Kitabı oku: «KISHOU I», sayfa 4

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Die kommenden Tage verbrachte Kishou zumeist im Garten. Stundenlang saß sie in gebührendem Abstand vor der Hecke und beobachtete sie, als würde sie erwarten, dass sie ihr das Geheimnis ihrer Kehrseite verraten würde.

In den vielen Geschichten, die ihr Trautel Melanchful erzählt hatte – beim Frühstück, beim gemeinsamen Essen, und vor allem vor dem Einschlafen, kamen immer wieder auch fremdartige Tiere vor – einfache und wunderliche Wesen, wie sie in ihrem Garten nie zu finden waren. Vielleicht gab es sie ja alle auf der anderen Seite? Vielleicht würde sie dort draußen gar dem Tikkelmann begegnen, der in den Geschichten von Trautel Melanchful immer wieder einmal auftauchte.

Der Tikkelmann war ein sehr neugieriges Zwergenwesen – allerdings von hochgewachsener und schlaksiger Gestalt. Und weil er so garnicht Zwergenhaft war, wurde er oft gehänselt und verlacht. So zog er es vor, sein Dorf zu verlassen, um durch die Wälder zu ziehen. Er nahm sich vor, alle Tiere zu zählen, die es in seiner Welt gab.

Immer, wenn er mal für eine Zeit keines fand, dachte er, dass er nun die Anzahl aller Tiere kennen würde – aber dann entdeckte er doch immer wieder noch Eins. Und obwohl er nun traurig war, dass er seine Aufgabe noch immer nicht erfüllt hatte, war er doch gleichzeitig wieder erleichtert. Denn was sollte er tun, wenn er die Zahl aller Tiere kennen würde?

Ein kleines Lächeln umspielte das gespannte Gesicht Kishous, denn ihr fiel ein, dass auch sie immer froh war, dass der Tikkelmann seine Aufgabe nicht erfüllen konnte – denn immerhin erlebte er auf seinen langen Wanderungen immer die lustigsten und spannendsten Abenteuer. Und wenn er nun tatsächlich alle Tiere gezählt hatte? ...

Vielleicht ... ging es Kishou durch den Kopf, ... ist es ja gar nicht die Aufgabe des Tikkelmanns, alle Tiere zu zählen. Vielleicht verbirgt sich seine eigentliche Aufgabe gar in den vielen Abenteuern – und vielleicht war er ja deshalb so anders als alle anderen Zwerge, damit er sich zur Aufgabe machen konnte alle Tiere zu zählen – damit er deshalb letztlich auf diese Weise all die Abenteuer erleben konnte. Also wenn er nicht meinen würde, dass es seine Aufgabe wäre, alle Tiere in seiner Welt zu zählen …

Es war nur ein kleiner Moment der Ablenkung – ein kleiner Ausflug in die unbeschwerten Geschichten Trautel Melanchfuls. Nein – den Tikkelmann würde sie dort draußen nicht finden. Dort wartete etwas anderes, und es erwartete sie – Kishou.

Etwas hatte sich in ihr verändert sein jener Nacht – wenngleich sie keinerlei Erinnerung an irgendetwas hatte, so war doch etwas in ihr erwacht, dass die Vertrautheit des Unausweichlichen in sich barg.

Still saß sie da im hohen Gras, und beobachtete die Verschwiegenheit der undurchdringlichen Hecke – die seltsamerweise immer so aussah, als wäre sie gerade frisch beschnitten worden. ...

So vergingen die Tage vor dem Aufbruch fast wortlos. Nur einmal fragte Kishou, was denn ein ,Nin’ wäre, mit dem Trautel Melanchful sie in jener Nacht bezeichnet hatte.

Aber die Alte lächelte nur geheimnisvoll. „Wenn die Zargen deines Schlüssels vollendet in dir entdeckt sind, und er seine Aufgabe erfüllt hat – dann wirst du dich erinnern.“

Sie gab es auf, weitere Fragen zu stellen. Sie fragte nicht einmal nach, was Zargen sind. Es gab zu viel des Neuen, Unbekannten – und zu wenig Zeit der inneren Vorbereitung.

Trautel Melanchful wusste, was in Kishou vor sich ging, und störte sie nicht, wenn sie nun immer wieder lange im Garten saß und zur fernen Hecke hinüberschaute. Immer wieder spürte Kishou, wie die Angst vor dem, was nun vor ihr lag, ihr den Hals zuschnürte, und gleichzeitig spürte sie in sich ein seltsames Gefühl der Befreiung – die Furcht, die sie ein Leben lang schon begleitete, hatte nun endlich einen Namen.

