Kitabı oku: «Glücklich wollen wir mit Sicherheit sein», sayfa 2
Die Lektüre von Ciceros „Hortensius“
Es gibt ein kleines, auf Englisch abgefasstes Gedicht. Es ist gewiss salopp formuliert, mit einem Schuss Humor. Der unbekannte Dichter mag gelächelt haben; aber es war ein nachdenkliches, vielleicht etwas trauriges Lächeln:
I’d like to know
what this whole show
is all about
before its out.
Es ist die Frage nach dem Sinn meines Lebens und dessen, was um mich herum vorgeht, eine Frage, die sich vielen Menschen irgendwann stellt und vor der eines Tages auch Augustinus stand.
Nach eigenem Eingeständnis beteiligte sich Augustinus am „schändlichen Liebestreiben“, das in Karthago um ihn her brodelte, bis er mit seiner Freundin zusammenzog; er suchte und fand Zerstreuung und Vergnügen im Theater. Eines Tages aber überfiel ihn die Frage, „what this whole show is all about“. Und das kam so:
Als er 19 Jahre alt war, hatte er, so sah es der Lehrplan vor, das Buch „Hortensius“ von Cicero zu lesen. „Jene Schrift aber hat zum Gegenstand die Aufmunterung zur Philosophie … Sie gab meinem Gemütsleben eine andere Richtung … Es schwand mir mit einem Schlag alle Hoffnung auf Nichtiges, mit ungemeiner Bewegung des Herzens verlangte ich nach dem Unvergänglichen der Weisheit.“
Der „Hortensius“ ist ein Dialog, den Cicero 46/45 v. Chr. geschrieben hat. Er ist leider verlorengegangen, wurde aber von den Philologen in mühsamer Kleinarbeit wie ein Puzzle rekonstruiert. Die Puzzlestücke fanden die Gelehrten bei anderen Schriftstellern, vor allem bei Augustinus, der immer wieder aus diesem Werk zitiert. Wenn auch noch Teile fehlen, so kann man sich doch ein Bild machen von der Szenerie und dem Verlauf, den die Diskussion nahm: Cicero, Hortensius Hortalus und Quintus Lutatius Catulus treffen sich und spazieren zur Villa Neapolitanum des Lucius Licinius Lucullus, der noch dem iPad-Freak als Feinschmecker bekannt ist, der die Kirsche von Asien nach Europa gebracht hat. Alle vier Herren sind gestandene Politiker. Alle vier waren für jeweils eine Amtsperiode zu Konsuln, also in das höchste Amt der Republik, gewählt worden. Zwei von ihnen hatten als Generäle große Siege erfochten: Catulus zusammen mit Marius gegen die Kimbern, Lucullus gegen den König Mithridates VI. Trotz der Anschaulichkeit des Bildes ist der Dialog eine Fiktion, denn die Herren, die Cicero als seine Gesprächspartner auftreten lässt, waren zur Zeit der Abfassung des Werkes schon tot.
Mit höflicher Bewunderung der Kunstschätze, die Lucull in seiner Villa aufgehäuft hat, beginnt das Gespräch. Auch die reiche Bibliothek des Gastgebers findet reges Interesse. Schließlich kommt Cicero zur Sache: zu Nutz und Frommen der Philosophie. Hortensius gibt den Advocatus Diaboli, was wohl dem Charakter und der Haltung des wirklichen Hortensius entsprochen hat. Er wirft den Philosophen vor, unverständliches Zeug von sich zu geben, wovon sie selbst nicht überzeugt seien und wonach sie schon gar nicht handelten. Es gäbe auch so viele Schulen, die in ihren Lehraussagen einander widersprächen, was zwangsläufig zur Skepsis führe, zur verächtlichen Ablehnung jeder philosophischen Welterklärung.
