Kitabı oku: «Homöopathie», sayfa 2

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2. Samuel Hahnemann und seine Zeit

Da die Homöopathie bis heute eng mit dem Leben und den Ideen ihres Gründers Samuel Hahnemann verbunden ist, soll zuerst ein Blick auf dessen Leben und Lehre geworfen werden. Fast alle Stärken und Schwächen, Kritikpunkte und Eigenarten der Homöopathie zeigen sich auch schon in der Biographie Hahnemanns.

Von seinen Anhängern wird der Begründer der Homöopathie regelrecht verehrt: “Hahnemanns Leistung ist titanisch! 21 größere, zum Teil sehr umfangreiche Werke ausländischer Literatur hat er übersetzt, bearbeitet, kritisiert und erläutert! 140 eigene Aufsätze und Bücher, darunter große mehrbändige, zu seinen Lebzeiten wiederholt aufgelegte Werke, entflossen seiner unermüdlichen Feder und haben noch heute dem Leser unveränderliche Wahrheiten zu sagen! Was er gewirkt hat – als medizinischer Schriftsteller, Forscher und Reformator, als Chemiker – Hygieniker – Pharmakologe – Toxikologe – Psychiater – Diätiker – populärer Erzieher – und nicht zuletzt als ärztlicher Praktiker – das ist heute hier nur skizzenhaft andeutbar! Sein Werk ist einmalig! Er übertrifft wohl alle und alles in der Geschichte der Heilkunde. Seine Lebensleistung stellt Hahnemann an die Seite der größten Ärzte aller Völker, aller Zeiten! Was Hahnemann wie ein Ferment unvermerkt und doch unbezwingbar lebendig für die Entwicklung der Heilkunde gewirkt hat, ist nur zu ahnen!”15 Doch das ist nicht das ganze Bild dieses zweifellos außergewöhnlichen Arztes.

2.1. Hahnemanns Jugend

Am 10. April 1755 wurde Christian Friedrich Samuel Hahnemann (1755-1843) als drittes Kind des Porzellanmalers Christian Gottfried Hahnemann (1720-1784) und seiner zweiten Frau Johanna Christina Spieß (1727-1790) in Kötzschenbroda bei Radebeul (Sachsen) geboren. Zwei Jahre vorher hatten die Eltern ein dreistöckiges Eckhaus in der Triebischvorstadt, einem eher ärmlichen Viertel, erworben. Auch Samuels Großvater und Onkel waren als Porzellanmaler tätig. Christian Gottfried Hahnemann wurde auch als Verfasser eines bedeutenden Werkes über Aquarellmalerei bekannt. Schon recht früh wurde Samuel von seinen Eltern in Lesen und Schreiben unterrichtet. Stark wird Hahnemann von seinem bildungsbeflissenen Vater geprägt. Von ihm lernte er eigenen Angaben nach auch Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft, Güte und Ordnungsliebe. Nach den Empfehlungen Jean-Jacques Rousseaus tritt er weniger als erzieherische Autorität denn als Lernbegleiter seines Sohnes in Erscheinung. Erst mit 12 Jahren besuchte Samuel die Meißener Stadtschule. Von seinem Lehrer, Magister Johann August Müller, wird sein Talent schon früh erkannt, sodass dem begabten Schüler das Schulgeld erlassen wird. In dieser Zeit traten Hahnemanns sprachliche Begabungen zutage, mit deren Hilfe er später als Übersetzer medizinischer Fachbücher sein Geld verdienen konnte. Schon jetzt gibt er älteren Schülern griechischen Unterricht. Heimlich, gegen den Willen des Vaters, studiert er in der kalten Dachkammer; den Kerzenhalter hat er sich selber aus Ton geformt, damit man das Fehlen eines Leuchters nicht bemerke.