Fast begann sie schon Lust auf das große Abenteuer zu verspüren – aber dann kam eben tatsächlich der Tag des Aufbruchs.

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Kishou verschlang ihr Frühstück, als wäre zu befürchten, dass sie nie wieder etwas bekommen würde. Was sie aber keinesfalls daran hinderte, ihre nun doch wieder aufkommenden Zweifel aus ihrem Mund herauszulassen, wie sie zeitgleich Milch und Brot in denselben hineinstopfte. „Lebt denn da niemand? ... ich meine – können die das nicht alleine machen? ... und überhaupt: Die sind doch zugeschlossen – die Tore – hast du gesagt. Ich meine, wie soll ich die denn aufkriegen? Die Tore sind bestimmt ziemlich groß und ... na ja ...“

Trautel Melanchful kramte lächelnd in der Tasche ihrer verblichenen Schürze, und legte ihr das seltsame Ding vor den Teller, das sie in jener Nacht aus der kleinen Truhe gefischt hatte.

„Du hast einen Schlüssel!“

Kishou verstummte für einen Moment und hielt sogar mit dem Kauen inne. Unwillig betrachtete sie den seltsamen Gegenstand.. „Das soll ein Schlüssel sein?“, nörgelte und kaute sie bald weiter. „Der hat ja nicht mal einen Bart. Das wichtige an einem Schlüssel ist der Bart – hast du mir mal gesagt! Der hat aber keinen. Da kann doch jeder mit einem Stock ....“

Trautel Melanchful lächelte fast amüsiert über die mauligen Einwände Kishous, die offenkundig nur der Ablenkung dienten. „Er hat einen Bart – einen sehr Besonderen, denn sein Schloß ist nicht geschmiedet! Du kannst ihn noch nicht sehen, weil du noch nichts von ihm weißt!“ Sie verließ die Küche, um bald mit einem kleinen Nähkästchen zurück zu kehren, während Kishou ungläubig das seltsame Ding – und vor allem seinen kristallenen Schafft – von allen Seiten untersuchte. „Der Weg wird dich lehren, ihn zu entdecken!", wurde sie noch einmal belehrt, während Trautel Melanchful nun begann, ein Band aus blauer Seide durch die filigranen Verstrebungen seines großen Knaufs zu ziehen. Mit einem soliden Knoten verknüpfte sie die beiden Enden des Bandes. „Solange achte gut auf ihn und sein Geheimnis. Wenn er verloren ist, ist alles verloren!“

„Aber dieser ... diese Sul Kral ... ich meine, wenn die das mitkriegt ? Ich meine ... die ist doch so stark, wie du gesagt hast ...“

„Suäl Graal!“, wurde sie von der Alten unterbrochen. „Ja das ist wahr. Suäl Graal ist sehr mächtig.“

„... na, und sie wird bestimmt nicht wollen, dass ich die Großen Tore der Großen Wasser aufmache!“

Trautel Melanchful lächelte ein seltsames Lächeln. „Nein, das wird sie ganz bestimmt nicht wollen!“

„Und wenn sie nun versucht, mich daran zu hindern?“, fragte Kishou, obwohl alles in ihr die Antwort fürchtete.

„Das wird sie!“, antwortete Trautel Melanchful mit dem selben seltsamen Lächeln. „Sie wird es mit allen ihren Möglichkeiten!“

Es war genau die Antwort, von der sie gehofft hatte, dass sie ihr erspart bliebe. Nun war es ihr doch wieder sehr mulmig. Sie hörte zu Essen auf, und begann sich nervös am Bäuchlein zu kratzen.

„Aber ... aber ...“, stammelte sie „... dann kann ich das doch nicht machen ...“

„Doch, du kannst!“

„Sie wird mich gleich am Anfang finden und ...“

„Ja, das wird sie!“

„Sie wird sich an mir rächen ...“

„Sie wird nichts unversucht lassen!“

„Und sie wird mich vielleicht sogar ...“ Sie wagte den letzten Gedanken nicht auszusprechen und schluckte heftig.