Diesen Einwänden gegenüber sucht Cicero nach einem festen Halt, einem Satz, einem Axiom, dem ein jeder zustimmen könnte. Was das ist, darüber belehrt ein Zitat aus dem Dialog, das Augustin selbst in dem Gespräch „Über das glückliche Leben“ überliefert, eines der Puzzleteile, welche die Philologen zusammengesetzt haben: Cicero habe mit einer sicheren Sache, worüber keiner Zweifel äußern könnte, seine Erörterungen begonnen. Er habe nämlich gesagt: „Sicherlich wollen wir alle glücklich sein“. Nun gibt es viele Meinungen darüber, welches der rechte Weg zum Glück sei. Cicero warnt vor den Wegen, die in die Irre führen. Das, was die Fortuna, die Glücksgöttin, ein zufälliges Schicksal, den Menschen in den Schoß wirft: Reichtümer, Ruhm in der Gesellschaft, sinnliche Vergnügungen, schenkt nicht die ersehnte Glückseligkeit, denn der Mensch lebt in der ständigen Furcht, diese Dinge wieder zu verlieren. Furcht und Glück aber schließen sich aus.
Unverlierbar ist das Streben nach Weisheit. Weisheit aber definiert Cicero als Wissenschaft von den göttlichen und menschlichen Dingen und ihrer ursächlichen Zusammenhänge. Damit behauptet er, dass die Weisheit eine umfassende Welterklärung bieten könne und damit auch eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, glaubt aber nicht, dass diese Weisheit je zu erreichen sei. Im blanken Streben nach ihr besteht das Glück.
Augustinus las den Hortensius „wieder und wieder“ und er „brannte“ darauf, sich aufzuschwingen, „weg vom Irdischen“, hin zu Gott. „Denn ‚ihren Sitz hat die Weisheit bei dir‘ (Ijob 12,15 f); Liebe zur Weisheit aber besagt das griechische Wort Philosophie, und zu dieser Liebe entflammte mich jene Schrift.“
Nur eines störte ihn: Der Name Christi kam in Ciceros Schrift nicht vor. Sicher war er nicht so naiv zu glauben, dass in einem Buch, das etwa 50 Jahre vor Christi Geburt geschrieben worden ist, Jesus hätte erwähnt werden können. Vielmehr hoffte er, dass Christi Lehre, die er „schon mit der Muttermilch getrunken“, in den Rahmen des Hortensius passen, Ciceros Gedanken erweitern, an Stelle von dessen skeptischem Zweifel Sicherheit setzen könnte. Sah er doch auf vielen Sarkophagen Christus dargestellt als Lehrer, umgeben von einer Schülerschar, als die Weisheit, die dem, der sie besitzt, das Glück schenkt.
Er griff nun zur Heiligen Schrift, legte sie aber enttäuscht zur Seite. Die Bibel erschien ihm „unwürdig, mit der Würde des Ciceronischen in Vergleich zu treten; ja, mein geschwellter Pathos sträubte sich wider ihre unscheinbare Weise, und meine Sehkraft reichte nicht in ihr Inneres hinein“.
Trotz der Anregungen, die er durch den „Hortensius“ empfangen hatte, lebte er zunächst weiter wie bisher. Er lechzte weiterhin nach Ruhm, gab er in den „Bekenntnissen“ zu, „nach Gewinn, nach Ehe“. Und schon schien ihm ein ehrenvoller Posten zu winken – „was sollte man sich darüber hinaus wünschen? … eine Ehefrau mit etwas Vermögen, um die Ausgaben nicht zu sehr zu belasten …“
Später spricht er von dem Hafen der Philosophie, von dem aus man an Land gehen könne an das Land der Glückseligkeit. Er aber fand den Weg nicht, weil Nebel ihm die Sicht nahmen und er den Stand der Gestirne falsch deutete.
Manichäer
Der Nebel, der ihn den rechten Weg zum Hafen nicht finden ließ, war der Manichäismus, dessen Stifter, Mani, 216 im Zweistromland geboren, von sich selbst sagte, dass er Apostel Jesu Christi sei nach dem Willen Gottes, des Vaters der Wahrheit, dessen Anhänger sich als die wahren Christen betrachteten. Bei ihnen fand Augustinus den Namen Christi. Es mag ihn wohl auch angezogen haben, dass die Manichäer das Alte Testament ablehnten, nicht als göttlich inspiriert anerkennen wollten. Sie stürmen, so schrieb er als Bekehrter in dem Buch „Über die Sitten der katholischen Kirche“, ebenso unverständig wie unfromm gegen das Gesetz an, das sogenannte Alte Testament, sie blähen sich auf „in eitler Prahlerei unter dem Beifallsgeklatsch unverständiger Menschen“. Dabei habe doch Christus, Gottes Weisheit, gesagt: „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,40). Er, Jesus, zitiert also das Alte Testament, vollendet es. Damals aber, als Augustinus die Bibel zu lesen versuchte und sie, von der Lektüre enttäuscht, mürrisch zur Seite legte, stießen ihn wohl die Geschichten vom Betrug Jakobs ab, der dann seinerseits von seinem Schwiegervater Laban gemein betrogen wurde, der, obwohl er doch schon zwei Frauen hatte, mit der Magd Silpa einen Sohn zeugte, von Tamar, die sich als Prostituierte verkleidete, um ihren Schwiegervater Juda zu verführen, von der Dirne Rahab, die die Späher der Israeliten in ihrem Haus in Jericho verbarg.