Christian Gottfried Hahnemann schickte seinen Sohn bei einem Leipziger Kaufmann in die Lehre. Der Junge bäumt sich bald gegen diesen praktischen Beruf auf und entläuft seinem Lehrherren. Die Mutter versteckt den Flüchtigen mehrere Tage, bis sie den Vater milde gestimmt hat. Auf den Wunsch seines Sohnes und die Fürsprache seiner Frau hin bewarb sich Vater Hahnemann um einen Platz an der renommierten Fürstenschule St. Afra. Aufgrund seiner außerordentlichen Begabung wurde Samuel Hahnemann nicht nur angenommen, sondern bekam sogar eine der begehrten Freistellen, die den Eltern das Schulgeld ersparte. Schwerpunkte der humanistischen Bildung lagen bei den alten Sprachen Latein, Griechisch, Hebräisch, beim Studium antiker und biblischer Texte und der Beschäftigung mit Arithmetik und Musik. Nach fünf Jahren beendet er die Schule. Im Anschluss an ein Dankgedicht in Französisch hält Hahnemann bei der Entlassungsfeier eine klassisch lateinische Abgangsrede “Über den wundervollen Bau der menschlichen Hand”.16

2.2. Hahnemanns Studienzeit

Dank der Fürsprache des Meißner Mediziners Carl Wilhelm Poerner wurde Hahnemann während seines Medizinstudiums in Leipzig (1775-1777) von der Zahlung des obligatorischen Hörergeldes befreit. Seinen Lebensunterhalt verdient der Student, indem er einen reichen Griechen in Deutsch und Französisch unterrichtet. Außerdem übersetzt er medizinische Aufsätze aus dem Englischen (z.B. William Falconers: “Versuch über die mineralischen Wasser”). Wie in allen seinen späteren Übersetzungen ergänzt Hahnemann die Originaltexte durch ausführliche Fußnoten, Erklärungen, Vervollständigungen, bibliographische Hinweise, gelegentlich sogar durch ablehnende, kritische Hinweise. Von den Vorlesungen besuchte Hahnemann nur, was ihm “zweckmäßig” erschien. Ansonsten zog er das Studium medizinischer Fachliteratur vor. Dem lockeren Treiben seiner Kommilitonen bleibt Hahnemann fern. Statt dessen treibt er an frischer Luft körperliche Übungen, die ihn gesund halten sollen.

1777 zog Hahnemann nach Wien, um sich stärker der klinischen Praxis am Krankenbett zu widmen. Dort schloss er sich dem von ihm hoch geachteten Joseph Freiherr von Quarin, dem damaligen ärztlichen Direktor des “Spitals der Barmherzigen Brüder” und Leibarzt Maria Theresias an. Quarin, auch Professor für Medizin an der Wiener Universität, findet Gefallen an dem jungen Mediziner und nimmt diesen mit zu seinen Krankenvisiten bei Privatpatienten. Durch ihn lernt Hahnemann den Statthalter von Siebenbürgen, Freiherr Samuel von Brukenthal, kennen, dessen Leibarzt und Bibliothekar Hahnemann wird. Schon bald nach seiner Ankunft in Hermannstadt (1777) tritt der junge Arzt der Freimaurerloge “St. Andreas zu den drei Seeblättern” bei. Obwohl es für Künstler, Literaten und Gelehrte der damaligen Zeit zum guten Ton gehörte, sich zu den Freimaurern zu halten, scheint Hahnemanns Interesse an den maurerischen Idealen nicht nur oberflächlich gewesen zu sein. Dreißig Jahre später tritt er in Leipzig der Loge “Minerva zu den drei Palmen” bei. In seiner Frühzeit bezeichnet sich Hahnemann in seinen Briefen auch als “Bruder Hahnemann”, d.h. als Mitglied einer Freimaurerloge. Freimaurerische Formulierungen wie “Dienst am Altar der Wahrheit”, “dreimal beseligt” oder “Mitbrüder” finden sich auch später in Hahnemanns Hauptwerk, dem “Organon der rationellen Heilkunde (1810). Neben seiner Arbeit in der Bibliothek bemüht sich Hahnemann “einige andere mir nötige Sprachen zu lernen und einige Nebenwissenschaften mir zu eigen zu machen.”17 Außerdem übersetzt er in Hermannstadt das materialistische “System de la nature” des Barons Paul-Henry Thiry d’Holbach ins Deutsche. Um sein Medizinstudium mit einem Doktorgrad abzuschließen, geht Hahnemann 1779 nach Erlangen. Dort entwickelt er insbesondere zu den freimaurerischen Medizinprofessoren Johann Daniel von Schreber und Jakob Friedrich Isenflamm eine engere Beziehung. Nur wenige Monate nach seiner Einschreibung an der Universität Erlangen legt Hahnemann seine Doktorabeit vor, an der er wohl schon früher gearbeitet hatte. (“Betrachtung zur Ätiologie und Therapie der krampfartigen Erkrankungen”) Darin empfiehlt er bei Zahnschmerzen die damals und heute heiß umstrittene magnetische Behandlung Mesmers.18