„Sei jeder Zeit darauf gefasst!“

Kishou verstummte. Ihr Gesicht verlor von einem Augenblick zum Anderen jegliche Farbe, und es schien ihr, als wollte das Frühstück sie sofort auf dem selben Wege verlassen, wie es in sie hineingekommen war. Nichts schien plötzlich mehr übrig von dem Mut und der Ruhe, die sie in den letzten Tagen verspürt hatte. Was immer nur eine Ahnung, dann eine Vorstellung war, wurde nunmehr Gewissheit. Die Stunde des Aufbruchs war da. Und es konnte nichts mehr sein, wie es einmal gewesen ist ...

Trautel Melanchful strich Kishou über den Kopf und nahm sie in die Arme.

„Da waren manche Zeiten, als es dir so erging.

Zeiten des Verweigerns, wo doch keine Kraft dafür war.

Zeiten der Flucht, wo es doch kein Entrinnen gab,

und Zeiten des Kampfes, der unverstanden

doch nicht zu gewinnen war.

Vieles hast du erfahren,

in all der Zeit.

Schon weit führte dein Weg,

in den vergangenen Zeiten

Alles wirst du erinnern,

in der kommenden Zeit.

Nichts wird dich nunmehr aufhalten können.

Dies ist die Zeit.“

Kishou hörte nicht, was die Alte sagte. Sie hätte wohl auch nichts davon verstanden. Es waren nicht die Worte Trautel Melanchfuls, die auf seltsame Weise in sie eindrangen. Es war eine andere Kraft, die von den Worten getragen wurde, wie ein Wind den mächtigsten Vogel aufsteigen lässt.

In ihr waren nur noch Empfindungen. Eine ihr bis dahin unbekannte unendliche Ruhe begann sich in ihr auszubreiten. Die Ruhe eines mächtigen Berges, der in Erfahrenheit der vielen Zeiten alles Wissen in sich barg. Eine unüberwindliche Kraft, wie sie nur in der tiefen Ruhe der Erfahrenheit der Zeiten aufgehoben sein kann. ... Nein, es war eigentlich nicht wirklich so, dass Trautel Melanchfuls Arme sich schützend um Kishou legten – vielmehr barg Kishou Trautel Melanchful in ihre schützenden Arme ... War es jemals anders gewesen?

„Entschuldige!“, hauchte sie Trautel Melanchful ins Ohr. „Es sind so viele Gefühle in mir. Ich habe noch keine Macht über sie.“

„Ja!“, flüsterte Trautel Melanchful.

Es dauerte noch eine Zeit, bis die Alte sie wieder aus ihren Armen entließ. Kishou stand seltsam still und ohne jede Bewegung, und ihr Blick schien in die Unendlichkeit zu fallen. Trautel Melanchful nahm das seidene Band mit dem Schlüssel und legte es ihr um den Hals.

Kishou zuckte etwas zusammen, als der schwere Schlüssel an ihre Brust fiel. Etwas irritiert, als wäre sie aus einem Tagtraum erwacht, schaute sie auf ihn herab. „Du hast mir von der Sippe der Chemuren erzählt, und dass sie mir helfen werden, ins Vierte Tal der Vierten Ebene des Vierten Droms zu kommen. Wo werde ich die denn finden?“, fragte sie noch immer etwas abwesend, während einer ihrer Finger prüfend über den bartlosen Schafft des Schlüssels strich.

„Du wirst zur rechten Zeit auf sie treffen, mach dir darum keine Gedanken. Das erste Drom, das du durchqueren wirst, ist das Drom der Ky. Es wird dir fremd erscheinen, denn noch ist keine Erinnerung in dir von diesem Land, und du kennst nicht sein Geheimnis. Doch denke immer daran: Man fürchtet nur solange etwas, wie man es nicht versteht! Dort, in dessen Erster Ebene des Ersten Tals wirst du auf Boorh treffen!“

Kishous große, schwarze Augen klappten nach oben. „Das ist einer von der Sippe der Chemuren?“, vergewisserte sie sich.

„Ja!“, bestätigte Trautel Melanchful.

„Wie kann ich ihn erkennen?“

„Er wird dich erkennen!“ Trautel Melanchfuls Gesichtsausdruck hatte plötzlich etwas regelrecht Verschmitztes an sich, was nur höchst selten bei ihr vorkam. „Sei nicht ungerecht mit ihm, er ist zuweilen etwas ungestüm ...“

„Wie meinst du das?“, wollte Kishou wissen.