Manichäische Gedanken tauchten im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder auf: im 11. Jahrhundert bei den Bogomilen auf dem Balkan, im 12. Jahrhundert bei den „guten Christen“, die von ihren Gegnern Katharer genannt wurden, wovon sich das Wort Ketzer ableitet. Bogomilen und Katharer lehnten das Alte Testament als Beschreibung eines bösen Schöpfergottes ab. Ein hässlicher Seitentrieb des Baumes blühte noch im 20. Jahrhundert: Im November 1933 hielten die sich den Nationalsozialisten anbiedernden Deutschen Christen einen Kongress im Berliner Sportpalast ab, auf dem Reinhold Krause ein „artgemäßes Christentum“ verlangte, eine neue deutsche Volkskirche. Der erste Schritt dazu sei „die Befreiung von allem Undeutschen im Gottesdienst …, Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral, von diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten“. Lassen schon diese Worte erkennen, aus welchem Schoß die Lehre kroch, so wurde Krause in seiner Rede noch deutlicher: „Wenn wir Nationalsozialisten uns schämen, eine Krawatte vom Juden zu kaufen, dann müssten wir uns erst recht schämen, irgendetwas, das zu unserer Seele spricht, das innerste Religiöse vom Juden anzunehmen“. Dieser hasserfüllte Antisemitismus war natürlich nicht das Motiv, das die Manichäer zur Ablehnung des Alten Testaments bewegte.
Neben der Abneigung gegen „Viehhändler- und Zuhältergeschichten“, eine Abneigung, die Augustinus mit den Manichäern teilte, fand er bei ihnen die Antwort auf die Frage, woher das Böse stamme und was sein Wesen sei, bei ihnen fand er eine angeblich rationale Welterklärung, die Antwort auf die Frage, „what this whole show is all about“. Sechzehn Jahre später, im Buch über den freien Willen, schrieb Augustinus: „Sag mir, warum wir Böses tun! Du regst die Frage an, die mir im Jugendalter viel zu schaffen machte und mich nach vieler Qual zu den Manichäern trieb und niederzog.“
Mani lehrte, dass es zwei Urprinzipien gäbe, zwei gleichewige Reiche, das des Lichtes, dessen Herrschaft Gott der Vater innehat, und daneben „das Land der Finsternis, in dem feurige Körper“ wohnen, „Verderben bringende Geschlechter“. Das Böse ist also eine ewige kosmische Kraft, nicht Ergebnis eines Sündenfalls. In der Zeit des Anfangs waren die beiden Reiche getrennt.
Ein unendlich komplizierter Mythos erzählt von der mittleren Zeit, in der die beiden Urprinzipien in einem Krieg, den natürlich das Reich der Finsternis vom Zaun gebrochen hat, gegeneinander kämpfen und sich vermischen. Kosmos und Welt haben in dieser mittleren Zeit ihren Ursprung und auch die Menschen, die „von gewissen Archonten, Dämonen, aus dem Geschlechte der Finsternis geschaffen wurden …, damit das Licht von ihnen, den Menschen, festgehalten würde und nicht entweichen könne.“ Im Menschen ist also Licht gefesselt, Göttliches, die Seele. Er weiß es aber nicht. Das Wissen bringt ihm Jesus, der Leuchtende. Jesus ist zwar der Leuchtende, ist aber nicht wirklich Mensch. Er ist des materiellen Leibes, des Leibes aus Fleisch und Blut entkleidet, hat nur einen Scheinleib.