2.3. Hahnemanns erste Erfahrungen als Arzt

Seine erste Praxis bezieht Hahnemann 1780 in Hettstedt bei Halle an der Saale. In dem kleinen Bergbauort hält es den Arzt nur wenige Monate. In dieser Zeit veröffentlicht er in der Fachzeitschrift “Medicinische Beobachtungen” einen Aufsatz über eine Typhus-Epidemie in einem Nachbarort von Hettstedt. Noch therapiert Hahnemann wie viele Ärzte seiner Zeit mit Diäten, Abführmitteln und Ähnlichem. Eine typhuskranke Frau behandelt er mit Vitrioläther, versetzt mit Moschus, großen Mengen bitterem Bier, kalt getrunken, und einer Eisentinktur.

In den Jahren zwischen 1780 und 1805 ist Hahnemann in 20 verschiedenen nord- und mitteldeutschen Orten anzutreffen. Er zieht von Ort zu Ort, um sich eine Existenz aufzubauen und seine medizinischen Ideen weiterentwickeln zu können. 1781 zieht Hahnemann nach Dessau. Neben seiner medizinischen Praxis beschäftigt er sich mit Chemie. Dort heiratet Hahnemann Johanna Leopoldine Henriette Küchler (1764-1830), die einzige Tochter eines örtlichen Apothekers. Beide scheinen sich innig zu lieben und lebenslang relativ gut zu verstehen, wenn Hahnemanns Schüler Henriette auch schon mal als “keifende Xanthippe” bezeichnen. Gegen den Widerstand der Wittenberger Universität, die ihm vorhielt, als “ausländischer Arzt” die vorgeschriebene Zulassungsprüfung noch nicht abgelegt zu haben, wird Hahnemann 1782 Stadt- und Amtsarzt (Physikus) von Gommern. Einer der Wittenberger Professoren, Johann Gottfried Leonhardi, der Hahnemann schon aus seiner Leipziger Studentenzeit kennt, beschreibt ihn folgendermaßen: “Ungeschickt ist er nicht, aber schrecklich naseweis. Kein einziger Professor in Leipzig war ihm gelehrt genug und in allem wollte er etwas Besonderes haben.”19 Tatsächlich scheint Hahnemann zeitlebens recht eigensinnig und rechthaberisch gewesen zu sein. Immer wieder kommt es deshalb insbesondere mit anderen Standeskollegen zu Konflikten. Schließlich einigt man sich. Hahnemann zahlt eine ermäßigte Verwaltungsgebühr und reicht in Wittenberg eine weitere wissenschaftliche Arbeit über die “Frage, ob die Abtrennung der Nabelschnur notwendig sei” ein. Seine Einkünfte in Gommern sind eher bescheiden. Ein Teil seines Gehalts wird ihm in Naturalien ausgezahlt. Seine Pflichten als Amtsarzt lassen ihm genügend Zeit, neben einer eigenen wissenschaftlichen Arbeit (“Anleitung, alte Schäden und Geschwüre gründlich zu heilen” 1784) auch noch zwei pharmazeutisch-chemische Bücher aus dem Französischen zu übersetzen. 1785 verlässt Hahnemann, der inzwischen Vater einer Tochter geworden ist, Gommern und lässt sich in den folgenden vier Jahren in Dresden nieder. Hier findet er wieder Anschluss an die akademische Welt. Er sammelt Erfahrungen im Bereich der Gerichtsmedizin, er lernt den berühmten französischen Chemiker Antoine Laurent de Lavoisier (1743-1794) kennen und arbeitet an verschiedenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Hahnemann übersetzt wieder zahlreiche Bücher, darunter medizinische Fachbücher wie “Die Kennzeichen der Güte und Verfälschung der Arzneimittel” des Belgiers Jean Baptiste van den Sande, aber auch literarische Werke wie die “Geschichte Abaelards & Heloise” von Joseph Berrington. Nebenher veröffentlicht er zwölf eigene Abhandlungen, darunter ein Lehrbuch für Wundärzte über Geschlechtskrankheiten (1789), einen aufklärerischen Aufsatz über “Die Vorteile gegen die Steinkohlenfeuerung, die Verbesserungsarten dieses Brennstoffs” (1787) und eine Publikation über eine von ihm entdeckte Methode der Weinprobe. Hahnemann hatte einen relativ einfachen Test entwickelt, mit dem sich in gesüßtem Wein gefährlicher Bleizucker nachweisen ließ. Diese Weinprobe wurde 1791 von der preußischen Regierung den Berliner Weinhändlern amtlich vorgeschrieben.