„Nun ja – du wirst sehen.“ wich die Alte aus. „Er ist sehr stark, und du wirst sehr viel von ihm erfahren!“

„Aber der ist doch in Ordnung, oder?“, fragte Kishou nun doch etwas beunruhigt – das verschmitzte Lächeln Trautel Melanchfuls war ihr natürlich nicht entgangen.

Die Alte kicherte nun schon fast. „Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Und wenn ich dich so anschaue ...“ Sie nahm Kishou bei den Schultern und betrachtete sie wohlwollend. „Es wird nichts geben, was er nicht riskieren würde, um dich zu schützen. Du kannst ihm vertrauen!“. Sie machte sich nun daran, ein Bündel für Kishou zu schnüren, das sie bequem um der Schulter tragen konnte.

Etwas resigniert wollte sich Kishou daran machen, den Tisch abzuräumen. Jede Frage, die sich ihr stellte, schienen seit einigen Tagen eher tausend neue Fragen zu erzeugen, als auch nur eine davon wirklich zu beantworten ...

„Lass es nur stehen!“, meinte Trautel Melanchful. „Es wird mich eine Weile an Dich erinnern!“

~

Die groben Steine, die ursprünglich wohl einmal einen Weg durch das hohe Gras des Gartens bereitstellten, waren lange nicht mehr sichtbar. Nur die Füße spürten, dass hier wohl einmal fester Boden gewesen sein musste, und ertasteten sich den Weg durch das üppige Geflecht. Als dann bald schon die alles umspannende Hecke des Gartens zwischen Büschen und Bäumen in der Ferne auftauchte, war nicht mehr schwer zu erraten, wohin der unsichtbare Weg führte.

Wie eine unüberwindliche Mauer kündigte sie sich in ihrer dichten und klaren Gradlinigkeit an – das war wirklich erstaunlich, zumal weder Trautel Melanchful noch Kishou jemals das wachsende Ungefüge des Gartens versuchte aufzuhalten. Sie erfreuten sich vielmehr an der scheinbar planlosen Eroberung der Natur in ihrer kleinen Welt. Es gab immer wieder Neues zu entdecken, und nichts blieb, wie es war. Im Laufe der Zeit hatte allerdings die Üppigkeit sichtbar nachgelassen, weil der große Tümpel des Gartens immer weniger Wasser beherbergte.

Hinter dem Haus gab es einige Beete mit Gemüse, und sogar eine kleine Parzelle mit verschiedenen Getreidesorten war dort zu finden. Auch drei Ziegen waren da, um all das mussten sie sich natürlich kümmern – und das war schon aufwendig genug …

'Wirkliche Grenzen sind immer klar und eindeutig!', sagte Trautel Melanchful einst zu Kishou, als sie endlich lange genug in dieser Welt war, um ihrer Verwunderung über dieses und jenes innerhalb des Überschaubaren Ausdruck zu verleihen, '... und dies ist eine wirkliche Grenze!', hatte sie geschlossen.

Es gab zu jener Zeit noch tausenderlei andere Fragwürdigkeiten in der kleinen Gartenwelt, und so genügte diese Antwort für’s Erste. Vielleicht war es aber auch schon die tiefe innere Ahnung der Bedrohung, die Kishou damals nicht weiter fragen ließ. Bestimmte Erfahrungen sind nicht daran gebunden, wie lange man in einer Welt ist – jedenfalls hatte sie nie wieder nach dem wunderlichen Wachstum der Hecke gefragt.

Kishous Schritte verkürzten sich, je näher sie der Hecke kamen, doch ihre Anzahl bis zum Erreichen der Grenze sollten immer noch entschieden zu gering bleiben, wie sie befand. „Vielleicht ... ist das Tor ... ja schon wieder offen?“, ließ sie sich nun etwas zaghaft vernehmen, während ihre Füße konzentriert, aber nicht immer mit der benötigten Portion Glück damit beschäftigt waren, die groben Steine des Weges zu treffen.

„Nein!“, war nur das unmissverständliche Echo. Trautel Melanchful hatte weniger Probleme, den verlorenen Pfad einzuhalten. Entweder, sie hatte ihn noch gut in Erinnerung, oder aber es war ihre seltsame Wendigkeit und Behändigkeit, die in keinem Verhältnis zu ihrer Erscheinung stand; und die, nachdem sie in der letzten Zeit stetig abzumagern schien, seit der Nacht des Traums von Kishou sichtbar und ohne Zweifel wieder dramatisch zunahm.