Wie das Licht, das im Menschen, aber auch in anderen Teilen der Schöpfung eingeschlossen ist, befreit werden kann, das lehrt die manichäische Ethik, deren Gebote ein arabischer Schriftsteller des 10. Jahrhunderts, an-Nadīm, aufzählt: Die Sinnenlust und die Habgier sind zu bezähmen, das Essen von Fleisch, das Trinken von Wein und die eheliche Vereinigung muss unterlassen werden, auch darf man dem Feuer und dem Wasser keinen Schaden zufügen und hat man die Zauberei und die Heucheleien zu meiden. Diese Vorschriften sind aber nur von den Auserwählten zu beachten, den Electi. Von den übrigen Anhängern der Religionsgemeinschaft, den Hörern, Auditores, sagt al-Nadīm: „Wenn einer aber die Religion zwar liebt, aber über die Sinnenlust und Habgier nicht Herr werden kann, dann möge er Gewinn in jeder Beschützung der Religion und der Rechtschaffenen suchen und möge an Stelle seiner schlechten Taten Zeiten haben, in denen er gute Werke, fromme Dankbarkeit, Wachen, Fürbitte und Demut übt.“
Bauern und Handwerker quälten nach dieser Lehre das in Acker und Pflanze, in Stein und Eisen eingeschlossene Licht, wenn sie arbeitend ihrem Beruf nachgingen. Sie vollbrachten aber gute Werke, wenn sie den Erwählten Nahrung reichten. Augustinus schildert das in den „Bekenntnissen“: Er habe denen, die man die Auserwählten und Heiligen nannte, Speise zugetragen, aus der sie ihm in ihrer Bauchküche Engel und Götter zubereiten würden, die ihn befreien sollten. Ich „glaubte, wenn man eine Feige pflückte, so weinten sie und ihr Mutterbaum milchige Tränen; äße aber ein ‚Heiliger‘, ein Erwählter, die Feige, die natürlich von fremder, nicht der eignen Frevelhand gepflückt sein musste, so werde sie seinem Inneren anvermischt, und er enthauche beim Seufzen im Gebet und beim Rülpsen Engel oder vielmehr Teilchen Gottes.“
Diese Teilchen Gottes sammelten sich auf dem Mond, ließen ihn zunehmen. Wenn er abnahm, gab er die Gottesteilchen an die Sonne ab, von wo sie wiederum in das Paradies flogen. So würde der ursprüngliche Zustand der Trennung von Licht und Finsternis wiederhergestellt. Der letzte Akt dieser Trennung würde ein neuerlicher Krieg zwischen Licht und Finsternis sein. Das Böse würde eingeschlossen werden in eine Kugel und nie mehr das Reich des Lichtes angreifen können.
Lehrer der Rhetorik
Inzwischen hatte Augustinus das Studium in Karthago beendet und unterrichtete Rhetorik in seiner Heimatstadt Thagaste. Während er also in Karthago Cicero las, sich der Philosophie näherte, war er zugleich überzeugter Manichäer, was unter den Intellektuellen der Zeit als schick galt. Wie die Sektierer jeder Couleur versuchte auch er geschwätzig Menschen zu seiner Ansicht zu bekehren. Seiner Mutter Monnica ging er so auf die Nerven, dass sie ihm das Haus verbot. Erst als sie durch einen Engel im Traum getröstet wurde und ein Bischof, der ihrer Klagen schon ein wenig überdrüssig geworden war, ihr sagte: „Nun geh und lass mich! So wahr du lebst, es ist unmöglich, dass ein Sohn solcher Tränen verlorengeht“. Auf diesen, wenn auch vielleicht etwas mürrisch gegebenen Trost hin nahm sie ihn wieder auf. Zuvor hatte er bei seinem Gönner Romanianus Unterschlupf gefunden, den er dann auch zum Manichäismus bekehrt hatte. Der Freund Alypius ließ sich ebenfalls von Augustins Ansichten überzeugen. Ebenso folgte ihm ein junger Mann, der ihm aus seiner Kindheit bekannt war, mit dem er in die Schule gegangen und mit dem er gespielt hatte. Jetzt schloss er mit ihm, dessen Namen er nie nennt, innige Freundschaft.