In seiner Dresdener Zeit stand Hahnemann insbesondere mit seinem jüngeren Bruder Samuel August in Briefkontakt. Der zwischenzeitlich als Apotheker Tätige berichtet unter anderem über seine chemischen Experimente auf der Suche nach feuerfesten Farben für die Porzellanmalerei. Mit seiner Mutter und seiner Schwester Benjamina geriet Hahnemann 1786 in einen heftigen Streit, der erst durch die Intervention seines jüngeren Bruders beigelegt werden konnte. 1790 starb die Mutter, die Samuel stets als ihr Sorgenkind betrachtet hatte. Nach seiner erfolglosen Bewerbung als Stadtphysikus von Dresden (1788) zog Hahnemann nach Lockwitz und ein Jahr später nach Leipzig, “um den Quellen der Wissenschaft näher zu sein.” Zwischenzeitlich hat das Ehepaar fünf Kinder (Henriette (1784), Friedrich (1786), Wilhelmine (1787), Amelie (1789) und Karoline (1790)). In den kommenden Jahren bis 1802 werden der Familie noch weitere sechs Kinder geboren. Den dürftigen Quellen entsprechend war Hahnemann ein strenger und liebevoller Vater, der mit seinen Kindern auch scherzen konnte. Er las ihnen bei jeder Gelegenheit aus Büchern seiner Privatbibliothek vor, die er für wichtig hielt.20

2.4. Anfänge der Homöopathie in Stötteritz

Das Geld ist knapp und Hahnemann verdient zwischenzeitlich weit mehr durch seine Übersetzungsarbeiten als durch seine ärztliche Praxis. Wegen der niedrigeren Lebenshaltungskosten zieht die Familie in den Vorort Stötteritz, wo Hahnemann innerhalb von drei Jahren acht medizinische Bücher aus dem Französischen, Englischen und Italienischen übersetzt. Unter anderem arbeitet er an der zweibändigen Arzneimittellehre des schottischen Pharmakologen William Cullen (1710-1790), dessen Werk Hahnemann mit ergänzenden Hinweisen und inhaltlichen Korrekturen versieht. In einer Fußnote zu Cullens Beschreibung der Chinarinde findet sich der erste Hinweis auf die Grundidee der späteren Homöopathie. “Man bedenke jedoch folgendes: Substanzen, welche eine Art Fieber erregen (sehr starker Kaffee, Pfeffer, Wolferlei, Ignazbohne, Arsenik) löschen die Typen des Wechselfiebers aus. - Ich nahm des Versuchs halber etliche Tage zweimal täglich jedesmal vier Quentchen gute China ein; die Füße, die Fingerspitzen usw. wurden mir erst kalt, ich wurde matt und schläfrig, dann fing mir das Herz an zu klopfen, mein Puls wurde hart und geschwind; eine unleidliche Ängstlichkeit, ein Zittern (aber ohne Schauder), eine Abgeschlagenheit durch alle Glieder; dann ein Klopfen im Kopf, Röte der Wangen, Durst, kurz alle mir sonst beim Wechselfieber gewöhnlichen Symptome erschienen nacheinander … Dieser Paroxysm dauerte zwei bis drei Stunden, jedesmal, und erneuerte sich, wenn ich diese Gabe wiederholte, sonst nicht. Ich hörte auf und ich war gesund.”21 Cullens Erklärung, die Chinarinde wirke durch ihre magenstärkende Kraft, wurde von Hahnemann zurückgewiesen. Ungewöhnlich war Hahnemanns Vorgehen, Arzneimittel im Selbstversuch zu überprüfen. Zwar hatte schon der berühmte Arzt und Naturforscher Albrecht von Haller bereits 1771 gefordert, Medikamente sollten vor ihrem Einsatz am Kranken zuvor von gesunden Menschen getestet werden, aufgegriffen wurde dieser Vorschlag jedoch kaum.