Es war schon fast ein Balanceakt, sich auf der Spur der lockeren und zuweilen gar inzwischen übereinander liegenden Steine zu halten, ohne zu stolpern, oder sich auf schmerzhafte Weise die Füße anzustoßen. Kishou musste sich sehr konzentrieren, und es war schon erstaunlich, dass sie dabei immer noch reden konnte.

„... aber ... vielleicht ist der Ausgang ja auch schon ... zugewachsen, wie der Weg hier, dann kann ... ich gar nicht raus!“

„Dieser Durchlass wächst niemals zu!“, antwortete Trautel Melanchful.

„Hab’ ich auch nichts vergessen?“ Kishou war stehengeblieben und schickte sich schon an, ihr Bündel von der Schulter zu ziehen.

„Nein, du hast nichts vergessen!“ Trautel Melanchful schob sie sanft weiter.

„Und wenn ... sie nun ... zugewachsen ist?“, stolperte Kishou weiter.

„Sie ist nicht zugewachsen!“

„Na ja ... Wir könnten ja dann ... im Haus ... eine große Schere suchen ... Vielleicht ... haben wir ja so eine ... große Schere ...?“

„So eine Schere haben wir nicht!“

„Aber ... wie sollen wir dann die Hecke ... aufschneiden?“ Kishou blieb abermals stehen, und wandte sich mit überzeugender Besorgtheit zu Trautel Melanchful um.

„Wir brauchen die Hecke nicht aufzuschneiden!“, antwortete diese, und schob Kishou abermals sanft weiter.

„Aber ... wenn sie nun doch ... zugewachsen ist ...?“

„Sie ist nicht zugewachsen!“

„Bist ... Aua ... du sicher?“

„Ganz sicher!“

„Doofe Hecke.“

„Wie bitte?“

„Ich meine: ... komische Hecke, ... dass die nicht zuwächst.“

„Da schau, wir sind da!“ Sie hatten die natürliche Grenze erreicht, und Trautel Melanchful wies auf eine Stelle unweit vor ihnen. Deutlich war dort ein Durchbruch zu erkennen.

Der Anblick dieser unumstößlichen Tatsache bewog Kishous Herz, noch ein paar Extraschläge zuzulegen und ihre Einwendungen zu vergessen. So war sie die letzten Schritte, bis sie die Hecke endgültig erreichten, tatsächlich sprachlos.

Sie versuchte vorsichtig durch die Lücke zur anderen Seite hinüber zu schauen, aber das war nicht möglich, weil die Zweige und Blätter doch immerhin so dicht von jeder Seite des Durchlasses zur Anderen gewachsen waren, dass man nicht hindurchschauen konnte – zumindest schien es so.

Die unvermeidliche Zeit des Abschieds war gekommen. Die Alte nahm Kishou noch einmal in die Arme und sie schien sehr bewegt. Sogar eine kleine glitzernde Träne erschien in einem ihrer Augen.

„So, nun geh!“, sagte sie, und strich Kishou noch einmal über den dichten, schwarzen Haarschopf.

Kishou nickte nur stumm. Jede Faser ihres Körpers schien angespannt, und das Herz wollte sich nun fast überschlagen.

„Also bis dann ...!“, sagte sie abwesend.

Noch etwas zögerlich und vorsichtig, dann aber doch mit festem, gespanntem Schritt, bahnte sie sich ihren Weg durch das Gestrüpp, ... um mit einem spitzen Schrei plötzlich inne zu halten. Ihre Hände krallten sich zu Tode erschrocken in die dünnen Zweige ... Sie war am Ende des Durchschlupfes angelangt und sah nach draußen, und das ,Draußen’ war: NICHTS!

Verzweifelt suchten ihre Augen irgend einen Halt zu finden, ... aber es gab keinen. Dieses ,Draußen’ war grau ... Nein – nicht wirklich grau. Es hatte einen Stich ins Rötliche – aber sonst nichts.

Im ersten Moment erschien es vielleicht wie ein dichter Nebel, aber es war kein Nebel. Die Augen fanden nur einfach keinen Widerstand und fielen ins Unendliche ...?

Es war kein ,Oben’ – und es war kein ,Unten’. Der Boden zu ihren Füßen hörte einfach nur auf zu existieren – und wurde durch nichts ersetzt. Da wo die Hecke aufhörte, hörte alles auf: Oben, Unten, Links, Rechts, Ferne, Nähe ... einfach alles!?