Dieser Freund erkrankte am Fieber, lag geraume Zeit bewusstlos, „und da man ihn schon aufgab, ließ man ihn taufen“. Er überstand die Krankheit und als sie wieder miteinander reden konnten, machte Augustinus sich über die Taufe lustig, weil er sich sicher war, dass auch der andere das, was in seiner Bewusstlosigkeit an ihm geschehen war, nicht ernst nehmen würde. Jedoch erschauerte der Freund vor ihm „wie vor einem Feind, und mit erstaunlichem, jähem Freimut verbat er sich solches Gerede“. Augustinus war verblüfft, glaubte, der andere würde, wenn ganz gesund, sich der alten religiösen Überzeugung wieder zuwenden. „Allein er ward meinem Aberwitz entrissen, um in Dir, Gott, bewahrt zu sein zu meiner Aufrichtung.“ Wenige Tage danach erlitt der Freund einen Rückfall und starb.
Augustinus war vor Schmerz außer sich, die Heimat wurde ihm zur Qual, da jede Straße, jeder Platz, jedes Haus, in dem sie sich aufgehalten hatten, Erinnerungen wachrief, die ihn peinigten. Eine zerrissene und blutende Seele schleppte er mit sich herum, weswegen er den Schmerzen nicht entfliehen konnte, denn er konnte nicht seiner Seele, nicht sich selbst entfliehen. Gleichwohl floh er, floh aus der Heimat, verließ Thagaste und ging nach Karthago.
Wieder in Karthago
Die Zeit heilte seine Wunde, die neue Umgebung brachte neue Eindrücke und neue Freunde, was er im Vierten Buch der „Bekenntnisse“ schildert, neue Freunde, die liebten, was er liebte, „die ungeheuerliche Fabelei“ und „das weitschichtige Truggeschwätz“, die Lehren Manis, des angeblichen Apostels Jesu Christi. Stärker aber als der gemeinsame Glaube zogen andere Dinge sein Gemüt zu den Freunden:
„mitsammen plaudern und mitsammen lachen und sich einander gefällig erzeigen;
gemeinsam schöne Bücher lesen, gemeinsam scherzen …
bisweilen unterschiedlicher Meinung sein, ohne sich deswegen zu hassen …
einander belehren und lernen voneinander;
die Ausbleibenden schmerzlich vermissen, die Erscheinenden herzlich begrüßen …“
Das ist es, was Freundschaft ausmacht, und daher die große Trauer, wenn ein Freund stirbt. Noch einmal reflektierte er so seinen furchtbaren Schmerz über den, den er verloren hatte: Er habe seine Seele in den Sand gegossen, indem er einem Sterblichen seine Liebe zugewandt habe, als ob der niemals sterben müsste. Selig preist er den, der Gott liebt und den Freund in Gott und den Feind um Gottes willen. „Denn der allein verliert keinen Teuren, dem alle teuer sind in dem, den man nicht verliert.“
Seine Freunde waren wohl alle Manichäer, so manchen von ihnen hatte er für die Lehren der Sekte gewonnen. Ihn selbst aber beschlichen Zweifel an Manis komplizierten Mythen, und wenn er mit Gesinnungsgenossen darüber sprach, dann vertrösteten sie ihn auf die Ankunft eines gewissen Faustus, eines Bischofs der Manichäer. Dem eilte der Ruf großer Gelehrsamkeit voraus.
Wie mehrmals an Wendepunkten seines Lebens leitet Augustinus die Erzählung in den „Bekenntnissen“ mit einer Altersangabe ein: „Im Angesichte meines Gottes will ich offen von jenem neunundzwanzigsten Jahre meines Lebens reden“ – wir stehen also im Jahr 383 –, als der ersehnte Faustus nach Karthago kam. Augustinus fand in ihm einen freundlich-liebenswürdigen Mann, der gefällig zu reden wusste, so dass man ihm gerne zuhörte. Unser Held aber achtete weniger auf die Form als vielmehr auf den Inhalt dessen, was Faustus zu sagen hatte, und das konnte ihn nicht recht überzeugen. Augustinus hatte viel gelesen, kannte die damals gängigen Theorien über die Bewegung der Gestirne, wusste, dass man Sonnen- und Mondfinsternisse genau vorausberechnen konnte, und die Ansichten der Gelehrten kamen ihm plausibler vor als die „weitschweifigen Geschichten“ der Manichäer. Ihre Lehre, dass der Mond zunehme, weil ihm das aus der Welt befreite Licht zuströmte, und abnehme, wenn er das Licht an die Sonne abgebe, ließ sich auch mit den damaligen Erkenntnissen der Naturwissenschaften überhaupt nicht vereinbaren.