In seinem ersten dokumentierten Selbstversuch nahm Hahnemann die damals übliche therapeutische Tagesdosis des Fiebermittels Chinarinde (etwa 29,2 g). Dabei spürte er unter anderem eine “Art Fieber”, das ihn an einen früheren Malaria-Anfall erinnerte. Spätere Wiederholungen dieses Versuches allerdings haben ergeben, dass die angegebene Menge Chinarinde bei einem gesunden Menschen normalerweise zu keiner Temperaturerhöhung führt. Neueren Forschungen zufolge kann bei überempfindlichen Personen jedoch auch eine Erhöhung der Körpertemperatur eintreten. Diesen Beobachtungen zufolge ergibt sich das Paradox, dass Hahnemanns Durchbruch zur Formulierung seines medizinischen Prinzips “Simila similibus curentur” im Fall der Chinarindenwirkung auf einem zeitbedingten Irrtum beruht. Hahnemanns homöopathisches Grundgesetz, nach dem “Ähnliches mit Ähnlichem” kuriert werden kann, beruht demnach auf einem Selbstversuch, dessen Ergebnisse mit eben diesem Satz nicht übereinstimmt, außer bei wenigen überempfindlichen Personen.

In einer weiteren Publikation seiner Stötteritzer Zeit beschreibt Hahnemann das nach ihm benannte “auflösliche Quecksilber, das er für die Behandlung von Geschlechtskrankheiten empfiehlt. In der Tradition der damaligen Zeit veröffentlicht Hahnemann seinen “Freund der Gesundheit” (1792), einen populären Medizinratgeber, der von Tollwut über Ernährungsregeln bis zu den Ursachen schlechter Luft zahlreiche Gesundheitsthemen aufgreift. Durch seine Ernennung zum Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften (1791) kommt seine Wertschätzung in der Gelehrtenwelt zum Ausdruck.22

2.5. Hahnemanns Irrenhaus in Gotha

Ab 1792 widmet sich Hahnemann der Behandlung von Geisteskranken in Gotha. Psychische Kranke wurden Ende des 18. Jahrhunderts nur verwahrt, kaum behandelt. Unter unwürdigen hygienischen Zuständen, unter der Aufsicht gewaltbereiter Wärter wurden sie in “Zucht- und Tollhäuser” vor der Öffentlichkeit weggeschlossen. Untergebracht waren die Kranken in Schlafsälen mit bis zu 20 Betten. Da man in Tradition der antiken Vier- Säfte-Lehre die Ursache der Krankheit im Körper vermutete, therapierte man die Betreffenden mit Aderlass, Bädern oder ominösen Wunderarzneien. Andere wurden fixiert, um Gewaltausbrüche zu vermeiden oder man erprobte verschiedene Ernährungstherapien an ihnen. Zu dieser Zeit mehrten sich aber auch schon die Stimmen, die eine humanere Behandlung der Geisteskranken forderten (z.B. William Battie in England und Philippe Pinel in Frankreich). 1792 wurde Hahnemann von Herzog Ernst II von Gotha ein ehemaliges Klostergebäude zur Errichtung einer “Genesungs-Anstalt für etwa vier irrsinnige Personen aus vermögenden Häusern” in Georgenthal zur Verfügung gestellt. Menschenfreundliche Reformgedanken allein jedoch genügten bei der Einrichtung jener reformierten Irrenanstalt nicht, auch das Geld sollte stimmen. So wurden nur vermögende Patienten aufgenommen, die in der Lage waren, die enorme Summe von 1000 Reichstalern im Jahr zu bezahlen. Wichtigster Patient der Einrichtung war der Schriftsteller und geheime Kanzleisekretär Friedrich Arnold Klockenbring aus Hannover. Eine unbegründete, öffentliche Hetzkampagne erschütterte den Ruf des untadeligen Spitzenbeamten und führte zu einer chronischen Niedergeschlagenheit und Anteilnahmslosigkeit, die durch gelegentliche Tobsuchtsanfälle unterbrochen wurden.