Kishou wagte nicht zu atmen. Starr vor Schreck grub sich ihr Blick in das, was garnicht da war ... Die Hände der Kleinen krallten sich fest in das Gestrüpp, die Ohren begannen zu sausen und die Beine wurden zu schmelzenden Bleiklumpen.

„Trautel ... Trautel Melanchful ...!“, quetschte sie endlich aus ihrem zugeschnürten Hals hervor. „Trautel ...“ Sie wagte kaum, die Lippen zu bewegen, aus Furcht, vielleicht von dem Nichts bemerkt zu werden.

„Ja?“, – vernahm sie die vertraute, warme Stimme der Alten. „Geh nur weiter!“

Ein klein wenig war Kishou erleichtert. Wenigstens hinter ihr schien alles beim Alten geblieben zu sein. „Aber ... aber wohin? Ich ... ich ... ich kann nichts erkennen! Da is‘ nix!“

Das kleine Lachen, das sie als erstes von Trautel Melanchful vernahm, war zwar höchst unpassend, wie sie befand, aber es hatte doch auch etwas ungemein Beruhigendes.

„Dummerchen, wie willst du etwas erkennen von dem, was dir unbekannt ist, bevor du in dieses Unbekannte hineingegangen bist?“

„Aber ... aber ...“, Kishou wusste mit den Worten Trautel Melanchfuls nichts Rechtes anzufangen ...

„Eine Grenze muss immer erst überschritten sein, wenn du erkennen willst!“

Die Worte der Alten klangen durchaus so, als wüsste sie sehr genau, was das Problem war – und natürlich gab es für Kishou keinen Anlass, ihnen zu misstrauen. Trautel Melanchful wusste immer alles. Noch niemals hatte sie sich geirrt. Aber vielleicht ... es könnte ja sein ... dass sie sich ja doch einmal irrte! Sie wusste nicht mehr ein noch aus. Vor ihr das Unbegreifliche, und hinter ihr die vertraute Sicherheit, deren Untergang längst beschlossen war.

Einige Augenblicke noch stand sie verzweifelt an das Gestrüpp der Hecke geklammert, dann aber hangelte sie sich langsam, immer wieder in das Geäst nachfassend, hinein in das Unbegreifliche. Und während sie sich an den Zweigen der Hecke festhielt, schob sie nun vorsichtig ihren linken Fuß in dieses ,Nichts‘ hinein – jederzeit bereit, ihn sofort wieder zurückzuziehen.

Aber der Fuß rutschte seltsamerweise nicht ab!? Es war zwar nichts zu erkennen, was ihm Halt gab, aber er fand irgendwie einen ...

Langsam und immer noch vorsichtig schob sie ihn weiter hinaus – soweit, wie es möglich war, ohne die Hände von der Hecke lösen zu müssen. Aber der Halt unter ihrem Fuß gab nicht nach. Kishou atmete tief durch. Sie entließ ganz langsam etwas ihre Finger aus der krampfartigen Umklammerung – freilich, ohne dabei den sicheren Halt aufzugeben. ... und noch immer geschah nichts.

Nun stand sie schon ganz aufrecht – mit einem Bein noch im Sichtbaren, mit dem Anderen bereits auf dem, was eigentlich gar nicht da war.

Vorsichtig verlagerte sie nun das Gewicht ihres Körpers von dem rechten Bein auf das Linke – und der unsichtbare Halt gab noch immer nicht nach ... Ihr Herz schien fast zerspringen zu wollen. „Trautel Melanchful! – Bist du noch da?“, fragte sie noch einmal in die gespannte Stille, um sich zu vergewissern, dass wenigstens ansonsten noch alles in Ordnung war.

„Natürlich! Ich bin immer bei dir, auch wenn du mich nicht hören oder sehen kannst!“

Die vertraute Stimme von Trautel Melanchful erreichte sie noch – das war beruhigend. Wie auf einem Hochseil balancierend, hob sie nun langsam auch das rechte Bein aus der Sicherheit des Bekannten in die Unsicherheit des Unbekannten hinüber. Ihre Hände lockerten dabei vorsichtig ihren Halt in dem Geäst, das sich bereits ein Stück weit aus der Hecke herausbog. Die störrischen Zweige nahmen die Gelegenheit wahr, um sich aus ihren Händen zu befreien und blitzartig unter einem schnalzartigen Laut in das dichte Blattwerk der Hecke zurück zu schnellen ...

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