Augustinus war auch bald überzeugt, „dass Faustus in den Wissenschaften … nichts verstand“, was er auch unumwunden zugab. Also ging er dazu über, im Verkehr mit Faustus dessen Bildung zu fördern. Der war interessiert, und so las Augustinus, damals „schon Lehrer der Beredsamkeit“, „was er, Faustus, auf Hörensagen hin zu kennen wünschte“ oder was nach Augustins Urteil für eine solche Veranlagung das Passende schien.
Trotz seiner Zweifel blieb er Manis Religion treu. Er wollte sich einstweilen zufrieden geben, „bis vielleicht irgendein Licht erschiene, das besser für mich wäre“. Vielleicht haben ihn die hochpoetischen Psalmen wie der folgend zitierte, die in den von ihm treu besuchten manichäischen Gottesdiensten gesungen wurden, beeindruckt und gefesselt:
Ich habe die ganze Welt durchstreift,
ich habe bezeugt alle Dinge, die in ihr sind.
Ich sah alle Menschen
laufen in Nichtigkeit.
O wie groß sind das Unglück und die Raserei der Finsternis
mit der sie gefesselt sind,
weil sie Gott vergessen haben,
der kam und sich für sie in den Tod gab!
…
Jetzt rufe ich zu dir in der Bedrängnis meiner Seele,
damit du dich meiner erbarmst,
denn die Mächte des Himmels und der Erde,
sie wollen mich verschlingen.
Es mögen aber auch eigensüchtige Gründe eine Rolle gespielt haben, die ihn in der Glaubensgemeinschaft festhielten. Er wollte beruflich vorankommen, und dazu waren damals wie heute Beziehungen nützlich, die ihm das manichäische Netzwerk durchaus bot, wie sich später zeigen sollte. Emsig arbeitete er an seiner Karriere: Er hatte in Karthago den städtischen Lehrstuhl für Rhetorik inne, hielt öffentliche, nicht nur für seine Studenten bestimmte Vorträge, er nahm an Dichterwettbewerben teil und wurde als Gewinner vom Proconsul Vindicianus, dem er freundschaftlich verbunden blieb, für seine Kunst mit dem Lorbeerkranz geehrt. Sein Ehrgeiz gab sich mit Karthago nicht zufrieden. Er strebte nach Rom, das zwar nicht mehr Residenz der Kaiser, dennoch aber Hauptstadt des Reiches war, Stolz seiner Bürger. Ein Buch über das Schöne und Angemessene, das verloren ist, widmete er dem römischen Rhetor Hierius, den er nicht kannte, den er aber kennenzulernen hoffte, damit der ihm den Weg nach Rom ebne.
Nicht die Aussicht auf ein höheres Einkommen zog ihn nach Rom, auch nicht die Mehrung seines Ansehens, so behauptete er wenigstens, gab aber im selben Atemzug zu, dass auch dies bei seiner damaligen Einstellung etwas Verlockendes hatte. Nein, er wollte nach Rom ziehen, weil er gehört hatte, dass die Studenten dort disziplinierter seien als die in Karthago. In Karthago nämlich drangen junge Leute „wild und frech“ in die Hörsäle auch der Professoren, bei denen sie gar nicht Schüler waren, und brachten wie „eine Horde von Rasenden“ „die Ordnung durcheinander, die der einzelne Lehrer … eingeführt hatte“.
Monnica, „die meinen Weggang leidenschaftlich beklagte und mich bis ans Meer hinaus begleitete“, wollte ihren Sohn festhalten, „um mich wieder heimzubringen oder mit mir zusammen abzureisen“. Er aber gab vor, einem Freund Gesellschaft leisten zu wollen, „bis ihm die aufkommende Brise die Seefahrt verstatte“. Er konnte die Mutter überreden, in der Kapelle des hl. Cyprian, des großen Bischofs und Martyrers, des Schutzpatrons Karthagos, betend die Nacht zu verbringen. Er selbst bestieg heimlich das Schiff und setzte über nach Italien. Es war, wie er später wohl sah und beklagte, eine grausame und niederträchtige Art, sich von der besorgten Mutter zu verabschieden. Das geschah im Herbst des Jahres 383.
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