Zunächst beobachtete Hahnemann seinen Patienten lediglich. Zeitweilig rezitierte Klockenbring Episoden aus dem Alten Testament auf Hebräisch, dann verhängte er schwere Strafen für imaginäre Angeklagte oder schlüpfte in die Rolle antiker Helden. Nebenher entwickelte er einen unbändigen Heißhunger und verschlang neben den regulären Mahlzeiten rund 5 kg Brot am Tag. Durch Geduld und menschliche Nähe versuchte Hahnemann Zugang zu seinem Patienten zu bekommen. In einer Mischung von Arbeitsund Gesprächstherapie ließ er Klockenbring Gedichte verfassen, Klavier spielen, einfache Arbeiten ausführen und unterhielt sich regelmäßig mit ihm. Auch wenn die Einzelheiten der Behandlung im Dunkeln bleiben, hatte Hahnemann Erfolg - im Frühjahr 1793 konnte der ehemalige Kanzleisekretär als geheilt entlassen werden. Weitere zahlungskräftige Patienten jedoch blieben aus. Darüber hinaus zerstritt sich der selbstsichere und exzentrisch auftretende Hahnemenn mit dem Herzog, so dass seine Irrenanstalt nach rund einem Jahr die Pforten schließen musste. Von den 1792 geborenen Zwillingen überlebte nur die Tochter Friederike.23

2.6. Hahnemanns Übergang zur homöopathischen Praxis

Nach dem Umzug Hahnemanns nach Molschleben bei Gotha wurde 1794 der Sohn Ernst geboren, der jedoch schon kurz nach der Geburt verstarb. Wieder verdient Hahnemann sein Geld in erster Linie durch Übersetzungen, nicht durch seine ärztliche Praxis. Nachdem sich Hahnemann mit einer einflussreichen Familie in Molschleben zerstritten hatte, zog die Familie im Mai 1794 nach Göttingen um. Durch Unvorsichtigkeit des Kutschers stürzt Hahnemanns Wagen um, einige Familienmitglieder werden verletzt, sein jüngster Sohn so stark, dass er kurze Zeit später stirbt. In Göttingen immatrikuliert sich Hahnemann an der Georg-August-Wilhelm-Universität mit dem Ziel einer späteren Habilitation. Nebenher arbeitet er in einer weit bekannten Gebärklinik unter der Leitung von Friedrich Benjamin Osiander. Neben Sektionen an verstorbenen Schwangeren und Neugeborenen wurden auch lebendige Frauen als medizinische Modelle untersucht. Auch den Kontakt zu geisteswissenschaftlichen Größen seiner Zeit suchte Hahnemann in Göttingen, so zu dem renommierten Philologen Christian Gottlob Heyne. Privat gab sich Hahnemann sehr distanziert, bei öffentlichen Vergnügungen machte er sich rar, die Fensterläden an der Straßenseite seiner Wohnung waren immer verschlossen. Wahrscheinlich aufgrund eines Rechtstreites in einer Mietangelegenheit verlässt Hahnemann Göttingen noch im gleichen Jahr und lässt sich in dem mondänen Kurort Pyrmont nieder. Die hier niedergelassenen Ärzte stehen in einem scharfen Konkurrenzkampf um ihre wohlhabenden Patienten. Der einzelgängerische Hahnemann findet auch hier kein Auskommen und reist mit seiner Familie wenige Monate später nach Wolfenbüttel weiter, wo die Schwägerin seiner Schwester Gerharduna wohnte. Sozusagen nebenher veröffentlicht er in dieser Zeit einen Aufsatz über die Schädlichkeit der Bleiglasur im Kochgeschirr. Nach einer Appellation an den Herzog von Braunschweig erhält Hahnemann aufgrund seines guten medizinischen Rufes eine Sondergenehmigung, hier als Arzt tätig zu werden. Das ersparte ihm zusätzliche Prüfungen und Geldzahlungen, die normalerweise in dem Herzogtum gefordert wurden.

