten in den garten, betrachte das rosenrondell, erbaue sich kurz an den narzissen und schwertlilien, mache eine besinnliche runde um den teich, entwerfe tief durchatmend ein kleines gedicht. Darauf begebe man sich heiter lächelnd in die tadellos aufgeräumte küche, binde eine saubere weiße schürze vor, reinige nochmals fingernägel und hände, trockne diese mit einem vorgewärmten frottétuch, zünde die gasflamme an (kein elektroherd!), setze eine gußeiserne casserolle auf das feuer, lasse in dieser den würfelig geschnittenen bauchfilz aus. Inzwischen hat man die zwiebel feinnudelig geschnitten, füge sie bei und lasse sie in heißem fett schön goldbraun rösten. Ist man so weit, stelle man die gestaubten erdäpfelwürfel (ca. einen zoll im quadrat) dazu, rühre alles einige male um, stelle die casserolle wieder auf das feuer und warte, nach gelegentlichem umrühren, bis die erdäpfel gut blanchiert sind. Sodann nehme man die casserolle abermals vom feuer und überstreue alles mit dem paprika, rühre wieder um und gieße schließlich heißes, aber nicht kochendes wasser gerade soviel auf, dass die erdäpfel leicht bedeckt sind. Nun salze man nach geschmack und lasse das ganze zugedeckt bei kleiner flamme köcheln. Sind die erdäpfel gar, ist das gulasch praktisch fertig und kann serviert werden (suppenteller!). Wohlhabenderen leuten ist es erlaubt, dem erdäpfelgulasch noch einen schuß madeirawein beizufügen, für damen empfiehlt sich ein eßlöffel süßsaurer rahm (süßrahm mit einem spritzer limonensaft), der bei tische mit einer gabel in der gereichten portion verrührt wird. Dazu ißt man, wenn vorrätig, einige schnitten frisches kümmelbrot.“

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