Bereits im August 1795 zieht Hahnemann nach Braunschweig und erwirbt dort ein Haus mit Garten. Hier erarbeitet er den 1796 in “Hufelands Journal der praktischen Arzneikunde” veröffentlichten Aufsatz über die Grundlagen der Homöopathie. In seiner Arbeit mit dem Titel “Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen” schreibt Hahnemann: “Jedes wirksame Arzneimittel erregt im menschlichen Körper eine Art von eigener Krankheit, eine desto eigentümlichere, ausgezeichnetere und heftigere Krankheit, je wirksamer die Arznei ist. Man ahme der Natur nach, welche zuweilen eine chronische Krankheit durch eine andere hinzukommende heilt, und wende in der zu heilenden … Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andere, möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen imstande ist, und jene wird geheilt werden; Simila similibus.”24 Im weiteren Verlauf seines Artikels kritisiert Hahnemann verbreitete Überdosierungen seiner Ärztekollegen und versucht sein medizinisches Prinzip, “Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt”, anhand zeitgenössischer medizinischer Literatur und eigenen Erfahrungen zu belegen.

Im Juni 1796 zieht Hahnemann weiter, ins nahegelegene Königslutter. Dort gerät der Homöopath mit dem ortsansässigen Arzt Vilbrans und dem Apotheker Krukenberg in Streit. Sie beschweren sich, dass Hahnemann im Gegensatz zur damals geltenden Rechtsprechung seine Arzneien selber herstellt und an seine Patienten abgibt. In seinem Rechtfertigungsschreiben führt Hahnemann recht undiplomatisch aus, dass er “die Sudeleien schlechter Apotheker verabscheue wie Giftmischereien” und dass es für “den etwas mehr als gewöhnlichen Arzt” (womit er sich selbst meinte) keine Beschränkungen geben dürfe, wenn er neue, leidenden Menschen zugute kommende Mittel entdeckt habe (womit er sich auf seine homöopathischen Arzneien bezieht). Hier in Königslutter vollzieht sich der Wandel vom klassischen Mediziner seiner Zeit zum Homöopathen. Hahnemann verschreibt nicht mehr Arzneien, die ein beobachtetes Symptom direkt bekämpft. Stattdessen verschreibt er seinen Patienten Substanzen, die bei einem Gesunden ähnliche Symptome auslöst wie die, unter denen der Kranke leidet. Hahnemann setzt darauf, dass die “ähnliche” künstliche Krankheit die “echte” organische Erkrankung überdeckt bzw. den Körper zu einer verstärkten Gegenreaktion stimuliert. Noch arbeitet Hahnemann allerdings mit chemisch nachweisbaren Substanzen. Der Gedanke immer höherer Verdünnungen entsteht erst deutlich später. Gegen ein “Fieber”, das sich durch “Spannen und Drücken in der Stirne” bemerkbar macht, verordnet Hahnemann Mohnsaft (Papaver somniferum). In einem Aufsatz für “Hufelands Journal” beschreibt er die ähnliche Wirkung von Mohnsaft auf den Gesunden: Erweiterung der Pupille, drückender Schmerz an der Stirn, in der Herzgegend und um den Nabel, Tiefschlaf, starkes Schwitzen, Appetit auf Schweinefleisch, allgemeines Abnehmen der Körperkräfte und Verschlimmerung durch Ostwind. Neben medizinischen Daten im engeren Sinne bezieht Hahnemann auch hier schon Aspekte des allgemeinen Befindens und Geschmacks in die Analyse der Krankheit und die Auswahl der passenden Arznei mit ein. In seinem Aufsatz über “Gegenmittel einiger heroischer Gewächssubstanzen” beschreibt Hahnemann die homöopathisch relevante Beziehung zwischen Arzneimittel und Erkrankung (Antidotierung). Gegen eine Vergiftung durch die Weiße Nieswurz empfiehlt er aufgrund ähnlicher Wirkung Kaffee. Nebenher arbeitet Hahnemann an einer Methode, kleinste Mengen von unlöslichen festen Arzneirohstoffen (z.B. Samen der Brechnuss / Nux vomica) zu erstellen. Dabei entwickelt er das später als “Verreibung” (Trituration) genannte Verfahren. Der zweite Teil des von Hahnemann 1798 in Leipzig veröffentlichten “Apotheker Lexikons” wurde von seinen Fachkollegen wohlwollend aufgenommen.25

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